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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis, 11. Oktober 2020



5. Mose 30, 11-14: Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Liebe Mitchristen!

Erinnern Sie sich noch, wie es war, als Sie in jungen Jahren in der Schule oder im Konfirmandenunterricht die 10 Gebote auswendig gelernt haben? Mir ist das Auswendiglernen eher leicht gefallen in meiner Jugend. Da hat es mir an sich nichts ausgemacht, dass wir damals im Konfirmandenunterricht viel auswendig gelernt haben, mehr als heute. Trotzdem gab es da Lerntexte, die ich lieber gelernt habe als andere: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen.“ Oder: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Diese Texte mochte ich gerne. Da war für mich etwas spürbar von Gott und seiner Liebe zu mir. Andere Texte erschienen mir eher trocken: „Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen.“ Das erschien mir schon alles wichtig und richtig. Aber Freude am Auswendiglernen dieser Texte hatte ich nicht so sehr. Ich bin nicht wirklich warm geworden mit diesen Bibelworten. „Du sollst nicht!“ Das klingt eben wenig einladend. 

Unser Predigttext klingt da anders. Gott gibt Gebote, und wir sollen sie halten. Das ist die Grundvoraussetzung auch von diesem Bibelwort. Ein Bibelwort, das in eine schwierige Zeit gesprochen wurde. Die Israeliten waren aus der Gefangenschaft in Babylon zurückgekehrt und mussten in ihrer alten Heimat nun ganz neu anfangen. Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Und jetzt auch noch Gottes Gebote mit ihrem „Du sollst nicht“. Das kann einem doch auch mal alles zu viel werden. 

Das kann einem doch auch mal alles zu viel werden. So geht es uns heute auch immer mal. Die Infektionszahlen gehen wieder hoch, es drohen neue Einschränkungen, damit sich die Pandemie nicht weiter ausbreitet. Klare Vorgaben, die uns sagen: Du sollst nicht, du darfst nicht. 

Unser Predigttext spricht in eine solche Situation, in der es Menschen zu viel wird: „Das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.“ Es ist nicht schwer, so zu leben, wie Gott es möchte, sagt uns der Predigttext. Gottes Gebote sind einleuchtend. Sie sind nicht weit hergeholt. Es ist absolut naheliegend, was Gott von uns will: Gott lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Uns gegenseitig lieben, denn wir haben ein Bedürfnis nach gemeinsamem Leben. Respekt und Würde beachten. Jedem sein Recht und seine Freiheit gönnen. Sich nicht davonstehlen, ehrlich zueinander sein, die Eltern ehren, sich an dem, was den Anderen gehört und gelingt, freuen ohne Neid und Habgier. 

Das alles ist wirklich nicht weit hergeholt. Es ist wirklich nicht wie eine Botschaft von einem anderen Stern, die mit uns hier nichts zu tun hat. Nein – was Gott hier von uns will, das ist völlig naheliegend. Wir alle wissen ja im Grunde: Diese Regeln brauchen wir für ein gutes Zusammenleben. Und es ist gut, dass ich sie in meiner Jugend auswendig gelernt habe. So trage ich sie in meinem Herzen – by heart, wie man auf Englisch sagt. 

Es ist auch nicht zu viel verlangt, was in Gottes Geboten steht. Es ist möglich und machbar, dass ich diese Gebote als Richtschnur für mein Leben verwende. Ich kann mich an diese Gebote halten – so wie an einem Seil, das mir Halt gibt in steilem Gelände. So nahe sind mir Gottes Gebote, und so verlässlich sind sie. Ich brauche dafür keine geistigen oder geistlichen Höhenflüge. Ich muss dafür nicht erst ins Kloster gehen oder jahrelang Theologie studieren. Es geht auch so. Hier, in meinem ganz normalen Alltag. Es geht dann, wenn ich mich auf Gott verlasse: Gott, der mich liebt und es gut mit mir meint. Dann kann ich es auch gut mit anderen meinen, mit meinen Mitmenschen.

Dann kann ich darüber nachdenken, was das Gebot „Du sollst nicht töten“ mir heute bedeuten könnte. Vielleicht doch auch, dass ich mir lieber einmal mehr die Hände wasche und manche Einschränkungen in Kauf nehme, um die Schwachen zu schützen? Wenn ich es so sehe, dann tue ich das nicht aus Zwang, weil es mir von oben vorgeschrieben wird. Nicht, weil es irgendwo heißt: „Du sollst nicht, du darfst nicht.“ Dann tue ich das aus Liebe. Nur die Liebe zählt. Und die Liebe kommt von Gott. Er hat uns zuerst geliebt. Dir zuliebe, Gott, halte ich mich an Regeln und Gebote. Und wenn sie von dir kommen, dann sind sie nicht zu hoch für mich. Denn du mutest mir nicht mehr zu, als ich tragen kann. Auch nicht in schwierigen Zeiten. 

Auch in schwierigen Zeiten sind wir so frei und feiern jeden Sonntag die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus, in dem uns Gott seine Liebe gezeigt hat. Deshalb sind wir nicht arm dran, sondern gut dran. Weil wir so Vieles haben, wofür wir Gott dankbar sein können: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ Weil wir uns darauf verlassen können, dass Gott uns durchs Leben begleitet und für uns sorgt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Erntedankfest, 4. Oktober 2020

Markus 8, 1-9: Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.

Liebe Mitchristen!

Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Sie so ganz in eine Tätigkeit vertieft waren, dass Sie darüber die grundlegendsten Dinge des Lebens vergessen haben – Essen und Trinken? Manchmal geht es mir so, wenn ich eine Aufgabe zu bewältigen habe, die mich schon lange beschäftigt. Auf einmal habe ich die Idee, wie sich das Ganze anpacken lässt. Das lässt mich dann nicht los, und ich bin ganz bei der Sache. Alles andere tritt in den Hintergrund. Den Hunger spüre ich nicht, obwohl längst Essenszeit wäre. 

Als die Menschen zu Jesus gekommen sind und erlebt haben, wie er von Gott erzählt und Kranke geheilt hat, da muss es ihnen wohl so ähnlich gegangen sein. Sie waren ganz bei der Sache. Was Jesus ihnen zu sagen hatte, war ihnen so wichtig, dass sie nichts davon verpassen wollten, kein einziges Wort. Es kam für sie überhaupt nicht in Frage, von ihm wegzugehen nur um irgendwo etwas zu Essen zu besorgen. Drei Tage geht das so. Drei Tage sind sie ganz bei Jesus, und den Hunger spüren sie nicht. Die Worte, die Jesus zu ihnen sagt, sind ihnen wichtiger als Brot. Aber Jesus macht sich Sorgen um die Menschen. Da gibt es einige, die sind von weither gekommen, um ihm zuzuhören. Wenn sie jetzt nichts zu essen bekommen, dann schaffen sie den weiten Heimweg nicht mehr. Dann brechen sie unterwegs zusammen und sterben. Jesus lässt das nicht kalt. Es tut ihm weh. Er zeigt Mitgefühl. 

Mitgefühl für die Menschen, die nichts zu essen haben, das können wir hier von Jesus lernen. Millionen von Menschen leiden Hunger. Trotz aller wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fortschritte haben wir es nicht geschafft, das Problem des Hungers in der Welt zu lösen. Dabei ist der Hunger kein unlösbares Problem. Die Welternährungsberichte der Vereinten Nationen machen deutlich: Die Ernährung der Weltbevölkerung ist eine Frage der Verteilung. Die vorhandenen Nahrungsmittel reichen, um die Menschheit zu ernähren.

„Wie viele Brote habt ihr?“ fragt Jesus seine Jünger. Es ist eine Frage, die einen beunruhigen kann. Hier will einer buchstäblich ans Eingemachte, an meine Vorräte, die ich für mich selber zurückgelegt habe. Und ich muss mich fragen: Wie viel brauche ich wirklich zum Leben? Wann ist es eigentlich genug? Wann sollte ich auch mal zurückstecken und überlegen: Brauche ich diese Freiheit wirklich, die auf Kosten anderer geht? Brauche ich diese Mobilität, die auf Kosten des Klimas geht? 

„Wie viele Brote habt ihr?“ fragt Jesus. Und er meint damit: Es ist genug für alle da. Wir alle wissen, wie schwer das ist, dieses Vertrauen, dass das Wenige für alle reichen wird. Wir wissen jetzt, wie es ist, wenn im Supermarkt manche Regale leer bleiben. Aber auch das haben wir in den Krisenmonaten erlebt: Wir konnten den Nachbarn noch aushelfen mit dem Mehl. Und mit den Intensiv-Betten Menschen aus Frankreich versorgen. Und wir entdeckten plötzlich in den eigenen Regalen im Keller noch ungeahnte Schätze. „Wie viele Brote habt ihr?“ Vielleicht haben nicht nur die Jünger, sondern auch die anderen Menschen mal in ihren Taschen nachgeschaut und entdeckt: Da ist ja noch ein Stück Brot. Ich lege es zu den anderen dazu. So genau wissen wir das nicht. Das Markusevangelium erzählt es uns nicht. Etwas Anderes ist Markus wichtiger: Der Dank. Dankbar sein, auch für das Wenige. Dankbar sein, auch wenn Manches anders gekommen ist als wir uns das vorgestellt haben. 

Können wir dankbar sein in diesem Jahr? Viele Menschen sind in wirtschaftliche Not geraten durch die Corona-Pandemie. Die Zukunft ist ungewiss. Und doch: Auf den Feldern und in den Gärten reifen die Früchte. Zeit fürs Erntedankfest, Zeit zum Innehalten und Feiern. Passt das jetzt überhaupt? In unserer Geschichte könnte man meinen, dass das Danken jetzt nicht passt, wo die Menschen doch schon fast zusammenbrechen vor Hunger. Aber Jesus nimmt sich die Zeit für ein Dankgebet zu Gott: „Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern.“ Er nimmt das wenige, was da ist, hält es Gott hin, spricht darüber den Segen und teilt es unter die Leute. 

Heute an Erntedank haben wir beides im Blick: das Danken und den Segen. Von beidem lebt unsere Kirche. Nicht umsonst hat das Abendmahl für uns eine zentrale Bedeutung: „Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten ward und mit seinen Jüngern zu Tische saß, nahm er das Brot, sagte Dank und brachs, gabs seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset.“ Jesus Christus – er selbst ist dieses Brot. Er selbst ist mitten unter uns in Brot und Wein, in der Feier des Abendmahls.  

Jesus Christus will uns nicht hungrig unseren ganz persönlichen Weg antreten lassen. Dazu ist dieser auch viel zu weit und zu unüberschaubar, gerade jetzt in der Coronakrise. Jesus Christus hat sein Leben gegeben, auch für unsere Sünden, für unseren Hunger, gegen unsere Ängste. Damit wir dankend leben und weiterziehen können. Er lebt und hilft allen, die ihm vertrauen. Wer den Hunger nach Leben verspürt, der ist bei Gott immer herzlich willkommen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis, 27. September 2020

2. Tim 1,5-11: Paulus schreibt an Timotheus: Ich habe deinen aufrichtigen Glauben vor Augen, denselben Glauben, der schon in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike lebte und der nun – da bin ich ganz sicher – auch in dir lebt. Darum ermahne ich dich: Lass die Gabe wieder aufleben, die dir geschenkt wurde, als ich dir die Hände auflegte! Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Bekenne dich also offen und ohne Scheu zur Botschaft von unserem Herrn! Schäme dich nicht meinetwegen, weil ich für ihn im Gefängnis sitze, sondern sei bereit, mit mir für die Gute Nachricht zu leiden. Gott gibt dir die Kraft dazu. Er hat uns gerettet und uns dazu berufen, ihm ganz als sein Eigentum zu gehören – nicht wegen unserer guten Taten, sondern aus seinem eigenen freien Entschluss. Ihm gehören wir aus reiner Gnade, wie er sie uns durch Jesus Christus geschenkt hat schon vor aller Zeit. Jetzt aber ist diese Gnade offenbar geworden, als Jesus Christus, unser Retter, auf der Erde erschien. Er hat dem Tod die Macht genommen und das unvergängliche Leben ans Licht gebracht. Darum geht es in der Guten Nachricht, die ich als Apostel und Lehrer öffentlich bekannt zu machen habe. (Übersetzung: Gute Nachricht)

 Liebe Mitchristen!

 „Komm schon, trau’ dich!“ Der Junge steht auf dem Drei-Meter-Brett im Schwimmbad. Er ist der letzte, der noch springen muss. Alle anderen haben es bereits hinter sich, feuern ihn vom Beckenrand an. Drei Meter hoch ist das Sprungbrett, das Wasser darunter noch einmal mindestens ebenso tief und kristallklar. Man sieht den Grund, hat das Gefühl, es geht viel tiefer herunter. Der Junge hat Angst, würde am liebsten umkehren, will sich aber nicht blamieren. Die anderen sind schließlich auch alle gesprungen; er wäre der einzige. „Komm schon, trau’ dich!“ ruft ihm sein Freund vom Beckenrand zu. Der Sprung vom Drei-Meter-Brett gilt als „Mutprobe“. Er ist nicht gefährlich, wenn man ordentlich schwimmen kann, aber es erfordert beim ersten Mal Überwindung, sich ins Wasser fallen zu lassen. Die meisten tun das auch. Sie springen einfach. Und wer sich nicht traut, der klettert eben wieder herunter. Anfangs ist das vielleicht peinlich, später lacht man darüber.

Vor vielen Jahren habe auch ich mit zitternden Knien auf dem Sprungturm gestanden, vielleicht ist es euch auch schon so gegangen. Und vielleicht denkt ihr auch – genau wie ich heute: „Meine Güte, könnte ich doch jede Angst so einfach überwinden, wie diese Angst vor dem Sprung!“ Denn mit dem, was uns heute plagt, werden wir nicht immer so schnell fertig. Und oft haben wir auch nicht die Möglichkeit, einfach umzukehren und dem, was uns Angst macht, einfach den Rücken zu kehren, wie wenn wir den Sprungturm über die Treppe verlassen. Was hilft in der Angst? Ein guter Freund kann da helfen. So wie damals auf dem Sprungbrett. „Komm schon, trau’ dich!“ ruft der Freund von unten. Das hilft. Der Junge da oben auf dem Sprungbrett schließt die Augen und springt. 

Trau dich, zu Jesus zu gehören. Hab keine Angst davor. Und es muss dir auch nicht peinlich sein, dass du Christ bist. Das ist die Botschaft von unserem Predigttext heute. Er stammt aus einer Zeit, als es wirklich gefährlich war, Christ zu sein. Viel gefährlicher als ein Sprung vom Drei-Meter-Brett. Denn die ersten Christen wurden verfolgt und unterdrückt. In unserem Predigttext wird das ganz deutlich, was das bedeutet: Paulus sitzt im Gefängnis, weil er Christ ist und anderen von seinem Glauben erzählt hat.  Timotheus trifft es hart, dass Paulus im Gefängnis sitzt. Paulus ist ihm wichtig, er ist ein guter Freund von ihm. Timotheus ist einiges jünger als Paulus. Er ist ein Mitarbeiter von Paulus. Für ihn ist Paulus ein Vorbild, fast so etwas wie ein Vater. Wird Paulus wieder freikommen oder wird er hingerichtet werden? Timotheus macht sich Sorgen. Und er hat auch seine Zweifel. Er fragt sich: Ist das wirklich der richtige Weg für mich, dass ich zu Jesus und zur christlichen Gemeinde gehören will? Sollte ich mich nicht lieber fernhalten von der christlichen Gemeinde? Das ist doch alles viel zu gefährlich. Man riskiert ja sein Leben, wenn man Christ ist. Ist es das wirklich wert? 

Timotheus ist in einer christlichen Familie aufgewachsen. Seine Großmutter Lois und seine Mutter Eunike haben ihm von Jesus erzählt und mit ihm gebetet. Aber jetzt ist er an dem Punkt, wo er merkt: Ich muss das für mich selber entscheiden, ob ich zur christlichen Gemeinde gehören will. An dem Punkt seid ihr jetzt auch, liebe Konfirmanden. Ihr habt schon viel vom christlichen Glauben gehört. In eurem Leben gibt es auch solche Menschen wie Paulus, Lois und Eunike. Menschen aus eurer Familie: Eure Eltern und Großeltern. Eure Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Menschen aus der Gemeinde, die ihr kennt, zum Beispiel von Konfi 3. Es ist gut, dass ihr schon als Kinder mit hineingenommen wurdet in den christlichen Glauben, dass ihr schon von klein auf zu unserer Gemeinde gehört. Aber jetzt seid ihr keine Kinder mehr. Ihr seid jetzt Jugendliche und trefft mehr und mehr eure eigenen Entscheidungen. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob ihr weiter als Christen leben und zur Gemeinde gehören wollt. 

Und ihr geht dieser Entscheidung nicht aus dem Weg. Ihr macht euch auf den Weg–mittwochs in den Konfirmandenunterricht und heute am Sonntag in die Kirche. Ihr wollt dabeibleiben bei unserer Gemeinde. Ihr wollt mehr erfahren über den Glauben an Gott und über Jesus, von dem man sagt, dass er stärker ist als der Tod. Aber manchmal ist das für euch doch auch wie ein Sprung ins kalte Wasser. Da ist die Bibel, dieses dicke Buch. Und vieles von dem, was da drinsteht, bleibt erstmal geheimnisvoll und unverständlich. 

Wir haben den heutigen Predigttext miteinander gelesen am Mittwoch im Konfirmandenunterricht. Um was geht es in diesem Text? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, wenn man den Text nur einmal gehört oder gelesen hat. Einfacher ist es, bei den Personen anzufangen, die im Text eine Rolle spielen. Die Mutter Eunike, die mit Timotheus gebetet hat, als er noch klein war. Die Großmutter Lois, alt und gebückt. Voller Lebenserfahrung gibt sie ihren Glauben weiter an ihren Enkel. Und natürlich Paulus: Paulus sitzt da und schreibt. Er schreibt einen Brief an Timotheus, der sein Mitarbeiter und sein Freund ist. Paulus macht Timotheus Mut in seinem Brief. Er schreibt ihm: Bekenne dich also offen und ohne Scheu zur Botschaft von unserem Herrn. Schäme dich nicht meinetwegen, weil ich für ihn im Gefängnis sitze, sondern sei bereit, mit mir für das Evangelium zu leiden. 

„Komm schon, trau dich“, sagt Paulus. Und das gilt nicht nur damals für seinen Freund Timotheus. Das gilt auch für uns heute: „Komm schon, trau dich.“ Wage den Sprung ins kalte Wasser. Lass dich nicht abschrecken. Auch wenn du nicht alles verstehst, was in der Bibel steht und was in der Kirche gesagt wird. Auch wenn andere vielleicht sagen: Es lohnt sich nicht, sich damit zu beschäftigen. Denke an die Menschen, die dir von Jesus erzählt haben – deine Eltern, deine Lehrer. Denke daran, wie dir die Hand aufgelegt wurde und du gesegnet wurdest bei deiner Taufe. 

Traut euch, liebe Konfirmanden. Lasst euch wieder die Hand auflegen zum Segen bei eurer Konfirmation. Gott schenkt euch seinen Geist. Er ist immer bei euch. So könnt ihr die Angst überwinden, egal was passiert im Leben. Und vielleicht wird das ja sogar euer Konfirmationsspruch, was Paulus hier seinem Freund Timotheus mit auf den Weg gibt: Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer



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Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis, 20. September 2020


1. Mose 2,4b-10+15: Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. 


Liebe Mitchristen!

Stellt euch vor: Ihr habt euch verlaufen in einem sehr großen Wald. Weit und breit ist kein Weg zu sehen, nicht einmal ein Trampelpfad. Die Sonne geht unter, die Abenddämmerung kommt. Der Himmel ist bewölkt. Das Handy hat keinen Empfang. Um euch herum sind nur Bäume. Und jetzt? Wie kommt ihr jetzt wieder aus dem Wald heraus? Einer aus eurer Gruppe sagt: Wir steigen auf den nächsten Berg. Da oben haben wir den Überblick. Aber bis nach ganz oben ist es weit. Bis dahin wird es Nacht sein, dann sieht man gar nichts mehr. Also keine gute Idee. Dann vielleicht auf einen Baum klettern? Aber so wie die Bäume hier im Wald dastehen, funktioniert das auch nicht. Die haben unten gar keine Äste. Dann müssen wir uns eben einen Platz zum Übernachten suchen. Ein Zelt bauen aus Ästen, und die Regenjacke darüberbreiten. Wenn es wieder hell wird, sehen wir weiter. Aber wollt ihr wirklich im Wald übernachten? Es könnte kalt werden heute Nacht. Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit? 

Irgendwo in der Ferne höre ich ein Plätschern. Da ist eine Quelle. Wasser fließt, nur ein kleines Rinnsal. Das ist die Lösung. Denn: Wasser fließt nach unten. Wenn du dem Rinnsal folgst, kommst du zu einem Bach. Wenn du dem Bach mit seiner Strömung folgst, kommst du zu einem Fluss. Und an einem Fluss leben immer Menschen. Da gibt es Dörfer und Städte. Wenn du dich verlaufen hast, dann folge dem Wasser und suche den Fluss. 

Ihr seid auf der Suche nach der Quelle, der Quelle des Lebens. Ihr wollt der Frage nach Gott nicht aus dem Weg gehen, sondern euch auf die Suche nach ehrlichen Antworten machen. Damit ihr wisst, woran ihr euch halten könnt, wenn ihr euch mal verlauft im Leben. 

Als Predigtwort für den heutigen Sonntag haben wir einen Abschnitt aus der Schöpfungsgeschichte gehört. Eine Geschichte, die als Konfliktstoff herhalten muss zwischen den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Orientierungen. Wie war es wirklich, als die Welt entstanden ist und der Mensch? Hat die moderne Wissenschaft recht, oder hat die Bibel doch recht? Ich halte diese Fragestellung für falsch. Das sind falsche Alternativen, die da aufgestellt werden: Bibel oder wissenschaftliche Erkenntnis. Das schließt sich nicht aus. Beides ist wichtig. Beides hat seine Berechtigung. Die Wissenschaft versucht, möglichst objektive Aussagen zu machen über den Anfang der Welt und des Menschen.  

Die Bibel macht es anders. Sie macht in der Schöpfungsgeschichte eine zutiefst subjektive Aussage, eine Glaubensaussage: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen. So hat es Martin Luther in Worte gefasst. Da geht es nicht um eine ferne Vergangenheit, in der die Welt entstanden ist, und mit mir hat das überhaupt nichts zu tun. Da geht es um mich, um mein Leben, das ich heute lebe. Da geht es um die Quelle, aus der ich meine Hoffnung schöpfe, um das, was mir Halt gibt im Leben. Die Bibel will nicht erklären, wie es wirklich war, sie will erzählen, wie es wirklich ist.

Denn: „selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, sind unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt.“ So hat es der Philosoph Ludwig Wittgenstein auf den Punkt gebracht. Schule und Freunde, Gesundheit und Familie, Freiheit und materielle Sicherheit – das sind solche Lebensprobleme, die euch beschäftigen. Um mit unseren Lebensproblemen gut umgehen zu können, brauchen wir Geschichten, an die wir uns halten. Die Bibel ist ein Buch voller solcher Geschichten, Geschichten von Gott und den Menschen. Und ganz am Anfang steht die Schöpfungsgeschichte, die uns daran erinnert: Von Anfang an war da dieser Fluss, dieser Lebens-Strom, dieser Flow Gottes. Er ist älter als alles Leben. Lange bevor es Menschen gab, war er schon da. Und auch heute ist er da, auch für uns. 

Gott ist für den Menschen da, für Adam. Er schenkt ihm das Leben, jedem von uns. Denn: Adam, das ist hier kein Name. Adam, das ist jeder Mensch. Es ist die Bezeichnung für den Menschen an sich. Eine Bezeichnung, die daran erinnert, dass der Mensch von der Erde herkommt. Adama ist der Erdboden, Adam ist der Mensch, den Gott aus diesem Erdboden formt, und dem er seinen göttlichen Lebensatem einhaucht. Gott gab uns Atem, damit wir leben.

So fing Gottes Liebe zu den Menschen an. Davon erzählt diese Geschichte ganz am Anfang der Bibel. Es ist keine abgeschlossene Geschichte, hinter die man einfach einen Punkt setzen könnte, und fertig. Es ist eine Geschichte, die weiter geht, bis in unsere Zeit. So wie die Quelle zum Rinnsal wird, dann zum Bach und schließlich zum Fluss. Und ihr seid jetzt Teil dieser Geschichte. Ihr wollt euch auf den Weg machen. Ihr wollt diesem Wasser des Lebens folgen – Gott, der uns die Richtung zeigt, damit wir uns nicht verirren im Dickicht des Lebens. Unser Leben ist ein Geschenk von Gott. Was wir haben und was wir sind, das verdanken wir Gott. Wer diesen Glauben hat, der kann trotz der Herausforderungen und Ungewissheiten des Lebens gelassen und fröhlich bleiben. 

Wenn du dich verlaufen hast, dann folge dem Wasser und suche den Fluss. Werde still und höre, ob du nicht irgendwo in der Ferne eine Quelle plätschern hörst, die dir den Weg weist und dich an den Ursprung erinnert – an Gott, der die Quelle des Lebens ist. Gott schenke euch Konfirmanden und uns allen wache Sinne und ein offenes Ohr für diese Spuren Gottes in unserem Leben.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 13. 09. 2020



Lk 19, 1-10: Jesus kam nach Jericho und zog durch die Stadt. Und sieh doch: Dort lebte ein Mann, der Zachäus hieß. Er war der oberste Zolleinnehmer und sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht. Deshalb lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können –denn dort musste er vorbeikommen. Als Jesus an die Stelle kam, blickte er hoch und sagte zu ihm: „Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Der stieg sofort vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf. Als die Leute das sahen, ärgerten sie sich und sagten zueinander: „Er ist bei einem Mann eingekehrt, der voller Schuld ist!“ Aber Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: „Herr, sieh doch: Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.“ Da sagte Jesus zu ihm: „Heute ist dieses Haus gerettet worden, denn auch er ist ein Sohn Abrahams! Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“ (Übersetzung: Basisbibel)

Liebe Mitchristen!

Mich lassen die Bilder nicht los, die in den letzten Tagen um die Welt gegangen sind. Der wohl elendste Ort in Europa wurde ein Raub der Flammen, das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. 12 000 Menschen wurden obdachlos. 5 Tage danach leben die meisten von ihnen immer noch auf der Straße, unversorgt und ohne Schutz. Es ist unerträglich. Und es ist beschämend, dass sich diese erschütternde Katastrophe hier bei uns in Europa abspielt, im christlichen Abendland. Wir alle wissen, was wir als Christen hier zu tun hätten. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan.“ So sagt es uns Jesus in Matthäus 25. Und er sagt auch: „Was ihr an einem von meinen geringsten Brüdern zu tun versäumt habt, das habt ihr an mir versäumt.“

Die leitenden Geistlichen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schreiben in ihrem gemeinsamen Appell: „Es muss endlich gehandelt werden. Wir bitten die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, umgehend eine europäische Lösung für die Verteilung der Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder zu finden. Wir erwarten vom Bundesminister des Innern, sich den Angeboten von Bundesländern und Kommunen, Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen, nicht länger zu widersetzen. Unsere Unterstützung sagen wir zu.“

Geflüchtete Menschen müssen wir aufnehmen, die an den Grenzen Europas gestrandet sind und die dort unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetieren. 12 000 sind es, allein auf Lesbos. Wie viele davon können wir aufnehmen? Was ist unsere Obergrenze? Wir alle wissen: Bei Jesus gibt es keine Obergrenze. Er war radikal. Einem reichen jungen Mann gab Jesus den Ratschlag: „Verkaufe alles, was du hast, und verteile das Geld an die Armen. So wirst du unverlierbaren Reichtum im Himmel haben. Dann komm und folge mir!“ Solche Ratschläge machen uns eher ratlos als das sie uns weiterhelfen. So wie die erschütternd große Zahl an Obdachlosen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria – 12 000 Menschen. Wir wollen helfen, aber wie? So vielen? Wer kann das schaffen? Was wird dann aus uns? „Verteile alles, was du hast, an die Armen.“ Den reichen jungen Mann macht dieser Ratschlag von Jesus ratlos. Traurig geht er weg. 

Aber es gibt auch andere Geschichten in der Bibel. Unser heutiger Predigttext zum Beispiel. Da ist auch ein reicher Mann. Zachäus heißt er. Er ist verstrickt in schmutzige Geschäfte – Kollaboration mit der römischen Besatzungsmacht. Als Zöllner treibt er am Stadttor die Steuern und Abgaben ein, die die Römer in ihren besetzten Gebieten erheben. Reich werden kann man dabei nur, wenn man den Leuten noch mehr abverlangt, als von oben gefordert, und damit in die eigene Tasche wirtschaftet. Zachäus ist reich geworden bei diesem schmutzigen Geschäft, sehr reich. Bis zum Oberzöllner hat er es gebracht.  Glücklich gemacht hat ihn sein schmutzig erworbenes Geld nicht. Er ist einsam, hat keine Freunde. Die Menschen aus seinem eigenen Volk verachten ihn, und für die Römer bleibt er ein Fremder. Als Jesus in die Stadt kommt, steigt er deswegen auf einen Baum, um Jesus zu sehen. Ein Bad in der Menge kommt für Zachäus nicht in Frage, das wäre unerträglich für ihn. Es könnte für ihn sogar gefährlich werden, so unbeliebt wie er ist. Denn körperlich ist er den Anderen nicht gewachsen. Jesus holt Zachäus raus aus seiner selbstgewählten Isolation und lädt sich bei ihm zum Essen ein. Die Menschenmenge läuft daraufhin bald auseinander. Statt Begeisterung für Jesus gibt es jetzt nur noch Kopfschütteln: „Jesus lädt sich zum Essen ein zu Jemandem, der in schmutzige Geschäfte verwickelt ist!“ 

Ich verstehe die Reaktion dieser Menschenmenge. Aber für mich ist es tröstlich, dass Jesus sich bei so Jemandem zum Essen einlädt. Jemand, der in schmutzige Geschäfte verwickelt ist, so wie ich, so wie wir alle hier in den reichen Ländern Europas. Wir leben in Strukturen, die Menschen in anderen Teilen der Welt ausbeuten. Strukturen, die ihren Teil dazu beitragen, dass Menschen aus diesen ärmeren Ländern ihre Heimat verlassen, weil es dort keine Zukunft mehr für sie gibt, nur Elend und Krieg. 12 000 sind es allein in Moria auf Lesbos. „„Herr, sieh doch: Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben“, sagt Zachäus, der Jesus bei sich zu Gast hat. Die Hälfte, das ist richtig viel. Und die Menschen, die Zachäus betrogen hat, die will er auch entschädigen. Da kommt sicherlich auch noch Einiges zusammen. Sicherlich mehr, als ich mir je vorstellen könnte, von meinem Besitz abzugeben. Trotzdem: Diese Geschichte lässt mich nicht so traurig zurück wie den reichen jungen Mann, dem Jesus sagte: Verteile alles, was du hast, an die Armen. Einfach alles. Behalte nichts für dich zurück. Nehmt alle Flüchtlinge aus Moria auf, alle 12 000. Das würde mich traurig machen, traurig und ratlos. Ich würde den Mut verlieren und denken: Das schaffe ich sowieso nicht. Das können wir nicht schaffen. Dann würde ich am Ende gar nichts tun, und keinem einzigen hilfsbedürftigen Menschen wäre geholfen. 

In der Geschichte von Zachäus ist es anders. Dieser Zöllner behält etwas für sich zurück, damit er sein Leben weiterleben kann. Er lebt weiter in diesen Strukturen, die auf schmutzige Geschäfte ausgelegt sind. Er versucht, das Beste daraus zu machen, den Menschen gerecht zu werden. Manche haben es anders gemacht – haben das Alte hinter sich gelassen und ein komplett neues Leben angefangen. So wie die Jünger von Jesus, die alle Sicherheiten von Beruf, Familie und Dorfgemeinschaft aufgegeben haben. Aber das Schaffen nur die Wenigsten, damals wie heute. Deswegen halte ich mich an die Geschichte von Zachäus: Er hilft den Armen und setzt sich für Gerechtigkeit ein, und behält doch auch genug für sich. Das können wir auch tun in unserer Zeit. Da ist bei uns auch noch Luft nach oben. In unserem Land ist auch noch Platz für Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria, die wir dort aus dem Elend holen können – wenn auch nicht für alle. Setzen wir uns ein für Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit, so wie es in unseren Möglichkeiten steht, im Vertrauen auf Gott, der für uns alle einen Weg weiß.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis, 06. September 2020

Apg 6, 1-7: In dieser Zeit wuchs die Gemeinde stetig. Eines Tages beschwerten sich die Zugezogenen. Sie warfen den Einheimischen vor, ihre Witwen bei der täglichen Speisung zu übergehen. Daraufhin beriefen die Zwölfeine Versammlung aller Jünger ein und sagten: „So geht das nicht! Wir können doch nicht die Verkündigung vernachlässigen, um selbst an den Tischen das Essen auszuteilen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer aus. Sie sollen einen guten Ruf haben und vom Geist Gottes und von Weisheit erfüllt sein. Ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir dagegen werden uns ganz dem Gebet und der Verkündigung widmen.“ Der Vorschlag fand die Zustimmung der Versammlung. Sie wählten Stephanus, einen Mann mit festem Glauben und erfüllt vom Heiligen Geist. Außerdem Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus aus Antiochia, der früher zum jüdischen Glauben übergetreten war. Diese sieben ließ man vor die Apostel treten. Die beteten für sie und legten ihnen die Hände auf. Das Wort Gottes breitete sich aus, und die Gemeinde in Jerusalem wuchs immer weiter. Sogar von den Priestern nahmen viele den Glauben an.

Liebe Mitchristen!

 Die christliche Gemeinde wächst und wächst. So beginnt unser Predigttext. Heute erleben wir das nicht so. Und damals, zur Zeit der ersten Christen, war das auch nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Die jungen christlichen Gemeinden wurden verfolgt und unterdrückt, viele Jahrhunderte lang. Warum waren diese Gemeinden trotzdem so anziehend für die Menschen damals? Der römische Kaiser Julian, der im 4. Jahrhundert nach Christus gelebt hat, kann uns hier Antwort geben. er hatte alles versucht, um das Christentum in seinem Reich zurückzudrängen. Mit staatlichen Sanktionen hatte er es versucht und mit philosophischen Schriften, die das Christentum widerlegen sollten. Alles vergeblich. Warum hat es nicht geklappt? Hören wir seine eigene Erklärung: „Sooft die Armen den Eindruck haben, von den römischen Priestern nicht beachtet zu werden, sehen das die gottlosen Galiläer – so nannte Kaiser Julian die Christen – sofort und nutzen die Gelegenheit zur Wohltätigkeit (…) Die gottlosen Galiläer unterstützen nicht nur ihre eigenen Armen, sondern nicht minder unsere.“ So schreibt der römischer Kaiser Julian. Und dagegen kam er nicht an. Weder mit Zwangsmaßnahmen noch mit philosophischen Argumenten. Er kämpfte auf verlorenem Posten. Er musste es erleben: Die christliche Gemeinde wächst und wächst.

Konkrete Hilfe für Menschen in Not, das ist nicht etwas, was irgendwann nach langer Zeit auch noch dazugekommen ist zu den kirchlichen Aufgaben. Hilfe für andere, Diakonie, das ist dem Christentum sozusagen in die Wiege gelegt. Das hat von Anfang an dazugehört, nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als Kernaufgabe. Das war es, was die Menschen vom christlichen Glauben überzeugt hat. Und wo das nicht mehr funktioniert hat, da war die junge christliche Gemeinde in Gefahr, mehr als durch jede Christenverfolgung. Von so einer gefährlichen Situation hören wir in unserem Predigttext. Es ist eine Krisensituation. Es rumort in der Gemeinde. Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Kulturkreisen kommen da zusammen. Da gibt es die Einheimischen, Hebräischen, und die aus aller Welt Zugezogenen, die griechisch sprechen. Zwischen diesen beiden Gruppen knirscht es. Es geht um die Versorgung von Frauen, die keine Familie haben, Witwen und Alleinstehende. Diese Frauen hatten in der damaligen Gesellschaft einen sehr schweren Stand. Die christliche Gemeinde versorgt sie deswegen. Aber es klappt nicht so richtig. Da gibt es bedürftige Frauen, die leer ausgehen. Es sind die Frauen der Zugezogenen. Sie werden benachteiligt. Das ist ein Skandal. Das hätte nicht passieren dürfen in einer christlichen Gemeinde. Was mich daran beeindruckt: Die Menschen, die sich so benachteiligt fühlen, verlassen nicht die Gemeinde und treten frustriert aus der Kirche aus. Sie sprechen das Problem an. Und die Gemeindeleitung nimmt das Problem ernst und findet eine Lösung. Die Versorgung der Bedürftigen ist ihnen so wichtig, dass sie sieben Personen damit beauftragen, sich ganz und gar dieser Aufgabe zu widmen. Nur so kann sich das Wort Gottes weiter ausbreiten. Nur so kann die junge Gemeinde weiterwachsen.

Das Wort von der Liebe Gottes und die gelebte Liebe zum Mitmenschen, das gehört beides untrennbar zusammen. Beides ist die Grundvoraussetzung für jede christliche Gemeinschaft. Ohne das Wort von der Liebe Gottes, ohne die gelebte Liebe zum Mitmenschen kann keine christliche Gemeinde bestehen. „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert“, sagte Gustav Werner. Er hat es nicht bei Worten bewenden lassen. Er hat gemerkt: Ich kann nicht nur von der Kanzel herunter anderen sagen, wo sie helfen sollen. Ich muss bei mir selber anfangen. Und so hat er angefangen, Waisenkinder bei sich aufzunehmen. Sein Haus wurde ein Bruderhaus, so wie Jesus es gesagt hat: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan.“ Daraus ist die Bruderhaus-Diakonie hervorgegangen, die als Träger viele diakonische Einrichtungen in unserer Region betreibt. Es ist ein Beispiel dafür, wie die Diakonie in der Gemeinde wurzelt, und wie sie doch auch eigene Strukturen braucht, um den Hilfsbedürftigen gerecht zu werden. So wie damals in der ersten christlichen Gemeinde für diese Aufgabe eine neue Institution geschaffen wurde mit der Einsetzung der sieben Diakone.

Diakonie ist heute sehr vielfältig. In schwierigen Lebenssituationen bekommen Menschen kostenfreie Beratung und Hilfe. Jemand ist da, der zuhört. So lässt sich ein Ausweg finden aus verfahrenen Situationen wie Schulden oder Sucht. Auch in unseren Kreisdiakoniestellen in Trossingen und Tuttlingen ist das so. Das alles ist Kirche, ist christliche Gemeinschaft, ist Gemeinde. Diese Arbeit lebt davon, dass wir als Gemeinde sie mittragen. Die grüne Kiste, die hier im Gottesdienstraum steht, steht dafür. Mit dieser Kiste sammeln wir Spenden für den Tafelladen, hier nach dem Gottesdienst und montags und donnerstags im Pfarramt. Diese Kiste ist für mich hier im Gottesdienstraum genauso wichtig wie die Bibel. Sie steht für mich stellvertretend für alles, was auch sonst noch getan wird für die Hilfsbedürftigen in unserer Gemeinde – für die Alten und die Kranken, für die Entwurzelten und die Verzweifelten, für die Einsamen und die Überforderten. Wenn wir für diese Menschen da sind, dann hat die christliche Gemeinde Zukunft – so wie ganz am Anfang ihrer Geschichte, so auch heute in unserer Zeit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis, 30. August 2020

1.Kor 3, 9-15: Wir sind also Gottes Mitarbeiter. Aber ihr seid Gottes Ackerland – oder besser: Gottes Bauwerk. Weil Gott mich in seiner Gnade dazu befähigt hat, konnte ich als weiser Bauleiter das Fundament legen. Jetzt baut ein anderer darauf weiter. Aber jeder muss aufpassen, wie er weiterbaut. Denn niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist. Und das ist Jesus Christus. Es spielt keine Rolle, womit auf dem Fundament weitergebaut wird: mit Gold, Silber oder Edelsteinen, Holz, Heu oder Stroh. Es wird sich zeigen, was das Werk eines jeden Einzelnen wert ist. Der Tag des Gerichts wird es aufdecken, denn mit Feuer wird er hereinbrechen: Das Feuer wird prüfen, wie das Werk eines jeden Einzelnen beschaffen ist. Wenn das Werk, das jemand erbaut hat, dem Feuer standhält, wird er belohnt. Verbrennt das Werk, wird er seinen Lohn verlieren. Er wird zwar gerettet werden – aber nur wie jemand, der gerade noch dem Feuer entkommen ist. (Übersetzung: Basisbibel)

Liebe Mitchristen!

Der Sommer geht zu Ende. Der Urlaub war anders in diesem Jahr als sonst. Wie es wirklich wird, wenn die Ferien vorbei sind, und die Schule wieder beginnt, weiß noch niemand so ganz genau. Mein Sohn jedenfalls ist nicht überzeugt davon, dass es wirklich so sein wird, dass er jeden Tag zur Schule gehen kann. Und wir werden unsere Gottesdienste wohl weiterhin auf Abstand feiern und nur mit Mundschutz singen können. Wir merken es heute schon am Wetter: Es wird langsam Herbst. Veranstaltungen im Freien und Dauerlüften sind da schwieriger. Vielleicht hat unsere Bundeskanzlerin auch daran gedacht, als sie meinte, „dass manches in den nächsten Monaten noch schwieriger sein wird als im Sommer.“ Vielleicht dachte sie auch an die vielen Menschen, die die Geduld verloren haben und endlich ihr normales Leben zurückhaben wollen. Tausende haben gestern in Berlin demonstriert. Ich finde es richtig, dass diese Demonstration am Ende doch genehmigt wurde. Ich finde, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in unserer Demokratie. Aber es beunruhigt mich auch, wie viele Menschen sich da mitreißen lassen. 

Unser Vertrauen in die Kontrollierbarkeit des Lebens ist ins Wanken geraten. Die Philosophin Annette Baier hat dazu folgenden Gedanken: „Wir bewohnen ein Klima des Vertrauens, so wie wir in der Atmosphäre leben. Wir nehmen es wahr wie die Luft, nämlich erst dann, wen es knapp oder verschmutzt ist.“ Das Klima des Vertrauens ist ein knappes Gut geworden. Es ist kein Selbstläufer mehr. Wir alle sind gefragt, daran mitzuarbeiten, dass dieses Klima des Vertrauens weiter besteht und nicht umschlägt in ein Klima des Misstrauens und der Angst. Denn wir brauchen dieses Klima des Vertrauens zum Leben, gerade jetzt, in diesen Zeiten, wo Vieles, was für uns selbstverständlich war, nicht mehr selbstverständlich ist. 

Was kann uns helfen, dieses Klima des Vertrauens zu schützen? Was gibt uns festen Boden unter den Füßen, damit wir zuversichtlich in die Zukunft gehen können, trotz allen Ungewissheiten? „Niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist. Und das ist Jesus Christus.“ So sagt es uns der Apostel Paulus in unserem Predigttext. Jesus Christus. Auf ihn können wir bauen. Auf seinen Namen sind wir getauft. Wir gehören zu seiner Gemeinde, zur weltweiten Gemeinschaft der Christen. Das ist das Fundament für unser Leben: Gott meint es gut mit uns. Gott ist für uns da – ganz menschlich und erfahrbar, so wie Jesus Christus als Mensch unter Menschen gelebt hat. Und das gilt nicht nur dann, wenn alles gut läuft in unserem Leben und wir keine Sorgen haben. Jesus Christus hat auch die Abgründe des Lebens durchschritten – die Verzweiflung, das Leiden und den Tod. Für uns ist er gestorben und hat den Tod überwunden. Die Hoffnung, die er uns damit geschenkt hat, stirbt nie: Dass Gott stärker ist als alles Dunkle und Zerstörerische, das unser Leben durcheinanderwirft. 

Immer wieder haben wir ja auch solche Feuerproben zu bestehen in unserem Leben. Feuerproben, in denen das, was wir uns aufgebaut haben im Leben zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Viele Menschen erleben die jetzige Zeit so. Und nicht immer haben wir Gold und Edelsteine zur Verfügung als Baumaterial für unser Lebenshaus. Aber selbst wenn wir diese schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass das, was wir uns aufgebaut haben im Leben keinen Bestand hat, selbst wenn wir noch einmal bei Null anfangen müssen – die gute Nachricht ist: Das Fundament bleibt. „Niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist. Und das ist Jesus Christus.“ Ein lebendiges Fundament, Jesus Christus, Gottes Sohn, unser Retter. Wir kennen nicht jedes Detail seines Lebens, Sterbens und Auferstehens. Vieles an ihm bleibt Geheimnis und muss es bleiben. Aber seine Botschaft lebt. Seine Gleichnisse wachsen weiter. Seine Heilungen berühren Herz und Sinne. Sein Leiden und Sterben nehmen mit. Seine Auferweckung reißt uns heraus. Dieses lebendige Fundament ist stärker als alle Zukunftsangst. Dieses Fundament trägt uns, wenn wir uns ohnmächtig und ausgeliefert fühlen. Es holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn uns die Wut überkommt, weil wir unser Leben in dieser Pandemie immer noch mit angezogener Handbremse leben müssen. Dieses Fundament lebt und spricht zu uns: Du musst und kannst den Grund deines Lebens nicht selbst erfinden. Gottes Werk ist es. Er ist der Grundbesitzer. Er ist der Eigentümer von unserem Lebenshaus. Dein Leben steht in seiner Hand. Selbst wenn das, was dir bisher lieb und wert war, heute keinen Bestand mehr hat: Gottes Gnade hält dich. Jesus Christus rettet dich. Gottes Geist gibt dir Stärkung. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis, 19. Juli 2020


 Liebe Gemeinde, 

was haben Sie gedacht und gefühlt, als Sie den Predigttext (5. Mose 7, 6 – 12) gehört haben. Da ist von Gott die Rede, der Israel liebt und erwählt hat. Da ist von Gott die Rede, der sofort Vergeltung übt an denjenigen, die ihn hassen und sie umbringt. Wann haben Sie das letzte Mal von einem richtenden, zornigen Gott gehört oder gelesen? Ist Gott wirklich so emotional? Dazu

  1. Gott liebt sein Volk

Sein Volk ist heilig. Heilig bedeutet nicht fehlerlos oder vollkommen. Heilig bedeutet: Gott hat dieses Volk ausgesucht, es erwählt, es den anderen Völkern vorgezogen –so kann man das hebräische Verb „bachar“ übersetzen. Es gehört ihm. Darum ist es heilig. Wenn Gott Israel anderen Völkern vorzieht, welche Gründe hat Gott dann gehabt? Einen einzigen Grund: Liebe. Ich liebe dich- mein Augapfel bist du, mein Schatz-ich hänge an dir, du lässt mich nicht mehr los. Das ist eine einzigartige leidenschaftliche Liebeserklärung an ein ganzes Volk – sein Volk. Und Israel hat Gottes Liebe immer wieder erfahren. Die Israeliten mussten in Ägypten Frondienste leisten – wir kennen aus den Josefs-Geschichten die Umstände, die dazu führten, dass Israel nach Ägypten kam und dort sesshaft wurde.  Sie mussten als Sklaven Ziegel herstellen, Städte bauen und auf den Feldern hart arbeiten. Da beauftragt Gott Mose, Israel aus der Knechtschaft zu befreien, weil er ihr Leid, ihre Not nicht länger mit ansehen kann.

Gott lässt Mose wissen: Ich bin, der ich bin.  Das bedeutet: Ich, Gott, bin für euch da. Die Israeliten können Ägypten verlassen. Die Ägypter geben ihnen sogar Schmuckstücke und Kleidung in großer Zahl mit. Gottes Macht ist so groß, dass die ehemaligen Unterdrücker freiwillig ihre privaten Schätze und Kostbarkeiten herausgeben. Als sie am Schilfmeer durch die Ägypter in Bedrängnis kommen – die wollten nicht auf ihre billigen Sklaven verzichten – da sorgt Gott dafür, dass seine Kinder trockenen Fußes durch das Meer hindurch ziehen können. Ihre Verfolger ertrinken im Meer. Im Buch Exodus wird immer wieder erzählt, dass Israel in Bedrängnis kommt und Gott ihnen treu zur Seite steht. Gott hat an seinem Bund mit Israel immer festgehalten. Der Inhalt des Bundes lautet in der Kurzformel: Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein. Gott ist Israel treu geblieben, auch wenn sie untreu wurden. Und wenn sie untreu wurden, haben sie diese Erfahrung   oft mit dem Leben bezahlen müssen: Als Beispiel möchte ich an eine Begebenheit erinnern, in der das Volk ungeduldig wird, weil sie einen Umweg machen müssen. Als sie sich hier – zum wiederholten Mal- bei Mose beklagen- werden sie von Schlangen angefallen und gebissen. Viele Israeliten sterben. Erst durch die Fürbitte des Moses wird ihnen geholfen. Mose macht –auf Gottes Anweisung hin – eine bronzene Schlange und befestigt sie an einer Stange. Jeder, der gebissen wird und zu der Schlange aufblickt, wird gerettet. Gott, der treu an seinem Volk hängt, möchte, dass auch sie treu an ihm hängen und aus Liebe seinen Willen tun und frei werden von anderen Abhängigkeiten. Seine Barmherzigkeit gilt bis über 1000 Generationen hinweg, auch wenn sie in den Jahrhunderten der Verfolgung oft nicht sichtbar gewesen ist. Und doch haben

Juden an dem treuen Gott, der den Bund hält und seinem Volk Barmherzigkeit erweist, festgehalten in der Hoffnung, dass seine Treue ewig gilt. Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang Jossel Rackover.  Im Warschauer Ghetto wurde in einer Flasche das Bekenntnis des Juden Jossel Rackover gefunden.“ Ich, Jossel, Sohn des Jossel Rackove, schreibe diese Zeilen, während das Warschauer Ghetto in Flammen steht.“ Da schreibt er unter anderem:“ Ich sterbe ruhig, aber nicht befriedigt, ein Geschlagener, aber kein Verzweifelter, ein Gläubiger, aber kein Beter, ein Verliebter in Gott, aber kein blinder Amensager. Ich habe sein Gebot erfüllt, auch wenn er mich dafür geschlagen hat. ich habe ihn liebgehabt und war und bin verliebt in ihn, auch wenn er mich zur Erde erniedrigt, zu Tode gepeinigt, zur Schande und zum Gespött gemacht hat. Und das sind meine letzten Worte an dich, mein zorniger Gott: Es wird dir nicht gelingen! Du hast alles getan, damit ich nicht an dich glaube, damit ich an dir verzweifle! Ich aber sterbe genau, wie ich gelebt habe, im felsenfesten Glauben an dich! Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einig und einzig.“

  1. Gott liebt auch die Ausländer

 Es wird – neben unserem Predigttext- in vielen biblischen Zusammenhängen immer wieder betont, dass Gott eine Vorliebe für die Kleinen, die Benachteiligten, die Fremden hat. Und so lernt der Prophet Jona im AT, dass sein Erwählungsglaube der Korrektur bedarf.

 Als Gott ihm den Auftrag gibt, nach Ninive zu gehen, macht sich Jona aus dem Staub.  Vielleicht hat er sich gefragt: Was macht es für einen Sinn, den Niniviten den Untergang anzukündigen, wenn sie sich doch nicht ändern. Am Ende des Buches Jona wird berichtet, dass Jona unheimlich zornig auf Gott ist. Gott hatte besondere Mittel eingesetzt – Sie kennen die Geschichte vom großen Fisch, der den Jona verschluckt und nach drei Tagen wieder ausspuckt. Seine Predigt war menschlich gesehen ein großer Erfolg und die Niniviten waren zu Gott umgekehrt. Das passte nicht in die Theologie, die Jona sich zurechtgelegt hatte. Diese Militaristen, die nicht zum Volk Gottes gehörten, sollten straffrei ausgehen? Ihre Verbrechen sollten ungesühnt bleiben? Wo blieb da Gottes Gerechtigkeit?  Jona   rechtfertigt sich vor Gott mit den Worten:“ Ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Gnade, und einer, dem das Unheil leidtut.“ Jona lässt außer Acht, dass der gerechte Gott eben auch der barmherzige Gott ist. Diesem barmherzigen Gott sind die Niniviten nicht gleichgültig. Die Erwählung Israels erfährt also schon im AT eine Erweiterung.

  1. Gott liebt alle Menschen

Der Evangelist Johannes schreibt: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergegeben hat, damit keiner verloren geht, der ihm vertraut.“ Diese Liebe hat Gott sehr viel gekostet. Er schickt seinen Sohn, der stellvertretend für uns stirbt, damit wir leben können. Im Petrusbrief wird darauf hingewiesen, dass Gott die Christen auserwählt hat, seine königliche Priesterschaft zu sein. Wir sind sein Volk, das in besonderer Weise Gott gehört. Wir sollen seine Großen Taten verkündigen. Wir waren früher nicht sein Volk und sind jetzt Gottes Volk. Wir erfahren jetzt seine Barmherzigkeit. Die Parallelen zum auserwählten Volk Israel sind deutlich zu sehen. Gott hat uns erwählt und nicht wir ihn, wie Jesus seinen Jüngern erklärt. Diese Erwählung setzt die Erwählung Israels durch Gott nicht außer Kraft. Israel ist und bleibt Gottes auserwähltes Volk. Wir sollen Gottes große Taten verkünden. Gemeint ist damit, dass wir als Christen Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen etc. daran erinnern, bzw. sie darauf hinweisen, dass Gott in seiner Liebe alles dafür getan hat, dass wir zu ihm gehören können. Am Kreuz von Golgatha konzentrieren sich in Jesus Christus Gottes Nein und Gottes Ja. Gottes Zorn gilt der Sünde des Menschen. Gottes Liebe gilt dem Sünder. Weil Gott Liebe ist, übernimmt er die Strafe für uns, die eigentlich Schuldigen, und rettet uns in Jesus Christus. Am Kreuz von Golgatha ereignen sich stellvertretend Gericht und Gnade, Zorn und Liebe. Gott muss nicht besänftigt werden, der Mensch muss versöhnt werden. Gott hat in Jesus ja zu uns gesagt und wartet darauf, dass wir dieses Ja erwidern. Unerwiderte Liebe ist ein Drama. Zu einer Liebesbeziehung gehört das „Ja“ von beiden Seiten.                                                                                             

Ein Reden von Gottes Liebe, das den heiligen Zorn vernachlässigt oder gar verneint, degradiert Gott zu harmloser Nettigkeit. Umgekehrt ist es theologisch unsachgemäß und seelsorgerlich verheerend, Gott zu einem Scharfrichter zu machen und von seinem Zorn zu sprechen, ohne diesen letztlich als Teil seiner Liebe zu verkündigen. Gott ist Liebe, er ist nicht Zorn. Aber als Liebender zürnt er, um Menschen zurecht zu bringen mit dem Ziel, den Menschen zur Umkehr zu bewegen und zu retten. In 2. Chr. 6 – 7 werden wiederholt drei krisenhafte Phänomene geschildert, die auf Gottes Gerichtshandeln gegenüber Israel hindeuten: Dürre, Ungeziefer und Seuche. Wir sollten ins AT nun nicht unsere heutigen Probleme von Klimawandel und ökologischen Katastrophen hineindeuten. Aber die beschriebenen ökologischen und gesundheitlichen Schäden stehen im Zusammenhang mit dem hochmütigen Verhalten des Menschen. Ich finde es bemerkenswert, dass wir die drei Phänomene Dürre, Ungeziefer und Seuche konzentriert in unserem Land und an anderen Orten dieser Welt erleben. Deutschland hat 2018 und 2019 zwei extrem trockene Sommer erlebt. Zusätzlich haben Stürme und Borkenkäfer in diesen Jahren große Teile des deutschen Nadelwaldes geschädigt und vernichtet. Und jetzt rollt die Corona-Pandemie. Dürre, Käfer, Pest. Ist es da undenkbar, diese Ereignisse als Gerichtshandeln Gottes in unserer Generation zu verstehen, mit dem Ziel, unser Land wach zu rütteln und uns an sein Herz zu rufen? Dieser

Eindruck hat sich bei mir verstärkt als ich einen prophetischen Impuls aus dem Jahr 2005 las, in dem es unter anderem heißt: 

„Gott reißt Deutschland viele Sicherheiten weg. Zwei Hitzewellen, die kurz hintereinanderkommen werden, erschüttern das Land und zeigen deutlich die eigene Ohnmacht auf. Ich höre, wie Gottes Stimme sagt: „Wenn das geschieht, so ist es ein Zeichen, dass ich das stolze Land demütigen werde, um es neu an mein Herz zu ziehen. Die Erschütterungen sind Zeichen meiner Gnade. Ihr sollt wissen: Ich habe euch nicht verlassen; ich suche euch! Wache auf, der du schläfst.“ 

Die Niniviten haben damals den Ruf zur Umkehr gehört und haben sich Gott wieder zugewandt. Gott wartet darauf, dass wir uns ihm wieder zuwenden, damit er uns neu an sein Herz drücken kann. Amen


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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis, 12. Juli 2020


Lukas 5, 1-11 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth. Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Mitchristen!

Warum sind manche Menschen erfolgreich und andere nicht? Und was kann ich dafür tun, dass ich erfolgreich bin? Der Weg zum Erfolg: Bücher und Internetseiten geben hier Ratschläge und Tipps, Motivationstrainer bieten dazu Kurse an. Sicherlich: Manchmal stehe ich mir auch selber im Weg. Daran kann ich etwas ändern. Das kann ich lernen. Aber nicht jede Erfolgsgeschichte und nicht jede Erfolglosigkeit lässt sich so erklären. „Da habe ich mich wochenlang abgemüht und meine ganze Energie und Kraft in dieses Projekt gesetzt, und jetzt setzt meine Firma auf einmal andere Prioritäten, und meine ganze Arbeit war für die Katz,“ erzählt jemand. „Und der Kollege, der eigentlich immer nur Dienst nach Vorschrift macht, der ist jetzt fein raus.“ Es ist ein niederschmetterndes und entmutigendes Gefühl, wenn man sich einsetzt und abmüht. Wenn man seine Arbeit tut, aber es stellt sich kein Erfolg ein.

Auch in unserem Predigttext hören wir von solchen Erfahrungen. „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen,“ sagt Petrus. Die ganze Nacht gearbeitet, den ganzen Tag geschuftet, und nichts ist dabei herausgekommen. Kein einziger Fisch für den Markt. Nur Ausgaben, keine Einnahmen. Nur Arbeit, kein Erfolg. Petrus, der Erfolglose. Und dann ist da noch Jesus, der Erfolgreiche. Eine dichte Menschenmenge schart sich um ihn und will seine Predigt hören. Menschen, die nach etwas suchen, was ihrem Leben Sinn und Halt gibt. Und Jesus schafft es, mit seinen Worten ihre Herzen zu berühren. Das spricht sich herum, und es kommen immer mehr Menschen. Der Platz am Ufer reicht nicht mehr aus. Da kommen die Fischerboote von Petrus und seinen Kollegen gerade recht. Müde und frustriert sitzen die Fischer am Ufer und waschen ihre leer gebliebenen Netze aus.

Und jetzt kommt auch noch Jesus, der vor lauter Erfolg nicht mehr weiß wohin, und will von ihnen auf den See gefahren werden, damit die Menschen ihm noch besser zuhören können. Eigentlich hätten die Fischer gerade Besseres zu tun, als dieser Bitte zu entsprechen. Aber Petrus kennt Jesus. Jesus hat ihm und seiner Familie schon sehr geholfen. Die Schwiegermutter von Petrus war sehr krank. Jesus hat sie geheilt. Petrus ist Jesus also noch einen Gefallen schuldig. Und so stellt er sein Boot als schwimmende Kanzel zur Verfügung.

Aber dann, als Jesus fertig ist mit seiner Predigt, und die Menschenmenge sich wieder verlaufen hat, dann müsste es doch eigentlich genug sein. Dann bräuchte Petrus doch eigentlich mal Zeit für sich, um sich auszuruhen von dieser harten Nacht, die er durchgearbeitet hat. Um diese frustrierende Erfahrung zu verdauen, dass sie nichts, aber auch gar nichts gefangen haben. Aber Petrus bekommt diese Zeit nicht. Jesus, der Erfolgreiche, gibt ihm Tipps wie er es besser machen könnte: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“

Petrus könnte Jesus also auf unterschiedliche Weise antworten: „Jesus, wie unklug ist das denn? Tagsüber fängt man nicht einen Fisch!“ oder „Du, das haben wir schon gemacht, hat auch nicht geholfen!“ oder „Jesus, das haben wir noch nie gemacht, warum sollten wir jetzt damit anfangen?“ „Du hast doch gar keine Ahnung vom Fischefangen!“Kommt Ihnen das bekannt vor? Das sind „Totschlagargumente“: „Das haben wir noch nie so gemacht!“ „Das machen wir schon immer so, und nicht anders!“ Petrus ist hier erfrischend anders. Er lässt sich auf Jesus ein: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen“, sagt er zu Jesus. Es ist ein Wagnis, das er das tut. Er riskiert, dass er sich lächerlich macht. Dass seine Fischerkollegen ihn für verrückt halten. Denn kein Fischer würde am See Genezareth am hellichten Tag zum Fischen auf den See hinausfahren. Man fischt nachts, wenn die Fische an die Oberfläche kommen, und man kann sie noch mit Fackeln zusätzlich anlocken. Das ist der übliche Weg zum Erfolg. Aber Petrus ist bereit, diesen üblichen Weg zu verlassen. Er ist offen für neue oder andere Ideen und setzt sie in die Tat um.

Offen sein für neue Wege, für das Unerwartete, für das Verrückte. Können wir das? Wir leben in einer Zeit, die uns dazu in besonderer Weise herausfordert. Wie sind wir als Gemeinde erfahrbar in dieser Zeit, in der der christliche Glaube für immer mehr Menschen an Bedeutung verliert? Ich bin sicher: Wir brauchen hier neue Wege, das Unerwartete, das, was wir selber zuerst einmal verrückt finden. Bleiben wir offen für Gottes überraschende Wege. Und: Bleiben wir offen dafür, dass Gott uns hier reich beschenken will. So wie Petrus, der am Ende gar nicht mehr weiß, wohin mit den ganzen Fischen, die er gefangen hat. Es muss nicht alles so bleiben, wie es ist. Die Geschichte vom scheinbar erfolglosen Petrus wird zur Erfolgsgeschichte. Aus dem einfachen Fischer, der noch nie eine Rede gehalten hat, wird einer, der mit seinen Worten die Herzen der Menschen berühren und sie für den christlichen Glauben begeistern kann. Aus Simon, dem Fischer wird Petrus, der Menschenfischer. Menschenfischer. An dem Begriff stoßen wir uns zuerst. Das klingt nach Bauernfängerei. Da sollen einem wohl Menschen ins Netz gehen. Aber so ist es nicht gemeint. Es geht um etwas ganz Anderes dabei. Es geht darum, die Worte Jesu in die Welt hinauszuwerfen, damit Menschen sich daran festhalten können. Damit sie einen Halt bekommen im weltweiten Netz der Menschen, die Jesus Christus vertrauen. Es geht bei diesem Bild um den Menschen, der einen Platz braucht und Orientierung auf seinem Lebensweg. Es geht darum, anderen die Hand zu reichen, damit sie mitkommen auf dem Weg des Glaubens. Solche Menschenfischer sollen wir alle sein. Gerade auch in unserer Zeit mit ihren besonderen Herausforderungen. Das ist eine große Aufgabe. „Fürchte dich nicht,“ sagt Jesus dem an sich selber zweifelnden Petrus. Das ist ein gutes Wort auf dem Lebensweg, auch für uns. Fürchte dich nicht, auch wenn dein Leben anders läuft als geplant. Wenn da mehr Mühe ist als Erfolg. Fürchte dich nicht und lass dich nicht frustrieren. Nicht die Erfolgszahlen sind es, die dein Leben bestimmen. Es gibt mehr als das alles. Überraschende und neue Wege und Möglichkeiten, die Gott für uns bereit hält. Bleiben wir offen für dieses Wunder.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 5. 7. 2020

Röm 12, 17-21: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.


Liebe Mitchristen,

Unser Leben hat sich stark verändert in den letzten Wochen und Monaten. Dass wir eingeschränkt sind in dem, wie wir unsere Gottesdienste feiern können, ist dabei womöglich nur eine der kleineren Sorgen, die die Menschen jetzt umtreiben. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Lockdown werden erst nach und nach spürbar. Im Staatshaushalt wird eine immense Schuldenlast aufgehäuft, ein schweres Erbe für unsere Kinder und Enkel. Auch wenn diese Maßnahmen jetzt wichtig und richtig sind – die Frage bleibt: Was für Belastungen kommen da noch auf uns zu?  Und wie wird es unser menschliches Zusammenleben auf Dauer prägen, dass wir uns jetzt so lange Zeit nicht in den Arm nehmen können? Dass wir unseren Kindern beibringen, wie wichtig es ist, von unseren Mitmenschen Abstand zu halten statt auf sie zuzugehen? Wir wagen das alles gar nicht zu Ende zu denken. Vielleicht wollen wir auch einfach nicht mehr darüber nachdenken. Wir alle kommen ja irgendwann einmal an den Punkt, wo wir sagen: Es ist genug. Ich will nichts mehr hören von Corona. Ich will einfach nur wieder mein normales Leben zurück – ohne diesen ganzen Wust an Einschränkungen und Regeln, die zu beachten sind. Ohne die Sorgen um die Zukunft und die Gedanken, wo das alles noch hinführen soll.

Ich finde hier die Worte von Dietrich Bonhoeffer sehr tröstlich: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Der Apostel Paulus sagt das ganz ähnlich im Predigttext für den heutigen Sonntag. Da geht es um das Böse, dass immer wieder die Oberhand gewinnen will in unserem Leben. Um Aggressionen gegen andere Menschen. Um die Wut, die uns immer wieder packt – ja, gerade auch in dieser Zeit, in der wir uns oft ohnmächtig fühlen. Andere bestimmen über unser Leben, was man darf und was nicht, ob im Gottesdienst gesungen werden darf oder wann und wo man einen Mundschutz tragen muss. Die Wut- und die Rachegefühle sind da. Paulus redet das nicht klein in unserem Predigttext. Er sagt nicht: Unterdrückt diese Gefühle. Paulus weiß offensichtlich, dass das nicht funktioniert. Er weiß, dass diese Gefühle Raum brauchen. Wenn ich sie unterdrücke, dann macht das alles nur noch schlimmer. Dann explodiere ich irgendwann vor Wut. Deswegen sagt Paulus über diese Gefühle: „Gebt Raum.“ Gebt diesen Gefühlen Raum. Aber nicht so, dass sie andere zerstören. Gebt diesen Gefühlen nicht bei euch, in eurem Leben Raum. Gebt ihnen Raum bei Gott. Bei Gott ist Platz für alle diese Gefühle. So verstehe ich das, wenn Paulus in unserem Predigttext sagt: „Gebt Raum dem Zorn Gottes.“ Bei Gott sind auch diese schwierigen Gefühle von mir gut aufgehoben: Die Wut, der Zorn, die Rache. Wenn ich diese schwierigen Gefühle zu Gott bringe, dann kann ich so leben, wie es Paulus in seinem Schlusssatz auf den Punkt bringt: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“  

Dieser Satz ist mir vertraut. Er erinnert mich an die Konfirmanden, die ihn gerne als Konfirmationsspruch auswählen. Jedes Jahr gibt es Jugendliche, die finden: Dieser Spruch soll es sein, der mich als Konfirmationsspruch durch mein Leben begleitet. Auch in diesem Jahr ist das so. Auch wenn das Konfirmandenjahr plötzlich ganz anders verlaufen ist als das geplant war. Das Konfirmandenwochenende, das Mitte März hätte stattfinden sollen, mussten wir ganz kurzfristig absagen und die Konfirmationen vom Mai in den Oktober verschieben. Der Konfirmandenunterricht hat seither nur noch per Mail stattgefunden. Erst jetzt geht es wieder, dass wir uns treffen, und ich bin gespannt, wie es ist, die Konfirmanden dann am 22. Juli wiederzusehen. Aber die Konfirmationssprüche haben sie jetzt schon ausgewählt. Sie haben sie mir per Mail geschickt. Und ich hatte die Konfirmanden gebeten, mir noch dazuzuschreiben, warum sie sich gerade für diesen Spruch entschieden haben.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“  Zu diesem Spruch schreibt mir eine unserer Konfirmandinnen: „Diesen Spruch finde ich passend, gerade in dieser Zeit. Durch die häusliche Quarantäne habe ich einen anderen Blick auf die Schule und den Konfirmationsunterricht bekommen. Ein Lächeln, ein kurzer Gruß erlangt nun eine ganz andere Bedeutung.“ 

Ein Spruch, der passend ist, gerade in unserer Zeit. So sieht es diese Konfirmandin. Sie lässt sich nicht blockieren von all dem Schwierigen, was diese jetzige Zeit mit sich bringt. Sie hat sich die Offenheit für das Gute bewahrt, dort wo es ihr begegnet: In einem Lächeln oder einem kurzen Gruß. Diese kleinen Gesten, die wir uns alle schenken können, die erlebt sie jetzt als eine große Hilfe und Bereicherung. Ich finde das sehr ermutigend. Und ich erlebe es auch immer wieder selber: Menschen, die mir ein solches Lächeln schenken, und auf einmal sieht die Welt viel freundlicher aus. Menschen, die für andere da sind und helfen, wo es nötig ist. Auch mit unserem heutigen Gottesdienstopfer für die Diakonie wollen wir helfen, und mit den Lebensmittelspenden für den Tafelladen, die wir hier in unserer Kirche sammeln. Wir sind nicht ohnmächtig. Wir können etwas tun. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Wir können das, weil Jesus Christus uns die Kraft dazu gibt. Er hat das Böse überwunden. Am Kreuz hat er die Last der Welt auf sich genommen. Er lässt uns nicht im Stich, wenn uns die Last zu schwer wird. Er lädt uns alle ein, gerade die Belasteten: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch eure Last abnehmen.“ Er gibt uns die Kraft, die wir für unser Leben brauchen, gerade auch jetzt, in dieser Zeit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer