Predigt vom Sonntag, 9. Februar 2025
Liebe Mitchristen!
Als mein Sohn klein war, hat er von jemandem aus der Kirchengemeinde eine Fahrradklingel geschenkt bekommen, auf der stand: „Gott hört mich.“ Pfarrerskinder haben es nicht leicht. Die Eltern sind viel unterwegs und mit anderem beschäftigt. Da haben sie manchmal nicht viel Zeit, um ihren Kindern zuzuhören. Mit dieser Begründung hat der Schenkende mir damals erklärt, warum er gerade dieses Geschenk für meinen kleinen Sohn ausgewählt hat: Wenn die Eltern ihm schon nicht zuhören, dann soll er sich jedenfalls darauf verlassen können, dass Gott ihm zuhört. Ein bisschen dreist fand ich dieses Geschenk ja schon: Eine Fahrradklingel mit dem Spruch: „Gott hört mich.“ Aber aus der Perspektive des Kindes macht sie sicherlich Sinn: Da kann ich damit klingeln und auf mich aufmerksam machen, wenn die Erwachsenen sonst nicht auf mich hören, weil sie mit anderem beschäftigt sind.
Diese kleine Anekdote ist nun 20 Jahre her. Die Fahrradklingel gibt es längst nicht mehr, und auch das Kinderfahrrad nicht, an dem wir sie angebracht hatten. Mein Sohn ist inzwischen erwachsen. Aber das Geschenk ist mir in Erinnerung geblieben- gerade weil es so dreist war. Da hat sich jemand getraut, mich darauf aufmerksam zu machen: Pass auf, dass du bei all den Verpflichtungen, die du hast, nicht das Wichtigste vergisst: Auf die leisen Stimmen zu hören. Für die Menschen da zu sein, die dich wirklich brauchen- deine Kinder, deine Familie, die Menschen ganz in deiner Nähe. Lass dich nicht verrückt machen von all dem, was auf dich einströmt: Erwartungen, die an dich gestellt werden. Manche sind überzogen und gar nicht erfüllbar. Die Schreckensnachrichten aus aller Welt. Lass dich nicht lähmen von ihnen. Du hast deine Aufgabe im Hier und Jetzt. Einen kleinen Teil kannst du dazu beitragen, dass die Welt ein bisschen menschlicher wird: Höre auf die leisen Töne. Höre auf Gottes Stimme. Er hat einen Auftrag für dich. Und du darfst sicher sein: Gott hört auch dich. Gott lässt dich nicht allein.
Auf die leisen Töne hören. Achten auf die Zeichen, die Gott uns gibt. Neugierig bleiben wie ein Kind, das die Welt verstehen will. Das können wir von Mose lernen, wie die Bibel von ihm erzählt in 2. Mose 3. Dort geht Mose seinem Alltagsgeschäft nach und hütet die Schafe seines Schwiegervaters, wie jeden Tag. Aber an diesem Tag ist etwas anders als sonst: Da hinten brennt ein Busch. Das kommt öfter vor dort in der Wüste, wo Mose unterwegs ist. Aber trotzdem- hier passiert etwas Besonderes, denn dieser Busch brennt und brennt, aber er verbrennt nicht. Na und? Mose hätte weiterziehen können mit seinen Schafen. Das tut er aber nicht. Mose lässt sich herausrufen aus seinem Alltag. Wie das leise Klingeln einer Fahrradklingel, so hat dieser brennende Busch seine Aufmerksamkeit angezogen: Gott hört mich. Ja, Gott gibt es wirklich. Gott ist da- ganz nah. An diesem brennenden Busch mitten in der einsamen Wüste wird es für Mose erfahrbar und begreiflich. So greifbar nahe ist Gott für Mose, dass er seine Schuhe auszieht- denn der Boden, auf dem Mose steht, der kommt ihm auf einmal heilig vor.
Auf die leisen Töne hören, Gottes Stimme heraushören, und dabei sicher sein: Gott hört mich. In der biblischen Geschichte sagt Gott zu Mose: „Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.“ Ja, Gott hört gerade die leisen Stimmen. Das Weinen der Kinder. Das Seufzen der Mütter in den Kriegs- und Katastrophengebieten dieser Welt, wo sie nicht wissen, wie es weitergehen soll, wenn die Lebensmittelhilfen aus Amerika jetzt eingestellt werden. Das Stöhnen der Gequälten, Unterdrückten und Ausgebeuteten. Kein Flüchtling, der auf dem Mittelmeer ertrinkt, ist bei Gott vergessen. Gott ist da- auch in den Flüchtlingsbaracken und Lagern in unserer Zeit. Und Gott will, dass es Abhilfe gibt. Gott will, dass den Elenden geholfen wird. Zu Mose sagt er in unserer Geschichte: „Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.“ (2. Mose 3, 9-10) Mose erlebt diesen göttlichen Auftrag als Zumutung und antwortet: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?“ (2. Mose 3, 11) Ja, wer bin ich? So können wir uns auch heute fragen. Ich kann doch nicht die Welt retten. Soll ich mich bei den Mächtigen dieser Welt für Frieden einsetzen? Ich bin doch nur ein kleines Licht. Was verlangst du von mir, Gott? Diese Aufgabe ist mir zu groß.
Ich denke an die vielen tausend Menschen, die in diesen Tagen für Demokratie und gegen den Rechtsruck in unserer Gesellschaft auf die Straße gegangen sind. Menschen, die sich nicht damit zufrieden geben, dass sie ja doch nichts machen können gegen das Erstarken der AFD, die in unserem Land wieder Menschen ausgrenzen will wegen ihrer Herkunft oder ihrem Aussehen. Für mich zeigen diese Demonstrationen: Wir können etwas tun. Wir können uns einsetzen für Menschenwürde und Menschenrechte, für Freiheit und Demokratie. „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe?“ fragt Mose. Und Gott antwortet ihm: „Ich will mit dir sein.“ (2. Mose 3, 12)
Ja, Gott hört. Er hört gerade auch die leisen Stimmen, die von uns oft überhört werden. Und Gott schaut nicht nur zu von ganz weit oben im Himmel. Nein, Gott lässt sich anrühren von Leid seiner geliebten Menschen. Gott kommt herunter auf die Erde. Gott wird ein Mensch wie wir, und nimmt alles auf sich- Sünde, Leid und Tod. Am Kreuz hat Jesus Christus das alles für uns überwunden. In der Mose- Geschichte sagt Gott zu Mose: „Ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Land hinaufführte in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt.“ (2. Mose 3, 8)
Gott fährt nicht mit Gewalt drein. Gott schickt uns Menschen. Zu den Israeliten in Ägypten schickt er Mose, um sie in die Freiheit zu führen. Aber wie soll Mose den Israeliten in Ägypten erklären, dass Gott ihn geschickt hat? Wie kann man Gott erklären? „Sag mir deinen Namen.“ Das ist Moses Bitte an Gott. Eine sehr grundsätzliche Bitte, und sehr schwer zu erfüllen. Denn Gott lässt sich nicht erklären und von Menschen nie völlig begreifen. Gott übersteigt unser menschliches Vorstellungsvermögen. Aber Gott lässt Moses Bitte nicht unbeantwortet. Gott nennt Mose seinen Namen. Im hebräischen Urtext stehen dort nur vier Buchstaben: JHWH. Vokale werden ja nicht geschrieben im Hebräischen. „Der Unaussprechliche, der Ewige“ – so umschreiben unsere jüdischen Glaubensgeschwister den Namen Gottes, der von ihnen aus Ehrfurcht nicht ausgesprochen wird. „Ich werde sein, der ich sein werde.“ „Ich bin, der ich bin.“ „Ich bin da.“ Oder: „Ich bin für euch da.“ So lässt sich dieser Gottesname am ehesten übersetzen. Klar ist: Diese vier Buchstaben JHWH kommen nicht von einem Substantiv her, sondern von einem Verb: von dem Wort „sein“. Das ist wichtig und richtig- denn fassen können wir Gott nur in dem, was er tut: hören, herabkommen, beauftragen, beistehen. Das alles tut Gott in der Geschichte von Mose. Und das tut er auch noch heute, auch für uns.
So wie es auf der kleinen Kinder- Fahrradklingel geschrieben stand, die mein Sohn vor langer Zeit geschenkt bekommen hat: „Gott hört mich.“ Das gilt- so wie damals, so auch heute. Es gilt für uns alle. Hören wir also auf die leisen Töne. Hören wir, was Gott uns zu sagen hat in unserer Zeit. Lassen wir uns ansprechen und ermutigen von Gott. Damit wir die Welt zum Guten verändern können- und wenn es auch nur wenig erscheint, was im Rahmen unserer Möglichkeiten ist. Denn Gott hat es versprochen: „Ich bin für euch da.“
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer