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Gedanken zum Sonntag

Predigt vom 17. Juli 2022



Und Terach nahm seinen Sohn Abram, dazu Lot, den Sohn Harans, seinen Enkel, auch Sarai, seine Schwiegertochter, die Frau seines Sohnes Abram, und sie zogen miteinander aus von Ur in Chaldäa, um ins Land Kanaan zu gehen. Als sie aber nach Haran kamen, blieben sie dort. Terach starb in Haran.

Der HERR aber hatte zu Abram gesprochen: Geh hinaus aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde! Und ich will dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf der Erde! Da ging Abram, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot ging mit ihm. 

Liebe Gemeinde, dies ist der Beginn der Geschichte Abrahams, der damals noch Abram hieß. Abram lebte mit seiner Familie in Ur in Mesopotamien – das liegt im heutigen Irak.  Dort erreichte ihn der Ruf Gottes, der ihn aufforderte, sein Heimatland zu verlassen. Daraufhin verließ Abram Ur, um nach Kanaan zu gehen. Aber er kam zunächst nicht bis Kanaan, sondern ließ sich in Haran nieder. Erst nachdem sein Vater dort gestorben war, zog er gemeinsam mit seinem Vetter Lot weiter nach Kanaan (Apg. 7, 2-4).

Abraham ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Bibel. Er hat sowohl für das Judentum, für den Islam und für das Christentum große Bedeutung. So berufen sich die Schriftgelehrten im Neuen Testament darauf, Nachkommen Abrahams zu sein und Jesus selbst bezeichnet eine Frau als “Tochter Abrahams”. Abraham wird insgesamt 74 mal im Neuen Testament erwähnt. 

Zweifellos ist die Berufung Abrahams und die damit verbundene Verheißung ein Höhepunkt und ein Wendepunkt im Leben Abrahams. Er wird aufgefordert, alles Vertraute hinter sich zu lassen und etwas völlig Neues zu beginnen. Die Verheißungen sind an die Bedingung geknüpft, alles Alte hinter sich zu lassen. Die Verheißungen würden sich in Kanaan, dem Land der Verheißung, erfüllen. Doch was hat die Geschichte Abrahams für unser heutiges Leben für eine Bedeutung?

Am Anfang der Geschichte steht das Reden Gottes. Im Alten Testament wird berichtet, dass Gott zu einigen auserwählten Personen wie Abraham sprach. Im Neuen Testament offenbart sich Gott durch seinen Sohn und er redet zu uns allen (Apg. 2, 17).
Die Aufforderung, das Alte und Vertraute hinter sich zu lassen, gilt für uns heute ebenso, wie damals für Abraham. Wir sollen unser altes Denken und die Orientierung an unserer Umgebung aufgeben und uns stattdessen am Wort Gottes zu orientieren. Wir sollen uns durch den Geist Gottes und durch sein geschriebenes Wort inspirieren und führen lassen.
Das gelobte Land Kanaan, das Abraham verheißen wurde, ist sowohl ein realer Ort, wie auch ein Bild für den Ort, an dem Gott Abraham segnet. Dieser Ort ist für uns die ewige Wohnung, die Jesus für die Seinen vorbereitet hat. Unser Herz soll nicht am Irdischen und Vergänglichen hängen, sondern wir sollen uns auf das Ewige und Bleibende ausrichten.
Gott machte sich mit Abraham eins, indem er sagte, dass er diejenigen segnen oder verfluchen würde, die Abraham segnen oder verfluchen würden. So macht sich Gott in Christus mit uns eins und er wird zu uns stehen, wenn wir seinem Ruf folgen werden. 

Vielleicht denken wir, dass Abraham ja sehr besonders war und besonders befähigt war. Doch wenn wir die Geschichte Abrahams lesen, dann können wir feststellen, dass Abraham ebenso ein fehlerhafter Mensch war wie wir.
Was ihn auszeichnete, das war sein Vertrauen in Gott. Deshalb wird er auch “Vater des Glaubens” genannt. Dies ist es, was wir unbedingt von Abraham lernen sollten: Zu vertrauen.

Uns ist Gott in Jesus Christus erschienen. Ihm können wir in jeder Lebenslage vertrauen. Es gibt nichts, das wir ihm nicht anvertrauen können und es gibt keine Situation, in der er uns nicht helfen wird. Vielleicht sind wir längere Zeit auf dem Weg stehen geblieben – so wie Abraham in Haran. Dann dürfen wir getrost in der Nachfolge weitergehen und gewiss sein, dass er uns auf dem Weg begleitet und hilft. 

Zum Schluss noch eine kleine Geschichte:
Zwei Freunde stehen im Garten. Es ist Sommer und die Sonne scheint. Da fragt ein Freund den anderen: “Wann ist wohl die beste Zeit, einen Apfelbaum zu pflanzen?”. Die Antwort kommt prompt: “Die beste Zeit war vor 20 Jahren”. Dann kommt die nächste Frage: “Und wann ist die zweitbeste Zeit?”. Die Antwort ist: “JETZT”.

Wenn wir den besten Zeitpunkt versäumt haben, dann sollten wir den zweitbesten nehmen.

Amen

Gerhard Walderich, Tuningen

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5. Sonntag nach Trinitatis

Predigt vom 17. Juli 2022 (1. Mo. 11, 31 bis 1. Mo. 12, 4):

Und Terach nahm seinen Sohn Abram, dazu Lot, den Sohn Harans, seinen Enkel, auch Sarai, seine Schwiegertochter, die Frau seines Sohnes Abram, und sie zogen miteinander aus von Ur in Chaldäa, um ins Land Kanaan zu gehen. Als sie aber nach Haran kamen, blieben sie dort. Terach starb in Haran.

Der HERR aber hatte zu Abram gesprochen: Geh hinaus aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde! Und ich will dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf der Erde! Da ging Abram, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot ging mit ihm. 

Liebe Gemeinde, dies ist der Beginn der Geschichte Abrahams, der damals noch Abram hieß. Abram lebte mit seiner Familie in Ur in Mesopotamien – das liegt im heutigen Irak.  Dort erreichte ihn der Ruf Gottes, der ihn aufforderte, sein Heimatland zu verlassen. Daraufhin verließ Abram Ur, um nach Kanaan zu gehen. Aber er kam zunächst nicht bis Kanaan, sondern ließ sich in Haran nieder. Erst nachdem sein Vater dort gestorben war, zog er gemeinsam mit seinem Vetter Lot weiter nach Kanaan (Apg. 7, 2-4).

Abraham ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Bibel. Er hat sowohl für das Judentum, für den Islam und für das Christentum große Bedeutung. So berufen sich die Schriftgelehrten im Neuen Testament darauf, Nachkommen Abrahams zu sein und Jesus selbst bezeichnet eine Frau als „Tochter Abrahams“. Abraham wird insgesamt 74 Mal im Neuen Testament erwähnt. 

Zweifellos ist die Berufung Abrahams und die damit verbundene Verheißung ein Höhepunkt und ein Wendepunkt im Leben Abrahams. Er wird aufgefordert, alles Vertraute hinter sich zu lassen und etwas völlig Neues zu beginnen. Die Verheißungen sind an die Bedingung geknüpft, alles Alte hinter sich zu lassen. Die Verheißungen würden sich in Kanaan, dem Land der Verheißung, erfüllen. Doch was hat die Geschichte Abrahams für unser heutiges Leben für eine Bedeutung?

Am Anfang der Geschichte steht das Reden Gottes. Im Alten Testament wird berichtet, dass Gott zu einigen auserwählten Personen wie Abraham sprach. Im Neuen Testament offenbart sich Gott durch seinen Sohn und er redet zu uns allen (Apg. 2, 17).
Die Aufforderung, das Alte und Vertraute hinter sich zu lassen, gilt für uns heute ebenso, wie damals für Abraham. Wir sollen unser altes Denken und die Orientierung an unserer Umgebung aufgeben und uns stattdessen am Wort Gottes zu orientieren. Wir sollen uns durch den Geist Gottes und durch sein geschriebenes Wort inspirieren und führen lassen.
Das gelobte Land Kanaan, das Abraham verheißen wurde, ist sowohl ein realer Ort, wie auch ein Bild für den Ort, an dem Gott Abraham segnet. Dieser Ort ist für uns die ewige Wohnung, die Jesus für die Seinen vorbereitet hat. Unser Herz soll nicht am Irdischen und Vergänglichen hängen, sondern wir sollen uns auf das Ewige und Bleibende ausrichten.
Gott machte sich mit Abraham eins, indem er sagte, dass er diejenigen segnen oder verfluchen würde, die Abraham segnen oder verfluchen würden. So macht sich Gott in Christus mit uns eins und er wird zu uns stehen, wenn wir seinem Ruf folgen werden. 

Vielleicht denken wir, dass Abraham ja sehr besonders war und besonders befähigt war. Doch wenn wir die Geschichte Abrahams lesen, dann können wir feststellen, dass Abraham ebenso ein fehlerhafter Mensch war wie wir.
Was ihn auszeichnete, das war sein Vertrauen in Gott. Deshalb wird er auch „Vater des Glaubens“ genannt. Dies ist es, was wir unbedingt von Abraham lernen sollten: Zu vertrauen.

Uns ist Gott in Jesus Christus erschienen. Ihm können wir in jeder Lebenslage vertrauen. Es gibt nichts, das wir ihm nicht anvertrauen können und es gibt keine Situation, in der er uns nicht helfen wird. Vielleicht sind wir längere Zeit auf dem Weg stehen geblieben – so wie Abraham in Haran. Dann dürfen wir getrost in der Nachfolge weitergehen und gewiss sein, dass er uns auf dem Weg begleitet und hilft. 

Zum Schluss noch eine kleine Geschichte:
Zwei Freunde stehen im Garten. Es ist Sommer und die Sonne scheint. Da fragt ein Freund den anderen: „Wann ist wohl die beste Zeit, einen Apfelbaum zu pflanzen?“. Die Antwort kommt prompt: „Die beste Zeit war vor 20 Jahren“. Dann kommt die nächste Frage: „Und wann ist die zweitbeste Zeit?“. Die Antwort ist: „JETZT“.

Wenn wir den besten Zeitpunkt versäumt haben, dann sollten wir den zweitbesten nehmen.

Amen

Gerhard Walderich, Tuningen

 

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4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zur Jahreslosung am Sonntag, 10. Juli 2022

Liebe Mitchristen!

Es ist ein besonderer Moment, wenn sich die Tür öffnet zu einem lichtdurchfluteten Festsaal. Wenn ich irgendwo eingeladen bin zu einem Fest, auf dem ich noch nie war, dann frage ich mich: Was wird mich da drinnen wohl erwarten? Wie wird dieses Fest werden: Werde ich mich dort wohlfühlen und gleich Anschluss finden, oder werde ich eher am Rand stehen? Nur am Rand stehen möchte ich jedenfalls nicht. Das macht mir Angst: Dass ich abgewiesen werde und andere mir zeigen: Du gehörst nicht dazu. Manchmal kann diese Angst so groß werden, dass ich die Einladung zum Fest ausschlage und nicht durch diese geöffnete Tür gehe in den lichtdurchfluteten Festsaal. Die Jahreslosung, die uns durch das Jahr 2022 begleitet, ist ein Bibelwort gegen diese Angst. Jesus Christus macht uns hier Mut: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh 6, 37) Ein Bibelwort gegen die Angst, die sich an manchen Tagen wie ein dicker grauer Schleier über unser Leben senkt und alles Helle und Fröhliche verdunkelt. In dem Kurzfilm „Der Besuch“ erzählt Alexandra Schatz von einer Frau namens Elise. Die Angst hat das Leben von Elise grau und eng gemacht – so sehr, dass Elise sich gar nicht mehr aus dem Haus traut. Dabei war sie früher einmal eine fröhliche und lebenslustige junge Frau. Das Bild an ihrer Wand erinnert daran. Eines Tages segelt ein Papierflieger durch das Fenster von Elise, das sie zum Lüften aufgemacht hat. Der Papierflieger macht Elise Angst. Schnell verbrennt sie ihn in ihrem Ofen. Aber dieser Zwischenfall lässt ihr keine Ruhe. Nachts hat sie Alpträume von Papierfliegern. Doch es kommt noch schlimmer: Am nächsten Morgen klingelt es bei Elise an der Tür, und ihre Angst wird immer größer. Wird sie es schaffen, die Tür zu öffnen und sich aus ihrem grauen und angsterfüllten Leben herauszuwagen ans Licht? Vor der Tür steht ein kleiner Junge: Emil, der Besitzer des Papierfliegers. Ich finde diese Szene, als Emil vor Elises Tür steht, die spannendste Szene im ganzen Film. Denn in diesem Moment entscheidet sich, ob Elise sich traut, den Jungen eintreten zu lassen in ihr Leben, und Licht und Farbe in ihr graues und trübseliges Leben zu bringen. In dem Film schafft es Elise. Sie überwindet ihre Angst. Sie macht die Tür auf und öffnet ihr Leben für den kleinen Emil. Dort, wo er ist, wird es auf einmal bunt statt grau: Emil bewundert das Bild von Elise im Ballkleid und die vielen Bücher im Regal. Er möchte gerne Märchen vorgelesen bekommen. Und schließlich macht Elise das, und sie hat selber Freude daran. Später krabbelt sie sogar beim Spielen mit Emil auf dem Boden herum. Als Emil sich verabschiedet, sagt er: „Es ist schön bei dir.“ Abends sitzt Elise an ihrem Tisch und faltet einen Flieger für Emil. Glücklich und zufrieden ist sie jetzt. Die Angst ist weg. Eine Tür ist aufgegangen in ihrem Leben. Licht kommt in ihr Leben.

Jesus öffnet für uns diese Tür zum Licht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Jesus ist kein gewöhnlicher Gastgeber. In Jesus begegnet uns Gott selbst. Und Jesus weiß, was es bedeutet, abgewiesen zu werden. In Johannes 6 wird erzählt, dass viele Menschen Jesus zujubelten, weil er ihnen Brot gegeben hatte. Aber dann wandten sich viele doch wieder von ihm ab, so dass Jesus sogar seine Jünger fragt: „Wollt ihr auch weggehen?“ Jesus erlebt immer wieder, dass er abgewiesen wird. Am Ende wird er gekreuzigt. Und doch ist sein Tod am Kreuz mehr, als dass Menschen ihn abweisen. Am Kreuz nimmt er unsere Schuld auf sich: Wo wir Menschen abgewiesen und links liegen gelassen haben. Wo wir Gott in unserem Leben abgewiesen haben. Jesus nimmt das auf sich, was wir nicht mehr wiedergutmachen können. Er hält das aus und schafft es dadurch aus der Welt: Die Tür zum lichtdurchfluteten Festsaal ist geöffnet. Willkommen! sagt Jesus: Auch für dich habe ich Platz bei mir. Auch in Deinem Leben soll es hell und bunt werden.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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2. Sonntag nach Trinitatis

Predigt- Dialog zum Familiengottesdienst am Sonntag, den 26. Juni 2022

Ein Rabe und ein Papagei unterhalten sich:

Papagei: Hallo, ich bin der Papagei. Ich mag es, wenn alles so schön bunt ist. So wie die bunten Kleider, die ihr heute alle anhabt. Und wenn alle singen, das gefällt mir auch. Vor allem dieses Lied: „Gott hat die ganze Welt in seiner Hand. Gott hat die Tiere und die Pflanzen in seiner Hand.“ Habt ihr da auch mich damit gemeint? Meint ihr, Gott hält auch mich den Papagei in seiner Hand? Ja, wirklich? Und was ist dann mit dem hier (Der Papagei zeigt auf den Raben)? Hält den Gott auch in seiner Hand? Der ist so komisch. Der ist ja ganz schwarz. Schwarz gefällt mir nicht so gut wie bunt. Schwarz ist so ernst.

Rabe: Hallo, ich bin der Rabe. Ich bin immer ganz schwarz angezogen. Manche sagen, schwarz ist so eine ernste Farbe. Aber ich finde: Schwarz ist einfach feierlich. Die Leute ziehen sich schicke schwarze Kleider an, wenn sie ein Fest feiern. Und ich bin immer ganz schick- ganz in Schwarz.

Papagei: Ach so, du meinst, wir feiern heute ein Fest? Vielleicht sind wir deswegen hier an diesem besonderen Ort, hier in der Kirche? Hier ist alles so hoch und so weit- am liebsten würde ich gleich losfliegen, bis ganz oben an die Decke, und dort oben mein schönstes Lied singen.

Rabe: Ja, das ist eine gute Idee! Ich würde gerne mit nach oben fliegen, nur kann ich leider nicht so gut singen. Aber du hast Recht: Wir feiern heute ein Fest. Heute ist Sonntag. Wir sind in der Kirche, und wir feiern Gottesdienst. Das ist ein Fest für Gott und für uns.

Papagei: Wirklich – Gottesdienst, das ist ein Fest für Gott und für uns? Und das können wir jeden Sonntag feiern? Jede Woche ein Fest- das ist ja großartig!

Rabe: Ja, genau: Jeden Sonntag feiern wir hier in der Kirche. Und für die Kinder gibt es sogar alle 14 Tage einen extra Kindergottesdienst.

Papagei: Ja, dann verstehe ich, warum du immer deine schicken schwarzen Festtagskleider anhast. Wenn du so oft ein Fest feierst, dann lohnt es sich ja kaum, zwischendurch wieder was Anderes anzuziehen. Aber sag mal: Jeden Sonntag Gottesdienst – da muss es doch einen Grund dafür geben, dass man dieses Fest so oft feiert?

Rabe: Ja, klar gibt es dafür einen Grund. Gott selber hat das auch so gemacht. 6 Tage lang hat er gearbeitet: Am Anfang von dieser Zeit war noch überhaupt nichts da, nur ein riesiges Chaos und absolute Dunkelheit. Und am Ende von den 6 Tagen war die ganze Welt da: Licht und Dunkelheit, Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sterne, Wasser und Land, Pflanzen und Tiere und auch die Menschen. Die ganze Welt war fertig – und sie war Gott gut gelungen, sehr gut sogar!

Papagei: Und dann war Gott zufrieden mit allem, was er gemacht hat, und hat sich erstmal einen Tag lang ausgeruht. Gute Idee. Aber was hat das damit zu tun, dass es jeden Sonntag hier in der Kirche ein Fest gibt für Gott und für uns?

Rabe: Ganz einfach. Gott hat gemerkt, was für eine gute Idee das ist, sich nach 6 Tagen Arbeit einfach mal auszuruhen und zu feiern. Und so hat Gott den Sonntag erfunden. Am Sonntag dürfen sich alle ausruhen und miteinander feiern. Und das machen wir jeden Sonntag hier in der Kirche.

Papagei: Ja, das ist wirklich eine gute Idee, mal einen Tag richtig frei zu machen und miteinander zu feiern. Ich freue mich, dass ich heute mit dabei sein darf hier im Gottesdienst! Aber sag mal, eins habe ich noch nicht verstanden an der ganzen Geschichte, wie Gott die Welt gemacht hat: Wie hat Gott das denn in der kurzen Zeit überhaupt geschafft? Ich meine, 7 Tage, das ist doch total wenig für die ganzen Länder, Berge und Meere und für alle Tiere, Pflanzen und Menschen. Und dann auch noch Sonne, Mond und Sterne! Bist du dir wirklich ganz sicher, dass Gott das alles in so kurzer Zeit geschafft hat?

Rabe: 7 Tage – ja, das ist echt eine kurze Zeit, um diese wunderschöne Welt zu machen! Aber weißt du, in der Bibel steht auch: 1000 Jahre sind bei Gott wie ein Tag. Wenn Gott so groß ist, dass er die ganze Welt gemacht hat und den Himmel und das Weltall, dann sind bei Gott vielleicht auch die Tage größer und länger.

Papagei: Wow, das muss ich mir merken: 1000 Jahre sind bei Gott wie ein Tag! Kein Wunder, dass Gott den ganzen Himmel und die ganze Erde machen konnte, wenn Gott so groß ist!

Rabe: Ja, und trotzdem hält Gott uns alle in seiner Hand- auch das winzig kleine Baby!

Papagei: Das ist wirklich großartig! Wirklich ein Grund zu feiern – alle 7 Tage am Sonntag, so wie Gott das auch gemacht hat!

Rabe: Feiern wir also weiter unsere Gottesdienste hier in der Kirche!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Pfingstmontag

Predigt zum Pfingstmontag, 6. Juni 2022

4. Mose 11, 11-12, 14-17, 24-25: Mose fragte den Herrn: „Was spielst du deinem Knecht so übel mit? Warum bist du nicht auf meiner Seite? Du hast mir das ganze Volk aufgeladen. Bin ich etwa seine Mutter? Habe ich es zur Welt gebracht? Wie kannst du da zu mir sagen: „Trag es so fürsorglich auf deinen Armen, wie man einen Säugling trägt! Trag es in das Land, das ich seinen Vorfahren versprochen habe!“ Ich kann diese Last nicht allein tragen, sie ist zu schwer für mich. Bevor du das von mir verlangst, lass mich lieber sterben! Ich kann mein Elend nicht mehr mitansehen. Da sagte der Herr zu Mose: „Versammle vor mir 70 Männer von den Ältesten Israels! Sie sollen dir als Älteste des Volkes und als Verwalter bekannt sein. Bring sie zum Zelt der Begegnung! Dort sollen sie sich zusammen mit dir aufstellen. Ich werde herabkommen und dort mit dir reden. Ich will ihnen etwas von dem Geist übertragen, den ich dir gegeben habe. Dann können sie zusammen mit dir die Last des Volkes tragen, und du bist nicht mehr allein. Mose ging hinaus zum Volk und sagte ihm, was der Herr gesagt hatte. Er versammelte 70 Männer von den Ältesten des Volkes. Die stellte er rings um das Zelt der Begegnung auf. Da kam der Herr in einer Wolke herab und redete mit Mose. Auf die 70 Ältesten übertrug er etwas von dem Geist, den er Mose gegeben hatte. Sobald der Geist mit ihnen war, redeten sie eine Zeit lang wie Propheten.

Liebe Mitchristen!

Mose reicht es. Was da von ihm verlangt wird, das geht auf keine Kuhhaut. Er hat die Schnauze voll. Er kann nicht mehr. Es geht einfach nicht mehr. Lieber will er sterben, als diesen Job hier weiterzumachen. Vielleicht kennen Sie solche Situationen auch. Und vielleicht kennen Sie das auch, wie Mose auf diese Situation reagiert: Er wird wütend, er wird laut. Er macht seinem Ärger Luft. Seinen ganzen Frust lädt er ab- bei Gott, im Gebet. Mose hatte von Gott den Auftrag bekommen, das Volk Israel aus Ägypten herauszuführen. Denn dort in Ägypten war die Lage immer unerträglicher geworden für die Israeliten. Die Ägypter hatten Angst vor diesem fremden Volk und ihm deswegen das Leben immer schwerer gemacht. Mose sollte sie nun in ein Land führen, in dem sie in Freiheit und ohne Angst leben konnten. Und Gott hatte versprochen, ihnen den Weg zu zeigen und sie zu begleiten. Aber der Weg durch die Wüste war lang und entbehrungsreich. Früher war alles besser, sagten die Israeliten zu Mose: Damals in Ägypten, da hatten wir immer genug zu essen – Fleisch und Brot, dazu frisches Obst und Gemüse.

Tag für Tag muss Mose sich das anhören. Bis es Mose schließlich nicht mehr aushält. Ihm platzt der Kragen, und er macht Gott Vorwürfe: „Warum bist du nicht auf meiner Seite? Du hast mir das ganze Volk aufgeladen. Bin ich etwa seine Mutter? Habe ich es zur Welt gebracht?“ Mose will seinen ganzen Auftrag hinschmeißen. Er wirft ihn Gott vor die Füße und sagt: „Ich kann diese Last nicht allein tragen, sie ist zu schwer für mich. Bevor du das von mir verlangst, lass mich lieber sterben!“ Mose kann nicht mehr – muss jetzt ein Anderer ran? Braucht das Volk einen neuen Anführer? Aber würde das wirklich etwas ändern? Wahrscheinlich würde es auch jedem oder jeder anderen nach kurzer Zeit genauso gehen wie Mose: Überforderung, Wut und Frustration. Wahrscheinlich wäre das keine gute Lösung. Womöglich weiß das sogar Mose. Womöglich hat er selber schon eine andere Idee, denn er sagt: „Ich kann diese Last nicht allein tragen.“ Mose ist allein mit dieser Aufgabe. Deswegen schafft er es nicht. Wenn er nicht allein wäre, dann könnte er es vielleicht schaffen. Ist es Ihnen aufgefallen, dieses kleine Wörtchen „allein“? Oder ist es an Ihnen vorbeigerauscht in Moses wütendem Gebet?

Gott ist ein guter Zuhörer. Gott hat es gehört, dieses kleine Wörtchen „allein“. Gott versteht: Mose kann und will nicht weiter allein sein mit dieser Aufgabe. In all den wütenden Worten von Mose ist schon ein Lösungsvorschlag verborgen, ein gangbarer Weg: Die Last muss auf viele Schultern verteilt werden. Jetzt geht es um die praktische Umsetzung: Wie viele Personen brauchen wir? Wer kommt für diese Aufgabe in Frage? Älteste sollen es sein, sagt unser Predigttext. Das sind Menschen mit Leitungserfahrung und Menschenkenntnis. Und es braucht viele- 70 Personen. Denn wenn viele mitmachen, dann verteilt sich die Last auf viele Schultern, und der Einzelne fühlt sich nicht überfordert. Diese 70 Personen müssen nicht schon alles wissen und können, was sie für diese Aufgabe brauchen. Gott hilft ihnen, in die neue Aufgabe hineinzufinden. Gott schenkt ihnen seinen Geist – den Geist, den er auch Mose gegeben hat. Und so wird es Pfingsten, mitten in der Wüste, damals beim Volk Israel. Voller Begeisterung erzählen diese 70 von Gott und von seiner Hilfe in der Not.

70 neue Mitarbeiter, die begeistert von Gott erzählen – das wünschen wir uns auch in unseren Gemeinden. Und oft geht es uns dann so wie den Israeliten in der Wüste, das wir die Vergangenheit verklären und unser gegenwärtiges Gemeindeleben als schmale Kost erleben. Aber vielleicht kann uns unser heutiger Predigttext gerade auch da weiterhelfen. Diese Bibelgeschichte zeigt uns: Immer wieder braucht es Strukturveränderungen in der Gemeinde Gottes. Das ist nicht erst in unseren Zeiten so, wo die Gemeinden kleiner werden und die Zusammenarbeit im Distrikt wichtiger wird. Das war von Anfang an so – schon damals beim Volk Israel in der Wüste. Und auch nach Pfingsten war es so, damals in den Anfängen der christlichen Gemeinde. Auch da hat sich bald die Frage gestellt: Welche Aufgaben sind zu bewältigen, und wie können wir diese Aufgaben so aufteilen, dass niemand überfordert ist? Dazu sind in der ersten christlichen Gemeinde neue Ideen entstanden: 7 Diakone wurden gewählt.

Es muss, ja es kann nicht immer alles so bleiben wie es ist. Auch bei uns heute ist das so. Da kann nicht mehr ein Pfarrer oder eine Pfarrerin für alles zuständig sein in der eigenen Gemeinde. Da müssen im Distrikt Aufgaben aufgeteilt werden. Und das gibt auch die Chance zu schauen: Wer ist wozu begabt und befähigt? Wer kann wo wieviel Zeit einbringen, ohne dass es zu Überforderungen kommt? Vielleicht bekommen auf diesem Weg wieder mehr Menschen Lust, Aufgaben zu übernehmen in unseren Gemeinden, sei es beruflich oder ehrenamtlich. Wir sind mitten in notwendigen Veränderungsprozessen. Und es gehört anscheinend auch dazu, dass wir Menschen nicht freiwillig in solche Prozesse hineingehen. Mose musste erst der Kragen platzen. Und auch wir handeln an vielen Stellen nur unter dem Druck der Verhältnisse.

In der Erzählung von den 70 Ältesten hören wir, dass solche Aufbrüche anfangs etwas chaotisch sein können: Die 70 werden vom Geist erfüllt und reden wie Propheten. Wie wir uns das genau vorstellen können, wissen wir aus der Pfingstgeschichte. Da fragen sich die Leute, ob die Apostel, die da vom heiligen Geist erfüllt sind, eigentlich betrunken sind. Ich denke, dieses anfängliche Chaos gehört wohl auch ein Stück weit dazu, wenn sich neue Strukturen entwickeln. Vielleicht darf das ja auch bei uns so sein, in unserem Distrikt, dass wir einfach mal unbefangen etwas Neues ausprobieren, und dass es da manchmal etwas bunter und ungeordneter zugeht, als wir es so gewohnt sind. Und bei Manchem werden wir vielleicht in ein paar Jahren sagen: Das hat sich nicht bewährt, wir müssen es nochmal überdenken.

Aber es ist nicht alles chaotisch und schon gar nicht beliebig. Es gibt eine gemeinsame Grundlage – bei uns heute genauso wie in der Erzählung von Mose und den 70 Ältesten oder in der Pfingstgeschichte. Die 70 Männer bei Mose und die Apostel in der jungen christlichen Gemeinde haben alle denselben Geist und dieselbe frohe Botschaft, die sie weitertragen wollen. Das ist es, was uns eigentlich antreibt. Das ist auch der Hintergrund für alle unsere Strukturdebatten heute. Geben wir diesem Geist Gottes Raum in unseren Gemeinden und bei den Aufgaben, die wir übernehmen! Vertrauen wir darauf, dass uns alle, in aller unserer Verschiedenheit, der eine Geist bewegt. Bleiben wir offen für das Wirken dieses göttlichen Geistes. Und besinnen wir uns immer wieder auf unsere Glaubensgrundlage – auf das, was uns trägt und hält in allem Wandel: Der Glaube an Gott, der uns hört, wenn wir zu ihm rufen. Der Glaube an Jesus Christus, der uns die Erlösung bringt. Der Glaube an den Heiligen Geist, der uns neue Ideen und Perspektiven schenkt. So steht uns der Weg in die Zukunft offen, und die Begeisterung für unseren Glauben kann wachsen, so dass der Funke überspringt!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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Rogate

Predigt zum Sonntag Rogate

Lk 11, 1-13: Und es begab sich, dass er an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird. Und führe uns nicht in Versuchung. Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Liebe Mitchristen!

Jesus bete. Immer wieder erzählt die Bibel davon, wie Jesus sich zurückgezogen hat zum Beten. Wie er allein sein wollte mit seinem Gott. Was macht Jesus da nur, wenn er allein ist mit Gott? Wie macht er es, dass er Gottes nähe erfahren kann? Welche Worte spricht er? Oder ist es ein Gebet ohne Worte, wo er im Herzen ganz bei Gott ist- wie die Liebenden, die keine Worte mehr brauchen, um sich zu verstehen? Wenn ich das doch auch könnte, Gott so nahe zu sein. Wenn ich mich doch wirklich darauf konzentrieren könnte, zu Gott zu beten. Aber immer wieder kommen diese störenden Gedanken dazwischen: Ist da wirklich jemand, der mich hört, oder rede ich nur ins Leere, wie gegen eine Wand? Ist das nur ein Selbstgespräch, eine Selbsttäuschung? Was ändert sich schon durch mein Gebet? Kann Beten wirklich helfen? Herr, lehre uns beten, sagen die Jünger. Und Jesus erhört ihre Bitte. Er antwortet ihnen nicht irgendwie theoretisch oder abgehoben. Er gibt auch keine Anleitung, wie ich zur inneren Ruhe und Konzentration finde. Er sagt nicht: So wie ich müsst ihr es machen. Steigt auf einen Berg, wo ihr allein seid und niemand euch stört. Dort oben könnt ihr in Ruhe beten. Es braucht keinen besonderen Ort, um mit Gott reden zu können. Wenn ich einen solchen Ort für mich gefunden habe, ist es gut. Auch der Gottesdienst kann ein solcher Ort sein, wo ich zur Ruhe kommen und mich Gott zuwenden kann. Aber beten kann ich überall. Es braucht keine besonderen Voraussetzungen dazu. Auch wenn mein Kopf leer ist und meine Gedanken abschweifen kann ich beten. Ich kann beten mit den Worten, die Jesus uns geschenkt hat. „Herr, lehre uns beten,“ sagen die Jünger. Und Jesus antwortet mit dem Vaterunser. So sollt ihr beten, sagt Jesus: „Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird. Und führe uns nicht in Versuchung.“ Das sind Worte, die uns vertraut sind. In aller Kürze hat sie der Evangelist Lukas aufgeschrieben – so kurz, dass uns hier manches fehlt von diesen vertrauten Worten. Die fehlenden Worte finden wir im Matthäusevangelium überliefert.

Es gibt wohl kaum einen anderen Bibeltext, der uns so vertraut ist wie das Vaterunser. Das Vaterunser haben wir zumeist schon als Kinder auswendig gelernt. „Herr, lehre uns beten.“ Überlegen wir mal, wo wir beten gelernt haben: War es im Kindergarten oder in der Schule, vielleicht im Konfirmandenunterricht? Waren es die Eltern oder die Großeltern, die mit mir gebetet haben? Beten ist Vertrauen. Das deutsche Wort „Vertrauen“ kommt von dem gotischen Wort „trauan“. Übersetzt heißt das „fest“ oder „stark“. Das Schwierige am Vertrauen ist, ich kann mich nicht dazu entscheiden. Vertrauen kann ich mir nicht vornehmen. Sondern: Ich muss es trainieren. Es muss wachsen. Ich stelle mir ein kleines Mädchen vor, das mit seinem Vater spielt. Sie stellt sich auf einen kleinen Tisch. Er breite seine Arme aus. Und sie springt – weil sie weiß, dass ihr Vater sie natürlich auffängt. Dann lacht sie, kreischt ein bisschen und will das gleiche Spiel noch mal und noch mal und noch mal. Dieses kleine Mädchen übt Vertrauen mit dem Vater. Später sitzt der Vater bei ihr an der Bettkante. Die beiden werden still und falten die Hände. Sie beten. Welche Worte sie dafür wohl verwenden, der Vater und seine kleine Tochter? „Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name.“ Vielleicht beten sie so. Oder so, wie ich es noch aus meiner Kindheit kenne: „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe beide Augen zu. Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein.“ Was war Ihr Abendgebet, damals, als Sie ein Kind waren? Und haben Sie dieses Abendgebet weitergeben können an Ihre Kinder und Enkel? Herr, lehre uns beten.

Beten ist kein Reden ins Leere, kein Sprechen gegen eine Wand. Wenn ich Gott um etwas bitte, dann ist das so, wie wenn ich meinen besten Freund oder die beste Freundin um etwas bitte. Es gibt Bitten, die sind so gewagt, dass ich mich nur bei meinen allerbesten Freunden traue, sie um so etwas zu bitten. Nur die beste Freundin oder den besten Freund würde ich nachts aus dem Schlaf klingeln, wenn ich in Not bin. So wie dieser Mensch, von dem Jesus erzählt, der nachts dringend noch drei Brote braucht. Besuch hat er bekommen. Sein Freund ist von weither angereist, mit staubigen Füßen und knurrendem Magen. Er braucht dringend etwas zu Essen. Er kann nicht warten bis morgen. Unverschämt ist das, mitten in der Nacht beim Freund zu klingeln. Aber dieser Mensch tut es. Und er bekommt die drei Brote, um die er gebeten hat. „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan,“ sagt Jesus. Gebt nicht auf, euch mit euren Bitten an Gott zu wenden. Auch nicht mitten in der Nacht. Auch nicht, wenn es hoffnungslos scheint. Mitten in der Nacht von Krieg und Gewalt sollt ihr Gott um Frieden bitten. Um Frieden zwischen den Menschen und Völkern. Um Frieden für die Ukraine. Gebt nicht auf – nicht eure Hoffnung und nicht eure Gebete.

Um Brot geht es in den Geschichten, die Jesus erzählt: Drei Brote werden mitten in der Nacht gebraucht. Drei Brote, ein Fisch, ein Ei – das ist es, was wir zum Leben brauchen. Nicht die Schlangen und Skorpione brauchen wir, die das Leben zerstören. Die wollen wir unseren Kindern nicht geben, sondern das, was zum Leben dient – ein Brot, ein Gutenachtgebet, unsere offenen Arme, in die sie sich fallen lassen können. „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ So beten wir im Vaterunser. Martin Luther erklärt das im Kleinen Katechismus so: „Was heißt denn tägliches Brot? Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“ Unser tägliches Brot, das ist: Alles was wir zum Leben brauchen. Auch der Friede gehört dazu, ein gutes Miteinander zwischen den Menschen. „Bittet, so wird euch gegeben,“ sagt Jesus. Beten ist Vertrauen. Manchmal bete ich lange. Manchmal immer und immer wieder. Manchmal weiß ich nicht, ob ich gehört werde. Manchmal kommt alles ganz anders, als ich es erhofft und erbeten habe. Dann übe ich Vertrauen, so wie das kleine Mädchen mit seinem Vater. Ich lasse mich fallen in Gottes offene Arme. Auch wenn es da tief nach unten geht und ich nicht sicher sein kann, dass es gutgehen wird. Ich lasse mich fallen und bete: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Kantate

 

Predigt zur Konfirmation am Sonntag Kantate, 15. Mai 2022

Jesus Christus spricht: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. (Mt 5, 9).

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, für eure Konfirmation habt ihr ein Bild ausgewählt mit einer Friedenstaube, die aus lauter einzelnen Menschen besteht. Frieden und Gemeinschaft, gegenseitiger Respekt voreinander, Recht auf Frieden, dass niemand im Krieg sein Leben lassen muss und wir inneren und äußeren Frieden haben. Das sind die Wünsche und Hoffnungen, die ihr mit diesem Bild verbindet. Vielleicht hättet ihr ein anderes Bild für Eure Konfirmation ausgewählt, wenn wir diese Bild-Auswahl schon vor dem 24. Februar getroffen hätten. Aber der Krieg, der seit diesem Tag in der Ukraine tobt, zeigt uns allen, wie zerbrechlich und wie wenig selbstverständlich es ist, dass wir in Frieden leben dürfen.

Frieden passiert nicht von allein. Frieden gibt es nur, wenn Menschen sich aktiv darum bemühen. Und es braucht viele Menschen, die am Frieden arbeiten, damit Frieden wachsen kann. Es braucht uns alle. Daran erinnert Eure Friedenstaube. Sie besteht aus lauter einzelnen Menschen, die den Frieden wollen. Kein einziger von diesen Menschen könnte allein eine Friedenstaube bilden. Nur gemeinsam geht es. Nur, wenn man sich einigt und alle mitmachen. Nur so können wir den Weg des Friedens gehen, wie es Jesus uns aufgetragen hat: „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Ich wünsche euch, dass euer Lebensweg ein solcher Weg des Friedens wird, und dass ihr euch nicht von den Mächtigen dieser Welt in die Knie zwingen lasst. Heute werdet ihr knien, um Gottes Segen zu empfangen, hier vor diesem Altar. Vor Gott sollt ihr knien, nicht vor den Menschen.

Pfarrer Matthias Storck hat dazu einmal erzählt: „In der Dorfkirche meiner Kindheit wurde beim Abendmahl gekniet. An besonderen Tagen, etwa am Gründonnerstag, kamen viele: fast alle Bauern von der LPG, der Schmied, der Bäcker, sogar die Postfrau, die Frau aus dem Konsum und manchmal die Dorfärztin. Festlich gekleidet und in strenger Reihenfolge gingen sie nach vorn. Und alle knieten nieder. Die großen Männer wirkten unbeholfen am ungewohnten Ort. Wenn sie sich nach dem Segen wieder der Gemeinde zuwandten, lernte ich ihre etwas derben, aber feierlichen Sonntagsgesichter schnell und genau auswendig. Etwas wie ein Bekenntnis stand allen hell und deutlich ins Gesicht geschrieben, wenn sie vom Altar zurück in ihre Bänke gingen: „Vor Gott knie ich. Aber kein Mensch soll je versuchen, mich in die Knie zu zwingen!“ Nie wieder habe ich den tieferen Sinn des Kniens so klar und ohne Wenn und Aber begriffen. Ihr Kniefall vor Gott schützte diese Menschen wirksam und dauerhaft vor jeder Art falscher Demut oder vorauseilendem Gehorsam. Später begriff ich: Diese Menschen übten jedes Mal für den Ernstfall. So hat mich die kleine Abendmahlsgemeinde in der Mark Brandenburg mit ihrem Beispiel vor mancher Feigheit bewahrt.“

So weit die Erzählung von Pfarrer Storck. Gerade auch euch, den Konfirmandinnen und Konfirmanden, möchte ich das mit auf den Weg geben: Geht euren eigenen Lebensweg. Lasst ihn euch nicht vorschreiben von anderen Menschen. Es ist euer Leben. Macht etwas daraus. Gestaltet es im Rahmen Eurer Möglichkeiten, so dass es gut wird für euch und für eure Mitmenschen. Sagt eure Meinung und steht dazu, auch wenn sie dem Anderen nicht passt. Bleibt trotzdem respektvoll gegenüber dem Anderen, der eine andere Meinung hat als ihr. Denkt dabei an Jesus Christus, der uns gesagt hat: „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Aber lasst euch nicht in die Knie zwingen von Menschen, denn das hat Jesus Christus auch nicht getan. Beugt eure Knie allein vor Gott. Er hat euch das Leben geschenkt. Er will euch auch weiterhin begleiten auf eurem Lebensweg. Gott will, dass euer Leben gut wird. Denkt an Gott und betet zu ihm, wenn ihr Entscheidungen zu treffen habt auf eurem Lebensweg. Und entscheidet euch für das Gute und nicht für das Böse. Auch wenn das Böse manchmal verlockender aussieht als das Gute: Beugt vor ihm nicht die Knie! Bleibt bei Gott. Er wird euch helfen, auch in schwierigen Zeiten.

 

Gott ist unser Vater, und wir alle sind seine Kinder. Ja, alle Menschen sind Gottes Kinder. Egal, in welchem Land der Erde sie wohnen und welche Sprache sie sprechen. Egal, ob sie arm sind oder reich, jung oder alt, Frauen oder Männer. Jeder Mensch auf dieser Erde ist Gottes geliebtes Kind- ob er das nun weiß und sich daran freut, oder ob er noch nie darüber nachgedacht hat. Alle Menschen sind Gottes Kinder. Wenn Ihr euch das klar macht, dann fällt es leichter, das auch zu leben und sich für den Frieden einzusetzen, wie es Jesus uns aufgetragen hat. Und wenn ihr Friedensstifter seid, dann werden die anderen Menschen euch auch so erleben – als Kinder Gottes:  „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Jesus wollte den Frieden. Er wollte niemanden ausschließen. Ich denke an den reichen und betrügerischen Zöllner Zachäus, der mit den Römern gemeinsame Sache gemacht und an seiner Zollstation in die eigene Tasche gewirtschaftet hat. Zu diesem Zachäus ging Jesus hin und ließ sich von ihm zum Essen einladen. Davon war Zachäus so begeistert, dass er sein Leben geändert hat und den Menschen nichts Böses mehr getan hat, sondern Gutes. Jeder hat bei Gott eine Chance. Keiner ist von vornherein abgeschrieben, auch dann nicht, wenn schon viel schief gelaufen ist in seinem Leben. Wenn ihr so denkt, dann werdet ihr Friedensstifter sein. Auch euer Bild mit der Friedenstaube zeigt das: Ganz verschiedene Menschen sind da auf dem Bild – eine bunte Mischung, so wie auch ihr ganz verschiedene Menschen seid, mit euren Sorgen und Freuden. Mit dem, was ihr schon erlebt habt in Eurem Leben an Gutem und an Schwierigem. So wie ihr seid, seid ihr bei Gott willkommen – ja, wir alle, die wir heute versammelt sind, sind bei Gott willkommen, jeder Mensch auf dieser Erde. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg zum Frieden!

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Ostersonntag, 17. April 2022



Markus 16, 1-8: Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Liebe Mitchristen!

„Frohe Ostern!“ Das wünschen wir uns heute gegenseitig zum Fest. Auch bei anderen christlichen Festen ist das so. Wir wünschen uns gegenseitig „Frohe Weihnachten“ und vielleicht sogar „Frohe Pfingsten.“ Bei den nichtkirchlichen Feiertagen ist das anders. Wir wünschen uns keinen frohen Tag der Arbeit und auch keinen frohen Tag der Deutschen Einheit. Zu den ernsten und stillen kirchlichen Feiertagen wie dem Totensonntag und dem Karfreitag wünschen wir uns natürlich auch keinen frohen Tag. Aber jedenfalls bei den Wünschen zu Ostern und Weihnachten darf dieses kleine Wörtchen froh nicht fehlen. So auch am heutigen Morgen: „Frohe Ostern!“ Denn Christus ist auferstanden. 

„Frohe Ostern!“ Dabei war das erste Ostern zunächst einmal überhaupt nicht kein froher und fröhlicher Tag. Jedenfalls nicht für die drei Frauen, die in der Ostergeschichte im Markusevangelium vorkommen: Zwei mit dem Namen Maria, eine heißt Salome. Alle drei waren Jüngerinnen von Jesus. Sie waren von Anfang an dabei gewesen, schon in Galiläa, wo alles anfing. Und sie haben es mit eigenen Augen sehen müssen, wie Jesus gekreuzigt wird und stirbt. Von den „Frauen, die von ferne zuschauten“ ist im Evangelium (Markus 15, 40) die Rede. Und zumindest die beiden Marias waren auch dabei, als Jesus ins Grab gelegt wurde: „Sie sahen, wo er hingelegt wurde.“ (Markus 15,47)

Drei Frauen, die Schreckliches erlebt haben. Jesus, der ihrem Leben Sinn und Ziel gegeben hat, wurde mit brutaler Gewalt gefoltert und hingerichtet. Die Bilder haben sich in ihre Seele eingebrannt und lassen sie nicht los. Angstvoll, verstört, traumatisiert sind Salome und die beiden Marias. Ich sehe die Gesichter dieser Frauen vor mir in den Gesichtern der ukrainischen Frauen, die in diesem furchtbaren Krieg alles verloren haben. Entwurzelte Frauen, die um ihre Liebsten weinen, die mitten aus dem Leben gerissen wurden. Nein, es ist kein „frohes Ostern“ für diese Frauen, sondern Zittern, Entsetzen, Schweigen und Furcht. Wie können sie jemals wieder froh werden? Die beiden Marias und Salome wissen darauf keine Antwort. Aber immerhin schaffen sie es, sich in Bewegung zu setzen. Wenn mir Trauer, Angst und Mutlosigkeit den Boden unter den Füßen wegziehen wollen, dann hilft es, die einfachen Dinge des Alltags zu tun: Morgens aufstehen, mich waschen und frühstücken, dann Einkaufen gehen und der Gang auf den Friedhof zum Grab des geliebten Menschen. Diese einfachen Dinge des Alltags tun mir gut. Es hilft mir, sie einfach zu erledigen, und den Fragen, ob das jetzt alles überhaupt noch einen Sinn hat, nicht zu viel Raum zu geben.  

Salome und die beiden Marias machen es auch so. Sie stehen frühmorgens auf. Sie kaufen Sachen für das Grab Jesu ein. Sie gehen zum Grab. Die Frage, ob das jetzt alles noch einen Sinn hat, begleitet sie. Aber sie schaffen es, diese Dinge des Alltags jetzt trotzdem zu erledigen, und dieser Frage nicht zu viel Raum zu geben. Erst als es nichts mehr zu erledigen gibt, als sie schon aufgestanden sind und eingekauft haben, erst da wird die Frage groß: Was hat das überhaupt noch für einen Sinn, was wir hier tun? Jesus ist tot. Es ist alles vorbei. Alle unsere Hoffnungen und Pläne, alles, was uns wichtig war im Leben. Dunkel und schwer wie ein Stein lasten diese Gedanken auf den drei Frauen. Der Stein am Grab fällt ihnen jetzt wieder ein. Groß und schwer war er. Mehrere Männer hatte es gebraucht, um das Grab Jesu mit diesem Stein zu verschließen. Es ist endgültig vorbei, durchfährt es die drei Frauen. Diesen Stein wälzt niemand mehr weg. Jesus ist für uns nicht mehr erreichbar. Tot und begraben liegt er auf der anderen Seite des Steins. Was hat das alles für einen Sinn? Warum gehen wir überhaupt noch weiter in Richtung Grab? Warum drehen wir nicht einfach um? Die Fragen werden lauter und lauter. Aber Salome und die beiden Marias schaffen es, diesen Fragen zu trotzen und weiterzulaufen zum Grab. Und dann geht es Schlag auf Schlag: Der Stein am Grab ist weggerollt. Das Grab ist offen. Der tote Jesus ist verschwunden. Der fremde junge Mann im weißen Gewand, der sagt. „Entsetzt euch nicht!“ Aber wie sollten seine Worte jetzt ankommen bei den drei Frauen? „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. “ Die Worte des jungen Mannes im weißen Gewand kommen nicht an bei den beiden Marias und Salome. Es nützt alles nichts, was er sagt. Zu viel Schreckliches haben diese drei Frauen erlebt in letzter Zeit. Zu vieles, was sie aus der Bahn geworfen hat. Mit Mühe hatten sie es geschafft, trotz allem die Dinge des Alltags zu erledigen und irgendwie weiterzumachen an diesem ersten Werktag der neuen Woche, die sie ohne Jesus beginnen mussten. Aber jetzt waren sie erneut aus der Bahn geworfen. Nichts war so, wie sie es erwartet hatten. Ja, selbst ein verschlossenes Grab mit einem Stein davor, den sie keinen Millimeter von der Stelle bewegt bekommen hätten, wäre ihnen noch lieber gewesen als das hier: Nichts war von Jesus übriggeblieben, buchstäblich gar nichts. Nicht einmal sein toter Körper. Nicht einmal ein Ort, an dem sie um ihn trauern und ihm den letzten Liebesdienst der Totensalbung erweisen konnten. Menschen, die keinen Ort haben, um um ihre Liebsten zu trauern. Wieder bin ich mit den Gedanken in der Ukraine – bei den unbegrabenen Toten dieses Krieges, bei den Massengräbern, bei den notdürftig Begrabenen mit den improvisierten Holzkreuzen und weißen Tüchern, die ihre Gräber markieren. Für Salome und die beiden Marias ist das jetzt zu viel. Sie halten es nicht mehr aus. Sie fangen an zu zittern. Entsetzen packt sie. Sie laufen weg. Was sie am Grab gesehen und gehört haben, hat sie so verstört, dass sie es nicht in Worte fassen können. Sie erzählen Niemandem davon. 

Frohe Ostern sieht anders aus als diese Ostererzählung, die uns das Markusevangelium überliefert. Und mit der das Markusevangelium ursprünglich auch endet. Ein Schluss, der schwer auszuhalten ist. Kein Wunder also, dass später noch weitere Verse hinzugefügt wurden, die davon erzählen, wie die Jünger dem Auferstandenen begegnen. Aber der Evangelist Markus hatte sich ursprünglich für diesen Abschluss seines Evangeliums entschieden: „Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“ Was könnte ihn dazu bewegt haben? Er muss doch auch gewusst haben, dass die Geschichte von Jesus hier nicht zu Ende war. Er muss doch davon gewusst haben, dass die Furcht und das Schweigen der Frauen schließlich doch noch umgeschlagen ist in Freude über die Gewissheit: Jesus lebt! Eine Freude, die weitererzählt und weitergetragen wurde. Wenn es nicht so gewesen wäre, dann wäre überhaupt nie ein Evangelium verfasst worden, in dem die Geschichte Jesu erzählt wird. 

Vielleicht will der Evangelist Markus uns mit seinem verstörenden Schluss daran erinnern, dass wir – die Menschen damals und heute – viel gemeinsam haben mit den drei Frauen am Grab von Jesus. Wie die Frauen am Grab bekommen wir viel zu sehen: Schreckliche Bilder, die sich in unsere Seele eingebrannt haben. Bilder aus unserem eigenen Leben und Umfeld, Bilder aus Kriegsgebieten wie der Ukraine. Bilder, die uns bedrücken und lähmen. Wie die Frauen am Grab ist es für uns nicht unmittelbar einleuchtend, dass Jesus Christus auferstanden ist, dass das Leben den Tod besiegt. Wir sind darauf angewiesen, dass andere es uns sagen: Christus ist auferstanden! Wir können uns das nicht selber sagen. Wir können nicht aus eigener Erfahrung und Anschauung zur Osterfreude kommen. Für die Frauen am Grab geht der Weg zur Osterfreude über das Entsetzen. Entsetzen ist ein sehr starkes Gefühl, so wie auch die Freude ein sehr starkes Gefühl ist. Vielleicht braucht es diese Dünnhäutigkeit, die bereit ist, auch das Entsetzen an sich heranzulassen, um zur wahren Osterfreude kommen zu können. Eine Osterfreude, die mehr ist als nur ein gedankenlos dahingesagtes: „Frohe Ostern!“ Eine Osterfreude, die die Abgründe des Grauens nicht ausblenden muss. Denn gerade diese Abgründe hat Jesus Christus durch sein Leiden und Auferstehen durchschritten. Wir brauchen uns nicht mehr zu entsetzen. Wir brauchen nicht mehr zu schweigen. Wir haben die Hoffnung, dass das das Leben stärker ist als der Tod und dass die Macht des Bösen gebrochen ist. Darum können wir uns freuen und die Osterbotschaft weitersagen, in alle Dunkelheit dieser Welt hinein: Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Palmsonntag

 

Predigt zur Goldenen Konfirmation am Palmsonntag, 10. April 2022

Johannes 17, 1-9: Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast. Ich bitte für sie. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein. 

 

Liebe Jubilarinnen und Jubilare, liebe Mitchristen,

Wir feiern goldene Konfirmation. Wir schauen zurück auf Lebenswege. 50 Jahre sind seit Ihrer Konfirmation vergangen. Am 19. März 1972 war das, als Pfarrer Autenrieth Sie hier in der Christuskirche konfirmiert hat. Damals, bei Ihrer Konfirmation, da haben Sie auf dem Weg in die Zukunft geschaut – gespannt und erwartungsvoll, wie unsere jetzigen Konfirmanden, die kurz vor der Konfirmation stehen. Sicher waren damals nicht nur Optimismus und Zuversicht vorhanden. 1972 – das war die Zeit des Kalten Krieges und des RAF-Terrors. Das war das Jahr der blutigen Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München. Ich weiß nicht, wie Sie diese Nachrichten damals berührt haben. Sie transportieren ja nicht nur Fakten, sondern eine tiefere Botschaft über uns und unser Leben: Es ist in Gefahr. Wir sind von vielen Seiten bedroht. Und unsere Zukunft ist nicht gesichert.

Was trägt uns hindurch durch ungewisse Zeiten? Was hat Ihnen geholfen in Ihrem Leben, damit Sie Ihren Weg gestärkt weitergehen konnten? Vielleicht waren da Menschen, die zu Ihnen gehalten haben. Vielleicht waren da gute Erfahrungen. Vielleicht waren da Anstrengungen, die sich gelohnt haben. Und vielleicht waren da auch Erfahrungen mit dem Glauben. Vielleicht haben Sie es immer wieder gespürt: Ich bin nicht allein. Und was ich wirklich wert bin, das entscheiden nicht die Menschen, die mich beurteilen und bewerten. Was ich wirklich wert bin, das entscheidet sich bei Gott. Denn ich bin Gottes geliebtes Kind. Gott ist für mich da, egal was die Zukunft bringt. Gott kann ich alles anvertrauen, wenn ich zu ihm bete.

Ich weiß nicht, ob Sie diese Erfahrung machen durften. Vielleicht gab es da auch Zeiten in Ihrem Leben, in denen Ihnen die Kirche und der christliche Glaube eher fremd geworden sind. Aber heute sind Sie gekommen, hier in die Kirche, in der Sie damals vor 50 Jahren Ihre Konfirmation gefeiert haben. Heute wollen Sie Ihre Bitten und Ihren Dank für die vergangenen 50 Jahre vor Gott bringen und mit den vertrauten Worten zu ihm zu beten: Vater unser im Himmel. Vater Unser: Das sind die Worte Jesu. Er selbst hat uns dieses Gebet geschenkt. Er hat seine Jünger gelehrt, so zu beten. Und so wurde dieses Gebet weitergegeben von Generation zu Generation – in den Familien, im Gottesdienst, im Konfirmandenunterricht. Vater unser, das bedeutet auch: Wir dürfen Gott Vater nennen. Jesus selber hat so gebetet. „Vater, die Stunde ist gekommen.“ „Vater, verherrliche du mich bei dir.“ Dieses Gebet Jesu überliefert uns das Johannesevangelium im 17. Kapitel. Jesus betet. Seine Verhaftung steht unmittelbar bevor. Sein Weg ins Leiden, ans Kreuz, in den Tod. Das Gebet Jesu, das das Johannesevangelium überliefert, hat einen ganz anderen Klang als das, was wir aus den anderen Evangelien kennen. In Todesangst betet Jesus dort im Garten Gethsemane: „Vater, nimm diesen Kelch von mir!“ (Mk 14, 36). Ja, Jesus war auch ganz Mensch, schwach und verzagt. Er hat wirklich gelitten, hatte Angst und hatte Schmerzen. Jesus, der Mensch. Wenn wir Angst haben und Schmerzen, wenn wir denken, unser Weg ist zu schwer für uns und wir schaffen das nicht -dann können wir sicher sein: Jesus versteht, wie es uns jetzt geht. Er hat das alles selber auch schon durchgemacht. Jesus, ganz menschlich. Das hilft mir, dass ich ihm meine eigene Not anvertrauen kann.

Wir feiern Konfirmationsjubiläum in einer schwierigen Zeit. Wir stehen fassungslos vor dem blutigen Krieg in der Ukraine. Die grausamen Bilder von zerstörten Städten und ermordeten Zivilisten lassen uns nicht mehr los. Das Elend der traumatisierten Flüchtlinge geht uns nahe. Wir machen uns Sorgen um die Zukunft: Welche Einschränkungen auf uns noch zukommen als Folge dieses Krieges? Wir hätten einen solchen Krieg nicht für möglich gehalten.

Gerade in schwierigen Zeiten brauche ich den Glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes, der zusammen mit Gott dem Vater und dem Heiligen Geist die Welt in seinen Händen hält. Von ihm kann ich Hilfe erwarten in all dem Elend, das mich umgibt. Nicht ein Mensch, nur der Sohn Gottes kann die Not wenden. Jesus, der Sohn Gottes. So begegnet er uns im Johannesevangelium. Auch bei seinem Gebet vor seiner Verhaftung, auch da ist Jesus ganz der Sohn Gottes: „Vater, verherrliche du mich bei dir.“ Im tiefsten Elend zeigt sich Gottes Herrlichkeit – in Jesus Christus am Kreuz. Am Kreuz hält Jesus segnend die Hände über uns alle und sagt uns: Dir sind deine Sünden vergeben. Jesus macht sein Angebot – es enthält auch die Bereitschaft, die Kraft zum Frieden. Jesus sagt uns: Keiner von uns ist schon am Ende. Gott schenkt uns Zukunft. Er gibt uns sein Wort. Und er lädt uns ein, sein Wort zu bewahren – das Wort von Gottes Liebe, die stärker ist als der Tod, stärker als alles Leid und alle Schuld. Das Wort von Jesus Christus, der uns ewiges Leben verspricht. Das ist der Halt, den wir als Christinnen und Christen im Glauben haben: Die Hoffnung, dass unser Leben Zukunft hat trotz aller Bedrohungen, trotz Elend, Not und Tod.

Das sind große Worte. Und vielleicht erscheinen sie dem einen oder der anderen von Ihnen eine Nummer zu groß – gerade in Zeiten wie der unsrigen, wo das Elend der Welt zum Himmel schreit, und wir uns fragen: Warum greift Gott nicht ein? Warum lässt Gott das alles zu? Fragen, die einen ins Zweifeln bringen können. Kommen die Worte der Bibel nicht ins Wanken angesichts solcher Schrecken? Ja, es ist alles andere als selbstverständlich, beim christlichen Glauben zu bleiben, so wie Sie es bei Ihrer Konfirmation vor 50 Jahren versprochen haben. In manchen Zeiten ist es ganz einfach, in anderen ist es jeden Tag eine neue Herausforderung. In seinem Gebet in Johannes 17 sagt Jesus uns: Wir gehören zu Gott, trotz aller Zweifel, die wir immer wieder haben. Und Jesus betet für uns zu Gott. Er betet darum, dass wir es schaffen, am Glauben dranzubleiben: „Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Gedanken zum Sonntag

Reminiscere

Predigt zum Sonntag Reminiszere, 13. März 2022

Matthäus 26, 36-46: Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte. Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Liebe Mitchristen!

Manchmal möchte ich auch einfach einschlafen, so wie die drei Jünger im Garten Gethsemane. Einfach die Augen schließen und die Realität ausblenden. Mich einfach mal wegbeamen aus dieser Welt voller Krieg und Angst, und eintauche in die heile Welt der Träume. Manchmal ist mir einfach alles zu viel. Ich lasse den Fernseher ausgeschaltet, weil ich die schlechten Nachrichten aus der Ukraine nicht mehr hören kann und die schrecklichen Bilder aus dem Kriegsgebiet nicht mehr ertrage.

Jesus hatte nur seine engsten Vertrauten mitgenommen in den Garten Gethsemane. Petrus, Johannes und Jakobus waren von Anfang an mit ihm unterwegs gewesen. Jesus braucht jetzt diese drei Freunde. Sonst hatte er sich immer ganz allein zum Beten zurückgezogen. Er brauchte die Ruhe und Abgeschiedenheit für das Gespräch mit seinem himmlischen Vater. Aber an diesem letzten Abend vor seinem Tod ist es anders. Zu bedrückt ist Jesus, zu aufgewühlt. Zu groß ist seine Angst vor dem, was ihm bevorsteht. Werden seine Freunde ihm beistehen können in dieser Not?

„Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot,“ sagt ein altes Sprichwort. Viele Menschen haben diese schmerzliche Erfahrung schon machen müssen. „Von meinen Freunden hat keiner angerufen, als meine Frau so plötzlich verstorben ist,“ erzählt mir ein Mann. „Manchmal habe ich sogar den Eindruck, die Nachbarn wechseln die Straßenseite, wenn sie mich sehen.“ Der unerwartete Tod seiner Frau hat diesen Mann sehr verletzlich gemacht. Dass seine Freunde und Nachbarn ihn offenbar meiden, trifft ihn deswegen besonders hart. vielleicht sind seine Freunde und Nachbarn einfach nur unsicher, wie sie sich ihm gegenüber jetzt verhalten sollen. Sie wollen nichts Falsches tun oder sagen und tun deswegen lieber gar nichts. Aber das ist sicherlich das Falscheste, was sie tun können. Ihr Freund und Nachbar fühlt sich von ihnen im Stich gelassen.

So wie Jesus sich von seinen drei Freunden im Stich gelassen fühlt: „Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?“ fragt er Petrus, Johannes und Jakobus. Die drei konnten es nicht. Dabei haben sie schon so viel mit Jesus erlebt. Gebannt haben sie seinen gewaltigen Predigten gelauscht: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die Frieden stiften, denn wie werden Gottes Kinder heißen.“ Einmal wird alles gut werden. Einmal wird wirklich Frieden werden, Frieden für alle. Krieg und Leid werden für immer vorbei sein. Davon hatte Jesus gesprochen, immer wieder, voller Überzeugung, voller Begeisterung. Und seine Begeisterung war ansteckend. Seine Begeisterung hat sie, die Jünger, mitgerissen. Mit dieser Begeisterung im Herzen konnten sie alles ertragen, was das harte Leben unterwegs mit Jesus ihnen auferlegte: Hunger, Armut und die kalten Nächte unter freiem Himmel, wenn sie mal wieder kein Nachtquartier gefunden hatten. Die Jünger wussten ja: Wenn Jesus da war, dann wird alles gut. Immer wieder haben sie das so erlebt. Kranke hat Jesus geheilt und Hungrigen zu essen gegeben. Und als das Boot der Jünger zu kentern drohte bei diesem schrecklichen Sturm auf dem See Genezareth, da hat Jesus ihnen das Leben gerettet.

Aber da, was sie jetzt erlebten mit Jesus hier im Garten Gethsemane, das war anders. So wie an diesem Abend, so hatten sie Jesus noch nie erlebt: Jesus, der starke Retter, Gottes Sohn! Vor Angst zitternd, verzweifelt, völlig verzagt, ein Häufchen Elend. Was war aus Jesus bloß geworden? Keine Spur mehr vom starken Retter, vom Sohn Gottes! War das alles ein Irrtum gewesen? Sollten sie, Petrus, Johannes und Jakobus, jetzt Jesus stützen, der doch immer ihre Stütze gewesen war? Diese Stütze war jetzt weggebrochen. Wie sollte es bloß weitergehen? Die drei Jünger wissen es nicht. So schließen sie die Augen und schlafen ein.

Einfach die Augen schließen und einschlafen und all das Bedrohliche und Schreckliche ausblenden. So mancher wünscht sich das, gerade auch in unseren Tagen. „Mein Vater weint den ganzen Tag,“ erzählt mir eine Frau. „Alle seine Kriegserlebnisse sind jetzt wieder da. Nie hat er darüber sprechen können, und schon gar nicht weinen. Jetzt weint er und kann nicht mehr aufhören.“ Krieg ist schrecklich. Und selbst nach 70 Jahren wirft der zweite Weltkrieg immer noch lange Schatten in unsere Familiengeschichten, wird er immer noch jede Nacht neu durchlebt in den Alpträumen derer, die ihn miterleben mussten. Und jetzt ein neuer Krieg in Europa. Wo soll das alles enden? Frieden scheint nicht in Sicht. Unzählige Menschen sind auf der Flucht. Manchmal kann ich es nicht mehr ertragen, weiter darüber nachzudenken. Dann schließe ich die Augen vor dieser Realität. Wie im Traum lebe ich mein Leben weiter wie bisher. Vielleicht ist ja auch manchmal gut und richtig, das zu tun. Denn was wird aus mir, wenn ich den ganzen Tag nur noch gebannt auf die neuesten schlechten Nachrichten starre wie das Kaninchen auf die Schlange? Dann kann ich Niemandem mehr eine Hilfe sein. Auch nicht den Menschen, die mich jetzt gerade brauchen.

Petrus, Johannes und Jakobus schlafen. Dem Menschen, der sie jetzt gerade braucht, können sie deswegen keine Hilfe sein. Jesus ist ganz allein, ganz menschlich, ganz verletzlich. Die Jünger können es nicht ertragen, Jesus so zu sehen, und fliehen in den Schlaf. Können wir Jesus so ertragen? Jesus – nicht der starke Retter, der die Kriege und das Elend in dieser Welt einfach mit einem Handstreich beendet. Jesus, der schwach ist, der leidet und stirbt. Und in seinem Leiden und Sterben ist er all denen ganz nahe, die leiden und sterben. Jesus ist da – in den Luftschutzkellern in der Ukraine, bei den auseinandergerissenen Familien, bei den Flüchtlingen an den Grenzen, bei den Verwundeten, bei den Sterbenden. Jesus ist da, schwach und zitternd. Einer, der die Schmerzen wirklich gespürt hat, die ihm am Kreuz zugefügt wurden. Zu Jesus können wir beten, auch in der größten Not und im tiefsten Leiden. Jesus versteht das. Er hat das selbst erlebt und durchlitten. Und seine Worte gelten – die kraftvollen Worte, die er gesprochen hat: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Daran will ich festhalten, in all der Zerbrochenheit, die ich in unserer Welt erlebe. Und wenn ich daran festhalte, dann schaffe ich es vielleicht, dass ich den entscheidenden Augenblick nicht verschlafe, in dem ich gebraucht werde. Dann schaffe ich es vielleicht, die Augen offen zu halten, auch wenn das, was ich sehe, schrecklich ist und mir Angst macht. Dann schaffe ich es vielleicht, dass das Schreckliche und Angst Machende mich nicht in seinen Bann zieht. Denn ich will nicht sein wie das Kaninchen vor der Schlange. Vielleicht schaffe ich es dann, mich nicht lähmen zu lassen, sondern handlungsfähig zu bleiben – wach und bereit für die Menschen, die mich jetzt brauchen. Ich weiß, das alles kann ich nicht aus mir selbst heraus schaffen. Ich brauche dazu Hilfe von oben, Hilfe von Gott. Ich brauche dazu das Gebet. Und manchmal wird es wohl trotzdem schiefgehen. Manchmal wird es auch mir passieren, dass ich die Augen schließe, wo ich sie eigentlich hätte offen halten sollen – so wie es Petrus, Johannes und Jakobus passiert ist. „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!“ sagt Jesus zu den Dreien. Und ich weiß, auch ich habe diese Ermahnung nötig: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer