Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Heiligabend, Predigt zu Lukas 2, 1-20

Liebe Mitchristen!

Das Weihnachtsfest ist etwas Großartiges, auf das wir viel Zeit und Mühe verwenden. Besonders die Kinder freuen sich schon seit Wochen auf dieses Fest, und zählen am Adventskalender die Tage bis Weihnachten.  Heute endlich ist es soweit, dass wir wieder miteinander unter dem Christbaum sitzen, dass wir uns an den Geschenken freuen und die schönen Weihnachtslieder singen! 

Ja, es mag sein, dass in diesem Jahr das eine oder andere Geschenk kleiner ausgefallen ist als sonst. Ja, es mag sein, dass in diesem Jahr die eine oder andere Lichterkette dunkel bleibt, die sonst im Vorgarten für hellen Weihnachtsglanz gesorgt hat. Die dunklen Ecken in unserem Vorgarten erinnern uns daran: Die Dunkelheiten unserer Welt sind nicht mit einem Schlag weggewischt an Weihnachten. Krieg und Inflation, Kälte und Not – das alles hört da nicht einfach auf. Aber in dieser Heiligen Nacht hören wir die Botschaft: Gott lässt uns nicht allein in unseren Dunkelheiten. Gott kommt zu uns auf die Erde. Als kleines Kind wird er geboren, ein Mensch wie wir. Das ist das Besondere der Weihnachtsgeschichte. Jedes Jahr hören wir diese Geschichte wieder neu. 

Als erster kommt in dieser Geschichte der mächtige Kaiser Augustus vor. Er lässt jeden zur Volkszählung in seiner Heimatstadt antreten. Sein kaiserlicher Befehl erlaubt keine Ausnahmen.  Also muss eben auch die hochschwangere Maria mit Joseph, ihrem Verlobten, nach Bethlehem, so schwer ihr die Reise auch fallen mag. In den Unterkünften dort ist nirgends Platz für die beiden. Und so wird ein Futtertrog zum Notbettchen für den neugeborenen Sohn. Eine sehr nüchterne Beschreibung einer Notlage ist diese Geschichte zunächst einmal. Von Gott ist da noch gar nicht die Rede. 

Der Kaiser ist es, der hier die Geschicke der Menschen lenkt. Alles muss seine Ordnung haben. Soziale Härtefälle werden nicht berücksichtigt. Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, das interessiert ihn nicht. Die Menschen sollen aufsehen zu ihm, dem Kaiser, und ihm gehorchen. Wie ein Gott lässt sich Augustus verehren von seinen Untertanen. Was ist geblieben von diesem größenwahnsinnigen Kaiser? Was bleibt von den Tyrannen, die ihre Macht rücksichtslos ausnutzen? Die Kriege anzetteln und sich als Helden feiern lassen? Vom Kaiser Augustus ist nicht viel geblieben.  Wir kennen ihn vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht. Vor allem aber kennen wir ihn aus der Weihnachtsgeschichte. Das heißt: Nicht, weil er ein mächtiger Herrscher war, kennen wir heute noch diesen römischen Kaiser Augustus, sondern weil im entlegensten Winkel seines Weltreiches unter katastrophalen Bedingungen ein Kind geboren ist. Dieses unscheinbare Kind ist es, das die Welt verändert hat, nicht der scheinbar so mächtige Kaiser. Denn in diesem unscheinbaren und armen Kind kommt Gott selbst auf die Welt: Jesus Christus, Gottes Sohn. Jesus Christus, Gottes Sohn – er wird nicht in den Palästen dieser Welt geboren, nicht in der Luxussuite im Fünfsternehotel, sondern unter ärmsten Bedingungen in einer Notunterkunft ohne medizinische Versorgung. 

Was wäre, wenn Jesus nicht im armseligen Stall geboren wäre, sondern im besten Hotel am Ort? Er hätte es verdient als Sohn Gottes, ganz sicher. Er hätte die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf seiner Seite gehabt. Ein paar Tage lang wären die Nachrichten voll gewesen mit dieser Meldung: Sohn Gottes in Bethlehem geboren. Und dann? Dann hätte das Interesse wieder abgenommen. Jesus wäre eine Berühmtheit unter vielen gewesen, und nach 2000 Jahren hätte sich längst niemand mehr für ihn interessiert. Aber so war es nicht, so wollte Gott nicht in die Welt kommen. Sein Sohn sollte kein zweiter Kaiser Augustus werden, der sich nur an seiner Macht und seinem Reichtum freut – aber die Not der Menschen in seinem Reich hat er nicht im Blick. Nicht bei den Menschen, die sowieso im grellen Rampenlicht stehen, sollte Gottes Sohn geboren werden. Er kommt in die Dunkelheit, zu den Ärmsten der Armen. Die ersten, die von der Geburt des Gottessohnes erfahren, sind Menschen, die die Nacht auf freiem Feld verbringen müssen – die Hirten. Die Hirten standen am Rande der Gesellschaft. Niemand wollte mit ihnen etwas zu tun haben. Sie galten als unehrliche Schafdiebe. 

Diese Hirten holt Gott aus der Dunkelheit ihres armseligen Daseins. Sie sehen ihr Leben nun in einem neuen Licht. „Die Klarheit des Herrn leuchtete um sie.“ Wie aus einer anderen Welt hören sie die Worte des Engels: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Der Heiland. Der Gott, der dich heil macht. Der Gott, der Zerbrochenes heilt und neues Leben schenkt – für uns alle. Und mit den Worten des Engels sickert die Klarheit des Herrn den Hirten ins Herz. Als der Gottesbote ausgeredet hat und der Lobgesang der himmlischen Heerscharen verklungen ist, da sind die Hirten ganz klar geworden. Sie haben Klarheit über sich. Sie fürchten sich nicht mehr. Sie lassen sich von Gott beschenken. Sie sehen klar den nächsten Schritt, der zu tun ist. Noch sind sie nicht am Ziel. Noch sind sie nicht bei der Krippe. Sie haben noch einen Weg vor sich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ 

Wie die Hirten machen auch wir uns heute wieder auf den Weg zum Stall von Bethlehem. Wir machen uns auf den Weg mit allem, was uns beschäftigt, mit Freud und Leid. Die Dunkelheiten und Ungereimtheiten unseres Lebens sind auch heute nicht weggewischt. Auch heute wird die Freude nicht überall ungetrübt sein. Aber von Bethlehem her scheint jetzt ein Licht in alle Dunkelheit der Welt, auch in unser Leben: Das Licht der Klarheit des Herrn. Das Licht der Engelsbotschaft: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer