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Gedanken zum Sonntag

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

 

Predigt zum Sonntag, 8. November 2020

 

Paulus schreibt in 1. Thessalonicher 5, 1-6: Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen:

„Friede und Sicherheit“, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen. Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

 

Liebe Mitchristen!

 

vor ein paar Jahren waren wir im Urlaub in Spanien am Meer. Urlaub, das bedeutet bei uns meistens: Ausschlafen und den Tag spät beginnen. Aber für einen dieser Urlaubstage hatten wir uns etwas Anderes vorgenommen. Wir wollten früh aufstehen und den Sonnenaufgang am Meer erleben. Verschlafen machten wir uns am frühen Morgen auf den Weg. Kaum ein Mensch war um diese Zeit unterwegs. Grau lag der Strand und das Meer in der Morgendämmerung. Aber am Horizont, weit draußen im Meer, da zeigt sich schon ein Silberstreif. Bald ist es so weit. Die Sonne geht auf. Erst dringen nur wenige Sonnenstrahlen zu uns durch. Dann kommt die Sonne hinter dem Horizont hervor. Und sie taucht alles in ein goldenes Licht: Himmel und Erde, Meer und Strand. Ein unbeschreibliches und unvergessliches Erlebnis. Wach sein, nicht der Bequemlichkeit und der Müdigkeit nachgeben und schlafen wie die anderen. Darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext. „So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein“, heißt es da. Wenn wir an diesem Tag so lange geschlafen hätten wie an den anderen Urlaubstagen, dann hätten wir dieses Erlebnis nie gehabt: in das goldene Licht der aufgehenden Sonne getaucht zu sein an diesem wunderbaren Sommermorgen am Meer.

 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht mit diesem Bild und dieser Erzählung von meinem vergangenen Urlaubserlebnis. Können Sie sich da hineinversetzen? Oder ärgert es Sie einfach nur, dass ich hier über vergangene Urlaubserlebnisse an sonnigen Küsten rede, jetzt in diesem Jahr, wo man im Sommer den Mittelmeerurlaub absagen musste und den Urlaub stattdessen im verregneten Norddeutschland verbracht hat. Und inzwischen kann man nicht einmal mehr innerhalb von Deutschland ein Urlaubshotel buchen.

 

Friede und Sicherheit, ein Leben im sonnigen Licht eines Urlaubsstrandes, das wünschen wir uns so sehr in diesen Zeiten, in dieser Pandemie, die unser Leben durcheinandergeworfen hat. Und mancher ist dafür auch bereit, sich in der falschen Sicherheit zu wiegen, dass diese Maßnahmen, die jetzt zur Eindämmung dieser Pandemie getroffen werden, übertrieben sind und wir doch einfach unser normales Leben weiterleben könnten. „Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen.“ Das sind harte Worte, die unser Predigttext uns hier mit auf den Weg gibt. Wir sollen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wir sollen nicht so tun, als ob Frieden wäre und alles gut, und in Wirklichkeit ist es gar nicht so. Wir sollen nicht wegschauen und die Augen verschließen vor den Problemen. Wach sollen wir sein und nüchtern. Wach sein, das bedeutet: Der Krise ins Auge schauen und mit dem Ende rechnen. Mit dem Ende unseres vertrauten Lebensstils, mit dem Ende unseres eigenen Lebens, mit dem möglichen Ende der Menschheit.

 

Vielleicht kann uns die Corona-Krise hier wachrütteln. Sie zeigt uns, wie verletzlich wir sind, wie wenig selbstverständlich es ist, dass sich unser Lebensstil auf diesem hohen Niveau bewegt, an das wir uns gewöhnt haben. Ein Niveau, von dem wir alle wissen, dass es unserer Erde zu viel abverlangt, mehr als sie tragen kann. Wir verbrauchen Ressourcen, die wir nicht haben und leben auf Kosten der kommenden Generationen. Werden wir es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten schaffen, unser Leben so zu gestalten, dass die Erde auch für unsere Kinder und Enkel ein bewohnbarer Planet bleibt? Verschließen wir nicht die Augen vor diesem Problem. Bleiben wir wach, bleiben wir nüchtern. Lassen wir uns nicht einlullen und in falscher Sicherheit wiegen, als ob alles in bester Ordnung wäre. Die Fridays for Future Bewegung will uns hier wachrütteln, und mit Recht. Gott hat uns diese Erde anvertraut. Es ist unsere Verantwortung, wie wir mit ihr umgehen.

 

„Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“, sagt Paulus in unserem Predigttext. Das klingt beunruhigend und verstörend. Kann ich da nachts überhaupt noch ruhig schlafen, wenn ich das ernst nehme? Müssen mir nicht die Sorgen den Schlaf rauben, die ganz persönlichen Ängste, Nöte und Einsamkeiten jetzt in der Corona-Pandemie genauso wie die globale Sorge über die Klimaerwärmung mit all ihren Folgen: Dürre, Hunger, Flucht und Kriege?

 

Paulus erinnert uns daran: „Ihr alle seid Kinder des Lichts und des Tages.“ Auch wenn ich wach und nüchtern die Probleme in der Welt und in meinem Leben in Angriff nehmen soll –die Sorgen darüber sollen mir nicht komplett den Schlaf rauben. Im Licht von Jesus Christus kann ich all das Schwere und Belastende ertragen und immer wieder neue Perspektiven und Lösungsansätze entdecken. Denn Jesus Christus ist für mich gestorben und auferstanden. Deswegen bin ich ein Kind des Lichts, und die Dunkelheit kann mich nicht schrecken – trotz allen ungelösten Problemen, Sorgen und Belastungen. Auch wenn immer wieder das Böse und der Tod seine Macht in unserer Welt zeigt, so wie jetzt in Form eines kleinen Virus. Das alles wird nicht das letzte Wort haben, sondern Jesus Christus. Sein Tag wird kommen und den Grauschleier von unserer Seele nehmen. So wie die Sonne die Dunkelheit durchbricht an einem Sommermorgen am Meer, und die grauen Sandkörner funkeln lässt wie Gold.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer