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Gedanken zum Sonntag

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

 

Liebe Gemeinde,

es ist November geworden. Die letzten Blätter an den Bäumen fallen. An die Stelle des leuchtenden Rots und Gelbs des Oktobers tritt das Grau des Novembers. Die Natur zeigt uns ihre Vergänglichkeit. Sie erinnert uns an unsere Zerbrechlichkeit und Endlichkeit. Wir gehen auf den Friedhof, richten die Gräber unserer Angehörigen und denken an die Verstorbenen. Wie es wohl ist, dort in Gottes Reich?

Manchmal sehnen wir uns danach, etwas von dem zu sehen, was für unsere Augen (noch) nicht sichtbar ist. Besonders in Krisenzeiten sehnen wir uns danach, dass es da noch mehr gibt als dieses Hier und Jetzt. Wir fragen: Wo ist Gott? Wo spüren wir etwas von seinem verheißenen Reich?

Wir hoffen angesichts des Kriegs in der Ukraine, angesichts von Terror, Ungerechtigkeit, Hunger und Menschen, die in unvorstellbarer Armut leben, dass Gott mit den Prophezeiungen wahr macht, dass Güte und Treue einander begegnen und Gerechtigkeit und Friede sich küssen werden.

Wir hoffen auf eine Welt, in der Schwerter zu Pflugscharen gemacht werden und kein Volk mehr gegen das andere das Schwert erheben wird.  

Wir sehnen uns nach einer Welt, in der Gott alle Tränen abwischen wird und der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz mehr sein werden, weil Gott alles neu macht.

Wann kommt das Reich Gottes? fragen die Pharisäer Jesus. Auch sie sehnen sich danach, dass ihre Welt neu werde. Sie sehen täglich Armut und Leid. Sie sehen Männer, die Tagelöhner wurden, weil sie die Pacht und Steuern für ihr Land nicht mehr zahlen konnten.

Sie sehen Frauen, die am Straßenrand um Brot für ihre Kinder betteln oder sich prostituieren, um überleben zu können. Sie sehen Kranke, die sich keinen Arzt oder Medizin leisten können.

Sie sehen Menschen, die sich einen Beistand wünschen, wenn sie von den Mächtigen und Reichen ungerecht behandelt werden.

»Wann kommt das Reich Gottes?«, fragen sie Jesus.

Hoffen sie auf ihn? Hoffen sie, dass Jesus das Reich Gottes bringen wird? Ist er der erwartete Messias? Wird er die Römer durch die Macht Gottes aus dem Land jagen? Wird er Gerechtigkeit, Frieden und Mitmenschlichkeit schaffen?

»Wann kommt das Reich Gottes?«, fragen sie Jesus.

Hören Sie den Predigttext für den heutigen drittletzten Sonntag des Kirchenjahres aus Lukas 17, 20–30.

Wann kommt das Reich Gottes? Wann kommt die Zeit, in der Gott das Sagen hat und nicht die Reichen und Mächtigen dieser Welt? Wann kommt die Zeit, in der alle nach der Thora und den Geboten Gottes leben? Wann werden sie ernsthaft befolgt?

Der Frage nach dem »Wann« weicht Jesus aus. Niemand weiß die Stunde. Er weiß, dass manche denken: Was wir heute sehen und erleben, sind doch eindeutige Zeichen dafür, dass es kurz bevorsteht! Jesus sagt: »Nein, es gibt keine äußeren Zeichen. Keiner kann sagen: Da oder dort ist es. Keiner kann ausrechnen, wann die Welt der Willkür untergeht.«

Stattdessen sagt er, wo es ist: »Seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.«

Ich stelle mir vor, wie die Pharisäer den Kopf schütteln.

Mitten unter uns? Das wüssten wir! Dann sähe doch unsere Welt ganz anders aus. Erlöster, befreiter, glücklicher könnten wir leben. Sie drehen sich enttäuscht um. Andere unter ihnen sehen Jesus fragend an, denken nach, nicken: Sie haben davon gehört, dass Jesus gerade erst zehn Aussätzige geheilt hatte. Die Aussätzigen vegetierten auf ihren Tod zu. Es gab keine Medizin, die sie hätte heilen können. Sie waren ausgegrenzt, isoliert, hatten keinen Kontakt zu ihren Familien. Sie hatten keine Hoffnung auf Besserung – auf Zukunft und Leben. Und nun hatte dieser Jesus sie geheilt. Ja, nicken sie,

ihnen wurde das Leben neu geschenkt. Und einer von ihnen, der hat erkannt, welch großes Wunder an ihm geschehen ist und lobte Gott mit lauter Stimme. Ihm war es, als ob der Himmel auf die Erde und mitten in sein Leben kommt – Gottes Reich mitten unter den Todgeweihten.

»Seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.« Ich vermute, dass die Jünger innerlich zustimmten, als sie Jesus so reden hörten. In dem, was Jesus tat und sagte, ist für sie Gottes Reich schon angebrochen. Durch Jesus haben sie die Liebe Gottes erfahren. Sie erlebten einen Gott, der sie alle annimmt, so wie sie sind – mit ihren Macken, ihrer Schuld und Unvollkommenheit. Ja, mit Jesus ist das Reich Gottes zu ihnen gekommen. Das haben sie erlebt.

Er wird wiederkommen zu richten die Lebenden und die Toten – so haben wir es im Glaubensbekenntnis eben gesagt.

Doch was sagt Jesus jetzt zu ihnen? Es wird die Zeit kommen, da werdet ihr euch danach sehnen, den Menschensohn zu sehen – aber ihr werdet ihn nicht sehen können. Diese Zeit müsst ihr aushalten. Fallt nicht rein auf falsche Propheten.

Und seid bereit, wenn der Menschensohn kommen wird.

Wie ein Blitz, der aufblitzt und quer über den ganzen Himmel leuchtet, wird er kommen.

Wie ein Blitz: Unübersehbar und kraftvoll wird er diese Welt verwandeln, so wie damals, als die Sintflut kam und alles Böse unterging und Gott mit seiner Menschheit nochmals ganz neu anfing, wie damals, als in Sodom Lavaströme die Sünder vernichteten, damit eine neue, bessere Welt entstehen kann.

Was Jesus da sagt, wirkt auf uns vermutlich bedrohlich und unangenehm. Mit den Geschichten von Sintflut und Sodom kam das Gericht Gottes über die Welt: Menschen mussten für ihre Taten und Untaten geradestehen und die Konsequenzen tragen.

Vorstellungen vom Gericht sind auch mit dem Kommen des Reiches Gottes und den Tagen des Menschensohns verbunden. Jesus ist der Richter, der kommen wird.

»Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten«, bekennen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis.

Jesus will mit der Vorhersage des Gerichts seine Freunde jedoch nicht in Angst und Schrecken versetzen.

Ganz im Gegenteil: Er will sie ermutigen, dranzubleiben an Gott, an ihrem Glauben.

Wenn solche Zeiten kommen, in denen das Leben bedroht ist von Sintflut und Feuer, von Krieg und Pandemie, ruft Jesus uns auf, bei Gott Halt und Hilfe zu suchen. Hofft auf sein Reich, das jetzt schon mitten unter euch ist. Eines Tages wird unsere Welt ganz und gar verwandelt werden. Spüren auch wir etwas von Gottes Reich mitten unter uns?

Wo Menschen sich einander verzeihen – da ist das Reich Gottes. Wo die Liebe den Hass besiegt, ist das Reich Gottes. Wo Menschen mit ihren Begabungen anderen Menschen dienen – Reich Gottes. Wo wir in unseren Gemeinden zulassen, dass Neues wachsen kann und einander vertrauen- Reich Gottes. Und wenn wir nachher gemeinsam Abendmahl feiern, dann erleben wir auch ein Stück Reich Gottes.

Wir sind Mitarbeitende Gottes an seinem Reich

Wann kommt das Reich Gottes?

Wann kommen die Tage des Menschensohns?

Jesus ist auf unsere Welt gekommen. Er hat uns eine Ahnung vom Gottes-Reich gegeben, indem er Menschen geheilt und versöhnt hat, eine zweite Chance und einen Neuanfang geschenkt hat.

Eines Tages wird er wiederkommen Er wird unsere Welt vollkommen verwandeln und Gottes Reich aufrichten. Es wird ein Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit sein.

Bis dahin ist es uns aufgetragen, an Gottes Reich mit zu-bauen. Wir sind berufen, Mitmenschen zum Leben zu helfen. An uns liegt es, für Frieden,

Gerechtigkeit und die Bewahrung unserer Schöpfung einzutreten.

Wir sind berufen, unsere Hoffnung weiterzusagen:

Gottes Reich ist mitten unter uns – Gott ist mitten unter uns. Amen.

Prädikantin Heike Kohler, Schura