Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2023
2. Mose 33, 18-23: Und Mose sprach zu Gott: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Liebe Mitchristen!
„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Gib mir irgendwas, das bleibt.“ So heißt es in einem Lied von Silbermond. Ich finde, dass dieses Lied gerade jetzt in unserer Zeit wieder aktuell ist. In einer Zeit, in der die alten Sicherheiten in Frage gestellt sind, die für uns Jahrzehnte lang selbstverständlich waren: Dass es keinen Krieg mehr gibt, oder höchstens ganz weit weg von uns. Dass wir uns keine Sorgen machen müssen, ob wir im Winter unsere Wohnung warm bekommen. Dass es im Sommer warm ist und im Winter kalt, ohne große Veränderungen, ohne Klimaveränderung. Dass die Erde bewohnbar bleibt. Alle diese Sicherheiten gibt es nicht mehr in unserer Zeit. Stattdessen sind wir unterwegs in eine Zukunft, die uns ungewisser scheint als je zuvor.
Mich erinnert das an die biblische Geschichte vom Volk Israel, das in der Wüste unterwegs war. Die alten Sicherheiten in Ägypten haben sie hinter sich gelassen, die sie als Sklaven dort gehabt haben_ Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Nun sind sie dem vagen Versprechen gefolgt, dass sie irgendwann einmal in ein gutes und fruchtbares Land kommen werden. Mose, ihr Anführer, hatte ihnen erzählt, dass ihnen Gott dieses Land versprochen hat: Ein Land, das von Milch und Honig fließt. Aber in den langen Jahren der Wüstenwanderung ist dieses Land nicht in Sicht gekommen – nur Hunger und Durst und diese unendliche, furchtbare Weite der eintönigen und lebensfeindlichen Wüstenlandschaft.
Kinder sagen ja immer bei einer langen Reise: „Wann sind wir endlich da?“ So wird es den Israeliten damals bei dieser Wüstenwanderung auch gegangen sein: Wann sind wir endlich da? Wo ist es denn nun, dieses Land, das Gott uns versprochen hat? Oder war das alles doch nur eine Fata Morgana, ein frommer Wunsch, eine billige Vertröstung? Wo ist Gott, der dieses Versprechen gemacht hat, dass alles gut wird in meinem Leben – auch wenn ich durch Wüstenzeiten gehe? Die Israeliten haben damals in der Wüste ihre eigene Antwort auf diese Frage gefunden. Sie haben sich einen Gott zum Anfassen gebaut: ein Stierbild aus Gold, ein goldenes Kalb. Sie sind um dieses Kalb herumgetanzt, um so ihren Gott anzubeten. Mose war nicht dabei. Er war auf dem Berg Sinai, um von Gott die Zehn Gebote zu empfangen. Als er herunterkam vom Berg, hat ihn die Wut gepackt über sein Volk.
„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint.“ Etwas, was ich sehen und anfassen kann. Dieser Wunsch steckte dahinter bei den Israeliten, als sie ihr goldenes Kalb gebaut haben. Aber Gott lässt sich nicht in so eine Form pressen. Ich kann Gott nicht für meine Zwecke gebrauchen. Da helfen keine goldenen Kälber, keine Beschwörungen und keine Zauberei. Denn Gott ist Gott, und ich bin nur ein Mensch. Wo ich in meinem Leben Gottes Hilfe erfahren darf, da habe ich das allein Gott zu verdanken und nicht mir selbst. Ich habe keinen Anspruch darauf. Gott ist und bleibt unverfügbar. Ich kann ihn nicht zwingen, mir zu helfen. Ich werde ihn nie ganz erfassen können mit meinem kleinen menschlichen Verstand. Es bleibt diese Anfechtung, dass ich mir Gott nicht vorstellen kann. Aber nur so bleibt Gott Gott. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal so gesagt: „Einen Gott, den man sich vorstellen kann, den kann man auch wieder zur Seite stellen.“ So wie man ein selbstgebautes Bild von einem goldenen Kalb wieder zur Seite stellen kann.
Und doch gibt es Zeiten in unserem Leben, wo wir diese Unbegreiflichkeit Gottes einfach nicht mehr aushalten. Wo wir das brauchen, dieses kleine bisschen Sicherheit – irgendwas, das bleibt, was ich anfassen, was ich sehen und begreifen kann. Dem Volk Israel geht es so, als ihr Anführer Mose nicht mehr in Sicht ist oben auf dem Berg. Aber auch Mose selbst geht es so. „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ sagt er zu Gott. Mose will etwas sehen. Er will Gott irgendwie wahrnehmen können. Mose weiß, dass das eigentlich nicht geht. Das goldene Kalb macht er wieder kaputt, weil es Gott nicht darstellen kann. Aber der Wunsch, Gott zu sehen, ist bei Mose trotzdem da.
Moses Wunsch, Gottes Angesicht zu sehen, kann Gott so nicht erfüllen. Gott sagt ihm: Du kannst mein Angesicht nicht sehen. Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. Gottes Herrlichkeit ist wie blendendes Licht, das alle Konturen und Formen überstrahlt. Kein Auge kann es sehen, ohne zu vergehen. Und doch geht Gott auf diesen Wunsch ein, den Mose hat. Gott will Mose etwas von seiner Herrlichkeit erfahrbar machen. So spricht Gott zu Mose: „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen.“
Was wir von Gott sehen können, ist nicht sein Angesicht. Aber wir können hinter ihm her sehen. Im Rückblick können wir erkennen, was wir in unserem Leben Gottes Gnade zu verdanken haben. Was im Nachhinein doch einen Sinn ergibt, obwohl wir in der aktuellen Situation gedacht haben: Gott wo bist du? Warum hilfst du mir nicht? Warum stecke ich in dieser Klemme? Hinterher sehen, das bedeutet: Im Rückblick etwas vom Glanz Gottes in meinem Leben erkennen zu können: Gott war da. Gott hat mich auch durch diese Zeit hindurch getragen, als ich in der Klemme gesteckt bin.
In unserem Bibelwort wird beschrieben, das Mose in eine Felskluft gestellt wird. Diese Felskluft steht für mich zum Einen für dieses In-der-Klemme-Stecken. Manchmal geht es mir so, dass ich gerade in der Bedrängnis, wenn ich nicht aus noch ein weiß, etwas von Gottes Nähe spüre und erfahre– aber oft auch erst im Rückblick. Zum Anderen ist diese Felskluft für mich auch ein Zeichen für den Ort der Geborgenheit, den ich brauche: Einen Ort, wo ich geschützt bin vor dem, was ich sonst nicht ertragen kann. Gottes Angesicht sehen, das kann ein Mensch nicht ertragen. Aber auch Anderes gibt es im Leben, was ich nicht ertragen kann, wo ich einen Schutzraum brauche, einen Rückzugsort. Ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Irgendwas, das bleibt. In der Felskluft schafft Gott für Mose diesen Raum, so dass er nicht vergehen muss. Ein sicherer und geborgener Ort ist dieser Felsspalt, aus dem Mose im Rückblick sehen kann, wo Gott gewirkt hat in seinem Leben.
Wir alle brauchen solche Orte der Sicherheit. Orte, wo wir nachdenken können, was Gott bewirkt hat in unserem Leben. Auch der Gottesdienst am Sonntagmorgen kann so ein Ort sein. Ein Ort, wo ich zur Ruhe komme, wo ich in Sicherheit bin. Wo ich meine Sorgen ablegen darf und daran denke, was Gott Gutes getan hat in meinem Leben. Ein Ort, wo ich Gott begegnen kann.
Für uns als Christinnen und Christen ist es Jesus Christus, in dem uns Gott von Angesicht zu Angesicht begegnet. Jesus Christus, der uns durchs Leben begleitet, zu dem wir beten und auf den wir vertrauen können. In Jesus Christus können wir den göttlichen Glanz entdecken, gerade auch dann, wenn wir in der Klemme stecken. Denn Jesus Christus ist selber in der Klemme gesteckt. Sein Weg ans Kreuz schien eine Sackgasse zu sein, ein unwürdiges Ende für Jemanden, der so vielen Menschen Gott nahe gebracht hat. Aber für Gott war es nicht das Ende, war es keine Sackgasse. Gott hat seine Herrlichkeit offenbar werden lassen in Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Er gibt uns Sicherheit. Er ist das, was bleibt. An ihn können wir uns halten in allen Zeiten unseres Lebens – in den sicheren und in den unsicheren.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer