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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Ostersonntag, 4. April 2021

Mk 16, 1-8: Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Liebe Mitchristen!

Es ist Ostern. Zeit für einen Spaziergang. Noch ist der Frühling nicht spürbar, noch ist es kalt. Noch blühen nur wenige Blumen, und Bäume und Büsche stehen immer noch so kahl da wie im Winter. Aber wer genau hinschaut, der sieht: An den Zweigen sprießen schon die ersten grünen Blätter. Und manchmal ist da auch ein Farbtupfer in all dem kahlen Braungrau: Ein österlich geschmückter Vorgarten – so wie auf unserem Bild der Busch mit dem leuchtend orangeroten Osterei. Mit zwei einfachen Strichen hat jemand ein Kreuz gemalt auf dieses Osterei. Jesus ist am Kreuz gestorben. 

Durchkreuzte Hoffnungen. Das kennen wir auch aus unserem Leben. Da wird uns ein Strich durch die Rechnung gemacht. Unsere Pläne sind gestrichen. „Und dann kam Corona.“ Wie oft habe ich diesen Satz gehört in den letzten Monaten. Wie viele Menschen machen gerade jetzt in dieser Zeit die Erfahrung: Alles kommt anders als geplant. Wir hatten uns unsere Zukunft schon ausgemalt. Wir hatten einen Plan für unser Leben, und es schien uns sonnenklar, dass wir den so umsetzen werden. Aber jetzt ist der Plan durchkreuzt, und einen Plan B haben wir nicht. Wir stehen da mit leeren Händen und wissen nicht weiter. Wir sehen keine Zukunft für uns. 

Ich denke an Maria Magdalena, Maria und Salome. Wie es ihnen wohl gegangen ist am Ostermorgen? Jesus ist tot, auf den sie ihre Hoffnung gesetzt hatten. Mit ihm wollten sie ihre Zukunft verbringen. Jetzt haben sie keinen Plan mehr für ihr Leben, nur noch diesen einen Wunsch: Jesus noch ein letztes Mal sehen, um von ihm Abschied nehmen zu können. Ihm die letzte Ehre erweisen, die Totensalbung, so wie es damals üblich war. 

Ich denke an alle, die in der letzten Zeit einen geliebten Menschen verloren haben. Abschied nehmen von einem geliebten Menschen ist schwer. Noch schwerer ist es, wenn einem der letzte Abschied verwehrt wird. Wenn es nicht möglich ist, den Sterbenden in seiner letzten Stunde zu begleiten. Wenn die Trauerfeier nur in ganz kleinem Kreis stattfindet, und für mich ist da kein Platz mehr, weil ich nicht zu den nächsten Angehörigen gehöre. Wohin mit meiner Trauer? Wo kann ich Abschied nehmen? Oft ist der Friedhof so ein Ort, wo das Grab dieses lieben Menschen ist. Dort kann ich Abschied nehmen, ganz privat und persönlich. 

Ich kann verstehen, dass diese drei Frauen zum Grab gehen am Ostermorgen, um Jesus noch ein letztes Mal zu sehen. Aber auch dieser Plan wird durchkreuzt. Unterwegs fällt den Dreien ein: Da ist doch dieser tonnenschwere Stein vor dem Grabeingang. Nie im Leben schaffen wir das, diesen Stein zur Seite zu wälzen. Merkwürdig eigentlich, dass das den Dreien jetzt erst einfällt. Dass sie überhaupt erst losgegangen sind und sich nicht schon zuhause gesagt haben: „Es hat ja doch keinen Wert, dass wir zum Grab gehen. Da ist doch dieser große schwere Stein. Den kriegen wir sowieso nicht weg. Also lassen wir es. Bleiben wir doch lieber daheim.“ 

Tonnenschwer liegt der Stein vor dem Grab. Manchmal haben wir so einen tonnenschweren Stein auf unserer Seele: „Es hat ja doch keinen Wert. Das kriege ich sowieso nicht hin. Also lasse ich es doch lieber gleich bleiben.“ Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit lähmen mich. Mein Verstand sagt mir: Es gibt keinen Ausweg aus dieser Situation. Meine Phantasie lässt mich im Stich, wenn ich mir eine gute und hoffnungsvolle Zukunft ausmalen will. 

Durchkreuzte Hoffnungen. Das Kreuz, das da jemand mit zwei einfachen Strichen gemalt hat, ist auf ein Osterei gemalt. Ein  leuchtend orangerotes Osterei, das Farbe und Leben bringt in das kahle Braungrau dieses Vorfrühlingstages. In seiner leuchtenden Signalfarbe will mir dieses Osterei sagen: Achtung! Bitte der Umleitung folgen! Nicht da, wo der tonnenschwere Stein den Weg versperrt, geht der Weg weiter. Nicht bei den durchkreuzten Hoffnungen und bei den gestrichenen Plänen. Da, wo du keinen Weg siehst, geht es weiter. Da, wo du noch nicht mal einen Weg vermutet hättest. Durch die Wüste gibt es einen Weg, und durch das trocken gefallene Schilfmeer. So kommt das Volk Israel in das von Gott versprochene Land, wo sie in Frieden und Freiheit leben können. Mach dich auf den Weg, lass dich nicht entmutigen – auch wenn die Sorgen tonnenschwer auf deiner Seele liegen. Auch wenn dein Verstand keinen Ausweg kennt und deine Phantasie keine Ahnung mehr hat, wie das gut enden soll. Mach dich auf den Weg und lass dich überraschen, wohin er dich führt. Mach dich darauf gefasst: Auch dir könnte ein Engel begegnen, der dir sagt: Fürchte dich nicht. Der Gekreuzigte ist auferstanden. Er ist nicht hier, nicht im Grab. Die begrabenen Hoffnungen sind zu neuem Leben erwacht. Gehen wir  unseren Weg, auf den Gott uns stellt!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer 


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Predigt zu Karfreitag, 2. April 2021

Jes 52,13–Jes 53,5: Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten – so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch und seine Gestalt nicht wie die der Menschenkinder – so wird er viele Völker in Staunen versetzen, dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn was ihnen nie erzählt wurde, das werden sie nun sehen, und was sie nie gehört haben, nun erfahren. Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und an wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Liebe Mitchristen!

Karfreitag. Ein dunkler, trauriger Tag. Der Tag der Katastrophe. Jesus wird zum Tod verurteilt. Er wird gefoltert, verhöhnt und gequält. Er wird auf grausame Weise hingerichtet und stirbt einen qualvollen Tod am Kreuz. Jesus Christus: Verachtet, verspottet, von Gott und den Menschen verlassen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In seiner dunkelsten Stunde schreit Jesus zu Gott und stirbt. Für seine Jüngerinnen und Jünger geht die Welt unter an diesem Tag. Es ist wie ein Erdbeben, wie wenn die Sonne sich verfinstert und tiefe Dunkelheit über die Erde kommt. So haben Jesu Jüngerinnen und Jünger es erlebt. So haben sie es später aufgeschrieben im Matthäusevangelium. Und mancher Unbeteiligte hat wohl auch etwas davon gespürt, dass hier etwas Besonderes, etwas Weltbewegendes passiert. „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen,“ sagt der römische Hauptmann, der die Gekreuzigten bewachen muss. Aber dieser Hauptmann bleibt die Ausnahme. Die meisten hatten die kurze Episode mit dem Mann aus Nazareth längst abgehakt. „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg, darum haben wir ihn für nichts geachtet.“ So heißt es im Buch Jesaja über einen unbekannten Diener Gottes. Ein Lied aus einer anderen Zeit ist das. Ein Lied aus einer dunklen Zeit, als das Volk Israel eine Katastrophe erleben musste: Zerstörung, Flucht und Vertreibung nach Babylon, in die Gefangenschaft. 

Vielleicht haben sie einen dieser gequälten Gefangenen vor Augen, als sie dieses Lied schreiben. Vielleicht ihr ganzes Volk Israel. Vielleicht diese Vorahnung: Gott erwählt einen, der ein Nichts ist in den Augen der Menschen. Der, zu dem ich sage: „Du bist Luft für mich!“ „Du bist der letzte Dreck!“ Der, vor dem ich die Augen schließe, wo ich lieber zur Seite blicke und versuche, an etwas Anderes zu denken. Nur nicht mit diesem ganzen Elend konfrontiert werden: Das Flüchtlingsleid in den Zelten und Baracken am Rande von Europa, die Sterbenden auf unseren Intensivstationen, das Elend der vielen Namenlosen, die in dieser Pandemie vereinsamen und nicht mehr weiter wissen. Niemand kann dieses ganze Elend ertragen. Es ist zu entsetzlich. Aber Gott verschließt die Augen nicht. Er stellt uns einen solchen Elenden vor Augen: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden haben. Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Die Jüngerinnen und Jünger haben die Augen verschlossen vor dem Leiden und Sterben Jesu. Fast alle sind weggelaufen. Nur wenige konnten es aus der Nähe ertragen. Dunkel wurde es für sie, die Erde bebte, ihr Weltbild geriet ins Wanken. Jesus stirbt am Kreuz und schreit: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Wie kann das sein?  Jesus Christus, Gottes Sohn? Oder war alles nur ein großer Irrtum? 

Ich stelle mir vor, die Jüngerinnen und Jünger lesen bei Jesaja die Lieder von diesem unbekannten Diener Gottes. Und Zug um Zug tasten sie sich an die Wahrheit des Karfreitags heran. Ihr bisheriges Gottesbild hatte ihnen den Blick verstellt. Langsam, tastend, kommen sie der Wahrheit näher. Langsam, tastend, verstehen sie: Das Entsetzliche – es war de Wille Gottes. Es ist geschehen um der Opfer willen – ja, und auch um der Henker willen. Es ist geschehen um des Friedens willen – ja, und auch um der Friedlosen willen. Langsam, tastend nähern sich die Jüngerinnen und Jünger der Wahrheit. Stück um Stück bröckelt ihr altes Gottesbild, ihr Wunschbild von Gott, ab. Ich stelle mir vor, es ist nicht wie beim Geschenkeauspacken: Dass da immer mehr Freude und schließlich ein frohes Lachen ist. Noch ist es nicht so weit. Noch nicht. Je näher sie der Wahrheit des Karfreitags kommen, umso offener erkennen sie auch die Wahrheit über sich selbst.  

Das, wo wir sonst wegschauen und weglaufen, können wir jetzt in den Blick nehmen: Gott stirbt am Kreuz, Gott ist ganz unten, in den tiefsten menschlichen Abgründen, in der Dunkelheit. Da wo wir es nicht mehr ertragen können. da, wo wir die Augen verschließen, weil es nicht auszuhalten ist. Da ist Gott. Da ist Gott für uns da: In der Dunkelheit, in der Gottverlassenheit. Wir können uns darauf verlassen: Die Gottverlassenheit hat ein Ende.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt zu Gründonnerstag, 1. April 2021


Mt 26, 17-30: Aber am ersten Tag der Ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und sprachen: Wo willst du, dass wir dir das Passalamm zum Essen bereiten? Er sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern. Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und bereiteten das Passalamm. Und am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen. Und als sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln zu ihm zu sagen: Herr, bin ich’s? Er antwortete und sprach: Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich’s, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Liebe Mitchristen,

wir feiern miteinander das Abendmahl. Wir feiern es anders als Jesus und seine Jünger, anders, als wir es gewohnt waren all die Jahre: Auf Abstand, mit Mundschutz und mit Einmalhandschuhen feiern wir. Wir tun alles Menschenmögliche dafür, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Den einen geht das schon zu weit, und sie finden es ungerecht, dass wir als Kirche Gottesdienste feiern dürfen, wo in Kultur und Vereinsleben gar keine Veranstaltungen erlaubt sind. Den anderen reicht das nicht. Sie wollen im Gottesdienst endlich wieder singen, endlich wieder wirklich Gemeinschaft erfahren ohne den trennenden Abstand: Wann ist es endlich so weit, dass wir unser normales Leben wieder leben können? Wann werden wir endlich wieder mit unseren Freunden an einem Tisch sitzen und das Brot teilen, so wie Jesus es mit seinen Jüngern tat? Frustration staut sich auf. Und mit der Frustration kommt auch die Wut: Könnten wir nicht schon viel weiter sein auf diesem Weg, wenn es besser vorangehen würde mit dem Impfen und dem Testen? So kommen wir heute zusammen mit unseren unterschiedlichen Meinungen und Gefühlen, mit unserem Frust und unserer Wut. Und wir sind heute auch verbunden mit all den Menschen aus unserer Gemeinde, die heute nicht gekommen sind, und die ganz unterschiedliche Gründe dafür haben. Jesus lädt uns alle an seinen Tisch. Er lädt uns ein zu seinem Fest, dem Fest der Befreiung. Er ist für uns da, hier in diesem Gottesdienst. Und er ist auch bei denen, die heute nicht mit uns mitfeiern können oder wollen. 

Am Abend vor seinem Tod hat Jesus Christus mit seinen Jüngern zusammen das Passah-Mahl gefeiert. Jesus denkt daran, dass er ans Kreuz gehen und sterben wird. Angst, Wut und Verletztheit treiben ihn um an diesem Abend. So lese ich diesen Text. Jesus hat Angst davor, zu leiden und am Kreuz zu sterben. Aber vielleicht noch schlimmer ist für Jesus, dass einer seiner Jünger zum Verräter wird, einer seiner engsten Vertrauten. „Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre,“ sagt Jesus. Das ist schockierend, dass Jesus das sagt. So redet jemand, der zutiefst verletzt ist. Jemand, der richtig wütend ist in seiner Verletztheit. Frustration, Wut, Verletztheit. Jesus kennt das alles auch. Was hilft Jesus, dass diese Gefühle nicht die Oberhand gewinnen bei ihm? Jesus braucht Zeit dafür. Er braucht die stille Stunde am Ölberg, wo er im Gebet mit Gott ringt und schließlich seinen Frieden machen kann damit, dass sein Weg ans Kreuz führt. Aber schon vorher kann er seinen Jüngern sein Vermächtnis mit auf den Weg geben an diesem Abend vor seinem Tod: „Nehmet, esset, das ist mein Leib. Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ Was hilft ihm, dass er trotz seiner Verletztheit so zu seinen Jüngern reden kann – und wohlgemerkt zu allen seinen Jüngern, auch zu Judas, dem Verräter, dem er kurz zuvor in seiner Wut solche harten Worte gesagt hat? Ich denke an die Geschichte vom Passah-Mahl, das Jesus hier mit seinen Jüngern feiern. Das ist für mich eine Geschichte gegen die Wut und die Frustration. Die Geschichte, wie Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Ich könnte mir vorstellen, dass sie auch Jesus geholfen hat an diesem schweren Abend des Abschieds. 

Die Geschichte von Gott, der retten kann, selbst aus den schwierigsten Situationen. Selbst aus der Sklaverei in Ägypten. Im Vertrauen auf diesen Gott reicht Jesus seinen Jüngern Brot und Wein und sagt: „Nehmet, esset, das ist mein Leib. Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ 

Sünde und Schuld, Frustration und Wut haben nicht das letzte Wort. Auch nicht bei uns, auch nicht nach über einem Jahr Leben unter Pandemie-Bedingungen. Wir dürfen darauf vertrauen: Die Zukunft steht in Gottes Hand. Gott ist für uns da. Im Abendmahl kommt er uns ganz nahe und schenkt uns die Vergebung – neue Hoffnung für jeden neuen Tag. Tragen wir diese Hoffnung weiter – auch an die, die heute nicht mit uns mitfeiern konnten!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Judika

Predigt zum Sonntag Judika, 21. März 2021

Hiob 19, 19-27: Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich liebhatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Liebe Mitchristen!

Hiobsbotschaften – die kennen wir alle in diesen Tagen: Die Infektionszahlen steigen an, die britische Corona-Mutation verbreitet sich weiter, Impfstoff-Liefertermine können nicht eingehalten werden, ein Impfstoff musste zeitweise aus dem Verkehr gezogen werden. Hiobsbotschaften, das sind schlechte Nachrichten. Woher kommt dieses Wort eigentlich? Es kommt aus der Bibel. Die Bibel erzählt von Hiob. Der war ein gläubiger und rechtschaffener Mann, der nichts Unrechtes getan hat. Einer, der es wirklich verdient hätte, dass er mit seiner Familie in Frieden und Freude sein Leben verbringen kann. Er war verheiratet, hatte sieben Söhne und drei Töchter, und ein großes landwirtschaftliches Unternehmen mit zahlreichen Angestellten und vielen tausend Stück Vieh.

Wenn da nur nicht diese Hiobsbotschaften gewesen wären. Eine schlechte Nachricht nach der anderen bringen diese Boten: Zuerst ist es ein Raubüberfall. Alle Rinder und Esel sind gestohlen worden, die Hirten sind tot. Dann eine verheerende Feuersbrunst. Alle Schafe sind verbrannt, die Hirten sind tot. Dann ein feindlicher Angriff. Alle Kamele sind in Feindeshand, die Hirten sind tot. Hiobs ganzer Besitz ist auf einen Schlag weg, alle seine Angestellten sind getötet worden. Doch damit nicht genug. Es kommt noch ein Bote, der eine Hiobsbotschaft bringt: All deine Söhne und Töchter waren zusammen, um zu feiern. Da kam ein Wirbelsturm, und das Haus ist eingestürzt. Sie sind alle tot. So sagt es dieser Bote zu Hiob. Alles weg, alles verloren hat Hiob. Nicht einmal seine Gesundheit bleibt ihm. Hiob wird krank. Sein ganzer Körper ist von Geschwüren bedeckt. Auch seine Frau ist ihm keine Hilfe mehr: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“ So redet sie mit ihm. 

Zum Glück hat Hiob noch Freunde. Drei Freunde kommen ihn besuchen, um mit ihm zu trauern und ihn zu trösten. Ich denke, es müssen wirklich gute Freunde sein, dass sie das machen. Oft machen wir ja einen Bogen um die Menschen, die vom Unglück getroffen sind. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass uns ein so schlimmes Schicksal auch treffen könnte. Und wir sind unsicher: Wie sollen wir mit Jemandem umgehen, der so viel Schweres erlebt hat? Was sollen wir sagen? Ist nicht alles, was wir sagen können, nur billiger Trost, der den Schmerz nur vergrößert? Die Freunde von Hiob kommen ihm nicht mit billigem Trost. Sie halten das Elend mit ihm aus. Sie weinen mit ihm. Sie ertragen es, dass ihnen die Worte fehlen. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie mit ihm auf der Erde und schweigen. Das beeindruckt mich an diesen Freunden.

Hiob selbst ist es, der dieses lange Schweigen bricht. Harte Worte sind es, die aus seinem Mund kommen. Hiob verflucht den Tag, an dem er geboren wurde. Warum bin ich nicht bei meiner Geburt gestorben? fragt er. Dann wäre mir dieses ganze Elend erspart geblieben. Das ist dann doch zu viel für Hiobs Freunde. Jetzt halten sie es nicht mehr aus. Jetzt können sie nicht mehr ruhig bleiben. Jetzt packen sie aus und machen Hiob Vorwürfe. Hiob soll doch mal überlegen, ob er nicht selber Schuld ist an seinem Unglück. Ein heftiger Wortwechsel. Es fliegen die Fetzen zwischen den Freunden. Die Freunde, die eigentlich gekommen sind, um Hiob zu trösten, wenden sich gegen ihn. Hiob fühlt sich von ihnen angegriffen und verletzt. 

Was bleibt Hiob jetzt noch? Es bleibt ihm sein Glaube an Gott. Gott, der ihm nicht geholfen hat, der all dieses Elend nicht verhindert hat. Wie kann Hiob da noch an seinem Glauben festhalten? Aber Hiob wirft seinen Glauben an Gott nicht über Bord. Er hält fest an diesem Glauben, auch wenn er Gott nicht verstehen kann: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Nur weil er mit Gott kämpft, kann Hiob schließlich diese Worte sagen. Nur so kann er an seinem Glauben festhalten. Jetzt in der Passionszeit denke ich an Jesus. An seinen Glaubenskampf im Garten Gethsemane, wo er Gott bittet, den Kelch des Leidens an ihm vorübergehen zu lassen. Auch Jesus wird von seinen Freunden im Stich gelassen. Wie Hiob bringt er seine Klage vor Gott, seine Todesangst, sein Elend und seine Zweifel. Wie Hiob kämpft Jesus mit Gott. Und wie Hiob erlebt er: Gott segnet den, der mit ihm kämpft. Das Gebet Jesu im Garten Gethsemane ändert sich so wie die Klage von Hiob: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe, Gott. So kann Jesus sein Gebet beschließen. So kann er mit neuem Vertrauen seinen Weg gehen, den Weg ins Leiden und ans Kreuz.

Was auch immer kommt, Gott ist bei mir. Auch wenn ich mein Leben nicht verstehe. Auch wenn ich diese Welt nicht verstehe. Ja, auch dann, wenn ich Gott nicht verstehe. Das möchte ich gerne lernen, von Hiob und von Jesus. Den Glauben nicht über Bord werfen in schwierigen Zeiten, sondern Dranbleiben am Glauben, mit Gott kämpfen. Ich bin nicht Hiob, und schon gar nicht Jesus. Aber Gott sei dank ist ihre Rede aufgeschrieben, so wie Hiob es sich gewünscht hat. So kann ich sie immer wieder nachlesen und nachsprechen. So kann ich mich festhalten an diesen Worten. In all den Hiobsbotschaften unserer Zeit brauche ich solche Worte. Worte, die den Hiobsbotschaften etwas entgegensetzen. Worte, die tragfähig sind auch in schwierigen Zeiten: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Predigt zum Sonntag Lätare, 14. März 2021


Joh 12, 20-24: Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Liebe Mitchristen,

Menschen sind zusammengekommen, um ein Fest zu feiern, damals in Jerusalem. Sie feiern das Passahfest. Gott befreit aus dem Elend. Gott weiß einen Weg aus der Auswegslosigkeit. Gott führt heraus aus der Unterdrückung, aus der Sklaverei in die Freiheit. Nicht nur damals, als Israel in Ägypten war. Auch heute, auch im Hier und Jetzt. Das wollen diese Menschen in Jerusalem miteinander feiern. Manche sind von weither angereist deswegen. Sie sind Griechen, aber die Geschichten von dem einen Gott, der die Menschen in die Freiheit führt, haben ihr Herz berührt. Sie sind zum Glauben gekommen, zum Glauben an den einen Gott, den die Juden verehren. Zusammen mit den Juden wollen sie nun dieses große Fest feiern, das Passafest – auch wenn sie nur am Rande dabei sein werden, weil sie als Nichtjuden nur in den Vorhof des Tempels dürfen. Aber selbst das ist ihnen eine so lange Reise wert. Und noch eine Hoffnung haben diese Menschen aus Griechenland in ihrem Reisegepäck mitgebracht: Sie haben von Jesus gehört. Jesus, der die Menschen aufrichtet, Kranke und Gesunde. Jesus, der von dem einen Gott predigt. Seine Worte berühren die Herzen der Menschen. Manche sagen, er sei der Messias, der Gesalbte Gottes. So haben es diese Griechen gehört. Auf griechisch heißt das: Christos. Jesus Christus, so sagen wir heute, als wäre es ein Eigenname. Aber der Name ist Programm: Jesus der Gesalbte Gottes. Und er ist es nicht nur für die Juden, sondern auch für die Griechen, für die Heiden, von denen auch wir herkommen. 

Die Griechen, die damals nach Jerusalem gekommen sind, ahnen etwas davon. Sie wollen Jesus kennen lernen, sie wollen ihn sehen. Sie wenden sich deswegen an seine Jünger: An Philippus und Andreas, die einzigen Jünger, die griechische Vornamen tragen. Sie sind die Vermittler zwischen den Griechen und Jesus. Und Jesus? Geht er überhaupt ein auf den Wunsch der Griechen? Er sagt: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Verherrlicht – dieses Wort verwendet das Johannesevangelium für Jesu Tod am Kreuz. Ich finde das zunächst einmal ziemlich befremdlich. Leiden – das ist doch nichts Schönes, nichts Herrliches. Aber gerade im Leiden zeigt Gott seine Herrlichkeit. In der tiefsten Niedrigkeit wird Jesus erhöht zum Christus, zum Retter für alle Welt. Wer kann das begreifen? Für die Griechen, die damals Jesus sehen wollten, musste das jedenfalls total unverständlich sein. Und auch wir heute müssen das immer wieder neu durchbuchstabieren, um diesem Geheimnis näherzukommen. 

Erst muss die Stunde kommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Jetzt ist es noch zu früh, um wirklich zu verstehen. Die Zeit ist noch nicht reif. Erst kommt das Leiden und das Sterben, die Zeit der Dunkelheit und der Fragen. Erst wenn das alles überwunden ist, an Ostern, erst dann können wir Jesus wirklich kennen lernen als unseren Retter, als den Retter der Welt. Von Ostern her fällt ein Licht in die Dunkelheit unserer Fragen, Sorgen und Mühen. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ 

Ein totes Samenkorn, aus dem neues Leben wächst. Jesus verwendet hier ein Bild, das unser Herz berührt, gerade um diese Jahreszeit, wo wir uns nach dem langen Winter auf den Frühling freuen. Schon sind die ersten Schneeglöckchen und Krokusse zu sehen. Mit diesem neuen Anfang in der Natur spüren auch wir neue Lust am Leben. Mancher freut sich schon auf seinen Garten und plant, was er dort pflanzen und säen wird. Manche, deren Herz so schwer war, hebt den Blick wieder zur Sonne und findet in sich neuen Mut. Es ist eine Jahreszeit, die uns zum Staunen bringen kann, Staunen wie die Kinder: Wie kann aus einer verschrumpelten, trockenen Blumenzwiebel so ein schöner Krokus werden? Natürlich wissen wir, wie das alles vor sich geht. Wir haben dem Samenkorn längst sein Rätsel entrissen. Wir haben sogar gelernt, es zu manipulieren. Aber ein Geheimnis bleibt es immer noch. Ein Geheimnis, das jetzt wieder ganz neu zu uns spricht. Wir ahnen, dass diese neuen Anfänge auch eine Verheißung für uns bergen: neues Leben, wo etwas so tot scheint, so brach liegt, so am Ende ist.

Wir feiern den Sonntag Lätare. Lätare heißt: Freut euch! Mitten in der Passionszeit werden wir zur Freude aufgerufen. Zur Osterfreude, dass Jesus den Tod und das Leiden überwunden hat. Es ist eine verhaltene Freude, denn noch ist es nicht so weit. Noch feiern wir nicht Ostern. Es ist eine verhaltene Freude auch deswegen, weil uns das Leid und der Tod in dieser Zeit so deutlich vor Augen stehen: 12 Monate Corona-Pandemie und immer noch kein Ende im Sicht. So viele sind schon an dieser tückischen Krankheit gestorben, so viele sind längst ausgebrannt, verarmt, vereinsamt, verzweifelt. 

Jesus Christus ist durch das Leid und durch den Tod gegangen. Das ist unser Trost, gerade auch in dieser Zeit. Wenn Menschen leiden, dann leidet Jesus Christus mit. In jedem Leidenden sehen wir den Gekreuzigten, sehen wir Gottes Angesicht. 

Das gibt uns einen anderen Blick auf die Welt und auf unser Leben: Was ist es, was wirklich zählt im Leben? Das Leben ist nichts Machbares, nichts was wir in der Hand haben. Das haben wir in den letzten 12 Monaten schmerzlich lernen müssen. Wir sind nicht die Macher. Alles, was wir sind und haben, ist Gnade, ist ein Geschenk von Gott. Das Leben ist uns von Gott geschenkt. Jesus Christus hat uns die Freiheit geschenkt, das zu erkennen. Die Freiheit, ihm nachzufolgen und zu dienen. Die Freiheit, aufzuschauen aus unseren Ängsten und Sorgen. Die Freiheit, in das Gesicht unseres Nächsten zu sehen und darin unsere Schwester und unseren Bruder zu erkennen. Die Freiheit, Liebe zu wagen und Freundlichkeit zu üben. Hören wir genau hin: Wir dürfen leben lernen, weil es Jesus Christus gibt, das eine Weizenkorn, das sich für uns verloren gab. Er sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum Sonntag Okuli, 7. März 2021



Epheser 5, 1-9: So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Liebe Mitchristen!

Ich kenne Menschen, die mit den Worten der Bibel nichts mehr anfangen können und der Kirche den Rücken gekehrt haben. An solche Menschen muss ich denken, wenn ich unseren heutigen Predigttext aus dem Epheserbrief höre. Ist das nicht ein richtiger Moralapostel, der da diesen Brief schreibt – ob das nun Paulus war oder einer seiner Schüler? Ist das nicht ein sexuell verklemmtes, ein freudloses Leben, das er da propagiert? Nicht einmal einen Witz darf man da mehr reißen, das gehört sich nicht. So höre ich es in diesem Bibeltext. 

Ist das also ein Bibeltext, den wir besser über Bord werfen sollten? Ein Text, der Menschen eher am Glauben zweifeln oder verzweifeln lässt als dass er Menschen zum Glauben führt? Zum Glauben an den lebendigen Gott, der die Liebe ist. Zum Glauben an Jesus Christus, der aus Liebe zu uns in den Tod gegangen ist. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Lebt in der Liebe, so wie Christus uns geliebt hat. Ihr seid Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts“. Diese Worte höre ich auch in unserem Predigttext. Worte, die mir zu Herzen gehen. Worte, die mir so wichtig und wertvoll sind, dass ich diesen Bibeltext nicht über Bord werfen möchte – trotz allem, was mich beim ersten Hören an ihm stört. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Ihr seid Licht in dem Herrn.“ Was mir so wichtig ist an diesen Worten: Da heißt es nicht: Seht zu, dass ihr so lebt, dass ihr Gottes Liebe verdient habt. Dann seid ihr Gottes geliebte Kinder. So hätte ich es eigentlich erwartet bei all den moralinsauren Ermahnungen in diesem Text. Aber so sagt es der Text nicht. Der Verfasser des Epheserbriefs will uns daran erinnern: Gottes Liebe müssen wir uns nicht verdienen. Wir sind Gottes geliebte Kinder. Wir sind Kinder des Lichts. Wir müssen es nicht erst werden. Wir sind es schon. Seine Liebe ist stärker als alle unsere Schuld und unser Versagen. So, wie wir sind, sind wir bei Gott willkommen. Wir sind Kinder des Lichts. Wir leben im Licht der Liebe Gottes. Jesus Christus steht für diese Liebe. Ich denke dabei nicht nur an sein Sterben. Ich denke auch an sein Leben. An seine heilende Liebe, die er in Worten und Taten weitergegeben hat. So hat er Menschen gesund gemacht, an Leib und Seele. Jesus Christus hat es gezeigt: Gottes Liebe hat etwas Befreiendes. Sie richtet auf, sie stärkt und tröstet und weckt Lust am Leben. Liebe, Freude, Lebenslust – passt das zusammen mit diesem anderen Teil unseres Bibeltextes, mit seinen einschüchternden Ermahnungen, die eher dazu geeignet sind, dass sie Angst und Abwehr hervorrufen als Lebenslust und Lebensfreude?

In der Predigtvorbereitung habe ich den Vorschlag gefunden, man könnte diese Bibelverse einfach weglassen und sich auf den Anfang und den Schluss unseres Textes beschränken, auf die schönen und ansprechenden Worte über das Licht und die Liebe. Ich finde das nicht redlich. Ich möchte mich nicht darum drücken, mich auch mit dem mittleren, schwierigen Teil unseres Textes auseinanderzusetzen. Worum geht es da? Es geht um sexuelle Verfehlungen. Es geht um Worte, die wie Messer sein können. Es geht um die Habgier, um das Immer-Mehr-Haben wollen. All das sind Dinge, die unser Leben kaputtmachen können. Da geht es nicht darum, dass wir als verklemmte Spaßbremsen unser Leben leben sollen. Ja, so kann man diesen Text lesen, und das ist die große Gefahr an diesem Text, dass man ihn so versteht. Oder besser gesagt: Dass man ihn so missversteht. Denn es ist ein wirklich tragisches Missverständnis der christlichen Botschaft, dass der Glaube an Gott uns die Freude am Leben nehmen will. Unsere Sexualität ist uns von Gott geschenkt. Unsere Worte, unser Witz und Humor ist uns von Gott geschenkt. Alles, was wir haben, an Geld und Besitz, ist uns von Gott geschenkt. Über alle diese guten Gaben dürfen wir uns freuen und Gott dafür danken. Dankbar dürfen wir sein für alles, was wir haben: Sexualität und Beziehungen, Worte und Witz, Hab und Gut. Danksagung. Das ist ein wichtiger, ein zentraler Punkt in unserem Bibeltext. Dankbar will ich sein für das, was Gott mir geschenkt hat an guten Gaben. Denn ich verdanke sie nicht mir selber. Ich habe sie nicht irgendwie verdient. Ich habe auch keinen Anspruch darauf. Wenn ein anderer mehr Besitz hat als ich, wenn ihm eine glückliche Beziehung geschenkt ist und mir nicht, dann muss ich mir das immer wieder sagen: Ich habe keinen Anspruch darauf. Es ist alles ein Geschenk. Für das, was ich habe, kann ich dankbar sein. Selbst wenn es scheinbar weniger ist als das, was andere haben. Habgier. Da fängt es an. Haben wollen, was mir nicht zusteht. Ob für meine materielle Bereicherung oder für meine sexuelle Befriedigung. Oder einfach, um mir einen Spaß daraus zu machen, andere mit Worten fertigzumachen. Unzucht, Habgier, närrische und lose Reden. Das klingt alles ziemlich altmodisch, ziemlich moralinsauer und verklemmt, was da in unserem Predigttext steht. Und doch ist es leider erschreckend aktuell. Menschen nutzen ihre Machtposition aus, um sich selber einen Vorteil zu verschaffen oder sich über andere zu erheben. Bundestagsabgeordnete, die bestechlich sind, die sich selber bereichern bei Geschäften mit Corona-Schutzmasken. Verbale Gewalt, Hetze und Häme im Internet. Sexueller Missbrauch, auch in unseren Kirchen, und die Aufarbeitung verläuft erschütternd langsam.  

Ich denke wieder an die Menschen, die ich kenne und die der Kirche den Rücken gekehrt haben. Nein, es sind nicht nur solche missverständlichen Bibelworte wie unser Predigttext, die diese Menschen dazu gebracht haben. Vor allem sind es die aktuellen Verfehlungen der Menschen, die zur Kirche gehören, die sie an der christlichen Botschaft zweifeln und verzweifeln lassen. „Wandelt als Kinder des Lichts. Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Das sollen wir tun. Das ist die Aufgabe, die Gott uns gegeben hat – Gabe und Aufgabe. Nicht zwanghaft und verbissen sollen wir das tun, sondern ruhig und gelassen. Der der christliche Anspruch ist dann besonders erfüllt, wenn wir nicht vergessen, dass wir nicht Christus selbst sind, ja auch nicht Gott selbst. Nur nachahmen sollen wir Gott, so heißt es am Anfang unseres Predigttextes. Nachahmen sollen wir ihn, und dem Beispiel Jesu folgen. Wir tun das mit unseren nur menschlichen Kräften, trotz unserer Fehler und unserer Schuld, in die wir uns auch immer wieder verstricken. Bei Gott sind unsere Fehler aufgehoben. Jesus Christus hat unsere Schuld auf sich genommen. Wir sind bei Gott willkommen, so wie wir sind. Und Gott traut es uns zu, ihn nachzuahmen. Dieses Zutrauen, das Gott zu uns hat, das könnte die erste Gegenmacht sein gegen die Mächte, die den Alltag und die Welt beherrschen wollen. Oder, mit dem Verfasser des Epheserbriefs gesprochen: Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts. Gott traut es euch zu. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Jesaja 5,1-7. Sonntag Reminiszere, 28. Februar 2021


Liebe Mitchristen,

Noch ist es nicht Frühling. Aber der Schnee ist geschmolzen, und wir sehen, was darunter ist: Das Gras vom Vorjahr, die nackte braune Erde. Und Steine. Steine gibt es ja viele hier auf der Schwäbischen Alb. Der Boden ist karg und steinig. Ackerbau ist hier ein mühsames Geschäft das sich heutzutage praktisch nicht mehr lohnt. Ich war schon als Kind öfters hier auf der Schwäbischen Alb, am Wochenende und in den Ferien. Da gab es noch mehr Äcker als heute. Und ich staunte über die vielen Steine, die in diesen Äckern lagen. Manche davon waren Versteinerungen, die ich mit nach Hause genommen habe. Und manchmal gab es eine Mauer am Rand eines solchen Ackers. Mein Vater erklärte mir dazu: Die Leute haben die Steine aus dem Acker gesammelt und daraus diese Mauer gebaut. Ich staunte wieder: So viel Arbeit. Wie viele Steine muss man da sammeln, bis daraus eine Mauer wird? Und immer noch sind da so viele Steine im Acker. 

Steine aus dem Acker sammeln. Davon hören wir auch in unserem Predigttext. Die Landschaft ist lieblicher und das Klima milder. Ein Weinberg wird beackert. Aber steinig ist dieser Boden auch. Kann man da wirklich alle Steine rauslesen? Der, der diesen Weinberg beackert, der macht das. Die Lage ist gut, Südhang, es lohnt sich, sagt er sich. Und er packt an. Er ist richtig mit Herzblut bei der Sache. Aus den Steinen baut er eine Mauer und gleich noch einen Wachturm und eine Kelter. So ist der Weinberg gut geschützt, und die wertvollen Trauben können gleich vor Ort verarbeitet werden. Dieser Weingärtner hat wirklich an alles gedacht. Sein Weinberg, das ist für ihn nicht nur irgendein Job. Das ist seine Passion, seine große Liebe. „Komm, mein Freund, lass uns früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sprosst und seine Blüten aufgehen. Da will ich dir meine Liebe schenken.“ So heißt es im Hohenlied (Hld 7, 11-13). Der Weinberg steht für die Liebe. Für die Menschen in Israel war das ein vertrauter Vergleich – der Weinberg und die Liebe. „Hört mal alle her,“ sagt der Prophet Jesaja in Israel. „Hört her, ich singe euch ein Lied vor. Ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“ „Das wird sicher ein Liebeslied sein“, denken die Leute in Israel. Und sie spitzen die Ohren.

Und wirklich, es fängt richtig gut an, dieses Lied. Aber das dicke Ende kommt noch. Der Weingärtner wartet und wartet, aber die guten Trauben kommen nicht. Völlig ungenießbar sind die Beeren, die da an den Reben hängen. Nichts, wirklich nichts kann er damit anfangen. Es war alles vergebliche Liebesmühe. Alles umsonst. So viel investiert hat er in diesen Weinberg, in diese Liebesbeziehung. Was hat er nun davon? Nichts. Mit leeren Händen steht er da. Was habe ich bloß falsch gemacht? Sagt es mir doch! Habe ich noch etwas vergessen? Hätte ich irgendetwas anders machen können? Die Zuhörer sind sprachlos. Sie wissen keine Antwort. Aber es wird noch ungemütlicher. Das ist kein Liebeslied, was der Prophet hier singt. Er schenkt uns reinen Wein ein mit seinem Lied. Er singt von enttäuschter Liebe. Von Hoffnungen, die sich zerschlagen haben. Von jahrelanger Mühe und Arbeit. Und am Ende war alles für die Katz. 

Das sind bittere Erfahrungen, wie wir sie auch heute kennen. Gerade auch jetzt, in diesen unsicheren Zeiten. Menschen verlieren ihre wirtschaftliche Existenz in dieser Krise – das, was sie sich über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut haben. Beziehungen werden auf eine harte Probe gestellt durch die Kontaktbeschränkungen, die wir haben: Kann die Ehe, kann die Familie das aushalten, wenn alle anderen Sozialkontakte auf ein Minimum heruntergefahren sind? Lange Mühe, Arbeit und Entbehrung – das kennen wir auch in diesen Zeiten. Wir geben uns alle Mühe, uns an den Lockdown zu halten. Wir verzichten auf so Vieles. Und es stellt sich so wenig Lohn für unsere Mühe ein. Die Infektionszahlen steigen wieder.

Irgendwann kann man auch mal die Geduld verlieren. Der Prophet Jesaja kann da jedenfalls ein Lied davon singen. Ein Lied von seinem Freund und seinem Weinberg. In blinder Zerstörungswut schlägt dieser Freund alles kurz und klein, was er sich über all die Jahre aufgebaut hat. Am Ende steht kein Stein mehr auf dem anderen in seinem Weinberg. Mauer und Kelter sind dem Erdboden gleich gemacht. Alles ist zertreten und zerstört, es wächst nur noch Unkraut. Selbst die Regenwolken ziehen lieber weiter. 

So wie diesem enttäuschten Weinbergbesitzer, so geht es Gott mit euch, sagt der Prophet Jesaja. Ihr wart Gottes große Liebe. Aber ihr tretet die Gerechtigkeit mit Füßen und unterdrückt die Armen. Gottes Liebe ist enttäuscht. Enttäuschte Liebe lässt sich nicht einfach zur Seite schieben, als ob nichts gewesen wäre. Es sind große Gefühle, die sich da Bahn brechen: Trauer und Wut, ja auch Zerstörungswut. So kannten wir Gott gar nicht. Verwüstet, eingerissen, zertreten wird da der Weinberg – Gottes Pflanzung, die wir zusammen mit Israel sind. Hört Gottes Liebe also auf, weil sie enttäuscht wurde? Wenn wir nur dieses eine Bibelwort hätten, dann müsste ich in der Tat antworten: Ja, so ist es. Es ist ein ernstes Bibelwort. Ein Bibelwort, dass uns auffordert, unser Leben neu zu überdenken und uns für Gerechtigkeit einzusetzen. Für ein Happy-End ist da kein Platz. 

Aber es ist nicht das letzte Wort, das Gott gesprochen hat. Es ist nicht das letzte Lied, das der Prophet Jesaja singt von Gott und seinem Weinberg. Viel später singt der Prophet Jesaja noch ein anderes Weinberglied. Das Happy-End kommt eben nicht immer sofort. Auch die Trauer und die Wut über die enttäuschte Liebe und die vergebliche Liebesmüh haben ihre Zeit. Aber Trauer, Wut und Zerstörung haben nicht das letzte Wort bei Gott. Gottes Liebe hat einen langen Atem. Und so singt Jesaja später, als die Zeit reif ist dafür, sein zweites Weinberglied. In Jesaja 27 heißt es: „Ich, der Herr, behüte meinen Weinberg und begieße ihn immer wieder. Damit man ihn nicht verderbe, will ich ihn Tag und Nacht behüten. Ich zürne nicht. Sollten aber Disteln und Dornen aufschießen, so wollte ich über sie herfallen und sie alle miteinander anstecken, es sei denn, sie suchen Zuflucht bei mir und machen Frieden mit mir, ja Frieden mit mir.“

Irgendwann kommt das Happy-End. Verlieren wir nicht die Geduld. Setzen wir uns für Gerechtigkeit ein und für die Schwachen, die gerade jetzt in der Pandemie unseren Schutz brauchen. Machen wir unseren Frieden mit Gott – auch wenn unser Leben manchmal steinig ist wie der Ackerboden hier auf der Schwäbischen Alb. Dazu helfe uns Jesus Christus. Er ist unser Friede. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Estomihi

Predigt für Sonntag Estomihi, 14. Februar 2021

 

Jesaja 58, 1-9a: Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. „Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?“ Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

 

Liebe Mitchristen!

 

Es ist still heute. Keine Straßenumzüge mit Hunderten von Narren im Narrenkleid, keine Guggenmusik, keine Themenwagen. Die Schlossberghalle bleibt leer. Das närrische Treiben fällt aus. Die Fasnet, wie wir sie kennen, findet nicht statt. Es fehlt etwas, in unserem Ortsleben, in unserem gewohnten Jahresablauf. Wie können wir damit umgehen? Vielleicht wäre es gut, wenn ich jetzt wenigstens eine Fasnetspredigt halten würde – eine, die die Ereignisse der letzten Monate ironisch aufs Korn nimmt, am besten in gereimter Form. Aber ich fürchte, ich muss Sie da enttäuschen. Für Büttenreden und Fasnetspredigten bin ich nicht so ganz die Richtige. Und unser heutiger Predigttext lädt auch nicht gerade zu einer launigen Fasnetspredigt ein. Harte Worte sind das, die uns da aus dem Buch des Propheten Jesaja entgegenschallen. Die Sünden, die die Menschen getan haben, werden da verkündet: „Ihr bedrückt alle eure Arbeiter, hadert und zankt und schlagt mit gottloser Faust drein.“ So will es Gott nicht haben. So sollen wir nicht miteinander umgehen. Nicht damals in Israel und nicht heute bei uns. Das ist kein Spaß, das ist bitterer Ernst. Darüber kann man keine Fasnetspredigt halten.

 

Und doch – da ist auch Brauchtum in diesem Bibeltext. Anders als wir das von der Fasnet kennen, aber doch auch irgendwie schrill und schräg. Schrill ist die Stimme des Propheten. Was er zu sagen hat, posaunt er laut hinaus. Und für die Menschen damals muss das ziemlich schräg geklungen haben, wie dieser Prophet ihr Brauchtum beschreibt. Die Menschen in Israel haben besondere Zeiten, in denen sie fasten und nichts oder nur wenig essen. Aus der Fastenzeit vor Ostern kennen wir diesen Brauch. Ja, sogar so etwas wie eine Verkleidung gab es im Brauchtum dieser Menschen in Israel, mit besonderen Bewegungen und Gesten. Sie gehen in Sack und Asche und senken dabei den Kopf. Am Aschermittwoch hat sich bei uns noch etwas von diesem Brauchtum erhalten. Der Prophet nimmt dieses Brauchtum aufs Korn in seiner lauten Predigt: „Ihr lasst den Kopf hängen wie eine Binse!“ sagt er. Man spürt die Ironie. Denn nur Kopf hängen lassen und nichts dahinter, das geht in die Binsen. Gott will nicht Sack und Asche, er will Gerechtigkeit für alle. Der Prophet bringt das auf den Punkt. Mit seinen lauten und unangepassten Worten macht er sich zum Narren. Er ist schräg, er fällt aus dem Rahmen. Kinder und Narren sagen die Wahrheit. So sagt man.

 

Ich denke wieder an unsere Fasnet, und was für eine Wahrheit hinter diesem Brauchtum steckt. Wir alle wissen: In der Fasnet darf die Welt für ein paar Tage auf dem Kopf stehen. Die Mächtigen haben nichts mehr zu sagen. Der Bürgermeister wird abgesetzt. Vielleicht gibt uns ja gerade die jetzige stille Fasnet, in der das Rathaus nicht gestürmt wird, die Chance, über die tiefere Bedeutung dieser Bräuche nachzudenken. Bräuche, die uns daran erinnern, wie die Welt eigentlich von Gott gedacht ist. Da gibt es keine Hierarchien, kein Oben und Unten. Da gibt es Niemanden, der am längeren Hebel sitzt, und andere müssen sich seiner Macht beugen. Alle Menschen sind gleich und begegnen sich auf einer Ebene. „In der Fasnet sagen wir alle Du zueinander.“ So wurde es mir als Fasnets-Neuling letztes Jahr erklärt. Alle sind gleichberechtigt. Jeder kommt zu seinem Recht. Niemand muss Not oder Unterdrückung leiden. So will Gott die Welt. So sollen wir nach Gottes Willen miteinander umgehen. So, wie es der Prophet uns sagt: „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn!“

 

Wenn wir diese Worte des Propheten beherzigen, dann wird unser Leben ein Fest. Ein Fest für uns und für unsere Mitmenschen. Dann wird unser Leben ein Fest – ganz unabhängig davon, ob wir gerade unser Brauchtum leben und unsere Feste feiern können, oder ob das nicht möglich ist, so wie jetzt. Wie ein Festumzug wird das dann sein, so sagt es uns der Prophet aus dem Jesajabuch: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Ein Festumzug schlängelt sich durch die bunt geschmückten Straßen, mit phantasievoll und kreativ gestalteten Themenwagen. Fröhlich und hell, wie die Morgenröte, so kommt der erste Wagen daher. Heilung ist das Thema der anderen Festwagen. Und die Gerechtigkeit kommt auch groß raus in diesem Umzug. Und am Schluss, ganz am Ende des Festzuges, das Finale: „Die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ Gott selber ist da, mitten unter uns. Lassen wir uns einladen! Feiern wir dieses Fest! Das Fest der Gerechtigkeit für alle.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

Die beiden Feste

 

Korf und Palmström geben je ein Fest.

Dieser lädt die ganze Welt zu Gaste:

doch allein zum Zwecke, dass sie – faste!

einen Tag lang sich mit nichts belaste!

Und ein – Antihungersnotfonds ist der Rest. 

 

Korf hingegen wandert zu den Armen,

zu den Krüppeln und den leider Schlimmen

und versucht, sie alle so zu stimmen,

dass sie einen Tag lang nicht ergrimmen,

dass in ihnen anhebt aufzuglimmen

ein jedweden ‚Feind‘ umfassendes – Erbarmen.

 

Beide lassen so die Menschen schenken

statt genießen, und sie meinen: freuen

könnten Wesen (die nun einmal – denken)

sich allein an solchen gänzlich neuen

Festen.

 

Christian Morgenstern

 

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Sonntag Sexagesimä, 7. Februar 2021

Lukas 8, 4-8a+11-15: Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu ihm eilten, sprach Jesus durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und anderes fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und anderes fiel auf das gute Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber an dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: Wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Sie haben aber keine Wurzel; eine Zeit lang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht zur Reife. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Liebe Mitchristen!

„Es ist frustrierend, so ins Leere zu sprechen.“ So erlebt es eine Lehrerin, die in diesen Tagen ihre Schüler nur per Videokonferenz unterrichten kann. Sie kann ihre Schüler auf ihrem Bildschirm nicht sehen. Die Kameras sind ausgeschaltet. Vielleicht möchten diese Jugendlichen nicht zu viel von sich preisgeben: Wie es in ihrem Zimmer aussieht oder am Küchentisch, an dem sie gerade sitzen. Vielleicht geht es auch einfach nicht anders, weil es die Internetverbindung überlasten würde, wenn alle die Kameras anmachen. 

Ich kann mich gut in diese Lehrerin hineinversetzen. Immer wieder geht es mir auch so, dass ich ins Leere spreche. Den Konfirmandenunterricht halte ich aus meinem Arbeitszimmer. Auf dem Bildschirm erscheinen die Namen meiner Konfirmanden, der eine oder die andere zeigt sich auch im Bild. Was kommt an von dem, was ich sage? Und wie ist es jetzt, hier bei unserem Gottesdienst, den wir auf Youtube miteinander feiern? Was kommt bei Ihnen an, wenn Sie diesen Gottesdienst mitfeiern – vor dem Bildschirm im heimischen Wohnzimmer oder beim Nachlesen dieser Predigt? Ich kann ihre Reaktionen nicht an Ihren Gesichtern ablesen wie sonst, wenn Sie in den Kirchenbänken sitzen. Die Bänke unserer Kirche sind leer. Nur unser kleines Vorbereitungsteam ist da. So stehe ich hier auf der Kanzel unserer Kirche und spreche ins Leere. Eine neue, eine befremdliche Erfahrung ist das für mich und für uns alle. So kannten wir das sonst nicht. Und doch: So ganz neu ist das auch nicht. Denn so genau kann ich es ja nie wissen, was bei meinem Gegenüber ankommt von dem, was ich sage. Auch Jesus kennt diese Erfahrung. Jesus erzählt eine Geschichte dazu: 

Ein Sämann steht draußen auf dem Acker und sät den Samen aus. Er sät sozusagen ins Leere. Er sät so, wie wenn er bei der Videokonferenz die Kamera nicht angeschaltet hätte. Oder noch extremer: Er sät, wie wenn er die Augen verbunden hätte. Er sät und sieht nicht, wo das ankommt, was er da sät. Und so kommt es, dass er seinen Samen auch dorthin streut, wo eigentlich nichts dabei herauskommen kann: Auf den Weg, auf den Felsboden und mitten ins Dornengestrüpp. Warum macht dieser Sämann das so? Ist das nicht reinste Verschwendung? Sollte der mit dem wertvollen Saatgut nicht sparsamer umgehen? Er muss doch wissen, dass da auf dem Fels nichts wachsen kann, dass die Körner auf dem Weg nur zertreten werden und das das Unkraut sowieso alles andere im Keim ersticken wird. Kein Landwirt würde sein Feld so einsäen, so unwirtschaftlich, so verschwenderisch. Aber dieser Sämann sät so. Er hat keine wirtschaftliche Kosten- Nutzen-Rechnung aufgestellt. 

Dieser Sämann ist kein Landwirt, eher ein Lebenskünstler. Einer, der dem Leben nachspürt. Einer, der das Leben feiert. Dieser Sämann genießt die Frische des Frühlingsmorgens und das Gefühl der trockenen und warmen Körner in seiner Hand. Mit Schwung streut er seinen Samen über das Land. Er hat Freude an dieser Bewegung: Wie sein Arm weit ausholt. Wie die Körner wie Tropfen zu Boden fallen. Er genießt die Landschaft, in die er den Samen wirft. In ihrer ganzen Unterschiedlichkeit nimmt er sie wahr: Guter Ackerboden, Felsblöcke, Dornengestrüpp und dazwischen der Weg, der das alles miteinander verbindet. Vielgestaltig ist die Landschaft, in die der Sämann seinen Samen wirft. Und das darf so sein. Es wird keine eintönige Monokultur entstehen, wo er gesät hat. Da sind die Felsen in ihrer bizarren Schönheit. Die Vögel finden Nahrung. Und die dornigen Wildpflanzen sind hier nicht vom Aussterben bedroht, sondern können Blüten und Samen bilden. Ja, der Ertrag bei der Ernte wird nicht so hoch ausfallen. Aber es wird genug da sein. 

Jesus erzählt von diesem Sämann, von diesem besonderen Landwirt, der ein Lebenskünstler ist. Einer, der das Leben will. Gott ist es, der diesen Samen aussät. Gottes Liebe gilt uns allen. Verschwenderisch streut Gott seine Liebe aus in unserer Welt. Was davon kommt an? Kommt Gottes Liebe bei den Konfirmanden an, wenn ich in meinem Arbeitszimmer vor dem Bildschirm sitze und mit der Konfirmandengruppe Unterricht halte? Kommt Gottes Liebe bei Ihnen an, wenn Sie diese Predigt im Nachhinein anschauen oder nachlesen? 

Unser Leben gleicht nicht immer nur dem guten Ackerboden, der den hundertfachen Ertrag abwirft. Manchmal gerät die Botschaft von Gottes Liebe unter die Räder auf dem Weg unseres Lebens. Manchmal ersticken die Sorgen um die Zukunft das Vertrauen auf Gottes Liebe in uns wie ein Dornengestrüpp. Manchmal beißt die Botschaft von Gottes Liebe bei uns auf Granit, und wir sind innerlich wie versteinert. Aber Gottes Liebe bleibt. Gottes gute Saat geht auf. Ja, sie bringt sogar hundertfachen Ertrag. Ganz unverhofft und unerwartet. Ja, auch dann, wenn mein Leben nicht immer dieser gute Ackerboden ist. Auch dann, wenn da gerade eher die Stolpersteine und die Dornen im Vordergrund sind in meinem Leben. Gott sät seinen Samen auch dorthin. Er sagt nicht: Hier ist Hopfen und Malz verloren! 

Gott ist ein Sämann, der seine Liebe mit vollen Händen austeilt. Auch in meinem Leben ist Platz für Gottes Liebe. Auch in meinem Herzen kann dieses Samenkorn aufgehen: Vertrauen in Gott, der alles zu einem guten Ende bringen wird. Gott ist für mich da. Gerade auch jetzt, wenn ich manchmal ins Leere spreche und nicht weiß, was bei meinem fernen Gegenüber ankommt. Manches kommt anders, als ich es erwarte. Aber ich darf darauf vertrauen: Gottes gute Saat geht auf. Ja, manchmal wächst seine Liebe sogar da, wo ich es nicht erwarte: In den Felsritzen und zwischen den Dornen meines Lebens. Haben Sie das auch schon erleben dürfen? Erzählen wir uns davon, auch wenn wir uns nicht persönlich begegnen können! Denn Gottes Liebe trägt uns auch durch diese Zeit. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer 


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Gedanken zum Sonntag

Letzter Sonntag nach Epiphanias

Predigt für den 31. Januar 2021, letzter Sonntag nach Epiphanias

2. Petrus 1,16-19: Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

 

Liebe Mitchristen!

„Hier ist es wie im Urlaub.“ Diesen Satz sagte mein Sohn zu mir, als ich im November 2019 als Pfarrerin hier auf den Heuberg gekommen bin, und kurz darauf kam der erste Schnee. Er dachte dabei an die Winterurlaube, die wir gemeinsam im Hochschwarzwald verbracht haben. „Hier ist es wie im Urlaub.“ Neulich ist mir dieser Gedanke wieder gekommen – an einem kalten Wintermorgen. Ich stehe am Fenster und schaue hinaus. Die meterlangen Eiszapfen an der Dachrinne sind wie ein glitzernder Vorhang. Schnee bedeckt die Wiesen und die Dächer der Nachbarhäuser. Noch liegt Wehingen im Halbdunkel. Aber langsam wird es hell. Schon lassen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Hochberg in einem rotgoldenen Licht erstrahlen. Alles Dunkle und Schwere ist für einen Moment lang vergessen. Ein Urlaubsmoment – der Sonnenaufgang an einem Wintertag.

Die Nacht weicht zurück, ein neuer Tag beginnt. Zuerst geht der Morgenstern auf und erstrahlt mit seinem hellen Licht, bis dann die Sonne unter dem Horizont hervorkommt und die Dunkelheit vollends vertreibt. „Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da schein an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. “ So heißt es in unserem Predigttext aus dem 1. Petrusbrief. Der Verfasser dieses Briefs hat den Morgenstern vor Augen. Jesus Christus ist dieser Morgenstern. Er ist das Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Sein Licht vertreibt mehr als nur die Dunkelheit einer langen Winternacht. Das Licht von Jesus Christus vertreibt auch die Dunkelheit in meinem Herzen. Denn Nacht kann es auch in meinem Leben sein. In diesem langen Corona-Lockdown, wo die Zukunft ungewiss erscheint und wir nicht fröhlich und ausgelassen in Gemeinschaft mit anderen zusammenkommen können. Wenn die Trauer um einen Menschen, den ich geliebt habe, sich wie ein dunkler Schleier auf die Seele legt. Wenn Hass und Neid das Herz verfinstern. Wenn Verunsicherung um sich greift und die Angstmacher mit ihren Hetzparolen immer lauter und dreister werden. Dann ist es dunkel in meinem Herzen. Dann brauche ich Jesus Christus. Damit mir ein Licht aufgeht, und es wieder hell wird in meinem Leben. Damit ich wieder klar sehe und nicht den Angstmachern auf den Leim gehe. Damit ich meinen Weg in den neuen Tag mit Zuversicht und Freude gehen kann. Dazu brauche ich Jesus Christus. Er kann helfen, wenn ich mich an ihn wende und zu ihm bete. Denn von ihm hat Gott selbst gesagt: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Jesus Christus, der Morgenstern in unserem Herzen. Der Verfasser des 1. Petrusbriefs stellt ihn uns deutlich vor Augen, in all seinem Glanz und seiner Herrlichkeit. Damals, als sie als Jünger mit Jesus unterwegs waren, da waren sie Augenzeugen von seiner Herrlichkeit. Und in diesem viel später aufgeschriebenen Brief ist noch etwas spürbar von der Begeisterung, die die Jünger damals verspürt haben. Jesus hat ihr Herz bewegt. Er hat ihr Leben verändert. Das geht auch heute, auch in unserer Zeit. So sagt es uns unser Predigttext. Wir haben Jesus nicht gesehen. Aber dennoch steht er uns vor Augen. Er steht uns vor Augen durch die Geschichten, die wir von ihm hören, durch die Worte, die er gesprochen hat. Wir finden sie in der Bibel. Prophetische Worte sind das, so sagt es uns der Verfasser des 1. Petrusbriefs. Worte, die nicht irgendwann veralten und die wir einfach zur Seite legen und entsorgen können wie die ausgelesene Tageszeitung von gestern. Die Worte der Bibel sind prophetische Worte. Sie sind aktuell. Ich bin gemeint. In meinem Herzen soll es nicht weiter dunkel bleiben. Der Morgenstern soll scheinen in meinem Herzen, das Licht von Jesus Christus.

Offene Sinne und der richtige Moment sind wichtig, damit ein solches prophetisches Wort seine Strahlkraft entfalten kann. Dann aber rettet es, auch durch schwierige Zeiten. Auch wenn es draußen noch dunkel sein mag, in meinem Herzen ist es hell: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Worte von Jesus Christus, die mich trösten in einer dunklen Situation. „Ich bin doch bei dir, alle Tage, immer.“ Das spricht Jesus Christus zu mir, wenn ich mich allein und verlassen fühle. „Ich habe vor dir eine Tür aufgemacht, die niemand mehr schließen kann.“ Dieses Wort von Jesus Christus höre ich, wenn ich nicht mehr weiter weiß.

Worte aus der Bibel, Worte von Jesus Christus, die unsere Dunkelheit erleuchten. Manchmal entfalten sie ihr Licht erst nur zaghaft. Wie der Morgenstern am nächtlichen Himmel. Erst ist er nur ein winziger Lichtpunkt. Dann wird er immer heller. Nach der langen Nacht kündigt er an: Der Tag bricht an, in seiner ganzen Schönheit. Neue Lebensmöglichkeiten, von Gott geschenkt. Im Licht von Jesus Christus sehe ich auch mein Leben in einem anderen Licht. Leuchtend voll Wärme und Liebe, auch in kalter und schwieriger Zeit. Rotgolden erstrahlt der Hochberg im Licht der aufgehenden Sonne an einem kalten Wehinger Wintermorgen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer