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Gedanken zum Sonntag

3. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2021

Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe.

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte?

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann.

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer