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Gedanken zum Sonntag

letzter Sonntag nach Epiphanias

 

Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2023

Matthäus 17, 1-9: Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete weiß wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie von Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Liebe Mitchristen!

Wo können Sie am besten Abstand gewinnen vom Alltag und die alltäglichen Sorgen hinter sich lassen? Das können ganz verschiedene Orte oder auch Zeiten sein. Vielleicht ist es für Sie eine stille Zeit am Morgen, die Sie sich gönnen. Oder ein Spaziergang in der Natur, Gespräche mit Freunden. Vielleicht ist es für Sie auch der Gottesdienst, den wir hier am Sonntagmorgen feiern. Für viele Menschen haben in diesem Zusammenhang die Berge eine ganz besondere Bedeutung. Schon im Alten Testament ist das so, bei Mose und Elia. Berge sind ein Ort, wo Menschen auch heute Gottes Größe und seine Nähe erfahren. Man tritt heraus aus den Niederungen des Alltags. All die Berge, die hier um uns herum sind, stehen dafür. Sie zeigen uns, dass immer wieder Menschen da waren, denen diese Berge etwas in Bezug auf ihren Glauben bedeutet haben: Menschen, die eine Kapelle gebaut haben in Wehingen auf dem Bürgle. Menschen, die in Gosheim das weiße Kreuz aufgestellt haben. An diesen schönen Orten, wo man ins Weite sieht, dort fühlt man sich Gott in besonderer Weise nahe. Dort hat man einen Überblick über die umliegende Gegend. Das hilft auch dabei, einen Überblick zu bekommen über sein eigenes Leben und sich zu besinnen auf Gott, dem wir unser Leben verdanken.

Ich denke an solche Gipfelerlebnisse bei Spaziergängen oder Wanderungen in den Bergen oder auch bei anderer Gelegenheit, wenn ich mir vorstelle, wie es Petrus und den anderen Jüngern in unserer Bibelgeschichte ging. Es ist eine sehr besondere Erfahrung, die diese drei Jünger gemacht haben – Petrus, Johannes und Jakobus. Sie haben Jesus oben auf dem Berg ganz anders erlebt, als sie sie ihn sonst kannten. Und das, obwohl Petrus schon vorher ein besonderes Erlebnis oder eine besondere Erkenntnis hatte mit Jesus. Petrus hatte erkannt: Jesus ist wirklich der Messias. Jesus ist Gottes Sohn. Petrus konnte seinen Glauben an Jesus bekennen, schon bevor er mit Jesus oben auf dem Berg war. Dort oben hat Petrus dann mit eigenen Augen gesehen: Jesus ist der Sohn Gottes! Jetzt ist sich Petrus ganz sicher, zusammen mit den anderen beiden Jüngern: Jesus wird bald seine Herrschaft sichtbar aufrichten, und wir, die Jünger, wir werden daran beteiligt sein! Endlich etwas Sichtbares und Erfahrbares! Endlich kommt Gott und ist uns ganz nahe! Endlich wird das Elend auf der Welt ein Ende haben! Jesus Christus erstrahlt in hellem Licht, und zusammen mit ihm noch die ganz Großen der Geschichte Israels, die ganz großen Männer des Glaubens: Mose und Elia, diese beiden, die Gott auch auf einem Berg erfahren durften.

Kein Wunder, dass Petrus diesen ganz besonderen Augenblick einfach festhalten möchte. Dieser großartige Glücksmoment soll für immer bleiben. „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ So sagt es Petrus. Ich denke, diese Reaktion ist völlig nachvollziehbar für jeden, der schon einmal einen echten Glücksmoment erlebt hat im Leben. In einem solchen Moment denken wir: So soll es bleiben! Aber Gott lässt sich nicht auf Dauer festhalten. Gott bleibt der ganz Andere, der Unbegreifliche. So geht es uns auch heute: Ob es Glücksmomente in unserem Leben sind oder Momente besonderer Gotteserfahrung – es bleiben immer nur Momente. Und doch sind diese Momente etwas ganz Wichtiges. Diese Gipfelerlebnisse geben unserem Glauben Halt, so dass er tragfähig bleibt in den Tiefen des Lebens. Ja, auch wenn wir von diesen Glücksmomenten wieder heruntersteigen müssen in die Tiefen und die Niederungen des Alltags – Gott ist bei uns und begleitet uns.

Gott ist bei uns und begleitet uns – auch, wenn das oft ganz anders aussieht, als wir es erwarten und uns wünschen. Elia hat das schon viel früher als Petrus auf einem Berggipfel erlebt, dass Gott ganz anders ist, als er es erwartet hat. Zu Elia kam Gott nicht im Sturm, auch nicht im Erdbeben oder im Feuer. Elia hat erfahren: Gott kommt ganz leise und sanft, ganz anders als erwartet. Und so erleben es auch Petrus und die beiden anderen Jünger mit Jesus auf dem Berg. Es läuft anders als erwartet. Petrus würde gerne Hütten bauen. Dass er das möchte, hat er noch gar nicht richtig ausgesprochen, da fällt ihm aus der Wolke eine Stimme ins Wort.  Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft ihn dieses Wort von oben: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; hört auf ihn!“

Unsere Aufgabe ist nicht, Hütten zu bauen. Unsere Aufgabe ist nicht, sich einrichten in den Glücksmomenten. Unsere Aufgabe ist, weiterzugehen durch die Höhen und Tiefen des Lebens und dabei auf Jesus zu hören. Zu hören auch auf unbequeme Worte von Jesus, auf Worte wie diese, die Jesus auch auf einem Berg gesprochen hat: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt 5, 4ff) Hört auf Jesus! Den Jüngern fährt diese himmlische Stimme in die Glieder und ihnen zittern die Knie.  Wie geht es uns heute damit, mit diesen Worten aus der Bergpredigt, in einer Zeit, in der die Selbstverständlichkeit in Europa Frieden zu haben, weg ist seit jetzt fast einem Jahr. So lange dauert der Krieg in der Ukraine nun schon bald. Dieser Krieg macht uns ratlos – so ratlos, dass uns nur noch militärische Mittel einfallen, um ihn einzudämmen. Werden sie den Frieden bringen? Hört auf Jesus ,sagt uns die Bibel. Wir sind herausgefordert, das in unserer Zeit zu tun –  mitten im Elend und Unfrieden unserer Welt. 

Ja, immer wieder gibt es zum Glück auch Gipfelerlebnisse in unserem Leben und Glauben. Gipfelerlebnisse, die uns helfen, auch durch die schwierigen Zeiten hindurchgehen zu können. Ich denke dabei noch an einen anderen Berg – an den Hügel Golgatha. Auf Golgatha stirbt Jesus am Kreuz.  „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; hört auf ihn!“ Gerade auch auf Golgatha gelten diese Worte.  Das göttliche Licht scheint überall – gerade auch an den verworrenen und dunklen Orten. Auch und gerade am Kreuz wird es greifbar, was Jesus in der Bergpredigt versprochen hat: Dass die Leidenden getröstet werden. Dass den Sanftmütigen das Erdreich gehört. Dass die Friedensstifter Gottes Kinder heißen. Es geht nicht immer alles einfach und glatt auf. Es gibt eben nicht nur die Gipfelerlebnisse, sondern auch die tiefen auch die dunklen Täler. Gerade auch jetzt in unserer Zeit, in der wir diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine erleben müssen, gerade da wollen wir daran festhalten, dass Jesus Christus für uns da. Für die drei Jünger wird seine Herrlichkeit sichtbar auf dem Berg. Aber erst nach Kreuz und Auferstehung dürfen sie davon berichten. Denn gerade im Leiden am Kreuz wird Gottes Herrlichkeit sichtbar in Jesus Christus. Auf seinen Namen sind wir getauft.  Und er hat es uns versprochen, er wird bei uns sein. Nicht nur an den Höhepunkten unseres Lebens und bei den Gipfelerlebnissen unseres Glaubens, sondern an jedem Tag- alle Tage bis ans Ende der Welt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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2. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2023

2. Mose 33, 18-23: Und Mose sprach zu Gott: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter:  Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Liebe Mitchristen!

„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Gib mir irgendwas, das bleibt.“ So heißt es in einem Lied von Silbermond.  Ich finde, dass dieses Lied gerade jetzt in unserer Zeit wieder aktuell ist. In einer Zeit, in der die alten Sicherheiten in Frage gestellt sind, die für uns Jahrzehnte lang selbstverständlich waren: Dass es keinen Krieg mehr gibt, oder höchstens ganz weit weg von uns. Dass wir uns keine Sorgen machen müssen, ob wir im Winter unsere Wohnung warm bekommen. Dass es im Sommer warm ist und im Winter kalt, ohne große Veränderungen, ohne Klimaveränderung. Dass die Erde bewohnbar bleibt. Alle diese Sicherheiten gibt es nicht mehr in unserer Zeit. Stattdessen sind wir unterwegs in eine Zukunft, die uns ungewisser scheint als je zuvor.

Mich erinnert das an die biblische Geschichte vom Volk Israel, das in der Wüste unterwegs war. Die alten Sicherheiten in Ägypten haben sie hinter sich gelassen, die sie als Sklaven dort gehabt haben_ Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Nun sind sie dem vagen Versprechen gefolgt, dass sie irgendwann einmal in ein gutes und fruchtbares Land kommen werden. Mose, ihr Anführer, hatte ihnen erzählt, dass ihnen Gott dieses Land versprochen hat: Ein Land, das von Milch und Honig fließt. Aber in den langen Jahren der Wüstenwanderung ist dieses Land nicht in Sicht gekommen – nur Hunger und Durst und diese unendliche, furchtbare Weite der eintönigen und lebensfeindlichen Wüstenlandschaft.

Kinder sagen ja immer bei einer langen Reise: „Wann sind wir endlich da?“ So wird es den Israeliten damals bei dieser Wüstenwanderung auch gegangen sein: Wann sind wir endlich da? Wo ist es denn nun, dieses Land, das Gott uns versprochen hat? Oder war das alles doch nur eine Fata Morgana, ein frommer Wunsch, eine billige Vertröstung? Wo ist Gott, der dieses Versprechen gemacht hat, dass alles gut wird in meinem Leben – auch wenn ich durch Wüstenzeiten gehe? Die Israeliten haben damals in der Wüste ihre eigene Antwort auf diese Frage gefunden. Sie haben sich einen Gott zum Anfassen gebaut: ein Stierbild aus Gold, ein goldenes Kalb. Sie sind um dieses Kalb herumgetanzt, um so ihren Gott anzubeten. Mose war nicht dabei. Er war auf dem Berg Sinai, um von Gott die Zehn Gebote zu empfangen. Als er herunterkam vom Berg, hat ihn die Wut gepackt über sein Volk.

„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint.“ Etwas, was ich sehen und anfassen kann. Dieser Wunsch steckte dahinter bei den Israeliten, als sie ihr goldenes Kalb gebaut haben. Aber Gott lässt sich nicht in so eine Form pressen. Ich kann Gott nicht für meine Zwecke gebrauchen. Da helfen keine goldenen Kälber, keine Beschwörungen und keine Zauberei. Denn Gott ist Gott, und ich bin nur ein Mensch. Wo ich in meinem Leben Gottes Hilfe erfahren darf, da habe ich das allein Gott zu verdanken und nicht mir selbst. Ich habe keinen Anspruch darauf. Gott ist und bleibt unverfügbar. Ich kann ihn nicht zwingen, mir zu helfen. Ich werde ihn nie ganz erfassen können mit meinem kleinen menschlichen Verstand. Es bleibt diese Anfechtung, dass ich mir Gott nicht vorstellen kann. Aber nur so bleibt Gott Gott. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal so gesagt: „Einen Gott, den man sich vorstellen kann, den kann man auch wieder zur Seite stellen.“ So wie man ein selbstgebautes Bild von einem goldenen Kalb wieder zur Seite stellen kann.

Und doch gibt es Zeiten in unserem Leben, wo wir diese Unbegreiflichkeit Gottes einfach nicht mehr aushalten. Wo wir das brauchen, dieses kleine bisschen Sicherheit – irgendwas, das bleibt, was ich anfassen, was ich sehen und begreifen kann. Dem Volk Israel geht es so, als ihr Anführer Mose nicht mehr in Sicht ist oben auf dem Berg. Aber auch Mose selbst geht es so. „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ sagt er zu Gott. Mose will etwas sehen. Er will Gott irgendwie wahrnehmen können. Mose weiß, dass das eigentlich nicht geht. Das goldene Kalb macht er wieder kaputt, weil es Gott nicht darstellen kann.  Aber der Wunsch, Gott zu sehen, ist bei Mose trotzdem da.

Moses Wunsch, Gottes Angesicht zu sehen, kann Gott so nicht erfüllen. Gott sagt ihm: Du kannst mein Angesicht nicht sehen. Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. Gottes Herrlichkeit ist wie blendendes Licht, das alle Konturen und Formen überstrahlt. Kein Auge kann es sehen, ohne zu vergehen. Und doch geht Gott auf diesen Wunsch ein, den Mose hat. Gott will Mose etwas von seiner Herrlichkeit erfahrbar machen. So spricht Gott zu Mose: „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen.“

Was wir von Gott sehen können, ist nicht sein Angesicht. Aber wir können hinter ihm her sehen. Im Rückblick können wir erkennen, was wir in unserem Leben Gottes Gnade zu verdanken haben. Was im Nachhinein doch einen Sinn ergibt, obwohl wir in der aktuellen Situation gedacht haben: Gott wo bist du? Warum hilfst du mir nicht? Warum stecke ich in dieser Klemme? Hinterher sehen, das bedeutet: Im Rückblick etwas vom Glanz Gottes in meinem Leben erkennen zu können: Gott war da. Gott hat mich auch durch diese Zeit hindurch getragen, als ich in der Klemme gesteckt bin.

In unserem Bibelwort wird beschrieben, das Mose in eine Felskluft gestellt wird. Diese Felskluft steht für mich zum Einen für dieses In-der-Klemme-Stecken. Manchmal geht es mir so, dass ich gerade in der Bedrängnis, wenn ich nicht aus noch ein weiß, etwas von Gottes Nähe spüre und erfahre– aber oft auch erst im Rückblick. Zum Anderen ist diese Felskluft für mich auch ein Zeichen für den Ort der Geborgenheit, den ich brauche: Einen Ort, wo ich geschützt bin vor dem, was ich sonst nicht ertragen kann. Gottes Angesicht sehen, das kann ein Mensch nicht ertragen. Aber auch Anderes gibt es im Leben, was ich nicht ertragen kann, wo ich einen Schutzraum brauche, einen Rückzugsort. Ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Irgendwas, das bleibt. In der Felskluft schafft Gott für Mose diesen Raum, so dass er nicht vergehen muss. Ein sicherer und geborgener Ort ist dieser Felsspalt, aus dem Mose im Rückblick sehen kann, wo Gott gewirkt hat in seinem Leben.

Wir alle brauchen solche Orte der Sicherheit. Orte, wo wir nachdenken können, was Gott bewirkt hat in unserem Leben. Auch der Gottesdienst am Sonntagmorgen kann so ein Ort sein. Ein Ort, wo ich zur Ruhe komme, wo ich in Sicherheit bin. Wo ich meine Sorgen ablegen darf und daran denke, was Gott Gutes getan hat in meinem Leben. Ein Ort, wo ich Gott begegnen kann.

Für uns als Christinnen und Christen ist es Jesus Christus, in dem uns Gott von Angesicht zu Angesicht begegnet. Jesus Christus, der uns durchs Leben begleitet, zu dem wir beten und auf den wir vertrauen können. In Jesus Christus können wir den göttlichen Glanz entdecken, gerade auch dann, wenn wir in der Klemme stecken. Denn Jesus Christus ist selber in der Klemme gesteckt. Sein Weg ans Kreuz schien eine Sackgasse zu sein, ein unwürdiges Ende für Jemanden, der so vielen Menschen Gott nahe gebracht hat. Aber für Gott war es nicht das Ende, war es keine Sackgasse. Gott hat seine Herrlichkeit offenbar werden lassen in Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist.  Er gibt uns Sicherheit. Er ist das, was bleibt. An ihn können wir uns halten in allen Zeiten unseres Lebens –  in den sicheren und in den unsicheren.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

 

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1. Sonntag nach Epiphanias

 

 

Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 8. Januar 2023

Joh 1, 29-34: Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er offenbar werde für Israel, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser.

Und Johannes bezeugte es und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hat zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

 

Liebe Mitchristen!

Gestern habe ich in meiner Wohnung die Weihnachtssachen weggeräumt. Jetzt ist alles wieder gut verstaut in einer Kiste auf dem Dachboden. Das Wohnzimmer sieht ein bisschen kahl aus ohne den Christbaum, und im Esszimmer hat mein Sohn die Weihnachtsdekoration vermisst, die wir auf dem Esstisch liegen hatten. Was bleibt von dem Glanz von Weihnachten? Was nehmen wir mit in dieses Jahr, das nun begonnen hat? Schwierig hat es begonnen, dieses Jahr. In der Ukraine haben die Waffen nicht geschwiegen während des orthodoxen Weihnachtsfestes. Was bleibt da von dem Glanz von Weihnachten, angesichts dieses brutalen Kriegs, angesichts von so viel Zerstörung, Not und Tod? Weihnachten haben sie trotzdem gefeiert in der Ukraine, jetzt am 7. Januar mit all dem Glanz, der zu einem orthodoxen Weihnachtsfest dazugehört. Ich denke an eine junge Frau, die in den Nachrichten interviewt wurde, dort in der Ukraine vor einer Kirche. Gerade in diesem Jahr war der Weihnachtsgottesdienst besonders wichtig für diese Frau, hat sie erzählt.

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13) Das ist die Jahreslosung für dieses Jahr. Dieses Bibelwort soll als Überschrift über diesem Jahr stehen. Ein Bibelwort, gesprochen von einer jungen Frau in Bedrängnis und Not. Auch die junge Frau, die ich in den Nachrichten gesehen habe, hat das offensichtlich so erleben dürfen in dem Weihnachtsgottesdienst, den sie in diesen Tagen in der Ukraine besucht hat: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Gott sieht uns. Er sieht das Elend in dieser Welt. Deswegen schickt er uns seinen Sohn- Jesus Christus, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. Und immer wieder gibt es Zeugen dafür. Menschen, die diesen Gland von Weihnachten mitnehmen in ihr Leben, auch und gerade in dunklen Zeiten. Zeugen wie diese junge Frau aus der Ukraine. Zeugen wie Johannes der Täufer. Auch er hat etwas von Gottes Glanz gesehen. Vom Himmel herunter hat er ihn kommen sehen- leuchtend weiß wie eine Taube. So hat Johannes den Heiligen Geist auf Jesus herabkommen sehen: Gott kommt auf die Erde – Gottes Lamm, Jesus Christus.

Es gibt ein Bild, das diese Vision des Täufers auf das genaueste wiedergibt. Das Original hängt im Museum Unterlinden. Es stellt eine Kreuzigungsszene dar, wie sie in der christlichen Bildtradition häufig gemalt wurde. Und doch ist es einzigartig in seiner Darstellungsweise und es ist zu Recht weltberühmt. Es handelt sich um den Isenheimer Altar, gemalt in den Jahren 1512–1516 von Mathis Nithard, genannt Grünewald. Dieses Bild gibt es als Kopie auch bei uns in Wehingen. Hier in der evangelischen Kirchengemeinde hängt es normalerweise im Gemeindesaal über dem Klavier. Genau wie das Original ist ein dreiflügeliges Altarbild, nur kleiner. Auf der Rückseite findet sich eine Inschrift: „Geschenk des Holzgerlinger Posaunenchors der evangelischen Kirchengemeinde Wehingen als Altarbild für den Betsaal anlässlich des Besuchs des Holzgerlinger Posaunenchors in Wehingen am 19./ 20. Juli 1958 überreicht.“ 1958 war die evangelische Kirchengemeinde eine sehr kleine Gemeinde. Ihre Gottesdienste feierte sie in einem Betsaal. Und bei jedem dieser Gottesdienste hatten die Feiernden dieses Altarbild vor Augen:

Im Zentrum hängt überlebensgroß der Gekreuzigte vor einem dunklen Hintergrund. Links von ihm ist eine Figurengruppe zu sehen: die kniende Maria Magdalena, erkennbar am Salbgefäß, das neben ihr steht, rechts neben dem Kreuz Maria, die Mutter Jesu, die vom Jünger Johannes im Arm gehalten wird. Allen drei ist der Schmerz anzusehen, den sie empfinden.

Rechts vom Kreuz steht der Täufer. In der linken Hand hält er ein Buch; vermutlich ist es die Bibel. Natürlich ist das nicht historisch, denn zu Zeiten Jesu gab es die Bibel noch nicht. Es gab nur Schriftrollen mit den Büchern, die wir später das „Alte Testament“ nennen. Aber auch Johannes der Täufer selbst kann damals nicht wirklich unter dem Kreuz von Jesus gestanden sein. Zur Zeit der Kreuzigung war Johannes schon tot; ermordet durch Herodes. Wahrscheinlich hat der Maler des Bildes das auch gewusst. Aber es gibt Wahrheiten, die sind wichtiger als die Historie. Was an Johannes dem Täufer auf dem Bild besonders auffällt, das ist sein überlanger Zeigefinger. Mit diesem Zeigefinger deutet auf Jesus am Kreuz. Zu seinen Füßen sehen wir ein Lamm. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt,“ sagt Johannes. Seine Haltung ist aufrecht. Anders als die Figurengruppe auf der linken Seite ist er nicht vom Schmerz niedergebeugt. Johannes weiß: So steht es in der Bibel. So muss es erfüllt werden.

Und so zeigt er auf Jesus am Kreuz. Es ist auffällig, wie der Gekreuzigte hier dargestellt wird. Seine langen spitzen Finger, die sich in seiner Dornenkrone zu wiederholen scheinen, sein nach links herabgesunkenem Kopf; alles an ihm scheint Schmerz zu sein. Das Jesus hier so schmerzverzerrt dargestellt wird, hat einen besonderen Grund: Der Altar, auf dem das Bild gemalt ist, stand ursprünglich in einem Hospital in Isenheim. Dieses Hospital war für Menschen gedacht, die an Mutterkorn erkrankt waren. Mutterkorn ist ein giftiger Pilz im Getreide, der im Mittelalter ein großes Problem war. Viele Menschen sind davon krank geworden. Nach und nach sterben Finger und Zehen ab, und meistens führte diese Erkrankung zum Tode.  Heilung gab es nicht.

Diese schwer kranken Menschen hatten bei ihren Gottesdiensten dieses Bild von Jesus am Kreuz vor sich. Die Gestalt des Gekreuzigten glich ihrer eigenen Gestalt. In seinem Leiden konnten sie sich wiederfinden. Jesus Christus – alles Leiden, alle Schuld und alles Elend der Welt hat er auf sich genommen am Kreuz. Das ist unser Trost auch heute. Das ist der Glanz von Weihnachten, den wir mitnehmen in dieses Jahr. Auch in schwierigen Zeiten können wir uns darauf verlassen: Jesus Christus lässt uns nicht allein. Auf seinen Namen sind wir getauft. In seinem Namen feiern wir miteinander das Abendmahl.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zum Altjahrsabend, 31. 12. 2022

Röm 8, 31b-39: Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? 

Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.

Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?  Wie geschrieben steht (Ps 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«

Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Liebe Mitchristen!

Wir blicken zurück auf das Jahr 2022, das weltweit betrachtet, für viele Menschen kein gutes Jahr war. Der Krieg in der Ukraine hat uns die Sicherheit genommen, dass wir mit unseren Nachbarländern in Nah und Fern in friedlichem Miteinander leben können. Waffen werden geliefert, Flüchtlinge müssen versorgt werden, und die Not der in der Ukraine verbliebenen Menschen gelindert. Alles wird teurer, und das Heizmaterial wird knapp. In den Apotheken und Kinderkrankenhäusern fehlen die Medikamente. Dinge, die für uns bisher selbstverständlich waren, wie die Versorgungssicherheit, haben ihre Selbstverständlichkeit verloren. Viele schauen der Zukunft mit Sorge entgegen. Zeitenwende, das ist das Wort, das in diesem Jahr geprägt wurde für dieses neue Lebensgefühl. Zeitenwende. Die letzten Stunden und Minuten des alten Jahres werden heruntergezählt. Ein neues Jahr bricht an. Was wird es uns bringen in diesen unsicheren Zeiten? Können wir mit Zuversicht in dieses neue Jahr gehen, oder doch nur mit Sorge?

„Fürchte dich nicht,“ sagt uns Gott. Wir sollen wissen und darauf vertrauen: Was auch immer war, was auch immer kommen wird: Unser Gott hält zu uns. In ihm sind wir geborgen, unser Leben lang und darüber hinaus! Unser heutiger Predigttext aus dem Römerbrief will uns dieses Vertrauen tief in unsere Herzen pflanzen. 

Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen, sagt uns der Apostel Paulus. Und er nennt uns einen Grund dafür: Jesus Christus. Mit ihm ist die Zeitenwende angebrochen – nicht eine Zeitenwende hin zu schwierigeren Zeiten, so wie wir das in diesen Tagen immer wieder hören, sondern die Zeitenwende hin zum guten Leben. Denn alles, was uns von Gott trennt, hat Jesus Christus ein für alle Mal beseitigt. Der Damm ist gebrochen. Gottes Liebe fließt in unser Leben. So hat es der Apostel Paulus erfahren in seinem Leben. Und so singt er sein Loblied auf Gottes Liebe: 

Gottes Liebe ist so groß, dass Gott seinen eigenen Sohn für uns dahingegeben hat. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Gott vergibt uns unsere Sünden durch Jesus Christus, der für uns gestorben ist. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Jesus Christus hat den Tod überwunden und tritt bei Gott für uns ein. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Das ist die Zeitenwende, die wir in allen unseren christlichen Festen feiern: Jesus Christus ist da!

Paulus hat an alles gedacht: Gott hat seinen Sohn nicht verschont, er hat ihn in die Welt gesandt. Das feiern wir jetzt in der Weihnachtszeit. Gott hat seinen Sohn für uns dahingegeben. Jesus Christus ist gestorben. Das ist Karfreitag. Gott hat Jesus Christus auferweckt von den Toten. Das ist Ostern. Jesus Christus sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Das feiern wir an Himmelfahrt. Alle unsere Christusfeste sind abgedeckt mit diesen Worten des Paulus – angefangen vom Weihnachtsfest, von dem wir gerade herkommen bis hin zum Himmelfahrtstag. Paulus hat nichts vergessen. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. 

Aber ist das wirklich eine Zeitenwende? Schau doch mal aus dem Fenster, Paulus! Oder höre die Nachrichten, was alles Furchtbares in der Welt passiert! Krieg ohne Ende, Armut und Not. Menschen sterben, sind auf der Flucht oder am Verzweifeln. Was sagst du dazu, Paulus? Paulus sagt: Ja, das sehe ich. Das kenne ich sogar aus eigener Erfahrung: Niedergeschlagenheit und Angst, Verfolgung, Hunger und Mittellosigkeit, Gefahr und Gewalt. 

Was hat das vergangene Jahr gebracht? Weltweit hat es viel Schweres gebracht. Wie war es für Sie, in Ihrem persönlichen Leben? War es ein gutes und schönes Jahr, oder ein schwieriges und schweres Jahr? Für einige, die heute abend hierher gekommen sind, wird das vergangene Jahr auch schwere Erfahrungen mit sich gebracht haben, Erfahrungen, die einen an Gott verzweifeln lassen könnten. 

Erfahrungen, vor denen menschliche Worte verstummen, weil sie doch nur billiger Trost wären. Auch Paulus kennt solche abgrundtiefen Erfahrungen, die ihn verstummen lassen. Die eigenen Worte tragen nicht mehr. Deshalb leiht sich Paulus andere Worte, die Worte eines alten Klagepsalms: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe“. Da ist nichts zu spüren von Gottes Liebe, in solch schwerer Erfahrung. 

Trotzdem bleibt Paulus dabei: Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur. Nichts, aber auch gar nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Nichts von all dem, was das vergangene Jahr gebracht hat, weder das Schöne noch das Schwere. Nichts von all dem, was das neue Jahr bringen wird. „Aber in all dem überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.“ So sagt es Paulus. Denn Gottes Liebe ist zu uns gekommen. Gott ist Mensch geworden. Jesus Christus ist hier, der uns vor Gott vertritt. Gott ist für uns. Das betont Paulus immer und immer wieder. Es ist eine Aussage, die unerschütterlich und fest steht wie ein Fels in der Brandung. Gott will, dass wir froh und frei, vertrauensvoll und hoffnungsvoll in das neue Jahr gehen. Es will ein Anno Domini werden, ein Jahr des Herrn. Denn unser Herr Jesus Christus hat die Zeitenwende eingeläutet, die Zeitenwende hin zum guten Leben. Gottes Liebe, die er uns in Jesus Christus schenkt, diese Liebe wird uns begleiten und bewahren, auch im neuen Jahr. Amen.

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Heiligabend, Predigt zu Lukas 2, 1-20

Liebe Mitchristen!

Das Weihnachtsfest ist etwas Großartiges, auf das wir viel Zeit und Mühe verwenden. Besonders die Kinder freuen sich schon seit Wochen auf dieses Fest, und zählen am Adventskalender die Tage bis Weihnachten.  Heute endlich ist es soweit, dass wir wieder miteinander unter dem Christbaum sitzen, dass wir uns an den Geschenken freuen und die schönen Weihnachtslieder singen! 

Ja, es mag sein, dass in diesem Jahr das eine oder andere Geschenk kleiner ausgefallen ist als sonst. Ja, es mag sein, dass in diesem Jahr die eine oder andere Lichterkette dunkel bleibt, die sonst im Vorgarten für hellen Weihnachtsglanz gesorgt hat. Die dunklen Ecken in unserem Vorgarten erinnern uns daran: Die Dunkelheiten unserer Welt sind nicht mit einem Schlag weggewischt an Weihnachten. Krieg und Inflation, Kälte und Not – das alles hört da nicht einfach auf. Aber in dieser Heiligen Nacht hören wir die Botschaft: Gott lässt uns nicht allein in unseren Dunkelheiten. Gott kommt zu uns auf die Erde. Als kleines Kind wird er geboren, ein Mensch wie wir. Das ist das Besondere der Weihnachtsgeschichte. Jedes Jahr hören wir diese Geschichte wieder neu. 

Als erster kommt in dieser Geschichte der mächtige Kaiser Augustus vor. Er lässt jeden zur Volkszählung in seiner Heimatstadt antreten. Sein kaiserlicher Befehl erlaubt keine Ausnahmen.  Also muss eben auch die hochschwangere Maria mit Joseph, ihrem Verlobten, nach Bethlehem, so schwer ihr die Reise auch fallen mag. In den Unterkünften dort ist nirgends Platz für die beiden. Und so wird ein Futtertrog zum Notbettchen für den neugeborenen Sohn. Eine sehr nüchterne Beschreibung einer Notlage ist diese Geschichte zunächst einmal. Von Gott ist da noch gar nicht die Rede. 

Der Kaiser ist es, der hier die Geschicke der Menschen lenkt. Alles muss seine Ordnung haben. Soziale Härtefälle werden nicht berücksichtigt. Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, das interessiert ihn nicht. Die Menschen sollen aufsehen zu ihm, dem Kaiser, und ihm gehorchen. Wie ein Gott lässt sich Augustus verehren von seinen Untertanen. Was ist geblieben von diesem größenwahnsinnigen Kaiser? Was bleibt von den Tyrannen, die ihre Macht rücksichtslos ausnutzen? Die Kriege anzetteln und sich als Helden feiern lassen? Vom Kaiser Augustus ist nicht viel geblieben.  Wir kennen ihn vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht. Vor allem aber kennen wir ihn aus der Weihnachtsgeschichte. Das heißt: Nicht, weil er ein mächtiger Herrscher war, kennen wir heute noch diesen römischen Kaiser Augustus, sondern weil im entlegensten Winkel seines Weltreiches unter katastrophalen Bedingungen ein Kind geboren ist. Dieses unscheinbare Kind ist es, das die Welt verändert hat, nicht der scheinbar so mächtige Kaiser. Denn in diesem unscheinbaren und armen Kind kommt Gott selbst auf die Welt: Jesus Christus, Gottes Sohn. Jesus Christus, Gottes Sohn – er wird nicht in den Palästen dieser Welt geboren, nicht in der Luxussuite im Fünfsternehotel, sondern unter ärmsten Bedingungen in einer Notunterkunft ohne medizinische Versorgung. 

Was wäre, wenn Jesus nicht im armseligen Stall geboren wäre, sondern im besten Hotel am Ort? Er hätte es verdient als Sohn Gottes, ganz sicher. Er hätte die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf seiner Seite gehabt. Ein paar Tage lang wären die Nachrichten voll gewesen mit dieser Meldung: Sohn Gottes in Bethlehem geboren. Und dann? Dann hätte das Interesse wieder abgenommen. Jesus wäre eine Berühmtheit unter vielen gewesen, und nach 2000 Jahren hätte sich längst niemand mehr für ihn interessiert. Aber so war es nicht, so wollte Gott nicht in die Welt kommen. Sein Sohn sollte kein zweiter Kaiser Augustus werden, der sich nur an seiner Macht und seinem Reichtum freut – aber die Not der Menschen in seinem Reich hat er nicht im Blick. Nicht bei den Menschen, die sowieso im grellen Rampenlicht stehen, sollte Gottes Sohn geboren werden. Er kommt in die Dunkelheit, zu den Ärmsten der Armen. Die ersten, die von der Geburt des Gottessohnes erfahren, sind Menschen, die die Nacht auf freiem Feld verbringen müssen – die Hirten. Die Hirten standen am Rande der Gesellschaft. Niemand wollte mit ihnen etwas zu tun haben. Sie galten als unehrliche Schafdiebe. 

Diese Hirten holt Gott aus der Dunkelheit ihres armseligen Daseins. Sie sehen ihr Leben nun in einem neuen Licht. „Die Klarheit des Herrn leuchtete um sie.“ Wie aus einer anderen Welt hören sie die Worte des Engels: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Der Heiland. Der Gott, der dich heil macht. Der Gott, der Zerbrochenes heilt und neues Leben schenkt – für uns alle. Und mit den Worten des Engels sickert die Klarheit des Herrn den Hirten ins Herz. Als der Gottesbote ausgeredet hat und der Lobgesang der himmlischen Heerscharen verklungen ist, da sind die Hirten ganz klar geworden. Sie haben Klarheit über sich. Sie fürchten sich nicht mehr. Sie lassen sich von Gott beschenken. Sie sehen klar den nächsten Schritt, der zu tun ist. Noch sind sie nicht am Ziel. Noch sind sie nicht bei der Krippe. Sie haben noch einen Weg vor sich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ 

Wie die Hirten machen auch wir uns heute wieder auf den Weg zum Stall von Bethlehem. Wir machen uns auf den Weg mit allem, was uns beschäftigt, mit Freud und Leid. Die Dunkelheiten und Ungereimtheiten unseres Lebens sind auch heute nicht weggewischt. Auch heute wird die Freude nicht überall ungetrübt sein. Aber von Bethlehem her scheint jetzt ein Licht in alle Dunkelheit der Welt, auch in unser Leben: Das Licht der Klarheit des Herrn. Das Licht der Engelsbotschaft: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Ewigkeitssonntag

 

Predigt zum Ewigkeitssonntag, 20. November 2022

 

Jesus entgegnete: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. Aber ich habe es euch ja schon gesagt: Obwohl ihr meine Taten gesehen habt, schenkt ihr mir keinen Glauben. Alle, die mein Vater mir anvertraut, werden zu mir kommen. Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Denn dazu bin ich vom Himmel herabgekommen: Nicht um zu tun, was ich selbst will, sondern was der will, der mich beauftragt hat. Und das ist der Wille dessen, der mich beauftragt hat: Ich soll keinen von denen verlieren, die er mir anvertraut hat. Vielmehr soll ich sie alle am letzten Tag vom Tod erwecken. Denn das ist der Wille meines Vaters: Alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, werden das ewige Leben erhalten. Am letzten Tag werde ich sie vom Tod erwecken.«

 

Liebe Mitchristen!

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Dieses Wort von Jesus Christus haben wir gerade im Predigttext gehört. Ein Bibelwort, das uns durch dieses Jahr begleiten will. Es ist die Jahreslosung für 2022. Das Jahr ist nun bald zu Ende. Viel ist passiert. Wie haben Sie dieses Jahr erlebt? Ein Jahr, in dem Sie Abschied nehmen mussten von einem geliebten Menschen. Ich denke an eine Frau, die ihren Mann verloren hat. „Ich kann es nicht mehr hören,“ so hat diese Frau erzählt. „Alle meinen zu wissen, wie ich mich jetzt verhalten soll. Ich kann die vielen guten Ratschläge einfach nicht mehr hören: Dass ich unter Leute soll, dass ich bestimmt wieder einen Partner finde, und was sie noch alles sagen. Und wenn sie es nicht sagen, denn sehe ich ihnen schon an, was sie denken. Aber ich vermisse ihn einfach weiter. Am meisten vermisse ich, seine Stimme zu hören. Es ist so still geworden hier im Haus. Und so still in mir.“

Vielleicht kennen Sie das. Vielleicht ist es auch bei Ihnen still geworden mitten im Leben. Heute sind wir hier, um an die Toten zu denken, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Das Leben ist voller Spuren des Vergangenen. Im Wohnzimmer bleibt ein Sessel bleibt leer. Im Garten ist keine Bewegung. Die Abende sind länger und einsamer. Trauriges Vermissen hat viele Arten sich auszudrücken. Die Sehnsucht nach der Stimme des Menschen, der ging, ist eine davon.

Jesus Christus ist keiner von denen, der uns gute Ratschläge geben will in der Trauer. Aber er spricht zu uns. Gerade auch dann, wenn es still geworden ist in unserem Leben. Gerade auch dann, wenn uns selber die Worte fehlen. Er verspricht es uns: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. Alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, werden das ewige Leben erhalten.“

Das sind Worte von jemanden, der sich auskennt mit dem Tod und was danach kommt. Es sind Worte von Jesus Christus, der den Tod durchlitten und überwunden hat. Nicht alles können wir fassen, ja manches erscheint uns vielleicht sogar seltsam oder widerstrebt uns. Steile Worte sind das, und doch voller Hoffnung: „Am letzten Tag werde ich sie vom Tod auferwecken.“ Die Zeit wird kommen, in der etwas Neues eintritt. Der Augenblick wird kommen, in dem etwas Gewaltiges geschieht. Dann werden die Dinge danach nicht mehr so sein wie sie vorher waren.

Leben über den Tod hinaus in Ewigkeit, das verspricht uns Jesus Christus. Der Theologe Siegfried Kettling erklärt das in seinem Buch „Du gibst mich nicht dem Tode preis“, das er dem Gedenken an seinen tödlich verunglückten Sohn Mattias gewidmet hat. Dort schreibt er: „’Ewigkeit‘ meint im biblischen Denken (…) nicht ‚Zeitlosigkeit‘, nicht das Gegenteil von Zeit. ‚Ewigkeit‘ meint auch nicht ‚unendlich viel Zeit‘, nicht die Summe aller Zeiten. (…) Ewigkeit ist ein Würdeprädikat, das allein Gott gebührt. Ewiges Leben ist Teilhabe an Gottes Lebendigkeit. Gott gibt uns Anteil an sich selbst. (…) Ewigkeit heißt: ‚Wir werden bei dem Herrn sein.‘ Das ist genug.“ So weit Siegfried Kettling.

Ich denke noch einmal an unsere Jahreslosung für 2022, an dieses Wort von Jesus Christus: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Heute am Ewigkeitssonntag höre ich dieses Bibelwort anders als am Anfang des Jahres. Ich denke daran: Dieses Versprechen von Jesus Christus gilt nicht nur in diesem Leben. Dieses große Versprechen gilt weiter. Es gilt auch, wenn unser Leben in dieser Welt zu Ende geht und wir über die Schwelle des Todes gehen. Was erwartet mich hinter dieser Schwelle? Das kann ich nicht wissen. Kein lebender Mensch kann das. Aber auf dem Weg in diese unbekannten Räume hilft mir dieses Wort von Jesus Christus: „„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Mit diesem Spruch weiß ich: Ich bin nicht allein unterwegs auf meinem Weg. Hier in diesem Leben bin ich nicht allein, und auch nicht, wenn ich über die Schwelle des Todes gehe. Hinter der Schwelle des Todes erwartet mich Jesus Christus und sagt: Sei willkommen. Hier in unserer Christuskirche haben wir ein Bild dazu aufgehängt, ein Bild zur Jahreslosung. Eine geöffnete Tür ist auf diesem Bild zu sehen, und ein goldener Schlüssel, der von oben kommt. Jesus Christus schließt uns die Tür auf zum neuen Leben, zu seiner Ewigkeit. Was erwartet uns dort in der Ewigkeit, wenn wir die Türschwelle überschritten haben? Auf diesem Bild ist es ein helles, warmes Licht. Und ein gedeckter Tisch, der für uns bereit ist. Brot und Wein stehen da, als Zeichen für Jesus Christus, der am Kreuz sein Leben für uns gegeben hat. All die alten Geschichten, die mich belasten, meine Schuld und mein Versagen, das alles darf ich bei ihm ablegen. Die Tür steht offen für mich. Ich darf kommen, so wie ich bin. Der Tisch ist gedeckt für mich. Ich darf mich einladen lassen. Und ich darf sicher sein. Jesus schickt mich nicht weg. Wir alle sind willkommen bei ihm, wir Lebenden und auch unsere Verstorbenen. In diesem Vertrauen können wir auch in dieser Welt weiterleben. Trotz der schmerzlichen Lücke, die der geliebte Mensch an unserer Seite hinterlassen hat. Jesus Christus gibt auch uns, was wir zum Leben brauchen: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“

Wenn ich darauf vertrauen kann, dann verändert sich etwas in meinem Leben. Denn wer auf Jesus Christus hört, der ist befreit zum ewigen Leben. Dann fängt das ewiges Leben schon im Hier und Jetzt an. Gerade auch bei Trauernden erlebe ich das immer wieder. Ich denke an die trauernde Frau, die ich anfangs erwähnt habe. Einmal kam ihr Nachbarn mit Pflanzen aus seinem Garten zu Besuch. Für ihn waren die Pflanzen ein Zeichen von Gottes Liebe und Güte.  Das hat dieser Frau Mut gemacht, dass dieser Nachbar für sie an Gottes Schöpfungsmacht glaubte und sie daran teilhaben ließ. Und so konnte sie langsam, Schritt für Schritt, wieder Fuß fassen ihn ihrem Leben. Sie konnte das Leben wieder lieben lernen.

Gott eröffnet uns neue Wege. Gerade in der Zeit der Trauer will er für uns da sein mit seinem Wort. So können wir neuen Mut schöpfen für den Weg, der noch vor uns Lebenden liegt. Die Toten, die können wir getrost Gott anvertrauen. Wir müssen uns um sie weniger sorgen heute. Denn Jesus Christus hat es uns versprochen: „Am letzten Tag werde ich sie vom Tod erwecken.“ So wird es geschehen. Amen.

EG 361, 1+8+12 Befiehl du deine Wege

Pfrin. D. Kommer

 

 

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Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr

 

Predigt vom Sonntag, 13. November 2022

Liebe Mitchristen!

In der vergangenen Woche war ich mit den anderen Pfarrerinnen und Pfarrern unseres Tuttlinger Kirchenbezirks unterwegs. Alle zwei Jahre machen wir eine solche Fahrt. Dieses Mal ging die Reise nach Rom. Was mich in Rom besonders beeindruckt hat, war die Sixtinische Kapelle. Michelangelo hat diese Kapelle ausgemalt: An der Decke die Schöpfungsgeschichte mit dem berühmten Bild von der Erschaffung Adams, und an der Stirnwand das Jüngste Gericht. An diesem Gemälde vom Jüngsten Gericht ist mein Blick länger hängen geblieben als an den Deckengemälden. Ich denke, das war nicht nur deswegen so, weil man dieses Bild bequemer anschauen kann, ohne dass man Genickstarre bekommt. Woran ist mein Blick hängen geblieben bei diesem Bild vom Jüngsten Gericht? Es waren nicht die Engel mit ihren Posaunen, auch nicht die Menschen, die aus ihren Gräbern aufstehen. Es war auch nicht die große Schar der Apostel und Glaubenszeugen. Nein, mein Blick ist hängen geblieben an Jesus Christus, den Michelangelo in die Mitte dieses Gemäldes gemalt hat: Jesus Christus als Weltenrichter. Bei Michelangelo steht er auf einer Wolke. An seinen Füßen sieht man die Wunden, wo sie die Nägel durchgeschlagen haben, als sie ihn gekreuzigt haben. Seitlich an der Brust sieht man den Lanzenstich der Soldaten. Neben Jesus ist Maria. Das alles ist vertraut. Das kenne ich auch von anderen Bildern, auf denen Jesus Christus dargestellt ist. Und doch bleibt mir dieser Christus seltsam fremd mit seinen dynamischen Handbewegungen und seinem jugendlichen Gesicht: Das soll Jesus Christus als Weltenrichter sein? Ich hatte da sonst immer einen gestrengen Christus mit Bart vor Augen, der auf seinem Thron in den Wolken sitzt.

Wie stellen wir uns Jesus Christus, wie stellen wir uns Gott als Richter vor? „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi,“ heißt es in 2. Kor 5,10. Gott als Richter- Jesus Christus selbst hat dazu eine Geschichte erzählt in Lukas 18, 2-8:

»In einer Stadt lebte ein Richter. Der hatte keine Achtung vor Gott und nahm auf keinen Menschen Rücksicht. In der gleichen Stadt wohnte auch eine Witwe. Die kam immer wieder zu ihm und sagte: ›Verhilf mir zu meinem Recht gegenüber meinem Gegner.‹ Lange Zeit wollte sich der Richter nicht darum kümmern. Doch dann sagte er sich: ›Ich habe zwar keine Achtung vor Gott und ich nehme auf keinen Menschen Rücksicht. Aber diese Witwe ist mir lästig. Deshalb will ich ihr zu ihrem Recht verhelfen. Sonst verpasst sie mir am Ende noch einen Schlag ins Gesicht.‹« Und Jesus sagt weiter: »Hört genau hin, was der ungerechte Richter hier sagt! Wird Gott dann nicht umso mehr denen zu ihrem Recht verhelfen, die er erwählt hat –und die Tag und Nacht zu ihm rufen? Wird er sie etwa lange warten lassen? Das sage ich euch: Er wird ihnen schon bald zu ihrem Recht verhelfen! Aber wenn der Menschensohn kommt, wird er so einen Glauben auf der Erde finden?«

Was für eine Geschichte, und was für ein Richter! Ich frage mich, wie man so einen schlechten Richter mit Gott vergleichen kann. Dieser Richter ist rücksichtslos, faul und korrupt. Ja, wenn man ihm Bestechungsgeschenke macht, dann kommt man bei ihm sicherlich schnell zum Ziel. Aber die Witwe in der Geschichte ist arm. Sie hat nichts, was die dem Richter geben könnte. Sie hat nur ihre Stimme. Und mit der wird sie laut, immer wieder. Es ist nicht unverschämt oder unverfroren, dass sie das macht. Sie ist auch keine bittende Witwe, wie wir in manchen Bibelüberschriften lesen. Diese Witwe fordert nur das Recht ein, das ihr zusteht. Sie will einfach nur Gerechtigkeit. Endlich Ruhe von ihrem Gegner, der sie unter Druck setzt und ihr das Leben so schwer, ja beinahe unmöglich macht. So, wie es ist, kann es nicht weitergehen für diese Frau. Sie braucht Hilfe. Und der Einzige, der ihr helfen kann, ist nun mal dieser schlechte Richter. Also kommt sie immer und immer wieder und trägt ihm ihr Anliegen vor. Ich bewundere diese Frau – ihre Geduld und Beharrlichkeit. Ich bewundere an ihr, dass sie nicht aufgibt, auch wenn es aussichtslos scheint. Und tatsächlich: Irgendwann ist der Richter so genervt von dieser Witwe, dass er ihr schließlich doch zu ihrem Recht verhilft.

Ist dieser Richter ein Bild für Gott? So ist Gott doch gar nicht! Gott hört doch die Schreie der Unterdrückten und Gequälten. Gott lässt diese Menschen doch nicht allein in ihrer Not. Ich muss nachdenken über diese Geschichte. Und ich denke auch an das viele und große Elend, dass es auf der Welt gibt. Ich denke an die vielen Menschen, die keine Hilfe bekommen. Manche haben lange darum gebetet. Aber ihre Not ist nicht weniger geworden deswegen. Was sollen wir dann tun, wenn es uns so geht, fragen die Jünger Jesus. Weiterbeten, sagt Jesus. Gott hat euch nicht vergessen. Bald wird es anders werden. Bald wird Gott für Gerechtigkeit sorgen – wenn der Menschensohn wiederkommt auf die Erde. Und bis dahin sollt ihr denen zur Seite stehen, die schwach sind und in Not geraten.

Ja, das ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen: An der Seite der Witwe zu stehen, die unbeirrt an die Ordnungen glaubt, die mutig ist im Widerstand und lautstark in ihren Forderungen. An der Seite der Witwe sollen wir stehen, die ihr Recht einfordert, und die Recht bekommen wird. Und ich denke, genau das ist es, was Lukas meint, wenn er vom Beten schreibt. Beten, das bedeutet: Das Unrecht erkennen und benennen. Sich nicht damit abfinden. Der Welt und Gott mutig entgegentreten. Beten, das bedeutet: Auf das Recht pochen, das uns zusteht – als Bewohnerinnen und Bewohner der Welt und des Reiches Gottes. Beten, das bedeutet: Gott beim Wort zu nehmen und bei seinen Zusagen; vertrauensvoll und hartnäckig, fordernd und fördernd. Denn eines Tages werden wir es erleben. Dann wird alles vollendet sein. Dann wird es Recht und Gerechtigkeit geben für alle, die Unrecht erleiden. Dann wird es einen gerechten Richter geben für die Lebenden und die Toten. Jesus Christus wird dieser Richter sein. Und vielleicht hat Michelangelo ja Recht damit, dass er sich da keinen strengen Mann mit Bart auf einem Thron vorstellt, wenn er an Christus als Weltenrichter denkt. Jesus Christus der Weltenrichter ist dann keine furchterregende Gestalt. Er ist in Bewegung. Er geht auf die Menschen zu. Er hört und versteht. Auf sein Recht und seine Gerechtigkeit können wir vertrauen, auch wenn wir es jetzt noch nicht in Vollendung sehen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

 

Liebe Gemeinde,

es ist November geworden. Die letzten Blätter an den Bäumen fallen. An die Stelle des leuchtenden Rots und Gelbs des Oktobers tritt das Grau des Novembers. Die Natur zeigt uns ihre Vergänglichkeit. Sie erinnert uns an unsere Zerbrechlichkeit und Endlichkeit. Wir gehen auf den Friedhof, richten die Gräber unserer Angehörigen und denken an die Verstorbenen. Wie es wohl ist, dort in Gottes Reich?

Manchmal sehnen wir uns danach, etwas von dem zu sehen, was für unsere Augen (noch) nicht sichtbar ist. Besonders in Krisenzeiten sehnen wir uns danach, dass es da noch mehr gibt als dieses Hier und Jetzt. Wir fragen: Wo ist Gott? Wo spüren wir etwas von seinem verheißenen Reich?

Wir hoffen angesichts des Kriegs in der Ukraine, angesichts von Terror, Ungerechtigkeit, Hunger und Menschen, die in unvorstellbarer Armut leben, dass Gott mit den Prophezeiungen wahr macht, dass Güte und Treue einander begegnen und Gerechtigkeit und Friede sich küssen werden.

Wir hoffen auf eine Welt, in der Schwerter zu Pflugscharen gemacht werden und kein Volk mehr gegen das andere das Schwert erheben wird.  

Wir sehnen uns nach einer Welt, in der Gott alle Tränen abwischen wird und der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz mehr sein werden, weil Gott alles neu macht.

Wann kommt das Reich Gottes? fragen die Pharisäer Jesus. Auch sie sehnen sich danach, dass ihre Welt neu werde. Sie sehen täglich Armut und Leid. Sie sehen Männer, die Tagelöhner wurden, weil sie die Pacht und Steuern für ihr Land nicht mehr zahlen konnten.

Sie sehen Frauen, die am Straßenrand um Brot für ihre Kinder betteln oder sich prostituieren, um überleben zu können. Sie sehen Kranke, die sich keinen Arzt oder Medizin leisten können.

Sie sehen Menschen, die sich einen Beistand wünschen, wenn sie von den Mächtigen und Reichen ungerecht behandelt werden.

»Wann kommt das Reich Gottes?«, fragen sie Jesus.

Hoffen sie auf ihn? Hoffen sie, dass Jesus das Reich Gottes bringen wird? Ist er der erwartete Messias? Wird er die Römer durch die Macht Gottes aus dem Land jagen? Wird er Gerechtigkeit, Frieden und Mitmenschlichkeit schaffen?

»Wann kommt das Reich Gottes?«, fragen sie Jesus.

Hören Sie den Predigttext für den heutigen drittletzten Sonntag des Kirchenjahres aus Lukas 17, 20–30.

Wann kommt das Reich Gottes? Wann kommt die Zeit, in der Gott das Sagen hat und nicht die Reichen und Mächtigen dieser Welt? Wann kommt die Zeit, in der alle nach der Thora und den Geboten Gottes leben? Wann werden sie ernsthaft befolgt?

Der Frage nach dem »Wann« weicht Jesus aus. Niemand weiß die Stunde. Er weiß, dass manche denken: Was wir heute sehen und erleben, sind doch eindeutige Zeichen dafür, dass es kurz bevorsteht! Jesus sagt: »Nein, es gibt keine äußeren Zeichen. Keiner kann sagen: Da oder dort ist es. Keiner kann ausrechnen, wann die Welt der Willkür untergeht.«

Stattdessen sagt er, wo es ist: »Seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.«

Ich stelle mir vor, wie die Pharisäer den Kopf schütteln.

Mitten unter uns? Das wüssten wir! Dann sähe doch unsere Welt ganz anders aus. Erlöster, befreiter, glücklicher könnten wir leben. Sie drehen sich enttäuscht um. Andere unter ihnen sehen Jesus fragend an, denken nach, nicken: Sie haben davon gehört, dass Jesus gerade erst zehn Aussätzige geheilt hatte. Die Aussätzigen vegetierten auf ihren Tod zu. Es gab keine Medizin, die sie hätte heilen können. Sie waren ausgegrenzt, isoliert, hatten keinen Kontakt zu ihren Familien. Sie hatten keine Hoffnung auf Besserung – auf Zukunft und Leben. Und nun hatte dieser Jesus sie geheilt. Ja, nicken sie,

ihnen wurde das Leben neu geschenkt. Und einer von ihnen, der hat erkannt, welch großes Wunder an ihm geschehen ist und lobte Gott mit lauter Stimme. Ihm war es, als ob der Himmel auf die Erde und mitten in sein Leben kommt – Gottes Reich mitten unter den Todgeweihten.

»Seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.« Ich vermute, dass die Jünger innerlich zustimmten, als sie Jesus so reden hörten. In dem, was Jesus tat und sagte, ist für sie Gottes Reich schon angebrochen. Durch Jesus haben sie die Liebe Gottes erfahren. Sie erlebten einen Gott, der sie alle annimmt, so wie sie sind – mit ihren Macken, ihrer Schuld und Unvollkommenheit. Ja, mit Jesus ist das Reich Gottes zu ihnen gekommen. Das haben sie erlebt.

Er wird wiederkommen zu richten die Lebenden und die Toten – so haben wir es im Glaubensbekenntnis eben gesagt.

Doch was sagt Jesus jetzt zu ihnen? Es wird die Zeit kommen, da werdet ihr euch danach sehnen, den Menschensohn zu sehen – aber ihr werdet ihn nicht sehen können. Diese Zeit müsst ihr aushalten. Fallt nicht rein auf falsche Propheten.

Und seid bereit, wenn der Menschensohn kommen wird.

Wie ein Blitz, der aufblitzt und quer über den ganzen Himmel leuchtet, wird er kommen.

Wie ein Blitz: Unübersehbar und kraftvoll wird er diese Welt verwandeln, so wie damals, als die Sintflut kam und alles Böse unterging und Gott mit seiner Menschheit nochmals ganz neu anfing, wie damals, als in Sodom Lavaströme die Sünder vernichteten, damit eine neue, bessere Welt entstehen kann.

Was Jesus da sagt, wirkt auf uns vermutlich bedrohlich und unangenehm. Mit den Geschichten von Sintflut und Sodom kam das Gericht Gottes über die Welt: Menschen mussten für ihre Taten und Untaten geradestehen und die Konsequenzen tragen.

Vorstellungen vom Gericht sind auch mit dem Kommen des Reiches Gottes und den Tagen des Menschensohns verbunden. Jesus ist der Richter, der kommen wird.

»Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten«, bekennen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis.

Jesus will mit der Vorhersage des Gerichts seine Freunde jedoch nicht in Angst und Schrecken versetzen.

Ganz im Gegenteil: Er will sie ermutigen, dranzubleiben an Gott, an ihrem Glauben.

Wenn solche Zeiten kommen, in denen das Leben bedroht ist von Sintflut und Feuer, von Krieg und Pandemie, ruft Jesus uns auf, bei Gott Halt und Hilfe zu suchen. Hofft auf sein Reich, das jetzt schon mitten unter euch ist. Eines Tages wird unsere Welt ganz und gar verwandelt werden. Spüren auch wir etwas von Gottes Reich mitten unter uns?

Wo Menschen sich einander verzeihen – da ist das Reich Gottes. Wo die Liebe den Hass besiegt, ist das Reich Gottes. Wo Menschen mit ihren Begabungen anderen Menschen dienen – Reich Gottes. Wo wir in unseren Gemeinden zulassen, dass Neues wachsen kann und einander vertrauen- Reich Gottes. Und wenn wir nachher gemeinsam Abendmahl feiern, dann erleben wir auch ein Stück Reich Gottes.

Wir sind Mitarbeitende Gottes an seinem Reich

Wann kommt das Reich Gottes?

Wann kommen die Tage des Menschensohns?

Jesus ist auf unsere Welt gekommen. Er hat uns eine Ahnung vom Gottes-Reich gegeben, indem er Menschen geheilt und versöhnt hat, eine zweite Chance und einen Neuanfang geschenkt hat.

Eines Tages wird er wiederkommen Er wird unsere Welt vollkommen verwandeln und Gottes Reich aufrichten. Es wird ein Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit sein.

Bis dahin ist es uns aufgetragen, an Gottes Reich mit zu-bauen. Wir sind berufen, Mitmenschen zum Leben zu helfen. An uns liegt es, für Frieden,

Gerechtigkeit und die Bewahrung unserer Schöpfung einzutreten.

Wir sind berufen, unsere Hoffnung weiterzusagen:

Gottes Reich ist mitten unter uns – Gott ist mitten unter uns. Amen.

Prädikantin Heike Kohler, Schura

 

 

 

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20. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zur Kirchturm- Einweihung am Vortag des Reformationsfestes, 30. Oktober 2022

 

Psalm 46, 2-12: Gott ist für uns eine starke Zuflucht. In höchster Not steht er uns bei. Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Fundamente der Erde schwanken und die Berge mitten im Meer wanken. Sollen die Wellen doch toben und schäumen und die Berge vor seiner Majestät beben! Frisches Wasser strömt durch die Kanäle zur Freude der Menschen in Gottes Stadt. Dort hat der Höchste seine heilige Wohnung. Gott ist in ihrer Mitte, darum wird sie nicht wanken. Gott wird ihr helfen, wenn der Morgen anbricht! Völker toben, Königreiche wanken! Lässt Gott seine Donnerstimme erschallen, schwanken sogar die Fundamente der Erde: Der Herr der himmlischen Heere ist mit uns. Der Gott Jakobs ist für uns eine feste Burg. Kommt und schaut die Taten des Herrn! Er versetzt die Erde in Furcht und Schrecken. Auf der ganzen Welt macht er den Kriegen ein Ende. Den Bogen zerbricht er, den Speer zerschlägt er und Streitwagen verbrennt er mit Feuer. Hört auf zu kämpfen und erkennt: Ich bin Gott! Ich stehe über den Völkern, ich stehe über der Welt. Der Herr der himmlischen Heere ist mit uns. Der Gott Jakobs ist für uns eine feste Burg. 

 

Liebe Mitchristen!

 

„Ein feste Burg ist unser Gott.“ So dichtete Martin Luther in Anlehnung an Psalm 46 in seinem bekannten Kirchenlied. Haben sich die Übersetzer der Basisbibel vielleicht von diesem Kirchenlied inspirieren lassen, wenn sie den Psalm 46 mit den Worten enden lassen: „Der Gott Jakobs ist uns eine feste Burg“? Martin Luther selbst hat hier übersetzt: „Der Gott Jakobs ist unser Schutz.“ Und doch: „Ein feste Burg“ – das macht anschaulich, was mit „Der Gott Jakobs ist unser Schutz“ gemeint ist. Brauchen wir nicht alle solche Anschauungsobjekte? Hat der Glaube nicht doch auch etwas mit Architektur zu tun – damit, ob ein Gebäude eine „feste Burg“ ist, oder ob es ins Wanken gerät?

 

Im Kirchengemeinderat haben wir uns solche Fragen gestellt, als es um unseren Kirchturm ging. Steine sind vom Turm heruntergefallen im Winter 2019/ 2020. Die Natursteinfassade war porös. Innen im Turm war es dadurch nass, und das hat bei Frost Schäden verursacht. Damit niemand zu Schaden kommt durch herunterfallende Steine haben wir im Frühjahr 2020 ein Gerüst stellen lassen. Aber wie nun weiter? Es war klar: Das wird eine richtig teure Sanierungsmaßnahme; wenn wir den Turm erhalten wollen, braucht er eine neue Außenverkleidung. Aber wollen wir das überhaupt? Auch diese Frage haben wir uns im Kirchengemeinderat gestellt, ohne Denkverbote: Wollen wir für ein Gebäude so viel Geld ausgeben – 214.000 €? Ist es das wert? Wozu brauchen wir eigentlich einen Kirchturm; geht es nicht auch ohne?

 

„Ein feste Burg ist unser Gott“, heißt es in dem Lied von Martin Luther in Anlehnung an Psalm 46. Gott ist es, an dem wir uns festmachen sollen, nicht irgendein Gebäude, so sagen es uns diese Worte. Allein der Glaube. Allein die Bibel, unsere heilige Schrift. Allen Gottes Gnade, die er uns schenkt. Das allein zählt. So hat es Martin Luther auf den Punkt gebracht. Gott ist es, an dem wir uns festmachen sollen. Er ist unsere feste Burg. Er ist unsere starke Zuversicht. Diese Worte aus Psalm 46, dieses Kirchenlied, das Martin Luther daraus gedichtet hat, das alles sind Worte, die hineingesprochen sind in unsichere Zeiten – in Zeiten, in denen Vieles ins Wanken gekommen ist.

 

Wir schreiben das Jahr 702 vor Christus. Der assyrische Großkönig Sanherib greift Jerusalem an. Wie durch ein Wunder wird die Stadt gerettet. Der Angriff des feindlichen Aggressors aus dem großen Nachbarland misslingt. Aber die Bedrohung bleibt. Andere Gebiete hat dieser Aggressor seinem Großreich schon einverleibt. Im Nordreich Israel ist er mit seinen Truppen einmarschiert und hält das Land besetzt. Nur das Südreich mit der Hauptstadt Jerusalem hat sich seine Eigenständigkeit bewahren können. Leben unter militärischer Bedrohung. Hilflos mit ansehen müssen, wie ganz in der Nähe Gebiete mit Gewalt besetzt werden, wie die dortige Bevölkerung missbraucht, gequält und getötet wird. Das alles kommt uns in der heutigen Zeit wieder erschreckend bekannt vor, Gott sei’s geklagt.

 

Aber der Psalm 46 hält trotzig dagegen: Gott ist unsere Zuflucht. Gott ist unsere feste Burg. Wenn auch alles um uns herum ins Wanken gerät – Gott ist da. Wir brauchen keine Angst zu haben. Wir dürfen fröhlich sein in unserer Stadt, an unserem Ort, an dem wir leben. Wir dürfen genießen, was es da an Schönem gibt: Brunnen und Wasserläufe, wie der Psalm sie beschreibt; die Gebäude und die Menschen, die sie mit Leben füllen. Ja, auch die Feste, die wir feiern. Denn Gott beschützt uns. Gott will, dass die Kriege aufhören, dass das Morden und Vergewaltigen ein Ende hat. Irgendwann wird es so weit sein. Dann wird Gott die Waffen alle kaputt machen. Irgendwann kommt sie, die Abrüstung. Irgendwann kommt das Frieden Schaffen ohne Waffen, von dem wir jetzt gerade nur träumen können. Ja, wir wollen nicht aufhören, davon zu träumen. Und wir wollen jetzt schon anfangen, diesen Traum zu leben. Wir wollen Zeichen setzen für eine friedlichere Welt – für eine Welt, in der Gott einen Platz hat.

 

Es wäre nicht das richtige Zeichen, unseren Kirchturm aufzugeben. So haben wir es im Kirchengemeinderat beschlossen. „Finger Gottes“ – so hat Marcel Proust die Kirchtürme genannt. Kirchtürme sind das Zeichen dafür, dass es etwa gibt, das höher ist als wir. Dafür, dass nicht wir Menschen das letzte Wort haben sollen. Sondern dass wir uns an Gott und seinem Willen orientieren sollen. Bei dieser Orientierung helfen uns die Kirchtürme – wie ein Finger, der nach oben zeigt: Zum Himmel, zu Gott. Traurig wäre es, wenn wir uns Wehingen ohne seine drei Kirchtürme vorstellen müssten. Und bedrückend still wäre es in Wehingen, wenn wir nicht immer wieder im Tageslauf den Klang der Kirchenglocken hören würden – einen Klang, der uns dazu einlädt, im Alltag innezuhalten und unsere Gedanken nach oben zu richten, hin zu Gott, dem wir alles verdanken, was wir haben und was wir sind.

 

Ja, es ist viel Geld, das wir für die Sanierung unseres Kirchturms in die Hand genommen haben. Aber viele Menschen haben uns dabei unterstützt und für unseren Kirchturm gespendet. Diesen Unterstützern möchte ich meinen ganz besonderen Dank aussprechen. Sie haben uns geholfen, diese finanzielle Herausforderung zu stemmen. Und sie haben uns gezeigt: Da sind viele Menschen – in unserer Kirchengemeinde und weit darüber hinaus – denen unser Kirchturm wichtig ist. Möge er auch weiterhin ein Zeichen dafür sein, dass Gott für uns da ist, dass Gott uns durch die Zeiten begleitet, durch die guten und durch die schwierigen. Denn auf Gott können wir uns verlassen. Gott ist unsere starke Zuflucht. Ein feste Burg ist unser Gott.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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18. Sonntag nach Trinitatis

 

Predigt zur Konfirmanden- Vorstellung am Sonntag, 16. Oktober 2022

Offenbarung 21. 1-6: Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr da. Und ich sah die heilige Stadt: das neue Jerusalem. Sie kam von Gott aus dem Himmel herab –für die Hochzeit bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her rufen: »Sieh her: Gottes Wohnung ist bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein. Gott selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein. Er wird jede Träne abwischen von ihren Augen. Es wird keinen Tod und keine Trauer mehr geben, kein Klagegeschrei und keinen Schmerz. Denn was früher war, ist vergangen.« Der auf dem Thron saß, sagte: »Ich mache alles neu.« Und er fügte hinzu: »Schreib alles auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr.« Dann sagte er zu mir: »Es ist geschehen! Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich werde dem Durstigen Wasser geben, das aus der Quelle des Lebens fließt. Ich gebe es ihm umsonst.

 

Liebe Mitchristen!

„Leben nach dem Tod.“ Dieses Thema haben die Konfirmanden sich ausgewählt für ihren Begrüßungsgottesdienst. Da kann man sich fragen: Ist das nicht doch zu ernst als Thema? Passt das zu diesem Gottesdienst? Es ist doch ein fröhlicher Anlass. Schön, dass ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden da seid und euch hier in der Gemeinde auf eure Konfirmation vorbereitet. Wir freuen uns mit euch und über euch! „Leben nach dem Tod“ – passt dieses Thema zu euch Konfirmandinnen und Konfirmanden? Für euch fängt das Leben doch erst so richtig an. Ihr habt die Kindheit hinter euch gelassen. Und jetzt startet ihr durch, in euer Leben. Der Konfirmandenunterricht und die Konfirmation, das ist so ein Schritt auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Das Leben liegt vor euch, und doch fragt ihr danach: Wie geht es nach diesem Leben einmal weiter? Es ist eine Frage, die uns alle beschäftigt, egal wie alt wir sind. Manchmal beschäftigt uns diese Frage jahrelang gar nicht. Und dann gibt es Zeiten und Jahre, da geht uns diese Frage so nahe, dass wir sie nicht zur Seite schieben können. Das ist immer dann so, wenn jemand gestorben ist, ein lieber Mensch, der für uns sehr wichtig war. Dann fragen wir uns: Wo ist dieser Mensch jetzt? Wie geht es ihm? Muss er jetzt nicht mehr leiden? Geht es ihm jetzt besser?

Als Jesus am Kreuz stirbt, verspricht er dem Schwerverbrecher, der neben ihm gekreuzigt wird: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23, 43) Und Paulus sagt: „Wir sind Bürger des Himmels.“ (Phil 3, 20) Dort ist unsere eigentliche Heimat, dort in Gottes neuer Welt. Jesus Christus ist dort. Wir werden einen neuen Körper bekommen. Es wird alles gut werden dort. So sagt es uns der Apostel im Philipperbrief. Ja, auch der Himmel und die Erde werden dann neu sein, sagt uns das Buch der Offenbarung. Gott wird unser Nachbar sein und gleich nebenan wohnen. Und er wird alle unsere Tränen abwischen, so dass alles Leid ein Ende hat.

Alles wird gut. Wir kommen aus dem Dunkel ins Licht. So ist es auch dargestellt auf dem Bild, das der Künstler Hieronymus Bosch gemalt hat einige Jahre vor der Reformation.  „Der Aufstieg in das himmlische Paradies“ heißt das Bild. Nackte Körper sind schemenhaft zu sehen. Unten rechts wartet einer in der Finsternis; ein anderer Körper steht in einer Art Tunnel, neben ihm – an Flügeln erkennbar – ein Engel; einen weiteren sieht man am Ende des Tunnels im Licht stehen. Dort erwartet ihn offenbar jemand: man sieht einen Arm, der ihn heranwinkt. Diese Personen ohne Flügel, das sind auf dem Bild von Hieronymus Bosch die Verstorbenen, die in den Himmel kommen. Diese Toten haben einen Körper – wie anders sollte man sie auch malen können? Aber es ist nicht zu erkennen, ob sie männlich oder weiblich sind, ob sie alt oder jung verstorben sind, ob sie krank waren oder behindert. Hieronymus Bosch malt, was in der Bibel steht. Er malt den Verstorbenen einen neuen Körper – nicht nur weil man sie sonst nicht malen könnte, sondern weil die Verstorbenen nach dem Tod einen neuen, einen unvergänglichen Körper bekommen. So haben wir es heute auch in der Lesung gehört: „Jesus Christus wird unseren unvollkommenen Körper seinem eigenen Körper gleichmachen, der Gottes Herrlichkeit widerspiegelt.“ (Phil 3, 21) Wir sind auch nach dem Tod ganze Menschen, mit Leib und Seele. Wir werden Gesichter haben, an denen Gott unsere Tränen abwischt. Wir werden eine Wohnung haben, die neben der Wohnung von Gott liegt. Wir werden Augen haben, mit denen wir das himmlische Jerusalem sehen.

Hieronymus Bosch malt die Reise der Verstorbenen in den Himmel: Sie gehen alle auf ein großes Licht zu. Fast scheint es, als würden sie angezogen von diesem Licht, als schwebten sie darauf zu. Ganz leicht sieht das aus. Am Ende werden sie erwartet. „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein,“ sagt Jesus Christus. Er sagt das zu einem Schwerverbrecher, der wegen seiner schlimmen Taten am Kreuz stirbt. Damit sagt uns Jesus: Wir werden erwartet, und niemand wird abgewiesen. Wer bei Gott ist, ist nicht tot. Unsere Lieben sind bei Gott, beim „Vater unser im Himmel“.

Hieronymus Bosch malt, was kein Mensch wissen kann: was nach dem Tod sein wird. Aber das, was er malt, haben doch manche Menschen auch schon so erfahren: Menschen, die dem Tod schon sehr nahegekommen waren. Sie erzählen von sogenannten Nahtoderfahrungen: Sie waren nach einem Unfall oder einer Operation schon „klinisch tot“, wurden dann aber wieder belebt, sozusagen zurück geholt ins Leben. Erstaunlich ist, dass das, was sie davon erzählen, in vielen Einzelheiten gleicht:  Sie berichten von einer „außerkörperlichen Erfahrung: Sie konnten sich selbst sehen und die Ärzte und Menschen, um sie herum; konnten Dinge beschreiben oder hören aus dem OP-Saal, die sie unmöglich wissen konnten: Sie sehen bereits verstorbene Verwandte und Freunde, die sie abholen. Sie hatten das Gefühl, in einem Tunnel zu sein und auf ein großes Licht zuzugehen. Sie spürten ein nie gekanntes Gefühl großen Friedens oder überwältigender Liebe und Geborgenheit. Diese Erfahrung war so schön, dass die meisten davon berichten, sie wären gern geblieben. Zurück im Leben haben sie keine Angst mehr vor dem Tod. Manche ändern ihr Leben, wechseln den Beruf, setzen sich für andere ein. Bei einer Umfrage im Jahr 2000 gaben 4 Prozent der Befragten an, eine sogenannte Nahtoderfahrung gemacht zu haben. Wenn man das hochrechnet, wären das 3 Millionen Deutsche – also eine ganze Großstadt. Nicht alle diese Menschen werden daraufhin religiös oder gar christlich. Viele reden auch nicht darüber, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden.

Auch die Hirnforschung hat ihre Erklärungen für diese außergewöhnliche Erfahrung: Durch den Sauerstoffmangel im Gehirn werden Botenstoffe ausgeschüttet, die Glücksgefühle und Halluzinationen erzeugen – auch die Vorstellung, durch einen Tunnel zu gehen oder ein helles Licht zu sehen. Auch so lässt sich einordnen, was diese Menschen erzählen – Menschen, die ganz nah dran waren am Tod, aber eben doch nicht ganz tot waren. Ihre Erzählungen können uns helfen bei der Frage: Was kommt nach dem Tod? Aber eine eindeutige Antwort darauf können sie uns nicht geben.

Wir können es nicht wissen, was uns nach dem Tod erwartet. Wir können nur glauben, was uns in der Bibel von Gott versprochen ist: Nach dem Dunkel des Todes sind wir bei Gott in seinem Licht. Und auf dem ganzen Weg vom Dunkel ins Licht sind wir von Engeln begleitet. So hat es Hieronymus Bosch gemalt auf seinem Bild. Er hat dieses Bild aus seinem christlichen Glauben gemalt. Es ist ein Bild, das zu unserer christlichen Hoffnung passt. Diese christliche Hoffnung wollen wir miteinander leben in unserer Gemeinde. Schön, wenn Menschen dazukommen, die das auch wollen! Schön, dass ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden auch dabei seid. Wir werden nicht auf alle eure Fragen eine Antwort haben. Aber wir wollen miteinander nach Antworten suchen auf die Fragen, die uns bewegen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer