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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 2. Sonntag nach Trinitatis, 21. 06. 2020

Mt 11, 25-30: Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Liebe Mitchristen!

Jetzt im Sommer, wenn das Wetter so schön ist wie heute, zieht es viele Menschen nach draußen, in die Natur, zu einer Wanderung hier auf der Alb. Bei einer Tagestour braucht man da nicht viel mitzunehmen außer Regenkleidung, Trinkflasche und Vesper. Anders sieht es aus, wenn man mehrere Tage unterwegs ist. Auch wenn man sich beschränkt, kommt doch schnell einiges zusammen, was dann zu tragen ist: Kleidung und Schuhe zum Wechseln, Waschsachen und vielleicht sogar Schlafsack und Zelt. Gut, dass es heutzutage Rucksäcke gibt, die das Gewicht einer solchen Tragelast so verteilen, dass es erträglich bleibt. 

In früheren Zeiten wurden oft noch schwerere Lasten geschultert, und das nicht zum Vergnügen, sondern als Lebensnotwendigkeit. Nicht für jede solche Last ist ein Rucksack die richtige Tragehilfe. Wenn ich zwei Wassereimer tragen muss, nützt er mir zum Beispiel gar nichts. Für solche und andere Lasten gab es früher das Joch. Das war ein Holzbrett, das so gearbeitet war, dass es auf den Schultern gut aufsaß, mit einer Aussparung für den Hals. Links und rechts konnte eine Last befestigt werden. Das Joch ermöglichte es, dass sich das Gewicht selbst schwerer Lasten so verteilt hat, dass sie erträglich waren. Das Joch – eine Tragehilfe, die Lasten erträglicher macht. Eine solche Tragehilfe schenkt uns Jesus: Ein sanftes Joch, das uns hilft, die Lasten und Mühen unseres Lebens zu schultern. 

Lasten und Mühen unseres Lebens. Die Corona-Krise geht nun schon so lange. Was wird aus den Schülern, die so lange nicht zur Schule gehen konnten? Oft kommt mein Sohn mit den Aufgaben, die er zuhause bearbeiten soll, nicht klar. Und ich kann ihm leider auch nicht helfen. Dann fragt er seine Freunde, und die wissen auch nicht, wie es geht. Und dann bleiben die Aufgaben eben unbearbeitet. So erzählt es mir jemand aus der Gemeinde. Was wird aus denen, die sich Sorgen machen müssen um ihren Arbeitsplatz? Jemand erzählt mir: Ich bin in Kurzarbeit. Tagelang ist gar nichts zu tun, und ich bin auf Abruf zuhause. Dann kommt ein Auftrag, und ich werde in die Firma gerufen, um ihn zu erledigen. Der Auftrag muss schnell bearbeitet werden, noch an diesem Tag. Ich bearbeite den Auftrag. Neun Stunden bin ich deswegen in der Firma an diesem Tag. Gezahlt bekomme ich aber nur sechs, wegen der Kurzarbeit. 

Menschen sind belastet. Auch von schrecklichen Ereignissen, die sie durchlitten haben: Das Kind, das der Gewalt in der Familie schutzlos ausgesetzt war. Die Flüchtlingsfrau, die traumatisiert ist von dem, was sie in ihrem Heimatland erleben und erleiden musste. Menschen sind belastet durch den Tod eines geliebten Menschen: „Wie soll es nun weiter gehen ohne ihn? Ich hätte ihn noch so gebraucht, er fehlt mir so.“ Ein Ausspruch unter Tränen.

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Diese frohe Botschaft wird uns heute verkündet. Jesus lädt die belasteten Menschen zu sich ein. Auch mich lädt er ein. Ich muss nicht zusammenbrechen unter meiner Last; ich darf sie zu Jesus bringen und unter das Kreuz legen. Am Kreuz trägt Jesus Christus die Last dieser Welt; das Leid und die Schuld. Auch meine Last ist dort gut aufgehoben. Jeder darf kommen. Und gerade die, denen das niemand zugetraut hätte, verstehen das am besten. Jesus nennt sie die Unmündigen. Menschen, die alles von Gott erwarten. Menschen, die mit den Augen der Liebe sehen. Denen offenbart sich Gott.  Denn

Jesus geht nicht danach, wer am meisten weiß und wer am meisten kann. Den Weisen und Klugen ist es verborgen geblieben, was Gott an Ostern Großes getan hat. Und auch schon vorher, als Jesus mit seinen Jüngern unterwegs ist, erfährt er von solchen Menschen Zurückweisung. Die Verse, die unserem Predigtwort vorangehen, berichten davon; von Menschen, die in Jesus nicht mehr erkennen können als einen, der Tischgelage veranstaltet mit zwielichtigen Gestalten wie Zöllnern und Sündern. 

Diesen Ausgestoßenen und Verachteten wendet sich Jesus zu. Er nimmt sie ernst als als Menschen mit eigener Verantwortung, auch für ihren Glauben. „Dein Glaube hat dir geholfen“, sagt er den Menschen, die er gesund gemacht hat. Es ist ein Glaube, der erkennt, dass uns in Jesus Christus Gott selbst begegnet. „Niemand kennt den Vater, als nur der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will.“ So heißt es in unserem Predigtwort. Glaube ist nicht machbar. Er ist unverfügbar. Glaube ist ein Geschenk Gottes – ein Geschenk gerade auch an die, denen sonst nicht viel geschenkt wird im Leben, an die Mühseligen und Beladenen.  

Jesus  bietet diesen Mühseligen und Beladenen ein Joch an, eine Tragehilfe. So etwas wie einen gut gepolsterten Rucksack, der keine Druckstellen aufkommen lässt, auch wenn er vollgepackt ist mit allem, was ich für eine mehrtägige Wanderung brauche. Ein sanftes Joch, das die Last leicht macht. Mit so einer Tragehilfe kann ich meine Last schultern; vielleicht nicht gerade mühelos, aber doch so, dass es erträglich ist. Wenn die Last nicht mehr unerträglich ist, dann kann ich lernen, mit ihr zu leben. Ich muss nicht mehr ankämpfen gegen die Last. Ich kann lernen, die Last anzunehmen, als Teil meines Lebens. 

Das ist etwas, das nicht von heute auf morgen geht. Es ist ein Lernprozess – ein Lernprozess, bei dem wir von Jesus lernen können: Sanftmut und Demut. Das sind Lebenshaltungen, die uns heute eher altmodisch vorkommen, ja die zum Teil sogar schon missbraucht worden sind, um Menschen klein zu halten und daran zu hindern, für ihre Rechte einzutreten. So soll es nicht sein. Auch in der Haltung der Sanftmut kann man für seine Rechte eintreten – nur eben nicht mit aggressiver Selbstbehauptung, sondern auf gewaltlose Weise. Auch in der Haltung der Demut muss man nicht sein eigenes Selbstwertgefühl verlieren – nur macht man sich eben nicht auf Kosten anderer wichtig. Sanftmut und Demut haben auch heute ihre Berechtigung. Wer sich selbst nicht als das Maß aller Dinge setzt, wer Gewalt und Aggression als Sackgasse erkennt, dem verspricht Jesus Christus innere Ruhe und Seelenfrieden. 

Von Jesus Christus können wir lernen. Er selber hat Ablehnung und Zurückweisung erlebt, nur wenige Verse vor unserem Predigtwort. Er reagiert nicht mit gekränkter Eitelkeit. Ich könnte mir denken, dass er frustriert war über das Erlebte. Aber er lebt seinen Frust jedenfalls nicht als Aggression aus. Er versinkt auch nicht in Depressionen. Er geht einen anderen Weg: Er bringt das Erlebte vor Gott, und erstaunlicherweise wird es zu einem Lobpreis: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“ Auch das können wir von Jesus lernen: Uns an Gott zu wenden, ja ihn zu loben trotz der Lasten, die wir zu tragen haben. Jemand aus der Gemeinde sagt mir: „Die Corona-Krise ist keine Katastrophe. Es gibt so Vieles, wofür ich Gott danken kann: Wir sind versorgt, es gibt genug zu Essen, wir können aus unseren Häusern raus, das Gesundheitssystem funktioniert.“ 

Wenn ich Gott lobe und ihm danke, dann bekomme ich eine andere Sichtweise. Von Jesus kann ich lernen, das Gotteslob zur Grundmelodie meines Lebens zu machen. Das kann mir helfen, dass ich Ruhe und Entlastung finde für meine Seele – trotz all der Lasten, die ich im Leben zu tragen habe. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer