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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2020


Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe. 

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“ 

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte? 

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann. 

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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3. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2021

Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe.

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte?

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann.

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021

Predigt für den 2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021

Johannes 2, 1-11: Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.                                              

Liebe Mitchristen!                                                         

„Ich würde gerne mal was Richtig Illegales machen, zum Beispiel mich mit Freunden treffen.“ Diesen Spruch las ich neulich in einem sozialen Netzwerk. Sich mit Freunden treffen oder gar ein fröhliches Fest zu feiern, das ist in der jetzigen Situation in weite Ferne gerückt. Unser Predigttext erzählt von einem Hochzeitsfest in Kana. Ich denke an das Brautpaar, das im Februar in unserer Kirche seine Trauung feiern wollte. Wir haben das Fest auf Juli verschoben und hoffen, dass wir dann in einem festlichen Rahmen feiern können. Schmerzlich haben wir im letzten Jahr lernen müssen, dass es nicht selbstverständlich ist, in froher Runde ein Fest feiern zu können.

Es war noch nie selbstverständlich, auch damals bei der Hochzeit in Kana nicht. Da steht das Fest auf der Kippe, auch wenn die Gäste weiter ausgelassen feiern, auch wenn die Musik weiterspielt und immer noch Essen aufgetragen wird. Etwas stimmt nicht. Etwas ist faul an diesem Fest, und das Ganze könnte Knall auf Fall zu Ende gehen, mit einer Riesen-Blamage für die Brautleute, in Spott und Schande, oder gar im Streit. Maria ist die Erste, die das bemerkt. Aufmerksam beobachtet sie das bunte Treiben.  Da fällt ihr auf: Immer mehr der Weingläser, die gerade noch mit rot funkelndem Wein gefüllt waren, sind jetzt leer. Und sie begreift: Das ist kein Zufall. Der Wein ist ausgegangen. Und mit dem Wein wird auch dieses Fest bald enden. Es sei denn, man könnte irgendwie Abhilfe schaffen. Aber wie? Maria weiß: Da kann ich eigentlich nichts machen. Es ist schlichtweg unmöglich, jetzt auf die Schnelle irgendwo genügend Wein für die vielen Hochzeitsgäste zu bekommen. Ich weiß nicht weiter. Ich kann nichts machen. Ich habe keine Idee, wie das hier gut ausgehen kann. Solche Erfahrungen kennen wir alle.

Aber Maria lässt nicht einfach den Kopf hängen. Sie wendet sich an Jesus, ihren Sohn. Jesus antwortet seiner Mutter: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?“ Diese Worte wirken auf mich schroff und verletzend. Diese Worte machen mich nachdenklich, und ich überlege mir, wie für mich wäre: Wenn ich auf einer Hochzeit eingeladen wäre, und mein erwachsener Sohn und seine Freunde sind auch unter den Gästen. Für meinen Sohn würden da verschiedene Lebensbereiche aufeinanderprallen: Die Mutter und die Freunde. Mit der eigenen Mutter redet man anders als mit seinen Freunden. Die Themen sind andere, die Wortwahl, der Umgang miteinander. Zwei Lebensbereiche, die nicht zusammenpassen: Die Eltern und die Freunde. Meistens wollen wir diese Lebensbereiche eher getrennt voneinander halten, und eine Vermischung, ein Zusammenkommen von beiden Bereichen ist uns eher unangenehm. Ist es das, was Jesus mit diesen schroffen Worten seiner Mutter sagen will: „Belästige mich nicht, blamier mich nicht vor meinen Freunden?“ Wörtlich übersetzt klingt die Antwort von Jesus an seine Mutter nicht ganz so krass: „Was ist mit dir und mit mir, Frau?“ So könnte man auch übersetzen. Also: In welchem Verhältnis stehen wir beide zueinander? Ein erwachsener Sohn und seine Mutter. Es ist nicht mehr so, wie früher, als der Sohn noch ein Kind war. Mutter und Sohn müssen ihr Verhältnis zueinander neu definieren.

„Was ist mit dir und mit mir?“ Jesus stellt diese Frage. Je länger ich über diese Frage nachdenke, desto mehr wird sie zu einer Frage an mich: In welchem Verhältnis stehe ich eigentlich zu Jesus? Was erwarte, was erhoffe ich mir von ihm? Will ich nichts mit ihm zu schaffen haben? Oder weiß ich ganz genau, wie er helfen soll, damit meine Probleme gelöst werden?

Maria erhofft etwas von Jesus. Er kann helfen, davon ist sie überzeugt. Aber wie genau? Maria lässt das offen. Sie sagt nicht: Jesus, könntest Du bitte dieses Wasser in Wein verwandeln? Jesus ist kein göttlicher Bestellservice, der einem genau das liefert, was man sich wünscht. Wann und wie er hilft, das lässt er sich von niemandem vorschreiben, auch nicht von seiner Mutter. Maria weiß das offensichtlich. Und so nennt sie Jesus einfach nur das Problem, ohne gleich eine Lösung vorzuschlagen. Maria sagt ganz schlicht: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Und sie lässt sich auch von Jesu schroffer Antwort nicht entmutigen, sondern sagt zu dem Küchenpersonal über Jesus: „Was er euch sagt, das tut.“ Maria drängt nicht auf eine Lösung. Sie hat Vertrauen in Jesus. Er kann helfen. Daran hält sie sich fest – auch wenn Angst, Sorge und Zweifel noch so groß sein mögen.

Jesus kann helfen, auch in karger Zeit. Auf wundersame Weise füllen sich die Krüge, und es ist genug für alle da: Leben in Fülle, Gemeinschaft und Freude. Jesus Christus, Gottes Sohn, zeigt sich uns in seiner Herrlichkeit. Das dürfen wir feiern – ja, gerade auch jetzt, in dieser Zeit, wo es nichts groß zu feiern gibt, und wir uns nicht mit unseren Freunden treffen können. Maria macht es uns vor: Gelassenes Vertrauen lohnt sich, auch gegen den äußeren Anschein.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 10. Januar 2020


Römer 12, 1-8: Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des Glaubens. Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand prophetische Rede, so übe er sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so versehe er dies Amt. Ist jemand Lehrer, so lehre er. Hat jemand die Gabe, zu ermahnen und zu trösten, so ermahne und tröste er. Wer gibt, gebe mit lauterem Sinn. Wer leitet, tue es mit Eifer. Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude.

Liebe Mitchristen!

Wir feiern Gottesdienst – jeder und jede an seinem und ihrem Ort, bei sich zuhause, nicht zusammen in der Kirche. Ein vernünftiger Gottesdienst ist das, wenn wir so feiern und dadurch das Infektionsrisiko minimieren. Aber ist das dann überhaupt noch ein Gottesdienst? Gehört zum Gottesdienst nicht dazu, dass wir uns leibhaftig begegnen, dass wir körperlich anwesend sind und in Kontakt miteinander kommen? Was wird aus unserer Gemeinde, wenn solche Begegnungen fehlen? Wie können wir unter diesen Bedingungen Gemeinschaft erleben und die christliche Botschaft von Gottes Liebe mit Leben erfüllen? Der Apostel Paulus konnte auch nicht immer leibhaftig anwesend sein in den christlichen Gemeinden, die er betreut hat. Dazu war das Gebiet zu groß, in dem er als Missionar tätig war. Aber er hat einen Weg gefunden, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Er hat Briefe geschrieben. Manchmal sogar an Gemeinden, die er gar nicht persönlich kannte, so wie die Gemeinde in Rom. Vielleicht ist das so ähnlich, wie wenn wir einen Gottesdienst auf Youtube hochladen und damit auch Menschen erreichen, die wir gar nicht kennen. Eine andere Art von Gottesdienst ist das, eine, die für uns ungewohnt ist, und bei der wir die persönliche Begegnung vermissen. Aber es ist eben auch Gottesdienst. Es gibt viele Arten von Gottesdienst. 

Es gibt viele Wege, wie die christliche Botschaft von Gottes Liebe zu den Menschen kommt. Darüber schreibt Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom. Er schreibt darüber, was aus seiner Sicht ein vernünftiger Gottesdienst ist: „Dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei.“ Hingabe gehört zu einem vernünftigen Gottesdienst dazu, egal wie und wo er gefeiert wird. Dass wir ganz dabei sind bei dieser Feier, aus vollem Herzen mitbeten und aus voller Kehle mitsingen. Dann sind wir ganz mit dabei, auch mit unserem Körper, mit unserer Stimme. Wie wertvoll das ist, dass wir beim Gottesdienst auch unsere Stimme erheben dürfen und mitsingen, das wissen wir erst, seitdem wir in unseren Gottesdiensten notgedrungen auf das gemeinsame Singen verzichten, damit niemand sich dabei ansteckt. Und wie wertvoll es ist, wenn wir uns nach dem Gottesdienst zum Abschied die Hand geben oder uns umarmen können, das wissen wir auch erst, seitdem wir aus Liebe daraus verzichten, damit niemand krank wird. Wie werden wir uns freuen, wenn wir das alles wieder unbeschwert tun können, wenn diese Pandemie ein Ende hat! Aber noch ist es nicht so weit. Noch brauchen wir Geduld und die Vernunft, zu der uns der Apostel Paulus in unserem Predigttext ermutigt. Prüfen sollen wir, „was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ 

Ich könnte mir denken, der Apostel Paulus hat es auch manchmal schmerzlich vermisst, dass er nicht leibhaftig anwesend sein konnte in den Gemeinden, die ihm so wichtig waren. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er so viel über den Leib geschrieben hat in seinen Briefen. Leibhaftig und mit allen Sinnen – so haben die Menschen auch zu seiner Zeit in ihren Gemeinden ihre Gottesdienste gefeiert. 

Unser Körper gehört dazu, wenn wir Gottesdienst feiern. Ja, auch dann, wenn wir nicht leibhaftig anwesend sein können in unserer Kirche. Eine Frau aus unserer Gemeinde hat mir erzählt, wie sie den Fernsehgottesdienst bei sich daheim mitfeiert. Zuerst richtet sie sich zuhause einen gottesdienstlichen Platz ein. Sie zündet Kerzen an. Sie holt ihr Gesangbuch. Bei den Liedern singt sie laut mit, und beim Beten steht sie auf. Mich hat das beeindruckt, wie diese Frau mit aller Hingabe und mit ihrem ganzen Körper den Gottesdienst mitfeiert, zuhause in ihrem Wohnzimmer. 

Und auch wenn wir uns nicht leibhaftig begegnen, heute beim Gottesdienst in unserer Kirche, wir sind und bleiben miteinander verbunden. Auch wenn wir uns nicht körperlich spüren wie sonst im Händedruck unseres Gegenübers, als Gemeinde Jesu Christi sind wir ein Leib, wie Paulus das sagt. In Jesus Christus sind wir alle miteinander verbunden, so wie Gliedmaßen an einem Körper. Ein Bild, aus dem eine unglaubliche Nähe spricht – näher geht es gar nicht mehr. Gerade weil Paulus weit weg ist und mit seinen Gemeinden nur durch Briefe in Kontakt bleiben kann, ist ihm dieses Bild so wichtig und so wertvoll: „Wir, die vielen, sind ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des anderen Glied.“ Wir bleiben verbunden. Wir hängen zusammen als Gemeinde. Nur zusammen sind wir als Gemeinde überlebensfähig. Jeder und Jede von uns trägt seinen und ihren Teil dazu bei. Und gerade in der jetzigen, so schwierigen Zeit, entdecken wir immer neue Begabungen in unserer Gemeinde. Denn Gottesdienst ist nicht nur, wenn wir sonntagmorgens in unserer Kirche zusammenkommen. Gottesdienst ist überall da, wo Menschen dort, wo sie sind einen Abglanz von Gottes Reich geben. Feiern wir also unser Leben als Gottesdienst. Und loben wir Gott mit unseren Liedern und Gebeten, genauso wie mit unseren Taten – mit Freude und Hingabe, aus vollen Herzen und voller Überzeugung. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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2. Sonntag nach Weihnachten

2. Sonntag nach Weihnachten – 03. Januar 2021

Gottesdienst mal anders in einer besonderen Zeit

Das neue Jahr hat begonnen. Vielleicht haben Sie sich auch für dieses neue Jahr gute Vorsätze vorgenommen. Ja, der Wunsch nach Veränderung nach dem „komischen“ Jahr 2020 ist groß
  • Endlich mal wieder frei verreisen 
– endlich mal wieder Freunde besuchen
– endlich wieder mal aus voller Kehle singen 
Und noch mehr, oder?

Der Wochenspruch zum Beginn des neuen Jahres strahlt noch das Licht von Weihnachten aus– das Licht, das das Kind in unserem Leben ausstrahlen möchte:
„Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. Joh 1, 14b


Wie auch im Psalm 100:
Jauchzet dem Herrn, alle Welt!
Dienet dem Herrn mit Freuden,
kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!
Erkennet, dass der Herr Gott ist!
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst
zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.
Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben;
danket ihm, lobet seinen Namen!
Denn der Herr ist freundlich, und seine Gnade währet ewig
und seine Wahrheit für und für.
Psalm 100 (EG 740)


Denkimpulse zur Jahreslosung 2021

BARMHERZIGKEIT!

Was ist denn eine Jahreslosung?

Die Jahreslosung wird alle vier Jahre von der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ausgewählt. Dabei wird in den Blick genommen, dass der Bibelvers in einer knappen Formulierung Hoffnung und Trost ausdrückt und zum Nachdenken bringt.

Wie heißt denn die Losung für das Jahr 2021?

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Lukas 6, 36

Das erste was auffällt, ist dieses Wort, das zweimal verwendet wird: barmherzig.
Zweitens stelle ich fest, dass dieser Vers doch wie eine Aufforderung klingt!

Woher stammt dieses Wort?
Zuerst sind mit „barmherzig“ verwandt Barmherzigkeit, Herz und arm. Wenn ich in der französischen und englischen Bibel schaue, entdecke ich an der Stelle die Worte „miséricordieux“ auf Französisch und „mercifull“ auf Englisch.
Beide Begriffe stammen aus dem lateinischen:
„cor“ = coeur = Herz und miseria= Not, Unglück.
Das deutsche Wort hat seine Abstammung im Althochdeutsch und wird zusammengesetzt aus „arm“ (unglücklich und später das Gegenteil von Reich bedeutend) und aus „Herz“, in dem Fall als Ort der Gefühle, der Empfindungen. 
Dennoch wird doch die Redewendung „barmherzig sein“ gebraucht im Zusammenhang mit einer Autoritätsperson, die seinen Untertanen vergibt, gnädig ist, wie unter anderem in einem bekannten Gleichnis, Schulden erlassen werden (Mt 18, 21-35). 

In dem Zusammenhang fallen mir zwei Einrichtungen ein, deren Namen mit der Jahreslosung zusammenhängen.
Es ist gar nicht so lange her, dass auf dem Heuberg Ordensschwestern in den Kindergärten oder bei der Sozialstation tätig waren.
Vielleicht hilft es zurückzuschauen, woher der Orden stammt und warum der Orden so heißt, wie er heißt.
Ich nehme Sie kurz und bündig mit in die französische Geschichte des 16. Jhdt.:  In Frankreich herrschen die Monarchie und eine große Spannung zwischen Katholiken und Protestanten. Es ist eine Zeit der Religionskriege, die 1598 mit dem Edikt von Nantes ein wenig zur Ruhe kommt. Kriege und Pest haben die Bevölkerung in großen Teilen zur Armut geführt.
Vinzenz von Paul (Vincent Depaul) ist 1581 im Südwesten Frankreichs geboren bei Pouy heute St. Vincent de Paul, in les Landes. Er wächst auf dem Bauernhof seiner Eltern in einer katholischen Familie in einer Region, in der damals die Konfrontation zwischen Katholiken und Evangelischen zu spüren ist, auf. 1600 wird er zum Priester geweiht und mit 19 Jahren Gemeindepfarrer. Die folgenden Jahre sind durch wechselnde Arbeitsplätze, bis hin zum Hauslehrer geprägt. Und was ihm doch sehr beschäftigt hat, war die Frage, wie die Nachfolge Jesu aussehen solle. Was sollte er dafür und dazu beitragen?
Schließlich wurden aus seiner Berufung Taten: nicht nur Menschen die frohe Botschaft bringen, sondern sie auch in ihrer Not begleiten: Ihren Hunger und Krankheiten lindern. 1633 wurde schließlich die Gemeinschaft der Barmherzigen Schwestern gegründet (compagnie des Filles de la Charité). Dieser Orden hatte und hat heute noch so zu sagen, ihr Kloster auf der Straße, mitten im Leben der Menschen.
Über Strasburg kam der Orden nach Deutschland. In der Region ist uns das Mutterhaus in Untermarchtal mit unterschiedlichen Einrichtungen im Raum Rottweil und Balingen bekannt.

Das Wort „charité“ ist mir in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Pandemie öfters über dem Weg gelaufen!
Was heute zum Universitätsklinikum in Berlin gehört hat mal mit anderen Absichten angefangen. 
Also gehen wir auf das Jahr 1710 in Berlin zurück. Die Pest wütet in Osteuropa. Präventiv lässt der König Friedrich I in Preußen ein sogenanntes Pesthaus vor den Toren Berlin herrichten. Die Pest bleibt dieses Mal der Stadt fern. Aus dem Pesthaus wird ein Hospiz für verarmte alte Menschen, für uneheliche Schwangere und für Bettler. Später ist aus dem Hospiz ein Lazarett und ein Hospital geworden, bis hin zu dem heutigen Universitätsklinikum.

Interessant jedoch ist der Name des Krankenhauses. „Charité“ stammt wieder mal aus dem Lateinischen „caritas“, Nächstenliebe – Dienst an den Menschen in der Not. 
Wie stehen Caritas und Barmherzigkeit zueinander? Wie passen diese Einrichtungen zu der Jahreslosung?
Ob mit „Charité“ oder „Barmherzigkeit“ geht es in beiden Fällen darum, die Not der Menschen auf Grund der Nächstenliebe zu lindern. Menschen werden begleitet, ob im Kindergarten, im Krankenhaus, in der Beratungsstelle – mit dem Ziel ihnen Hoffnung auf eine besseres leben zu schenken oder die Not zu lindern, um das Leben lebenswerter zu gestaltet.

Ist damit der erste Teil der Losung geklärt?
„Seid barmherzig“ den Kranken, den Armen, der Traurigen, den Hungernden gegenüber, um ein paar Beispiele zu nennen. Jesu selbst ist auf diejenige zugegangen, die am Rand der Gesellschaft standen. Er war Vorbild zurzeit Vinzenz von Paul und ist es immer noch. Diese Aufforderung ist in der Konsequenz seines und meines Tuns eine Form der Nachfolge Jesu.
Mit Barmherzigkeit gebe ich dem anderen einen Raum der Geborgenheit, des Zuhörens, des Sattwerdens. Da fallen mir natürlich viele Bereiche der Diakonie und der Caritas ein. 

Ist nicht noch mehr in dem Wort zu finden?
Zur Barmherzigkeit gehört doch auch Vergebung, haben wir weiter oben festgestellt – Erlass von Schulden – gnädig sein. Das klingt wiederrum nicht so einfach.
Wie oft fällt es uns Menschen schwer zu vergeben?
Jemandem in der Not helfen, ist eine praktische Tätigkeit, die wir trotzt, des Wohlstands brauchen und immer brauchen werden, um Meschen ihre Würde zu bewahren, ihr Leben wertvoll zu halten. 

Wie kann der Mensch dennoch diese Aufforderung standhalten?
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Barmherzig sein – ja
Praktisch tätig sein – ja
Gnädig sein und vergeben – jein, würde ich als normal sterblicher Mensch spontan sagen.
Kann ich so einfach vergeben, wie in dem Vers gefordert wird? 
Ich meine, das dies zu einer der größten Herausforderungen im Glauben gehört.
Um in Frieden mit sich selbst zu leben, sind wir Menschen auf Vergebung angewiesen. Der Weg dazu kann jedoch ein langer sein!
Wenn ich den Vers in seinem Kontext im Kapitel 6 des Lukasevangeliums anschaue, wundert mich nichts mehr.
Er steht in der Feldrede, eine kürzere Fassung mit auch mal anderen Schwerpunkten der Bergpredigt, die die meisten von uns aus dem Matthäusevangelium kennen.
Dabei werden die zwischenmenschlichen Beziehungen in einem anderen Licht geworfen, aus anderen Perspektiven betrachtet. 
Um nur ein Beispiel zu nennen: Jeder von uns, weiß, dass zum Beispiel eine Eskalation der Gewalt nicht unbedingt zum Frieden führt, dass Vorurteile, Urteile und auf das eigene Ich pochen zu Neid und Ungerechtigkeit führen kann. 
Es hat doch seinen Sinn gehabt, warum sich Martin Luther King auf diese Herausforderungen der Bergpredigt, bzw. der Feldrede bei Lukas berufen hat. 
Aber welcher Sinn hat es diese Aufforderung auszuführen, wenn ich nicht selbst von dieser Barmherzigkeit hier im Vers berührt werde.
Wenn ich nicht selbst die Barmherzigkeit Gottes erfahre, damit das Leben lebenswert bleibt. Martin Luther King war von der Barmherzigkeit Gottes überzeugt. Er wusste auch, dass in der Nachfolge Jesu zu leben nur mit gebündelten Kräften zum an Kraft gewinnt. Der Vers wird mit einem Plural eingeleitet. „Seid“. Was wiederrum die Beispiele der obengenannten Einrichtungen zeigt.

Deshalb steht die Aufforderung barmherzig zu sein nicht allein da. Sie wird mit einem Vergleich ergänzt: wie auch euer Vater barmherzig ist!
Jesu Taten und Zuwendung jedem Menschen, wenn er/sie in oder auch abseits der damaligen Gesellschaft stand, waren ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes – „meines Vaters“, wie er sagte. 
Gott hat sich uns Menschen zugewandt. 
Weihnachten erinnert uns jedes Jahr daran – Ostern schließt nicht den Kreis, sondern eröffnet neue Wege.
Das Geschenk der Gnade, die Christen in der Taufe empfangen ist der Impuls, die Nährkraft, die die Menschen bewegen soll, „barmherzig“ zu sein. 
Diese Nährkraft ist die, die uns in Bewegung bringt. Ebenso gibt sie uns den Mut und die Kraft Entscheidungen zu treffen und das Leben zu ändern. Dabei ist das Leben des Nächsten, wie auch das meine, gemeint.

Welche Herausforderungen werden wir im Jahr 2021 erfahren? 
Vielleicht kann uns die Jahreslosung in unserm Tun,
bei den Entscheidungen, die wir treffen müssen, 
im Hinblick auf die Mitmenschen und ihre Lebensumstände,
in zwischenmenschlichen Beziehungen leiten.
Warum nicht?

Amen


B Begleiten – begegnen
A Armut – Arbeitslosigkeit
R Reparieren – raten
M Mut – Missstände
H Hören – Herz 
E Erleben – erfahren
R Reue – retten                                                             
Z Zeit haben – Zeugnis
I Integration – Ihr
G Gott – Gerechtigkeit
K Kraft – Kaffee
E Einsicht – erkennen
I Irren – Ich
T Teilen – Telefonseelsorge



Sophie Heinzelmann, Prädikantin, 03.01.2021
Gottesdienst mal anders in einer besonderen Zeit

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Weihnachten 2020


Predigt zu Weihnachten 2020

Lukas 2, 1-14: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Liebe Mitchristen!

Alles wird gut. Mit diesen Worten haben wir uns Mut gemacht beim Lockdown im Frühjahr. Viele Monate sind seither vergangen. Alles wird gut – diese mutmachenden Worte höre ich inzwischen kaum noch. Dabei brauchen wir diesen Zuspruch doch – gerade jetzt an Weihnachten. Nicht nur in diesem Jahr. Jedes Jahr ist das unser größter Weihnachtswunsch: Dass alles gut wird. Dass wir Weihnachten als freudiges und harmonisches Fest feiern können, im Gottesdienst in froher Runde, und auch im Familienkreis mit unseren Lieben aus nah und fern. Wird alles gut? Wie oft haben wir uns vor Weihnachten schon diese Frage gestellt: Wird alles klappen beim Krippenspiel? Habe ich bei den Weihnachtseinkäufen nichts vergessen? Schaffen wir es, dass es keinen Streit gibt beim Familientreffen? Fragen, die wir uns in diesem Jahr nicht mehr stellen müssen. Alles ist anders in diesem Jahr. Niemand von uns hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass wir den Weihnachtsgottesdienst nur auf youtube miteinander feiern werden. Dass in der Adventszeit die Läden geschlossen werden, und die Familien an Weihnachten nur in ganz kleinem Kreis oder gar nicht zusammenkommen. Kein Wunder, dass uns dieser Satz nur noch schwer über die Lippen kommt: Alles wird gut. 

Ich möchte festhalten an diesem mutmachenden Satz, gerade auch jetzt, wo wir Weihnachten so ganz anders feiern als sonst. Alles wird gut, denn Gott kommt zu uns an Weihnachten. Auch in diesem Jahr. Auch wenn unsere Welt keine heile Welt ist, keine Weihnachtsidylle wie wir sie uns wünschen. Aber Weihnachten ist mehr als das, was wir uns normalerweise darunter vorstellen. Gott kommt – gerade auch dahin, wo es nach menschlichem Ermessen nicht zu erwarten ist. Als Kind armer Leute wird er geboren, dort in Bethlehem. Maria und Josef, die Eltern, sind verachtete Leute. Sie sind Fremde dort in der Stadt, niemand will etwas mit ihnen zu tun haben. So finden sie kein Quartier und müssen die Nacht in einem Stall verbringen. Dort wird das Kind geboren, Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Retter der Welt. Die ersten, die von dieser Geburt erfahren, sind die Hirten von Bethlehem – Menschen am Rande der Gesellschaft, draußen auf dem Feld bei den Schafen, ohne ein warmes Bett, ohne gemütliches Zuhause im Familienkreis. Menschen, die es am eigenen Leib erfahren haben, wie hart das Leben ist. Menschen, die vielleicht frustriert sind, oder sogar wütend auf die, die es besser haben als sie. Menschen, die vielleicht Angst haben vor ihrer Zukunft: Wie soll es bloß weitergehen? Aber gerade zu diesen Hirten kommt Gott. Gerade ihnen schickt er einen Engel, der ihnen die Botschaft bringt: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ 
Ein Engel kommt. Einer, den Gott geschickt hat. Ob er aussah wie die Engel auf den Bildern, mit Flügeln und im weißen Gewand? Oder doch wie ein Mensch, in gewöhnlichen Kleidern und ohne Flügel? Die Weihnachtsgeschichte, wie sie in der Bibel steht, sagt uns das nicht. Es ist nicht wichtig, wie der Engel aussieht. Wichtig ist seine Botschaft. Wichtig ist, dass er da ist – zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Engel gibt es auch in unserer Zeit: Die Freundin, die anruft; die Familie, die einen Brief schreibt; der Nachbar, der fragt, ob man Hilfe braucht. Gottes Nähe und Gottes Schutz beflügelt Menschen, dass sie für andere Menschen zu Engeln werden können. Ein Engel, von Gott geschickt, und doch ganz und gar menschlich. Aber auch da, wo wir es nicht erfahren, dass ein Mensch für uns zum Engel wird, auch da ist Gott für uns da. Wo menschliche Nähe und Liebe aufhört, auch da ist Gott. Gott lässt uns nicht im Stich, auch wenn Menschen uns verlassen. Ja, gerade da, wo niemand es vermutet, ist Gott nahe. Gerade da erklingt die Botschaft der Engel: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ 

So war es damals bei den Hirten auf dem Feld, draußen vor der Stadt, wo niemand gerne sein wollte. Und weil das damals so war, deshalb gilt es auch für uns heute an Weihnachten 2020: Alles wird gut. Im Stall von Bethlehem, am Rande der Gesellschaft, wurde Gottes Sohn geboren. Gerade diesen Platz hat sich Gott dafür ausgesucht. In diese zerrüttete Welt schickt Gott ein kleines und wehrloses Kind. Gerade dort haben die Hirten es erfahren, dass es eine Zukunft für sie gibt, vor der sie sich nicht zu fürchten brauchen. Sie haben erfahren, wie sich diese zerrüttete Welt zum Guten ändern kann. Durch ein kleines Kind. Allein durch die Liebe. In Jesus Christus kam die Liebe in die Welt. Er hat so viel erleiden müssen, schon als kleines Kind in der Krippe, und erst recht später, als er unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Aber durch die Liebe hat er das alles überwunden: Alle Schuld der Welt, alles Leid und alle Verzweiflung. Durch sein Sterben und Auferstehen hat er gezeigt, dass es weiter geht, auch da, wo wir keinen Ausweg mehr sehen. 

Jesus Christus. Er schenkt uns die Hoffnung: Alles wird gut. Aus dieser Hoffnung heraus feiern wir Weihnachten – auch in diesem Jahr. Auch und gerade heute, an diesem besonderen Weihnachtsfest. Dankbar können wir zurückblicken auf all das Gute und Schöne, was wir in unserem Leben schon erleben durften.  Dass wir Weihnachten dieses Jahr nicht so feiern können, wie wir es gewohnt sind, muss uns nicht bekümmern. Denn wir haben Jesus Christus. Er hat die Armseligkeit und Verworrenheit dieser Welt am eigenen Leib erfahren. Im Stall von Bethlehem ist er für uns zur Welt gekommen. Er schenkt uns die Liebe – das größte Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen. Fürchte dich nicht, sagt der Weihnachtsengel. Alles wird gut.  

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer
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Gedanken zum Sonntag

4. Advent, 20. Dezember 2020


Gottesdienst mal anders in einer besonderen Zeit


Der 4. Advent steht unter dem Zeichen der Freude.
Den Weg zur Krippe (Weihnachten) mit Freude vorbereiten! Wie kann eine frohe Botschaft in diesen besonderen Zeiten lauten? Wie passt es zusammen?

Diese Freude ist an diesen Sonntag tatsächlich im Wochenspruch zu spüren:
Freuet euch in dem Herrn allewege, abermals sage ich:
Freuet euch! Der Herr ist nahe! Philipper 4,4.5b (Luther 2017)

Im Philipperbrief stehen diese hoffnungsvollen Worte
Trotz Bedrängnis oder Krise oder Pandemie sich auf etwas Besonderes, wie auf das Kommen Gottes als Mensch freuen.

Wie auch im Psalm 126:
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Dann wird man sagen unter den Heiden:
Der Herr hat Großes an ihnen getan!
Der Herr hat Großes an uns getan;
des sind wir fröhlich.
Herr, bringe zurück unsre Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen
und streuen ihren Samen
und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben.
Psalm 126 (EG 750)


Predigtgedanken zu Genesis 18, 1-5, 9-15, in der Form eines Tagebucheintrags

Liebes Tagebuch,

Heute ist der 20. Dezember 2020, eigentlich der 4. Advent. Eigentlich hätte heute der letzte Adventsgottesdienst vor dem Weihnachtfest stattfinden sollen. Wie es im Leben ist, kommt alles anders, als wir es uns gewünscht haben.
Heute findet in der Kirchengemeinde kein Gottesdienst statt. Lockdown auch für unsere Kirchengemeinde. Dann bleibe ich eben zuhause.
Es ist trotzdem ein komisches Gefühl. Wie soll der Lockdowm weihnachtliche Stimmung bringen? Was hat es überhaupt mit Weihnachten zu tun?
Darauf hin habe ich dann meine Bibel genommen und nach dem Predigttext geschaut. Da war ich schon erstaunt einen Text aus dem Alten Testament zu finden, nicht mal einen Text aus den Prophetenbüchern, was sonst vor Weihnachten üblich ist. Im Buch Genesis 18, 1-5 las ich dann:
„1Und der Herr erschien ihm im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. 2Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde 3und sprach: Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. 4Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum. 5Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen. Sie sprachen: Tu, wie du gesagt hast….“ (Luther 2017)

Was hat denn wohl Abraham mit dem 4. Advent eigentlich zu tun.  Erstaunlich finde ich es schon. Schaue ich tiefer in dem Text, entdecke ich, dass der HERR in Mamre (also Gott), Abraham besucht, während dessen er sich in der Mittagshitze im Schatten ausruht und seine Gedanken walten lässt. Abraham erhebt den Kopf und sieht drei Männer vor ihm stehen. Also drei Männer jetzt – vorher war es der HERR. Na gut, ich weiß, dass Gott, der HERR, seine Boten hat. Waren nun die drei Männer Engel!? Der Text erinnert mich an einem Bild Marc Chagall. Darauf hat der Maler die drei Männer als Engel dargestellt. Denn bekannterweise haben Engel Flügel. Chagall hat diese Flügel sogar sehr groß gemalt.  Auf dem Bild sitzen sie an einem Tisch, denn Abraham hat nach den Regeln der Gastfreundschaft gehandelt und den Gästen ein Essen vorbereiten lassen. Sogar ein gutes Essen: Ein zartes, junges Kalb ist dafür geschlachtet worden. Es klingt nach einem Festessen, wie wenn doch was zu feiern wäre! Ich wollte daraufhin wissen, was dann passierte:

„9Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Drinnen im Zelt. 10Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes. 11Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise. 12Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt!…“ (Luther 2017)

Auf einmal fragen die Männer doch nach Sara. Was soll denn mit ihr sein? Sie bleibt aber im Hintergrund. Marc Chagall zeichnet sie so am Bildrand, zurückgezogen – sie hält sich zurück, wie es sich für eine Frau damals gehört. Tatsächlich sprechen die Männer weiter mit Abraham und erzählen ihm, dass er in einem Jahr Nachwuchs bekommen wird, von seiner Frau Sara. Was mich jedoch wundert, ist, dass Sara in dem Moment hinter der Tür im Zelt stehen blieb. Ich wäre vermutlich vor Erstaunen in den Raum getreten, so wie ich mich kenne. Nein, sie bleibt an ihrem Platz und „lacht bei sich selbst“. Was mag sie wohl dabei gedacht haben? Ist es ein Lächeln des Staunens gewesen? Ein Lächeln, in dem doch noch eine leise Hoffnung steckt? Eine Hoffnung, die wahr werden könnte, denn an Gottes Verheißung soll man nicht zweifeln, oder? 
Eigentlich kann sie doch keine Kinder mehr bekommen. Obwohl die Situation des alten Ehepaares dagegenspricht, ist vielleicht doch eine Hoffnung in den Worten der drei Männern zu hören: “dann soll Sara, deine Frau einen Sohn haben.“
Sara bleibt ruhig, hinter der Tür, besonnen und dann, weiter im Text: 
„13Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären, nun, da ich alt bin? 14 Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben. 15Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht gelacht –, denn sie fürchtete sich. Aber er sprach: Es ist nicht so, du hast gelacht.“ (Luther 2017)

Da kommt doch Gott selbst ins Spiel, denn der HERR fragt Abraham nach dem Grund des Lachens. Er weißt doch wie alt beide sind. Und überhaupt, wie hat er das leise Lachen gehört? Oder war es ihm klar, dass Sara sowieso nicht daran glaubt und darüber „lacht“? Und doch ist es eindeutig zu hören: Die Verheißung ist Gottes Verheißung. Warum daran zweifeln? Sara ist es jetzt vielleicht peinlich, dass der HERR ihr Lachen gehört hat. Wie halt so Menschen sind, leugnet sie es. Wer mag es schon ertappt zu werden und auch noch von Gott.
An dieser Stelle fällt mir Maria, die Mutter Jesu ein. Wie war es nochmal? Im Lukasevangelium wird berichtet, wie Maria Besuch des Engels Gabriel bekommt. Sie, die junge und unverheiratete Frau, „erschrak“, als er sie begrüßt. „Welch ein Gruß ist das“, denkt sie. War es ein Erschrecken oder ein Staunen? Ein Staunen wäre doch passend, nicht wahr? Denn sie, eine junge Frau wie viele andere aus dem Volk Israel, hat keine besondere Herkunft, die diese Form der Begrüßung berechtigt: „Der Engel sagt, „Sei gegrüßt, du Begnadete!“ Ein Staunen über unglaubliches geschieht – Ein Staunen über die Ankündigung einer Geburt, die unwahrscheinlich für ihre Augen erscheint.

Liebes Tagebuch, 
Marc Chagall hat diese Geschichte (schon wieder er, ich weiß!) – aber er hat diese Erzählung in einem Kirchenfenster dargestellt. In einem blauen Hintergrund à la Chagall steht Maria in einem gelben Schein verhüllt. Links von ihr, schwebt der Engel Gabriel auf sie zu. Was mich zum Staunen bei dem Bild bringt, ist, dass sie das Kind schon im Arm hat. Warum hat Marc Chagall das Kind Jesus bei der Ankündigung schon als geboren dargestellt?
Warum wird am 4. Advent die Erzählung Sara als Predigttext vorgeschlagen, wenn wir uns Weihnachten nähern, als der Tag, an dem wir Jesu Geburt gedenken und feiern? In der Tat, bei näherer Betrachtung könnte ich jetzt Sara und Maria nebeneinanderstellen. 
Zuerst ist es die Geschichte von zwei Frauen, die eine betagt, die andere noch jung und unverheiratet. Und dann geschieht beiden Ähnliches: Sie bekommen Besuch von Gott, in einer Engelgestalt oder wie bei Sara sind es drei Männer, die vor Abrahams Zelt stehen.
Und dann werden in beiden Geschichten Verheißungen offenbart. Verheißungen, die beide Frauen zum Staunen bringen, zum „Lachen“.
Das Erstaunliche ist, dass beide Frauen sich darauf einlassen. Sara fürchtet sich, denn der HERR steht vor ihr. Nach dem langen Weg, den sie mit Abraham gegangen ist und allem, was sie auf diesem Weg erlebt hat, hätte sie vielleicht nichts mehr zum Stauen gebracht. Sara nimmt doch die Verheißung ernst.
Und Maria stimmt dem Engel zu: „mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Es ist vermutlich der Grund, warum Marc Chagall das geborene Kind in seiner Darstellung Maria in die Arme legt.

Liebes Tagebuch, 
ich komme langsam zum Schluss. Aber an diesem 4. Advent 2020 ist alles aufregend. In einer Zeit, in der wir anders leben müssen, als wir es gewohnt waren: Die Weihnachtsgeschenke sind nicht alle besorgt worden, denn viele Läden haben zu – Die Großfamilie trifft sich nicht, wie es immer Tradition war – und „o du fröhliche“ wird zuhause im kleinen Kreis oder vor dem Bildschirm gesungen. Ja, aus dem Staunen kommen wir nicht raus.
Weihnachten anders feiern, denn sich ärgern bringt Verbitterung und Wut. Dies wiederum schließt die Herzen für Neues, für Überraschungen:
Was könnte es sein, was mich oder anderen Menschen zum Staunen bringen kann?
  • Einen Brief schreiben, sogar digital kann ich Briefmarken jetzt kaufen.
  • Jemanden anrufen, einen Freund, eine Freundin, die nicht besucht werden kann.
  • Den Nachbar, die Nachbarin besuchen, über dem Gartenzaum ihm oder ihr sagen, dass er/sie nicht allein ist.
Im Staunen Sara und Maria können wir erkennen, dass Gott für Überraschungen sorgt.

O liebes Tagebuch, es wäre doch schön, wenn wir wie Maria singen könnten: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.“ (Lk 2, 47), denn „Freuet euch in dem Herrn allewege, abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ Philipper 4,4.5b (Luther 2017)
Lachen und Staunen erlaubt!
Amen

Lachen und Staunen
Leere Gassen – leere Straßen
Lachen und Staunen
Mundschutz – freier Blick
Lachen und Staunen
Dunkle Straßen – ein Licht erscheint
Lachen und Staunen
Augen blinzeln – das Licht erstrahlt
Lachen und Staunen
Ein Wort – Worte des Trostes
Lachen und Staunen
Ein Wort – Worte des Vertrauens
Lachen und Staunen
Ein Kind wird geboren – Worte der Hoffnung
Lachen und Staunen
Augen auf – Ohren auf
Lachen und Staunen
Gott wird Mensch – Worte werden wahr
Jesus ist geboren
Lachen und Staunen

Sophie Heinzelmann, Prädikantin, 20.12.2020
Gottesdienst mal anders in einer besonderen Zeit
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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 3. Advent, 13. Dezember 2020


Lukas 1, 67-19: Und sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils im Hause seines Dieners David – wie er vorzeiten geredet hat
durch den Mund seiner heiligen Propheten – dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund, an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen. Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Liebe Mitchristen!
Zacharias singt ein Loblied auf Gott. Ausgerechnet Zacharias. Neun Monate lang war er stumm. Zacharias, der Priester im Tempel von Jerusalem, der immer ein gutes Wort wusste für alle, die dorthin zum Gebet kamen. Ihm hat es die Sprache verschlagen. Etwas Unvorhergesehenes war passiert. Etwas, womit er nicht klarkam. Seine Frau Elisabeth war schwanger, und das in ihrem hohen Alter. Der Engel sagte zu Zacharias: Fürchte dich nicht! Und er erzählte Zacharias, dass Gott große Pläne hat mit seinem ungeborenen Sohn: Johannes der Täufer, der Vorläufer von Jesus, dem Sohn Gottes. Fürchte dich nicht, sagt der Engel. Aber Zacharias fürchtet sich. Ängste und Zweifel nagen an ihm. Das verschlägt ihm die Sprache. Zacharias wird stumm. Neun Monate lang.
Neun Monate Corona. Hat es auch uns die Sprache verschlagen? Längst können wir das Wort „Corona“ nicht mehr hören, auch wenn es eigentlich nichts anderes bedeutet als Krone. In Schweden feiern sie heute das Luciafest. Weiß gekleidete Mädchen tragen Lichterkronen auf dem Kopf. Licht vertreibt die Dunkelheit. Das feiern sie dort am 13. Dezember, einem der dunkelsten Tage des Jahres. Kann man heute ein Fest feiern und singen vom Licht, das die Dunkelheit vertreibt? Kann man in diesem Jahr Weihnachten feiern? In welcher Form wird eine Feier möglich sein? Wer wird mit uns feiern? Werden wir zum Gottesdienst zusammenkommen? Und was ist mit denen, die allein sind? Fragen, die sich wie dunkle Schatten über unsere Seele legen. Ängste und Zweifel nagen an uns und lassen uns verstummen, machen uns sprachlos wie Zacharias. Aber Zacharias bleibt nicht sprachlos. Zacharias singt. Er singt ein Lied von der Erlösung. Er singt ein Lied vom Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Er singt ein Lied von Gott, der seine Menschen nicht vergessen hat. Und Zacharias singt ein Lied auf seinen neugeborenen Sohn Johannes, der ein Prophet des Höchsten sein wird.
Zacharias – ich stelle ihn mir vor als einen glücklichen Vater, der sein winziges, neugeborenes Kind in den Armen hält. Ein Kind wie jedes andere. Rein äußerlich betrachtet spricht nichts dafür, dass gerade dieses Kind ein Prophet Gottes sein wird – der, der die Menschen hinweist auf Jesus, den Sohn Gottes. Aber Zacharias sieht mehr als das, was vor Augen liegt. Er sieht mit dem Herzen. Gott hat ihm dazu seinen Geist gegeben. Gottes Geist hat Zacharias das Herz geöffnet und den Mund. Die lange Zeit der Sprachlosigkeit ist vorbei. Auch wenn es noch lange dauern wird, auch wenn Zacharias es selbst gar nicht mehr erleben wird: An diesem Tag weiß Zacharias: Gott selber wird kommen. Klein und unscheinbar wird er kommen, in einem winzigen, neugeborenen Kind. Und rein äußerlich wird nichts, wirklich gar nichts dafürsprechen, dass dieses Kind Gottes Sohn ist. Denn dieses Kind wird kein Kind aus gutem Hause sein, so wie Johannes der Täufer, der Sohn von Zacharias, dem Priester am Tempel in Jerusalem. Dieses Kind wird in einem elenden Stall geboren werden, irgendwo unterwegs, unter katastrophalen Bedingungen. Und doch ist gerade dieses Kind Jesus Christus, Gottes Sohn, das Licht, das die Dunkelheit vertreibt, auch an den dunkelsten Tagen des Jahres.
Denn Gott hat seine Menschen nicht vergessen. Auch nicht nach neun Monaten Pandemie. Auch nicht, wenn wir Weihnachten nicht so feiern können, wie wir es gewohnt sind. Weihnachten findet statt. Wir müssen nicht verstummen und sprachlos bleiben. In unseren Herzen und in unseren Häusern dürfen wir singen: Vom Licht, das die Dunkelheit vertreibt. Von Gott, der in einem kleinen Kind zu uns kommt und die dunklen Schatten von unserer Seele nimmt. Vom Kind in der Krippe, das unser Leben hell macht, auch in schwierigen Zeiten. Gott gebe uns seinen Heiligen Geist, der uns die Herzen und den Mund öffnet, dass wir uns auf Weihnachten freuen können. Denn an Weihnachten kommt Gott uns besuchen. Gott kommt an Weihnachten, egal wieviel Besuch wir sonst noch empfangen dürfen an diesem Festtag: „Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes wird uns besuchen das Licht aus der Höhe, auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer
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2. Advent

Predigt zum 2. Advent, 6. Dezember 2020

Jakobus 5, 7+8: So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Liebe Mitchristen!

Es ist Winter. Dick und weiß liegt der Schnee auf Wiesen, Wäldern und Feldern. Die Natur schläft unter dieser weißen Decke. Das Wachsen, das Blühen und das Früchte Bringen hat jetzt Pause. Ein paar einzelne Äpfel hängen noch am Apfelbaum. Neue Äpfel gibt es erst wieder nächstes Jahr. Auf die neue Ernte muss man warten. Die Jahreszeiten müssen erst darübergehen: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. „Der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und den Spätregen.“ So beschreibt unser Predigttext aus dem Jakobusbrief dieses jahreszeitliche Warten. Und er vergleicht es mit dem Warten auf das Kommen unseres Herrn Jesus. Auf ihn warten wir im Advent. Warten auf Weihnachten. Was kommt, muss erst wachsen. Wir brauchen Geduld dazu. Noch liegt eine dichte Schneedecke auf unseren Herzen. Wird es uns an Weihnachten wirklich warm ums Herz werden? Werden wir es spüren und erleben dürfen, was die Engel uns verkünden: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren?“ „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.“ Werden wir wirklich von Herzen einstimmen können in dieses Lied – auch wenn wir den Heiligabendgottesdienst oben bei der Skihütte beim Steighof feiern werden statt hier in der Kirche? Auch wenn wir „O du fröhliche“ nur dort im Freien miteinander singen werden, auf Abstand, mit Mundschutz und Voranmeldung?

Vielleicht können wir die Antwort auf diese Fragen heute noch nicht geben. Wir sind eben noch in der Wartezeit auf Weihnachten. Es ist erst der zweite Advent. „So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn.“ Wir brauchen Geduld im Advent – und ganz besonders in dieser Adventszeit, in der vieles so anders ist als sonst. Geduld brauchen wir – Geduld mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen. Immer wieder reißt uns ja auch der Geduldsfaden. Gerade jetzt, in dieser langen Krise, wünschten wir uns so sehr, dass das Warten ein Ende hätte und diese heimtückische Pandemie endlich soweit eingedämmt wäre, dass wir wieder unser normales Leben leben könnten. Die Ungeduld treibt die Menschen auf die Straßen und in die Arme von fragwürdigen Protestbewegungen. Die Ungeduld lässt Menschen unvernünftig werden, so dass sie sich und andere dem Risiko einer Ansteckung aussetzen. Die Ungeduld bringt Menschen dazu, sich resigniert und frustriert zurückzuziehen. Die Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber. Unser Predigttext gibt uns einen anderen Rat: „Seid geduldig.“ Manche Dinge lassen sich eben nicht beschleunigen. Das gilt für das Zurückdrängen einer Pandemie genauso wie für das Wachsen und Werden in der Natur.

Noch ist nicht Erntezeit. Noch ist Winter. Die Natur hat sich zurückgezogen unter eine weiße Schneedecke. So wie oben bei der Skihütte am Steighof. Am Freitag waren wir dort, um vor Ort zu überlegen, wie wir den Heiligabendgottesdienst feiern können. Kalt war es, aber auch wunderschön in der weiten, weißen Landschaft. So wie in dem Lied „Leise rieselt der Schnee.“ Ein Lied, dass die Weihnachtsvorfreude beschreibt. „Still und starr ruht der See.“ Aber trotz aller äußeren Kälte einer frostigen Winterlandschaft, die da beschrieben wird, heißt es in dem Lied weiter: „In den Herzen wird’s warm, still schweigt Kummer und Harm, Sorge des Lebens verhallt, freue dich, s‘ Christkind kommt bald.“

Das Lied erinnert mich daran: Ob es uns an Weihnachten wirklich warm ums Herz wird, das ist keine Frage der Außentemperatur. Auch dann nicht, wenn wir den Weihnachtsgottesdienst notgedrungen im Freien feiern, um uns und unsere Mitmenschen vor Ansteckung zu schützen. In den Herzen kann es trotzdem warm werden. Denn Gott kommt zur Welt und wird Mensch. Er kommt zu uns, auch und gerade in diesem Jahr, wo wir Weihnachten so anders feiern werden als sonst. Das ist die wahre Weihnachtsfreude: Gott lässt uns nicht im Stich. Er ist für uns da, unser Heiland, unser Erlöser. Bereiten wir uns vor auf dieses große Fest, auf das Kommen unseres Herrn Jesus Christus.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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1. Advent

 

Predigt zum 1. Advent, 29. November 2020

Sacharja 9,9-10: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Liebe Mitchristen!

Wir feiern heute den 1. Advent. Mit dem Advent beginnt in unserer Kirche das neue Jahr. Ein neues Kirchenjahr. Alles ist wieder auf Anfang eingestellt. Neuanfang. Das wünsche ich mir nach dem schwierigen Jahr, das hinter uns liegt mit dem Lockdown im Frühjahr. Neuanfang, das wünsche ich mir, gerade jetzt, wo wir mitten in der zweiten Infektionswelle sind, und bis so viele Menschen geimpft sind, dass das Corona-Virus keine Gefahr mehr für uns darstellt, ist es noch ein weiter Weg. Neuanfang. In der Kirche beginnt das neue Jahr ganz leise, nicht mit Feuerwerk und lauten Böllern, wie wir es von Silvester gewohnt sind. Das neue Kirchenjahr beginnt mit dem flackernden Licht einer einzigen Kerze. Dieses eine Licht am Adventskranz ist noch schwach. Aber es brennt. Es leuchtet, still und beharrlich.

Etwas Neues beginnt. Noch können wir es nicht ganz erkennen. Noch sind unsere Gesichter hinter Masken verborgen, noch singen wir die Adventslieder nur in unserem Herzen mit, und nicht mit unserem Mund. So sind wir heute versammelt im Schein der 1. Adventskerze. So hören wir heute die Botschaft: Jesus wird kommen. Er wird den Frieden bringen. Dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. Wörtlich heißt das: Einer, der Hilfe erfahren hat. Das stimmt mich nachdenklich. Ich denke an die Menschen, die in helfenden Berufen tätig sind: Menschen, die in unseren Krankenhäusern und Altenheimen ihren Dienst tun, auch heute am 1. Advent, sonntags wie werktags. Wir brauchen sie, in der jetzigen Situation mehr denn je. In der Krise haben wir ihnen Beifall geklatscht. Und wir wissen alle, dass das, was sie leisten, oft mehr ist als ein Mensch ertragen kann, und das bei geringer Bezahlung. Nicht nur Helfer sein zu müssen, sondern auch einer, der Hilfe erfahren hat. Dürfen diese Menschen das erleben?

Nur als einer, der selbst auch Hilfe erfahren hat, kann Jesus anderen helfen. Jesus hat Hilfe erfahren. Hilfe von oben. Hilfe von Gott. So kann er souverän sein: Gottes König. Er hat es nicht nötig, in der Luxuskarosse zu kommen. Er braucht keine Pauken und Trompeten. Er muss keine Soldaten einbestellen, die auf Kommando am Straßenrand salutieren. Stattdessen winken zerlumpte Menschen spontan mit Palmzweigen.

Abstand in der Länge eines Palmzweigs müssen wir heute halten, um unsere Mitmenschen zu schützen. Damit ihnen geholfen werden kann. Damit wir alle Hilfe erfahren dürfen im neuen Kirchenjahr, das heute beginnt. Gottes Hilfe kommt. Gottes König ist für uns da – Jesus Christus. Auch wenn das neue Kirchenjahr heute erst ganz klein und unscheinbar anfängt, mit der 1. Kerze am Adventskranz.

So klein und unscheinbar wie Gottes König, der sich einen Esel ausgesucht hat als Reittier. Von dem Esel wollte ich Ihnen gerne ein Bild zeigen in dieser Predigt. Von unserem Technik-Team bekam ich dazu die Rückmeldung: Das Bild ist zu klein, um es mit dem Beamer an die Wand zu werfen. Ein kleines, ein unscheinbares Bild. Nur ein Esel ist darauf zu sehen, sonst nichts. Das Bild ist stark verpixelt, die Bildqualität könnte wirklich besser sein. Aber gerade dieses kleine und schlichte Bild passt heute.

So klein und unscheinbar der Esel auch ist, er hat doch eine tragende Rolle. Gottes König trägt er zu uns. Er kommt auf einem Esel, dem Reittier der armen Leute. In den verwinkelten Gassen Jerusalems wäre auch kein Platz für jemanden, der auf dem hohen Ross sitzt. Auch nicht in unserer krisengebeutelten Zeit. Da brauchen wir auch jemanden, der bei uns da unten ist. Nicht jemanden, der von oben herab zu uns spricht.

Jesus kommt zu uns auf einem Esel. Ein Esel kennt die Krippe seines Herrn, lesen wir in der Bibel. Und wer von oben auf den Esel sieht, der entdeckt ein Kreuz, den Aalstrich: ein schwarzer Streifen vom Eselshals an fast über den ganzen Rücken – dazu ein zweiter schwarzer Strich, von einem Vorderbein zum anderen. Dieser zweite schwarze Strich kreuzt sich mit dem ersten. Jesus kommt zu uns auf einem Esel. Von der Krippe bis zum Kreuz führt sein Weg. Für uns ist er diesen Weg gegangen: Jesus, das Licht der Welt. Sein Hoffnungslicht scheint auch in unsere Dunkelheit, auch in diese Adventszeit, die in diesem Jahr stiller ist als sonst. Jesus bringt uns den Frieden. Alles wird gut, das ist sein Versprechen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer