Psalm 103,1-13: Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler. Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden. Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht für immer hadern noch ewig zornig bleiben. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten. So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.
Liebe Mitchristen,
„Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“ So heißt es in Psalm 103. Gott ist wie ein Vater. An vielen Stellen in der Bibel ist Gott so beschrieben. Ja, auch in dem Bibeltext, der in jedem christlichen Gottesdienst gemeinsam miteinander gesprochen wird, in dem Gebet, das Jesus Christus uns geschenkt hat. Dieses uns allen vertraute Gebet beginnt mit dem Wort Vater: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Keine Vorstellung von Gott ist uns vertrauter als die von Gott als Vater.
Ist das also nicht einfach selbstverständlich, dass wir Gott so sehen? Gott unser Vater. Dieses Thema hat unser heutiger Konfirmationsgottesdienst. Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden habt ein Fragezeichen hinter dieses Thema gemacht. Gott – unser Vater? Ihr Jugendliche stellt Fragen, und das ist gut so. Fragen, die uns Erwachsene zum Nachdenken bringen. Auch über das, was uns längst selbstverständlich geworden ist. Auch über das, von dem wir denken, das kann oder sollte man nicht in Frage stellen: Gott – unser Vater? Wenn ihr hier euer Fragezeichen setzt, dann heißt das nicht, dass ihr Gott in Frage stellen wollt. Es ist das genaue Gegenteil davon. Ihr wollt Gott nicht in Frage stellen. Ihr wollt Gott ernstnehmen in seiner Größe und Unbegreiflichkeit. Ihr wollt uns daran erinnern, was auch in der Bibel steht: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“ (2. Mose 20,4).
Jede Vorstellung, die wir uns von Gott machen, ist so ein Bildnis. Auch die Vorstellung von Gott als Vater. Ihr habt Recht, wenn ihr sagt: Gott ist nicht einfach nur so wie ein Vater, und wenn ich das so akzeptiere, dann habe ich Gott verstanden. Damit werden wir Gott nicht gerecht, und den Menschen auch nicht – auch nicht den menschlichen Vätern. Gott ist doch Gott. Und ein Vater ist ein Vater. Mein Vater ist ein Mensch wie ich. Ein ganz besonderer Mensch, ein Mensch, der mir wichtig ist und dem ich viel verdanke. Aber lässt er sich wirklich mit Gott vergleichen? Gott, der Himmel und Erde ins Dasein gerufen hat, das ganze Universum mit seinen unendlichen Weiten?
Gott ist mehr als ein Vater. Gott ist größer als alle Bilder, die wir uns von ihm machen. Und das gilt auch für dieses Bild, für die Vorstellung von Gott als Vater. Es ist nur eine Möglichkeit von vielen, wie wir uns Gott vorstellen und ihm näherkommen können. Die Bibel, die uns sagt: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“ – sie kennt viele solcher Gottesbilder und Gottesvorstellungen. Wenn wir so wollen, ist sie ein ganzes Bilderbuch voller Bilder von Gott. Gott als Vater ist nur eines davon. Auch als Mutter können wir uns Gott zum Beispiel vorstellen. Im Buch des Propheten Jesaja lesen wir, wie Gott den Menschen verspricht: „Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet“ (Jes. 66,13).
Die Bibel, ein ganzes Bilderbuch voller Gottesbilder und das Bibelwort: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“. Das scheint auf den ersten Blick ein großer Widerspruch zu sein. Aber das ist es nicht, ganz im Gegenteil: Gerade weil die Bibel ein ganzes Bilderbuch voller Gottesvorstellungen ist, nur deswegen können wir dieses Gebot überhaupt einhalten: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott“. Nur in der Vielfalt der Bilder und Vorstellungen werden wir Gott in seiner Größe gerecht. Denn es hilft ja nichts, wenn wir uns gar keine Vorstellung von Gott machen. Wir sind Menschen. Wir brauchen Vorstellungen von Gott. Ja, Gott selbst will, dass wir uns Vorstellungen von ihm machen. Gott will nicht einfach nur groß und unbegreiflich für uns bleiben. Gott will für uns da sein. So wie ein Vater für seine Kinder da ist. So, wie ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden einen Vater beschrieben habt: Hilfsbereit und manchmal auch streng. Einer, der ist auch in schweren Zeiten für euch da ist. Einer, der für euch sorgt, einer, der euch so akzeptiert, wie ihr seid.
Ich wünsche euch, dass ihr das in eurem Leben immer wieder erfahren dürft: Gott sorgt für mich und hilft mir. So wie ein guter Vater, so wie eine liebende Mutter. Gottes Segen begleitet mich durchs Leben – in allen Höhen und Tiefen, egal was kommt. Gott ist für mich da. In diesem Glauben wollen wir euch bestärken, heute am Tag eurer Konfirmation.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer