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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Jesaja 5,1-7. Sonntag Reminiszere, 28. Februar 2021


Liebe Mitchristen,

Noch ist es nicht Frühling. Aber der Schnee ist geschmolzen, und wir sehen, was darunter ist: Das Gras vom Vorjahr, die nackte braune Erde. Und Steine. Steine gibt es ja viele hier auf der Schwäbischen Alb. Der Boden ist karg und steinig. Ackerbau ist hier ein mühsames Geschäft das sich heutzutage praktisch nicht mehr lohnt. Ich war schon als Kind öfters hier auf der Schwäbischen Alb, am Wochenende und in den Ferien. Da gab es noch mehr Äcker als heute. Und ich staunte über die vielen Steine, die in diesen Äckern lagen. Manche davon waren Versteinerungen, die ich mit nach Hause genommen habe. Und manchmal gab es eine Mauer am Rand eines solchen Ackers. Mein Vater erklärte mir dazu: Die Leute haben die Steine aus dem Acker gesammelt und daraus diese Mauer gebaut. Ich staunte wieder: So viel Arbeit. Wie viele Steine muss man da sammeln, bis daraus eine Mauer wird? Und immer noch sind da so viele Steine im Acker. 

Steine aus dem Acker sammeln. Davon hören wir auch in unserem Predigttext. Die Landschaft ist lieblicher und das Klima milder. Ein Weinberg wird beackert. Aber steinig ist dieser Boden auch. Kann man da wirklich alle Steine rauslesen? Der, der diesen Weinberg beackert, der macht das. Die Lage ist gut, Südhang, es lohnt sich, sagt er sich. Und er packt an. Er ist richtig mit Herzblut bei der Sache. Aus den Steinen baut er eine Mauer und gleich noch einen Wachturm und eine Kelter. So ist der Weinberg gut geschützt, und die wertvollen Trauben können gleich vor Ort verarbeitet werden. Dieser Weingärtner hat wirklich an alles gedacht. Sein Weinberg, das ist für ihn nicht nur irgendein Job. Das ist seine Passion, seine große Liebe. „Komm, mein Freund, lass uns früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sprosst und seine Blüten aufgehen. Da will ich dir meine Liebe schenken.“ So heißt es im Hohenlied (Hld 7, 11-13). Der Weinberg steht für die Liebe. Für die Menschen in Israel war das ein vertrauter Vergleich – der Weinberg und die Liebe. „Hört mal alle her,“ sagt der Prophet Jesaja in Israel. „Hört her, ich singe euch ein Lied vor. Ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“ „Das wird sicher ein Liebeslied sein“, denken die Leute in Israel. Und sie spitzen die Ohren.

Und wirklich, es fängt richtig gut an, dieses Lied. Aber das dicke Ende kommt noch. Der Weingärtner wartet und wartet, aber die guten Trauben kommen nicht. Völlig ungenießbar sind die Beeren, die da an den Reben hängen. Nichts, wirklich nichts kann er damit anfangen. Es war alles vergebliche Liebesmühe. Alles umsonst. So viel investiert hat er in diesen Weinberg, in diese Liebesbeziehung. Was hat er nun davon? Nichts. Mit leeren Händen steht er da. Was habe ich bloß falsch gemacht? Sagt es mir doch! Habe ich noch etwas vergessen? Hätte ich irgendetwas anders machen können? Die Zuhörer sind sprachlos. Sie wissen keine Antwort. Aber es wird noch ungemütlicher. Das ist kein Liebeslied, was der Prophet hier singt. Er schenkt uns reinen Wein ein mit seinem Lied. Er singt von enttäuschter Liebe. Von Hoffnungen, die sich zerschlagen haben. Von jahrelanger Mühe und Arbeit. Und am Ende war alles für die Katz. 

Das sind bittere Erfahrungen, wie wir sie auch heute kennen. Gerade auch jetzt, in diesen unsicheren Zeiten. Menschen verlieren ihre wirtschaftliche Existenz in dieser Krise – das, was sie sich über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut haben. Beziehungen werden auf eine harte Probe gestellt durch die Kontaktbeschränkungen, die wir haben: Kann die Ehe, kann die Familie das aushalten, wenn alle anderen Sozialkontakte auf ein Minimum heruntergefahren sind? Lange Mühe, Arbeit und Entbehrung – das kennen wir auch in diesen Zeiten. Wir geben uns alle Mühe, uns an den Lockdown zu halten. Wir verzichten auf so Vieles. Und es stellt sich so wenig Lohn für unsere Mühe ein. Die Infektionszahlen steigen wieder.

Irgendwann kann man auch mal die Geduld verlieren. Der Prophet Jesaja kann da jedenfalls ein Lied davon singen. Ein Lied von seinem Freund und seinem Weinberg. In blinder Zerstörungswut schlägt dieser Freund alles kurz und klein, was er sich über all die Jahre aufgebaut hat. Am Ende steht kein Stein mehr auf dem anderen in seinem Weinberg. Mauer und Kelter sind dem Erdboden gleich gemacht. Alles ist zertreten und zerstört, es wächst nur noch Unkraut. Selbst die Regenwolken ziehen lieber weiter. 

So wie diesem enttäuschten Weinbergbesitzer, so geht es Gott mit euch, sagt der Prophet Jesaja. Ihr wart Gottes große Liebe. Aber ihr tretet die Gerechtigkeit mit Füßen und unterdrückt die Armen. Gottes Liebe ist enttäuscht. Enttäuschte Liebe lässt sich nicht einfach zur Seite schieben, als ob nichts gewesen wäre. Es sind große Gefühle, die sich da Bahn brechen: Trauer und Wut, ja auch Zerstörungswut. So kannten wir Gott gar nicht. Verwüstet, eingerissen, zertreten wird da der Weinberg – Gottes Pflanzung, die wir zusammen mit Israel sind. Hört Gottes Liebe also auf, weil sie enttäuscht wurde? Wenn wir nur dieses eine Bibelwort hätten, dann müsste ich in der Tat antworten: Ja, so ist es. Es ist ein ernstes Bibelwort. Ein Bibelwort, dass uns auffordert, unser Leben neu zu überdenken und uns für Gerechtigkeit einzusetzen. Für ein Happy-End ist da kein Platz. 

Aber es ist nicht das letzte Wort, das Gott gesprochen hat. Es ist nicht das letzte Lied, das der Prophet Jesaja singt von Gott und seinem Weinberg. Viel später singt der Prophet Jesaja noch ein anderes Weinberglied. Das Happy-End kommt eben nicht immer sofort. Auch die Trauer und die Wut über die enttäuschte Liebe und die vergebliche Liebesmüh haben ihre Zeit. Aber Trauer, Wut und Zerstörung haben nicht das letzte Wort bei Gott. Gottes Liebe hat einen langen Atem. Und so singt Jesaja später, als die Zeit reif ist dafür, sein zweites Weinberglied. In Jesaja 27 heißt es: „Ich, der Herr, behüte meinen Weinberg und begieße ihn immer wieder. Damit man ihn nicht verderbe, will ich ihn Tag und Nacht behüten. Ich zürne nicht. Sollten aber Disteln und Dornen aufschießen, so wollte ich über sie herfallen und sie alle miteinander anstecken, es sei denn, sie suchen Zuflucht bei mir und machen Frieden mit mir, ja Frieden mit mir.“

Irgendwann kommt das Happy-End. Verlieren wir nicht die Geduld. Setzen wir uns für Gerechtigkeit ein und für die Schwachen, die gerade jetzt in der Pandemie unseren Schutz brauchen. Machen wir unseren Frieden mit Gott – auch wenn unser Leben manchmal steinig ist wie der Ackerboden hier auf der Schwäbischen Alb. Dazu helfe uns Jesus Christus. Er ist unser Friede. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Estomihi

Predigt für Sonntag Estomihi, 14. Februar 2021

 

Jesaja 58, 1-9a: Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. „Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?“ Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

 

Liebe Mitchristen!

 

Es ist still heute. Keine Straßenumzüge mit Hunderten von Narren im Narrenkleid, keine Guggenmusik, keine Themenwagen. Die Schlossberghalle bleibt leer. Das närrische Treiben fällt aus. Die Fasnet, wie wir sie kennen, findet nicht statt. Es fehlt etwas, in unserem Ortsleben, in unserem gewohnten Jahresablauf. Wie können wir damit umgehen? Vielleicht wäre es gut, wenn ich jetzt wenigstens eine Fasnetspredigt halten würde – eine, die die Ereignisse der letzten Monate ironisch aufs Korn nimmt, am besten in gereimter Form. Aber ich fürchte, ich muss Sie da enttäuschen. Für Büttenreden und Fasnetspredigten bin ich nicht so ganz die Richtige. Und unser heutiger Predigttext lädt auch nicht gerade zu einer launigen Fasnetspredigt ein. Harte Worte sind das, die uns da aus dem Buch des Propheten Jesaja entgegenschallen. Die Sünden, die die Menschen getan haben, werden da verkündet: „Ihr bedrückt alle eure Arbeiter, hadert und zankt und schlagt mit gottloser Faust drein.“ So will es Gott nicht haben. So sollen wir nicht miteinander umgehen. Nicht damals in Israel und nicht heute bei uns. Das ist kein Spaß, das ist bitterer Ernst. Darüber kann man keine Fasnetspredigt halten.

 

Und doch – da ist auch Brauchtum in diesem Bibeltext. Anders als wir das von der Fasnet kennen, aber doch auch irgendwie schrill und schräg. Schrill ist die Stimme des Propheten. Was er zu sagen hat, posaunt er laut hinaus. Und für die Menschen damals muss das ziemlich schräg geklungen haben, wie dieser Prophet ihr Brauchtum beschreibt. Die Menschen in Israel haben besondere Zeiten, in denen sie fasten und nichts oder nur wenig essen. Aus der Fastenzeit vor Ostern kennen wir diesen Brauch. Ja, sogar so etwas wie eine Verkleidung gab es im Brauchtum dieser Menschen in Israel, mit besonderen Bewegungen und Gesten. Sie gehen in Sack und Asche und senken dabei den Kopf. Am Aschermittwoch hat sich bei uns noch etwas von diesem Brauchtum erhalten. Der Prophet nimmt dieses Brauchtum aufs Korn in seiner lauten Predigt: „Ihr lasst den Kopf hängen wie eine Binse!“ sagt er. Man spürt die Ironie. Denn nur Kopf hängen lassen und nichts dahinter, das geht in die Binsen. Gott will nicht Sack und Asche, er will Gerechtigkeit für alle. Der Prophet bringt das auf den Punkt. Mit seinen lauten und unangepassten Worten macht er sich zum Narren. Er ist schräg, er fällt aus dem Rahmen. Kinder und Narren sagen die Wahrheit. So sagt man.

 

Ich denke wieder an unsere Fasnet, und was für eine Wahrheit hinter diesem Brauchtum steckt. Wir alle wissen: In der Fasnet darf die Welt für ein paar Tage auf dem Kopf stehen. Die Mächtigen haben nichts mehr zu sagen. Der Bürgermeister wird abgesetzt. Vielleicht gibt uns ja gerade die jetzige stille Fasnet, in der das Rathaus nicht gestürmt wird, die Chance, über die tiefere Bedeutung dieser Bräuche nachzudenken. Bräuche, die uns daran erinnern, wie die Welt eigentlich von Gott gedacht ist. Da gibt es keine Hierarchien, kein Oben und Unten. Da gibt es Niemanden, der am längeren Hebel sitzt, und andere müssen sich seiner Macht beugen. Alle Menschen sind gleich und begegnen sich auf einer Ebene. „In der Fasnet sagen wir alle Du zueinander.“ So wurde es mir als Fasnets-Neuling letztes Jahr erklärt. Alle sind gleichberechtigt. Jeder kommt zu seinem Recht. Niemand muss Not oder Unterdrückung leiden. So will Gott die Welt. So sollen wir nach Gottes Willen miteinander umgehen. So, wie es der Prophet uns sagt: „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn!“

 

Wenn wir diese Worte des Propheten beherzigen, dann wird unser Leben ein Fest. Ein Fest für uns und für unsere Mitmenschen. Dann wird unser Leben ein Fest – ganz unabhängig davon, ob wir gerade unser Brauchtum leben und unsere Feste feiern können, oder ob das nicht möglich ist, so wie jetzt. Wie ein Festumzug wird das dann sein, so sagt es uns der Prophet aus dem Jesajabuch: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Ein Festumzug schlängelt sich durch die bunt geschmückten Straßen, mit phantasievoll und kreativ gestalteten Themenwagen. Fröhlich und hell, wie die Morgenröte, so kommt der erste Wagen daher. Heilung ist das Thema der anderen Festwagen. Und die Gerechtigkeit kommt auch groß raus in diesem Umzug. Und am Schluss, ganz am Ende des Festzuges, das Finale: „Die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Gott selber ist da, mitten unter uns. Lassen wir uns einladen! Feiern wir dieses Fest! Das Fest der Gerechtigkeit für alle.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

Die beiden Feste

 

Korf und Palmström geben je ein Fest.

Dieser lädt die ganze Welt zu Gaste:

doch allein zum Zwecke, dass sie – faste!

einen Tag lang sich mit nichts belaste!

Und ein – Antihungersnotfonds ist der Rest. 

 

Korf hingegen wandert zu den Armen,

zu den Krüppeln und den leider Schlimmen

und versucht, sie alle so zu stimmen,

dass sie einen Tag lang nicht ergrimmen,

dass in ihnen anhebt aufzuglimmen

ein jedweden ‚Feind‘ umfassendes – Erbarmen.

 

Beide lassen so die Menschen schenken

statt genießen, und sie meinen: freuen

könnten Wesen (die nun einmal – denken)

sich allein an solchen gänzlich neuen

Festen.

 

Christian Morgenstern

 

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Sonntag Sexagesimä, 7. Februar 2021

Lukas 8, 4-8a+11-15: Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu ihm eilten, sprach Jesus durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und anderes fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und anderes fiel auf das gute Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber an dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: Wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Sie haben aber keine Wurzel; eine Zeit lang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht zur Reife. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Liebe Mitchristen!

„Es ist frustrierend, so ins Leere zu sprechen.“ So erlebt es eine Lehrerin, die in diesen Tagen ihre Schüler nur per Videokonferenz unterrichten kann. Sie kann ihre Schüler auf ihrem Bildschirm nicht sehen. Die Kameras sind ausgeschaltet. Vielleicht möchten diese Jugendlichen nicht zu viel von sich preisgeben: Wie es in ihrem Zimmer aussieht oder am Küchentisch, an dem sie gerade sitzen. Vielleicht geht es auch einfach nicht anders, weil es die Internetverbindung überlasten würde, wenn alle die Kameras anmachen. 

Ich kann mich gut in diese Lehrerin hineinversetzen. Immer wieder geht es mir auch so, dass ich ins Leere spreche. Den Konfirmandenunterricht halte ich aus meinem Arbeitszimmer. Auf dem Bildschirm erscheinen die Namen meiner Konfirmanden, der eine oder die andere zeigt sich auch im Bild. Was kommt an von dem, was ich sage? Und wie ist es jetzt, hier bei unserem Gottesdienst, den wir auf Youtube miteinander feiern? Was kommt bei Ihnen an, wenn Sie diesen Gottesdienst mitfeiern – vor dem Bildschirm im heimischen Wohnzimmer oder beim Nachlesen dieser Predigt? Ich kann ihre Reaktionen nicht an Ihren Gesichtern ablesen wie sonst, wenn Sie in den Kirchenbänken sitzen. Die Bänke unserer Kirche sind leer. Nur unser kleines Vorbereitungsteam ist da. So stehe ich hier auf der Kanzel unserer Kirche und spreche ins Leere. Eine neue, eine befremdliche Erfahrung ist das für mich und für uns alle. So kannten wir das sonst nicht. Und doch: So ganz neu ist das auch nicht. Denn so genau kann ich es ja nie wissen, was bei meinem Gegenüber ankommt von dem, was ich sage. Auch Jesus kennt diese Erfahrung. Jesus erzählt eine Geschichte dazu: 

Ein Sämann steht draußen auf dem Acker und sät den Samen aus. Er sät sozusagen ins Leere. Er sät so, wie wenn er bei der Videokonferenz die Kamera nicht angeschaltet hätte. Oder noch extremer: Er sät, wie wenn er die Augen verbunden hätte. Er sät und sieht nicht, wo das ankommt, was er da sät. Und so kommt es, dass er seinen Samen auch dorthin streut, wo eigentlich nichts dabei herauskommen kann: Auf den Weg, auf den Felsboden und mitten ins Dornengestrüpp. Warum macht dieser Sämann das so? Ist das nicht reinste Verschwendung? Sollte der mit dem wertvollen Saatgut nicht sparsamer umgehen? Er muss doch wissen, dass da auf dem Fels nichts wachsen kann, dass die Körner auf dem Weg nur zertreten werden und das das Unkraut sowieso alles andere im Keim ersticken wird. Kein Landwirt würde sein Feld so einsäen, so unwirtschaftlich, so verschwenderisch. Aber dieser Sämann sät so. Er hat keine wirtschaftliche Kosten- Nutzen-Rechnung aufgestellt. 

Dieser Sämann ist kein Landwirt, eher ein Lebenskünstler. Einer, der dem Leben nachspürt. Einer, der das Leben feiert. Dieser Sämann genießt die Frische des Frühlingsmorgens und das Gefühl der trockenen und warmen Körner in seiner Hand. Mit Schwung streut er seinen Samen über das Land. Er hat Freude an dieser Bewegung: Wie sein Arm weit ausholt. Wie die Körner wie Tropfen zu Boden fallen. Er genießt die Landschaft, in die er den Samen wirft. In ihrer ganzen Unterschiedlichkeit nimmt er sie wahr: Guter Ackerboden, Felsblöcke, Dornengestrüpp und dazwischen der Weg, der das alles miteinander verbindet. Vielgestaltig ist die Landschaft, in die der Sämann seinen Samen wirft. Und das darf so sein. Es wird keine eintönige Monokultur entstehen, wo er gesät hat. Da sind die Felsen in ihrer bizarren Schönheit. Die Vögel finden Nahrung. Und die dornigen Wildpflanzen sind hier nicht vom Aussterben bedroht, sondern können Blüten und Samen bilden. Ja, der Ertrag bei der Ernte wird nicht so hoch ausfallen. Aber es wird genug da sein. 

Jesus erzählt von diesem Sämann, von diesem besonderen Landwirt, der ein Lebenskünstler ist. Einer, der das Leben will. Gott ist es, der diesen Samen aussät. Gottes Liebe gilt uns allen. Verschwenderisch streut Gott seine Liebe aus in unserer Welt. Was davon kommt an? Kommt Gottes Liebe bei den Konfirmanden an, wenn ich in meinem Arbeitszimmer vor dem Bildschirm sitze und mit der Konfirmandengruppe Unterricht halte? Kommt Gottes Liebe bei Ihnen an, wenn Sie diese Predigt im Nachhinein anschauen oder nachlesen? 

Unser Leben gleicht nicht immer nur dem guten Ackerboden, der den hundertfachen Ertrag abwirft. Manchmal gerät die Botschaft von Gottes Liebe unter die Räder auf dem Weg unseres Lebens. Manchmal ersticken die Sorgen um die Zukunft das Vertrauen auf Gottes Liebe in uns wie ein Dornengestrüpp. Manchmal beißt die Botschaft von Gottes Liebe bei uns auf Granit, und wir sind innerlich wie versteinert. Aber Gottes Liebe bleibt. Gottes gute Saat geht auf. Ja, sie bringt sogar hundertfachen Ertrag. Ganz unverhofft und unerwartet. Ja, auch dann, wenn mein Leben nicht immer dieser gute Ackerboden ist. Auch dann, wenn da gerade eher die Stolpersteine und die Dornen im Vordergrund sind in meinem Leben. Gott sät seinen Samen auch dorthin. Er sagt nicht: Hier ist Hopfen und Malz verloren! 

Gott ist ein Sämann, der seine Liebe mit vollen Händen austeilt. Auch in meinem Leben ist Platz für Gottes Liebe. Auch in meinem Herzen kann dieses Samenkorn aufgehen: Vertrauen in Gott, der alles zu einem guten Ende bringen wird. Gott ist für mich da. Gerade auch jetzt, wenn ich manchmal ins Leere spreche und nicht weiß, was bei meinem fernen Gegenüber ankommt. Manches kommt anders, als ich es erwarte. Aber ich darf darauf vertrauen: Gottes gute Saat geht auf. Ja, manchmal wächst seine Liebe sogar da, wo ich es nicht erwarte: In den Felsritzen und zwischen den Dornen meines Lebens. Haben Sie das auch schon erleben dürfen? Erzählen wir uns davon, auch wenn wir uns nicht persönlich begegnen können! Denn Gottes Liebe trägt uns auch durch diese Zeit. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer 


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Letzter Sonntag nach Epiphanias

Predigt für den 31. Januar 2021, letzter Sonntag nach Epiphanias

2. Petrus 1,16-19: Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

 

Liebe Mitchristen!

„Hier ist es wie im Urlaub.“ Diesen Satz sagte mein Sohn zu mir, als ich im November 2019 als Pfarrerin hier auf den Heuberg gekommen bin, und kurz darauf kam der erste Schnee. Er dachte dabei an die Winterurlaube, die wir gemeinsam im Hochschwarzwald verbracht haben. „Hier ist es wie im Urlaub.“ Neulich ist mir dieser Gedanke wieder gekommen – an einem kalten Wintermorgen. Ich stehe am Fenster und schaue hinaus. Die meterlangen Eiszapfen an der Dachrinne sind wie ein glitzernder Vorhang. Schnee bedeckt die Wiesen und die Dächer der Nachbarhäuser. Noch liegt Wehingen im Halbdunkel. Aber langsam wird es hell. Schon lassen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Hochberg in einem rotgoldenen Licht erstrahlen. Alles Dunkle und Schwere ist für einen Moment lang vergessen. Ein Urlaubsmoment – der Sonnenaufgang an einem Wintertag.

Die Nacht weicht zurück, ein neuer Tag beginnt. Zuerst geht der Morgenstern auf und erstrahlt mit seinem hellen Licht, bis dann die Sonne unter dem Horizont hervorkommt und die Dunkelheit vollends vertreibt. „Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da schein an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. “ So heißt es in unserem Predigttext aus dem 1. Petrusbrief. Der Verfasser dieses Briefs hat den Morgenstern vor Augen. Jesus Christus ist dieser Morgenstern. Er ist das Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Sein Licht vertreibt mehr als nur die Dunkelheit einer langen Winternacht. Das Licht von Jesus Christus vertreibt auch die Dunkelheit in meinem Herzen. Denn Nacht kann es auch in meinem Leben sein. In diesem langen Corona-Lockdown, wo die Zukunft ungewiss erscheint und wir nicht fröhlich und ausgelassen in Gemeinschaft mit anderen zusammenkommen können. Wenn die Trauer um einen Menschen, den ich geliebt habe, sich wie ein dunkler Schleier auf die Seele legt. Wenn Hass und Neid das Herz verfinstern. Wenn Verunsicherung um sich greift und die Angstmacher mit ihren Hetzparolen immer lauter und dreister werden. Dann ist es dunkel in meinem Herzen. Dann brauche ich Jesus Christus. Damit mir ein Licht aufgeht, und es wieder hell wird in meinem Leben. Damit ich wieder klar sehe und nicht den Angstmachern auf den Leim gehe. Damit ich meinen Weg in den neuen Tag mit Zuversicht und Freude gehen kann. Dazu brauche ich Jesus Christus. Er kann helfen, wenn ich mich an ihn wende und zu ihm bete. Denn von ihm hat Gott selbst gesagt: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Jesus Christus, der Morgenstern in unserem Herzen. Der Verfasser des 1. Petrusbriefs stellt ihn uns deutlich vor Augen, in all seinem Glanz und seiner Herrlichkeit. Damals, als sie als Jünger mit Jesus unterwegs waren, da waren sie Augenzeugen von seiner Herrlichkeit. Und in diesem viel später aufgeschriebenen Brief ist noch etwas spürbar von der Begeisterung, die die Jünger damals verspürt haben. Jesus hat ihr Herz bewegt. Er hat ihr Leben verändert. Das geht auch heute, auch in unserer Zeit. So sagt es uns unser Predigttext. Wir haben Jesus nicht gesehen. Aber dennoch steht er uns vor Augen. Er steht uns vor Augen durch die Geschichten, die wir von ihm hören, durch die Worte, die er gesprochen hat. Wir finden sie in der Bibel. Prophetische Worte sind das, so sagt es uns der Verfasser des 1. Petrusbriefs. Worte, die nicht irgendwann veralten und die wir einfach zur Seite legen und entsorgen können wie die ausgelesene Tageszeitung von gestern. Die Worte der Bibel sind prophetische Worte. Sie sind aktuell. Ich bin gemeint. In meinem Herzen soll es nicht weiter dunkel bleiben. Der Morgenstern soll scheinen in meinem Herzen, das Licht von Jesus Christus.

Offene Sinne und der richtige Moment sind wichtig, damit ein solches prophetisches Wort seine Strahlkraft entfalten kann. Dann aber rettet es, auch durch schwierige Zeiten. Auch wenn es draußen noch dunkel sein mag, in meinem Herzen ist es hell: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Worte von Jesus Christus, die mich trösten in einer dunklen Situation. „Ich bin doch bei dir, alle Tage, immer.“ Das spricht Jesus Christus zu mir, wenn ich mich allein und verlassen fühle. „Ich habe vor dir eine Tür aufgemacht, die niemand mehr schließen kann.“ Dieses Wort von Jesus Christus höre ich, wenn ich nicht mehr weiter weiß.

Worte aus der Bibel, Worte von Jesus Christus, die unsere Dunkelheit erleuchten. Manchmal entfalten sie ihr Licht erst nur zaghaft. Wie der Morgenstern am nächtlichen Himmel. Erst ist er nur ein winziger Lichtpunkt. Dann wird er immer heller. Nach der langen Nacht kündigt er an: Der Tag bricht an, in seiner ganzen Schönheit. Neue Lebensmöglichkeiten, von Gott geschenkt. Im Licht von Jesus Christus sehe ich auch mein Leben in einem anderen Licht. Leuchtend voll Wärme und Liebe, auch in kalter und schwieriger Zeit. Rotgolden erstrahlt der Hochberg im Licht der aufgehenden Sonne an einem kalten Wehinger Wintermorgen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2020


Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe. 

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“ 

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte? 

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann. 

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Gedanken zum Sonntag

3. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2021

Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe.

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte?

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann.

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021

Predigt für den 2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021

Johannes 2, 1-11: Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.                                              

Liebe Mitchristen!                                                         

„Ich würde gerne mal was Richtig Illegales machen, zum Beispiel mich mit Freunden treffen.“ Diesen Spruch las ich neulich in einem sozialen Netzwerk. Sich mit Freunden treffen oder gar ein fröhliches Fest zu feiern, das ist in der jetzigen Situation in weite Ferne gerückt. Unser Predigttext erzählt von einem Hochzeitsfest in Kana. Ich denke an das Brautpaar, das im Februar in unserer Kirche seine Trauung feiern wollte. Wir haben das Fest auf Juli verschoben und hoffen, dass wir dann in einem festlichen Rahmen feiern können. Schmerzlich haben wir im letzten Jahr lernen müssen, dass es nicht selbstverständlich ist, in froher Runde ein Fest feiern zu können.

Es war noch nie selbstverständlich, auch damals bei der Hochzeit in Kana nicht. Da steht das Fest auf der Kippe, auch wenn die Gäste weiter ausgelassen feiern, auch wenn die Musik weiterspielt und immer noch Essen aufgetragen wird. Etwas stimmt nicht. Etwas ist faul an diesem Fest, und das Ganze könnte Knall auf Fall zu Ende gehen, mit einer Riesen-Blamage für die Brautleute, in Spott und Schande, oder gar im Streit. Maria ist die Erste, die das bemerkt. Aufmerksam beobachtet sie das bunte Treiben.  Da fällt ihr auf: Immer mehr der Weingläser, die gerade noch mit rot funkelndem Wein gefüllt waren, sind jetzt leer. Und sie begreift: Das ist kein Zufall. Der Wein ist ausgegangen. Und mit dem Wein wird auch dieses Fest bald enden. Es sei denn, man könnte irgendwie Abhilfe schaffen. Aber wie? Maria weiß: Da kann ich eigentlich nichts machen. Es ist schlichtweg unmöglich, jetzt auf die Schnelle irgendwo genügend Wein für die vielen Hochzeitsgäste zu bekommen. Ich weiß nicht weiter. Ich kann nichts machen. Ich habe keine Idee, wie das hier gut ausgehen kann. Solche Erfahrungen kennen wir alle.

Aber Maria lässt nicht einfach den Kopf hängen. Sie wendet sich an Jesus, ihren Sohn. Jesus antwortet seiner Mutter: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?“ Diese Worte wirken auf mich schroff und verletzend. Diese Worte machen mich nachdenklich, und ich überlege mir, wie für mich wäre: Wenn ich auf einer Hochzeit eingeladen wäre, und mein erwachsener Sohn und seine Freunde sind auch unter den Gästen. Für meinen Sohn würden da verschiedene Lebensbereiche aufeinanderprallen: Die Mutter und die Freunde. Mit der eigenen Mutter redet man anders als mit seinen Freunden. Die Themen sind andere, die Wortwahl, der Umgang miteinander. Zwei Lebensbereiche, die nicht zusammenpassen: Die Eltern und die Freunde. Meistens wollen wir diese Lebensbereiche eher getrennt voneinander halten, und eine Vermischung, ein Zusammenkommen von beiden Bereichen ist uns eher unangenehm. Ist es das, was Jesus mit diesen schroffen Worten seiner Mutter sagen will: „Belästige mich nicht, blamier mich nicht vor meinen Freunden?“ Wörtlich übersetzt klingt die Antwort von Jesus an seine Mutter nicht ganz so krass: „Was ist mit dir und mit mir, Frau?“ So könnte man auch übersetzen. Also: In welchem Verhältnis stehen wir beide zueinander? Ein erwachsener Sohn und seine Mutter. Es ist nicht mehr so, wie früher, als der Sohn noch ein Kind war. Mutter und Sohn müssen ihr Verhältnis zueinander neu definieren.

„Was ist mit dir und mit mir?“ Jesus stellt diese Frage. Je länger ich über diese Frage nachdenke, desto mehr wird sie zu einer Frage an mich: In welchem Verhältnis stehe ich eigentlich zu Jesus? Was erwarte, was erhoffe ich mir von ihm? Will ich nichts mit ihm zu schaffen haben? Oder weiß ich ganz genau, wie er helfen soll, damit meine Probleme gelöst werden?

Maria erhofft etwas von Jesus. Er kann helfen, davon ist sie überzeugt. Aber wie genau? Maria lässt das offen. Sie sagt nicht: Jesus, könntest Du bitte dieses Wasser in Wein verwandeln? Jesus ist kein göttlicher Bestellservice, der einem genau das liefert, was man sich wünscht. Wann und wie er hilft, das lässt er sich von niemandem vorschreiben, auch nicht von seiner Mutter. Maria weiß das offensichtlich. Und so nennt sie Jesus einfach nur das Problem, ohne gleich eine Lösung vorzuschlagen. Maria sagt ganz schlicht: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Und sie lässt sich auch von Jesu schroffer Antwort nicht entmutigen, sondern sagt zu dem Küchenpersonal über Jesus: „Was er euch sagt, das tut.“ Maria drängt nicht auf eine Lösung. Sie hat Vertrauen in Jesus. Er kann helfen. Daran hält sie sich fest – auch wenn Angst, Sorge und Zweifel noch so groß sein mögen.

Jesus kann helfen, auch in karger Zeit. Auf wundersame Weise füllen sich die Krüge, und es ist genug für alle da: Leben in Fülle, Gemeinschaft und Freude. Jesus Christus, Gottes Sohn, zeigt sich uns in seiner Herrlichkeit. Das dürfen wir feiern – ja, gerade auch jetzt, in dieser Zeit, wo es nichts groß zu feiern gibt, und wir uns nicht mit unseren Freunden treffen können. Maria macht es uns vor: Gelassenes Vertrauen lohnt sich, auch gegen den äußeren Anschein.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 10. Januar 2020


Römer 12, 1-8: Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des Glaubens. Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand prophetische Rede, so übe er sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so versehe er dies Amt. Ist jemand Lehrer, so lehre er. Hat jemand die Gabe, zu ermahnen und zu trösten, so ermahne und tröste er. Wer gibt, gebe mit lauterem Sinn. Wer leitet, tue es mit Eifer. Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude.

Liebe Mitchristen!

Wir feiern Gottesdienst – jeder und jede an seinem und ihrem Ort, bei sich zuhause, nicht zusammen in der Kirche. Ein vernünftiger Gottesdienst ist das, wenn wir so feiern und dadurch das Infektionsrisiko minimieren. Aber ist das dann überhaupt noch ein Gottesdienst? Gehört zum Gottesdienst nicht dazu, dass wir uns leibhaftig begegnen, dass wir körperlich anwesend sind und in Kontakt miteinander kommen? Was wird aus unserer Gemeinde, wenn solche Begegnungen fehlen? Wie können wir unter diesen Bedingungen Gemeinschaft erleben und die christliche Botschaft von Gottes Liebe mit Leben erfüllen? Der Apostel Paulus konnte auch nicht immer leibhaftig anwesend sein in den christlichen Gemeinden, die er betreut hat. Dazu war das Gebiet zu groß, in dem er als Missionar tätig war. Aber er hat einen Weg gefunden, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Er hat Briefe geschrieben. Manchmal sogar an Gemeinden, die er gar nicht persönlich kannte, so wie die Gemeinde in Rom. Vielleicht ist das so ähnlich, wie wenn wir einen Gottesdienst auf Youtube hochladen und damit auch Menschen erreichen, die wir gar nicht kennen. Eine andere Art von Gottesdienst ist das, eine, die für uns ungewohnt ist, und bei der wir die persönliche Begegnung vermissen. Aber es ist eben auch Gottesdienst. Es gibt viele Arten von Gottesdienst. 

Es gibt viele Wege, wie die christliche Botschaft von Gottes Liebe zu den Menschen kommt. Darüber schreibt Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom. Er schreibt darüber, was aus seiner Sicht ein vernünftiger Gottesdienst ist: „Dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei.“ Hingabe gehört zu einem vernünftigen Gottesdienst dazu, egal wie und wo er gefeiert wird. Dass wir ganz dabei sind bei dieser Feier, aus vollem Herzen mitbeten und aus voller Kehle mitsingen. Dann sind wir ganz mit dabei, auch mit unserem Körper, mit unserer Stimme. Wie wertvoll das ist, dass wir beim Gottesdienst auch unsere Stimme erheben dürfen und mitsingen, das wissen wir erst, seitdem wir in unseren Gottesdiensten notgedrungen auf das gemeinsame Singen verzichten, damit niemand sich dabei ansteckt. Und wie wertvoll es ist, wenn wir uns nach dem Gottesdienst zum Abschied die Hand geben oder uns umarmen können, das wissen wir auch erst, seitdem wir aus Liebe daraus verzichten, damit niemand krank wird. Wie werden wir uns freuen, wenn wir das alles wieder unbeschwert tun können, wenn diese Pandemie ein Ende hat! Aber noch ist es nicht so weit. Noch brauchen wir Geduld und die Vernunft, zu der uns der Apostel Paulus in unserem Predigttext ermutigt. Prüfen sollen wir, „was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ 

Ich könnte mir denken, der Apostel Paulus hat es auch manchmal schmerzlich vermisst, dass er nicht leibhaftig anwesend sein konnte in den Gemeinden, die ihm so wichtig waren. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er so viel über den Leib geschrieben hat in seinen Briefen. Leibhaftig und mit allen Sinnen – so haben die Menschen auch zu seiner Zeit in ihren Gemeinden ihre Gottesdienste gefeiert. 

Unser Körper gehört dazu, wenn wir Gottesdienst feiern. Ja, auch dann, wenn wir nicht leibhaftig anwesend sein können in unserer Kirche. Eine Frau aus unserer Gemeinde hat mir erzählt, wie sie den Fernsehgottesdienst bei sich daheim mitfeiert. Zuerst richtet sie sich zuhause einen gottesdienstlichen Platz ein. Sie zündet Kerzen an. Sie holt ihr Gesangbuch. Bei den Liedern singt sie laut mit, und beim Beten steht sie auf. Mich hat das beeindruckt, wie diese Frau mit aller Hingabe und mit ihrem ganzen Körper den Gottesdienst mitfeiert, zuhause in ihrem Wohnzimmer. 

Und auch wenn wir uns nicht leibhaftig begegnen, heute beim Gottesdienst in unserer Kirche, wir sind und bleiben miteinander verbunden. Auch wenn wir uns nicht körperlich spüren wie sonst im Händedruck unseres Gegenübers, als Gemeinde Jesu Christi sind wir ein Leib, wie Paulus das sagt. In Jesus Christus sind wir alle miteinander verbunden, so wie Gliedmaßen an einem Körper. Ein Bild, aus dem eine unglaubliche Nähe spricht – näher geht es gar nicht mehr. Gerade weil Paulus weit weg ist und mit seinen Gemeinden nur durch Briefe in Kontakt bleiben kann, ist ihm dieses Bild so wichtig und so wertvoll: „Wir, die vielen, sind ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des anderen Glied.“ Wir bleiben verbunden. Wir hängen zusammen als Gemeinde. Nur zusammen sind wir als Gemeinde überlebensfähig. Jeder und Jede von uns trägt seinen und ihren Teil dazu bei. Und gerade in der jetzigen, so schwierigen Zeit, entdecken wir immer neue Begabungen in unserer Gemeinde. Denn Gottesdienst ist nicht nur, wenn wir sonntagmorgens in unserer Kirche zusammenkommen. Gottesdienst ist überall da, wo Menschen dort, wo sie sind einen Abglanz von Gottes Reich geben. Feiern wir also unser Leben als Gottesdienst. Und loben wir Gott mit unseren Liedern und Gebeten, genauso wie mit unseren Taten – mit Freude und Hingabe, aus vollen Herzen und voller Überzeugung. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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2. Sonntag nach Weihnachten

2. Sonntag nach Weihnachten – 03. Januar 2021

Gottesdienst mal anders in einer besonderen Zeit

Das neue Jahr hat begonnen. Vielleicht haben Sie sich auch für dieses neue Jahr gute Vorsätze vorgenommen. Ja, der Wunsch nach Veränderung nach dem „komischen“ Jahr 2020 ist groß
  • Endlich mal wieder frei verreisen 
– endlich mal wieder Freunde besuchen
– endlich wieder mal aus voller Kehle singen 
Und noch mehr, oder?

Der Wochenspruch zum Beginn des neuen Jahres strahlt noch das Licht von Weihnachten aus– das Licht, das das Kind in unserem Leben ausstrahlen möchte:
„Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. Joh 1, 14b


Wie auch im Psalm 100:
Jauchzet dem Herrn, alle Welt!
Dienet dem Herrn mit Freuden,
kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!
Erkennet, dass der Herr Gott ist!
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst
zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.
Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben;
danket ihm, lobet seinen Namen!
Denn der Herr ist freundlich, und seine Gnade währet ewig
und seine Wahrheit für und für.
Psalm 100 (EG 740)


Denkimpulse zur Jahreslosung 2021

BARMHERZIGKEIT!

Was ist denn eine Jahreslosung?

Die Jahreslosung wird alle vier Jahre von der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ausgewählt. Dabei wird in den Blick genommen, dass der Bibelvers in einer knappen Formulierung Hoffnung und Trost ausdrückt und zum Nachdenken bringt.

Wie heißt denn die Losung für das Jahr 2021?

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Lukas 6, 36

Das erste was auffällt, ist dieses Wort, das zweimal verwendet wird: barmherzig.
Zweitens stelle ich fest, dass dieser Vers doch wie eine Aufforderung klingt!

Woher stammt dieses Wort?
Zuerst sind mit „barmherzig“ verwandt Barmherzigkeit, Herz und arm. Wenn ich in der französischen und englischen Bibel schaue, entdecke ich an der Stelle die Worte „miséricordieux“ auf Französisch und „mercifull“ auf Englisch.
Beide Begriffe stammen aus dem lateinischen:
„cor“ = coeur = Herz und miseria= Not, Unglück.
Das deutsche Wort hat seine Abstammung im Althochdeutsch und wird zusammengesetzt aus „arm“ (unglücklich und später das Gegenteil von Reich bedeutend) und aus „Herz“, in dem Fall als Ort der Gefühle, der Empfindungen. 
Dennoch wird doch die Redewendung „barmherzig sein“ gebraucht im Zusammenhang mit einer Autoritätsperson, die seinen Untertanen vergibt, gnädig ist, wie unter anderem in einem bekannten Gleichnis, Schulden erlassen werden (Mt 18, 21-35). 

In dem Zusammenhang fallen mir zwei Einrichtungen ein, deren Namen mit der Jahreslosung zusammenhängen.
Es ist gar nicht so lange her, dass auf dem Heuberg Ordensschwestern in den Kindergärten oder bei der Sozialstation tätig waren.
Vielleicht hilft es zurückzuschauen, woher der Orden stammt und warum der Orden so heißt, wie er heißt.
Ich nehme Sie kurz und bündig mit in die französische Geschichte des 16. Jhdt.:  In Frankreich herrschen die Monarchie und eine große Spannung zwischen Katholiken und Protestanten. Es ist eine Zeit der Religionskriege, die 1598 mit dem Edikt von Nantes ein wenig zur Ruhe kommt. Kriege und Pest haben die Bevölkerung in großen Teilen zur Armut geführt.
Vinzenz von Paul (Vincent Depaul) ist 1581 im Südwesten Frankreichs geboren bei Pouy heute St. Vincent de Paul, in les Landes. Er wächst auf dem Bauernhof seiner Eltern in einer katholischen Familie in einer Region, in der damals die Konfrontation zwischen Katholiken und Evangelischen zu spüren ist, auf. 1600 wird er zum Priester geweiht und mit 19 Jahren Gemeindepfarrer. Die folgenden Jahre sind durch wechselnde Arbeitsplätze, bis hin zum Hauslehrer geprägt. Und was ihm doch sehr beschäftigt hat, war die Frage, wie die Nachfolge Jesu aussehen solle. Was sollte er dafür und dazu beitragen?
Schließlich wurden aus seiner Berufung Taten: nicht nur Menschen die frohe Botschaft bringen, sondern sie auch in ihrer Not begleiten: Ihren Hunger und Krankheiten lindern. 1633 wurde schließlich die Gemeinschaft der Barmherzigen Schwestern gegründet (compagnie des Filles de la Charité). Dieser Orden hatte und hat heute noch so zu sagen, ihr Kloster auf der Straße, mitten im Leben der Menschen.
Über Strasburg kam der Orden nach Deutschland. In der Region ist uns das Mutterhaus in Untermarchtal mit unterschiedlichen Einrichtungen im Raum Rottweil und Balingen bekannt.

Das Wort „charité“ ist mir in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Pandemie öfters über dem Weg gelaufen!
Was heute zum Universitätsklinikum in Berlin gehört hat mal mit anderen Absichten angefangen. 
Also gehen wir auf das Jahr 1710 in Berlin zurück. Die Pest wütet in Osteuropa. Präventiv lässt der König Friedrich I in Preußen ein sogenanntes Pesthaus vor den Toren Berlin herrichten. Die Pest bleibt dieses Mal der Stadt fern. Aus dem Pesthaus wird ein Hospiz für verarmte alte Menschen, für uneheliche Schwangere und für Bettler. Später ist aus dem Hospiz ein Lazarett und ein Hospital geworden, bis hin zu dem heutigen Universitätsklinikum.

Interessant jedoch ist der Name des Krankenhauses. „Charité“ stammt wieder mal aus dem Lateinischen „caritas“, Nächstenliebe – Dienst an den Menschen in der Not. 
Wie stehen Caritas und Barmherzigkeit zueinander? Wie passen diese Einrichtungen zu der Jahreslosung?
Ob mit „Charité“ oder „Barmherzigkeit“ geht es in beiden Fällen darum, die Not der Menschen auf Grund der Nächstenliebe zu lindern. Menschen werden begleitet, ob im Kindergarten, im Krankenhaus, in der Beratungsstelle – mit dem Ziel ihnen Hoffnung auf eine besseres leben zu schenken oder die Not zu lindern, um das Leben lebenswerter zu gestaltet.

Ist damit der erste Teil der Losung geklärt?
„Seid barmherzig“ den Kranken, den Armen, der Traurigen, den Hungernden gegenüber, um ein paar Beispiele zu nennen. Jesu selbst ist auf diejenige zugegangen, die am Rand der Gesellschaft standen. Er war Vorbild zurzeit Vinzenz von Paul und ist es immer noch. Diese Aufforderung ist in der Konsequenz seines und meines Tuns eine Form der Nachfolge Jesu.
Mit Barmherzigkeit gebe ich dem anderen einen Raum der Geborgenheit, des Zuhörens, des Sattwerdens. Da fallen mir natürlich viele Bereiche der Diakonie und der Caritas ein. 

Ist nicht noch mehr in dem Wort zu finden?
Zur Barmherzigkeit gehört doch auch Vergebung, haben wir weiter oben festgestellt – Erlass von Schulden – gnädig sein. Das klingt wiederrum nicht so einfach.
Wie oft fällt es uns Menschen schwer zu vergeben?
Jemandem in der Not helfen, ist eine praktische Tätigkeit, die wir trotzt, des Wohlstands brauchen und immer brauchen werden, um Meschen ihre Würde zu bewahren, ihr Leben wertvoll zu halten. 

Wie kann der Mensch dennoch diese Aufforderung standhalten?
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Barmherzig sein – ja
Praktisch tätig sein – ja
Gnädig sein und vergeben – jein, würde ich als normal sterblicher Mensch spontan sagen.
Kann ich so einfach vergeben, wie in dem Vers gefordert wird? 
Ich meine, das dies zu einer der größten Herausforderungen im Glauben gehört.
Um in Frieden mit sich selbst zu leben, sind wir Menschen auf Vergebung angewiesen. Der Weg dazu kann jedoch ein langer sein!
Wenn ich den Vers in seinem Kontext im Kapitel 6 des Lukasevangeliums anschaue, wundert mich nichts mehr.
Er steht in der Feldrede, eine kürzere Fassung mit auch mal anderen Schwerpunkten der Bergpredigt, die die meisten von uns aus dem Matthäusevangelium kennen.
Dabei werden die zwischenmenschlichen Beziehungen in einem anderen Licht geworfen, aus anderen Perspektiven betrachtet. 
Um nur ein Beispiel zu nennen: Jeder von uns, weiß, dass zum Beispiel eine Eskalation der Gewalt nicht unbedingt zum Frieden führt, dass Vorurteile, Urteile und auf das eigene Ich pochen zu Neid und Ungerechtigkeit führen kann. 
Es hat doch seinen Sinn gehabt, warum sich Martin Luther King auf diese Herausforderungen der Bergpredigt, bzw. der Feldrede bei Lukas berufen hat. 
Aber welcher Sinn hat es diese Aufforderung auszuführen, wenn ich nicht selbst von dieser Barmherzigkeit hier im Vers berührt werde.
Wenn ich nicht selbst die Barmherzigkeit Gottes erfahre, damit das Leben lebenswert bleibt. Martin Luther King war von der Barmherzigkeit Gottes überzeugt. Er wusste auch, dass in der Nachfolge Jesu zu leben nur mit gebündelten Kräften zum an Kraft gewinnt. Der Vers wird mit einem Plural eingeleitet. „Seid“. Was wiederrum die Beispiele der obengenannten Einrichtungen zeigt.

Deshalb steht die Aufforderung barmherzig zu sein nicht allein da. Sie wird mit einem Vergleich ergänzt: wie auch euer Vater barmherzig ist!
Jesu Taten und Zuwendung jedem Menschen, wenn er/sie in oder auch abseits der damaligen Gesellschaft stand, waren ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes – „meines Vaters“, wie er sagte. 
Gott hat sich uns Menschen zugewandt. 
Weihnachten erinnert uns jedes Jahr daran – Ostern schließt nicht den Kreis, sondern eröffnet neue Wege.
Das Geschenk der Gnade, die Christen in der Taufe empfangen ist der Impuls, die Nährkraft, die die Menschen bewegen soll, „barmherzig“ zu sein. 
Diese Nährkraft ist die, die uns in Bewegung bringt. Ebenso gibt sie uns den Mut und die Kraft Entscheidungen zu treffen und das Leben zu ändern. Dabei ist das Leben des Nächsten, wie auch das meine, gemeint.

Welche Herausforderungen werden wir im Jahr 2021 erfahren? 
Vielleicht kann uns die Jahreslosung in unserm Tun,
bei den Entscheidungen, die wir treffen müssen, 
im Hinblick auf die Mitmenschen und ihre Lebensumstände,
in zwischenmenschlichen Beziehungen leiten.
Warum nicht?

Amen


B Begleiten – begegnen
A Armut – Arbeitslosigkeit
R Reparieren – raten
M Mut – Missstände
H Hören – Herz 
E Erleben – erfahren
R Reue – retten                                                             
Z Zeit haben – Zeugnis
I Integration – Ihr
G Gott – Gerechtigkeit
K Kraft – Kaffee
E Einsicht – erkennen
I Irren – Ich
T Teilen – Telefonseelsorge



Sophie Heinzelmann, Prädikantin, 03.01.2021
Gottesdienst mal anders in einer besonderen Zeit

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Predigt zu Weihnachten 2020


Predigt zu Weihnachten 2020

Lukas 2, 1-14: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Liebe Mitchristen!

Alles wird gut. Mit diesen Worten haben wir uns Mut gemacht beim Lockdown im Frühjahr. Viele Monate sind seither vergangen. Alles wird gut – diese mutmachenden Worte höre ich inzwischen kaum noch. Dabei brauchen wir diesen Zuspruch doch – gerade jetzt an Weihnachten. Nicht nur in diesem Jahr. Jedes Jahr ist das unser größter Weihnachtswunsch: Dass alles gut wird. Dass wir Weihnachten als freudiges und harmonisches Fest feiern können, im Gottesdienst in froher Runde, und auch im Familienkreis mit unseren Lieben aus nah und fern. Wird alles gut? Wie oft haben wir uns vor Weihnachten schon diese Frage gestellt: Wird alles klappen beim Krippenspiel? Habe ich bei den Weihnachtseinkäufen nichts vergessen? Schaffen wir es, dass es keinen Streit gibt beim Familientreffen? Fragen, die wir uns in diesem Jahr nicht mehr stellen müssen. Alles ist anders in diesem Jahr. Niemand von uns hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass wir den Weihnachtsgottesdienst nur auf youtube miteinander feiern werden. Dass in der Adventszeit die Läden geschlossen werden, und die Familien an Weihnachten nur in ganz kleinem Kreis oder gar nicht zusammenkommen. Kein Wunder, dass uns dieser Satz nur noch schwer über die Lippen kommt: Alles wird gut. 

Ich möchte festhalten an diesem mutmachenden Satz, gerade auch jetzt, wo wir Weihnachten so ganz anders feiern als sonst. Alles wird gut, denn Gott kommt zu uns an Weihnachten. Auch in diesem Jahr. Auch wenn unsere Welt keine heile Welt ist, keine Weihnachtsidylle wie wir sie uns wünschen. Aber Weihnachten ist mehr als das, was wir uns normalerweise darunter vorstellen. Gott kommt – gerade auch dahin, wo es nach menschlichem Ermessen nicht zu erwarten ist. Als Kind armer Leute wird er geboren, dort in Bethlehem. Maria und Josef, die Eltern, sind verachtete Leute. Sie sind Fremde dort in der Stadt, niemand will etwas mit ihnen zu tun haben. So finden sie kein Quartier und müssen die Nacht in einem Stall verbringen. Dort wird das Kind geboren, Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Retter der Welt. Die ersten, die von dieser Geburt erfahren, sind die Hirten von Bethlehem – Menschen am Rande der Gesellschaft, draußen auf dem Feld bei den Schafen, ohne ein warmes Bett, ohne gemütliches Zuhause im Familienkreis. Menschen, die es am eigenen Leib erfahren haben, wie hart das Leben ist. Menschen, die vielleicht frustriert sind, oder sogar wütend auf die, die es besser haben als sie. Menschen, die vielleicht Angst haben vor ihrer Zukunft: Wie soll es bloß weitergehen? Aber gerade zu diesen Hirten kommt Gott. Gerade ihnen schickt er einen Engel, der ihnen die Botschaft bringt: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ 
Ein Engel kommt. Einer, den Gott geschickt hat. Ob er aussah wie die Engel auf den Bildern, mit Flügeln und im weißen Gewand? Oder doch wie ein Mensch, in gewöhnlichen Kleidern und ohne Flügel? Die Weihnachtsgeschichte, wie sie in der Bibel steht, sagt uns das nicht. Es ist nicht wichtig, wie der Engel aussieht. Wichtig ist seine Botschaft. Wichtig ist, dass er da ist – zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Engel gibt es auch in unserer Zeit: Die Freundin, die anruft; die Familie, die einen Brief schreibt; der Nachbar, der fragt, ob man Hilfe braucht. Gottes Nähe und Gottes Schutz beflügelt Menschen, dass sie für andere Menschen zu Engeln werden können. Ein Engel, von Gott geschickt, und doch ganz und gar menschlich. Aber auch da, wo wir es nicht erfahren, dass ein Mensch für uns zum Engel wird, auch da ist Gott für uns da. Wo menschliche Nähe und Liebe aufhört, auch da ist Gott. Gott lässt uns nicht im Stich, auch wenn Menschen uns verlassen. Ja, gerade da, wo niemand es vermutet, ist Gott nahe. Gerade da erklingt die Botschaft der Engel: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ 

So war es damals bei den Hirten auf dem Feld, draußen vor der Stadt, wo niemand gerne sein wollte. Und weil das damals so war, deshalb gilt es auch für uns heute an Weihnachten 2020: Alles wird gut. Im Stall von Bethlehem, am Rande der Gesellschaft, wurde Gottes Sohn geboren. Gerade diesen Platz hat sich Gott dafür ausgesucht. In diese zerrüttete Welt schickt Gott ein kleines und wehrloses Kind. Gerade dort haben die Hirten es erfahren, dass es eine Zukunft für sie gibt, vor der sie sich nicht zu fürchten brauchen. Sie haben erfahren, wie sich diese zerrüttete Welt zum Guten ändern kann. Durch ein kleines Kind. Allein durch die Liebe. In Jesus Christus kam die Liebe in die Welt. Er hat so viel erleiden müssen, schon als kleines Kind in der Krippe, und erst recht später, als er unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Aber durch die Liebe hat er das alles überwunden: Alle Schuld der Welt, alles Leid und alle Verzweiflung. Durch sein Sterben und Auferstehen hat er gezeigt, dass es weiter geht, auch da, wo wir keinen Ausweg mehr sehen. 

Jesus Christus. Er schenkt uns die Hoffnung: Alles wird gut. Aus dieser Hoffnung heraus feiern wir Weihnachten – auch in diesem Jahr. Auch und gerade heute, an diesem besonderen Weihnachtsfest. Dankbar können wir zurückblicken auf all das Gute und Schöne, was wir in unserem Leben schon erleben durften.  Dass wir Weihnachten dieses Jahr nicht so feiern können, wie wir es gewohnt sind, muss uns nicht bekümmern. Denn wir haben Jesus Christus. Er hat die Armseligkeit und Verworrenheit dieser Welt am eigenen Leib erfahren. Im Stall von Bethlehem ist er für uns zur Welt gekommen. Er schenkt uns die Liebe – das größte Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen. Fürchte dich nicht, sagt der Weihnachtsengel. Alles wird gut.  

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer