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Gedanken zum Sonntag

Judika

Predigt zum Sonntag Judika, 21. März 2021

Hiob 19, 19-27: Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich liebhatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Liebe Mitchristen!

Hiobsbotschaften – die kennen wir alle in diesen Tagen: Die Infektionszahlen steigen an, die britische Corona-Mutation verbreitet sich weiter, Impfstoff-Liefertermine können nicht eingehalten werden, ein Impfstoff musste zeitweise aus dem Verkehr gezogen werden. Hiobsbotschaften, das sind schlechte Nachrichten. Woher kommt dieses Wort eigentlich? Es kommt aus der Bibel. Die Bibel erzählt von Hiob. Der war ein gläubiger und rechtschaffener Mann, der nichts Unrechtes getan hat. Einer, der es wirklich verdient hätte, dass er mit seiner Familie in Frieden und Freude sein Leben verbringen kann. Er war verheiratet, hatte sieben Söhne und drei Töchter, und ein großes landwirtschaftliches Unternehmen mit zahlreichen Angestellten und vielen tausend Stück Vieh.

Wenn da nur nicht diese Hiobsbotschaften gewesen wären. Eine schlechte Nachricht nach der anderen bringen diese Boten: Zuerst ist es ein Raubüberfall. Alle Rinder und Esel sind gestohlen worden, die Hirten sind tot. Dann eine verheerende Feuersbrunst. Alle Schafe sind verbrannt, die Hirten sind tot. Dann ein feindlicher Angriff. Alle Kamele sind in Feindeshand, die Hirten sind tot. Hiobs ganzer Besitz ist auf einen Schlag weg, alle seine Angestellten sind getötet worden. Doch damit nicht genug. Es kommt noch ein Bote, der eine Hiobsbotschaft bringt: All deine Söhne und Töchter waren zusammen, um zu feiern. Da kam ein Wirbelsturm, und das Haus ist eingestürzt. Sie sind alle tot. So sagt es dieser Bote zu Hiob. Alles weg, alles verloren hat Hiob. Nicht einmal seine Gesundheit bleibt ihm. Hiob wird krank. Sein ganzer Körper ist von Geschwüren bedeckt. Auch seine Frau ist ihm keine Hilfe mehr: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“ So redet sie mit ihm. 

Zum Glück hat Hiob noch Freunde. Drei Freunde kommen ihn besuchen, um mit ihm zu trauern und ihn zu trösten. Ich denke, es müssen wirklich gute Freunde sein, dass sie das machen. Oft machen wir ja einen Bogen um die Menschen, die vom Unglück getroffen sind. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass uns ein so schlimmes Schicksal auch treffen könnte. Und wir sind unsicher: Wie sollen wir mit Jemandem umgehen, der so viel Schweres erlebt hat? Was sollen wir sagen? Ist nicht alles, was wir sagen können, nur billiger Trost, der den Schmerz nur vergrößert? Die Freunde von Hiob kommen ihm nicht mit billigem Trost. Sie halten das Elend mit ihm aus. Sie weinen mit ihm. Sie ertragen es, dass ihnen die Worte fehlen. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie mit ihm auf der Erde und schweigen. Das beeindruckt mich an diesen Freunden.

Hiob selbst ist es, der dieses lange Schweigen bricht. Harte Worte sind es, die aus seinem Mund kommen. Hiob verflucht den Tag, an dem er geboren wurde. Warum bin ich nicht bei meiner Geburt gestorben? fragt er. Dann wäre mir dieses ganze Elend erspart geblieben. Das ist dann doch zu viel für Hiobs Freunde. Jetzt halten sie es nicht mehr aus. Jetzt können sie nicht mehr ruhig bleiben. Jetzt packen sie aus und machen Hiob Vorwürfe. Hiob soll doch mal überlegen, ob er nicht selber Schuld ist an seinem Unglück. Ein heftiger Wortwechsel. Es fliegen die Fetzen zwischen den Freunden. Die Freunde, die eigentlich gekommen sind, um Hiob zu trösten, wenden sich gegen ihn. Hiob fühlt sich von ihnen angegriffen und verletzt. 

Was bleibt Hiob jetzt noch? Es bleibt ihm sein Glaube an Gott. Gott, der ihm nicht geholfen hat, der all dieses Elend nicht verhindert hat. Wie kann Hiob da noch an seinem Glauben festhalten? Aber Hiob wirft seinen Glauben an Gott nicht über Bord. Er hält fest an diesem Glauben, auch wenn er Gott nicht verstehen kann: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Nur weil er mit Gott kämpft, kann Hiob schließlich diese Worte sagen. Nur so kann er an seinem Glauben festhalten. Jetzt in der Passionszeit denke ich an Jesus. An seinen Glaubenskampf im Garten Gethsemane, wo er Gott bittet, den Kelch des Leidens an ihm vorübergehen zu lassen. Auch Jesus wird von seinen Freunden im Stich gelassen. Wie Hiob bringt er seine Klage vor Gott, seine Todesangst, sein Elend und seine Zweifel. Wie Hiob kämpft Jesus mit Gott. Und wie Hiob erlebt er: Gott segnet den, der mit ihm kämpft. Das Gebet Jesu im Garten Gethsemane ändert sich so wie die Klage von Hiob: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe, Gott. So kann Jesus sein Gebet beschließen. So kann er mit neuem Vertrauen seinen Weg gehen, den Weg ins Leiden und ans Kreuz.

Was auch immer kommt, Gott ist bei mir. Auch wenn ich mein Leben nicht verstehe. Auch wenn ich diese Welt nicht verstehe. Ja, auch dann, wenn ich Gott nicht verstehe. Das möchte ich gerne lernen, von Hiob und von Jesus. Den Glauben nicht über Bord werfen in schwierigen Zeiten, sondern Dranbleiben am Glauben, mit Gott kämpfen. Ich bin nicht Hiob, und schon gar nicht Jesus. Aber Gott sei dank ist ihre Rede aufgeschrieben, so wie Hiob es sich gewünscht hat. So kann ich sie immer wieder nachlesen und nachsprechen. So kann ich mich festhalten an diesen Worten. In all den Hiobsbotschaften unserer Zeit brauche ich solche Worte. Worte, die den Hiobsbotschaften etwas entgegensetzen. Worte, die tragfähig sind auch in schwierigen Zeiten: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Predigt zum Sonntag Lätare, 14. März 2021


Joh 12, 20-24: Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Liebe Mitchristen,

Menschen sind zusammengekommen, um ein Fest zu feiern, damals in Jerusalem. Sie feiern das Passahfest. Gott befreit aus dem Elend. Gott weiß einen Weg aus der Auswegslosigkeit. Gott führt heraus aus der Unterdrückung, aus der Sklaverei in die Freiheit. Nicht nur damals, als Israel in Ägypten war. Auch heute, auch im Hier und Jetzt. Das wollen diese Menschen in Jerusalem miteinander feiern. Manche sind von weither angereist deswegen. Sie sind Griechen, aber die Geschichten von dem einen Gott, der die Menschen in die Freiheit führt, haben ihr Herz berührt. Sie sind zum Glauben gekommen, zum Glauben an den einen Gott, den die Juden verehren. Zusammen mit den Juden wollen sie nun dieses große Fest feiern, das Passafest – auch wenn sie nur am Rande dabei sein werden, weil sie als Nichtjuden nur in den Vorhof des Tempels dürfen. Aber selbst das ist ihnen eine so lange Reise wert. Und noch eine Hoffnung haben diese Menschen aus Griechenland in ihrem Reisegepäck mitgebracht: Sie haben von Jesus gehört. Jesus, der die Menschen aufrichtet, Kranke und Gesunde. Jesus, der von dem einen Gott predigt. Seine Worte berühren die Herzen der Menschen. Manche sagen, er sei der Messias, der Gesalbte Gottes. So haben es diese Griechen gehört. Auf griechisch heißt das: Christos. Jesus Christus, so sagen wir heute, als wäre es ein Eigenname. Aber der Name ist Programm: Jesus der Gesalbte Gottes. Und er ist es nicht nur für die Juden, sondern auch für die Griechen, für die Heiden, von denen auch wir herkommen. 

Die Griechen, die damals nach Jerusalem gekommen sind, ahnen etwas davon. Sie wollen Jesus kennen lernen, sie wollen ihn sehen. Sie wenden sich deswegen an seine Jünger: An Philippus und Andreas, die einzigen Jünger, die griechische Vornamen tragen. Sie sind die Vermittler zwischen den Griechen und Jesus. Und Jesus? Geht er überhaupt ein auf den Wunsch der Griechen? Er sagt: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Verherrlicht – dieses Wort verwendet das Johannesevangelium für Jesu Tod am Kreuz. Ich finde das zunächst einmal ziemlich befremdlich. Leiden – das ist doch nichts Schönes, nichts Herrliches. Aber gerade im Leiden zeigt Gott seine Herrlichkeit. In der tiefsten Niedrigkeit wird Jesus erhöht zum Christus, zum Retter für alle Welt. Wer kann das begreifen? Für die Griechen, die damals Jesus sehen wollten, musste das jedenfalls total unverständlich sein. Und auch wir heute müssen das immer wieder neu durchbuchstabieren, um diesem Geheimnis näherzukommen. 

Erst muss die Stunde kommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Jetzt ist es noch zu früh, um wirklich zu verstehen. Die Zeit ist noch nicht reif. Erst kommt das Leiden und das Sterben, die Zeit der Dunkelheit und der Fragen. Erst wenn das alles überwunden ist, an Ostern, erst dann können wir Jesus wirklich kennen lernen als unseren Retter, als den Retter der Welt. Von Ostern her fällt ein Licht in die Dunkelheit unserer Fragen, Sorgen und Mühen. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ 

Ein totes Samenkorn, aus dem neues Leben wächst. Jesus verwendet hier ein Bild, das unser Herz berührt, gerade um diese Jahreszeit, wo wir uns nach dem langen Winter auf den Frühling freuen. Schon sind die ersten Schneeglöckchen und Krokusse zu sehen. Mit diesem neuen Anfang in der Natur spüren auch wir neue Lust am Leben. Mancher freut sich schon auf seinen Garten und plant, was er dort pflanzen und säen wird. Manche, deren Herz so schwer war, hebt den Blick wieder zur Sonne und findet in sich neuen Mut. Es ist eine Jahreszeit, die uns zum Staunen bringen kann, Staunen wie die Kinder: Wie kann aus einer verschrumpelten, trockenen Blumenzwiebel so ein schöner Krokus werden? Natürlich wissen wir, wie das alles vor sich geht. Wir haben dem Samenkorn längst sein Rätsel entrissen. Wir haben sogar gelernt, es zu manipulieren. Aber ein Geheimnis bleibt es immer noch. Ein Geheimnis, das jetzt wieder ganz neu zu uns spricht. Wir ahnen, dass diese neuen Anfänge auch eine Verheißung für uns bergen: neues Leben, wo etwas so tot scheint, so brach liegt, so am Ende ist.

Wir feiern den Sonntag Lätare. Lätare heißt: Freut euch! Mitten in der Passionszeit werden wir zur Freude aufgerufen. Zur Osterfreude, dass Jesus den Tod und das Leiden überwunden hat. Es ist eine verhaltene Freude, denn noch ist es nicht so weit. Noch feiern wir nicht Ostern. Es ist eine verhaltene Freude auch deswegen, weil uns das Leid und der Tod in dieser Zeit so deutlich vor Augen stehen: 12 Monate Corona-Pandemie und immer noch kein Ende im Sicht. So viele sind schon an dieser tückischen Krankheit gestorben, so viele sind längst ausgebrannt, verarmt, vereinsamt, verzweifelt. 

Jesus Christus ist durch das Leid und durch den Tod gegangen. Das ist unser Trost, gerade auch in dieser Zeit. Wenn Menschen leiden, dann leidet Jesus Christus mit. In jedem Leidenden sehen wir den Gekreuzigten, sehen wir Gottes Angesicht. 

Das gibt uns einen anderen Blick auf die Welt und auf unser Leben: Was ist es, was wirklich zählt im Leben? Das Leben ist nichts Machbares, nichts was wir in der Hand haben. Das haben wir in den letzten 12 Monaten schmerzlich lernen müssen. Wir sind nicht die Macher. Alles, was wir sind und haben, ist Gnade, ist ein Geschenk von Gott. Das Leben ist uns von Gott geschenkt. Jesus Christus hat uns die Freiheit geschenkt, das zu erkennen. Die Freiheit, ihm nachzufolgen und zu dienen. Die Freiheit, aufzuschauen aus unseren Ängsten und Sorgen. Die Freiheit, in das Gesicht unseres Nächsten zu sehen und darin unsere Schwester und unseren Bruder zu erkennen. Die Freiheit, Liebe zu wagen und Freundlichkeit zu üben. Hören wir genau hin: Wir dürfen leben lernen, weil es Jesus Christus gibt, das eine Weizenkorn, das sich für uns verloren gab. Er sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum Sonntag Okuli, 7. März 2021



Epheser 5, 1-9: So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Liebe Mitchristen!

Ich kenne Menschen, die mit den Worten der Bibel nichts mehr anfangen können und der Kirche den Rücken gekehrt haben. An solche Menschen muss ich denken, wenn ich unseren heutigen Predigttext aus dem Epheserbrief höre. Ist das nicht ein richtiger Moralapostel, der da diesen Brief schreibt – ob das nun Paulus war oder einer seiner Schüler? Ist das nicht ein sexuell verklemmtes, ein freudloses Leben, das er da propagiert? Nicht einmal einen Witz darf man da mehr reißen, das gehört sich nicht. So höre ich es in diesem Bibeltext. 

Ist das also ein Bibeltext, den wir besser über Bord werfen sollten? Ein Text, der Menschen eher am Glauben zweifeln oder verzweifeln lässt als dass er Menschen zum Glauben führt? Zum Glauben an den lebendigen Gott, der die Liebe ist. Zum Glauben an Jesus Christus, der aus Liebe zu uns in den Tod gegangen ist. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Lebt in der Liebe, so wie Christus uns geliebt hat. Ihr seid Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts“. Diese Worte höre ich auch in unserem Predigttext. Worte, die mir zu Herzen gehen. Worte, die mir so wichtig und wertvoll sind, dass ich diesen Bibeltext nicht über Bord werfen möchte – trotz allem, was mich beim ersten Hören an ihm stört. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Ihr seid Licht in dem Herrn.“ Was mir so wichtig ist an diesen Worten: Da heißt es nicht: Seht zu, dass ihr so lebt, dass ihr Gottes Liebe verdient habt. Dann seid ihr Gottes geliebte Kinder. So hätte ich es eigentlich erwartet bei all den moralinsauren Ermahnungen in diesem Text. Aber so sagt es der Text nicht. Der Verfasser des Epheserbriefs will uns daran erinnern: Gottes Liebe müssen wir uns nicht verdienen. Wir sind Gottes geliebte Kinder. Wir sind Kinder des Lichts. Wir müssen es nicht erst werden. Wir sind es schon. Seine Liebe ist stärker als alle unsere Schuld und unser Versagen. So, wie wir sind, sind wir bei Gott willkommen. Wir sind Kinder des Lichts. Wir leben im Licht der Liebe Gottes. Jesus Christus steht für diese Liebe. Ich denke dabei nicht nur an sein Sterben. Ich denke auch an sein Leben. An seine heilende Liebe, die er in Worten und Taten weitergegeben hat. So hat er Menschen gesund gemacht, an Leib und Seele. Jesus Christus hat es gezeigt: Gottes Liebe hat etwas Befreiendes. Sie richtet auf, sie stärkt und tröstet und weckt Lust am Leben. Liebe, Freude, Lebenslust – passt das zusammen mit diesem anderen Teil unseres Bibeltextes, mit seinen einschüchternden Ermahnungen, die eher dazu geeignet sind, dass sie Angst und Abwehr hervorrufen als Lebenslust und Lebensfreude?

In der Predigtvorbereitung habe ich den Vorschlag gefunden, man könnte diese Bibelverse einfach weglassen und sich auf den Anfang und den Schluss unseres Textes beschränken, auf die schönen und ansprechenden Worte über das Licht und die Liebe. Ich finde das nicht redlich. Ich möchte mich nicht darum drücken, mich auch mit dem mittleren, schwierigen Teil unseres Textes auseinanderzusetzen. Worum geht es da? Es geht um sexuelle Verfehlungen. Es geht um Worte, die wie Messer sein können. Es geht um die Habgier, um das Immer-Mehr-Haben wollen. All das sind Dinge, die unser Leben kaputtmachen können. Da geht es nicht darum, dass wir als verklemmte Spaßbremsen unser Leben leben sollen. Ja, so kann man diesen Text lesen, und das ist die große Gefahr an diesem Text, dass man ihn so versteht. Oder besser gesagt: Dass man ihn so missversteht. Denn es ist ein wirklich tragisches Missverständnis der christlichen Botschaft, dass der Glaube an Gott uns die Freude am Leben nehmen will. Unsere Sexualität ist uns von Gott geschenkt. Unsere Worte, unser Witz und Humor ist uns von Gott geschenkt. Alles, was wir haben, an Geld und Besitz, ist uns von Gott geschenkt. Über alle diese guten Gaben dürfen wir uns freuen und Gott dafür danken. Dankbar dürfen wir sein für alles, was wir haben: Sexualität und Beziehungen, Worte und Witz, Hab und Gut. Danksagung. Das ist ein wichtiger, ein zentraler Punkt in unserem Bibeltext. Dankbar will ich sein für das, was Gott mir geschenkt hat an guten Gaben. Denn ich verdanke sie nicht mir selber. Ich habe sie nicht irgendwie verdient. Ich habe auch keinen Anspruch darauf. Wenn ein anderer mehr Besitz hat als ich, wenn ihm eine glückliche Beziehung geschenkt ist und mir nicht, dann muss ich mir das immer wieder sagen: Ich habe keinen Anspruch darauf. Es ist alles ein Geschenk. Für das, was ich habe, kann ich dankbar sein. Selbst wenn es scheinbar weniger ist als das, was andere haben. Habgier. Da fängt es an. Haben wollen, was mir nicht zusteht. Ob für meine materielle Bereicherung oder für meine sexuelle Befriedigung. Oder einfach, um mir einen Spaß daraus zu machen, andere mit Worten fertigzumachen. Unzucht, Habgier, närrische und lose Reden. Das klingt alles ziemlich altmodisch, ziemlich moralinsauer und verklemmt, was da in unserem Predigttext steht. Und doch ist es leider erschreckend aktuell. Menschen nutzen ihre Machtposition aus, um sich selber einen Vorteil zu verschaffen oder sich über andere zu erheben. Bundestagsabgeordnete, die bestechlich sind, die sich selber bereichern bei Geschäften mit Corona-Schutzmasken. Verbale Gewalt, Hetze und Häme im Internet. Sexueller Missbrauch, auch in unseren Kirchen, und die Aufarbeitung verläuft erschütternd langsam.  

Ich denke wieder an die Menschen, die ich kenne und die der Kirche den Rücken gekehrt haben. Nein, es sind nicht nur solche missverständlichen Bibelworte wie unser Predigttext, die diese Menschen dazu gebracht haben. Vor allem sind es die aktuellen Verfehlungen der Menschen, die zur Kirche gehören, die sie an der christlichen Botschaft zweifeln und verzweifeln lassen. „Wandelt als Kinder des Lichts. Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Das sollen wir tun. Das ist die Aufgabe, die Gott uns gegeben hat – Gabe und Aufgabe. Nicht zwanghaft und verbissen sollen wir das tun, sondern ruhig und gelassen. Der der christliche Anspruch ist dann besonders erfüllt, wenn wir nicht vergessen, dass wir nicht Christus selbst sind, ja auch nicht Gott selbst. Nur nachahmen sollen wir Gott, so heißt es am Anfang unseres Predigttextes. Nachahmen sollen wir ihn, und dem Beispiel Jesu folgen. Wir tun das mit unseren nur menschlichen Kräften, trotz unserer Fehler und unserer Schuld, in die wir uns auch immer wieder verstricken. Bei Gott sind unsere Fehler aufgehoben. Jesus Christus hat unsere Schuld auf sich genommen. Wir sind bei Gott willkommen, so wie wir sind. Und Gott traut es uns zu, ihn nachzuahmen. Dieses Zutrauen, das Gott zu uns hat, das könnte die erste Gegenmacht sein gegen die Mächte, die den Alltag und die Welt beherrschen wollen. Oder, mit dem Verfasser des Epheserbriefs gesprochen: Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts. Gott traut es euch zu. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zu Jesaja 5,1-7. Sonntag Reminiszere, 28. Februar 2021


Liebe Mitchristen,

Noch ist es nicht Frühling. Aber der Schnee ist geschmolzen, und wir sehen, was darunter ist: Das Gras vom Vorjahr, die nackte braune Erde. Und Steine. Steine gibt es ja viele hier auf der Schwäbischen Alb. Der Boden ist karg und steinig. Ackerbau ist hier ein mühsames Geschäft das sich heutzutage praktisch nicht mehr lohnt. Ich war schon als Kind öfters hier auf der Schwäbischen Alb, am Wochenende und in den Ferien. Da gab es noch mehr Äcker als heute. Und ich staunte über die vielen Steine, die in diesen Äckern lagen. Manche davon waren Versteinerungen, die ich mit nach Hause genommen habe. Und manchmal gab es eine Mauer am Rand eines solchen Ackers. Mein Vater erklärte mir dazu: Die Leute haben die Steine aus dem Acker gesammelt und daraus diese Mauer gebaut. Ich staunte wieder: So viel Arbeit. Wie viele Steine muss man da sammeln, bis daraus eine Mauer wird? Und immer noch sind da so viele Steine im Acker. 

Steine aus dem Acker sammeln. Davon hören wir auch in unserem Predigttext. Die Landschaft ist lieblicher und das Klima milder. Ein Weinberg wird beackert. Aber steinig ist dieser Boden auch. Kann man da wirklich alle Steine rauslesen? Der, der diesen Weinberg beackert, der macht das. Die Lage ist gut, Südhang, es lohnt sich, sagt er sich. Und er packt an. Er ist richtig mit Herzblut bei der Sache. Aus den Steinen baut er eine Mauer und gleich noch einen Wachturm und eine Kelter. So ist der Weinberg gut geschützt, und die wertvollen Trauben können gleich vor Ort verarbeitet werden. Dieser Weingärtner hat wirklich an alles gedacht. Sein Weinberg, das ist für ihn nicht nur irgendein Job. Das ist seine Passion, seine große Liebe. „Komm, mein Freund, lass uns früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sprosst und seine Blüten aufgehen. Da will ich dir meine Liebe schenken.“ So heißt es im Hohenlied (Hld 7, 11-13). Der Weinberg steht für die Liebe. Für die Menschen in Israel war das ein vertrauter Vergleich – der Weinberg und die Liebe. „Hört mal alle her,“ sagt der Prophet Jesaja in Israel. „Hört her, ich singe euch ein Lied vor. Ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“ „Das wird sicher ein Liebeslied sein“, denken die Leute in Israel. Und sie spitzen die Ohren.

Und wirklich, es fängt richtig gut an, dieses Lied. Aber das dicke Ende kommt noch. Der Weingärtner wartet und wartet, aber die guten Trauben kommen nicht. Völlig ungenießbar sind die Beeren, die da an den Reben hängen. Nichts, wirklich nichts kann er damit anfangen. Es war alles vergebliche Liebesmühe. Alles umsonst. So viel investiert hat er in diesen Weinberg, in diese Liebesbeziehung. Was hat er nun davon? Nichts. Mit leeren Händen steht er da. Was habe ich bloß falsch gemacht? Sagt es mir doch! Habe ich noch etwas vergessen? Hätte ich irgendetwas anders machen können? Die Zuhörer sind sprachlos. Sie wissen keine Antwort. Aber es wird noch ungemütlicher. Das ist kein Liebeslied, was der Prophet hier singt. Er schenkt uns reinen Wein ein mit seinem Lied. Er singt von enttäuschter Liebe. Von Hoffnungen, die sich zerschlagen haben. Von jahrelanger Mühe und Arbeit. Und am Ende war alles für die Katz. 

Das sind bittere Erfahrungen, wie wir sie auch heute kennen. Gerade auch jetzt, in diesen unsicheren Zeiten. Menschen verlieren ihre wirtschaftliche Existenz in dieser Krise – das, was sie sich über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut haben. Beziehungen werden auf eine harte Probe gestellt durch die Kontaktbeschränkungen, die wir haben: Kann die Ehe, kann die Familie das aushalten, wenn alle anderen Sozialkontakte auf ein Minimum heruntergefahren sind? Lange Mühe, Arbeit und Entbehrung – das kennen wir auch in diesen Zeiten. Wir geben uns alle Mühe, uns an den Lockdown zu halten. Wir verzichten auf so Vieles. Und es stellt sich so wenig Lohn für unsere Mühe ein. Die Infektionszahlen steigen wieder.

Irgendwann kann man auch mal die Geduld verlieren. Der Prophet Jesaja kann da jedenfalls ein Lied davon singen. Ein Lied von seinem Freund und seinem Weinberg. In blinder Zerstörungswut schlägt dieser Freund alles kurz und klein, was er sich über all die Jahre aufgebaut hat. Am Ende steht kein Stein mehr auf dem anderen in seinem Weinberg. Mauer und Kelter sind dem Erdboden gleich gemacht. Alles ist zertreten und zerstört, es wächst nur noch Unkraut. Selbst die Regenwolken ziehen lieber weiter. 

So wie diesem enttäuschten Weinbergbesitzer, so geht es Gott mit euch, sagt der Prophet Jesaja. Ihr wart Gottes große Liebe. Aber ihr tretet die Gerechtigkeit mit Füßen und unterdrückt die Armen. Gottes Liebe ist enttäuscht. Enttäuschte Liebe lässt sich nicht einfach zur Seite schieben, als ob nichts gewesen wäre. Es sind große Gefühle, die sich da Bahn brechen: Trauer und Wut, ja auch Zerstörungswut. So kannten wir Gott gar nicht. Verwüstet, eingerissen, zertreten wird da der Weinberg – Gottes Pflanzung, die wir zusammen mit Israel sind. Hört Gottes Liebe also auf, weil sie enttäuscht wurde? Wenn wir nur dieses eine Bibelwort hätten, dann müsste ich in der Tat antworten: Ja, so ist es. Es ist ein ernstes Bibelwort. Ein Bibelwort, dass uns auffordert, unser Leben neu zu überdenken und uns für Gerechtigkeit einzusetzen. Für ein Happy-End ist da kein Platz. 

Aber es ist nicht das letzte Wort, das Gott gesprochen hat. Es ist nicht das letzte Lied, das der Prophet Jesaja singt von Gott und seinem Weinberg. Viel später singt der Prophet Jesaja noch ein anderes Weinberglied. Das Happy-End kommt eben nicht immer sofort. Auch die Trauer und die Wut über die enttäuschte Liebe und die vergebliche Liebesmüh haben ihre Zeit. Aber Trauer, Wut und Zerstörung haben nicht das letzte Wort bei Gott. Gottes Liebe hat einen langen Atem. Und so singt Jesaja später, als die Zeit reif ist dafür, sein zweites Weinberglied. In Jesaja 27 heißt es: „Ich, der Herr, behüte meinen Weinberg und begieße ihn immer wieder. Damit man ihn nicht verderbe, will ich ihn Tag und Nacht behüten. Ich zürne nicht. Sollten aber Disteln und Dornen aufschießen, so wollte ich über sie herfallen und sie alle miteinander anstecken, es sei denn, sie suchen Zuflucht bei mir und machen Frieden mit mir, ja Frieden mit mir.“

Irgendwann kommt das Happy-End. Verlieren wir nicht die Geduld. Setzen wir uns für Gerechtigkeit ein und für die Schwachen, die gerade jetzt in der Pandemie unseren Schutz brauchen. Machen wir unseren Frieden mit Gott – auch wenn unser Leben manchmal steinig ist wie der Ackerboden hier auf der Schwäbischen Alb. Dazu helfe uns Jesus Christus. Er ist unser Friede. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Estomihi

Predigt für Sonntag Estomihi, 14. Februar 2021

 

Jesaja 58, 1-9a: Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. „Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?“ Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

 

Liebe Mitchristen!

 

Es ist still heute. Keine Straßenumzüge mit Hunderten von Narren im Narrenkleid, keine Guggenmusik, keine Themenwagen. Die Schlossberghalle bleibt leer. Das närrische Treiben fällt aus. Die Fasnet, wie wir sie kennen, findet nicht statt. Es fehlt etwas, in unserem Ortsleben, in unserem gewohnten Jahresablauf. Wie können wir damit umgehen? Vielleicht wäre es gut, wenn ich jetzt wenigstens eine Fasnetspredigt halten würde – eine, die die Ereignisse der letzten Monate ironisch aufs Korn nimmt, am besten in gereimter Form. Aber ich fürchte, ich muss Sie da enttäuschen. Für Büttenreden und Fasnetspredigten bin ich nicht so ganz die Richtige. Und unser heutiger Predigttext lädt auch nicht gerade zu einer launigen Fasnetspredigt ein. Harte Worte sind das, die uns da aus dem Buch des Propheten Jesaja entgegenschallen. Die Sünden, die die Menschen getan haben, werden da verkündet: „Ihr bedrückt alle eure Arbeiter, hadert und zankt und schlagt mit gottloser Faust drein.“ So will es Gott nicht haben. So sollen wir nicht miteinander umgehen. Nicht damals in Israel und nicht heute bei uns. Das ist kein Spaß, das ist bitterer Ernst. Darüber kann man keine Fasnetspredigt halten.

 

Und doch – da ist auch Brauchtum in diesem Bibeltext. Anders als wir das von der Fasnet kennen, aber doch auch irgendwie schrill und schräg. Schrill ist die Stimme des Propheten. Was er zu sagen hat, posaunt er laut hinaus. Und für die Menschen damals muss das ziemlich schräg geklungen haben, wie dieser Prophet ihr Brauchtum beschreibt. Die Menschen in Israel haben besondere Zeiten, in denen sie fasten und nichts oder nur wenig essen. Aus der Fastenzeit vor Ostern kennen wir diesen Brauch. Ja, sogar so etwas wie eine Verkleidung gab es im Brauchtum dieser Menschen in Israel, mit besonderen Bewegungen und Gesten. Sie gehen in Sack und Asche und senken dabei den Kopf. Am Aschermittwoch hat sich bei uns noch etwas von diesem Brauchtum erhalten. Der Prophet nimmt dieses Brauchtum aufs Korn in seiner lauten Predigt: „Ihr lasst den Kopf hängen wie eine Binse!“ sagt er. Man spürt die Ironie. Denn nur Kopf hängen lassen und nichts dahinter, das geht in die Binsen. Gott will nicht Sack und Asche, er will Gerechtigkeit für alle. Der Prophet bringt das auf den Punkt. Mit seinen lauten und unangepassten Worten macht er sich zum Narren. Er ist schräg, er fällt aus dem Rahmen. Kinder und Narren sagen die Wahrheit. So sagt man.

 

Ich denke wieder an unsere Fasnet, und was für eine Wahrheit hinter diesem Brauchtum steckt. Wir alle wissen: In der Fasnet darf die Welt für ein paar Tage auf dem Kopf stehen. Die Mächtigen haben nichts mehr zu sagen. Der Bürgermeister wird abgesetzt. Vielleicht gibt uns ja gerade die jetzige stille Fasnet, in der das Rathaus nicht gestürmt wird, die Chance, über die tiefere Bedeutung dieser Bräuche nachzudenken. Bräuche, die uns daran erinnern, wie die Welt eigentlich von Gott gedacht ist. Da gibt es keine Hierarchien, kein Oben und Unten. Da gibt es Niemanden, der am längeren Hebel sitzt, und andere müssen sich seiner Macht beugen. Alle Menschen sind gleich und begegnen sich auf einer Ebene. „In der Fasnet sagen wir alle Du zueinander.“ So wurde es mir als Fasnets-Neuling letztes Jahr erklärt. Alle sind gleichberechtigt. Jeder kommt zu seinem Recht. Niemand muss Not oder Unterdrückung leiden. So will Gott die Welt. So sollen wir nach Gottes Willen miteinander umgehen. So, wie es der Prophet uns sagt: „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn!“

 

Wenn wir diese Worte des Propheten beherzigen, dann wird unser Leben ein Fest. Ein Fest für uns und für unsere Mitmenschen. Dann wird unser Leben ein Fest – ganz unabhängig davon, ob wir gerade unser Brauchtum leben und unsere Feste feiern können, oder ob das nicht möglich ist, so wie jetzt. Wie ein Festumzug wird das dann sein, so sagt es uns der Prophet aus dem Jesajabuch: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Ein Festumzug schlängelt sich durch die bunt geschmückten Straßen, mit phantasievoll und kreativ gestalteten Themenwagen. Fröhlich und hell, wie die Morgenröte, so kommt der erste Wagen daher. Heilung ist das Thema der anderen Festwagen. Und die Gerechtigkeit kommt auch groß raus in diesem Umzug. Und am Schluss, ganz am Ende des Festzuges, das Finale: „Die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Gott selber ist da, mitten unter uns. Lassen wir uns einladen! Feiern wir dieses Fest! Das Fest der Gerechtigkeit für alle.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

Die beiden Feste

 

Korf und Palmström geben je ein Fest.

Dieser lädt die ganze Welt zu Gaste:

doch allein zum Zwecke, dass sie – faste!

einen Tag lang sich mit nichts belaste!

Und ein – Antihungersnotfonds ist der Rest. 

 

Korf hingegen wandert zu den Armen,

zu den Krüppeln und den leider Schlimmen

und versucht, sie alle so zu stimmen,

dass sie einen Tag lang nicht ergrimmen,

dass in ihnen anhebt aufzuglimmen

ein jedweden ‚Feind‘ umfassendes – Erbarmen.

 

Beide lassen so die Menschen schenken

statt genießen, und sie meinen: freuen

könnten Wesen (die nun einmal – denken)

sich allein an solchen gänzlich neuen

Festen.

 

Christian Morgenstern

 

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Sonntag Sexagesimä, 7. Februar 2021

Lukas 8, 4-8a+11-15: Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu ihm eilten, sprach Jesus durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und anderes fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und anderes fiel auf das gute Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber an dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: Wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Sie haben aber keine Wurzel; eine Zeit lang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht zur Reife. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Liebe Mitchristen!

„Es ist frustrierend, so ins Leere zu sprechen.“ So erlebt es eine Lehrerin, die in diesen Tagen ihre Schüler nur per Videokonferenz unterrichten kann. Sie kann ihre Schüler auf ihrem Bildschirm nicht sehen. Die Kameras sind ausgeschaltet. Vielleicht möchten diese Jugendlichen nicht zu viel von sich preisgeben: Wie es in ihrem Zimmer aussieht oder am Küchentisch, an dem sie gerade sitzen. Vielleicht geht es auch einfach nicht anders, weil es die Internetverbindung überlasten würde, wenn alle die Kameras anmachen. 

Ich kann mich gut in diese Lehrerin hineinversetzen. Immer wieder geht es mir auch so, dass ich ins Leere spreche. Den Konfirmandenunterricht halte ich aus meinem Arbeitszimmer. Auf dem Bildschirm erscheinen die Namen meiner Konfirmanden, der eine oder die andere zeigt sich auch im Bild. Was kommt an von dem, was ich sage? Und wie ist es jetzt, hier bei unserem Gottesdienst, den wir auf Youtube miteinander feiern? Was kommt bei Ihnen an, wenn Sie diesen Gottesdienst mitfeiern – vor dem Bildschirm im heimischen Wohnzimmer oder beim Nachlesen dieser Predigt? Ich kann ihre Reaktionen nicht an Ihren Gesichtern ablesen wie sonst, wenn Sie in den Kirchenbänken sitzen. Die Bänke unserer Kirche sind leer. Nur unser kleines Vorbereitungsteam ist da. So stehe ich hier auf der Kanzel unserer Kirche und spreche ins Leere. Eine neue, eine befremdliche Erfahrung ist das für mich und für uns alle. So kannten wir das sonst nicht. Und doch: So ganz neu ist das auch nicht. Denn so genau kann ich es ja nie wissen, was bei meinem Gegenüber ankommt von dem, was ich sage. Auch Jesus kennt diese Erfahrung. Jesus erzählt eine Geschichte dazu: 

Ein Sämann steht draußen auf dem Acker und sät den Samen aus. Er sät sozusagen ins Leere. Er sät so, wie wenn er bei der Videokonferenz die Kamera nicht angeschaltet hätte. Oder noch extremer: Er sät, wie wenn er die Augen verbunden hätte. Er sät und sieht nicht, wo das ankommt, was er da sät. Und so kommt es, dass er seinen Samen auch dorthin streut, wo eigentlich nichts dabei herauskommen kann: Auf den Weg, auf den Felsboden und mitten ins Dornengestrüpp. Warum macht dieser Sämann das so? Ist das nicht reinste Verschwendung? Sollte der mit dem wertvollen Saatgut nicht sparsamer umgehen? Er muss doch wissen, dass da auf dem Fels nichts wachsen kann, dass die Körner auf dem Weg nur zertreten werden und das das Unkraut sowieso alles andere im Keim ersticken wird. Kein Landwirt würde sein Feld so einsäen, so unwirtschaftlich, so verschwenderisch. Aber dieser Sämann sät so. Er hat keine wirtschaftliche Kosten- Nutzen-Rechnung aufgestellt. 

Dieser Sämann ist kein Landwirt, eher ein Lebenskünstler. Einer, der dem Leben nachspürt. Einer, der das Leben feiert. Dieser Sämann genießt die Frische des Frühlingsmorgens und das Gefühl der trockenen und warmen Körner in seiner Hand. Mit Schwung streut er seinen Samen über das Land. Er hat Freude an dieser Bewegung: Wie sein Arm weit ausholt. Wie die Körner wie Tropfen zu Boden fallen. Er genießt die Landschaft, in die er den Samen wirft. In ihrer ganzen Unterschiedlichkeit nimmt er sie wahr: Guter Ackerboden, Felsblöcke, Dornengestrüpp und dazwischen der Weg, der das alles miteinander verbindet. Vielgestaltig ist die Landschaft, in die der Sämann seinen Samen wirft. Und das darf so sein. Es wird keine eintönige Monokultur entstehen, wo er gesät hat. Da sind die Felsen in ihrer bizarren Schönheit. Die Vögel finden Nahrung. Und die dornigen Wildpflanzen sind hier nicht vom Aussterben bedroht, sondern können Blüten und Samen bilden. Ja, der Ertrag bei der Ernte wird nicht so hoch ausfallen. Aber es wird genug da sein. 

Jesus erzählt von diesem Sämann, von diesem besonderen Landwirt, der ein Lebenskünstler ist. Einer, der das Leben will. Gott ist es, der diesen Samen aussät. Gottes Liebe gilt uns allen. Verschwenderisch streut Gott seine Liebe aus in unserer Welt. Was davon kommt an? Kommt Gottes Liebe bei den Konfirmanden an, wenn ich in meinem Arbeitszimmer vor dem Bildschirm sitze und mit der Konfirmandengruppe Unterricht halte? Kommt Gottes Liebe bei Ihnen an, wenn Sie diese Predigt im Nachhinein anschauen oder nachlesen? 

Unser Leben gleicht nicht immer nur dem guten Ackerboden, der den hundertfachen Ertrag abwirft. Manchmal gerät die Botschaft von Gottes Liebe unter die Räder auf dem Weg unseres Lebens. Manchmal ersticken die Sorgen um die Zukunft das Vertrauen auf Gottes Liebe in uns wie ein Dornengestrüpp. Manchmal beißt die Botschaft von Gottes Liebe bei uns auf Granit, und wir sind innerlich wie versteinert. Aber Gottes Liebe bleibt. Gottes gute Saat geht auf. Ja, sie bringt sogar hundertfachen Ertrag. Ganz unverhofft und unerwartet. Ja, auch dann, wenn mein Leben nicht immer dieser gute Ackerboden ist. Auch dann, wenn da gerade eher die Stolpersteine und die Dornen im Vordergrund sind in meinem Leben. Gott sät seinen Samen auch dorthin. Er sagt nicht: Hier ist Hopfen und Malz verloren! 

Gott ist ein Sämann, der seine Liebe mit vollen Händen austeilt. Auch in meinem Leben ist Platz für Gottes Liebe. Auch in meinem Herzen kann dieses Samenkorn aufgehen: Vertrauen in Gott, der alles zu einem guten Ende bringen wird. Gott ist für mich da. Gerade auch jetzt, wenn ich manchmal ins Leere spreche und nicht weiß, was bei meinem fernen Gegenüber ankommt. Manches kommt anders, als ich es erwarte. Aber ich darf darauf vertrauen: Gottes gute Saat geht auf. Ja, manchmal wächst seine Liebe sogar da, wo ich es nicht erwarte: In den Felsritzen und zwischen den Dornen meines Lebens. Haben Sie das auch schon erleben dürfen? Erzählen wir uns davon, auch wenn wir uns nicht persönlich begegnen können! Denn Gottes Liebe trägt uns auch durch diese Zeit. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer 


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Gedanken zum Sonntag

Letzter Sonntag nach Epiphanias

Predigt für den 31. Januar 2021, letzter Sonntag nach Epiphanias

2. Petrus 1,16-19: Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

 

Liebe Mitchristen!

„Hier ist es wie im Urlaub.“ Diesen Satz sagte mein Sohn zu mir, als ich im November 2019 als Pfarrerin hier auf den Heuberg gekommen bin, und kurz darauf kam der erste Schnee. Er dachte dabei an die Winterurlaube, die wir gemeinsam im Hochschwarzwald verbracht haben. „Hier ist es wie im Urlaub.“ Neulich ist mir dieser Gedanke wieder gekommen – an einem kalten Wintermorgen. Ich stehe am Fenster und schaue hinaus. Die meterlangen Eiszapfen an der Dachrinne sind wie ein glitzernder Vorhang. Schnee bedeckt die Wiesen und die Dächer der Nachbarhäuser. Noch liegt Wehingen im Halbdunkel. Aber langsam wird es hell. Schon lassen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Hochberg in einem rotgoldenen Licht erstrahlen. Alles Dunkle und Schwere ist für einen Moment lang vergessen. Ein Urlaubsmoment – der Sonnenaufgang an einem Wintertag.

Die Nacht weicht zurück, ein neuer Tag beginnt. Zuerst geht der Morgenstern auf und erstrahlt mit seinem hellen Licht, bis dann die Sonne unter dem Horizont hervorkommt und die Dunkelheit vollends vertreibt. „Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da schein an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. “ So heißt es in unserem Predigttext aus dem 1. Petrusbrief. Der Verfasser dieses Briefs hat den Morgenstern vor Augen. Jesus Christus ist dieser Morgenstern. Er ist das Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Sein Licht vertreibt mehr als nur die Dunkelheit einer langen Winternacht. Das Licht von Jesus Christus vertreibt auch die Dunkelheit in meinem Herzen. Denn Nacht kann es auch in meinem Leben sein. In diesem langen Corona-Lockdown, wo die Zukunft ungewiss erscheint und wir nicht fröhlich und ausgelassen in Gemeinschaft mit anderen zusammenkommen können. Wenn die Trauer um einen Menschen, den ich geliebt habe, sich wie ein dunkler Schleier auf die Seele legt. Wenn Hass und Neid das Herz verfinstern. Wenn Verunsicherung um sich greift und die Angstmacher mit ihren Hetzparolen immer lauter und dreister werden. Dann ist es dunkel in meinem Herzen. Dann brauche ich Jesus Christus. Damit mir ein Licht aufgeht, und es wieder hell wird in meinem Leben. Damit ich wieder klar sehe und nicht den Angstmachern auf den Leim gehe. Damit ich meinen Weg in den neuen Tag mit Zuversicht und Freude gehen kann. Dazu brauche ich Jesus Christus. Er kann helfen, wenn ich mich an ihn wende und zu ihm bete. Denn von ihm hat Gott selbst gesagt: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Jesus Christus, der Morgenstern in unserem Herzen. Der Verfasser des 1. Petrusbriefs stellt ihn uns deutlich vor Augen, in all seinem Glanz und seiner Herrlichkeit. Damals, als sie als Jünger mit Jesus unterwegs waren, da waren sie Augenzeugen von seiner Herrlichkeit. Und in diesem viel später aufgeschriebenen Brief ist noch etwas spürbar von der Begeisterung, die die Jünger damals verspürt haben. Jesus hat ihr Herz bewegt. Er hat ihr Leben verändert. Das geht auch heute, auch in unserer Zeit. So sagt es uns unser Predigttext. Wir haben Jesus nicht gesehen. Aber dennoch steht er uns vor Augen. Er steht uns vor Augen durch die Geschichten, die wir von ihm hören, durch die Worte, die er gesprochen hat. Wir finden sie in der Bibel. Prophetische Worte sind das, so sagt es uns der Verfasser des 1. Petrusbriefs. Worte, die nicht irgendwann veralten und die wir einfach zur Seite legen und entsorgen können wie die ausgelesene Tageszeitung von gestern. Die Worte der Bibel sind prophetische Worte. Sie sind aktuell. Ich bin gemeint. In meinem Herzen soll es nicht weiter dunkel bleiben. Der Morgenstern soll scheinen in meinem Herzen, das Licht von Jesus Christus.

Offene Sinne und der richtige Moment sind wichtig, damit ein solches prophetisches Wort seine Strahlkraft entfalten kann. Dann aber rettet es, auch durch schwierige Zeiten. Auch wenn es draußen noch dunkel sein mag, in meinem Herzen ist es hell: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Worte von Jesus Christus, die mich trösten in einer dunklen Situation. „Ich bin doch bei dir, alle Tage, immer.“ Das spricht Jesus Christus zu mir, wenn ich mich allein und verlassen fühle. „Ich habe vor dir eine Tür aufgemacht, die niemand mehr schließen kann.“ Dieses Wort von Jesus Christus höre ich, wenn ich nicht mehr weiter weiß.

Worte aus der Bibel, Worte von Jesus Christus, die unsere Dunkelheit erleuchten. Manchmal entfalten sie ihr Licht erst nur zaghaft. Wie der Morgenstern am nächtlichen Himmel. Erst ist er nur ein winziger Lichtpunkt. Dann wird er immer heller. Nach der langen Nacht kündigt er an: Der Tag bricht an, in seiner ganzen Schönheit. Neue Lebensmöglichkeiten, von Gott geschenkt. Im Licht von Jesus Christus sehe ich auch mein Leben in einem anderen Licht. Leuchtend voll Wärme und Liebe, auch in kalter und schwieriger Zeit. Rotgolden erstrahlt der Hochberg im Licht der aufgehenden Sonne an einem kalten Wehinger Wintermorgen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2020


Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe. 

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“ 

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte? 

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann. 

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Gedanken zum Sonntag

3. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 24. Januar 2021

Ruth 1, 16b-17: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Liebe Mitchristen!

Manches lernt man nicht in der Schule. Wie wir eine Bewerbung schreiben, einen Erlebnisaufsatz oder einen Bericht, das alles haben wir in der Schule gelernt. Aber wie schreibe ich eine Liebeserklärung? Wie sage ich das dem Menschen, der mir am Allerwichtigsten ist auf der Welt – so wichtig, dass ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte? Das ist nicht so einfach. Das geht nicht nach irgendeinem Schema F, dass ich für die nächste Prüfung auswendiglerne. Große Gefühle – dafür fehlen uns oft die Worte. Gut, dass es die Bibel gibt, die uns ihre Worte leiht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, das bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ein Bibelwort, das zum Ausdruck bringt, was wir empfinden, wenn wir einem Menschen bedingungslos vertrauen und unser Leben mit ihm teilen möchten. Kein Wunder also, dass sich so viele Brautpaare gerade dieses Bibelwort als Trauspruch aussuchen. Vielleicht kennen Sie solche Paare, oder dieser Spruch begleitet sogar Sie selbst in Ihrer Ehe.

Dieses Bibelwort ist für uns unmittelbar einleuchtend und verständlich, auch wenn wir den Zusammenhang nicht kennen, in dem es ursprünglich steht: Die Geschichte von der Israelitin Noomi, die mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ihr Heimatland verlassen muss. Eine Hungersnot zwingt sie dazu. Sie kommt in das Land Moab und findet dort mit ihrer Familie eine neue Heimat. Ihre Söhne werden erwachsen und heiraten Frauen aus dem Land Moab. Viele Jahre vergehen. Noomis Mann stirbt, auch die Söhne sterben. Noomi hat niemanden mehr außer den beiden Schwiegertöchtern, Orpa und Ruth. Die Hungersnot in Israel ist längst vorbei. Noomi hat Heimweh. Sie möchte zurückkehren in ihr Land. Die beiden Schwiegertöchter möchten bei ihr bleiben, möchten ihr Heimatland Moab verlassen und mit Noomi nach Israel ziehen. Noomi weiß, wie hart das ist, in einem fremden Land eine neue Heimat zu finden. Sie möchte das ihren Schwiegertöchtern nicht zumuten. Orpa und Ruth sollten lieber in hier Moab bleiben. Hier haben sie ihre Eltern und Verwandten, hier können sie noch einmal heiraten und glücklich werden. Orpa lässt sich überzeugen von Noomis Worten. Sie nimmt Abschied von Noomi und Ruth und kehrt in ihr Elternhaus zurück. Ruth macht es anders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“

Eine starke Geschichte ist das. Eine Geschichte von Menschen, die sich die Treue halten – über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg. Noomi ist Israelitin. Ruth kommt aus dem Land Moab. Für Israel war das Feindesland. Wie wird Ruth in Israel aufgenommen werden, mit ihrem anderen Aussehen, ihren Sprachschwierigkeiten und ihrer anderen Kultur? Wie werden bei uns Menschen aufgenommen, die die bittere Not dazu gebracht hat, ihre Heimat zu verlassen? Europa ist zu einer Festung geworden, die Zuflucht Suchenden bleiben draußen an den Außengrenzen. Mich schockieren die Bilder und Nachrichten aus Lipa in Bosnien-Herzegowina. Dort ist es Winter wie hier bei uns. Die Geflüchteten, die dort gestrandet sind, kämpfen gegen das Erfrieren. Viele haben nicht einmal ein unbeheiztes Zelt. „Tiere haben es besser als wir“, hat einer von ihnen gesagt. Und: „Wenn wir keine Hilfe bekommen, werden wir sterben.“ Was ist übrig geblieben vom sogenannten christlichen Abendland? Können wir die Augen verschließen vor diesem himmelschreienden Elend? Wir können nicht alle Geflüchteten aufnehmen in unserem Land. So sagen wir. Und das stimmt ja auch. Aber tun wir wirklich alles, was wir können? Wäre da nicht noch Luft nach oben für Menschen in solcher Not? Luft nach oben in unserem Land, in unserem Herz, in unserem Terminkalender, in unserem Geldbeutel? Ist es nicht eher die Angst, die uns herausfordert? Die Angst vor dem, was uns fremd ist, die Angst vor dem, was uns mit unserer Lebensweise in Frage stellen könnte?

Auch zur Zeit der Bibel gab es diese Angst schon. Im Buch Nehemia wird davon berichtet. Die Israeliten waren aus Babylon, aus der Verbannung zurückgekehrt in ihr Land. Endlich wieder in Israel unter Israeliten. Endlich nicht mehr in der Fremde. Aber da ist nicht nur die Freude. Da ist auch die Angst. Die neu gewonnene Freiheit wirkt so zerbrechlich und verletzlich. Eine diffuse, eine namenlose Angst ist das. Diese Angst sucht sich ein Ziel – etwas, gegen das sie sich wenden kann. Sie wird zur Angst vor allem Fremden. Manche Israeliten waren damals mit moabitischen Frauen verheiratet. Frauen wie Ruth. Diese Ehepaare wurden nun angefeindet. Böse Worte mussten sie erleben und körperliche Gewalt. Viele solche Ehen wurden aufgelöst unter diesem Druck. Die Geschichte von Noomi und Ruth ist eine Gegen-Geschichte zu dieser Erzählung. Eine Geschichte gegen die Angst vor dem Fremden, auch für uns in unserer Zeit. Noomi, die aus Israel Geflüchtete findet mit ihrer Familie Zuflucht und Heimat im Land Moab. Ihre Söhne heiraten moabitische Frauen. Und nach dem Tod aller drei Männer, nach dieser ganz persönlichen Katastrophe, findet Noomi mit Ruth in Israel Zuflucht und Heimat. Ruth, die Moabiterin, sie heiratet in diesem für sie fremden Land einen israelitischen Mann.

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Ich denke an die Brautpaare, die ich schon getraut habe, die dieses Bibelwort als ihren Trauspruch ausgewählt haben. Ein Ehepaar habe ich besonders in Erinnerung: Der Bräutigam Moslem, die Braut evangelische Christin. „Dein Gott ist mein Gott“, das bedeutete für die beiden: Wir glauben beide an den einen Gott. Das verbindet uns, auch wenn wir unterschiedlichen Religionen angehören. Was dieser Satz wohl für Ruth bedeutet hat? Und wie es diesem Ehepaar jetzt wohl geht, nach vielen Jahren? Wie sie jetzt wohl ihre Liebe zueinander leben, und wie ihren Glauben an den einen Gott, in all der Unterschiedlichkeit, die ihre verschiedenen Religionen mit sich bringen? Haben sie Menschen, die ihnen hilfreich zur Seite stehen, so wie Noomi und Ruth? Oder werden sie als interkulturelles Ehepaar angefeindet, wie die Bibel es im Buch Nehemia berichtet? Ich hoffe für die beiden, dass sie Unterstützung haben, so wie Noomi und Ruth. Und ich hoffe für uns alle, dass wir solche Unterstützer sein können, dass wir unsere Angst vor dem Fremden überwinden können. Auch und gerade jetzt, in dieser Krisenzeit, wo unsere Freiheit so zerbrechlich und verletzlich wirkt. Aber Freiheit ist eben mehr als das Fehlen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Freiheit ist vor allem: Freisein von Angst. Diese Freiheit wünsche ich uns allen. Damit sich unsere Herzen öffnen auch für die, die uns fremd sind. Damit wir unseren Glauben an den einen, an den barmherzigen Gott wirklich leben können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021

Predigt für den 2. Sonntag nach Epiphanias, 17. Januar 2021

Johannes 2, 1-11: Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.                                              

Liebe Mitchristen!                                                         

„Ich würde gerne mal was Richtig Illegales machen, zum Beispiel mich mit Freunden treffen.“ Diesen Spruch las ich neulich in einem sozialen Netzwerk. Sich mit Freunden treffen oder gar ein fröhliches Fest zu feiern, das ist in der jetzigen Situation in weite Ferne gerückt. Unser Predigttext erzählt von einem Hochzeitsfest in Kana. Ich denke an das Brautpaar, das im Februar in unserer Kirche seine Trauung feiern wollte. Wir haben das Fest auf Juli verschoben und hoffen, dass wir dann in einem festlichen Rahmen feiern können. Schmerzlich haben wir im letzten Jahr lernen müssen, dass es nicht selbstverständlich ist, in froher Runde ein Fest feiern zu können.

Es war noch nie selbstverständlich, auch damals bei der Hochzeit in Kana nicht. Da steht das Fest auf der Kippe, auch wenn die Gäste weiter ausgelassen feiern, auch wenn die Musik weiterspielt und immer noch Essen aufgetragen wird. Etwas stimmt nicht. Etwas ist faul an diesem Fest, und das Ganze könnte Knall auf Fall zu Ende gehen, mit einer Riesen-Blamage für die Brautleute, in Spott und Schande, oder gar im Streit. Maria ist die Erste, die das bemerkt. Aufmerksam beobachtet sie das bunte Treiben.  Da fällt ihr auf: Immer mehr der Weingläser, die gerade noch mit rot funkelndem Wein gefüllt waren, sind jetzt leer. Und sie begreift: Das ist kein Zufall. Der Wein ist ausgegangen. Und mit dem Wein wird auch dieses Fest bald enden. Es sei denn, man könnte irgendwie Abhilfe schaffen. Aber wie? Maria weiß: Da kann ich eigentlich nichts machen. Es ist schlichtweg unmöglich, jetzt auf die Schnelle irgendwo genügend Wein für die vielen Hochzeitsgäste zu bekommen. Ich weiß nicht weiter. Ich kann nichts machen. Ich habe keine Idee, wie das hier gut ausgehen kann. Solche Erfahrungen kennen wir alle.

Aber Maria lässt nicht einfach den Kopf hängen. Sie wendet sich an Jesus, ihren Sohn. Jesus antwortet seiner Mutter: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?“ Diese Worte wirken auf mich schroff und verletzend. Diese Worte machen mich nachdenklich, und ich überlege mir, wie für mich wäre: Wenn ich auf einer Hochzeit eingeladen wäre, und mein erwachsener Sohn und seine Freunde sind auch unter den Gästen. Für meinen Sohn würden da verschiedene Lebensbereiche aufeinanderprallen: Die Mutter und die Freunde. Mit der eigenen Mutter redet man anders als mit seinen Freunden. Die Themen sind andere, die Wortwahl, der Umgang miteinander. Zwei Lebensbereiche, die nicht zusammenpassen: Die Eltern und die Freunde. Meistens wollen wir diese Lebensbereiche eher getrennt voneinander halten, und eine Vermischung, ein Zusammenkommen von beiden Bereichen ist uns eher unangenehm. Ist es das, was Jesus mit diesen schroffen Worten seiner Mutter sagen will: „Belästige mich nicht, blamier mich nicht vor meinen Freunden?“ Wörtlich übersetzt klingt die Antwort von Jesus an seine Mutter nicht ganz so krass: „Was ist mit dir und mit mir, Frau?“ So könnte man auch übersetzen. Also: In welchem Verhältnis stehen wir beide zueinander? Ein erwachsener Sohn und seine Mutter. Es ist nicht mehr so, wie früher, als der Sohn noch ein Kind war. Mutter und Sohn müssen ihr Verhältnis zueinander neu definieren.

„Was ist mit dir und mit mir?“ Jesus stellt diese Frage. Je länger ich über diese Frage nachdenke, desto mehr wird sie zu einer Frage an mich: In welchem Verhältnis stehe ich eigentlich zu Jesus? Was erwarte, was erhoffe ich mir von ihm? Will ich nichts mit ihm zu schaffen haben? Oder weiß ich ganz genau, wie er helfen soll, damit meine Probleme gelöst werden?

Maria erhofft etwas von Jesus. Er kann helfen, davon ist sie überzeugt. Aber wie genau? Maria lässt das offen. Sie sagt nicht: Jesus, könntest Du bitte dieses Wasser in Wein verwandeln? Jesus ist kein göttlicher Bestellservice, der einem genau das liefert, was man sich wünscht. Wann und wie er hilft, das lässt er sich von niemandem vorschreiben, auch nicht von seiner Mutter. Maria weiß das offensichtlich. Und so nennt sie Jesus einfach nur das Problem, ohne gleich eine Lösung vorzuschlagen. Maria sagt ganz schlicht: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Und sie lässt sich auch von Jesu schroffer Antwort nicht entmutigen, sondern sagt zu dem Küchenpersonal über Jesus: „Was er euch sagt, das tut.“ Maria drängt nicht auf eine Lösung. Sie hat Vertrauen in Jesus. Er kann helfen. Daran hält sie sich fest – auch wenn Angst, Sorge und Zweifel noch so groß sein mögen.

Jesus kann helfen, auch in karger Zeit. Auf wundersame Weise füllen sich die Krüge, und es ist genug für alle da: Leben in Fülle, Gemeinschaft und Freude. Jesus Christus, Gottes Sohn, zeigt sich uns in seiner Herrlichkeit. Das dürfen wir feiern – ja, gerade auch jetzt, in dieser Zeit, wo es nichts groß zu feiern gibt, und wir uns nicht mit unseren Freunden treffen können. Maria macht es uns vor: Gelassenes Vertrauen lohnt sich, auch gegen den äußeren Anschein.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer