Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Ewigkeitssonntag

Predigt zum Ewigkeitssonntag, 22. November 2020

Offenbarung 21, 1-7: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Liebe Mitchristen!

Es ist Herbst. Die Blätter fallen, die Bäume werden kahl. Das Grün des Sommers und die Farben der Blumen sind nur noch Erinnerung. Wenn wir Abschied nehmen müssen von einem geliebten Menschen, dann fühlt sich das an wie Herbst. Was war, ist nicht mehr. Der Klang der vertrauten Stimme, das gemeinsame Lachen, die Gespräche, die Nähe. „Der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr“, sagt das Bibelwort aus Apokalypse 21.

Apokalypse. Weltuntergang. Mit jedem Menschen, der stirbt, geht eine eigene Welt unter. Die Blätter, die von den Bäumen fallen, kommen nicht wieder zurück. Auf dem Herbstbild, das ich mitgebracht habe, ist ein Zaun im Vordergrund. Da ist eine Grenze, die wir nicht überwinden können. Sie haben diese Grenze erlebt, als sie Abschied nehmen mussten von Ihren Angehörigen. Corona war so eine Grenze. Wie ein unsichtbarer Zaun um das Krankenhaus und das Altenheim herum, und sie konnten nicht hinein zu Ihren Angehörigen, konnten nicht Abschied nehmen. Der Tod ist so eine Grenze, wie ein Zaun, der uns trennt von unseren Lieben. Sie sind jetzt dort auf der anderen Seite des Zaunes, und wir bleiben hier zurück auf dieser Seite. Zwischen Diesseits und Jenseits ist ein Zaun, für uns Menschen unüberwindlich.

Am Zaun hängt ein Blatt und leuchtet in sonnigem Goldgelb, in der Farbe des Sommers. „Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“ Gott macht alles neu. Er stillt unseren Durst nach Leben, nach Farben, nach Berührungen und Wärme. Das goldgelbe Blatt am Zaun erinnert mich daran. Wie ein Blatt im Wind, so zerbrechlich und verletzlich ist Gott selbst geworden. Ein Blatt, das hängen bleibt am Zaun, an der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits. Jesus Christus hängt am Kreuz und stirbt. Sein Leben ist zu Ende, wie bei dem Herbstblatt, das vom Baum gefallen ist. Und doch ist es Gott selbst, der da am Kreuz sein Leben gibt für uns. Golden erstrahlt das Herbstblatt vor dem ewigen Blau des Himmels. Gott ist für uns da. Sein Himmel steht uns offen. Gold und Blau. Beides ist untrennbar verbunden. Der Zaun dazwischen spielt keine Rolle mehr. Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits ist überwunden. Jesus Christus ist auferstanden von den Toten.

Apokalypse. Weltuntergang. Mit jedem Menschen, der stirbt, geht eine eigene Welt unter. Die biblische Apokalypse weist über diesen Weltuntergang hinaus. Nach dem Tod geht es weiter. Gott schafft eine neue Welt. Für uns und für unsere Lieben, die durch den Tod von uns getrennt wurden. Dann werden wir wieder vereint sein, alle beieinander, und Gott wird uns allen so nahe sein wie der Freund im Nachbarhaus. Dann ist der graue Zaun, der uns trennt, endgültig von der Bildfläche verschwunden. Dann verschwindet das dunkle Grau von Trauer und Schmerz, und keine Tränen verschleiern mehr unseren Blick. Dann ist alles in Gottes goldenes Licht getaucht, im ewigen Blau seines Himmels, der uns offen steht. So wie es uns in Apokalypse 21 versprochen ist:

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr 15.11.2020


Predigt über Lukas 16,1-9 am Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, den 15.11.2020 in Wehingen 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde,

wir sind uns wohl einig:  Dieses Gleichnis vom untreuen Verwalter ist am Schluss nicht leicht zu verstehen. Hatten wir nicht schon von genügend anderen Korruptionsskandalen gehört? Kann es sein, dass unser Herr uns
heute Morgen einen solchen Fall als leuchtendes Vorbild vor Augen malt? Wir Christen wollen doch gerade nicht so sein!

Jedoch, liebe Gemeinde, es macht Jesus hier und an
anderen Stellen überhaupt nichts aus, uns auch an einem solchen Spitzbuben wie diesem Haushalter eine göttliche Wahrheit zu zeigen. Wer meint, dass Jesus nur Leute mit Heiligenschein malt, – wer nicht weiß, dass bei ihm auch Betrüger Modell stehen müssen, um seine Wahrheit zu sagen, der hat nichts verstanden von seiner Botschaft. 

Untreu war der Verwalter, niemand will das beschönigen. Von einem guten Verwalter wird erwartet, dass er treu erfunden wird, dass die Kasse stets stimmt, bis auf den letzten Cent.  
So war’s hier leider nicht. Der Herr bringt und nimmt die Bücher, macht Kassensturz und jagt den Betrüger mit Schimpf und Schande davon. Die Anschuldigungen stimmen! Der Verwalter fragt sich nun: »Wovon lebe ich dann?  Soll ich mich als Grabe–Arbeiter verdingen? Das schaffe ich nicht. Soll ich betteln gehen? Dafür schäme ich mich, das geht auch nicht.« Er sagt: »Ich muss mir Freunde verschaffen, damit sie mich nachher aufnehmen.« So lässt er die Schuldner seines Herrn kommen und stellt ihnen ermäßigte Schuldscheine aus. Erhebliche Summen gehen dem Herrn verloren. Aber das soll dem Gefeuerten später zugute kommen. 

Ein gewiefter Bursche: Er treibt seine Untreue auf die Spitze, macht sich neuen Betrugs und der Urkundenfälschung schuldig. Und der Herr lobt ausgerechnet ihn! Wofür? Nicht für sein böses Tun. Nicht für sein verwerfliches Handeln. Nicht für seinen Betrug davor und danach. Nein. Jesus redet ja vom bösen, betrügerischen Verwalter. 
Was wird dann gelobt? 
»Dass er klug gehandelt hatte.« Betrug bleibt Betrug und ist durch nichts zu entschuldigen. Einzig und allein seine Klugheit wird hier gelobt. Das zeigt der (letzte) Satz: »Die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.« In Punkto Klugheit könnt ihr also von den Kindern dieser Welt sogar noch eine Menge lernen – für euren Glauben, für eure Nachfolge. Es geht also jetzt um die Klugheit dieses Mannes. Von ihr sollen wir heute lernen. Wann also sind wir klug? 

1. Wir sind klug, wenn wir unsere Lage erkennen

Dieser Mann hat seine Entlassungspapiere praktisch schon in den Händen, die Quittung für unsauberes Herumwirtschaften, den blauen Brief. Beobachter konnten dem Treiben nicht länger zusehen und hatten ihn angezeigt wegen Veruntreuung. Unser Verwalter weiß: »Dieser blaue Brief ist ernst zu nehmen. Was mein Chef schreibt, das meint er auch so.« Er sagt nicht: »Es wird schon nicht so schlimm werden.«  Oder: »Mein Chef wird schon ein oder zwei Augen zudrücken.«  Oder: »Er wird sich erinnern wie viel ich früher geleistet habe.«  Der Verwalter ist sich bewusst:  »Bei meiner Rechenschaft bin ich verloren.  Alles wird offenbar, aufgedeckt, ich kann nichts vertuschen oder entschuldigen.« 

Und das, liebe Gemeinde, ist unsere Lage, Ihre Lage, meine Lage. Wir müssen Rechenschaft geben. »Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.« So haben wir vorhin den Wochenspruch für die neue Woche gehört.
Es ist interessant, wie verschieden die Menschen darauf reagieren: »Ich bin schon recht, mir kann niemand was nachsagen.« Oder: »So schlimm wird´s schon nicht werden.« Oder: »Die anderen sind auch nicht besser«, »Oder: Wir kommen alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind« – aber mit solchen Sätzen verkennen Menschen ihre Lage. 
Die Bibel sagt: »Das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf.« Und wir sagen: »Ach was, in jedem ist irgendwo noch ein guter Kern.« 
Die Bibel sagt: »Der Tag der Rechenschaft kommt.«
Und wir sagen: »Ach, das ist doch alles ein Warten auf den St. Nimmerleinstag.«
Nach Lage der Dinge und Sicht der Bibel kann ich nicht bestehen mit meinem gelebten Leben vor Gott. Das ist meine Lage.  »Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben.«  »Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen« (Röm 3, 23). 

Der Verwalter hat diese seine Lage erkannt und nicht schöngeredet. Er lügt sich nicht in die Tasche, sondern
ist ehrlich sich selbst gegenüber, gesteht sich seine Lage ein wie der eine Schächer zur Rechten des gekreuzigten
Jesus. Der bekannte im Sterben: »Wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.« Eine solche Haltung, in der die eigene verlorene Lage erkannt wird, nennt Jesus klug. Und das ist der erste Schritt zu einer heilsamen Wende. 
Wir sind klug, wenn wir unsere Lage erkennen. 

2. Wir sind klug, wenn wir die rechte Vorsorge treffen. 

Nicht nur, dass er seine Lage erkennt, wird gelobt, sondern auch, dass er die rechte Vorsorge trifft.  Er sagt sich: »Selbsthilfe genügt nicht. Ich bin auch kein Münchhausen, der sich an der eigenen Krawatte aus diesem Schlamassel ziehen könnte.«   
Und da kommt ihm ein rettender Gedanke, die zündende Idee, nämlich: Einfach die Pächter seines Chefs zu sich zu bitten. Damals hat man ja noch die Pacht nicht in Hartgeld, sondern in Naturalien bezahlt, in Öl und
Weizen und Gerste. 
Und dann kommen diese Leute und er bewilligt ihnen großartige begünstigte Verträge.  Es geht um Tausende von Zentnern Weizen und um viele Hektoliter Öl. 
Er sagt: »Wenn ich ihnen so viel gebe, dann werden die doch in der Zukunft für mich sorgen.« 

Liebe Gemeinde, gewiss ist das eine ganz krumme Tour! Wir wollen nicht durch noch so schöne Worte diese krumme Tour geradebiegen. Keiner soll den Betrug bei diesem Schlauberger nachmachen. Aber das ist seine Klugheit, dass er angesichts seiner Lebenslage die rechte Vorsorge trifft durch eine Hilfe, die nicht in ihm, sondern außerhalb seiner selbst liegt.

Und ich frage: Sind Sie auch so klug? Sind Sie auch daran, Vorsorge zu treffen jenseits Ihrer Kräfte? 
Bei einem alten Ausleger fand ich folgenden Kommentar: »Was der Haushalter tat? Er versorgte sich nicht aus seinen, sondern aus seines HERRN Gütern. Das tue du auch! In dir findest du nichts, was dir nütze ist zur Seligkeit. Doch du findest in Christus Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit vor Gott, Leben und Seligkeit. Hier raube, was du rauben willst.« 
Das meint Christus mit Klugheit: An ihn glauben, sich versorgen und beschenken lassen, reich werden »aus des HERRN Gütern«, reich werden durch den, der arm wurde für uns, damit wir »durch seine Armut reich würden«
(2. Kor 8, 9).

Der Mann im Gleichnis hat sich durch die Güter seines Herrn Freunde gemacht, um für ein Leben nach der peinlichen Rechenschaft zu sorgen. 

Was heißt das übertragen auf uns? Wir denken vom
Wochenspruch her an die Rechenschaft in der Ewigkeit: Da helfen uns keine Freunde. Nein, da steht jeder für sich allein und Freunde helfen nicht. Aber ein Freund kann helfen, nur ein einziger Freund! Dieser Freund heißt
Jesus Christus, Gottes menschgewordener Sohn. Im alten Gesangbuch steht das schöne Lied »Der beste Freund ist in dem Himmel«. Darin heißt es:
Die Menschen sind wie eine Wiege,
mein Jesus stehet felsenfest.
Und ob ich gleich darniederliege,
doch seine Treu mich nicht verlässt.
Drum hab ich’s immer so gemeint:
Mein Jesus ist der beste Freund.

Er ließ sich selber für mich töten,
es floss für mich sein teures Blut.
Er steht mir bei in allen Nöten
und spricht für meine Sache gut.
Drum hab ich’s immer so gemeint:
Mein Jesus ist der beste Freund.

Für uns selbst sind wir verlorene Leute. Aber mit ihm, in ihm, durch ihn werden unsere Veruntreuungen annulliert. Im Glauben an ihn weiß ich Gott selbst auf meiner Seite, er selbst nimmt mich an, er selbst nimmt mich auf.
Wir sind klug, wenn wir die rechte Vorsorge treffen.

3.Wir sind klug, wenn wir keine Zeit verlieren. 

Der böse Verwalter bedenkt das Ende. Er handelt unverzüglich, hat keine Zeit zu verlieren, er sagt: »… Schreibe flugs … schreibe flugs.«  Er sagt nicht: »Kommt Zeit, kommt Rat.« Er sucht nicht die lange Bank, auf die er diese Entlassungsakte hinschiebt. Er sagt sich auch nicht: »Ach was, dazu hat’s doch noch später Zeit. Wenn ich alt werde, dann werde ich fromm und dann kann ich immer noch beten, zur Kirche gehen und mein Haus bestellen.«  So sagt er nicht. Er weiß: »Morgen könnte es zu spät sein.« Darum sagt er: »Schreibe flugs!« 

Wissen wir, wie viel Zeit wir noch haben? Der Teufel sagt »Morgen, morgen, nur nicht heute«, aber Gott sagt »Heute«. Auf der langen Bank fängt der Teufel die meisten Leute. Diese Wahrheit ist in einer alten mittelalterlichen Legende enthalten.
An einem Königshof lebte ein Hofnarr. Eines Tages schenkte dieser König dem Narren einen goldenen Stab mit einer einzigen Auflage: Diesen Stab dem weiter zu schenken, der närrischer sei als der Narr. 
Eines Tages wurde der König sterbenskrank und legte sich auf sein Bett. 
Da erschien der Hofnarr zu Besuch und sagte: »Herr König, ich höre, Sie wollen eine große Reise antreten.« Der König kurz: »Ja, ich will nicht, aber ich muss…Von dieser Reise kommt überhaupt niemand zurück.« 
Der Narr: »Ja, Herr König, dann haben Sie sicher Quartiermacher vorausgeschickt, die Ihnen Wohnung besorgen?« – »Zu dem bin ich in meinem Leben nicht gekommen.« – »Ja«, sagte der Narr,« haben Sie nicht gewusst, dass Sie diese Reise antreten werden?« 
»Doch«, sagte der König, »das wusste ich von Kind auf.« Da öffnete der Narr seine Jacke, holte den goldenen Stab hervor und legte ihn dem König auf die Decke und sprach: »Wenn’s so ist, König, wenn’s so ist, dann gehört der Stab Dir!«

Liebe Gemeinde, klug sind wir, wenn wir keine Zeit verlieren, sondern beten: »Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss, auf dass ich klug werde.« 

Wann sind wir klug?  
Drei Antworten gibt unsere Geschichte: 

Wir sind recht klug, wenn wir die Lage erkennen, 
wenn wir die rechte Vorsorge treffen, 
wenn wir keine Zeit verlieren.   Amen.
Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

 

Predigt zum Sonntag, 8. November 2020

 

Paulus schreibt in 1. Thessalonicher 5, 1-6: Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen:

„Friede und Sicherheit“, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen. Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

 

Liebe Mitchristen!

 

vor ein paar Jahren waren wir im Urlaub in Spanien am Meer. Urlaub, das bedeutet bei uns meistens: Ausschlafen und den Tag spät beginnen. Aber für einen dieser Urlaubstage hatten wir uns etwas Anderes vorgenommen. Wir wollten früh aufstehen und den Sonnenaufgang am Meer erleben. Verschlafen machten wir uns am frühen Morgen auf den Weg. Kaum ein Mensch war um diese Zeit unterwegs. Grau lag der Strand und das Meer in der Morgendämmerung. Aber am Horizont, weit draußen im Meer, da zeigt sich schon ein Silberstreif. Bald ist es so weit. Die Sonne geht auf. Erst dringen nur wenige Sonnenstrahlen zu uns durch. Dann kommt die Sonne hinter dem Horizont hervor. Und sie taucht alles in ein goldenes Licht: Himmel und Erde, Meer und Strand. Ein unbeschreibliches und unvergessliches Erlebnis. Wach sein, nicht der Bequemlichkeit und der Müdigkeit nachgeben und schlafen wie die anderen. Darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext. „So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein“, heißt es da. Wenn wir an diesem Tag so lange geschlafen hätten wie an den anderen Urlaubstagen, dann hätten wir dieses Erlebnis nie gehabt: in das goldene Licht der aufgehenden Sonne getaucht zu sein an diesem wunderbaren Sommermorgen am Meer.

 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht mit diesem Bild und dieser Erzählung von meinem vergangenen Urlaubserlebnis. Können Sie sich da hineinversetzen? Oder ärgert es Sie einfach nur, dass ich hier über vergangene Urlaubserlebnisse an sonnigen Küsten rede, jetzt in diesem Jahr, wo man im Sommer den Mittelmeerurlaub absagen musste und den Urlaub stattdessen im verregneten Norddeutschland verbracht hat. Und inzwischen kann man nicht einmal mehr innerhalb von Deutschland ein Urlaubshotel buchen.

 

Friede und Sicherheit, ein Leben im sonnigen Licht eines Urlaubsstrandes, das wünschen wir uns so sehr in diesen Zeiten, in dieser Pandemie, die unser Leben durcheinandergeworfen hat. Und mancher ist dafür auch bereit, sich in der falschen Sicherheit zu wiegen, dass diese Maßnahmen, die jetzt zur Eindämmung dieser Pandemie getroffen werden, übertrieben sind und wir doch einfach unser normales Leben weiterleben könnten. „Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen.“ Das sind harte Worte, die unser Predigttext uns hier mit auf den Weg gibt. Wir sollen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wir sollen nicht so tun, als ob Frieden wäre und alles gut, und in Wirklichkeit ist es gar nicht so. Wir sollen nicht wegschauen und die Augen verschließen vor den Problemen. Wach sollen wir sein und nüchtern. Wach sein, das bedeutet: Der Krise ins Auge schauen und mit dem Ende rechnen. Mit dem Ende unseres vertrauten Lebensstils, mit dem Ende unseres eigenen Lebens, mit dem möglichen Ende der Menschheit.

 

Vielleicht kann uns die Corona-Krise hier wachrütteln. Sie zeigt uns, wie verletzlich wir sind, wie wenig selbstverständlich es ist, dass sich unser Lebensstil auf diesem hohen Niveau bewegt, an das wir uns gewöhnt haben. Ein Niveau, von dem wir alle wissen, dass es unserer Erde zu viel abverlangt, mehr als sie tragen kann. Wir verbrauchen Ressourcen, die wir nicht haben und leben auf Kosten der kommenden Generationen. Werden wir es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten schaffen, unser Leben so zu gestalten, dass die Erde auch für unsere Kinder und Enkel ein bewohnbarer Planet bleibt? Verschließen wir nicht die Augen vor diesem Problem. Bleiben wir wach, bleiben wir nüchtern. Lassen wir uns nicht einlullen und in falscher Sicherheit wiegen, als ob alles in bester Ordnung wäre. Die Fridays for Future Bewegung will uns hier wachrütteln, und mit Recht. Gott hat uns diese Erde anvertraut. Es ist unsere Verantwortung, wie wir mit ihr umgehen.

 

„Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“, sagt Paulus in unserem Predigttext. Das klingt beunruhigend und verstörend. Kann ich da nachts überhaupt noch ruhig schlafen, wenn ich das ernst nehme? Müssen mir nicht die Sorgen den Schlaf rauben, die ganz persönlichen Ängste, Nöte und Einsamkeiten jetzt in der Corona-Pandemie genauso wie die globale Sorge über die Klimaerwärmung mit all ihren Folgen: Dürre, Hunger, Flucht und Kriege?

 

Paulus erinnert uns daran: „Ihr alle seid Kinder des Lichts und des Tages.“ Auch wenn ich wach und nüchtern die Probleme in der Welt und in meinem Leben in Angriff nehmen soll –die Sorgen darüber sollen mir nicht komplett den Schlaf rauben. Im Licht von Jesus Christus kann ich all das Schwere und Belastende ertragen und immer wieder neue Perspektiven und Lösungsansätze entdecken. Denn Jesus Christus ist für mich gestorben und auferstanden. Deswegen bin ich ein Kind des Lichts, und die Dunkelheit kann mich nicht schrecken – trotz allen ungelösten Problemen, Sorgen und Belastungen. Auch wenn immer wieder das Böse und der Tod seine Macht in unserer Welt zeigt, so wie jetzt in Form eines kleinen Virus. Das alles wird nicht das letzte Wort haben, sondern Jesus Christus. Sein Tag wird kommen und den Grauschleier von unserer Seele nehmen. So wie die Sonne die Dunkelheit durchbricht an einem Sommermorgen am Meer, und die grauen Sandkörner funkeln lässt wie Gold.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer              

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 21. Sonntag nach Trinitatis, 01. November 2020

 
Einspielen „By the rivers of Babylon..“

 

Liebe Gemeinde,

 

Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen an diesen Song, der in den 1980er Jahren wochenlang auf Platz 1 in den  Charts war.  Der Text dieses Songs ist der Anfang von Psalm 137.
„An den Flüssen Babylons saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.
Doch die Feinde,  die uns verschleppt hatten aus der Heimat, verlangten von uns auch noch Jubellieder.
Wie könnten wir Lieder zur Ehre Gottes singen im fremden Land?“
Es ist der Klagepsalm der Israeliten, die 597 v. C. von der feindlichen Großmacht der Babylonier  aus Jerusalem verschleppt wurden. Sie wurden zwangsumgesiedelt und zum Leben in der Fremde gezwungen. Und nun sitzen sie da – am Euphrat und am Tigris -… und weinen. Voller Sehnsucht nach der Heimat, dem Gelobten Land, der goldenen Stadt Jerusalem mit dem Berg Zion. Sie trauern der guten alten Zeit nach. Sie vermissen ihre Heimat, ihr Heiligtum, ihren Tempel. Ja, wenn sie wieder in der Heimat wären, dann könnten sie Lieder singen und beten. Und lachen und leben. Aber doch nicht hier, in Babylon, in der Fremde, im Feindesland!

 

Und dann kommt ein Brief aus der Heimat, aus Jerusalem. Jeremia hat ihn geschrieben. Ich lese unseren heutigen Predigttext aus Jer. 29, 1-14

 

Liebe Gemeinde,
wie gut, wenn es in einer schwierigen Situation ein Zeichen der Anteilnahme gibt, wenn deutlich wird, dass jemand an einen denkt. 
Gott denkt an die Israeliten, das macht der Brief Jeremias deutlich. Auch wenn sie sich immer wieder von ihm abgewandt haben, so ist es ihm nicht egal, wie es ihnen geht. 
Die Israeliten haben sich sicher über Post aus Jerusalem gefreut. Aber was sie dann lesen mussten dürfte sie überrascht haben.  Sie hatten so sehr gehofft, bald wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Und was lesen sie da: „Baut Häuser, pflanzt Gärten, nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter,… mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet….“ Kurz gesagt: Richtet euch auf einen längeren Aufenthalt ein.
Akzeptiert eure gegenwärtige Situation und macht das Beste daraus. Trauert nicht den alten Zeiten nach, sondern gestaltet die Gegenwart.Setzt euch da, wo ihr jetzt wohnt, dafür ein, dass man dort gut leben kann. Integriert euch zum Wohle der Stadt. Und v.a. betet für sie, betet für sie zu eurem Gott, damit es ihr und somit auch euch gut geht.
Für die Israeliten, die meinten, Gott sei nur in Jerusalem zu finden und nur dort könne man zu ihm beten, ist das ein revolutionär neuer Gedanke. Gott ist doch da, auch in der Fremde, sogar in Babylon, in dieser vermeintlich so gottlosen Stadt.
Suchet der Stadt Bestes und betet für sie. Was könnte das für uns in Zeiten von Corona bedeuten?
Wir leben zwar nicht im Exil, aber doch in einer Art Gefangenschaft. Viele unter uns trauern auch um ihr altes Leben – ich tue es jedenfalls.
Ich halte die Regelungen zur Eindämmung der Pandemie für richtig und dennoch:
Mir fällt es sehr schwer, dass wir unsere Kinder und Enkel gerade nicht so häufig treffen können.
Mir fehlt das Singen in unserem Chor.
Ich fände es schön, wenn ich nicht dauernd überlegen müsste, ob ich jemanden treffen kann und v.a. würde ich sehr gerne wieder Gottesdienste ohne Mundschutz feiern, Gottesdienste, in denen ich keinen  Abstand halten muss und in denen ich wieder fröhlich singen kann.
Welchen Brief würde Gott uns heute schreiben?  Oder gilt dieser Brief des Jeremia auch uns heute?
Sicher gilt auch für uns: Suchet der Stadt Bestes und betet für sie!
Aber vielleicht auch:
Geht kreativ mit dieser Situation um.
Seid dankbar, dass ihr gesund seid.
Seid dankbar für die modernen Telekommunikationsmöglichkeiten, mit denen ihr Kontakt halten könnt.
Seid dankbar für Freunde, Nachbarn, Familienangehörige, die sich um euch kümmern.
Seid dankbar für ein leistungsfähiges Gesundheitswesen.
Vielleicht aber auch:
Überlegt mal, was gerade falsch läuft, in der Gesellschaft, in den Schulen, in der Wirtschaft aber auch in unseren Kirchengemeinden.
Die Kirchen mussten ja im Frühjahr viel Kritik einstecken: sie seien während der Pandemie abgetaucht, hätten alte Menschen in den Seniorenheimen und Sterbende allein gelassen.
Mich hat ein Artikel in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ vom 26. März sehr beeindruckt. Dort wurden die Namen der katholischen Priester abgedruckt, die in Norditalien gestorben sind, weil sie sich um  Menschen gekümmert haben, die mit Covid 19 infiziert waren – bis zu diesem Tag mehr als 50.

 

Julian Urban, 38, Arzt aus der Lombardei schreibt folgendes:
„Vor neun Tagen kam ein 75 Jahre alter Priester zu uns. Er war ein freundlicher Mann, hatte ernsthafte Atemprobleme, brachte aber eine Bibel mit. Es beeindruckte uns, dass er sie den anderen vorlas und den Sterbenden die Hand hielt.
Wir waren alle zu müde, entmutigt, psychisch und physisch fertig, um ihm zuzuhören. Jetzt aber müssen wir es zugeben: Wir Menschen sind an unsere Grenzen gekommen. Wir sind erschöpft, wir haben zwei Kollegen, die gestorben sind, andere von uns wurden infiziert. Wir müssen erkennen, dass wir Gott brauchen. Wir bitten ihn nun um Hilfe, wenn wir ein paar freie Minuten haben. Wir reden miteinander und können es noch nicht glauben, dass wir als Atheisten jetzt jeden Tag auf der Suche nach Frieden sind. Dass wir den Herrn bitten, uns zu helfen, uns Kraft zu schenken, damit wir uns um die Kranken kümmern können.
Gestern ist der 75-jährige Priester gestorben. Obwohl es in unserem Krankenhaus innerhalb von drei Wochen über 120 Todesfälle gab und wir alle erschöpft und verstört sind, hat es dieser Priester trotzdem geschafft, uns einen FRIEDEN zu bringen, den wir nicht mehr zu finden hofften.“
Suchet der Stadt Bestes … Dieser Priester hat dies sicherlich getan.

 

… und betet für sie:
Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten,
so schrieb der Dichter Reinhold Schneider 1936 angesichts der immer brutaler auftretenden Nationalsozialisten.
Die Christen in der ehemaligen DDR haben dies beherzigt. Die Montagsgebete führten schließlich zum unblutigen Umsturz des damaligen DDR Regimes.
In Tuttlingen haben wir von unseren Pfarrern Ende März ein Corona – Abendgebet bekommen, in dem wir gezielt für alle, die unter dieser Situation leiden, beten können.
Vielleicht erinnern Sie sich auch an die Aktion „Deutschland betet gemeinsam“, an der sich Ende März ganz viele christliche Kirchen beteiligten, weil allen klar war, dass wir dringend auf Gottes Hilfe angewiesen sind.
Angesichts der steigenden Infektionszahlen überall auf der Welt, angesichts der Unsicherheiten in Bezug auf Medikamente und einen Impfstoff, gilt für mich weiterhin:
Lasst uns für die Politiker und Politikerinnen beten, dass sie weise Entscheidungen zum Wohle des Landes treffen,
Lasst uns  für das Krankenhauspersonal beten,
 Lasst uns für die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beten, die an Impfstoffen und Medikamenten forschen.
Lasst uns für die Menschen beten, die an Covid 19 erkrankt sind und um ihr Leben ringen.
Wir sind nach wie vor dringend auf Gottes Hilfe angewiesen.
Im Frühjahr ging eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft  durch unser Land.  Das war sicher eine positive Begleiterscheinung dieser Pandemie. Ich würde mir solch eine Solidarität und Hilfsbereitschaft auch weiterhin wünschen. Sie wäre sicher im Sinne von „Suchet der Stadt Bestes“!

 

Was sagt Jeremias Brief uns sonst noch?
Ganz sicher gilt auch für uns:
„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, … Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass  ich euch gebe Zukunft und Hoffnung,“
Für ‚Frieden steht‘ im Urtext das Wort ‚Shalom‘.  Gott kündigt Shalom an:   Unversehrtheit und Heil. Nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück  sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit, Frieden und Ruhe, 
Selbst unter solch widrigen Umständen wie dem Exil leuchtet Gottes Liebe auf.
Ich denke, die Israeliten damals waren über die Aussicht, weitere 70 Jahre im Exil  leben zu müssen, nicht begeistert. Die wenigsten hatten die Aussicht, die so heiß ersehnte Heimkehr nach Jerusalem noch zu erleben.
Was bedeutet dann diese Zusage Gottes für die Exilanten damals?
Was bedeutet sie für uns heute?
Sie kennen sicher den Spruch „Es ist  besser ein Licht zu entzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen“.
Diese Zusage Gottes war solch ein Licht inmitten der Dunkelheit des Exils, sie gab Hoffnung und ermutigte zum Durchhalten. „Auch in der Fremde bin ich bei euch und möchte, dass es euch gut geht. Und ich verspreche euch, dass eure Leidenszeit ein Ende haben wird.“
Diese Zusage Gottes ist für mich auch solch ein Licht inmitten der Dunkelheiten unserer Zeit.
In der Welt gibt es Naturkatastrophen und von Menschen gemachte Katastrophen, aber Gott begleitet uns in solchen Katastrophen. Ich denke, wir können gerade in schwierigen Zeiten immer wieder Spuren der Liebe und Begleitung Gottes entdecken.
Und er gibt uns die Hoffnung, dass am Ende alles gut wird, dass auch diese Leidenszeit zu Ende gehen wird.
Als Christinnen und Christen glauben wir an den auferstandenen Jesus Christus, der den Tod besiegt hat.
Als Christinnen und Christen glauben wir an den auferstandenen Jesus Christus, der versprochen hat jeden Tag bei uns zu sein bis ans Ende der Zeit. 
Und als Christinnen und Christen glauben wir an eine Zukunft in der neuen Welt Gottes, in der endlich alle Tränen abgewischt sind und Not, Leid, Geschrei und der Tod ein Ende haben werden, an eine Zukunft, in der der Zustand des ‚Shalom‘ verwirklicht sein wird.
In einem Liedvers heißt es:
Du, Herr, heißt uns hoffen und gelassen vorwärts schau‘n.
Deine Zukunft steht uns offen, wenn wir dir fest vertrau‘n.
Amen!
Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zur Konfirmation am Sonntag, 25. Oktober 2020

Psalm 103,1-13: Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler. Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden. Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht für immer hadern noch ewig zornig bleiben. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten. So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.

Liebe Mitchristen,

„Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“ So heißt es in Psalm 103. Gott ist wie ein Vater. An vielen Stellen in der Bibel ist Gott so beschrieben. Ja, auch in dem Bibeltext, der in jedem christlichen Gottesdienst gemeinsam miteinander gesprochen wird, in dem Gebet, das Jesus Christus uns geschenkt hat. Dieses uns allen vertraute Gebet beginnt mit dem Wort Vater: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Keine Vorstellung von Gott ist uns vertrauter als die von Gott als Vater. 

Ist das also nicht einfach selbstverständlich, dass wir Gott so sehen? Gott unser Vater. Dieses Thema hat unser heutiger Konfirmationsgottesdienst. Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden habt ein Fragezeichen hinter dieses Thema gemacht. Gott – unser Vater? Ihr Jugendliche stellt Fragen, und das ist gut so. Fragen, die uns Erwachsene zum Nachdenken bringen. Auch über das, was uns längst selbstverständlich geworden ist. Auch über das, von dem wir denken, das kann oder sollte man nicht in Frage stellen: Gott – unser Vater? Wenn ihr hier euer Fragezeichen setzt, dann heißt das nicht, dass ihr Gott in Frage stellen wollt. Es ist das genaue Gegenteil davon. Ihr wollt Gott nicht in Frage stellen. Ihr wollt Gott ernstnehmen in seiner Größe und Unbegreiflichkeit. Ihr wollt uns daran erinnern, was auch in der Bibel steht: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“ (2. Mose 20,4). 

Jede Vorstellung, die wir uns von Gott machen, ist so ein Bildnis. Auch die Vorstellung von Gott als Vater. Ihr habt Recht, wenn ihr sagt: Gott ist nicht einfach nur so wie ein Vater, und wenn ich das so akzeptiere, dann habe ich Gott verstanden. Damit werden wir Gott nicht gerecht, und den Menschen auch nicht – auch nicht den menschlichen Vätern. Gott ist doch Gott. Und ein Vater ist ein Vater. Mein Vater ist ein Mensch wie ich. Ein ganz besonderer Mensch, ein Mensch, der mir wichtig ist und dem ich viel verdanke. Aber lässt er sich wirklich mit Gott vergleichen? Gott, der Himmel und Erde ins Dasein gerufen hat, das ganze Universum mit seinen unendlichen Weiten? 

Gott ist mehr als ein Vater. Gott ist größer als alle Bilder, die wir uns von ihm machen. Und das gilt auch für dieses Bild, für die Vorstellung von Gott als Vater. Es ist nur eine Möglichkeit von vielen, wie wir uns Gott vorstellen und ihm näherkommen können. Die Bibel, die uns sagt: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“ – sie kennt viele solcher Gottesbilder und Gottesvorstellungen. Wenn wir so wollen, ist sie ein ganzes Bilderbuch voller Bilder von Gott. Gott als Vater ist nur eines davon. Auch als Mutter können wir uns Gott zum Beispiel vorstellen. Im Buch des Propheten Jesaja lesen wir, wie Gott den Menschen verspricht: „Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet“ (Jes. 66,13).

Die Bibel, ein ganzes Bilderbuch voller Gottesbilder und das Bibelwort: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“. Das scheint auf den ersten Blick ein großer Widerspruch zu sein. Aber das ist es nicht, ganz im Gegenteil: Gerade weil die Bibel ein ganzes Bilderbuch voller Gottesvorstellungen ist, nur deswegen können wir dieses Gebot überhaupt einhalten: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“. Nur in der Vielfalt der Bilder und Vorstellungen werden wir Gott in seiner Größe gerecht. Denn es hilft ja nichts, wenn wir uns gar keine Vorstellung von Gott machen. Wir sind Menschen. Wir brauchen Vorstellungen von Gott. Ja, Gott selbst will, dass wir uns Vorstellungen von ihm machen. Gott will nicht einfach nur groß und unbegreiflich für uns bleiben. Gott will für uns da sein. So wie ein Vater für seine Kinder da ist. So, wie ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden einen Vater beschrieben habt: Hilfsbereit und manchmal auch streng. Einer, der ist auch in schweren Zeiten für euch da ist. Einer, der für euch sorgt, einer, der euch so akzeptiert, wie ihr seid. 

Ich wünsche euch, dass ihr das in eurem Leben immer wieder erfahren dürft: Gott sorgt für mich und hilft mir. So wie ein guter Vater, so wie eine liebende Mutter. Gottes Segen begleitet mich durchs Leben – in allen Höhen und Tiefen, egal was kommt. Gott ist für mich da. In diesem Glauben wollen wir euch bestärken, heute am Tag eurer Konfirmation.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Konfirmanden-Abendmahlsgottesdienst am Samstag, 17. Oktober 2020

 
1. Könige 19, 4-8: Elia aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

Liebe Mitchristen!

Manchmal geht es einfach nicht mehr weiter. Manchmal kann man einfach nicht mehr. Im Frühjahr musstet ihr, liebe Konfirmanden, eure Konfirmation auf Herbst verschieben, fast von einem Tag auf den anderen. Jetzt ist es Herbst. Jetzt feiern wir eure Konfirmation. Konfirmation unter ganz anderen Bedingungen als ihr euch das gewünscht hättet. Beim Konfi-Tag letzte Woche habt ihr eure Wünsche gesagt: Dass die Konfirmation wie geplant stattfindet, dass man feiern kann. Dass die ganze Familie in die Kirche gehen darf. Nicht alles davon ist möglich. Einigen Verwandten musstet ihr schon absagen für den Konfirmationsgottesdienst, weil wir auf Abstand sitzen müssen und dadurch weniger Plätze haben. Da kann man schon auch mal zu viel kriegen. Irgendwann reicht es auch mal. So wie bei Elia. 

„Es ist genug“, sagt Elia. „Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll.“ Er wollte, dass der Glaube an Gott wieder wird wie früher, dass wieder mehr Leute an Gott glauben. Als das nicht passiert, packt ihn zuerst die Wut und dann die Verzweiflung. Er geht in die Wüste und legt sich unter einen Busch. Dort schließt er die Augen und schläft ein, und wünscht sich dabei, nie wieder aufzuwachen. 

Elia ist so erschöpft, dass er es nicht aus eigener Kraft wieder auf die Beine schafft. Von selber kommt er nicht mehr hoch unter seinem Busch. Er schafft es nicht, diese Wüste zu verlassen. Er braucht Hilfe von außen. Es muss jemand kommen und ihn wachrütteln. Die Bibel sagt, dass es ein Engel Gottes war. Er bringt Elia Brot und einen Krug mit Wasser. „Steh auf und iss!“ sagt der Engel. 

Aber Elia schafft es immer noch nicht wieder auf die Beine. Er isst und trinkt zwar, was ihm gebracht wird, aber zu mehr ist er nicht fähig. Noch einmal muss der Engel zu ihm kommen und ihm zu Essen und zu Trinken bringen. Noch einmal muss er zu Elia sagen: „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Und Elia steht auf. Er isst und trinkt. Er schöpft neue Kraft. Er geht einen neuen Weg, den Weg zu dem Berg, an dem Mose vor langer Zeit die 10 Gebote von Gott bekommen hat. Kein leichter und bequemer Weg ist das. Es ist ein steiniger Weg, es ist ein langer Weg: 40 Tage und 40 Nächte lang. Aber Elia weiß: Er ist nicht allein auf diesem Weg. Gott ist bei ihm. Er gibt ihm die Kraft, die er braucht, um diesen Weg zu gehen.

 „Steh auf und iss, denn du hast einen weiten Weg vor dir!“ Auch wir sind in der Konfirmandenzeit einen Weg miteinander gegangen – einen Weg, der anders war, als wir uns das alle vorgestellt hatten. Und wohin unsere Wege uns in Zukunft führen werden, wissen wir auch nicht wirklich. „Ich hoffe, dass mein Glaube an Gott noch stärker wird, dass ich nicht aufhöre zu glauben.“ Von meinem Glauben erhoffe ich mir: Mut und Zuversicht auch in schweren Zeiten – keine Gefühle von Einsamkeit.“ Das sind Gedanken von euch Konfirmanden, wie ihr sie am Konfi-Samstag letzte Woche gesagt habt. 

Ja, auch ihr habt einen weiten Weg vor euch – so wie Elia in unserer Geschichte. Vieles liegt wohl noch im Nebel, und wir wissen nichts darüber. Manches Wegstück scheint vielleicht recht steinig und mühsam zu sein, oder auch einfach nur weit. Sicher gibt es auch schöne und angenehme Wegstücke, die sich jetzt vielleicht schon abzeichnen.

„Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“ Wir sind heute eingeladen, uns von Gott stärken zu lassen für den Weg der vor uns liegt. Brot und Traubensaft steht für uns bereit – das Brot des Lebens und der Kelch des Heils. Auch wenn es nur ein kleiner Bissen Brot ist und ein kleiner Schluck Traubensaft: Es reicht aus als Stärkung für den weiten Weg der vor uns liegt, denn es ist Jesus Christus selbst, der sich uns schenkt in Brot und Traubensaft. Er nimmt uns unsere Last ab. Er ist für uns gestorben und auferstanden. Er kennt das Leben mit seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten. Auf ihn können wir uns verlassen, heute und in Zukunft.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis, 11. Oktober 2020



5. Mose 30, 11-14: Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Liebe Mitchristen!

Erinnern Sie sich noch, wie es war, als Sie in jungen Jahren in der Schule oder im Konfirmandenunterricht die 10 Gebote auswendig gelernt haben? Mir ist das Auswendiglernen eher leicht gefallen in meiner Jugend. Da hat es mir an sich nichts ausgemacht, dass wir damals im Konfirmandenunterricht viel auswendig gelernt haben, mehr als heute. Trotzdem gab es da Lerntexte, die ich lieber gelernt habe als andere: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen.“ Oder: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Diese Texte mochte ich gerne. Da war für mich etwas spürbar von Gott und seiner Liebe zu mir. Andere Texte erschienen mir eher trocken: „Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen.“ Das erschien mir schon alles wichtig und richtig. Aber Freude am Auswendiglernen dieser Texte hatte ich nicht so sehr. Ich bin nicht wirklich warm geworden mit diesen Bibelworten. „Du sollst nicht!“ Das klingt eben wenig einladend. 

Unser Predigttext klingt da anders. Gott gibt Gebote, und wir sollen sie halten. Das ist die Grundvoraussetzung auch von diesem Bibelwort. Ein Bibelwort, das in eine schwierige Zeit gesprochen wurde. Die Israeliten waren aus der Gefangenschaft in Babylon zurückgekehrt und mussten in ihrer alten Heimat nun ganz neu anfangen. Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Und jetzt auch noch Gottes Gebote mit ihrem „Du sollst nicht“. Das kann einem doch auch mal alles zu viel werden. 

Das kann einem doch auch mal alles zu viel werden. So geht es uns heute auch immer mal. Die Infektionszahlen gehen wieder hoch, es drohen neue Einschränkungen, damit sich die Pandemie nicht weiter ausbreitet. Klare Vorgaben, die uns sagen: Du sollst nicht, du darfst nicht. 

Unser Predigttext spricht in eine solche Situation, in der es Menschen zu viel wird: „Das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.“ Es ist nicht schwer, so zu leben, wie Gott es möchte, sagt uns der Predigttext. Gottes Gebote sind einleuchtend. Sie sind nicht weit hergeholt. Es ist absolut naheliegend, was Gott von uns will: Gott lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Uns gegenseitig lieben, denn wir haben ein Bedürfnis nach gemeinsamem Leben. Respekt und Würde beachten. Jedem sein Recht und seine Freiheit gönnen. Sich nicht davonstehlen, ehrlich zueinander sein, die Eltern ehren, sich an dem, was den Anderen gehört und gelingt, freuen ohne Neid und Habgier. 

Das alles ist wirklich nicht weit hergeholt. Es ist wirklich nicht wie eine Botschaft von einem anderen Stern, die mit uns hier nichts zu tun hat. Nein – was Gott hier von uns will, das ist völlig naheliegend. Wir alle wissen ja im Grunde: Diese Regeln brauchen wir für ein gutes Zusammenleben. Und es ist gut, dass ich sie in meiner Jugend auswendig gelernt habe. So trage ich sie in meinem Herzen – by heart, wie man auf Englisch sagt. 

Es ist auch nicht zu viel verlangt, was in Gottes Geboten steht. Es ist möglich und machbar, dass ich diese Gebote als Richtschnur für mein Leben verwende. Ich kann mich an diese Gebote halten – so wie an einem Seil, das mir Halt gibt in steilem Gelände. So nahe sind mir Gottes Gebote, und so verlässlich sind sie. Ich brauche dafür keine geistigen oder geistlichen Höhenflüge. Ich muss dafür nicht erst ins Kloster gehen oder jahrelang Theologie studieren. Es geht auch so. Hier, in meinem ganz normalen Alltag. Es geht dann, wenn ich mich auf Gott verlasse: Gott, der mich liebt und es gut mit mir meint. Dann kann ich es auch gut mit anderen meinen, mit meinen Mitmenschen.

Dann kann ich darüber nachdenken, was das Gebot „Du sollst nicht töten“ mir heute bedeuten könnte. Vielleicht doch auch, dass ich mir lieber einmal mehr die Hände wasche und manche Einschränkungen in Kauf nehme, um die Schwachen zu schützen? Wenn ich es so sehe, dann tue ich das nicht aus Zwang, weil es mir von oben vorgeschrieben wird. Nicht, weil es irgendwo heißt: „Du sollst nicht, du darfst nicht.“ Dann tue ich das aus Liebe. Nur die Liebe zählt. Und die Liebe kommt von Gott. Er hat uns zuerst geliebt. Dir zuliebe, Gott, halte ich mich an Regeln und Gebote. Und wenn sie von dir kommen, dann sind sie nicht zu hoch für mich. Denn du mutest mir nicht mehr zu, als ich tragen kann. Auch nicht in schwierigen Zeiten. 

Auch in schwierigen Zeiten sind wir so frei und feiern jeden Sonntag die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus, in dem uns Gott seine Liebe gezeigt hat. Deshalb sind wir nicht arm dran, sondern gut dran. Weil wir so Vieles haben, wofür wir Gott dankbar sein können: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ Weil wir uns darauf verlassen können, dass Gott uns durchs Leben begleitet und für uns sorgt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Erntedankfest, 4. Oktober 2020

Markus 8, 1-9: Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.

Liebe Mitchristen!

Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Sie so ganz in eine Tätigkeit vertieft waren, dass Sie darüber die grundlegendsten Dinge des Lebens vergessen haben – Essen und Trinken? Manchmal geht es mir so, wenn ich eine Aufgabe zu bewältigen habe, die mich schon lange beschäftigt. Auf einmal habe ich die Idee, wie sich das Ganze anpacken lässt. Das lässt mich dann nicht los, und ich bin ganz bei der Sache. Alles andere tritt in den Hintergrund. Den Hunger spüre ich nicht, obwohl längst Essenszeit wäre. 

Als die Menschen zu Jesus gekommen sind und erlebt haben, wie er von Gott erzählt und Kranke geheilt hat, da muss es ihnen wohl so ähnlich gegangen sein. Sie waren ganz bei der Sache. Was Jesus ihnen zu sagen hatte, war ihnen so wichtig, dass sie nichts davon verpassen wollten, kein einziges Wort. Es kam für sie überhaupt nicht in Frage, von ihm wegzugehen nur um irgendwo etwas zu Essen zu besorgen. Drei Tage geht das so. Drei Tage sind sie ganz bei Jesus, und den Hunger spüren sie nicht. Die Worte, die Jesus zu ihnen sagt, sind ihnen wichtiger als Brot. Aber Jesus macht sich Sorgen um die Menschen. Da gibt es einige, die sind von weither gekommen, um ihm zuzuhören. Wenn sie jetzt nichts zu essen bekommen, dann schaffen sie den weiten Heimweg nicht mehr. Dann brechen sie unterwegs zusammen und sterben. Jesus lässt das nicht kalt. Es tut ihm weh. Er zeigt Mitgefühl. 

Mitgefühl für die Menschen, die nichts zu essen haben, das können wir hier von Jesus lernen. Millionen von Menschen leiden Hunger. Trotz aller wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fortschritte haben wir es nicht geschafft, das Problem des Hungers in der Welt zu lösen. Dabei ist der Hunger kein unlösbares Problem. Die Welternährungsberichte der Vereinten Nationen machen deutlich: Die Ernährung der Weltbevölkerung ist eine Frage der Verteilung. Die vorhandenen Nahrungsmittel reichen, um die Menschheit zu ernähren.

„Wie viele Brote habt ihr?“ fragt Jesus seine Jünger. Es ist eine Frage, die einen beunruhigen kann. Hier will einer buchstäblich ans Eingemachte, an meine Vorräte, die ich für mich selber zurückgelegt habe. Und ich muss mich fragen: Wie viel brauche ich wirklich zum Leben? Wann ist es eigentlich genug? Wann sollte ich auch mal zurückstecken und überlegen: Brauche ich diese Freiheit wirklich, die auf Kosten anderer geht? Brauche ich diese Mobilität, die auf Kosten des Klimas geht? 

„Wie viele Brote habt ihr?“ fragt Jesus. Und er meint damit: Es ist genug für alle da. Wir alle wissen, wie schwer das ist, dieses Vertrauen, dass das Wenige für alle reichen wird. Wir wissen jetzt, wie es ist, wenn im Supermarkt manche Regale leer bleiben. Aber auch das haben wir in den Krisenmonaten erlebt: Wir konnten den Nachbarn noch aushelfen mit dem Mehl. Und mit den Intensiv-Betten Menschen aus Frankreich versorgen. Und wir entdeckten plötzlich in den eigenen Regalen im Keller noch ungeahnte Schätze. „Wie viele Brote habt ihr?“ Vielleicht haben nicht nur die Jünger, sondern auch die anderen Menschen mal in ihren Taschen nachgeschaut und entdeckt: Da ist ja noch ein Stück Brot. Ich lege es zu den anderen dazu. So genau wissen wir das nicht. Das Markusevangelium erzählt es uns nicht. Etwas Anderes ist Markus wichtiger: Der Dank. Dankbar sein, auch für das Wenige. Dankbar sein, auch wenn Manches anders gekommen ist als wir uns das vorgestellt haben. 

Können wir dankbar sein in diesem Jahr? Viele Menschen sind in wirtschaftliche Not geraten durch die Corona-Pandemie. Die Zukunft ist ungewiss. Und doch: Auf den Feldern und in den Gärten reifen die Früchte. Zeit fürs Erntedankfest, Zeit zum Innehalten und Feiern. Passt das jetzt überhaupt? In unserer Geschichte könnte man meinen, dass das Danken jetzt nicht passt, wo die Menschen doch schon fast zusammenbrechen vor Hunger. Aber Jesus nimmt sich die Zeit für ein Dankgebet zu Gott: „Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern.“ Er nimmt das wenige, was da ist, hält es Gott hin, spricht darüber den Segen und teilt es unter die Leute. 

Heute an Erntedank haben wir beides im Blick: das Danken und den Segen. Von beidem lebt unsere Kirche. Nicht umsonst hat das Abendmahl für uns eine zentrale Bedeutung: „Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten ward und mit seinen Jüngern zu Tische saß, nahm er das Brot, sagte Dank und brachs, gabs seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset.“ Jesus Christus – er selbst ist dieses Brot. Er selbst ist mitten unter uns in Brot und Wein, in der Feier des Abendmahls.  

Jesus Christus will uns nicht hungrig unseren ganz persönlichen Weg antreten lassen. Dazu ist dieser auch viel zu weit und zu unüberschaubar, gerade jetzt in der Coronakrise. Jesus Christus hat sein Leben gegeben, auch für unsere Sünden, für unseren Hunger, gegen unsere Ängste. Damit wir dankend leben und weiterziehen können. Er lebt und hilft allen, die ihm vertrauen. Wer den Hunger nach Leben verspürt, der ist bei Gott immer herzlich willkommen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis, 27. September 2020

2. Tim 1,5-11: Paulus schreibt an Timotheus: Ich habe deinen aufrichtigen Glauben vor Augen, denselben Glauben, der schon in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike lebte und der nun – da bin ich ganz sicher – auch in dir lebt. Darum ermahne ich dich: Lass die Gabe wieder aufleben, die dir geschenkt wurde, als ich dir die Hände auflegte! Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Bekenne dich also offen und ohne Scheu zur Botschaft von unserem Herrn! Schäme dich nicht meinetwegen, weil ich für ihn im Gefängnis sitze, sondern sei bereit, mit mir für die Gute Nachricht zu leiden. Gott gibt dir die Kraft dazu. Er hat uns gerettet und uns dazu berufen, ihm ganz als sein Eigentum zu gehören – nicht wegen unserer guten Taten, sondern aus seinem eigenen freien Entschluss. Ihm gehören wir aus reiner Gnade, wie er sie uns durch Jesus Christus geschenkt hat schon vor aller Zeit. Jetzt aber ist diese Gnade offenbar geworden, als Jesus Christus, unser Retter, auf der Erde erschien. Er hat dem Tod die Macht genommen und das unvergängliche Leben ans Licht gebracht. Darum geht es in der Guten Nachricht, die ich als Apostel und Lehrer öffentlich bekannt zu machen habe. (Übersetzung: Gute Nachricht)

 Liebe Mitchristen!

 „Komm schon, trau’ dich!“ Der Junge steht auf dem Drei-Meter-Brett im Schwimmbad. Er ist der letzte, der noch springen muss. Alle anderen haben es bereits hinter sich, feuern ihn vom Beckenrand an. Drei Meter hoch ist das Sprungbrett, das Wasser darunter noch einmal mindestens ebenso tief und kristallklar. Man sieht den Grund, hat das Gefühl, es geht viel tiefer herunter. Der Junge hat Angst, würde am liebsten umkehren, will sich aber nicht blamieren. Die anderen sind schließlich auch alle gesprungen; er wäre der einzige. „Komm schon, trau’ dich!“ ruft ihm sein Freund vom Beckenrand zu. Der Sprung vom Drei-Meter-Brett gilt als „Mutprobe“. Er ist nicht gefährlich, wenn man ordentlich schwimmen kann, aber es erfordert beim ersten Mal Überwindung, sich ins Wasser fallen zu lassen. Die meisten tun das auch. Sie springen einfach. Und wer sich nicht traut, der klettert eben wieder herunter. Anfangs ist das vielleicht peinlich, später lacht man darüber.

Vor vielen Jahren habe auch ich mit zitternden Knien auf dem Sprungturm gestanden, vielleicht ist es euch auch schon so gegangen. Und vielleicht denkt ihr auch – genau wie ich heute: „Meine Güte, könnte ich doch jede Angst so einfach überwinden, wie diese Angst vor dem Sprung!“ Denn mit dem, was uns heute plagt, werden wir nicht immer so schnell fertig. Und oft haben wir auch nicht die Möglichkeit, einfach umzukehren und dem, was uns Angst macht, einfach den Rücken zu kehren, wie wenn wir den Sprungturm über die Treppe verlassen. Was hilft in der Angst? Ein guter Freund kann da helfen. So wie damals auf dem Sprungbrett. „Komm schon, trau’ dich!“ ruft der Freund von unten. Das hilft. Der Junge da oben auf dem Sprungbrett schließt die Augen und springt. 

Trau dich, zu Jesus zu gehören. Hab keine Angst davor. Und es muss dir auch nicht peinlich sein, dass du Christ bist. Das ist die Botschaft von unserem Predigttext heute. Er stammt aus einer Zeit, als es wirklich gefährlich war, Christ zu sein. Viel gefährlicher als ein Sprung vom Drei-Meter-Brett. Denn die ersten Christen wurden verfolgt und unterdrückt. In unserem Predigttext wird das ganz deutlich, was das bedeutet: Paulus sitzt im Gefängnis, weil er Christ ist und anderen von seinem Glauben erzählt hat.  Timotheus trifft es hart, dass Paulus im Gefängnis sitzt. Paulus ist ihm wichtig, er ist ein guter Freund von ihm. Timotheus ist einiges jünger als Paulus. Er ist ein Mitarbeiter von Paulus. Für ihn ist Paulus ein Vorbild, fast so etwas wie ein Vater. Wird Paulus wieder freikommen oder wird er hingerichtet werden? Timotheus macht sich Sorgen. Und er hat auch seine Zweifel. Er fragt sich: Ist das wirklich der richtige Weg für mich, dass ich zu Jesus und zur christlichen Gemeinde gehören will? Sollte ich mich nicht lieber fernhalten von der christlichen Gemeinde? Das ist doch alles viel zu gefährlich. Man riskiert ja sein Leben, wenn man Christ ist. Ist es das wirklich wert? 

Timotheus ist in einer christlichen Familie aufgewachsen. Seine Großmutter Lois und seine Mutter Eunike haben ihm von Jesus erzählt und mit ihm gebetet. Aber jetzt ist er an dem Punkt, wo er merkt: Ich muss das für mich selber entscheiden, ob ich zur christlichen Gemeinde gehören will. An dem Punkt seid ihr jetzt auch, liebe Konfirmanden. Ihr habt schon viel vom christlichen Glauben gehört. In eurem Leben gibt es auch solche Menschen wie Paulus, Lois und Eunike. Menschen aus eurer Familie: Eure Eltern und Großeltern. Eure Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Menschen aus der Gemeinde, die ihr kennt, zum Beispiel von Konfi 3. Es ist gut, dass ihr schon als Kinder mit hineingenommen wurdet in den christlichen Glauben, dass ihr schon von klein auf zu unserer Gemeinde gehört. Aber jetzt seid ihr keine Kinder mehr. Ihr seid jetzt Jugendliche und trefft mehr und mehr eure eigenen Entscheidungen. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob ihr weiter als Christen leben und zur Gemeinde gehören wollt. 

Und ihr geht dieser Entscheidung nicht aus dem Weg. Ihr macht euch auf den Weg–mittwochs in den Konfirmandenunterricht und heute am Sonntag in die Kirche. Ihr wollt dabeibleiben bei unserer Gemeinde. Ihr wollt mehr erfahren über den Glauben an Gott und über Jesus, von dem man sagt, dass er stärker ist als der Tod. Aber manchmal ist das für euch doch auch wie ein Sprung ins kalte Wasser. Da ist die Bibel, dieses dicke Buch. Und vieles von dem, was da drinsteht, bleibt erstmal geheimnisvoll und unverständlich. 

Wir haben den heutigen Predigttext miteinander gelesen am Mittwoch im Konfirmandenunterricht. Um was geht es in diesem Text? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, wenn man den Text nur einmal gehört oder gelesen hat. Einfacher ist es, bei den Personen anzufangen, die im Text eine Rolle spielen. Die Mutter Eunike, die mit Timotheus gebetet hat, als er noch klein war. Die Großmutter Lois, alt und gebückt. Voller Lebenserfahrung gibt sie ihren Glauben weiter an ihren Enkel. Und natürlich Paulus: Paulus sitzt da und schreibt. Er schreibt einen Brief an Timotheus, der sein Mitarbeiter und sein Freund ist. Paulus macht Timotheus Mut in seinem Brief. Er schreibt ihm: Bekenne dich also offen und ohne Scheu zur Botschaft von unserem Herrn. Schäme dich nicht meinetwegen, weil ich für ihn im Gefängnis sitze, sondern sei bereit, mit mir für das Evangelium zu leiden. 

„Komm schon, trau dich“, sagt Paulus. Und das gilt nicht nur damals für seinen Freund Timotheus. Das gilt auch für uns heute: „Komm schon, trau dich.“ Wage den Sprung ins kalte Wasser. Lass dich nicht abschrecken. Auch wenn du nicht alles verstehst, was in der Bibel steht und was in der Kirche gesagt wird. Auch wenn andere vielleicht sagen: Es lohnt sich nicht, sich damit zu beschäftigen. Denke an die Menschen, die dir von Jesus erzählt haben – deine Eltern, deine Lehrer. Denke daran, wie dir die Hand aufgelegt wurde und du gesegnet wurdest bei deiner Taufe. 

Traut euch, liebe Konfirmanden. Lasst euch wieder die Hand auflegen zum Segen bei eurer Konfirmation. Gott schenkt euch seinen Geist. Er ist immer bei euch. So könnt ihr die Angst überwinden, egal was passiert im Leben. Und vielleicht wird das ja sogar euer Konfirmationsspruch, was Paulus hier seinem Freund Timotheus mit auf den Weg gibt: Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer



Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis, 20. September 2020


1. Mose 2,4b-10+15: Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. 


Liebe Mitchristen!

Stellt euch vor: Ihr habt euch verlaufen in einem sehr großen Wald. Weit und breit ist kein Weg zu sehen, nicht einmal ein Trampelpfad. Die Sonne geht unter, die Abenddämmerung kommt. Der Himmel ist bewölkt. Das Handy hat keinen Empfang. Um euch herum sind nur Bäume. Und jetzt? Wie kommt ihr jetzt wieder aus dem Wald heraus? Einer aus eurer Gruppe sagt: Wir steigen auf den nächsten Berg. Da oben haben wir den Überblick. Aber bis nach ganz oben ist es weit. Bis dahin wird es Nacht sein, dann sieht man gar nichts mehr. Also keine gute Idee. Dann vielleicht auf einen Baum klettern? Aber so wie die Bäume hier im Wald dastehen, funktioniert das auch nicht. Die haben unten gar keine Äste. Dann müssen wir uns eben einen Platz zum Übernachten suchen. Ein Zelt bauen aus Ästen, und die Regenjacke darüberbreiten. Wenn es wieder hell wird, sehen wir weiter. Aber wollt ihr wirklich im Wald übernachten? Es könnte kalt werden heute Nacht. Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit? 

Irgendwo in der Ferne höre ich ein Plätschern. Da ist eine Quelle. Wasser fließt, nur ein kleines Rinnsal. Das ist die Lösung. Denn: Wasser fließt nach unten. Wenn du dem Rinnsal folgst, kommst du zu einem Bach. Wenn du dem Bach mit seiner Strömung folgst, kommst du zu einem Fluss. Und an einem Fluss leben immer Menschen. Da gibt es Dörfer und Städte. Wenn du dich verlaufen hast, dann folge dem Wasser und suche den Fluss. 

Ihr seid auf der Suche nach der Quelle, der Quelle des Lebens. Ihr wollt der Frage nach Gott nicht aus dem Weg gehen, sondern euch auf die Suche nach ehrlichen Antworten machen. Damit ihr wisst, woran ihr euch halten könnt, wenn ihr euch mal verlauft im Leben. 

Als Predigtwort für den heutigen Sonntag haben wir einen Abschnitt aus der Schöpfungsgeschichte gehört. Eine Geschichte, die als Konfliktstoff herhalten muss zwischen den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Orientierungen. Wie war es wirklich, als die Welt entstanden ist und der Mensch? Hat die moderne Wissenschaft recht, oder hat die Bibel doch recht? Ich halte diese Fragestellung für falsch. Das sind falsche Alternativen, die da aufgestellt werden: Bibel oder wissenschaftliche Erkenntnis. Das schließt sich nicht aus. Beides ist wichtig. Beides hat seine Berechtigung. Die Wissenschaft versucht, möglichst objektive Aussagen zu machen über den Anfang der Welt und des Menschen.  

Die Bibel macht es anders. Sie macht in der Schöpfungsgeschichte eine zutiefst subjektive Aussage, eine Glaubensaussage: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen. So hat es Martin Luther in Worte gefasst. Da geht es nicht um eine ferne Vergangenheit, in der die Welt entstanden ist, und mit mir hat das überhaupt nichts zu tun. Da geht es um mich, um mein Leben, das ich heute lebe. Da geht es um die Quelle, aus der ich meine Hoffnung schöpfe, um das, was mir Halt gibt im Leben. Die Bibel will nicht erklären, wie es wirklich war, sie will erzählen, wie es wirklich ist.

Denn: „selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, sind unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt.“ So hat es der Philosoph Ludwig Wittgenstein auf den Punkt gebracht. Schule und Freunde, Gesundheit und Familie, Freiheit und materielle Sicherheit – das sind solche Lebensprobleme, die euch beschäftigen. Um mit unseren Lebensproblemen gut umgehen zu können, brauchen wir Geschichten, an die wir uns halten. Die Bibel ist ein Buch voller solcher Geschichten, Geschichten von Gott und den Menschen. Und ganz am Anfang steht die Schöpfungsgeschichte, die uns daran erinnert: Von Anfang an war da dieser Fluss, dieser Lebens-Strom, dieser Flow Gottes. Er ist älter als alles Leben. Lange bevor es Menschen gab, war er schon da. Und auch heute ist er da, auch für uns. 

Gott ist für den Menschen da, für Adam. Er schenkt ihm das Leben, jedem von uns. Denn: Adam, das ist hier kein Name. Adam, das ist jeder Mensch. Es ist die Bezeichnung für den Menschen an sich. Eine Bezeichnung, die daran erinnert, dass der Mensch von der Erde herkommt. Adama ist der Erdboden, Adam ist der Mensch, den Gott aus diesem Erdboden formt, und dem er seinen göttlichen Lebensatem einhaucht. Gott gab uns Atem, damit wir leben.

So fing Gottes Liebe zu den Menschen an. Davon erzählt diese Geschichte ganz am Anfang der Bibel. Es ist keine abgeschlossene Geschichte, hinter die man einfach einen Punkt setzen könnte, und fertig. Es ist eine Geschichte, die weiter geht, bis in unsere Zeit. So wie die Quelle zum Rinnsal wird, dann zum Bach und schließlich zum Fluss. Und ihr seid jetzt Teil dieser Geschichte. Ihr wollt euch auf den Weg machen. Ihr wollt diesem Wasser des Lebens folgen – Gott, der uns die Richtung zeigt, damit wir uns nicht verirren im Dickicht des Lebens. Unser Leben ist ein Geschenk von Gott. Was wir haben und was wir sind, das verdanken wir Gott. Wer diesen Glauben hat, der kann trotz der Herausforderungen und Ungewissheiten des Lebens gelassen und fröhlich bleiben. 

Wenn du dich verlaufen hast, dann folge dem Wasser und suche den Fluss. Werde still und höre, ob du nicht irgendwo in der Ferne eine Quelle plätschern hörst, die dir den Weg weist und dich an den Ursprung erinnert – an Gott, der die Quelle des Lebens ist. Gott schenke euch Konfirmanden und uns allen wache Sinne und ein offenes Ohr für diese Spuren Gottes in unserem Leben.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer