Kategorien
Gedanken zum Sonntag

8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum Sonntag 21.07.2024

 

Liebe Mitchristen!

 

Fällt es Ihnen leicht, morgens in aller Frühe aus dem Bett aufzustehen, wenn es noch dunkel ist und die anderen noch schlafen? Im Dunkeln aufstehen, das tun wir meistens nicht aus eigenem Antrieb. Wir tun das, wenn wir unserer Pflicht nachkommen müssen- zur Arbeit gehen oder in die Schule. „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten!“ So heißt es in der Bibel in Eph 5,14. Manchmal kam es mir auch so vor, wenn ich an einem dunklen Herbstmorgen frühmorgens um 6 Uhr meinen Sohn wecken wollte, bei dem es am Vorabend wieder mal spät geworden war: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten!“ Mein Sohn ist inzwischen erwachsen und stellt sich selbst seinen Wecker. Und ich bin froh, dass ich in der Regel nicht mehr ganz so früh raus muss.

 

Einmal sind wir alle zusammen so früh aufgestanden, meine Söhne und ich- mitten im Urlaub. Wir waren in Spanien, in der Nähe von Valencia. Meistens wollten wir da lieber ausschlafen. Aber an einem Urlaubsabend hatten wir die Idee: Morgen stehen wir mal ganz früh auf, wenn es noch dunkel ist. Dann gehen wir zum Strand und schauen uns den Sonnenaufgang am Meer an. Am nächsten Morgen ließen wir also den Wecker klingeln. Zum Glück geht in Spanien die Sonne später auf als bei uns. Im Hotel konnten wir als erst noch frühstücken- zusammen mit denen, die auch dort früh aufstehen, um ihrer Pflicht nachzukommen: Menschen, die beruflich unterwegs waren und in der Hotelbar in Arbeitskleidung ihren Kaffee tranken.

 

Für uns war das ein sehr besonderer Start in diesen Urlaubstag. Von Urlaubsatmosphäre war da zunächst einmal nichts zu spüren. Draußen im Dunkeln war es fast menschenleer. Nur eine Frau, die gerade ihren Hund ausführte, haben wir getroffen. Alles wirkte grau in grau in der düsteren Morgendämmerung: Graue Straßen, graue Häuser, grauer Strand, grauer Himmel, graues Meer. Aber dann kam langsam Farbei in die graue Welt: Hinten am Horizont der erste rötliche Schimmer: Die Sonne geht auf. Sie bringt Licht und Farbe in unsere Welt. Und wir haben es nicht bereut, dass wir an diesem Urlaubsmorgen so früh aufgestanden sind.

 

Von der Dunkelheit ins Licht zu kommen, das ist eine großartige Erfahrung. An diesem Urlaubsmorgen haben wir das ganz bewusst erlebt. Von der Dunkelheit ins Licht- das erfahren wir jedem Morgen neu. Ja, auch dann, wenn mal nicht die Sonne scheint. Selbst an bewölkten Tagen steht die Sonne hinter den Wolken und bringt Licht in unsere Welt und unser Leben. „Ihr wart früher Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ So heißt es in Eph 5,8. Dieses Bibelwort erinnert uns daran, wer das Licht unseres Lebens ist: Jesus Christus. Er bringt Licht und Hoffnung in unser Leben. Auch in die dunklen Ecken scheint das Licht von Jesus Christus; auch dorthin, wo es unaufgeräumt ist in unserem Lebenshaus. Auch dorthin, wo wir manches lieber unter den Teppich kehren würden.

 

Aber: Im Lichte Jesu Christi habe ich den Mut, auch das anzuschauen, was schief gelaufen ist in meinem Leben- meine Schuld und mein Versagen. Das alles kommt ans Licht. Zunächst einmal lässt mich das vielleicht erschrecken: Das will ich nicht. Das ist mir peinlich. Meine Schwächen und Fehler, meine dunklen Seiten, das soll doch niemand sehen. Und jetzt steht das alles voll im Licht! Aber dann, wenn dieses erste Erschrecken überwunden ist, dann ist es einfach nur noch befreiend: Endlich ist Schluss mit dem Versteckspiel. Endlich muss ich nicht mehr so tun, als ob alles immer glatt läuft bei mir. Endlich muss ich die dunklen Seiten meines Lebens nicht mehr unter den Teppich kehren. Denn unter den Teppich kehren, das ist richtig anstrengend. Die Kraft, die ich dafür aufgewendet habe, die kann ich jetzt für andere Aufgaben verwenden, wo sie viel sinnvoller eingesetzt ist.

 

„Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ (Eph 5,9) Wenn wir das so leben, dann lassen wir die Sonne rein in unsere Welt- egal ob es regnet oder schönes Wetter ist. Wenn wir die Güte leben- das bedeutet: Dass wir die Menschen, die uns begegnen, mit den Augen der Liebe ansehen. Ja, auch den Nachbarn, der uns so seltsam vorkommt. Auch die Kollegen, die das alles ganz anders machen wollen als wir. Auch die, mit denen wir nicht können. Seien wir gütig ihnen gegenüber. Sehen wir sie mit den Augen der Liebe. Seien wir auch gütig zu uns selbst. Denn für uns alle ist Jesus Christus gestorben und auferstanden.

 

Leben wir die Güte. Aber Güte allein genügt nicht. Es braucht auch Gerechtigkeit. Seien wir also fair. Geben wir jedem eine Chance. Machen wir keine künstlichen Unterschiede auf zwischen den Menschen. Ob Hautfarbe, Sprache oder Geschlecht- Gott hat nicht gewollt, dass wir die Menschen in Schubladen, Kategorien oder Raster einteilen. Gott hat alle Menschen geschaffen. Seien wir menschlich und fair zu allen. Und setzen wir uns lautstark zur Wehr, wenn Menschen ungerecht behandelt werden, diskriminiert oder unterdrückt.

 

Aller guten Dinge sind drei: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Wahrheit- das erscheint zunächst einmal einfach, ja beinahe selbstverständlich. Natürlich lebe ich die Wahrheit. Ich lüge niemanden an. Aber so einfach ist es nicht. Die Wahrheit leben, das heißt heute auch: Nicht allen einfachen Antworten Glauben schenken. Nicht allen starken Männern oder Frauen hinterherlaufen, die einem das Denken abnehmen wollen. Leben wir die Wahrheit, und haken wir lieber nochmal nach: Ist diese Nachrichtenquelle wirklich seriös, oder sind das Fake News? Dient das dem Leben, was hier als der richtige Weg propagiert wird, oder werden da Menschen ausgegrenzt und abgewertet?

 

Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit- diese drei sind wichtig. Diese drei brauchen wir. Darauf sollten wir unser Leben ausrichten. Eine große Aufgabe ist das. Aber eine Bürde sollte das nicht sein für uns, sondern eine Freude. Denn nicht aus uns selbst heraus müssen wir das alles hinkriegen. Es kommt von Jesus Christus. Er lässt sein Licht scheinen in unser Herz. Seine Auferstehung lässt uns auferstehen: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ (Eph 5, 14) Wir dürfen leben im Licht von Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Das ist, wie wenn die Sonne aufgeht an einem sommerlichen Urlaubsmorgen. All das Grau in Grau ist auf einmal weggewischt, und wir stehen im goldenen, hellen Licht.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

7. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum Sonntag, 14. Juli 2024

Liebe Mitchristen!

Heute feiern wir Taufe. Die Tauffamilien haben lange geplant und vorbereitet. Vieles war zu regeln: Welchen Taufspruch nehmen wir für unser Kind? Wer gestaltet die Taufkerze? Wer übernimmt das Patenamt? Den Tauffamilien möchte ich heute gratulieren: Zur Taufe von ihren Kindern, die jetzt zu Jesus Christus gehören und zu seiner Gemeinde- hier in unserer Kirchengemeinde vor Ort und in der weltweiten Christenheit. Ein herzliches Willkommen unseren neuen Gemeindemitgliedern!

Gratulieren möchte ich den Tauffamilien auch dazu, dass sie christliche Patinnen und Paten gefunden haben für ihre Kinder: Menschen, die ihnen nahestehen und die Kirchenmitglieder sind. Menschen, die die Bereitschaft mitbringen, diese Kinder auf ihrem Lebens- und Glaubensweg zu begleiten. Schön, dass diese Patinnen und Paten heute ihr Ja gesprochen haben zu der Aufgabe, die sie übernommen haben. Solche Menschen brauchen wir in unserer Zeit: Menschen, die sich zur Kirche halten und sich dafür einsetzen, dass der christliche Glaube weitergegeben wird an die nächste Generation. Dass unter unseren Patinnen und Paten heute nicht nur evangelische, sondern auch katholische Kirchenmitglieder sind, erinnert uns daran, dass die Taufe in allen christlichen Konfessionen gefeiert wird. Es gibt nur die eine Taufe im Namen Jesu Christi.

Paten zu finden, die einer christlichen Kirche angehören und bereit sind, diese Aufgabe zu übernehmen, ist in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Neulich habe ich ein Gespräch geführt mit einer jungen Mutter, die keine christlichen Paten finden kann für ihr Kind. Sie gehört zu unserer Kirchengemeinde. Und sie möchte gerne, dass ihr Kind auch dazugehört. Sie möchte ihr Kind taufen lassen. Taufe ohne christliche Paten- geht das? Ist das nicht ein Taufhindernis? Es tut mir weh, dass wir uns an solchen Fragen aufhalten, wo es doch um etwas ganz Anderes geht- um etwas viel Größeres: Dass wir zu Jesus Christus gehören. Dass wir mit hineingenommen werden in sein Sterben und Auferstehen. Dass Jesus Christus uns Halt und Hoffnung gibt für unser Leben. Und wir reden über Taufhindernisse.

„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ So fragt in der Bibel in Apg. 6,36 ein hoher äthiopischer Beamte seinen Wegbegleiter Philippus. Philippus hatte durch eine göttliche Eingebung den Weg dieses reichen Afrikaners gekreuzt. Seit einer ganzen Weile saßen die beiden nun schon auf dem Reisewagen des Afrikaners, der sich langsam wieder in Richtung Äthiopien bewegte. Philippus hatte dem hohen äthiopischen Beamten geholfen, schwierige Bibelstellen zu verstehen. Und er hatte ihm von Jesus erzählt. Wie Jesus gelebt hat. Wie er den Menschen von Gott erzählt hat. Wie bei Jesus alle willkommen sind, auch die, die sonst übersehen werden. Die kleinen Kinder zum Beispiel. Oder die Zöllner, die zwar reich sind, aber von den anderen verachtet werden, weil sie mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiten. Gott lädt uns alle ein. Für uns alle ist Jesus gestorben und auferstanden.

Philippus erzählt und erzählt, und der äthiopische Beamte hört ihm gebannt zu. Denn was er da hört, geht ihm mitten ins Herz. Das ist es, wonach er schon lange gesucht hat. Schon lange hat er die heiligen Schriften der jüdischen Religion studiert. Er ist überzeugt davon: Das ist der richtige Weg- ja, es gibt nur einen Gott! Aber im Tempel in Jerusalem war der Afrikaner nicht willkommen. Er ist ein Eunuch, ein kastrierter Mann. So war es damals üblich für die hohen königlichen Beamten in Äthiopien- damit sie ihr Amt nicht von Generation zu Generation weitergeben. Vielleicht würde sich dieser Afrikaner heute als queer bezeichnen. Ein Mensch, der nicht in unser Schema von Mann und Frau passt. Damals wie heute haben es solche Menschen schwer, akzeptiert zu werden. Heißen wir sie willkommen in unserer Gemeinschaft, in unserem Ort, in unserer Kirchengemeinde?

„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ fragt der queere Afrikaner. Vieles hätte Philippus darauf antworten können, zum Beispiel so: Tut mir leid, aber du bist so anders als wir, du als Eunuch. Außerdem kommst du aus einer ganz anderen Kultur, aus einem fremden Land. Wie willst du dort deinen christlichen Glauben leben?  Und hast du überhaupt schon genug verstanden vom christlichen Glauben? Das braucht doch mehr Zeit, als hier nur ein paar Minuten die Bibel zu erklären! All das hätte Philippus dem afrikanischen Beamten antworten können. Aber so antwortet Philippus nicht. Nein, Philippus antwortet gar nicht mit Worten. Philippus antwortet mit Taten. Der Reisewagen hält an. Philippus und der äthiopische Beamte steigen aus. Dort ist Wasser, und Philippus tauft den Afrikaner an Ort und Stelle. So hat es Gott gewollt. Philippus hat seinen Auftrag erfüllt. Die Wege von Philippus und dem reichen Äthiopier trennen sich. Philippus bringt nun an einem anderen Ort die frohe Botschaft von Jesus Christus unter die Leute.

Der neu getaufte Äthiopier aber hat die Gewissheit: Ich gehöre zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Bei Jesus Christus bin ich willkommen, so wie ich bin. Fröhlich zieht der queere Afrikaner seiner Wege- zurück nach Äthiopien an den Hof der Königin, in deren Diensten er steht.

Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Was hindert’s, dass ich mein Kind taufen lasse? Keine unnötigen Hindernisse sollen wir hier aufbauen. Das können wir aus dieser biblischen Geschichte lernen. Ich denke noch einmal an die junge Mutter aus unserer Gemeinde, die für ihr Kind keine christlichen Paten finden kann. Ich habe mit ihr gesprochen und habe ihr Mut gemacht. Mut, ihr Kind christlich zu erziehen und sich dabei von uns als Kirchengemeinde unterstützen zu lassen. In einigen Monaten werden wir die Taufe ihres Kindes feiern. Ich freue mich darauf.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum Mitarbeiter- Dank- Gottesdienst am Sonntag, 23. Juni 2024

Liebe Mitchristen!

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe,“ heißt es in der Jahreslosung (1. Kor 16,14). Liebe, das ist das, was uns zusammenhält. Liebe, das ist wie das violette Band, das wir durch die Bankreihen gereicht haben. Ein Band, das uns verbindet. Für mich ist das ein schönes Bild, das passt zu unserem Gottesdienst heute, wo ich im Namen unseres Kirchengemeinderats und der ganzen Gemeinde Danke sagen darf an alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Danken möchte ich für alles, was Ihr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geleistet habt im vergangenen Jahr an haupt- und ehrenamtlicher Arbeit. Danke auch und gerade für das, was man nicht sieht, weil es im Verborgenen geschieht, und man vermutet gar nicht, wie viel Arbeit und Zeitaufwand dahinter steckt. Danke!

Danke für alle Liebe, die in solcher Arbeit steckt: Die Liebe zum Detail. Die Liebe zu unserer Gemeinde, in der wir zusammengehören und zusammenwirken. Die Liebe zu den Menschen, die uns anvertraut sind und die wir erreichen wollen. Die Liebe zu Gott, der uns in Jesus Christus nahegekommen ist und uns durch den Heiligen Geist stärkt bei allem, was wir anpacken. Er kann alles zum Guten wenden, auch das, was uns Schwierigkeiten macht. „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen,“ schreibt Dietrich Bonhoeffer. 

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Für mich steckt in diesem Bibelwort auch dieser Gedanke, den Dietrich Bonhoeffer hier auf den Punkt bringt: Dass ich mir alle Dinge zum Besten dienen lasse. Und damit verbunden, die Verheißung, das große Versprechen von Gott: Wenn ich das tue; wenn ich festhalte an der Liebe zu Gott und den Menschen, und aus allem, was mir vorgegeben ist und sich mir scheinbar in den Weg stellt, das Beste mache- wenn ich so lebe, dann darf ich es erfahren, dass sich Schwierigkeiten auflösen und Gott dort Gutes entstehen lässt, wo ich es nicht vermutet hätte. Ich denke, dieses Gottvertrauen brauchen wir, gerade in unserer Zeit, wo die Kirchengemeinden kleiner werden und wir uns von manch Liebgewordenen verabschieden müssen.

Letztes Jahr haben wir unseren Mitarbeiter- Dank- Gottesdienst als Abschiedsgottesdienst in unserem Johannes- Gemeindehaus gefeiert. Abschied tut weh. Aber wir bleiben nicht stehen beim Abschiedsschmerz. Wir vertrauen darauf: Gott wird es gut machen. Wir bitten Gott um seinen Segen für die neue Kindergartengruppe, die im September in diese Räume unseres ehemaligen Gemeindehauses einziehen wird, und auch um Gottes Segen für die neuen Mitarbeiterinnen, die dort tätig sein werden und durch ihre Liebe und Zuwendung den Kindergartenkindern etwas weitergeben von Gottes Liebe zu uns Menschen.

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das Band, das wir durch die Bankreihen gereicht haben, ist fest und stabil, fast wie ein Seil. Tauziehen haben wir nicht gemacht mit diesem Seil. Nicht gegeneinander, sondern miteinander wollen wir arbeiten. Ja, so darf ich es immer wieder erleben hier in der Gemeinde: Wir ziehen alle an einem Strang, auch bei schwierigen Themen. So können wir etwas erreichen. So kann es vorangehen, hier in unserer Kirchengemeinde. So können wir Gottes Segen erfahren und weitergeben in der Gemeinschaft, die wir hier miteinander leben. Das Band der Liebe ist da, das uns zusammenhält. Bei allen Unterschieden, die es zwischen uns gibt- unterschiedliche Ideen und Erfahrungen im Glauben und im Leben. Das darf und soll so sein. Und wenn wir als große Überschrift über dem allen die Liebe haben, dann stört es nicht, dass der eine oder die andere hier auch mal anders tickt als ich.

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das Band, das wir durch die Bankreihen gereicht haben, haben wir alle festgehalten. Sonst wäre es auf den Boden gefallen und unter den Kirchenbänken verschwunden. Wir haben eine Kette gebildet mit diesem Band. Ein bisschen sieht es auch aus wie eine Kette, unser violettes Band, mit seiner geflochtenen Struktur. Bei einer Kette sieht man die Struktur, wie sie gemacht ist, noch besser. Eine Kette ist zusammengesetzt aus vielen Kettengliedern. Und wenn ein Glied fehlt in der Kette, dann zerbricht die Kette. So wie unser Band auf den Boden gefallen wäre, wenn es einer losgelassen hätte. Wir gehören alle zusammen. Nur gemeinsam können wir den Glauben an Jesus und die Liebe Gottes weitergeben. Nur gemeinsam können wir Gemeinde bauen. Der Apostel Paulus vergleicht die christliche Gemeinde deswegen mit einem Körper mit vielen Körperteilen. (1. Kor 12, 12-17). Jedes Körperteil hat eine besondere Aufgabe im Körper. Manche erscheinen uns wichtiger. Manche sind uns eher peinlich. Aber alle Körperteile sind wichtig. Nur wenn alle zusammenwirken, ist es ein gesunder Körper.

Was könnte unterschiedlicher sein als die Körperteile an einem Körper? Was hat die Speiseröhre gemeinsam mit dem großen Zeh? So unterschiedlich wie die Körperteile an einem Körper sind auch wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Gemeinde. Bunt und unterschiedlich sind auch die Zettel, die wir mit Wäscheklammern an unsere violette Schnur gehängt haben. Und auf jedem dieser Zettel steht ein Wunsch für die Zukunft, im Kleinen wie im Großen, ein Wunsch für mich und meine Nächsten, für die Gemeinde, für unsere Welt. Manche Wünsche ähneln sich, manche sind ganz anders als was ich aufgeschrieben habe. Ja, bunt und unterschiedlich wie die Zettel, auf die wir sie geschrieben haben, sind auch unsere Wünsche.

Was ist allen gemeinsam? Was haben wir gemeinsam? Was hat die Speiseröhre gemeinsam mit dem großen Zeh? Sie gehört zu ein und demselben Körper. Ohne sie würde dem Körper was fehlen, wäre er krank oder behindert oder könnte gar nicht weiterleben. Was haben wir gemeinsam? Bunt und unterschiedlich sind die Zettel, die wir an unsere Schnur gehängt haben, und genauso bunt und unterschiedlich sind auch die Wünsche, die wir darauf geschrieben haben. Und doch hängen diese Zettel, so bunt und unterschiedlich sie auch sind, doch alle an ein und derselben Schnur. Die Schnur ist violett. Violett, das ist die Farbe der Kirche. Wir gehören alle zu einer Gemeinde- hier in Wehingen und in der weltweiten Christenheit. „Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ein Glied.“ Wir sind miteinander verbunden. Die Liebe Christi verbindet uns. Und dieses Band der Liebe wird niemals zerreißen. Denn die Liebe Christi bleibt. Darauf können wir uns verlassen, bei allem, was wir tun- hier in der Gemeinde und bei allen Aufgaben, die Gott uns anvertraut in unserem Leben. In diesem Sinne möchte ich mich auch weiterhin von der Jahreslosung leiten lassen und zuversichtlich in die Zukunft blicken: „Alles was ihr tut, geschehe in Liebe!“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Trinitatis

Predigt zum Tag der Heiligen Dreifaltigkeit, 26. Mai 2024

Liebe Mitchristen!

Überall in unseren Ortschaften hängen jetzt bunte Wahlplakate. Ja, es ist unübersehbar: Die nächsten Wahlen stehen kurz bevor, im Großen wie im Kleinen. Im großen, internationalen Kontext dürfen wir das Europaparlament neu wählen. Im kleinen, lokalen Kontext hier vor Ort wählen wir den Gemeinderat und den Kreistag- und in Wehingen ein paar Wochen später auch noch den Bürgermeister. Machen Sie gerne von Ihrem Wahlrecht Gebrauch? Wissen Sie schon, wo Sie Ihre Kreuze setzen werden? Oder fällt Ihnen die Wahl schwer, und Sie wissen nicht, wem Sie Ihre Stimme geben sollen? Haben Sie das Wählen deswegen womöglich schon aufgegeben, und planen am Wahlsonntag zu Hause zu bleiben?

Es ist ja nicht selbstverständlich, dass wir in einem Land leben, in dem demokratische und freie Wahlen stattfinden. Unser Grundgesetz hatte diese Woche Geburtstag. 75 Jahre ist es geworden. So viele Jahre gibt es die Demokratie, in der wir leben. Demokratie ist kein Selbstläufer, sie muss erhalten und gepflegt werden. Unser Bundespräsident Frank Walter Steinmeier ermutigt uns deswegen: „Gehen Sie zur Wahl! Überlassen Sie Ihre Stimme nicht anderen. Denn: Wer nicht wählt, lässt nur andere über die Zukunft unseres Landes entscheiden. Darüber, wie es weitergeht bei Arbeit und Wirtschaft, Bildung und Gesundheit, Pflege und Alterssicherung, in der Flüchtlingspolitik und bei der Integration, bei innerer und äußerer Sicherheit, bei Klima und Umwelt. Vielleicht war nie so spürbar wie jetzt, dass es in Wahlen auch um die Zukunft der Demokratie und die Zukunft Europas geht.“

„Gehen Sie zur Wahl,“ sagt unser Bundespräsident. Das sagt sich leicht. Aber: Was soll ich wählen? Wie soll ich entscheiden? Woher soll ich wissen, was die Zukunft bringen wird und welche Richtungsentscheidung deswegen jetzt nötig ist? „In Jesus Christus hat Gott uns erwählt, bevor der Welt Grund gelegt worden ist,“ heißt es in der Bibel in Epheser 1,4. Gott hat sich für uns Menschen entschieden. „Die Würde des Menschen ist unantastbar,“ heißt es in unserem Grundgesetz.

Jeder einzelne Mensch hat Würde und Wert, denn jeder Mensch ist ein Kind Gottes. Gott hat gewählt. Noch bevor ich das Licht der Welt erblickt habe, hat Gott mich erwählt. Ja, sogar schon bevor es die Welt überhaupt gab: „Bevor der Welt Grund gelegt worden ist.“ Gott hat gewählt. Gott hat diese Welt geschaffen, damit sie ein lebenswerter Raum ist für Mensch und Natur. Gott hat gewählt. Gott ist selbst ein Mensch geworden wie wir und hat hier auf der Erde gelebt: Jesus Christus ist am Kreuz für uns gestorben. So hat er uns die Erlösung geschenkt und uns frei gemacht von Sünde und Schuld- „auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist.“ (Epheser 1,10) Gott hat gewählt. Gott hat uns zu seinen Erben gemacht. Als Zeichen dafür hat er uns den Heiligen Geist gegeben- die Kraft, Gott zu loben und seine gute Botschaft weiterzusagen an andere Menschen. Die Kraft, sich dafür einzusetzen, dass wir unser Leben und unsere Welt so gestalten, wie es Gottes Wille entspricht. Denn alle Menschen sind Gottes Kinder.

Gott hat gewählt. Mich hat Gott gewählt. Ich bin wertvoll und wichtig für Gott. Weil Gott mich gewählt hat, deshalb kann ich auch wählen. Ich brauche mich nicht mehr in meinem stillen Kämmerlein zu verkriechen aus Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Ich brauche nicht am Wahlsonntag daheim zu bleiben, aus Sorge, dass ich meine Wahlentscheidung im Nachhinein bereuen könnte. Denn Gott hat mich gewählt. Mir hat er seine Welt als Erbe anvertraut. Mich hat er durch Jesus Christus erlöst. Mir hat er seinen Heiligen Geist gegeben.

Das, was ich in Gottes Welt zum Guten wenden kann, das soll ich tun. Manchmal kommt es mir wenig vor, was ich tun kann. Ein paar Kreuze auf einem Wahlzettel zum Beispiel- wen interessiert das schon? Und kann das wirklich so viel ändern? Aber jede Stimme zählt bei einer solchen Wahl. Das ist mir wertvoll und wichtig an unserer Demokratie. Und ja- auch im Kleinen kann ich viel bewirken; kann mich dafür einsetzen, dass Gottes schöne Welt bewohnbar bleibt für Mensch und Natur, auch für die kommenden Generationen. Ich kann mit meiner Stimme daran erinnern, dass bei Gott jedes Menschenleben zählt. Denn wir alle sind Gottes Kinder. Gott macht da keine Ausnahmen. Gott unterscheidet nicht danach, aus welchem Land wir kommen, welche Sprache wir sprechen, ob wir arm oder reich sind, ob uns die Gnade geschenkt wurde, in einem wohlhabenden Land geboren worden zu sein oder nicht.

Letztes Wochenende haben wir Pfingsten gefeiert. Beim ökumenischen Gottesdienst am Pfingstmontag war für mich spürbar, wie Gott unter uns wirkt durch seinen Heiligen Geist. Es war ein friedliches, fröhliches und buntes Fest des Glaubens, das wir zusammen gefeiert haben. Unsere Unterschiede haben dabei nicht gestört, sondern waren eine Bereicherung. Schön war es, dass die Erfahrung machen durften: Wir sind viele! Auch bei der Vorbereitung und Organisation war dies spürbar: Viele Ideen, und viele Schultern, auf die sich die Organisationsaufgaben verteilen- das ist entlastend und bereichernd! Konfessionsgrenzen haben dabei keine Rolle gespielt. Auch Sprachgrenzen wurden durchlässiger. Wer kein perfektes Deutsch kann, kann eine andere Muttersprache. Schön und bereichernd war es, den Klang ganz unterschiedlicher Muttersprachen zu hören bei den Fürbitten. Mir hat dieser Pfingstmontag gezeigt, welche bunte Fülle an unterschiedlich geprägten Menschen Gott uns geschenkt hat, hier auf dem Heuberg. Und alle sind Gottes Kinder.

Gott hat gewählt: Uns, die Menschen hat Gott gewählt. Darum werde ich auch wählen gehen, wenn demnächst bei uns Wahl ist fürs Europaparlament, für den Gemeinderat und den Kreistag, und in Wehingen etwas später dann noch für den Bürgermeister. Ich werde wählen gehen und werde mich mit meiner Stimme dafür einsetzen, dass es in unserer Welt in Zukunft bunt, friedlich und menschlich zugeht. Dass Mensch und Natur in dieser Welt leben können, auch in kommenden Generationen. So wie es in unserem Grundgesetz heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ich möchte, dass das auch in Zukunft so ist. Dass wir das im Blick behalten. Denn Gott hat gewählt. Uns Menschen hat er gewählt als seine Kinder.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

Kategorien
Allgemein Gedanken zum Sonntag

Gedanken zum Konfirmanden-Abendmahl

 

Predigt zum Konfirmanden- Abendmahlsgottesdienst am 4. Mai 2024

Liebe Mitchristen!

„Was sollen wir zum Konfirmanden- Abendmahlsgottesdienst anziehen?“ Das haben mich die Konfirmanden in einer der letzten Konfirmandenunterrichtsstunden gefragt. Und ich habe mich gefragt: Soll ich ihnen jetzt sagen, ob ihre Kleidung dunkel oder hell, bunt oder einfarbig sein soll? Ob eine Jeans mit Löchern noch okay wäre oder wie kurz der Rock sein dürfte? Aber um all das ging es den Konfirmanden gar nicht bei ihrer Frage. Und ich hätte darauf auch keine konkrete Antwort gegeben, höchstens eine ungefähre Richtschnur. Eine genaue Kleiderordnung kann und will ich nicht vorgeben- nicht einmal für die Konfirmation. Den Konfirmanden ging es aber um etwas anderes bei ihrer Frage. Sie wollten einfach nur wissen: „Sollen wir beim Abendmahlsgottesdienst schon unsere Konfirmationskleidung anziehen oder einfach so kommen, wie wir sonst immer angezogen sind?“

Wir haben im Konfirmandenunterricht dann darüber gesprochen, wie es für die Konfirmanden besser passen würde. Es gab unterschiedliche Meinungen dazu. Schließlich hat sich die Meinung durchgesetzt: Die festliche Konfirmationskleidung ist dem eigentlichen Festtag vorbehalten, der Konfirmation. Der Abendmahlsgottesdienst am Vorabend wird in Alltagskleidung gefeiert. Es war die Entscheidung der Konfirmanden, es so zu halten. Aber nachdem diese Entscheidung gefallen war, fand ich doch auch, dass es so passt, ja womöglich sogar einen tieferen Sinn hat, wenn wir zum Abendmahlsgottesdienst in Alltagskleidung kommen. Sicherlich war es richtig, dass es hierzu unterschiedliche Meinungen gab, denn schließlich ist es etwas Besonderes, wenn wir zum Tisch des Herrn gehen. Die meisten von uns würden es nicht gutheißen, wenn da jemand mit zerrissenen Hosen käme.

Aber was würde Jesus dazu sagen? Er ist der Gastgeber. Er lädt uns beim Abendmahl an seinen Tisch. Ich denke, Jesus würde uns auch mit zerrissenen Hosen willkommen heißen. In der Bibel lesen wir, dass Jesus sich mit Menschen umgeben hat, mit denen sonst keiner etwas zu tun haben wollte (Lukas 15, 1-2). Mit Sündern hat sich Jesus zusammengesetzt und mit ihnen gegessen. Kaputte Menschen waren das- die mit den zerrissenen Kleidern oder mit den Röcken, die viel zu kurz waren. Bei den anständigen Menschen hat das für Empörung gesorgt: Wie kann Jesus nur! Wie kann man nur mit solchen Leuten Gemeinschaft haben! Jeder weiß doch, was das für welche sind!

Jesus wollte, dass die Leute verstehen, warum er das macht. Dazu hat er ihnen Geschichten erzählt- in diesem Fall gleich drei Geschichten. In allen diesen drei Geschichten passiert etwas Ähnliches. Jedes Mal geht es darum, dass etwas verloren geht. Bei der ersten Geschichte ist es ein Schaf aus einer Herde mit hundert Tieren (Lukas 15, 3-7). Bei der zweiten Geschichte ist es eine von zehn Silbermünzen (Lukas 15, 8-10). Und bei der dritten Geschichte ist es einer von zwei Söhnen (Lukas 15, 11-32).

Was macht ihr, wenn ihr etwas verliert, was euch sehr wichtig ist? fragt Jesus mit diesen Geschichten. Gebt ihr euch dann einfach zufrieden mit dem, was noch übrig ist und nicht verloren gegangen ist? Findet ihr euch damit ab, dass ihr jetzt eben nur noch 99 Schafe, nur noch 9 Silbermünzen oder nur noch einen Sohn habt? Gebt ihr das eine, das verloren gegangen ist, einfach auf? Oder seid ihr in Gedanken immer bei dem, was verloren gegangen ist- bei dem einen Schaf, bei dieser einen Silbermünze, bei diesem einen Sohn? Werdet ihr womöglich sogar alle Hebel in Bewegung setzen, um das Verlorene wieder zu finden? Werdet ihr eine Suchaktion starten, die bis in den letzten Winkel reicht, keinen Stein auf dem anderen lassen und alle Möglichkeiten durchgehen, um das Verlorene wieder zu finden?

Ja, das werdet ihr, sagt Jesus. Denn dieses eine Schaft, diese eine Silbermünze, dieser eine Sohn ist euch so wichtig, dass ihr alles dafür tun werdet, um ihn wieder zu finden. Und Gott sieht das ganz genauso wie ihr, sagt Jesus mit seinen Geschichten. Jeder einzelne Mensch ist Gott so unheimlich wichtig, dass Gott alles dafür gibt, dass dieser eine Mensch nicht verloren geht. Gott gibt alles für uns. Gott gibt für uns sein Leben. Am Kreuz ist Jesus Christus für unsere Sünden gestorben. Ja, zu Jesus dürfen wir so kommen wie wir sind- nicht nur in Festkleidung, auch in Alltagskleidung. Zu Jesus dürfen wir alles bringen- nicht nur das, worauf wir stolz sind und womit wir glänzen können. Auch das, wofür wir uns schämen, dürfen wir zu Jesus bringen. Auch das Kaputte in unserem Leben- unser Versagen, unsere Fehler, unsere Schuld.

Liebe Konfirmanden! Heute seid ihr in Alltagskleidung gekommen zum Abendmahl, in dem euch Jesus Christus die Vergebung der Sünden schenken will. Was euch bedrückt, was euch beschwert und belastet- all das dürft ihr hier in dieser Feier ablegen und euch davon freimachen. Legt es ab, so wie ihr heute Abend vor dem Schlafengehen eure Alltagskleidung ablegt, und morgen früh zur Konfirmation eure Festkleider anzieht. Lasst euch versöhnen mit Gott und empfangt seine Vergebung. Denn für Gott zählt jeder Einzelne. Gott gibt niemanden verloren. Jeder Einzelne, der den Weg zu Gott findet, ist Gott ein Freudenfest wert: „Freut euch mit mir, ich habe gefunden, was ich verloren hatte,“ sagt Gott (Lukas 15, 6+9) und lädt zum Fest ein: „Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein!“ (Lukas 15, 22-23) Ja, liebe Konfirmanden, das wird ein Fest morgen bei eurer Konfirmation, wenn ihr eure Festkleider anhabt. Und am allermeisten freut sich Gott über dieses Fest. Denn Gott will, dass alle Menschen den Weg zu ihm finden.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Jubilate

Predigt zum Thema „Unser Freund heißt Jesus Christ“ beim Familiengottesdienst am 21.04.2024

Liebe Mitchristen!

„Unser Freund heißt Jesus Christ“- das habt ihr Kinder vom Evangelischen Johannes-Kindergarten uns ganz eindrücklich erzählt, vorgespielt und vorgesungen. Wie ist das, wenn ihr einen Freund habt? Was könnt ihr mit eurem Freund oder eurer Freundin alles machen? Wann ist so ein Freund wichtig? Wenn ihr zusammen spielen wollt. Wenn ihr miteinander fröhlich seid und Feste feiert- zum Beispiel euren Geburtstag. Aber auch, wenn ihr mal traurig seid oder euch jemand geärgert hat. Gerade dann ist es auch ganz wichtig, einen Freund oder eine Freundin zu haben. Mit meiner besten Freundin kann ich über alles reden- auch über Sachen, die ich sonst niemandem erzähle- weil sie mir vielleicht peinlich sind, oder weil sie einfach zu persönlich sind. Meine Freundin lacht mich nicht aus. Sie lacht höchstens mit mir zusammen, nicht über mich. Mit meiner besten Freundin kann ich zusammen fröhlich sein und schöne Dinge unternehmen. Und wenn es mir mal nicht so gut geht, dann ist sie auch da. Dann hört sie mir zu und versucht, mir zu helfen.

Jesus hatte auch Freunde. Das waren seine Jünger. Mit denen hat Jesus viel erlebt. Sie waren zusammen unterwegs in den Dörfern und in den Städten und haben den Menschen von Gott erzählt. Gut, dass Jesus da nicht alleine unterwegs war. Alleine kann es manchmal ganz schön schwer sein. Zum Besipiel, wenn jemand zu einem sagt: „Du darfst nicht mitspielen.“ Das wollen wir zu niemandem sagen. Alle sollen mitspielen dürfen. Denn es ist schlimm, wenn man alleine ist und keine Freunde hat. Niemand soll allein sein.

Das können wir von Jesus lernen. Jesus wollte alle dabeihaben. Jesus wollte, dass alle mitmachen dürfen- auch die Kinder. Auch wenn sie noch ganz klein sind und nicht alles verstehen, was die Erwachsenen über Gott reden. Jesus wollte sie dabei haben. Die Jünger von Jesus haben das nicht verstanden. Sie haben gedacht: Die Kinder stören hier, wenn Jesus von Gott erzählt. Die Kinder sind noch zu klein, um das zu verstehen. Also wollten sie die Kinder wegschicken- und die Eltern gleich mit, die ihre Kinder zu Jesus bringen wollten. Aber Jesus sagt: „Nein! Das geht nicht! Ihr dürft die Kinder nicht wegschicken. Die Kinder sollen kommen. Gott freut sich über die Kinder ganz besonders.“

Jesus schimpft mit den Jüngern. Dabei sind das doch seine Freunde. Manchmal passiert es eben, dass man sich nicht einig ist unter Freunden. Hattet ihr schon einmal Streit mit eurer Freundin oder eurem Freund? Manchmal endet so ein Streit damit, dass wir zueinander sagen: „Du bist nicht mehr mein Freund.“ Das ist schlimm. Hoffentlich schaffen wir es dann, dass wir uns wieder vertragen. Damit wir wieder Freunde sein können nach dem Streit. Jesus sagt zu seinen Jüngern nicht: „Ihr seid nicht mehr meine Freunde.“ Und die Jünger sagen das auch nicht zu Jesus. Die Jünger merken: Es war falsch, was wir gemacht haben. Jesus hat Recht. Die Kinder sollen kommen. Also gibt es keinen Streit. Jesus und die Jünger vertragen sich wieder.

Und die Kinder freuen sich. Die Kinder dürfen zu Jesus kommen, ganz nach vorne, vorbei an all den großen Erwachsenen, die ihnen die Sicht versperrt haben. Sie dürfen sich von Jesus umarmen lassen, wenn sie das wollen, und sich von Jesus segnen lassen. Jesus ist ein richtig guter Freund. Wenn andere mich ärgern, dann ist er da und hilft mir. So wie die Jünger die Kinder wegschicken wollten, aber Jesus verhindert das und hilft den Kindern. Ja, Jesus kann helfen- auch heute. Wenn ich zu ihm bete, dann hört er mich. Wenn ich bete, dann kann ich Jesus alles sagen- auch das, was ich sonst nur meiner besten Freundin erzähle, weil es mir sonst peinlich ist oder einfach zu persönlich. Bei Jesus brauche ich mich nicht zu schämen. Jesus ist immer mein Freund- auch wenn ich mal alleine bin und sonst niemand da ist, der mir hilft. Jesus bleibt mein Freund.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Karfreitag, 29. März 2024

Liebe Mitchristen!
Es ist Karfreitag. Das Geläut unserer vier Glocken, das sonst immer zu unseren Gottesdiensten einlädt, bleibt heute stumm. Am Karfreitag ist es still. Die Glocken schweigen. Kein einziges noch so kleines Glöckchen erklingt. Nichts. Schweigen. Karfreitag, dass ist der Tag, an dem Jesus gestorben ist. In aller Stille begehen wir diesen Feiertag. Auch Jesus selbst schweigt, als er am Kreuz hängt. So erzählt es uns das Matthäusevangelium (Mt 27, 33-56). Jesus schweigt. Er, Jesus, der immer so viele Geschichten wusste. Der in Gleichnissen von Gott erzählt hat, der für uns da ist. So wie ein guter Vater, der seinen verlorenen Sohn nach langer Abwesenheit wieder daheim willkommen heißt und ihm vergibt. So wie ein guter Hirte, der keines seiner Schafe verloren gibt- auch nicht ein einziges. So wie eine sorgfältige Hausfrau, die ihr ganzes Haus auf den Kopf stellt und nicht aufgibt, bis sie ihre verlorene Silbermünze wieder gefunden hat (Lk 15, 1-32). Ja, Jesus konnte erzählen. Mit seinen Geschichten konnte er den Menschen Mut und Hoffnung machen. Und diskutieren konnte er. So manches Streitgespräch hat er geführt mit den religiös Gebildeten seiner Zeit. Mit seinen Worten konnte Jesus die Dinge zurechtrücken. Mit seinen Worten konnte Jesus den Menschen die Augen öffnen und sie von ihren falschen Wegen abbringen. Jesus konnte Glauben wecken, trösten, ermutigen, heilen- alles mit seinen Worten.
Aber jetzt am Kreuz schweigt Jesus. Sollte das alles, was er zuvor mit seinen Worten bewirkt hat, jetzt vorbei sein? Hat Jesus jetzt nichts mehr zu sagen- ausgerechnet jetzt, wo die Menschen doch eine Erklärung bräuchten, die da um das Kreuz herumstehen. Jemanden, der ihnen hilft zu verstehen, was hier gerade passiert. Jemand, der ihnen sagt, dass das noch gilt, was Jesus alles gesagt und getan hat, als er mit seinen Jüngern in Israel unterwegs war und die Herzen so vieler Menschen für Gott geöffnet hat. Aber Jesus erklärt nichts, als er am Kreuz hängt. Jesus schweigt.
Still ist es deswegen nicht an diesem ersten Karfreitag, dort draußen vor den Toren Jerusalems, dort oben auf dem Hügel Golgatha. Laut wird es zugegangen sein bei dem Glücksspiel, das die Soldaten unter dem Kreuz spielten. Jesus ist noch nicht gestorben, da teilen sie schon seine Kleider unter sich auf: Wer wird wohl das große Los ziehen und das Obergewand von Jesus bekommen? Der Stoff ist noch gut; mit dem Kleidungsstück kann man was anfangen- vielleicht hat der Gewinner dieses Glücksspiels sogar gejubelt? Die Soldaten unter dem Kreuz, sie haben schon viele Menschen sterben sehen. Es kümmert sie nicht mehr, ob da gerade jemand qualvoll am Kreuz stirbt.
Menschen können abstumpfen, können ihre Fähigkeit zum Mitleiden und zur Mitmenschlichkeit verlieren. Ideologische Verblendungen, eigene Gewalterfahrungen, Hass, der geschürt wird- das alles kann Menschen so verändern. Ich denke an den Krieg in der Ukraine, der nun schon seit über zwei Jahren andauert. An die Soldaten, die dort auf beiden Seiten kämpfen, an die Gräueltaten, die dort begangen wurden und weiter begangen werden, Tag für Tag. Ich denke an Terroristen. An die, die am vergangenen Freitag in Moskau ein Blutbad angerichtet haben. An die Hamas- Kämpfer, die am 7. Oktober 2023 in Israel wehrlose Zivilisten brutal niedergemetzelt haben. Ich denke an den Gazakrieg, der hier seinen Anfang genommen hat- an die Tausenden von Menschen, die in diesem Krieg ihr Leben verloren haben, an die Palästinenser im Gazastreifen, die nirgendwo in Sicherheit sind. Kümmert es uns, dass unsere Welt gerade aus den Fugen gerät? Stört es uns noch, dass sich die Rüstungsspirale immer weiter nach oben dreht? Beunruhigt es uns, dass sich Juden in unserem Land nicht mehr sicher fühlen? Haben wir noch Mitleid mit den Opfern des Terroranschlags in Moskau, mit der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen?
Jesus schweigt. Auch uns bleibt oft nur Schweigen. Ratloses Schweigen, hilfloses Schweigen. Wir wissen keinen Ausweg aus den Krisen dieser Zeit. Wir wissen keine Lösung. Uns fehlen die Worte. Aber Schweigen ist schwer zu ertragen. Jesus schweigt stundenlang, dort am Kreuz auf Golgatha. Für die, die um das Kreuz herumstehen, ist das zu viel. Und so tun sie das, was Menschen tun, wenn das Schweigen unerträglich wird und sie doch keine passenden Worte finden. Unter dem Kreuz wird es laut. Es ist, wie wenn sich ein Ventil öffnet. Spott, Ironie, Sarkasmus- das alles prasselt auf Jesus ein: „Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!“ „Anderen hat er geholfen, und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben.“ „Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.“ „Halt, lass uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe!“ (Mt 27,39-43.49)
Sind das die Gaffer, die so reden? Die Unfalltouristen, die in unseren Tagen die Rettungskräfte behindern und Bilder von Unfalltoten ins Internet stellen? Sind das diejenigen, die heutzutage im Internet einen shitstorm lostreten? Diejenigen, die Hasstiraden posten, um anderen damit zu schaden? Oder ist es einfach nur Enttäuschung und Frustration, die sich hier wütend Bahn bricht? Das Blatt hat sich gewendet. Der, dem sie am Palmsonntag als König zugejubelt haben, hat ihre Erwartungen nicht erfüllt. Wollen sie ihn wirklich nur verspotten, oder erwarten sie doch eine Antwort von ihm? Eine Erklärung, damit alles wieder Sinn macht. Ein Machtwort. Oder besser noch: Eine mächtige Tat: Steig herab vom Kreuz. Wir können es nicht ertragen, dass du dort so hilflos hängst. Du warst doch unsere Hoffnung und unsere Hilfe. Und jetzt stirbst du so einen schändlichen Tod und lässt uns allein zurück.
Hätte Jesus da nicht antworten sollen? Hätte er nicht erklären sollen, dass sein Sterben einen Sinn hat? Dass es so sein muss, damit sich niemand mehr von Gott verlassen fühlen muss, auch nicht im schwersten Leiden? Dass für uns dadurch Vergebung möglich wird, ein Neuanfang trotz aller Schuld? Aber Jesus schweigt. Machtlos und wehrlos hängt er am Kreuz und schweigt. In diesem Moment ist er ganz Mensch, ganz Leidender. Und gerade dadurch uns so nah in unseren dunklen Stunden, wenn uns die Worte fehlen. Worte des Trostes, die wir Trauernden sagen wollten. Und dann stehe ich diesen Menschen gegenüber und sehe das ganze Elend in ihrem Blick, und die Worte bleiben mir im Hals stecken. Angesichts des Todes wird der Mensch stumm und sprachlos. Und auf die oberflächlichen Worte, auf das „Kopf hoch“ und „Wird schon wieder“ will ich auch nicht zurückgreifen. Besser gar keine Worte als solch falscher Trost.
Jesus fehlen die Worte. Und nach drei Stunden kommt zum Schweigen noch die Dunkelheit. Nichts ist mehr zu hören. Der Gekreuzigte schweigt. Die Welt ist stumm. Nichts ist mehr zu sehen. Die Welt verhüllt vor Trauer ihr Gesicht. Erst kurz vor seinem Tod spricht Jesus. Nein, er spricht nicht, er schreit. Sein Todesschrei ist es. In die Dunkelheit hinein schreit Jesus diesen einen Satz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus schreit und stirbt. Verstörend sind seine letzten Worte, die das Matthäusevangelium überliefert, diese tiefe Gottverlassenheit, die Jesus verspürt hat in seiner letzten Stunde. Und doch ist dieser Schrei ein Gebet. Alte und vertraute Worte sind das, die Jesus in seiner höchsten Not einfallen, Worte aus Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Mit Jesus schreit alles in der Welt, das gequält wird. Wo ist Gott in diesem Moment? Wo ist Gott in unserer Zeit? Wo war er im Oktober bei dem Hamas- Terror in Israel? Wo war er, als vergangenen Freitag der Terroranschlag in Moskau geschah? Wo ist Gott in den Kriegsgebieten, in der Ukraine, im Gazastreifen und anderswo, wo Menschen sterben und verwundet werden an Körper und Seele? Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Wo ist Gott zu finden, wenn nicht dort am Kreuz, wenn nicht in diesem Schrei äußerster Gottverlassenheit? Denn es ist Gott selbst, der dort leidet. Gott, der nicht will, dass Menschen leiden. Er kann nicht stumm am Kreuz hängen, und seine Geschwister sterben durch Krieg, Terror und Gewalt. Gott ist es nicht egal, wie es auf seiner Welt zugeht. Er stirbt nicht ohne Protest gegen alle, die den Tod mit dem Taschenrechner betreiben. Für Gott zählt jedes Menschenleben. Sein Schrei ist auch der Schrei der Vergewaltigten, Gefolterten und Ermordeten in unserer Zeit. Gott leidet mit. Im Aufschrei. Im Protestschrei gegen das Leiden wird Gott unser Bruder- in Jesus Christus, der am Kreuz für uns gestorben ist.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer
Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Palmsonntag

 

Predigt zum Palmsonntag, 24.03.2024

 

Liebe Mitchristen,

 

„Mach’s wie Gott- werde Mensch.“ So lautet ein Spruch, der zum christlichen Glauben und Leben einladen will. Heute wollen wir einladen zum christlichen Glauben und Leben. Zwei Kinder haben wir getauft und haben sie so mit hineingenommen in unsere Gemeinde. Mit ihren Familien sind sie gekommen: mit Eltern, Paten, Verwandten und Freunden. Das sind Menschen, die diese Kinder in Liebe begleiten wollen. Die ihnen helfen wollen, hineinzuwachsen in dieses Leben und diesen Glauben. Menschen, die sich durch diese beiden Kinder herausfordern und hinterfragen lassen wollen in ihren eigenen Glaubensüberzeugungen. „Mach’s wie Gott- werde Mensch.“ Dieser Spruch ist eine solche Herausforderung, von der wir uns hinterfragen lassen können in unseren Glaubensüberzeugungen.

 

Gott wird Mensch- ja, das wissen wir. Diese Glaubensüberzeugung haben wir in der Schule gelernt und in der Kirche oft gehört. Einmal im Jahr feiern wir sogar ein großes Fest deswegen- Weihnachten. Gott wird Mensch. Ja. Aber was hat das mit mir zu tun? Sehr viel, sagt uns dieser Spruch: „Mach’s wie Gott- werde Mensch.“ Oder wie es der Apostel Paulus im Philipperbrief, Kapitel 2 Vers 5 formuliert: „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ Wie muss nun meine Gesinnung, meine Glaubensüberzeugung sein, damit sie der Gemeinschaft mit Jesus Christus entspricht, frage ich weiter. Ich denke, der Apostel Paulus ist das von den ersten Christengemeinden wohl auch gefragt worden. Und vermutlich hat er ungefähr so geantwortet: Erinnert euch an das, was ihr gelernt habt. An die alten Texte, an die Lieder, an die Lieder, an die Gebete. Manche davon sind euch von Jugend auf vertraut. Andere habt ihr in späteren Jahren für euch entdeckt- in euren Gottesdiensten, oder im Austausch mit anderen Christinnen und Christen.

 

An ein solches Kirchenlied, das in den Gottesdiensten der ersten christlichen Gemeinden gesungen wurde, erinnert Paulus im Philipperbrief. Dort können wir dieses alte Kirchenlied nachlesen (Phil 2,6-11). Und so ist es bis heute erhalten geblieben, auch wenn wir die Melodie dazu nicht mehr kennen. Aber immer noch können wir es miteinander sprechen und beten, so wie wir es am Anfang dieses Gottesdiensts getan haben:

 

Christus Jesus, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

 

„Mach’s wie Gott- werde Mensch!“ Jesus Christus hat es so gemacht. Jesus Christus, Gottes Sohn. Er hätte für immer und alle Zeit in Gottes ewiger Herrlichkeit bleiben können. Aber er hat diesen Schutzraum verlassen. Er hat sich klein gemacht und ist ein Mensch geworden- ein winziges Kind, so klein wie die beiden Babys, die wir heute getauft haben. Und Jesus Christus ist seinen Weg gegangen. Er hat Jünger um sich geschart und den Menschen Gottes Reich ganz nahe gebracht. Kranke hat er gesund gemacht- die mit den gebrechlichen Körpern genauso wie die mit den gebrochenen Herzen. Wer keine Hoffnung mehr hatte, hat gespürt: Gott ist für mich da. Ich bin nicht allein. Wer keine Zukunft mehr gesehen hat, der hat gemerkt: Gott weiß den Weg für mich. Jesus Christus. In ihm kommt Gott zu uns. Auf seinen Namen sind wir getauft: Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen (Ps 91,11). Jesus Christus. Er hat uns die Liebe vorgelebt. Denn Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1. Joh 4,16). Jesus Christus. Ihm jubeln die Menschen zu , als er in Jerusalem einreitet (Joh 12,13).

Heute ist Palmsonntag. Nach langer Wanderung kommt Jesus in Jerusalem an. Sein Einzug ist großes Kino. Er zieht ein wie ein König. Aber ein König ohne Schwert und ohne Glanz. Er reitet auf einem Esel. Die bibelfesten Jerusalemer verstehen die Anspielung. Der Prophet Sacharja hat einen Friedenskönig angekündigt, der ein Gerechter und ein Helfer ist, der arm ist und auf einem Esel reitet. Heute kommt er. Jesus Christus, ein sanftmütiger König. Ich würde mir wünschen, dass alle Mächtigen so sind wie er. Dass sie ihre Macht nicht missbrauchen, um selbst groß rauszukommen. Ich würde mir wünschen, dass sie demütig sind, auf das Wohl der Menschen bedacht. Ich würde mir wünschen, dass die Mächtigen die Waffen aus der Hand legen. Und dass sie alle miteinander ins Grübeln kommen, wenn ein Plan den Tod unzähliger Menschen in Kauf nimmt. Ich würde mir wünschen, dass Verantwortung Menschen sanftmütig werden lässt. Damit die Erde bewohnbar bleibt für unsere Kinder und Enkel- auch für die beiden Babys, die wir heute im Namen Jesu Christi getauft haben.

 

„Mach’s wie Gott- werde Mensch.“ Ich weiß, ich kann nur bei mir selbst anfangen. Nicht die Großen und Mächtigen der Welt kann ich verändern- nur mich selbst. Nur so kann ich etwas ändern in der Welt. Also will ich bei mir anfangen. Ich will darauf achten, dass ich, wo ich Verantwortung habe und Menschen mir anvertraut sind, das nicht ausnutze. Ich will mir ein Vorbild nehmen an Jesus Christus- an seiner Freundlichkeit allen Menschen gegenüber, an seiner Friedfertigkeit und Sanftmut.

 

„Nenne ein Beispiel dazu, wie du in der kommenden Woche das Vorbild nachahmen kannst, das uns Christus durch seinen Dienst und seine Demut gegeben hat.“ Unser Hauskreis- Material hat uns diese Aufgabe gestellt, als wir im Hauskreis miteinander das alte Kirchenlied aus Philipper 2, 6-11 gelesen und besprochen haben. Welches Beispiel würde Ihnen hierzu einfallen?  „Mach’s wie Gott- werde Mensch“ – wie können Sie das in der kommenden Woche in die Tat umsetzen?  Wo können Sie in der kommenden Woche mehr Menschlichkeit leben- im Umgang mit Nachbarn und Kollegen, mit Freunden und der Familie- und, ganz wichtig, auch im Umgang mit Ihnen selbst? Wo ist mehr Geduld gefragt? Wo braucht es mehr Sanftmut, wo ein gutes Wort, wo tatkräftige Unterstützung?

 

„Mach’s wie Gott- werde Mensch.“ Im Hauskreis haben wir uns auch darüber unterhalten, dass das Vorbild, das Jesus Christus uns gibt, doch eine Nummer zu groß ist für uns. Er, der Sohn Gottes, wurde für uns Mensch. Er scheute nicht die letzte Konsequenz, verachtet und bespuckt zu werden. Er ist den Weg zu Ende gegangen bis in die größte Erniedrigung, bis zum Tod am Kreuz. Für uns hat er das alles getan- allein aus Liebe. Weil er uns unendlich liebt, deswegen ist Jesus Christus kein Weg zu schmutzig und zu schmerzvoll. Er ist für uns in den Tod gegangen, denn seine Liebe ist stärker als der Tod. Jesus Christus. Wir können nicht werden wie er. Aber wir können ihn und sein Leben vor Augen haben. Wir können darum bitten, dass wir die Kraft, die Geduld und die Liebe aufbringen, dass wir in jedem Menschen, der uns begegnet, ihn sehen- Jesus Christus. Ja, wirklich in jedem! Nicht nur in denen, die an Jesus Christus glauben. Nicht nur in denen, die ein gutes und vorbildliches Leben führen. In jedem Menschen, der mir begegnet, soll ich Jesus Christus sehen. Und wenn ich Menschen vor Augen habe, mit denen ich mich schwer tue- Menschen, die mich oder andere verletzt haben; Menschen, die viel Leid über die Welt gebracht haben, dann will ich daran denken, was in dem alten Kirchenlied aus dem Philipperbrief versprochen ist: „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Lätare

 

Predigt zum Konfirmationsjubiläum am Sonntag, 10. März 2024

Liebe Konfirmationsjubilare!

Wie war das damals am Tag Ihrer Konfirmation, vor 50, 60 oder 70 Jahren? Erinnern Sie sich noch an Ihre Mitkonfirmanden; an den Pfarrer, der Sie konfirmiert hat? Vor 50 Jahren war es der Schuldekan, weil die Pfarrstelle gerade nicht besetzt war. Vor 70 Jahren, als unsere Kirchengemeinde gerade erst ein Jahr alt war, da hat Pfarrer Karnowsky mit Ihnen Konfirmation gefeiert. Das war in der Fronhofer Kirche, denn unsere Christuskirche war da noch nicht gebaut. Die Fronhofer Kirche ist sehr kalt, und Sie haben gezittert- vor Kälte und vor Aufregung. Viel hatten Sie auswendig gelernt in Ihrer Konfirmandenzeit: Den Katechismus, die Namen aller biblischen Bücher in der richtigen Reihenfolge- ja sogar die Namen der Sonntage mit ihren seltsamen lateinischen Klängen: Estomihi, Invokavit, Reminiscere, Okuli, Lätare, Judika, Palmarum. Vieles davon haben Sie aufsagen müssen, auch öffentlich vor der Gemeinde. Und nicht immer wussten Sie, wen der Pfarrer als nächstes aufrufen würde, und welches Stück aus dem Katechismus dann drankommen würde. Kein Wunder also, dass Sie aufgeregt waren. Heute müssen Sie nicht zittern- weder vor Aufregung noch vor Kälte. Heute müssen Sie nichts aufsagen, wenn Sie nachher am Altar stehen und den Segen Gottes, den Sie bei Ihrer Konfirmation empfangen haben, neu zugesprochen bekommen.

Was hat Ihnen dieser Segen bedeutet in all den Jahren, vom Tag Ihrer Konfirmation bis zum heutigen Tag- wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen 50, 60 oder sogar 70 Jahre? Was hat es für Sie bedeutet, dass Sie evangelisch sind, dass Sie Christen sind und zu Jesus Christus gehören? „Ich habe meinen Glauben immer gelebt, mal mehr mal weniger.“ So hat eine von Ihnen Rückblick gehalten im Zeitungsinterview. Das finde ich beeindruckend, wenn jemand im Rückblick auf 70 Jahre gelebten Lebens sagen kann: „Ich habe meinen Glauben immer gelebt.“ Und ich finde es ehrlich, dass danach noch der Nachsatz kommt: „mal mehr, mal weniger.“ Denn ohne diesen Nachsatz wäre diese Aussage wohl zu steil. So glatt verläuft ein Menschenleben nun einmal nicht. Beim Rückblick auf so viele Lebensjahrzehnte sind da immer auch Höhen und Tiefen. Auch im Glaubensleben ist das so. Glaube und Zweifel gehören zusammen. Auf eine Zeit, in der der Glaube und die christliche Gemeinschaft ganz wichtig ist für mich, kann auch wieder eine andere Zeit kommen, in der das alles für mich ganz weit weg ist.

Heute ist für Sie alle, liebe Konfirmationsjubilare, ein Tag, an dem Sie Ihren christlichen Glauben „mal mehr“ leben – selbst wenn Sie das in den letzten Jahren oder Jahrzehnten eher weniger getan haben sollten. Mal mehr, mal weniger fest im Glauben stehen- das kennen wir alle aus unserem Leben, wenn wir ehrlich sind. Ja, sogar die großen Vorbilder im Glauben, die uns die Bibel vor Augen stellt, kennen dieses „mal mehr, mal weniger.“ Manchmal sogar in ganz dramatischer Weise, so wie Petrus, der seinen Herrn Jesus Christus dreimal verleugnet hat (Lukas 22, 54-62). Ich denke, Petrus hätte diesen Satz: „Ich habe meinen Glauben immer gelebt, mal mehr, mal weniger“ deswegen nicht unterschreiben können. Petrus hätte wohl eher sagen müssen: „Dass ich zu Jesus gehöre, daran habe ich zwar ein Leben lang festhalten wollen. Aber geschafft habe ich es nicht.“

Am Glauben festhalten in der Not, in der Gefahr, wenn es uns womöglich selbst an den Kragen geht- könnten wir das? Wären wir bereit dazu? Petrus hatte sich das fest vorgenommen. „Nie werde ich dich verlassen, Jesus! Wenn es hart auf hart kommt, bin ich bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen, ja sogar mit dir zu sterben!“ So sagt er. Aber Jesus kannte Petrus besser als der sich selbst kannte, und so antwortetet er ihm: „Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.“ (Lukas 22,34) Und tatsächlich- es kommt, wie Jesus es vorhergesehen hat. Aber denken wir zunächst einmal nicht zu schlecht von Petrus. Immerhin ist er der einzige Jünger, der überhaupt hinterherläuft, als Jesus gefangen weggeführt wird. Alle anderen Jünger sind schon vorher vor Angst geflohen. Auch Petrus hat Angst- große Angst. Deswegen hält er Abstand, als er hinter den Bewaffneten herläuft, die Jesus gefangen genommen haben. Petrus will sehen, was sie mit Jesus jetzt machen. Sie bringen ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus folgt ihnen bis in den Hof. Von dort aus kann er in das Haus hineinsehen. Ja, manchmal gelingt es ihm sogar, einen Blick auf Jesus zu erhaschen. Jesus wird verhört, die ganze Nacht lang. Petrus zittert vor Aufregung und vor Kälte. In der Mitte des Hofes brennt ein Feuer. Die Bediensteten des Hohenpriesters wärmen sich daran. Petrus friert. Er stellt sich einfach dazu. Die Wärme des Feuers tut gut. Von hier aus kann Petrus noch besser in das Haus des Hohenpriesters hineinsehen, sehen wie sie Jesus verhören. Eine Dienerin reißt Petrus aus seinen Gedanken. Sie zeigt auf ihn: „Der da war auch mit diesem Jesus zusammen!“ sagt sie. „Nein, ich kenne diesen Jesus gar nicht,“ sagt Petrus erschrocken. Dreimal geht das so. Dann kräht der Hahn. Im Haus des Hohenpriesters dreht Jesus sich um und schaut Petrus direkt in die Augen. „Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, mich zu kennen.“ Petrus erinnert sich an diese Worte von Jesus. Er läuft weg, raus aus dem Hof. Er weint bitterlich.

„Ich habe meinen Glauben immer gelebt.“ Bei Petrus war das nicht so. Er hatte es sich vorgenommen, immer zu Jesus zu halten; immer dazu zu stehen, dass er zu Jesus gehört. Aber Petrus hat es nicht geschafft. Er hat versagt und bittere Tränen darüber vergossen. Liebe Konfirmationsjubilare! Was haben Sie sich vorgenommen, damals am Tag Ihrer Konfirmation? Und was ist daraus geworden? Welche Ihrer Pläne konnten Sie umsetzen in Ihrem Leben? Welches Glück wurde Ihnen geschenkt? Wofür können Sie dankbar sein? Und was ist ganz anders gekommen, als Sie es erwartet und erhofft hatten? Wo haben Sie versagt, wofür schämen Sie sich? Worüber haben Sie bittere Tränen vergossen?

Petrus weint. Er schämt sich. So wollte er nicht Abschied nehmen von Jesus, seinem Herrn und Meister. Aber jetzt ist es wohl zu spät. Jesus ist verhaftet und verurteilt. Bald wird er am Kreuz sterben. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte die Zeit zurückdrehen und eine Entscheidung rückgängig machen, die ich getroffen habe. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte in die Vergangenheit reisen und meine Fehler wieder gut machen. Aber es geht nicht. Wir können das Leben nur vorwärts leben, nicht rückwärts. Petrus kann nicht mehr zurück in diese Nacht und an das Feuer im Innenhof, und dort antworten: „Ja, ich gehöre zu diesem Jesus. Ja, ich bin einer von seinen Jüngern. Ja, ich bin Christ. Ich lebe meinen Glauben. Ich stehe dazu- zu dieser Hoffnung, die mich trägt.“ Petrus kann nicht mehr zurück. Und doch muss er nicht auf Dauer in seiner Verzweiflung stehen bleiben. Für unsere Sünden ist Jesus Christus am Kreuz gestorben. Am dritten Tag ist er auferstanden, damit auch wir neues Leben haben.

Jesus Christus schenkt uns einen Neuanfang. Jesus Christus hilft uns, unseren Glauben zu leben- damit der Glaube wieder mehr wird, wenn wenig von ihm übrig geblieben ist. Petrus darf das erfahren. Nach Ostern begegnet ihm Jesus Christus, der Auferstandene am See Genezareth (Joh 21, 15-19). Am See Genezareth- dort hat alles angefangen. Dort hat Petrus Jesus kennen gelernt, als Petrus noch Fischer war und Jesus ihn in seine Nachfolge gerufen hat. Zurück zu den Anfängen geht es- so wie bei uns heute, wenn wir an Ihre Konfirmation denken. Damals vor 50, 60 oder 70 Jahren hat Ihr christlicher Glaube seinen Anfang genommen; damals, als Sie alt genug waren, um Ihr eigenes Ja zu sprechen zu Jesus Christus, auf dessen Namen sie getauft wurden. Manchmal braucht es einen Tag wie heute, an dem dieses Ja bekräftigt wird. Auch Petrus hat einen solchen Tag geschenkt bekommen. Dreimal fragt ihn Jesus Christus, der Auferstandene: „Hast du mich lieb?“ Dreimal antwortet Petrus darauf mit seinem Ja- genau so oft, wie er Jesus verleugnet hatte. Was vorher geschehen ist, ist deswegen nicht vergessen. Nie wird Petrus vergessen, wie er Jesus verleugnet hat. Aber Jesus legt ihn nicht darauf fest. Ja, Jesus vertraut ihm sogar eine große Aufgabe an: Petrus soll den christlichen Glauben weitertragen und für die Menschen da sein, wie ein Hirte für seine Schafe. Jesus hat noch Großes vor mit Petrus- und auch mit uns. Jesus will uns bei seiner Gemeinde haben, will dass wir in christlicher Gemeinschaft miteinander leben und unsere Erfahrungen miteinander teilen- gerade auch dann, wenn wir unseren christlichen Glauben nicht immer so gelebt haben, wie es hätte sein sollen. Gerade dann darf ich mich darauf verlassen: Wenn Jesus für Petrus, der ihn verleugnet hat, eine Zukunft in seiner Gemeinde gesehen hat, dann auch für mich.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Okuli

 

Predigt zum Sonntag Okuli, 2. März 2024

1.Petrus 1,18-21: Ihr wisst ja: Ihr seid freigekauft worden von dem sinnlosen Leben, wie es eure Vorfahren geführt haben. Das ist nicht geschehen durch vergängliche Dinge wie Silber oder Gold. Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus, dem fehlerfreien und makellosen Lamm. Dazu war er schon vor Erschaffung der Welt bestimmt. Aber jetzt ist er am Ende der Zeit für euch erschienen. Durch ihn glaubt ihr an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit verliehen hat. Deshalb könnt ihr nun euren Glauben und eure Hoffnung auf Gott richten.

Liebe Mitchristen!

Okuli heißt der Sonntag, den wir heute feiern. Okuli, das ist der Anfang von Psalm 25,15: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“ Und der Wochenspruch für die neue Woche ist ein Jesuswort aus Lukas 9,62: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Um die Blickrichtung geht es in den Bibeltexten für den heutigen Sonntag Okuli. Es geht darum, dass ich den Blick nach vorne richte- auf Jesus Christus.

Denn Jesus Christus gehört nicht der Vergangenheit an, auch wenn es schon 2000 Jahre her ist, dass er hier auf der Erde gelebt hat. Jesus Christus ist nicht nur Vergangenheit. Jesus Christus ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich. Jesus Christus ist schon immer da gewesen, vom Anfang der Welt an. Jesus Christus ist heute da. Im Gottesdienst hören wir auf sein Wort, beten zu ihm und feiern miteinander das Abendmahl, zu dem er uns einlädt. Aber nicht nur sonntags können wir Jesus Christus erfahren. An jedem Tag unseres Lebens ist er für uns da. Auf Jesus Christus richten wir unseren Blick, und es ist ein Blick nach vorne, ein Blick in die Zukunft. Die Zukunft gehört Jesus. Eines Tages wird er wiederkommen, für alle sichtbar. Dann wird alles gut werden. Darauf vertrauen wir als Christinnen und Christen. Dafür hat Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit verliehen.

Nach vorne soll ich schauen- auf Jesus Christus, der meinem Leben Sinn und Ziel gibt. Wenn ich mit dieser Blickrichtung die Hand an den Pflug lege und die Aufgaben angehe, die zu bewältigen sind in meinem Leben, dann wird es gut werden. Dann werde ich keine krummen Furchen pflügen und keine krummen Dinger drehen müssen. Dann kann ich geradlinig durchs Leben gehen. Dann bin ich immer noch keine Heilige. Aber ich kann mich darauf verlassen: Ich bin frei. Alles, was mich bedrückt und quält- meine Not, meine Schuld, die Irrungen und Wirrungen meines Lebenswegs- all das kann mich nicht mehr gefangen nehmen. Ich stehe da drüber. Ich sehe darüber hinaus, denn ich habe eine größere Perspektive vor Augen: Jesus Christus, der am Kreuz sein Leben für mich gegeben hat. Das ist mehr wert als alles Geld und Gold der Welt.

Ihr seid frei, heißt es im 1. Petrusbrief. Ich stelle mir vor, wie die Menschen damals in den ersten Christengemeinden diese Worte aus dem 1. Petrusbrief gehört haben. Viele von ihnen waren Sklaven. Menschen, denen ein Marktwert zugemessen wurde, je nach ihrer Leistungsfähigkeit. Menschen, die in völliger Abhängigkeit, ja Ausgeliefertheit leben mussten. Manchmal durfte es der eine oder die andere von ihnen erleben, dass sie freigekauft wurden. Dann sagten ihnen ihre Herren: „Du bist frei!“ Und es fing für diese ehemaligen Sklaven ein komplett neues Leben an- ein Leben in Freiheit.

Es ist ein großes Geschenk, dass niemand von uns heute unter solch prekären Bedingungen leben muss wie damals die Sklaven in der antiken Welt. Und doch wissen wir, dass es auch heute Menschen gibt, die von anderen versklavt werden, auch wenn es gegen alle Gesetze ist. Noch längst hat das Elend der Sklaverei kein Ende. Und auch wir, die wir Gottseidank keine Sklaven sind, machen uns immer wieder abhängig vom Urteil anderer- von dem, wie unsere Leistung, unser Leben bewertet wird. Ja, und auch von unserem eigenen Urteil machen wir uns abhängig. Denn mit uns selbst sind wir oft am unbarmherzigsten. Da bin ich dankbar für unseren Bibeltext, der mir sagt: „Du bist frei.“ Egal, wo du stehst. Egal, ob du deinen eigenen Ansprüchen genügst oder denen der anderen. Egal, wie viel Geld oder Besitz du dein Eigen nennst. Ja, auch wenn du versagt hast, wenn deine Fehler dich bedrücken oder dein Elend dich einholt. Lass dich nicht weiter runterziehen. Die Abwärtsspirale soll dich nicht gefangen halten. Du bist frei. Freigekauft nicht durch Silber oder Gold, sondern durch das kostbare Blut von Jesus Christus, dem fehlerfreien und makellosen Lamm.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer