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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 13. 09. 2020



Lk 19, 1-10: Jesus kam nach Jericho und zog durch die Stadt. Und sieh doch: Dort lebte ein Mann, der Zachäus hieß. Er war der oberste Zolleinnehmer und sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht. Deshalb lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können –denn dort musste er vorbeikommen. Als Jesus an die Stelle kam, blickte er hoch und sagte zu ihm: „Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Der stieg sofort vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf. Als die Leute das sahen, ärgerten sie sich und sagten zueinander: „Er ist bei einem Mann eingekehrt, der voller Schuld ist!“ Aber Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: „Herr, sieh doch: Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.“ Da sagte Jesus zu ihm: „Heute ist dieses Haus gerettet worden, denn auch er ist ein Sohn Abrahams! Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“ (Übersetzung: Basisbibel)

Liebe Mitchristen!

Mich lassen die Bilder nicht los, die in den letzten Tagen um die Welt gegangen sind. Der wohl elendste Ort in Europa wurde ein Raub der Flammen, das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. 12 000 Menschen wurden obdachlos. 5 Tage danach leben die meisten von ihnen immer noch auf der Straße, unversorgt und ohne Schutz. Es ist unerträglich. Und es ist beschämend, dass sich diese erschütternde Katastrophe hier bei uns in Europa abspielt, im christlichen Abendland. Wir alle wissen, was wir als Christen hier zu tun hätten. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan.“ So sagt es uns Jesus in Matthäus 25. Und er sagt auch: „Was ihr an einem von meinen geringsten Brüdern zu tun versäumt habt, das habt ihr an mir versäumt.“

Die leitenden Geistlichen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schreiben in ihrem gemeinsamen Appell: „Es muss endlich gehandelt werden. Wir bitten die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, umgehend eine europäische Lösung für die Verteilung der Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder zu finden. Wir erwarten vom Bundesminister des Innern, sich den Angeboten von Bundesländern und Kommunen, Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen, nicht länger zu widersetzen. Unsere Unterstützung sagen wir zu.“

Geflüchtete Menschen müssen wir aufnehmen, die an den Grenzen Europas gestrandet sind und die dort unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetieren. 12 000 sind es, allein auf Lesbos. Wie viele davon können wir aufnehmen? Was ist unsere Obergrenze? Wir alle wissen: Bei Jesus gibt es keine Obergrenze. Er war radikal. Einem reichen jungen Mann gab Jesus den Ratschlag: „Verkaufe alles, was du hast, und verteile das Geld an die Armen. So wirst du unverlierbaren Reichtum im Himmel haben. Dann komm und folge mir!“ Solche Ratschläge machen uns eher ratlos als das sie uns weiterhelfen. So wie die erschütternd große Zahl an Obdachlosen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria – 12 000 Menschen. Wir wollen helfen, aber wie? So vielen? Wer kann das schaffen? Was wird dann aus uns? „Verteile alles, was du hast, an die Armen.“ Den reichen jungen Mann macht dieser Ratschlag von Jesus ratlos. Traurig geht er weg. 

Aber es gibt auch andere Geschichten in der Bibel. Unser heutiger Predigttext zum Beispiel. Da ist auch ein reicher Mann. Zachäus heißt er. Er ist verstrickt in schmutzige Geschäfte – Kollaboration mit der römischen Besatzungsmacht. Als Zöllner treibt er am Stadttor die Steuern und Abgaben ein, die die Römer in ihren besetzten Gebieten erheben. Reich werden kann man dabei nur, wenn man den Leuten noch mehr abverlangt, als von oben gefordert, und damit in die eigene Tasche wirtschaftet. Zachäus ist reich geworden bei diesem schmutzigen Geschäft, sehr reich. Bis zum Oberzöllner hat er es gebracht.  Glücklich gemacht hat ihn sein schmutzig erworbenes Geld nicht. Er ist einsam, hat keine Freunde. Die Menschen aus seinem eigenen Volk verachten ihn, und für die Römer bleibt er ein Fremder. Als Jesus in die Stadt kommt, steigt er deswegen auf einen Baum, um Jesus zu sehen. Ein Bad in der Menge kommt für Zachäus nicht in Frage, das wäre unerträglich für ihn. Es könnte für ihn sogar gefährlich werden, so unbeliebt wie er ist. Denn körperlich ist er den Anderen nicht gewachsen. Jesus holt Zachäus raus aus seiner selbstgewählten Isolation und lädt sich bei ihm zum Essen ein. Die Menschenmenge läuft daraufhin bald auseinander. Statt Begeisterung für Jesus gibt es jetzt nur noch Kopfschütteln: „Jesus lädt sich zum Essen ein zu Jemandem, der in schmutzige Geschäfte verwickelt ist!“ 

Ich verstehe die Reaktion dieser Menschenmenge. Aber für mich ist es tröstlich, dass Jesus sich bei so Jemandem zum Essen einlädt. Jemand, der in schmutzige Geschäfte verwickelt ist, so wie ich, so wie wir alle hier in den reichen Ländern Europas. Wir leben in Strukturen, die Menschen in anderen Teilen der Welt ausbeuten. Strukturen, die ihren Teil dazu beitragen, dass Menschen aus diesen ärmeren Ländern ihre Heimat verlassen, weil es dort keine Zukunft mehr für sie gibt, nur Elend und Krieg. 12 000 sind es allein in Moria auf Lesbos. „„Herr, sieh doch: Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben“, sagt Zachäus, der Jesus bei sich zu Gast hat. Die Hälfte, das ist richtig viel. Und die Menschen, die Zachäus betrogen hat, die will er auch entschädigen. Da kommt sicherlich auch noch Einiges zusammen. Sicherlich mehr, als ich mir je vorstellen könnte, von meinem Besitz abzugeben. Trotzdem: Diese Geschichte lässt mich nicht so traurig zurück wie den reichen jungen Mann, dem Jesus sagte: Verteile alles, was du hast, an die Armen. Einfach alles. Behalte nichts für dich zurück. Nehmt alle Flüchtlinge aus Moria auf, alle 12 000. Das würde mich traurig machen, traurig und ratlos. Ich würde den Mut verlieren und denken: Das schaffe ich sowieso nicht. Das können wir nicht schaffen. Dann würde ich am Ende gar nichts tun, und keinem einzigen hilfsbedürftigen Menschen wäre geholfen. 

In der Geschichte von Zachäus ist es anders. Dieser Zöllner behält etwas für sich zurück, damit er sein Leben weiterleben kann. Er lebt weiter in diesen Strukturen, die auf schmutzige Geschäfte ausgelegt sind. Er versucht, das Beste daraus zu machen, den Menschen gerecht zu werden. Manche haben es anders gemacht – haben das Alte hinter sich gelassen und ein komplett neues Leben angefangen. So wie die Jünger von Jesus, die alle Sicherheiten von Beruf, Familie und Dorfgemeinschaft aufgegeben haben. Aber das Schaffen nur die Wenigsten, damals wie heute. Deswegen halte ich mich an die Geschichte von Zachäus: Er hilft den Armen und setzt sich für Gerechtigkeit ein, und behält doch auch genug für sich. Das können wir auch tun in unserer Zeit. Da ist bei uns auch noch Luft nach oben. In unserem Land ist auch noch Platz für Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria, die wir dort aus dem Elend holen können – wenn auch nicht für alle. Setzen wir uns ein für Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit, so wie es in unseren Möglichkeiten steht, im Vertrauen auf Gott, der für uns alle einen Weg weiß.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis, 06. September 2020

Apg 6, 1-7: In dieser Zeit wuchs die Gemeinde stetig. Eines Tages beschwerten sich die Zugezogenen. Sie warfen den Einheimischen vor, ihre Witwen bei der täglichen Speisung zu übergehen. Daraufhin beriefen die Zwölfeine Versammlung aller Jünger ein und sagten: „So geht das nicht! Wir können doch nicht die Verkündigung vernachlässigen, um selbst an den Tischen das Essen auszuteilen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer aus. Sie sollen einen guten Ruf haben und vom Geist Gottes und von Weisheit erfüllt sein. Ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir dagegen werden uns ganz dem Gebet und der Verkündigung widmen.“ Der Vorschlag fand die Zustimmung der Versammlung. Sie wählten Stephanus, einen Mann mit festem Glauben und erfüllt vom Heiligen Geist. Außerdem Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus aus Antiochia, der früher zum jüdischen Glauben übergetreten war. Diese sieben ließ man vor die Apostel treten. Die beteten für sie und legten ihnen die Hände auf. Das Wort Gottes breitete sich aus, und die Gemeinde in Jerusalem wuchs immer weiter. Sogar von den Priestern nahmen viele den Glauben an.

Liebe Mitchristen!

 Die christliche Gemeinde wächst und wächst. So beginnt unser Predigttext. Heute erleben wir das nicht so. Und damals, zur Zeit der ersten Christen, war das auch nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Die jungen christlichen Gemeinden wurden verfolgt und unterdrückt, viele Jahrhunderte lang. Warum waren diese Gemeinden trotzdem so anziehend für die Menschen damals? Der römische Kaiser Julian, der im 4. Jahrhundert nach Christus gelebt hat, kann uns hier Antwort geben. er hatte alles versucht, um das Christentum in seinem Reich zurückzudrängen. Mit staatlichen Sanktionen hatte er es versucht und mit philosophischen Schriften, die das Christentum widerlegen sollten. Alles vergeblich. Warum hat es nicht geklappt? Hören wir seine eigene Erklärung: „Sooft die Armen den Eindruck haben, von den römischen Priestern nicht beachtet zu werden, sehen das die gottlosen Galiläer – so nannte Kaiser Julian die Christen – sofort und nutzen die Gelegenheit zur Wohltätigkeit (…) Die gottlosen Galiläer unterstützen nicht nur ihre eigenen Armen, sondern nicht minder unsere.“ So schreibt der römischer Kaiser Julian. Und dagegen kam er nicht an. Weder mit Zwangsmaßnahmen noch mit philosophischen Argumenten. Er kämpfte auf verlorenem Posten. Er musste es erleben: Die christliche Gemeinde wächst und wächst.

Konkrete Hilfe für Menschen in Not, das ist nicht etwas, was irgendwann nach langer Zeit auch noch dazugekommen ist zu den kirchlichen Aufgaben. Hilfe für andere, Diakonie, das ist dem Christentum sozusagen in die Wiege gelegt. Das hat von Anfang an dazugehört, nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als Kernaufgabe. Das war es, was die Menschen vom christlichen Glauben überzeugt hat. Und wo das nicht mehr funktioniert hat, da war die junge christliche Gemeinde in Gefahr, mehr als durch jede Christenverfolgung. Von so einer gefährlichen Situation hören wir in unserem Predigttext. Es ist eine Krisensituation. Es rumort in der Gemeinde. Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Kulturkreisen kommen da zusammen. Da gibt es die Einheimischen, Hebräischen, und die aus aller Welt Zugezogenen, die griechisch sprechen. Zwischen diesen beiden Gruppen knirscht es. Es geht um die Versorgung von Frauen, die keine Familie haben, Witwen und Alleinstehende. Diese Frauen hatten in der damaligen Gesellschaft einen sehr schweren Stand. Die christliche Gemeinde versorgt sie deswegen. Aber es klappt nicht so richtig. Da gibt es bedürftige Frauen, die leer ausgehen. Es sind die Frauen der Zugezogenen. Sie werden benachteiligt. Das ist ein Skandal. Das hätte nicht passieren dürfen in einer christlichen Gemeinde. Was mich daran beeindruckt: Die Menschen, die sich so benachteiligt fühlen, verlassen nicht die Gemeinde und treten frustriert aus der Kirche aus. Sie sprechen das Problem an. Und die Gemeindeleitung nimmt das Problem ernst und findet eine Lösung. Die Versorgung der Bedürftigen ist ihnen so wichtig, dass sie sieben Personen damit beauftragen, sich ganz und gar dieser Aufgabe zu widmen. Nur so kann sich das Wort Gottes weiter ausbreiten. Nur so kann die junge Gemeinde weiterwachsen.

Das Wort von der Liebe Gottes und die gelebte Liebe zum Mitmenschen, das gehört beides untrennbar zusammen. Beides ist die Grundvoraussetzung für jede christliche Gemeinschaft. Ohne das Wort von der Liebe Gottes, ohne die gelebte Liebe zum Mitmenschen kann keine christliche Gemeinde bestehen. „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert“, sagte Gustav Werner. Er hat es nicht bei Worten bewenden lassen. Er hat gemerkt: Ich kann nicht nur von der Kanzel herunter anderen sagen, wo sie helfen sollen. Ich muss bei mir selber anfangen. Und so hat er angefangen, Waisenkinder bei sich aufzunehmen. Sein Haus wurde ein Bruderhaus, so wie Jesus es gesagt hat: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan.“ Daraus ist die Bruderhaus-Diakonie hervorgegangen, die als Träger viele diakonische Einrichtungen in unserer Region betreibt. Es ist ein Beispiel dafür, wie die Diakonie in der Gemeinde wurzelt, und wie sie doch auch eigene Strukturen braucht, um den Hilfsbedürftigen gerecht zu werden. So wie damals in der ersten christlichen Gemeinde für diese Aufgabe eine neue Institution geschaffen wurde mit der Einsetzung der sieben Diakone.

Diakonie ist heute sehr vielfältig. In schwierigen Lebenssituationen bekommen Menschen kostenfreie Beratung und Hilfe. Jemand ist da, der zuhört. So lässt sich ein Ausweg finden aus verfahrenen Situationen wie Schulden oder Sucht. Auch in unseren Kreisdiakoniestellen in Trossingen und Tuttlingen ist das so. Das alles ist Kirche, ist christliche Gemeinschaft, ist Gemeinde. Diese Arbeit lebt davon, dass wir als Gemeinde sie mittragen. Die grüne Kiste, die hier im Gottesdienstraum steht, steht dafür. Mit dieser Kiste sammeln wir Spenden für den Tafelladen, hier nach dem Gottesdienst und montags und donnerstags im Pfarramt. Diese Kiste ist für mich hier im Gottesdienstraum genauso wichtig wie die Bibel. Sie steht für mich stellvertretend für alles, was auch sonst noch getan wird für die Hilfsbedürftigen in unserer Gemeinde – für die Alten und die Kranken, für die Entwurzelten und die Verzweifelten, für die Einsamen und die Überforderten. Wenn wir für diese Menschen da sind, dann hat die christliche Gemeinde Zukunft – so wie ganz am Anfang ihrer Geschichte, so auch heute in unserer Zeit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis, 30. August 2020

1.Kor 3, 9-15: Wir sind also Gottes Mitarbeiter. Aber ihr seid Gottes Ackerland – oder besser: Gottes Bauwerk. Weil Gott mich in seiner Gnade dazu befähigt hat, konnte ich als weiser Bauleiter das Fundament legen. Jetzt baut ein anderer darauf weiter. Aber jeder muss aufpassen, wie er weiterbaut. Denn niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist. Und das ist Jesus Christus. Es spielt keine Rolle, womit auf dem Fundament weitergebaut wird: mit Gold, Silber oder Edelsteinen, Holz, Heu oder Stroh. Es wird sich zeigen, was das Werk eines jeden Einzelnen wert ist. Der Tag des Gerichts wird es aufdecken, denn mit Feuer wird er hereinbrechen: Das Feuer wird prüfen, wie das Werk eines jeden Einzelnen beschaffen ist. Wenn das Werk, das jemand erbaut hat, dem Feuer standhält, wird er belohnt. Verbrennt das Werk, wird er seinen Lohn verlieren. Er wird zwar gerettet werden – aber nur wie jemand, der gerade noch dem Feuer entkommen ist. (Übersetzung: Basisbibel)

Liebe Mitchristen!

Der Sommer geht zu Ende. Der Urlaub war anders in diesem Jahr als sonst. Wie es wirklich wird, wenn die Ferien vorbei sind, und die Schule wieder beginnt, weiß noch niemand so ganz genau. Mein Sohn jedenfalls ist nicht überzeugt davon, dass es wirklich so sein wird, dass er jeden Tag zur Schule gehen kann. Und wir werden unsere Gottesdienste wohl weiterhin auf Abstand feiern und nur mit Mundschutz singen können. Wir merken es heute schon am Wetter: Es wird langsam Herbst. Veranstaltungen im Freien und Dauerlüften sind da schwieriger. Vielleicht hat unsere Bundeskanzlerin auch daran gedacht, als sie meinte, „dass manches in den nächsten Monaten noch schwieriger sein wird als im Sommer.“ Vielleicht dachte sie auch an die vielen Menschen, die die Geduld verloren haben und endlich ihr normales Leben zurückhaben wollen. Tausende haben gestern in Berlin demonstriert. Ich finde es richtig, dass diese Demonstration am Ende doch genehmigt wurde. Ich finde, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in unserer Demokratie. Aber es beunruhigt mich auch, wie viele Menschen sich da mitreißen lassen. 

Unser Vertrauen in die Kontrollierbarkeit des Lebens ist ins Wanken geraten. Die Philosophin Annette Baier hat dazu folgenden Gedanken: „Wir bewohnen ein Klima des Vertrauens, so wie wir in der Atmosphäre leben. Wir nehmen es wahr wie die Luft, nämlich erst dann, wen es knapp oder verschmutzt ist.“ Das Klima des Vertrauens ist ein knappes Gut geworden. Es ist kein Selbstläufer mehr. Wir alle sind gefragt, daran mitzuarbeiten, dass dieses Klima des Vertrauens weiter besteht und nicht umschlägt in ein Klima des Misstrauens und der Angst. Denn wir brauchen dieses Klima des Vertrauens zum Leben, gerade jetzt, in diesen Zeiten, wo Vieles, was für uns selbstverständlich war, nicht mehr selbstverständlich ist. 

Was kann uns helfen, dieses Klima des Vertrauens zu schützen? Was gibt uns festen Boden unter den Füßen, damit wir zuversichtlich in die Zukunft gehen können, trotz allen Ungewissheiten? „Niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist. Und das ist Jesus Christus.“ So sagt es uns der Apostel Paulus in unserem Predigttext. Jesus Christus. Auf ihn können wir bauen. Auf seinen Namen sind wir getauft. Wir gehören zu seiner Gemeinde, zur weltweiten Gemeinschaft der Christen. Das ist das Fundament für unser Leben: Gott meint es gut mit uns. Gott ist für uns da – ganz menschlich und erfahrbar, so wie Jesus Christus als Mensch unter Menschen gelebt hat. Und das gilt nicht nur dann, wenn alles gut läuft in unserem Leben und wir keine Sorgen haben. Jesus Christus hat auch die Abgründe des Lebens durchschritten – die Verzweiflung, das Leiden und den Tod. Für uns ist er gestorben und hat den Tod überwunden. Die Hoffnung, die er uns damit geschenkt hat, stirbt nie: Dass Gott stärker ist als alles Dunkle und Zerstörerische, das unser Leben durcheinanderwirft. 

Immer wieder haben wir ja auch solche Feuerproben zu bestehen in unserem Leben. Feuerproben, in denen das, was wir uns aufgebaut haben im Leben zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Viele Menschen erleben die jetzige Zeit so. Und nicht immer haben wir Gold und Edelsteine zur Verfügung als Baumaterial für unser Lebenshaus. Aber selbst wenn wir diese schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass das, was wir uns aufgebaut haben im Leben keinen Bestand hat, selbst wenn wir noch einmal bei Null anfangen müssen – die gute Nachricht ist: Das Fundament bleibt. „Niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist. Und das ist Jesus Christus.“ Ein lebendiges Fundament, Jesus Christus, Gottes Sohn, unser Retter. Wir kennen nicht jedes Detail seines Lebens, Sterbens und Auferstehens. Vieles an ihm bleibt Geheimnis und muss es bleiben. Aber seine Botschaft lebt. Seine Gleichnisse wachsen weiter. Seine Heilungen berühren Herz und Sinne. Sein Leiden und Sterben nehmen mit. Seine Auferweckung reißt uns heraus. Dieses lebendige Fundament ist stärker als alle Zukunftsangst. Dieses Fundament trägt uns, wenn wir uns ohnmächtig und ausgeliefert fühlen. Es holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn uns die Wut überkommt, weil wir unser Leben in dieser Pandemie immer noch mit angezogener Handbremse leben müssen. Dieses Fundament lebt und spricht zu uns: Du musst und kannst den Grund deines Lebens nicht selbst erfinden. Gottes Werk ist es. Er ist der Grundbesitzer. Er ist der Eigentümer von unserem Lebenshaus. Dein Leben steht in seiner Hand. Selbst wenn das, was dir bisher lieb und wert war, heute keinen Bestand mehr hat: Gottes Gnade hält dich. Jesus Christus rettet dich. Gottes Geist gibt dir Stärkung. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis, 19. Juli 2020


 Liebe Gemeinde, 

was haben Sie gedacht und gefühlt, als Sie den Predigttext (5. Mose 7, 6 – 12) gehört haben. Da ist von Gott die Rede, der Israel liebt und erwählt hat. Da ist von Gott die Rede, der sofort Vergeltung übt an denjenigen, die ihn hassen und sie umbringt. Wann haben Sie das letzte Mal von einem richtenden, zornigen Gott gehört oder gelesen? Ist Gott wirklich so emotional? Dazu

  1. Gott liebt sein Volk

Sein Volk ist heilig. Heilig bedeutet nicht fehlerlos oder vollkommen. Heilig bedeutet: Gott hat dieses Volk ausgesucht, es erwählt, es den anderen Völkern vorgezogen –so kann man das hebräische Verb „bachar“ übersetzen. Es gehört ihm. Darum ist es heilig. Wenn Gott Israel anderen Völkern vorzieht, welche Gründe hat Gott dann gehabt? Einen einzigen Grund: Liebe. Ich liebe dich- mein Augapfel bist du, mein Schatz-ich hänge an dir, du lässt mich nicht mehr los. Das ist eine einzigartige leidenschaftliche Liebeserklärung an ein ganzes Volk – sein Volk. Und Israel hat Gottes Liebe immer wieder erfahren. Die Israeliten mussten in Ägypten Frondienste leisten – wir kennen aus den Josefs-Geschichten die Umstände, die dazu führten, dass Israel nach Ägypten kam und dort sesshaft wurde.  Sie mussten als Sklaven Ziegel herstellen, Städte bauen und auf den Feldern hart arbeiten. Da beauftragt Gott Mose, Israel aus der Knechtschaft zu befreien, weil er ihr Leid, ihre Not nicht länger mit ansehen kann.

Gott lässt Mose wissen: Ich bin, der ich bin.  Das bedeutet: Ich, Gott, bin für euch da. Die Israeliten können Ägypten verlassen. Die Ägypter geben ihnen sogar Schmuckstücke und Kleidung in großer Zahl mit. Gottes Macht ist so groß, dass die ehemaligen Unterdrücker freiwillig ihre privaten Schätze und Kostbarkeiten herausgeben. Als sie am Schilfmeer durch die Ägypter in Bedrängnis kommen – die wollten nicht auf ihre billigen Sklaven verzichten – da sorgt Gott dafür, dass seine Kinder trockenen Fußes durch das Meer hindurch ziehen können. Ihre Verfolger ertrinken im Meer. Im Buch Exodus wird immer wieder erzählt, dass Israel in Bedrängnis kommt und Gott ihnen treu zur Seite steht. Gott hat an seinem Bund mit Israel immer festgehalten. Der Inhalt des Bundes lautet in der Kurzformel: Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein. Gott ist Israel treu geblieben, auch wenn sie untreu wurden. Und wenn sie untreu wurden, haben sie diese Erfahrung   oft mit dem Leben bezahlen müssen: Als Beispiel möchte ich an eine Begebenheit erinnern, in der das Volk ungeduldig wird, weil sie einen Umweg machen müssen. Als sie sich hier – zum wiederholten Mal- bei Mose beklagen- werden sie von Schlangen angefallen und gebissen. Viele Israeliten sterben. Erst durch die Fürbitte des Moses wird ihnen geholfen. Mose macht –auf Gottes Anweisung hin – eine bronzene Schlange und befestigt sie an einer Stange. Jeder, der gebissen wird und zu der Schlange aufblickt, wird gerettet. Gott, der treu an seinem Volk hängt, möchte, dass auch sie treu an ihm hängen und aus Liebe seinen Willen tun und frei werden von anderen Abhängigkeiten. Seine Barmherzigkeit gilt bis über 1000 Generationen hinweg, auch wenn sie in den Jahrhunderten der Verfolgung oft nicht sichtbar gewesen ist. Und doch haben

Juden an dem treuen Gott, der den Bund hält und seinem Volk Barmherzigkeit erweist, festgehalten in der Hoffnung, dass seine Treue ewig gilt. Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang Jossel Rackover.  Im Warschauer Ghetto wurde in einer Flasche das Bekenntnis des Juden Jossel Rackover gefunden.“ Ich, Jossel, Sohn des Jossel Rackove, schreibe diese Zeilen, während das Warschauer Ghetto in Flammen steht.“ Da schreibt er unter anderem:“ Ich sterbe ruhig, aber nicht befriedigt, ein Geschlagener, aber kein Verzweifelter, ein Gläubiger, aber kein Beter, ein Verliebter in Gott, aber kein blinder Amensager. Ich habe sein Gebot erfüllt, auch wenn er mich dafür geschlagen hat. ich habe ihn liebgehabt und war und bin verliebt in ihn, auch wenn er mich zur Erde erniedrigt, zu Tode gepeinigt, zur Schande und zum Gespött gemacht hat. Und das sind meine letzten Worte an dich, mein zorniger Gott: Es wird dir nicht gelingen! Du hast alles getan, damit ich nicht an dich glaube, damit ich an dir verzweifle! Ich aber sterbe genau, wie ich gelebt habe, im felsenfesten Glauben an dich! Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einig und einzig.“

  1. Gott liebt auch die Ausländer

 Es wird – neben unserem Predigttext- in vielen biblischen Zusammenhängen immer wieder betont, dass Gott eine Vorliebe für die Kleinen, die Benachteiligten, die Fremden hat. Und so lernt der Prophet Jona im AT, dass sein Erwählungsglaube der Korrektur bedarf.

 Als Gott ihm den Auftrag gibt, nach Ninive zu gehen, macht sich Jona aus dem Staub.  Vielleicht hat er sich gefragt: Was macht es für einen Sinn, den Niniviten den Untergang anzukündigen, wenn sie sich doch nicht ändern. Am Ende des Buches Jona wird berichtet, dass Jona unheimlich zornig auf Gott ist. Gott hatte besondere Mittel eingesetzt – Sie kennen die Geschichte vom großen Fisch, der den Jona verschluckt und nach drei Tagen wieder ausspuckt. Seine Predigt war menschlich gesehen ein großer Erfolg und die Niniviten waren zu Gott umgekehrt. Das passte nicht in die Theologie, die Jona sich zurechtgelegt hatte. Diese Militaristen, die nicht zum Volk Gottes gehörten, sollten straffrei ausgehen? Ihre Verbrechen sollten ungesühnt bleiben? Wo blieb da Gottes Gerechtigkeit?  Jona   rechtfertigt sich vor Gott mit den Worten:“ Ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Gnade, und einer, dem das Unheil leidtut.“ Jona lässt außer Acht, dass der gerechte Gott eben auch der barmherzige Gott ist. Diesem barmherzigen Gott sind die Niniviten nicht gleichgültig. Die Erwählung Israels erfährt also schon im AT eine Erweiterung.

  1. Gott liebt alle Menschen

Der Evangelist Johannes schreibt: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergegeben hat, damit keiner verloren geht, der ihm vertraut.“ Diese Liebe hat Gott sehr viel gekostet. Er schickt seinen Sohn, der stellvertretend für uns stirbt, damit wir leben können. Im Petrusbrief wird darauf hingewiesen, dass Gott die Christen auserwählt hat, seine königliche Priesterschaft zu sein. Wir sind sein Volk, das in besonderer Weise Gott gehört. Wir sollen seine Großen Taten verkündigen. Wir waren früher nicht sein Volk und sind jetzt Gottes Volk. Wir erfahren jetzt seine Barmherzigkeit. Die Parallelen zum auserwählten Volk Israel sind deutlich zu sehen. Gott hat uns erwählt und nicht wir ihn, wie Jesus seinen Jüngern erklärt. Diese Erwählung setzt die Erwählung Israels durch Gott nicht außer Kraft. Israel ist und bleibt Gottes auserwähltes Volk. Wir sollen Gottes große Taten verkünden. Gemeint ist damit, dass wir als Christen Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen etc. daran erinnern, bzw. sie darauf hinweisen, dass Gott in seiner Liebe alles dafür getan hat, dass wir zu ihm gehören können. Am Kreuz von Golgatha konzentrieren sich in Jesus Christus Gottes Nein und Gottes Ja. Gottes Zorn gilt der Sünde des Menschen. Gottes Liebe gilt dem Sünder. Weil Gott Liebe ist, übernimmt er die Strafe für uns, die eigentlich Schuldigen, und rettet uns in Jesus Christus. Am Kreuz von Golgatha ereignen sich stellvertretend Gericht und Gnade, Zorn und Liebe. Gott muss nicht besänftigt werden, der Mensch muss versöhnt werden. Gott hat in Jesus ja zu uns gesagt und wartet darauf, dass wir dieses Ja erwidern. Unerwiderte Liebe ist ein Drama. Zu einer Liebesbeziehung gehört das „Ja“ von beiden Seiten.                                                                                             

Ein Reden von Gottes Liebe, das den heiligen Zorn vernachlässigt oder gar verneint, degradiert Gott zu harmloser Nettigkeit. Umgekehrt ist es theologisch unsachgemäß und seelsorgerlich verheerend, Gott zu einem Scharfrichter zu machen und von seinem Zorn zu sprechen, ohne diesen letztlich als Teil seiner Liebe zu verkündigen. Gott ist Liebe, er ist nicht Zorn. Aber als Liebender zürnt er, um Menschen zurecht zu bringen mit dem Ziel, den Menschen zur Umkehr zu bewegen und zu retten. In 2. Chr. 6 – 7 werden wiederholt drei krisenhafte Phänomene geschildert, die auf Gottes Gerichtshandeln gegenüber Israel hindeuten: Dürre, Ungeziefer und Seuche. Wir sollten ins AT nun nicht unsere heutigen Probleme von Klimawandel und ökologischen Katastrophen hineindeuten. Aber die beschriebenen ökologischen und gesundheitlichen Schäden stehen im Zusammenhang mit dem hochmütigen Verhalten des Menschen. Ich finde es bemerkenswert, dass wir die drei Phänomene Dürre, Ungeziefer und Seuche konzentriert in unserem Land und an anderen Orten dieser Welt erleben. Deutschland hat 2018 und 2019 zwei extrem trockene Sommer erlebt. Zusätzlich haben Stürme und Borkenkäfer in diesen Jahren große Teile des deutschen Nadelwaldes geschädigt und vernichtet. Und jetzt rollt die Corona-Pandemie. Dürre, Käfer, Pest. Ist es da undenkbar, diese Ereignisse als Gerichtshandeln Gottes in unserer Generation zu verstehen, mit dem Ziel, unser Land wach zu rütteln und uns an sein Herz zu rufen? Dieser

Eindruck hat sich bei mir verstärkt als ich einen prophetischen Impuls aus dem Jahr 2005 las, in dem es unter anderem heißt: 

„Gott reißt Deutschland viele Sicherheiten weg. Zwei Hitzewellen, die kurz hintereinanderkommen werden, erschüttern das Land und zeigen deutlich die eigene Ohnmacht auf. Ich höre, wie Gottes Stimme sagt: „Wenn das geschieht, so ist es ein Zeichen, dass ich das stolze Land demütigen werde, um es neu an mein Herz zu ziehen. Die Erschütterungen sind Zeichen meiner Gnade. Ihr sollt wissen: Ich habe euch nicht verlassen; ich suche euch! Wache auf, der du schläfst.“ 

Die Niniviten haben damals den Ruf zur Umkehr gehört und haben sich Gott wieder zugewandt. Gott wartet darauf, dass wir uns ihm wieder zuwenden, damit er uns neu an sein Herz drücken kann. Amen


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Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis, 12. Juli 2020


Lukas 5, 1-11 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth. Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Mitchristen!

Warum sind manche Menschen erfolgreich und andere nicht? Und was kann ich dafür tun, dass ich erfolgreich bin? Der Weg zum Erfolg: Bücher und Internetseiten geben hier Ratschläge und Tipps, Motivationstrainer bieten dazu Kurse an. Sicherlich: Manchmal stehe ich mir auch selber im Weg. Daran kann ich etwas ändern. Das kann ich lernen. Aber nicht jede Erfolgsgeschichte und nicht jede Erfolglosigkeit lässt sich so erklären. „Da habe ich mich wochenlang abgemüht und meine ganze Energie und Kraft in dieses Projekt gesetzt, und jetzt setzt meine Firma auf einmal andere Prioritäten, und meine ganze Arbeit war für die Katz,“ erzählt jemand. „Und der Kollege, der eigentlich immer nur Dienst nach Vorschrift macht, der ist jetzt fein raus.“ Es ist ein niederschmetterndes und entmutigendes Gefühl, wenn man sich einsetzt und abmüht. Wenn man seine Arbeit tut, aber es stellt sich kein Erfolg ein.

Auch in unserem Predigttext hören wir von solchen Erfahrungen. „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen,“ sagt Petrus. Die ganze Nacht gearbeitet, den ganzen Tag geschuftet, und nichts ist dabei herausgekommen. Kein einziger Fisch für den Markt. Nur Ausgaben, keine Einnahmen. Nur Arbeit, kein Erfolg. Petrus, der Erfolglose. Und dann ist da noch Jesus, der Erfolgreiche. Eine dichte Menschenmenge schart sich um ihn und will seine Predigt hören. Menschen, die nach etwas suchen, was ihrem Leben Sinn und Halt gibt. Und Jesus schafft es, mit seinen Worten ihre Herzen zu berühren. Das spricht sich herum, und es kommen immer mehr Menschen. Der Platz am Ufer reicht nicht mehr aus. Da kommen die Fischerboote von Petrus und seinen Kollegen gerade recht. Müde und frustriert sitzen die Fischer am Ufer und waschen ihre leer gebliebenen Netze aus.

Und jetzt kommt auch noch Jesus, der vor lauter Erfolg nicht mehr weiß wohin, und will von ihnen auf den See gefahren werden, damit die Menschen ihm noch besser zuhören können. Eigentlich hätten die Fischer gerade Besseres zu tun, als dieser Bitte zu entsprechen. Aber Petrus kennt Jesus. Jesus hat ihm und seiner Familie schon sehr geholfen. Die Schwiegermutter von Petrus war sehr krank. Jesus hat sie geheilt. Petrus ist Jesus also noch einen Gefallen schuldig. Und so stellt er sein Boot als schwimmende Kanzel zur Verfügung.

Aber dann, als Jesus fertig ist mit seiner Predigt, und die Menschenmenge sich wieder verlaufen hat, dann müsste es doch eigentlich genug sein. Dann bräuchte Petrus doch eigentlich mal Zeit für sich, um sich auszuruhen von dieser harten Nacht, die er durchgearbeitet hat. Um diese frustrierende Erfahrung zu verdauen, dass sie nichts, aber auch gar nichts gefangen haben. Aber Petrus bekommt diese Zeit nicht. Jesus, der Erfolgreiche, gibt ihm Tipps wie er es besser machen könnte: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“

Petrus könnte Jesus also auf unterschiedliche Weise antworten: „Jesus, wie unklug ist das denn? Tagsüber fängt man nicht einen Fisch!“ oder „Du, das haben wir schon gemacht, hat auch nicht geholfen!“ oder „Jesus, das haben wir noch nie gemacht, warum sollten wir jetzt damit anfangen?“ „Du hast doch gar keine Ahnung vom Fischefangen!“Kommt Ihnen das bekannt vor? Das sind „Totschlagargumente“: „Das haben wir noch nie so gemacht!“ „Das machen wir schon immer so, und nicht anders!“ Petrus ist hier erfrischend anders. Er lässt sich auf Jesus ein: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen“, sagt er zu Jesus. Es ist ein Wagnis, das er das tut. Er riskiert, dass er sich lächerlich macht. Dass seine Fischerkollegen ihn für verrückt halten. Denn kein Fischer würde am See Genezareth am hellichten Tag zum Fischen auf den See hinausfahren. Man fischt nachts, wenn die Fische an die Oberfläche kommen, und man kann sie noch mit Fackeln zusätzlich anlocken. Das ist der übliche Weg zum Erfolg. Aber Petrus ist bereit, diesen üblichen Weg zu verlassen. Er ist offen für neue oder andere Ideen und setzt sie in die Tat um.

Offen sein für neue Wege, für das Unerwartete, für das Verrückte. Können wir das? Wir leben in einer Zeit, die uns dazu in besonderer Weise herausfordert. Wie sind wir als Gemeinde erfahrbar in dieser Zeit, in der der christliche Glaube für immer mehr Menschen an Bedeutung verliert? Ich bin sicher: Wir brauchen hier neue Wege, das Unerwartete, das, was wir selber zuerst einmal verrückt finden. Bleiben wir offen für Gottes überraschende Wege. Und: Bleiben wir offen dafür, dass Gott uns hier reich beschenken will. So wie Petrus, der am Ende gar nicht mehr weiß, wohin mit den ganzen Fischen, die er gefangen hat. Es muss nicht alles so bleiben, wie es ist. Die Geschichte vom scheinbar erfolglosen Petrus wird zur Erfolgsgeschichte. Aus dem einfachen Fischer, der noch nie eine Rede gehalten hat, wird einer, der mit seinen Worten die Herzen der Menschen berühren und sie für den christlichen Glauben begeistern kann. Aus Simon, dem Fischer wird Petrus, der Menschenfischer. Menschenfischer. An dem Begriff stoßen wir uns zuerst. Das klingt nach Bauernfängerei. Da sollen einem wohl Menschen ins Netz gehen. Aber so ist es nicht gemeint. Es geht um etwas ganz Anderes dabei. Es geht darum, die Worte Jesu in die Welt hinauszuwerfen, damit Menschen sich daran festhalten können. Damit sie einen Halt bekommen im weltweiten Netz der Menschen, die Jesus Christus vertrauen. Es geht bei diesem Bild um den Menschen, der einen Platz braucht und Orientierung auf seinem Lebensweg. Es geht darum, anderen die Hand zu reichen, damit sie mitkommen auf dem Weg des Glaubens. Solche Menschenfischer sollen wir alle sein. Gerade auch in unserer Zeit mit ihren besonderen Herausforderungen. Das ist eine große Aufgabe. „Fürchte dich nicht,“ sagt Jesus dem an sich selber zweifelnden Petrus. Das ist ein gutes Wort auf dem Lebensweg, auch für uns. Fürchte dich nicht, auch wenn dein Leben anders läuft als geplant. Wenn da mehr Mühe ist als Erfolg. Fürchte dich nicht und lass dich nicht frustrieren. Nicht die Erfolgszahlen sind es, die dein Leben bestimmen. Es gibt mehr als das alles. Überraschende und neue Wege und Möglichkeiten, die Gott für uns bereit hält. Bleiben wir offen für dieses Wunder.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 5. 7. 2020

Röm 12, 17-21: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ (Sprüche 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.


Liebe Mitchristen,

Unser Leben hat sich stark verändert in den letzten Wochen und Monaten. Dass wir eingeschränkt sind in dem, wie wir unsere Gottesdienste feiern können, ist dabei womöglich nur eine der kleineren Sorgen, die die Menschen jetzt umtreiben. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Lockdown werden erst nach und nach spürbar. Im Staatshaushalt wird eine immense Schuldenlast aufgehäuft, ein schweres Erbe für unsere Kinder und Enkel. Auch wenn diese Maßnahmen jetzt wichtig und richtig sind – die Frage bleibt: Was für Belastungen kommen da noch auf uns zu?  Und wie wird es unser menschliches Zusammenleben auf Dauer prägen, dass wir uns jetzt so lange Zeit nicht in den Arm nehmen können? Dass wir unseren Kindern beibringen, wie wichtig es ist, von unseren Mitmenschen Abstand zu halten statt auf sie zuzugehen? Wir wagen das alles gar nicht zu Ende zu denken. Vielleicht wollen wir auch einfach nicht mehr darüber nachdenken. Wir alle kommen ja irgendwann einmal an den Punkt, wo wir sagen: Es ist genug. Ich will nichts mehr hören von Corona. Ich will einfach nur wieder mein normales Leben zurück – ohne diesen ganzen Wust an Einschränkungen und Regeln, die zu beachten sind. Ohne die Sorgen um die Zukunft und die Gedanken, wo das alles noch hinführen soll.

Ich finde hier die Worte von Dietrich Bonhoeffer sehr tröstlich: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Der Apostel Paulus sagt das ganz ähnlich im Predigttext für den heutigen Sonntag. Da geht es um das Böse, dass immer wieder die Oberhand gewinnen will in unserem Leben. Um Aggressionen gegen andere Menschen. Um die Wut, die uns immer wieder packt – ja, gerade auch in dieser Zeit, in der wir uns oft ohnmächtig fühlen. Andere bestimmen über unser Leben, was man darf und was nicht, ob im Gottesdienst gesungen werden darf oder wann und wo man einen Mundschutz tragen muss. Die Wut- und die Rachegefühle sind da. Paulus redet das nicht klein in unserem Predigttext. Er sagt nicht: Unterdrückt diese Gefühle. Paulus weiß offensichtlich, dass das nicht funktioniert. Er weiß, dass diese Gefühle Raum brauchen. Wenn ich sie unterdrücke, dann macht das alles nur noch schlimmer. Dann explodiere ich irgendwann vor Wut. Deswegen sagt Paulus über diese Gefühle: „Gebt Raum.“ Gebt diesen Gefühlen Raum. Aber nicht so, dass sie andere zerstören. Gebt diesen Gefühlen nicht bei euch, in eurem Leben Raum. Gebt ihnen Raum bei Gott. Bei Gott ist Platz für alle diese Gefühle. So verstehe ich das, wenn Paulus in unserem Predigttext sagt: „Gebt Raum dem Zorn Gottes.“ Bei Gott sind auch diese schwierigen Gefühle von mir gut aufgehoben: Die Wut, der Zorn, die Rache. Wenn ich diese schwierigen Gefühle zu Gott bringe, dann kann ich so leben, wie es Paulus in seinem Schlusssatz auf den Punkt bringt: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“  

Dieser Satz ist mir vertraut. Er erinnert mich an die Konfirmanden, die ihn gerne als Konfirmationsspruch auswählen. Jedes Jahr gibt es Jugendliche, die finden: Dieser Spruch soll es sein, der mich als Konfirmationsspruch durch mein Leben begleitet. Auch in diesem Jahr ist das so. Auch wenn das Konfirmandenjahr plötzlich ganz anders verlaufen ist als das geplant war. Das Konfirmandenwochenende, das Mitte März hätte stattfinden sollen, mussten wir ganz kurzfristig absagen und die Konfirmationen vom Mai in den Oktober verschieben. Der Konfirmandenunterricht hat seither nur noch per Mail stattgefunden. Erst jetzt geht es wieder, dass wir uns treffen, und ich bin gespannt, wie es ist, die Konfirmanden dann am 22. Juli wiederzusehen. Aber die Konfirmationssprüche haben sie jetzt schon ausgewählt. Sie haben sie mir per Mail geschickt. Und ich hatte die Konfirmanden gebeten, mir noch dazuzuschreiben, warum sie sich gerade für diesen Spruch entschieden haben.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“  Zu diesem Spruch schreibt mir eine unserer Konfirmandinnen: „Diesen Spruch finde ich passend, gerade in dieser Zeit. Durch die häusliche Quarantäne habe ich einen anderen Blick auf die Schule und den Konfirmationsunterricht bekommen. Ein Lächeln, ein kurzer Gruß erlangt nun eine ganz andere Bedeutung.“ 

Ein Spruch, der passend ist, gerade in unserer Zeit. So sieht es diese Konfirmandin. Sie lässt sich nicht blockieren von all dem Schwierigen, was diese jetzige Zeit mit sich bringt. Sie hat sich die Offenheit für das Gute bewahrt, dort wo es ihr begegnet: In einem Lächeln oder einem kurzen Gruß. Diese kleinen Gesten, die wir uns alle schenken können, die erlebt sie jetzt als eine große Hilfe und Bereicherung. Ich finde das sehr ermutigend. Und ich erlebe es auch immer wieder selber: Menschen, die mir ein solches Lächeln schenken, und auf einmal sieht die Welt viel freundlicher aus. Menschen, die für andere da sind und helfen, wo es nötig ist. Auch mit unserem heutigen Gottesdienstopfer für die Diakonie wollen wir helfen, und mit den Lebensmittelspenden für den Tafelladen, die wir hier in unserer Kirche sammeln. Wir sind nicht ohnmächtig. Wir können etwas tun. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Wir können das, weil Jesus Christus uns die Kraft dazu gibt. Er hat das Böse überwunden. Am Kreuz hat er die Last der Welt auf sich genommen. Er lässt uns nicht im Stich, wenn uns die Last zu schwer wird. Er lädt uns alle ein, gerade die Belasteten: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch eure Last abnehmen.“ Er gibt uns die Kraft, die wir für unser Leben brauchen, gerade auch jetzt, in dieser Zeit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis, 28. 06. 2020

Apg 10, 21-35: Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin’s, den ihr sucht; aus welchem Grund seid ihr hier? Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat einen Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast. Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm. Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen. Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, auch ich bin ein Mensch. Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen gemein oder unrein nennen soll. Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen. Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist. Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.

Liebe Mitchristen, 

die Schulen haben jetzt wieder geöffnet. Von meinem Sohn weiß ich, dass er sich richtig freut, jetzt wieder zur Schule gehen zu können. Auch wenn einen manche Unterrichtsfächer nicht so interessieren und es manchmal ganz schön anstrengend sein kann, was man da alles lernen soll. Eine Weile ist das dann ja auch ganz schön gewesen, dass es zusätzliche Ferien gibt. Aber irgendwann fehlt die Schule doch sehr. Nicht nur, weil es schwierig ist, das alles zuhause zu lernen, wo es keinen festen Stundenplan gibt und keine Lehrer, die einem erklären, wie es geht. Da haben alle ihr Möglichstes getan, damit das Lernen trotzdem funktioniert – die Kinder, die sich auf das Lernen zuhause eingelassen haben, die Lehrer, die sich die Aufgaben dafür überlegt haben, und vor allem natürlich auch die Eltern, die das Lernen zuhause angeleitet haben und selber zu Hauslehrern für ihre Kinder geworden sind. Das war eine große Herausforderung für alle, die da mitgemacht haben. Und es hat sich gelohnt: Auch ohne in die Schule gehen zu können habt ihr Kinder viel gelernt in dieser Zeit. 

Was hat den Kindern und Jugendlichen gefehlt in dieser Zeit, wo die Schulen geschlossen waren? Ich denke, es war nicht das Lernen, das war ja trotzdem möglich, auch wenn es ganz anders war als sonst. Ich denke, es war vor allem die Gemeinschaft. Die Schulfreundinnen und Schulfreunde, mit denen man sich in den Pausen unterhält und nachmittags oder am Wochenende miteinander spielt oder sich trifft. Wir leben von der Gemeinschaft. Wir vermissen sie schmerzlich, wenn sie nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Gerade die letzten Wochen und Monate haben das uns allen gezeigt. 

Auch in unserer Kirchengemeinde ist das so. Wir können unsere Gottesdienste auch ins Internet stellen, und jeder betet bei sich zuhause. So haben wir es gemacht, als es nicht anders ging. Und für die Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören oder aus anderen Gründen nicht in den Gottesdienst kommen können, machen wir es auch weiter so. Es ist gut, dass es diese Möglichkeiten gibt. Aber Manches ist auf diese Weise eben nicht so gut möglich: Die Gemeinschaft eben. Dass wir hier nach dem Gottesdienst draußen vor der Kirche noch eine Weile stehen bleiben und zwanglos ins Gespräch kommen können. Und so finde ich es ganz wichtig, dass auch in unsere Gemeinderäume jetzt wieder Leben einzieht, dass auch unsere Gruppen und Kreise langsam wieder anlaufen. „Es ist bleibender Auftrag der Kirche, den Menschen bewusst zu machen, wie wertvoll unsere kirchliche Gemeinschaft für sie persönlich sein kann.“ So hat es Erzbischof Stefan Burger auf den Punkt gebracht – vor dem Hintergrund der traurigen Tatsache, dass viele Menschen der Kirche den Rücken kehren. Und was er da gesagt hat, das gilt für unsere evangelische Kirche genauso wie für die katholische.

Wir brauchen wieder Gemeinschaft – Gemeinschaft auch da, wo wir sie nicht erwarten. Gemeinschaft auch mit Menschen, die nicht unbedingt unsere Wellenlänge haben. Petrus erlebt das so in unserem Predigttext. Er ist gerade zuhause und hat die Tür hinter sich zugemacht. Oben auf seiner Dachterrasse hat er es sich gemütlich gemacht. Er ist ganz vertieft in seine Gedanken über Gott und die Welt, und will eigentlich nicht gestört werden. Da klingelt es an der Tür. Fremde Männer stehen draußen. Was wollen die jetzt hier? Die sind aber nicht von hier. Die kenne ich nicht. So denkt Petrus. Er macht die Tür auf und fragt, um was es geht. Und die Männer erzählen irgendwas von einem römischen Hauptmann, der Kornelius heißt und dem Petrus von Gott erzählen soll. Ein römischer Hauptmann. Was geht mich der an, überlegt sich Petrus. Auch wenn er an Gott glaubt. Mit den Römern haben wir eigentlich nichts zu schaffen. Die lädt man nicht zu sich nach Hause ein, und besuchen geht man sie schon gar nicht. Sollen die doch lieber unter sich bleiben. Die sind so anders als wir. Die kommen aus einem anderen Land und sprechen eine fremde Sprache. Aber dann erinnert sich Petrus daran, was er von Jesus weiß. Er hat viel erlebt mit Jesus. Jesus hat sich um alle Menschen gekümmert. Er hat ihnen von Gott erzählt und hat die Kranken gesund gemacht. Er hat auch den Armen geholfen und denen, die sonst keiner leiden konnte. Er wollte, dass alle Menschen den Weg zu Gott finden. So, wie es in dem Bibelspruch heißt, den wir heute bei der Taufe gehört haben: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben.“ So hat es Jesus gesagt. 

An solche Worte erinnert sich Petrus. Und er merkt: Damit sind alle Menschen gemeint. Und so macht sich Petrus auf den Weg zu diesem römischen Hauptmann. Das fällt ihm richtig schwer. Bei so Jemanden war er noch nie zu Besuch. Aber er erlebt Gemeinschaft dort. Er erlebt: Gott ist da. Bei diesen Menschen, die mir so fremd sind. Es ist eine ganz neue Erfahrung für Petrus. Er sagt: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm. 

Gemeinschaft ist wichtig. Und manchmal steht jemand vor der Tür und klingelt, und daraus ergibt sich etwas ganz Neues, Überraschendes. Eine Begegnung, bei der wir Gott ganz neu kennenlernen. Auch heute, wenn wir miteinander Taufe feiern, und jemanden neu aufnehmen in unsere Gemeinschaft, hier in der Kirche. Auch wenn Vieles, was wir hier miteinander leben und feiern, schon vertraut ist – aus der Familie und aus dem Religionsunterricht. Ein Lied aus dem Religionsunterricht ist mir dazu eingefallen. Es passt für uns alle: Vom Anfang bis zum Ende hält Gott seine Hände über mir und über dir. Ja, er hat es versprochen, hat nie sein Wort gebrochen: „Glaube mir, ich bin bei dir! Immer und überall, immer und überall, immer bin ich da!“

Amen.

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Predigt zum 2. Sonntag nach Trinitatis, 21. 06. 2020

Mt 11, 25-30: Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Liebe Mitchristen!

Jetzt im Sommer, wenn das Wetter so schön ist wie heute, zieht es viele Menschen nach draußen, in die Natur, zu einer Wanderung hier auf der Alb. Bei einer Tagestour braucht man da nicht viel mitzunehmen außer Regenkleidung, Trinkflasche und Vesper. Anders sieht es aus, wenn man mehrere Tage unterwegs ist. Auch wenn man sich beschränkt, kommt doch schnell einiges zusammen, was dann zu tragen ist: Kleidung und Schuhe zum Wechseln, Waschsachen und vielleicht sogar Schlafsack und Zelt. Gut, dass es heutzutage Rucksäcke gibt, die das Gewicht einer solchen Tragelast so verteilen, dass es erträglich bleibt. 

In früheren Zeiten wurden oft noch schwerere Lasten geschultert, und das nicht zum Vergnügen, sondern als Lebensnotwendigkeit. Nicht für jede solche Last ist ein Rucksack die richtige Tragehilfe. Wenn ich zwei Wassereimer tragen muss, nützt er mir zum Beispiel gar nichts. Für solche und andere Lasten gab es früher das Joch. Das war ein Holzbrett, das so gearbeitet war, dass es auf den Schultern gut aufsaß, mit einer Aussparung für den Hals. Links und rechts konnte eine Last befestigt werden. Das Joch ermöglichte es, dass sich das Gewicht selbst schwerer Lasten so verteilt hat, dass sie erträglich waren. Das Joch – eine Tragehilfe, die Lasten erträglicher macht. Eine solche Tragehilfe schenkt uns Jesus: Ein sanftes Joch, das uns hilft, die Lasten und Mühen unseres Lebens zu schultern. 

Lasten und Mühen unseres Lebens. Die Corona-Krise geht nun schon so lange. Was wird aus den Schülern, die so lange nicht zur Schule gehen konnten? Oft kommt mein Sohn mit den Aufgaben, die er zuhause bearbeiten soll, nicht klar. Und ich kann ihm leider auch nicht helfen. Dann fragt er seine Freunde, und die wissen auch nicht, wie es geht. Und dann bleiben die Aufgaben eben unbearbeitet. So erzählt es mir jemand aus der Gemeinde. Was wird aus denen, die sich Sorgen machen müssen um ihren Arbeitsplatz? Jemand erzählt mir: Ich bin in Kurzarbeit. Tagelang ist gar nichts zu tun, und ich bin auf Abruf zuhause. Dann kommt ein Auftrag, und ich werde in die Firma gerufen, um ihn zu erledigen. Der Auftrag muss schnell bearbeitet werden, noch an diesem Tag. Ich bearbeite den Auftrag. Neun Stunden bin ich deswegen in der Firma an diesem Tag. Gezahlt bekomme ich aber nur sechs, wegen der Kurzarbeit. 

Menschen sind belastet. Auch von schrecklichen Ereignissen, die sie durchlitten haben: Das Kind, das der Gewalt in der Familie schutzlos ausgesetzt war. Die Flüchtlingsfrau, die traumatisiert ist von dem, was sie in ihrem Heimatland erleben und erleiden musste. Menschen sind belastet durch den Tod eines geliebten Menschen: „Wie soll es nun weiter gehen ohne ihn? Ich hätte ihn noch so gebraucht, er fehlt mir so.“ Ein Ausspruch unter Tränen.

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Diese frohe Botschaft wird uns heute verkündet. Jesus lädt die belasteten Menschen zu sich ein. Auch mich lädt er ein. Ich muss nicht zusammenbrechen unter meiner Last; ich darf sie zu Jesus bringen und unter das Kreuz legen. Am Kreuz trägt Jesus Christus die Last dieser Welt; das Leid und die Schuld. Auch meine Last ist dort gut aufgehoben. Jeder darf kommen. Und gerade die, denen das niemand zugetraut hätte, verstehen das am besten. Jesus nennt sie die Unmündigen. Menschen, die alles von Gott erwarten. Menschen, die mit den Augen der Liebe sehen. Denen offenbart sich Gott.  Denn

Jesus geht nicht danach, wer am meisten weiß und wer am meisten kann. Den Weisen und Klugen ist es verborgen geblieben, was Gott an Ostern Großes getan hat. Und auch schon vorher, als Jesus mit seinen Jüngern unterwegs ist, erfährt er von solchen Menschen Zurückweisung. Die Verse, die unserem Predigtwort vorangehen, berichten davon; von Menschen, die in Jesus nicht mehr erkennen können als einen, der Tischgelage veranstaltet mit zwielichtigen Gestalten wie Zöllnern und Sündern. 

Diesen Ausgestoßenen und Verachteten wendet sich Jesus zu. Er nimmt sie ernst als als Menschen mit eigener Verantwortung, auch für ihren Glauben. „Dein Glaube hat dir geholfen“, sagt er den Menschen, die er gesund gemacht hat. Es ist ein Glaube, der erkennt, dass uns in Jesus Christus Gott selbst begegnet. „Niemand kennt den Vater, als nur der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will.“ So heißt es in unserem Predigtwort. Glaube ist nicht machbar. Er ist unverfügbar. Glaube ist ein Geschenk Gottes – ein Geschenk gerade auch an die, denen sonst nicht viel geschenkt wird im Leben, an die Mühseligen und Beladenen.  

Jesus  bietet diesen Mühseligen und Beladenen ein Joch an, eine Tragehilfe. So etwas wie einen gut gepolsterten Rucksack, der keine Druckstellen aufkommen lässt, auch wenn er vollgepackt ist mit allem, was ich für eine mehrtägige Wanderung brauche. Ein sanftes Joch, das die Last leicht macht. Mit so einer Tragehilfe kann ich meine Last schultern; vielleicht nicht gerade mühelos, aber doch so, dass es erträglich ist. Wenn die Last nicht mehr unerträglich ist, dann kann ich lernen, mit ihr zu leben. Ich muss nicht mehr ankämpfen gegen die Last. Ich kann lernen, die Last anzunehmen, als Teil meines Lebens. 

Das ist etwas, das nicht von heute auf morgen geht. Es ist ein Lernprozess – ein Lernprozess, bei dem wir von Jesus lernen können: Sanftmut und Demut. Das sind Lebenshaltungen, die uns heute eher altmodisch vorkommen, ja die zum Teil sogar schon missbraucht worden sind, um Menschen klein zu halten und daran zu hindern, für ihre Rechte einzutreten. So soll es nicht sein. Auch in der Haltung der Sanftmut kann man für seine Rechte eintreten – nur eben nicht mit aggressiver Selbstbehauptung, sondern auf gewaltlose Weise. Auch in der Haltung der Demut muss man nicht sein eigenes Selbstwertgefühl verlieren – nur macht man sich eben nicht auf Kosten anderer wichtig. Sanftmut und Demut haben auch heute ihre Berechtigung. Wer sich selbst nicht als das Maß aller Dinge setzt, wer Gewalt und Aggression als Sackgasse erkennt, dem verspricht Jesus Christus innere Ruhe und Seelenfrieden. 

Von Jesus Christus können wir lernen. Er selber hat Ablehnung und Zurückweisung erlebt, nur wenige Verse vor unserem Predigtwort. Er reagiert nicht mit gekränkter Eitelkeit. Ich könnte mir denken, dass er frustriert war über das Erlebte. Aber er lebt seinen Frust jedenfalls nicht als Aggression aus. Er versinkt auch nicht in Depressionen. Er geht einen anderen Weg: Er bringt das Erlebte vor Gott, und erstaunlicherweise wird es zu einem Lobpreis: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“ Auch das können wir von Jesus lernen: Uns an Gott zu wenden, ja ihn zu loben trotz der Lasten, die wir zu tragen haben. Jemand aus der Gemeinde sagt mir: „Die Corona-Krise ist keine Katastrophe. Es gibt so Vieles, wofür ich Gott danken kann: Wir sind versorgt, es gibt genug zu Essen, wir können aus unseren Häusern raus, das Gesundheitssystem funktioniert.“ 

Wenn ich Gott lobe und ihm danke, dann bekomme ich eine andere Sichtweise. Von Jesus kann ich lernen, das Gotteslob zur Grundmelodie meines Lebens zu machen. Das kann mir helfen, dass ich Ruhe und Entlastung finde für meine Seele – trotz all der Lasten, die ich im Leben zu tragen habe. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt – 1. Sonntag nach Trinitatis 14.06.2020 – Predigttext: Apg 4, 32-36 Prädikantin Sophie Heinzelmann

Liebe Schwester, liebe Brüder,

So würde ich sicher nicht zu Ihnen sprechen, wenn nicht schon in den früheren Gemeinden, die Menschen ihre Verbundenheit in dem einen Gott so zum Ausdruck gebracht hätten. Durch die Taufe erfahren wir, dass Gott Raum in uns einnimmt und wir Teil der christlichen Gemeinschaft werden. Im Abendmahl erfahren wir diese Gemeinschaft mit Jesus. Wir sind Brüder und Schwester durch Jesus Christus miteinander verbunden.

Sind wir dann Nachfolger Jesu? Der Predigttext spricht von den Jüngern und Aposteln und von ihrer Art und Weise in der Nachfolge Jesu zu leben. Sie waren unmittelbar Zeuge von Jesus, sie sind mit ihm ein wichtiges Stück ihres Lebens gegangen. Sie haben erfahren, was es bedeutet in der Nachfolge zu leben, besonders nach der Auferstehung Jesu, als die ersten christlichen Gemeinschaften sich gebildet haben und die Verfolgungen und Unterdrückungen begannen.

Gott hat mit Jesus Raum in die Welt eingenommen. Jesus ist die Mitte dieser ersten Gemeinden. Diese Gemeinden ist so vom Geist erfüllt und im Wissen dessen, dass Gott nahe ist, dass sie sogar ein Herz und eine Seele waren – so beschreibt es Lukas im Predigttext. Sie bezeugen, erzählen von Jesus, von seinen Taten, seiner Auferstehung. Sie sind Licht in der Welt geworden – Gott hat mit Jesus Raum in die Welt genommen. Und was Raum annimmt ist sichtbar, sagt Dietrich Bonhoeffer, wenn er von Nachfolge spricht. 

Eine sichtbare Gemeinde sein? Was könnte es wohl bedeuten?

Zuerst ist vom gemeinsamen Tun die Rede: sogar das Eigentum wird zusammengelegt. Was macht es wohl in mir, wenn ich mein Häuschen der Kirchengemeinde zur Verfügung stellen würde?

Als der Mensch sesshaft wurde, hat sich das Verhältnis zum Eigentum und darauffolgend auch das Verhältnis zu seinen Mitmenschen ganz schön verändert: Von der Solidaritätsgemeinschaft als Nomade, zur Konkurrenz und Machtkampf als Grundbesitzer. Das ist sicher auch der Grund, warum Menschen wie Franziskus eine andere Form, die eher seinen christlichen Grundsätzen entsprochen hat, gegründet und gelebt hat.

Es ist immer noch so, wer in ein Kloster Eintritt, stellt sein Hab und Gut der Gemeinschaft zur Verfügung, damit es keinem in der Gemeinschaft an Lebenswichtiges mangelt. 

Das Leben in den Kibbuzen in Israel, im Ostblock in Kolchose sind Konzepte der Gütergemeinschaft. Die eine hat sich der Zeit angepasst. Die andere ist untergegangen!

Also: Ist diese Form der Gütergemeinschaft der ersten Gemeinden eine Vision oder eine Utopie geblieben, die die ersten Christen hatten, weil sie sowieso meinten das Reich Gottes kommt bald? Wie ist das Miteinanderleben tatsächlich möglich, wenn es um das Eigentum geht? Wie lang bleiben wir dann ein „Herz und eine Seele“?

Trotz den Bedenken waren die frühen christlichen Gemeinden sichtbar,  nicht nur in der Gütergemeinschaft, sondern auch in der Verkündigung / in der Lehre – im Gottesdienst. Und, es geht im Predigttext nicht nur um den Verkündigungsraum, sondern auch um den Lebensraum. Wo leben wir? Mit wem leben wir? Wer wohnt neben dran? Wer gehört der Gemeinde an?

Ich kann daraus schließen, dass unter den Christen niemand an Not leiden sollte. Wenn es so war, dann griffen die Glieder der Gemeinde in die Geldbörse, sogar verkauften sie Äcker, Land und Häuser. Wie war es eigentlich am Anfang? Die Jünger Jesu haben ihr Eigentum verkauft, verlassen, um mit Jesus zu gehen – ihm nachzufolgen. Dann zur Zeit der ersten christlichen Gemeinden war doch keiner mehr unterwegs, außer z. B. Petrus, Johannes und Paulus später. Aber die ersten Gemeinden sind vor Ort geblieben. Wovon leben dann Menschen, die alles verkaufen? Wie werden sie versorgt? Auch die Bettlerorden waren von den Almosen ihrer Mitmenschen abhängig. Irgendwie geht das Konzept aus heutiger Sicht nicht auf. 

Am Beispiel von Josef, vom dem die Rede im Vers 36 ist, möchte ich einen Lichtblick schaffen. Es wird erzählt, er heißt Josef aber auch Barnabas genannt, was heißt „Sohn des Trostes“. Das passt schon gut zu dem, was er dann anschließend macht. Er verkauft einen Acker und bringt das Geld den Aposteln zu Füßen. Es steht geschrieben, dass er einen Acker verkauft – wir wissen nicht, ob er dadurch sein ganzes

Eigentum verkauft hat. Gehen wir davon aus, dass er diesen Acker verkauft hat und, dass ihm das wichtig war. Denn es gab vielleicht einen Aufruf – eine Familie hat ihr Haus bei einem Brand verloren und braucht jetzt Unterstützung. So war passiert heute immer noch. Denn eins haben die Jünger und später die ersten Christen nicht vergessen: Das Leiden gehört zum Leben, und besonders zum christlichen Leben. Da scheint mehr zu zählen als ein Gejammer, nämlich sichtbar werden: der Glaube sichtbar werden lassen, im Wissen, dass diese Zuwendung Gottes durch Jesus Christus Raum in uns einnimmt und wir dadurch gestärkt sind. Somit kann Josef selbst bewusst seinen Acker verkaufen und den Ertrag den Aposteln zu Füssen legen. Sie gilt nicht den Aposteln, sie gilt Gott und somit seinen Geschöpfen, die es nötig haben – die im Mangel leben. Normalerweise bleibt der Geber unsichtbar. Soll Josef als Vorbild dienen?

Wie sieht es bei uns in der Kirchengemeinde aus? Was hat wohl der Bibeltext, die „sichtbare“ Gemeinde, das Handel Josef, denn an Bedeutung im Juni 2020? Wie sah dieser Lebensraum in März in Wehingen aus? Wie sieht er jetzt aus? Zuerst sind wir von einem Tag auf den anderen nicht mehr als Kirchengemeinde sichtbar gewesen. Wir sind in den Untergrund gegangen – jeder für sich, wir mussten uns sortieren, orientieren. Gottesdienste, ein sichtbares Zeichen des Gemeindelebens, gab es nicht mehr. Ja, es ist schwierig in Krisenzeiten sichtbar zu bleiben, wenn alle zuhause bleiben müssen. 

Nach und nach sind Predigte im Amtsblatt, auf Youtube, im Fernseher sichtbar geworden. Die Verkündigung lief doch weiter, wenn auch anders – räumlich gesehen Menschen fern, ohne Gemeinschaft. Dann haben die Menschen festgestellt, dass es doch ein Telefon gibt. Somit war es möglich sich gegenseitig anzurufen, miteinander zu plaudern, sich auszutauschen und evtl. sich zu versorgen. Sichtbar war es in der Öffentlichkeit nicht, aber sichtbar für die Betroffenen, spürbar. Sichtbar sind wir geworden, als die Nöte der Menschen so groß schien, dass die Regale leer in den Läden waren. Diese Not hieß „Angst“, wie Fulbert Steffensky sagt: „Corona verlangt, was alle Götzen verlangen, nämlich dass man Angst vor ihnen hat“. Soviel Angst, dass der Nächste nicht mehr wichtig war. Da springt Josef ein: wir haben uns nicht davon beeindrucken lassen und sind sichtbar geworden. Wie Josef waren Sie, liebe Gemeinde, und sind noch bereit ihr Habe und Gut zu teilen, in der Form von Geldspenden, von Lebensmitteln. Siehe die Sammlung für die Tafel in Trossingen. In der Nachfolge leben heißt in dieser Welt zu leben, hier und jetzt – seine Augen trotz Einschränkungen nicht zu verschließen. 

Worauf müssen wir dann wohl verzichten, wenn wir Zeit, ein offenes Ohr und Gaben teilen? Sich nur nicht von der Angst hemmen lassen, und den Nächsten dabei übersehen – das Leben übersehen! Nicht verzichten, sondern gewinnen.

Liebe Schwester, liebe Brüder

Die Nachfolge Jesu geschieht in dem Wissen, dass ich Gott, Schöpfer des Lebens, der Raum in mir einnimmt, liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft. Denn Geben, und sogar auch mal auf Eigentum zu verzichten, ist mehr als die Idee vom „Ich zum Wir“. Dort wechsle ich die Perspektive und es eröffnet sich einen neuen Blick zur Welt, zum Nächsten – im Namen Jesu, im Namen Gottes.

Amen

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Predigt zum Sonntag Trinitatis, 7. Juni 2020

4. Mose 6, 22-27: Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.

Liebe Mitchristen,

wir müssen voneinander Abstand halten in diesen Zeiten. Das zeigt uns, wie wertvoll und wichtig für uns die direkte Nähe ist, der Händedruck, die Umarmung. Das, worauf wir jetzt gerade verzichten müssen, lernen wir wieder besonders schätzen. „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“ Mit diesen Worten verbinde ich diese Nähe, diese Spürbarkeit, wie sie gerade in Berührungen erfahrbar wird. Die aufgelegte Hand beim Segen, den wir den Konfirmanden an ihrer Konfirmation zusprechen. Das Händeschütteln am Ausgang, wenn der Gottesdienst zu Ende ist und für alle der Segen gesprochen wurde. 

Oder ganz persönliche Segens-Erlebnisse. Ich erinnere mich an zwei solcher Segens-Erlebnisse, als ich mich in Hechingen, in meiner vorletzten Gemeinde als Pfarrerin verabschiedet habe. Als ich zum letzten Mal dort den Bibelgesprächskreis geleitet habe, haben wir zum Abschluss miteinander gebetet, wie immer. Dann haben mir die Teilnehmer dieses Kreises die Hand aufgelegt und mich gesegnet. So haben sie mich aus ihrer Runde verabschiedet. Das war überraschend für mich, ja eigentlich sogar irgendwie befremdlich. Aber es hat gutgetan. Ein paar Tage später ging es mir wieder ganz ähnlich. Es war bei meinem offiziellen Abschied aus der Gemeinde. Nach dem Gottesdienst gab es noch Grußworte im vollbesetzten Gemeindehaus. Der katholische Diakon, mit dem ich viele ökumenische Gottesdienste zusammen gefeiert hatte, hatte gerade gesprochen und bat mich jetzt nach vorne zu ihm ans Mikrofon.  Eigentlich hätte ich erwartet, dass er mir jetzt die Hand schüttelt und ein Geschenk überreicht. An das Geschenk, das er mir überreicht hat, erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass er mir vor der Geschenkübergabe und dem Händedruck als Abschiedssegen ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet hat – einfach so, vorne am Mikrofon, vor aller Augen, ohne dass jemand damit gerechnet hätte, am wenigsten ich selbst. 

„Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“ Gottes Segen kommt überraschend. Er kommt mir ganz nahe. Und er bleibt. In diesen beiden Situationen habe ich das so erlebt. Die materiellen Geschenke, die ich zu diesem Abschied bekommen habe, sind längst in Vergessenheit geraten oder nicht mehr im Gebrauch. Aber die Erinnerung an diese beiden Segens-Momente ist mir geblieben. Auch wenn ich mit den Menschen, die mir diesen Segen zugesprochen haben, danach so gut wie gar keinen Kontakt mehr hatte. Denn ich hatte Hechingen ja verlassen und die neuen Aufgaben am neuen Ort nahmen mich ganz in Anspruch. Aber es war ja auch nicht ihr Segen, den mir diese Menschen zugesprochen haben. Es war Gottes Segen. „So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne,“ heißt es in unserem Predigttext. 

Gottes Segen ist es, den wir zugesprochen bekommen – an den besonderen Orten unseres Lebens genauso wie am Ende jedes Gottesdiensts. Gottes Segen soll uns begleiten in die Zukunft  – so wie mich damals in die neue Gemeinde, so wie uns alle heute nach diesem Gottesdienst in die neue Woche. Gottes Segen begleitet uns auf unseren Wegen. Damit ist nicht gesagt, dass diese Wege immer eben sein werden und dass sie immer geradeaus führen werden. Es war keine einfache Zukunft, die da vor mir lag, damals bei meinem Abschied aus Hechingen. Und es ist keine einfache Zukunft, die wir heute vor Augen haben, wenn wir aus diesem Gottesdienst herausgehen und die neue Woche vor uns liegt. Aber Gottes Segen begleitet uns. Gott lässt sein Angesicht über uns leuchten. Gott schaut uns freundlich an. Für mich ist das ein sehr tröstliches Bild, gerade in dieser Zeit, in der wir auf Abstand leben müssen. Denn das ist etwas, was uns bleibt, auch ohne körperliche Berührung: Der Blickkontakt. Die strahlenden Augen meines Gegenübers, die mich im Blick haben. Das ist etwas, was mich im Innersten berührt. Ich werde wahrgenommen, ich werde wertgeschätzt. Das ist es, was Gott mir verspricht. Ihm bin ich unendlich wichtig. Das gibt mir den inneren Frieden, so dass ich auch mit schwierigen äußeren Umständen zurechtkommen kann. Und immer wieder erleben darf: Gottes Segen kommt überraschend – da, wo ich es nicht erwarte. 

Ich bin eigentlich kein besonderer Freund von den neuen Medien. Internet, Email und WhatsApp benutze ich eben, weil es ganz praktisch ist oder weil man es halt so macht. Aber mein Herzblut hängt da jetzt nicht gerade dran. Aber in diesen besonderen Zeiten jetzt denke ich: Das Internet, Youtube und Email sind wirklich ein Segen in diesen Tagen. Und wenn wir hier sonntags in der Kirche versammelt sind, dann bin ich in Gedanken auch bei denen, die heute nicht gekommen sind, aber unsere Gottesdienste trotzdem mitfeiern über diese Medien. Ich denke, es gibt sogar Menschen, mit denen ich sonst nie so in Kontakt gekommen wäre, wenn wir unsere Gottesdienste nicht auch auf diesen Wegen zugänglich gemacht hätten. 

So hat mir eine Frau aus der Gemeinde per Mail geschrieben: „Liebe Frau Kommer, vielen Dank, auch an Ihre Söhne, dass Sie mir immer noch Ihre Predigtgedanken senden. Ganz besonders gefallen hat mir auch das Eingangsgebet, es beinhaltet fast alles, was ich auch täglich erbitte in dieser schwierigen Zeit. Es freut mich sehr, dass Sie beim Segen die Formulierung: Es segne „uns“ verwenden und nicht „euch“. Vielleicht ist es falsch, aber ich finde das einfach überheblich, wenn der Pfarrer sich nicht miteinschließt. Hat er den Segen schon von Berufswegen sicher?“ 

Es ist eine richtige Beobachtung, die diese Frau gemacht hat. Als ich hier allein in der Kirche Gottesdienst gefeiert habe, nur mit meinem Sohn als Kameramann, der das dann auf Youtube hochgeladen hat, da habe ich beim Segen gesagt: „Der Herr segne uns“ und nicht „Der Herr segne euch“. Vor der leeren Kirche zu stehen und zu sagen: „Der Herr segne euch“ – das ging für mich nicht. Da brauche ich ein Gegenüber. Da brauche ich die Gemeinde, die da ist. Aber jetzt tue ich es wieder. Jetzt sage ich wieder: „Der Herr segne euch.“ Nicht weil ich den Segen für mich selber nicht bräuchte. Und schon gar nicht, weil ich ihn von Berufs wegen sicher hätte. Ich brauche Gottes Segen genauso wie alle anderen. Ich brauche es, dass er mir zugesprochen wird – so wie damals, als ich mich in Hechingen aus der Gemeinde verabschiedet habe. Und gerade weil ich den Segen als Zuspruch brauche, gerade deswegen möchte ich den Segen auch zusprechen und sagen: „Der Herr segne euch.“ Nicht weil ich das besser könnte oder gar etwas Besseres wäre als alle anderen, die hier zum Gottesdienst gekommen sind. Um mich geht es dabei gar nicht. Es geht um Gott, der uns freundlich anblickt und unsere Augen wieder leuchten lässt. Und es geht um alle, die diesen Zuspruch jetzt brauchen: „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer