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Gedanken zum Sonntag

Rogate

Predigt zur Konfirmation am Sonntag, 14. Mai 2023

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden!

Gibt es für jeden von uns einen Schutzengel? Das war eine der Fragen, die ihr aufgeschrieben habt ganz am Anfang des Konfirmandenjahrs. Wir haben die Fragen an die Pinnwand im Gemeindesaal gehängt. So haben sie uns durch das Konfirmandenjahr begleitet, und wir haben miteinander nach Antworten gesucht. Mit vielen Fragen von euch haben wir uns beschäftigt – mit den einen mehr und mit den anderen weniger. Zugegeben: Manche Frage ist dabei wohl auch zu kurz gekommen, und manche Antwort bin ich euch schuldig geblieben. Aber an dieser einen Frage sind wir immer wieder vorbeigekommen: Gibt es für jeden von uns einen Schutzengel? Diese Frage passt auch als Thema für die Konfirmation, fandet ihr. Mögen Engel euch begleiten- das wünschen wir euch heute, am Tag eurer Konfirmation!

Wie ist das, wenn Engel einen begleiten? Gibt es das wirklich? Haben Menschen das schon erlebt? Was steht in der Bibel zu diesem Thema? Wir haben miteinander in der Bibel nachgelesen. Fünf Texte haben wir angeschaut, und einer davon sollte der Predigttext für die Konfirmation werden. Welchen der Texte ihr dann ausgewählt habt, hat mich doch überrascht:

Jesus verließ die Stadt und ging wie gewohnt zum Ölberg. Die Jünger folgten ihm. Als er dort ankam, sagte er zu ihnen: »Betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht!« Er selbst ging noch ein paar Schritte weiter –etwa einen Steinwurf weit. Dann kniete er nieder und betete. Er sagte: »Vater, wenn du willst, nimm diesen Becher weg, damit ich ihn nicht trinken muss! Aber nicht, was ich will, soll geschehen, sondern was du willst!« Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Todesangst überfiel ihn, und er betete noch angespannter. Dabei tropfte sein Schweiß wie Blut auf den Boden. Dann stand er vom Gebet auf und ging zurück zu den Jüngern. Er sah, dass sie vor lauter Trauer eingeschlafen waren. Er fragte sie: »Wie könnt ihr nur schlafen? Steht auf und betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht!« (Lukas 22, 39-46)

Jesus betet im Garten Gethsemane. Er weiß, was auf ihn zukommen wird: Verhaftung, Folter und dann der Tod am Kreuz. Jesus hat Angst davor- Todesangst. Er schwitzt Blut und Wasser. Er fleht Gott an: Bitte nicht! Ich will das nicht. Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht. Aber dein Wille geschehe. Jesus ist allein. Seine Jünger sind eingeschlafen und können ihm keinen Beistand leisten in dieser schweren Stunde. Eine ernste, ja geradezu erschütternde Geschichte ist das, wie Jesus sich hier quält. Eine Geschichte, die wir sonst in der Karwoche hören, wenn am Altar in unserer Kirche schwarze Tücher hängen, wenn die Kerzen verlöschen und die Glocken verstummen, weil wir daran denken, wie Jesus am Kreuz gestorben ist.

Heute aber feiern wir einen fröhlichen Gottesdienst mit Festgeläut und festlicher Musik. Die Kerzen brennen, auf dem Altar stehen frische Blumen, und wir alle haben uns schön gemacht für diesen Festtag. Warum also heute ausgerechnet diese Geschichte, wie Jesus im Garten Gethsemane auf der schmutzigen Erde kniet und in seiner Todesangst zu Gott betet? Weil Jesus eben doch nicht allein bleibt in dieser Extremsituation. Gott schickt ihm einen Engel vom Himmel, der ihn stärkt.

Gibt es für jeden von uns einen Schutzengel? Ist Gott wirklich für uns da? Hört er unsere Gebete, wenn wir verzweifelt sind und nicht mehr können? Ich kenne Menschen, die sagen: „Ich kann nicht mehr an Gott glauben. Ich habe zu viel Schweres erlebt im Leben. Wenn es Gott gäbe, dann hätte er das doch verhindern müssen, all das Elend, das ich schon erlebt habe. Wenn es Gott gäbe, dann hätte er mich nicht so hängen lassen dürfen.“ Wenn ich die Lebensgeschichte dieser Menschen kenne, dann kann ich schon verstehen, wie sie zu dieser Meinung kommen. Aber es macht mich doch traurig: So vieles haben diese Menschen schon verloren in ihrem Leben, und nun auch noch den Glauben an Gott. Für mich will ich es anders versuchen. Ich will festhalten an meinem Glauben. Auch wenn es schwere Zeiten gibt in meinem Leben. Auch wenn Manches anders gekommen ist, als ich es mir gewünscht hätte. Auch wenn ich Gott manchmal fragen muss: „Warum das alles?“ Ich möchte festhalten an meinem Glauben. Und ich möchte euch ermutigen, das auch zu tun. Heute lasst ihr euch konfirmieren. Konfirmation bedeutet Stärkung – Stärkung im Glauben. Wir alle brauchen diese Stärkung im Glauben. Sogar Jesus, der doch unser Vorbild im Glauben ist, hat diese Stärkung gebraucht. Ja, Jesus hat festgehalten an seinem Glauben – auch da, wo er Gott nicht verstehen konnte: Muss das wirklich sein, dieser Weg ins Leiden? Muss ich wirklich am Kreuz sterben? Geht es nicht auch anders? So hat Jesus Gott gefragt. Und Gott hat seinen Glauben gestärkt. Gott hat Jesus einen Engel vom Himmel geschickt, um ihn zu stärken.

Warum musste Jesus eigentlich leiden und sterben? Gott hätte das doch auch anders regeln können, dass er uns unsere Schuld vergibt, oder nicht? Was wäre, wenn Gott einfach nur der große und allmächtige Gott wäre, irgendwo da oben im Himmel- und nicht auch dieser Mann am Kreuz, der da einen elenden Tod stirbt? In den schweren Zeiten meines Lebens würde ich mich dann schwerer tun damit, an Gott zu glauben. In den schweren Zeiten meines Lebens brauche ich Jesus. An den kann ich mich halten, denn er hat selbst Schweres durchgemacht. Und er hat es erleben dürfen, dass Gott ihm hilft in schweren Zeiten.

Gott hat Jesus einen Engel vom Himmel geschickt, um ihn zu stärken. Für mich ist das nicht nur irgendeine biblische Geschichte aus ferner Vergangenheit, die heute so nicht mehr passieren könnte. Ich bin überzeugt davon: Gott schickt auch heute seine Engel. Er schickt sie auch zu euch. Wenn es euch schlecht geht und ihr Trost und Hilfe braucht. Wenn ihr nicht mehr weiterwisst und guter Rat teuer ist. Wenn ihr es schwer habt und ihr jemanden braucht, der auf euch aufpasst, der euch beschützt und vor dem falschen Weg bewahrt. Gott schickt euch seine Engel. Mögen Engel euch begleiten auf allen euren Wegen.

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Misericordias Domini

Predigt zum Abschluss des Glaubenskurses am Sonntag, 23. April 2023

Mk 2, 13-17: Jesus ging wieder hinaus zum See. Die ganze Volksmenge kam zu ihm, und er lehrte sie. Als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus. Der saß an seiner Zollstation. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus bei ihm zu Hause zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Es waren inzwischen viele, die Jesus folgten. Die Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, dass Jesus mit Leuten, die als Sünder galten, und mit Zolleinnehmern aß. Da sagten sie zu seinen Jüngern: »Wie kann er mit Zolleinnehmern und Sündern essen?« Jesus hörte das und gab ihnen zur Antwort: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

 

Liebe Mitchristen!

„Entdeckungen im Land des Glaubens“. So hieß der Glaubenskurs, auf den wir uns eingelassen haben in den vergangenen Wochen.  Neuland entdecken: Was wird uns erwarten? Die Frage hat uns alle irgendwie beschäftigt, jede und jeden auf ganz eigene, persönliche Weise. Was haben wir miteinander entdeckt an diesen sieben Abenden, was hat jede und jeder für sich entdeckt? Am letzten Mittwoch haben die Glaubenskurs- Teilnehmer aufgeschrieben, welche Früchte der Glaubenskurs für sie getragen hat. Mich hat beeindruckt, was dabei alles aufgeschrieben wurde.

Wie lässt sich Gott erfahren, wie lässt sich Glaube leben in meinem eigenen Leben? Das waren Fragen, die uns immer wieder beschäftigt haben an diesen Abenden. Und auch das, was uns den Zugang zu Gott erschwert hat in unserem Leben: Erfahrungen von Lebenskrisen, die den lieben Gott fragwürdig werden ließen. Oder schwierige Erfahrungen mit Menschen, die Gott als Drohung missbrauchten: Pass auf, Gott sieht alles! Manchmal fällt es schwer, an Gott zu glauben.  Manches macht es uns schwer. Und trotzdem finden Menschen den Weg zu Gott- und es sind nicht immer nur die, von denen wir es schon immer dachten. Das haben auch die Menschen zur Zeit Jesu so erlebt. In unserer Bibelgeschichte setzt sich Jesus an einen Tisch mit Zolleinnehmern und anderen Leuten, die als Sünder galten.

Jesus lädt Menschen ein- damals wie heute. Wir können uns festhalten an Jesus Christus, der Gottes Liebe gelebt hat bis zur letzten Konsequenz, bis zum Tod am Kreuz. Durch diese Abgründe ist er hindurchgegangen und hat sie überwunden.  Er versteht uns und ist uns nahe auch in schweren Zeiten. Das ist es, was uns auch durch dunkle Zeiten hindurchträgt und das Licht am Ende des Tunnels sichtbar macht. So wie nach dem Karfreitag der Ostermorgen kommt, so wird auch für dich ein neuer Tag kommen, ein Tag, an dem du alles verstehen wirst. Dann wirst du mit ganzem Herzen sagen: Ich danke dir, Gott. Damals habe ich nicht verstanden, warum du mich diesen schweren Weg geführt hast. Aber jetzt, im Rückblick erkenne ich: Es war gut so, wie du es gemacht hast. Damals habe ich nichts gespürt von Dir und Deiner Liebe. Aber jetzt erkenne ich: Nie hast du mich verlassen. Deine Liebe ist unzerstörbar. Das tröstet mich. Jesus Christus ist für mich da. Auch dann, wenn Vieles schiefgelaufen ist in meinem Leben. Er hat meine Schuld auf sich genommen und schenkt mir einen Neuanfang. Er hat es uns versprochen: „Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“

Vielleicht ist Ihnen das ja zu steil oder es erscheint Ihnen zu billig. Vielleicht sagen Sie sich: Das habe ich aber anders erlebt. Ich kann meinen Lebens- und Glaubenskrisen keinen Sinn abgewinnen, auch nicht im Rückblick. Vielleicht denken Sie jetzt: Das habe ich so noch nicht erleben dürfen, dass ich angenommen bin trotz meiner Fehler, meiner Schwächen und meiner Schuld. Meine Erfahrungen sind hier anders. Die anderen Menschen haben mich immer abgewiesen deswegen.  Wie soll ich da glauben können, dass es bei Gott anders ist? Ja, manches bleibt uns unbegreiflich. Manche schwere Zeit in unserem Leben lässt sich nicht mit Sinn füllen. Manche Anfrage an den Glauben, mancher Zweifel an Gott lässt sich weder im zwischenmenschlichen Gespräch noch im Gebet ganz klären. Aber Jesus Christus lädt uns dazu ein, trotzdem an seinen Tisch zu kommen und mit ihm Gemeinschaft zu haben. Er wartet damit nicht, bis alle unsere Zweifel ausgeräumt sind und wir einen felsenfesten Glauben haben.

Jesus Christus lädt uns ein- hier und jetzt, ohne Vorbedingungen. So wie wir sind, sind wir willkommen. Durch Jesus Christus dürfen wir erfahren: Gott ist meine Rettung. Gott rettet mich vor meinem Kreisen um mich selbst, vor dem Gefühl, ich müsste alles allein schaffen. Gott befreit mich zu einer neuen Sicht meiner Lage. Bei Gott kann ich zur Ruhe kommen. Auch wenn sich äußerlich nichts an meiner vielleicht schwierigen Situation geändert hat, kann ich es jetzt innerlich spüren: Ich fühle mich sicher und fürchte mich nicht. Jesus Christus ist für mich da. Er ist mein Arzt. Er kann auch meine Verletzungen heilen. Er ist der gute Hirte, der mich zum frischen Wasser führt, meine Rettung, meine Quelle, aus der ich schöpfe. Vielleicht ist mein Glaube an Gott nur klein, und Vieles bleibt mir unverständlich. Aber dann und wann gibt es doch einen gesegneten Augenblick, in dem ich mich Gott nahe fühle und bei Jesus Christus Kraft schöpfe. Das trägt mich und stärkt mich. Und ich höre ganz neu, wie Jesus ruft: „Komm, folge mir!“ Geh deinen Weg mit mir an deiner Seite! Und ich fasse Mut. Und in mir wächst der Glaube, dass nicht alles beim Alten bleiben muss. So wage ich den Neuanfang und lasse Jesus in mein Lebenshaus einziehen.

Liebe Mitchristen, das alles müssen wir nicht erzwingen. Aus der Freude heraus wird dieser Entschluss von selber wachsen. Und manchmal geschieht das alles auch ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe.  Entdeckungen im Land des Glaubens sind das, wenn ich mich auf Jesus einlasse. Wenn ich Jesus hereinlasse in mein Leben.  Wenn ich mich darauf einlasse, diese Hoffnung weiterzutragen und davon zu erzählen, in meinen eigenen Worten und in meinem eigenen Tempo. Manches geht mir vielleicht zu schnell, und ich frage mich:  Bin ich mir meiner Sache wirklich immer so sicher? Und was ist mit meinen Ängsten?

„Allein deine Gnade genügt, die in meiner Schwachheit Stärke mir gibt,“ heißt es in einem Lied aus unserem neuen Liederbuch, aus dem wir im Glaubenskurs oft gesungen haben. An diese Liedzeile muss ich denken. Denn in dieser Liedzeile stecken zwei wichtige Einsichten: Zum einen: In mancher Hinsicht bleiben wir schwach. Wir werden Gott und seine Wege mit uns nie ganz begreifen können. Ob wir nun schon seit Jahrzehnten im Land des Glaubens unterwegs sind oder gerade erst den ersten Ausflug dorthin unternommen haben.  Ob wir nun ein langes Theologiestudium hinter uns haben oder mehr fürs Praktische begabt sind: Im Grunde haben wir alle die gleichen Voraussetzungen. Wir alle werden Gott nie ganz verstehen, denn Gott ist Gott und wir sind nur Menschen. Wir alle haben auch unsere Punkte, wo wir uns schwer tun mit dem Glauben, und niemand von uns ist gefeit vor Lebenskrisen, die auch den Glauben erschüttern können.

Zum anderen: Auch wenn das so ist, auch wenn unser Glaube immer nur Stückwerk bleibt, Gottes Gnade gilt uns trotzdem ganz. Denn Gottes Gnade hängt nicht davon ab, ob unser Glaube perfekt ist. Das wird er nie sein. Gottes Gnade ist es, dass wir unsere Lebenswurzeln in Gott haben. Gott ist der feste Boden, auf dem wir stehen. Gott gibt uns Halt. Die Gewissheit unseres Glaubens kann nur von der Quelle herkommen, von Gott selbst. Und so erscheinen uns die Worte des Glaubens, die wir im Gottesdienst hören und mitsprechen manchmal eine Nummer zu groß für uns. Trotzdem, ja gerade deswegen sind wir eingeladen, uns diese Worte zu eigen zu machen. Denn es sind Worte, die offen sind für die Zukunft, die Gott für uns bereithält: Eine Zukunft, die jetzt schon beginnt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Okuli

Predigt zum Tauf- Erinnerungsgottesdienst am Sonntag Okuli, 12. März 2023

„Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!“ (Lk 10, 20)

Liebe Mitchristen!

Jeder von uns hat einen Namen. Der Name ist wichtig. Die Konfirmanden haben das in unserem Gottesdienst in zwei kleinen Anspielen vorgespielt: Da unterhalten sich zwei Jugendliche. Bei einem klingelt das Handy, und er unterbricht das Gespräch, um zu telefonieren. „Wer war dran?“ fragt seine Klassenkameradin. „Ich weiß nicht. Sie hat ihren Namen nicht gesagt,“ bekommt sie als Antwort. Oder eine Jugendliche kommt von der Schule nach Hause und wird von ihrer Mutter begrüßt. Begeistert erzählt sie von der neuen Mitschülerin, die für sie zur Freundin geworden ist. Gerne möchte sie sie mal zu sich nach Hause einladen. „Wie heißt das Mädchen denn?“ fragt die Mutter, und die Tochter weiß keine Antwort. „Dann können wir sie auch nicht einladen; frag erstmal wie sie heißt,“ antwortet die Mutter. Zwei kleine Szenen, die uns zeigen, wie wichtig der Name für uns ist. Ja, wenn ich jemand Neues kennen lerne, dann frage ich normalerweise als Erstes nach seinem oder ihrem Namen.

Woher haben wir eigentlich unseren Namen? Das wissen schon die Kinder, die heute zur Tauferinnerung gekommen sind: Unseren Namen haben wir von Mama und Papa. Unsere Eltern haben den Vornamen für uns ausgesucht. Darüber haben sie sich schon vor unserer Geburt viele Gedanken gemacht. Für viele Eltern ist das eine längere Entscheidung, die gar nicht so einfach ist. Viel gibt es da zu bedenken: Welche Bedeutung hat der Namen? Klingt er gut? Passt er mit dem Nachnamen zusammen? Und dann, am Tag unserer Geburt, da haben unsere Eltern den Ärzten und Hebammen im Krankenhaus gesagt, welchen Namen wir bekommen sollen. So wird es dann aufgeschrieben, und das neugeborene Baby bekommt ein Armbändchen mit seinem Namen um, damit jeder weiß, wie es heißt. Und später gehen die Eltern dann zum Rathaus, und der Name wird auch offiziell eingetragen. Dann steht er auf der Geburtsurkunde und begleitet uns ein Leben lang. So haben wir alle unseren Namen bekommen. Und bei der Taufe ist unser Name in der Kirche genannt worden. In unserem Gottesdienst heute schreiben wir die Namen von allen Kindern, die da sind, auf blaue Papiertropfen und hängen sie an die große weiße Wolke, die an unserer blauen Pinnwand steht.

Eine Wolke gehört an den Himmel. Deshalb hängt an unserer Pinnwand daneben auch die Sonne. Und die blaue Pinnwand steht für den blauen Himmel über uns. Warum schreiben wir unsere Namen in eine Wolke? Es hat etwas mit einem Satz aus der Bibel zu tun. Jesus hat diesen Satz gesagt: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind! (Lk 10, 20). Dieser Satz hat etwas mit der Taufe zu tun. Bei der Taufe sagen wir den Namen von dem Kind oder manchmal auch dem Erwachsenen, das getauft wird. Und wir sagen bei der Taufe auch den Namen von Gott: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Auf den Namen von Gott werden wir getauft. Und unser Name wird dabei genannt. Gott sagt in der Taufe: Dein Name und mein Name gehören von jetzt an zusammen. Du bist ein Kind deiner Eltern. Deine Eltern haben dir deinen Namen gegeben. Aber mit der Taufe gehörst du auch zu Gott. Du gehörst zur Kirche. Du gehörst zu unserer Gemeinde. Du gehörst zur großen Familie Gottes aus allen Völkern. Auch dafür steht die Wolke mit den Regentropfen, auf die wir die Namen von den Kindern geschrieben haben, die heute diesen Gottesdienst mitfeiern. Ohne die vielen Regentropfen, die wir in die Wolke gehängt haben, wäre die Wolke nämlich gar nicht da. Die Wolke besteht einzig und allein aus den einzelnen Regentropfen, die alle zusammen zur Wolke werden. So ist es auch mit unserer Gemeinde. So ist es auch mit der Kirche. Unsere Gemeinde und die Kirche bestehen einzig und allein aus den Menschen, die zu ihr gehören. Jeder einzelne, jeder Name ist wichtig. Ohne dich würde der Kirche etwas fehlen- schön, dass du da bist, wir brauchen dich! Und die Wolke an unserer Pinnwand zeigt uns auch: Du bist nicht allein. Da gibt es noch viele andere Christinnen und Christen, die auch zur Gemeinde und zur Kirche gehören. Ja, ganz viele Regentropfen mit Kindernamen hängen da heute in der Wolke an unserer Pinnwand. Und wir alle dürfen uns freuen, wie Jesus es uns gesagt hat. „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!“ Gott ist im Himmel. Und dein Name ist seit deiner Taufe im Himmel bei Gott aufgeschrieben. Ja, Gott kennt jede und jeden von uns mit Namen. Und auch zu dir sagt Gott: Du gehörst zu mir. Und ich bin für dich da. Ich bin dein Gott. Ich lasse dich nicht im Stich.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer (nach einer Idee von Dieter Witt, Opladen)

 

 

 

 

 

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Estomihi

Predigt zum Sonntag Estomihi, 19. Februar 2023

Liebe Mitchristen!

„Liebe wird immer da sein“. So heißt der Titel eines Bildes, gemalt von einem Mann namens Bayram. Ein romantisches Bild ist das. Zu sehen sind zwei Schwäne, die sich an der Brust zärtlich berühren und deren Köpfe einander liebevoll zugeneigt sind. Die geschwungenen Hälse der beiden Schwäne bilden die Form eines Herzens. Am Himmel steht der Mond. Er bescheint die liebenden Schwäne und lässt ihr Spiegelbild im Wasser erscheinen.

„Liebe wird immer da sein“ – das ist eine steile Aussage, gerade in unserer Zeit, in der viele Ehen scheitern und viele Menschen unter der Einsamkeit und Lieblosigkeit leiden, die sie umgibt. Wäre es da nicht passender, etwas vorsichtiger zu formulieren, zum Beispiel: „Liebe sollte immer da sein“? Hören wir, was der Apostel Paulus in 1. Kor 13 über die Liebe schreibt:

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

„Die Liebe hört niemals auf“, so heißt es da bei Paulus. Alles andere wird an ein Ende kommen – alles, auf das wir heute große Stücke halten. Wenn einer gut reden kann und die anderen mit Worten überzeugen – ohne die Liebe ist das alles bloß viel Lärm um nichts. Wenn einer intelligent ist und neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnt – ohne die Liebe ist das bloß, als ob der die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte. Wenn einer fest im Glauben steht und sozial engagiert ist – ohne die Liebe ist das bloß Fanatismus oder nur Mittel zum Zweck, um vor anderen besser dazustehen, ganz nach dem Motto: Gutes tun und darüber reden.

Die Liebe ist frei von solchen Hintergedanken und erwünschten Nebeneffekten. Da geht es nicht darum, dass ich selber groß rauskomme und gut dastehe. Da geht es um den anderen, um meinen Mitmenschen, der mir wichtig ist. Ja, da geht es sogar um die, mit denen ich eigentlich nichts zu tun haben wollte. „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel“ (Mt 5,44). So hat Jesus es uns aufgetragen. Es ist ein schwerer Auftrag, einer der uns immer wieder herausfordert und doch auch immer wieder scheitern lässt. Ähnlich schwer erscheint es, die Liebe so zu leben, wie Paulus sie den Korinthern nahe legt: „Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Wer kann dem gerecht werden? Wer schafft das, die Liebe so zu leben, wie sie hier beschrieben wird?

Es gibt nur einen, der das geschafft hat, die Liebe so zu leben. Jesus Christus hat die Liebe gelebt bis zum Ende. Er hat alles ertragen und erduldet, indem er ans Kreuz gegangen ist für uns – allein aus Liebe. Das ist die Liebe, die immer da sein wird. Diese Liebe ist vollkommen. Die Liebe, die wir auf dieser Welt erleben dürfen, ist ein Abglanz dieser Liebe. Es ist etwas Wunderbares, wenn zwei Menschen ihren Weg durch das Leben gemeinsam gehen. Immer wieder erzählen mir Paare, über welch ungewöhnliche und verschlungene Wege sie zueinander gefunden haben oder welch schwere und krisenreiche Zeiten sie miteinander durchgestanden haben. Welch ein Wunder ist es, wenn die Liebe zweier Menschen tragfähig wird und bleibt. Welch ein Wunder ist es überhaupt, dass wir Menschen einander Liebe geben können, in der ganzen Vielfalt von Beziehungen, durch die wir miteinander vernetzt sind. Egal, in welcher Lebensform wir leben, wir alle brauchen Liebe, vom kleinen Baby bis zum Hochbetagten.

Die Liebe ist ein Geben und Nehmen, und sie ist lebensnotwendig. Und doch ist sie unvollkommen. Sie ist nur ein schwacher Abglanz der göttlichen Liebe, wie eine Wasserspiegelung in einem Teich. Wir erkennen nur die Umrisse, vieles bleibt unklar und verschwommen, wie das Spiegelbild der Schwäne auf dem Bild. Der Himmel hängt nicht immer voller Geigen, er ist oft dunkel und bedrohlich, wie ihn der Maler hier darstellt – eine schier undurchdringliche Finsternis, die das Mondlicht auch nicht aufhellen kann. Nicht sanft und golden steht der Mond hier am Himmel, sondern in kaltem, harten Weiß, das den Kontrast zwischen dem schwarzen Himmel und den weißen Schwänen beinahe gespenstisch anmuten lässt. Es ist eine harte und dunkle Welt, aus der der Künstler mit seinem Bild zu uns spricht. Bayram hat das Bild gemalt, als er im Gefängnis war. Die Straftäter haben Bilder gemalt, in Zusammenarbeit mit einer Kunsttherapeutin. Aus den Bildern ist ein Kalender entstanden. Durch meine Arbeit als Gefängnisseelsorgerin habe ich diesen Kalender kennen gelernt. Ich kenne nur den Kalender. Die Menschen, die die Kalenderbilder gemalt haben, kenne ich nicht. Aber aus meiner Arbeit mit Gefangenen in Rottweil weiß ich, wie wichtig es für diese Menschen ist, einen ehrlichen Blick auf ihr eigenes Leben werfen zu können. Vieles ist schiefgelaufen in ihrem Leben. Sie brauchen eine Neuorientierung. Oft fällt es diesen Menschen schwer, über die dunklen Punkte in ihrem Leben zu reden, über die eigene Schuld und das eigene Versagen. Bilder sagen oft mehr als Worte. Manches, das man in Worten nur schwer ausdrücken kann, lässt sich in einem Bild darstellen: Gedanken und Gefühle, Hoffnungen und Wünsche, Irrwege und Auswege.

„Liebe wird immer da sein.“ So nennt Bayram sein Bild. Wer im Gefängnis sitzt, hat in der Regel andere Erfahrungen gemacht. Die Erfahrung, dass Gewalt an die Stelle der Liebe tritt – Gewalt, die sich nicht ungeschehen machen lässt, weil sie ihre Spuren hinterlassen hat: Wunden und Narben, nicht nur am Körper, sondern auch an der Seele. Ich verstehe Bayrams Bild als ein Bild gegen alle Erfahrung, der Erfahrung zum Trotz: Die Liebe, die trotz allem da ist, trotz der Dunkelheit, die sie umgibt.

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Die Liebe ist die größte, sagt Paulus. Sie ist der Ausgangspunkt für Glaube und Hoffnung: Der Glaube glaubt, dass die Liebe in der Dunkelheit unserer Welt da ist, auch da, wo wir sie nicht erkennen. Die Hoffnung hofft, dass die Liebe die Dunkelheit unserer Welt durchdringen wird. Liebe wird immer da sein, denn Gott selbst ist die Liebe. Gott hat um die Dunkelheiten unserer Welt nicht einen großen Bogen gemacht. Er selbst hat Gewalt und Unrecht erlitten. Jesus Christus ist unschuldig verurteilt worden zum Tod am Kreuz. Nicht mit Gewalt hat er reagiert auf diese Gewalt, die ihm angetan wurde, sondern mit Liebe. So konnte er sagen: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Die Liebe ist stärker als die Gewalt. Das ist die Botschaft von Jesu Tod und Auferstehung.  Das ist unser christlicher Glaube, unsere christliche Hoffnung. Es ist ein Glaube und eine Hoffnung oft gegen allen Augenschein, immer in dem Wissen, dass alles Stückwerk ist, was wir hier in dieser Welt erleben. Und doch dürfen wir immer wieder erleben, dass Liebe da ist, wo wir sie nicht erwarten. Oft sind es nur kleine Gesten, die doch so viel bewirken können: Ein paar freundliche Worte, die die Einsamkeit vertreiben. Die Hand, die zur Versöhnung ausgestreckt ist. Ein gutes Wort, das Trost spendet in schweren Zeiten. All das sind Zeichen von Gottes Liebe – Zeichen, die wir selbst setzen können – bis wir einst in Gottes Vollkommenheit sein werden und das Stückwerk aufhören wird.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Septuagesimae

Predigt zum Sonntag Septuagesimae, 5. Februar 2023

Matthäus 9, 9-13: Jesus ging von Kapernaum weiter. Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus im Haus zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« Jesus hörte das und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹ Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

Liebe Mitchristen!

Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Auto unterwegs. Und direkt vor Ihrem Auto fährt ein Polizeifahrzeug. An dem Polizeifahrzeug leuchtet die Aufschrift: „Bitte folgen.“ Was müssen Sie jetzt machen? Im Fragenkatalog zur theoretischen Fahrprüfung gibt es auf diese Frage drei mögliche Antworten, und nur eine ist richtig: 1. Nur Schwertransporte müssen dem Polizeifahrzeug folgen. 2. Alle Fahrzeuge, die in gleicher Richtung fahren, müssen dem Polizeifahrzeug folgen. 3. Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen. Gar nicht so einfach, die theoretische Fahrprüfung. Welche Antwort ist richtig? Richtig ist die Antwort: Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen. „Bitte folgen.“ Das gilt nur für mich ganz persönlich. Eine Aufforderung, der ich besser nachkommen sollte, wenn da das Polizeifahrzeug vor mir fährt. Wenn ich das dann nicht tue, wird es teuer für mich. „Bitte folgen.“ Das sagt Jesus in unserer biblischen Geschichte zu dem Zolleinnehmer Matthäus. „Bitte folgen.“ Das gilt auch für mich. Das gilt für jeden von uns ganz persönlich: Nur Sie müssen Jesus folgen.

Freilich, der Vergleich mit einem Polizeiauto hinkt. Wenn ich Jesus folge, dann tue ich das nicht unter Zwang und Bußgeldandrohung. Ich tue es freiwillig. Und doch: Es hat auch einen Preis für mich, wenn ich mein Leben nicht auf Gott ausrichte. Matthäus, der Zolleinnehmer, hat es so erlebt. Er hat für sein Leben eine Entscheidung getroffen: Geld und Reichtum, das ist mir wichtiger als mein Leben an Gott auszurichten und auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen. Matthäus hat sich entschieden, mit den Römern zusammenzuarbeiten, mit der damals verhassten Besatzungsmacht. Da sitzt er also in seinem Zollhäuschen an der Stadtmauer. Die Bauern kommen, die ihre Ware bringen und sie in der Stadt auf dem Markt verkaufen wollen. An der Zollstation müssen sie den Zoll zahlen. Matthäus verdient gutes Geld dabei, und seinem Verdienst sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Denn es kümmert niemanden, wenn er den Durchreisenden und Händlern an der Zollstation mehr Geld abnimmt, als die Römer verlangen. Korruption war weit verbreitet unter den Zolleinnehmern in Israel.

Matthäus hat Geld. Und er hat sich entschieden, dass ihm das wichtiger ist, als sein Leben nach Gott auszurichten. Aber es hat seinen Preis für ihn, dass er sein Leben nicht nach Gott ausrichtet. Es hat den Preis, dass er allein dasteht. Dass er einsam ist. Dass er bei allen anderen unbeliebt ist. Denn die anderen sagen über die Zolleinnehmer: Das sind Halsabschneider, Betrüger, Faulpelze, Menschen mit unehrlicher Arbeit. Nur Jesus redet anders mit diesem Zolleinnehmer, als es die Anderen tun. Matthäus bekommt eine neue Chance. Folge mir, sagt Jesus zu ihm.

Folge mir, sagt Jesus auch zu jedem von uns. Folge mir. Gott braucht dich. Folge mir. Du gehörst dazu. Du musst nicht allein bleiben. Folge mir. Was kaputt ist in deinem Leben, es kann wieder gut werden oder anders gut werden. Folge mir, sagt Jesus. Jesus lässt es nicht bei leeren Worten bewenden. Er setzt sich mit diesem Zolleinnehmer Matthäus und mit anderen Zolleinnehmern und Sündern an einen Tisch. Was sind das für Sünder? Ich denke an die Geschichte von der Ehebrecherin, wo keiner den ersten Stein wirft, weil alle Menschen Sünder sind. Solche Menschen wie diese Ehebrecherin stelle ich mir vor, die da mit Jesus am Tisch sitzen. Oder Frauen, die keine Familie haben, so dass sie gezwungen sind, als Prostituierte zu arbeiten, um nicht zu hungern. Das sind Menschen, von denen die Leute sagen: Das sind Sünder. Das sind Sünderinnen. Menschen, mit denen keiner was zu tun haben will. Was für Menschen könnten das heute sein? Ich bin als Seelsorgerin seit einigen Monaten auch im Gefängnis tätig. Dort begegne ich Menschen, die einer langen Haftstrafe entgegensehen. Ich sage ihnen: „Bei Gott haben Sie trotzdem eine Chance. Und wenn Sie rauskommen, und sei es erst in 10 Jahren, dann ist es es wert, es anders zu probieren im Leben als auf kriminelle Weise.“ Es kommt mir selber steil vor, so zu reden. Aber ich weiß, Jesus hätte auch so gesprochen. Er hätte sich mit diesen Menschen an einen Tisch gesetzt.

Folge mir, sagt Jesus. Und er setzt sich an einen Tisch mit Zolleinnehmern und Sündern. Jesus lädt diese Menschen ein: Iss mit mir! Komm! Wie viel Wirkung kann in so einer Einladung stecken! Wenn Jesus sich mit an den Tisch setzt, da geht ein Stück Himmel auf: Gott sieht dich. Gott hat dich nicht vergessen. Du gehörst dazu. Du musst nicht allein am Tisch sitzen. Viele Menschen essen heutzutage allein. Ja, auch bei uns zuhause, wo mein Sohn und ich zusammen leben, ist es oft so, weil unsere Zeiten und Termine nicht zusammenpassen. Und doch geht es uns beiden so, dass es uns lieber ist, wenn wir nicht allein essen, sondern miteinander. Mein Sohn hat mir dazu erzählt, dass es einen neuen Trend gibt: Wenn man allein isst, dann schaut man beim Essen auf Youtube ein Video an von jemandem, der gerade auch isst. Ganz verschiedene Videos gibt es da: Solche, wo jemand sehr gesittet isst und solche, wo jemand das Essen in sich reinschlingt. Aber immer ist es jemand, der isst, das ist wichtig. Ein Trend aus Korea ist das- aus der Großstadt, wo Menschen viel allein sind beim Essen. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass es so einen Trend gibt, das Menschen sich sagen: Wenn ich schon allein bin beim Essen, dann will ich wenigstens auf dem Bildschirm noch jemanden bei mir haben, der auch gerade isst und mir so Gesellschaft leistet.

Auch im Gottesdienst beim Abendmahl wollen wir miteinander essen und trinken. Wir wollen uns daran erinnern, dass Jesus mitten unter uns ist, wenn wir das Abendmahl feiern. Jesus setzt sich an einen Tisch mit uns. Mit ihm haben wir Gemeinschaft, so wie wir sind. Ganz unterschiedlich sind wir mit dem, was wir mitbringen: Mit den Entscheidungen, die wir in unserem Leben getroffen haben – Entscheidungen, die uns von Gott weggeführt haben, oder uns näher zu ihm gebracht haben. Wo auch immer wir stehen, wenn wir auf unser Leben blicken – wir dürfen uns darauf verlassen, dass wir bei Jesus eingeladen sind. Jesus sagt uns: Folge mir. Komm, lass dich einladen. Iss mit mir. Hab Gemeinschaft mit mir. Ich bin da für dich. Ich bin mitten unter euch, wenn ihr das Abendmahl feiert. In unserem Bibeltext sagt Jesus: „Nicht die Gesunden und Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Nicht die Gerechten, sondern die Sünder.“

Wer sind die Starken, wer sind die Kranken? Ich denke, wir alle können in unserem Leben immer wieder an der einen oder an der anderen Stelle stehen. Es ist in Ordnung, wenn wir jetzt gerade die Kranken sind und Hilfe brauchen, und diese dann auch annehmen. Und es ist in Ordnung, wenn wir gerade die Starken und Gesunden sind, und für die anderen eine Hilfe sein können. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn wir denken: Dieser andere Mensch ist hier fehl am Platz, mit allem, was er mitbringt aus seinem Leben. Immer wieder sind wir in dieser Gefahr. Immer wieder sollen wir uns daran erinnern lassen, dass wir auch die Menschen, die uns ferner sind, als unsere Brüder und Schwestern annehmen, mit denen wir in Jesus Christus verbunden sind. Ich denke noch einmal an den kurzen Satz, den Jesus uns hier mit auf den Weg gibt: Nicht die Starken und Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich finde das auch für mich persönlich eine große Entlastung – zu wissen, ich bin willkommen, so wie ich bin. Mit allen Brüchen und Fehlern, die zu meinem Leben gehören. Mit allen Hoffnungen und Sehnsüchten. Ich bin eingeladen. Ich darf kommen. Bei Gott bin ich willkommen. Jesus Christus lädt uns alle an seinen Tisch.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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letzter Sonntag nach Epiphanias

 

Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2023

Matthäus 17, 1-9: Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete weiß wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie von Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Liebe Mitchristen!

Wo können Sie am besten Abstand gewinnen vom Alltag und die alltäglichen Sorgen hinter sich lassen? Das können ganz verschiedene Orte oder auch Zeiten sein. Vielleicht ist es für Sie eine stille Zeit am Morgen, die Sie sich gönnen. Oder ein Spaziergang in der Natur, Gespräche mit Freunden. Vielleicht ist es für Sie auch der Gottesdienst, den wir hier am Sonntagmorgen feiern. Für viele Menschen haben in diesem Zusammenhang die Berge eine ganz besondere Bedeutung. Schon im Alten Testament ist das so, bei Mose und Elia. Berge sind ein Ort, wo Menschen auch heute Gottes Größe und seine Nähe erfahren. Man tritt heraus aus den Niederungen des Alltags. All die Berge, die hier um uns herum sind, stehen dafür. Sie zeigen uns, dass immer wieder Menschen da waren, denen diese Berge etwas in Bezug auf ihren Glauben bedeutet haben: Menschen, die eine Kapelle gebaut haben in Wehingen auf dem Bürgle. Menschen, die in Gosheim das weiße Kreuz aufgestellt haben. An diesen schönen Orten, wo man ins Weite sieht, dort fühlt man sich Gott in besonderer Weise nahe. Dort hat man einen Überblick über die umliegende Gegend. Das hilft auch dabei, einen Überblick zu bekommen über sein eigenes Leben und sich zu besinnen auf Gott, dem wir unser Leben verdanken.

Ich denke an solche Gipfelerlebnisse bei Spaziergängen oder Wanderungen in den Bergen oder auch bei anderer Gelegenheit, wenn ich mir vorstelle, wie es Petrus und den anderen Jüngern in unserer Bibelgeschichte ging. Es ist eine sehr besondere Erfahrung, die diese drei Jünger gemacht haben – Petrus, Johannes und Jakobus. Sie haben Jesus oben auf dem Berg ganz anders erlebt, als sie sie ihn sonst kannten. Und das, obwohl Petrus schon vorher ein besonderes Erlebnis oder eine besondere Erkenntnis hatte mit Jesus. Petrus hatte erkannt: Jesus ist wirklich der Messias. Jesus ist Gottes Sohn. Petrus konnte seinen Glauben an Jesus bekennen, schon bevor er mit Jesus oben auf dem Berg war. Dort oben hat Petrus dann mit eigenen Augen gesehen: Jesus ist der Sohn Gottes! Jetzt ist sich Petrus ganz sicher, zusammen mit den anderen beiden Jüngern: Jesus wird bald seine Herrschaft sichtbar aufrichten, und wir, die Jünger, wir werden daran beteiligt sein! Endlich etwas Sichtbares und Erfahrbares! Endlich kommt Gott und ist uns ganz nahe! Endlich wird das Elend auf der Welt ein Ende haben! Jesus Christus erstrahlt in hellem Licht, und zusammen mit ihm noch die ganz Großen der Geschichte Israels, die ganz großen Männer des Glaubens: Mose und Elia, diese beiden, die Gott auch auf einem Berg erfahren durften.

Kein Wunder, dass Petrus diesen ganz besonderen Augenblick einfach festhalten möchte. Dieser großartige Glücksmoment soll für immer bleiben. „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ So sagt es Petrus. Ich denke, diese Reaktion ist völlig nachvollziehbar für jeden, der schon einmal einen echten Glücksmoment erlebt hat im Leben. In einem solchen Moment denken wir: So soll es bleiben! Aber Gott lässt sich nicht auf Dauer festhalten. Gott bleibt der ganz Andere, der Unbegreifliche. So geht es uns auch heute: Ob es Glücksmomente in unserem Leben sind oder Momente besonderer Gotteserfahrung – es bleiben immer nur Momente. Und doch sind diese Momente etwas ganz Wichtiges. Diese Gipfelerlebnisse geben unserem Glauben Halt, so dass er tragfähig bleibt in den Tiefen des Lebens. Ja, auch wenn wir von diesen Glücksmomenten wieder heruntersteigen müssen in die Tiefen und die Niederungen des Alltags – Gott ist bei uns und begleitet uns.

Gott ist bei uns und begleitet uns – auch, wenn das oft ganz anders aussieht, als wir es erwarten und uns wünschen. Elia hat das schon viel früher als Petrus auf einem Berggipfel erlebt, dass Gott ganz anders ist, als er es erwartet hat. Zu Elia kam Gott nicht im Sturm, auch nicht im Erdbeben oder im Feuer. Elia hat erfahren: Gott kommt ganz leise und sanft, ganz anders als erwartet. Und so erleben es auch Petrus und die beiden anderen Jünger mit Jesus auf dem Berg. Es läuft anders als erwartet. Petrus würde gerne Hütten bauen. Dass er das möchte, hat er noch gar nicht richtig ausgesprochen, da fällt ihm aus der Wolke eine Stimme ins Wort.  Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft ihn dieses Wort von oben: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; hört auf ihn!“

Unsere Aufgabe ist nicht, Hütten zu bauen. Unsere Aufgabe ist nicht, sich einrichten in den Glücksmomenten. Unsere Aufgabe ist, weiterzugehen durch die Höhen und Tiefen des Lebens und dabei auf Jesus zu hören. Zu hören auch auf unbequeme Worte von Jesus, auf Worte wie diese, die Jesus auch auf einem Berg gesprochen hat: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt 5, 4ff) Hört auf Jesus! Den Jüngern fährt diese himmlische Stimme in die Glieder und ihnen zittern die Knie.  Wie geht es uns heute damit, mit diesen Worten aus der Bergpredigt, in einer Zeit, in der die Selbstverständlichkeit in Europa Frieden zu haben, weg ist seit jetzt fast einem Jahr. So lange dauert der Krieg in der Ukraine nun schon bald. Dieser Krieg macht uns ratlos – so ratlos, dass uns nur noch militärische Mittel einfallen, um ihn einzudämmen. Werden sie den Frieden bringen? Hört auf Jesus ,sagt uns die Bibel. Wir sind herausgefordert, das in unserer Zeit zu tun –  mitten im Elend und Unfrieden unserer Welt. 

Ja, immer wieder gibt es zum Glück auch Gipfelerlebnisse in unserem Leben und Glauben. Gipfelerlebnisse, die uns helfen, auch durch die schwierigen Zeiten hindurchgehen zu können. Ich denke dabei noch an einen anderen Berg – an den Hügel Golgatha. Auf Golgatha stirbt Jesus am Kreuz.  „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; hört auf ihn!“ Gerade auch auf Golgatha gelten diese Worte.  Das göttliche Licht scheint überall – gerade auch an den verworrenen und dunklen Orten. Auch und gerade am Kreuz wird es greifbar, was Jesus in der Bergpredigt versprochen hat: Dass die Leidenden getröstet werden. Dass den Sanftmütigen das Erdreich gehört. Dass die Friedensstifter Gottes Kinder heißen. Es geht nicht immer alles einfach und glatt auf. Es gibt eben nicht nur die Gipfelerlebnisse, sondern auch die tiefen auch die dunklen Täler. Gerade auch jetzt in unserer Zeit, in der wir diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine erleben müssen, gerade da wollen wir daran festhalten, dass Jesus Christus für uns da. Für die drei Jünger wird seine Herrlichkeit sichtbar auf dem Berg. Aber erst nach Kreuz und Auferstehung dürfen sie davon berichten. Denn gerade im Leiden am Kreuz wird Gottes Herrlichkeit sichtbar in Jesus Christus. Auf seinen Namen sind wir getauft.  Und er hat es uns versprochen, er wird bei uns sein. Nicht nur an den Höhepunkten unseres Lebens und bei den Gipfelerlebnissen unseres Glaubens, sondern an jedem Tag- alle Tage bis ans Ende der Welt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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2. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2023

2. Mose 33, 18-23: Und Mose sprach zu Gott: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter:  Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Liebe Mitchristen!

„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Gib mir irgendwas, das bleibt.“ So heißt es in einem Lied von Silbermond.  Ich finde, dass dieses Lied gerade jetzt in unserer Zeit wieder aktuell ist. In einer Zeit, in der die alten Sicherheiten in Frage gestellt sind, die für uns Jahrzehnte lang selbstverständlich waren: Dass es keinen Krieg mehr gibt, oder höchstens ganz weit weg von uns. Dass wir uns keine Sorgen machen müssen, ob wir im Winter unsere Wohnung warm bekommen. Dass es im Sommer warm ist und im Winter kalt, ohne große Veränderungen, ohne Klimaveränderung. Dass die Erde bewohnbar bleibt. Alle diese Sicherheiten gibt es nicht mehr in unserer Zeit. Stattdessen sind wir unterwegs in eine Zukunft, die uns ungewisser scheint als je zuvor.

Mich erinnert das an die biblische Geschichte vom Volk Israel, das in der Wüste unterwegs war. Die alten Sicherheiten in Ägypten haben sie hinter sich gelassen, die sie als Sklaven dort gehabt haben_ Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Nun sind sie dem vagen Versprechen gefolgt, dass sie irgendwann einmal in ein gutes und fruchtbares Land kommen werden. Mose, ihr Anführer, hatte ihnen erzählt, dass ihnen Gott dieses Land versprochen hat: Ein Land, das von Milch und Honig fließt. Aber in den langen Jahren der Wüstenwanderung ist dieses Land nicht in Sicht gekommen – nur Hunger und Durst und diese unendliche, furchtbare Weite der eintönigen und lebensfeindlichen Wüstenlandschaft.

Kinder sagen ja immer bei einer langen Reise: „Wann sind wir endlich da?“ So wird es den Israeliten damals bei dieser Wüstenwanderung auch gegangen sein: Wann sind wir endlich da? Wo ist es denn nun, dieses Land, das Gott uns versprochen hat? Oder war das alles doch nur eine Fata Morgana, ein frommer Wunsch, eine billige Vertröstung? Wo ist Gott, der dieses Versprechen gemacht hat, dass alles gut wird in meinem Leben – auch wenn ich durch Wüstenzeiten gehe? Die Israeliten haben damals in der Wüste ihre eigene Antwort auf diese Frage gefunden. Sie haben sich einen Gott zum Anfassen gebaut: ein Stierbild aus Gold, ein goldenes Kalb. Sie sind um dieses Kalb herumgetanzt, um so ihren Gott anzubeten. Mose war nicht dabei. Er war auf dem Berg Sinai, um von Gott die Zehn Gebote zu empfangen. Als er herunterkam vom Berg, hat ihn die Wut gepackt über sein Volk.

„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint.“ Etwas, was ich sehen und anfassen kann. Dieser Wunsch steckte dahinter bei den Israeliten, als sie ihr goldenes Kalb gebaut haben. Aber Gott lässt sich nicht in so eine Form pressen. Ich kann Gott nicht für meine Zwecke gebrauchen. Da helfen keine goldenen Kälber, keine Beschwörungen und keine Zauberei. Denn Gott ist Gott, und ich bin nur ein Mensch. Wo ich in meinem Leben Gottes Hilfe erfahren darf, da habe ich das allein Gott zu verdanken und nicht mir selbst. Ich habe keinen Anspruch darauf. Gott ist und bleibt unverfügbar. Ich kann ihn nicht zwingen, mir zu helfen. Ich werde ihn nie ganz erfassen können mit meinem kleinen menschlichen Verstand. Es bleibt diese Anfechtung, dass ich mir Gott nicht vorstellen kann. Aber nur so bleibt Gott Gott. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal so gesagt: „Einen Gott, den man sich vorstellen kann, den kann man auch wieder zur Seite stellen.“ So wie man ein selbstgebautes Bild von einem goldenen Kalb wieder zur Seite stellen kann.

Und doch gibt es Zeiten in unserem Leben, wo wir diese Unbegreiflichkeit Gottes einfach nicht mehr aushalten. Wo wir das brauchen, dieses kleine bisschen Sicherheit – irgendwas, das bleibt, was ich anfassen, was ich sehen und begreifen kann. Dem Volk Israel geht es so, als ihr Anführer Mose nicht mehr in Sicht ist oben auf dem Berg. Aber auch Mose selbst geht es so. „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ sagt er zu Gott. Mose will etwas sehen. Er will Gott irgendwie wahrnehmen können. Mose weiß, dass das eigentlich nicht geht. Das goldene Kalb macht er wieder kaputt, weil es Gott nicht darstellen kann.  Aber der Wunsch, Gott zu sehen, ist bei Mose trotzdem da.

Moses Wunsch, Gottes Angesicht zu sehen, kann Gott so nicht erfüllen. Gott sagt ihm: Du kannst mein Angesicht nicht sehen. Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. Gottes Herrlichkeit ist wie blendendes Licht, das alle Konturen und Formen überstrahlt. Kein Auge kann es sehen, ohne zu vergehen. Und doch geht Gott auf diesen Wunsch ein, den Mose hat. Gott will Mose etwas von seiner Herrlichkeit erfahrbar machen. So spricht Gott zu Mose: „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen.“

Was wir von Gott sehen können, ist nicht sein Angesicht. Aber wir können hinter ihm her sehen. Im Rückblick können wir erkennen, was wir in unserem Leben Gottes Gnade zu verdanken haben. Was im Nachhinein doch einen Sinn ergibt, obwohl wir in der aktuellen Situation gedacht haben: Gott wo bist du? Warum hilfst du mir nicht? Warum stecke ich in dieser Klemme? Hinterher sehen, das bedeutet: Im Rückblick etwas vom Glanz Gottes in meinem Leben erkennen zu können: Gott war da. Gott hat mich auch durch diese Zeit hindurch getragen, als ich in der Klemme gesteckt bin.

In unserem Bibelwort wird beschrieben, das Mose in eine Felskluft gestellt wird. Diese Felskluft steht für mich zum Einen für dieses In-der-Klemme-Stecken. Manchmal geht es mir so, dass ich gerade in der Bedrängnis, wenn ich nicht aus noch ein weiß, etwas von Gottes Nähe spüre und erfahre– aber oft auch erst im Rückblick. Zum Anderen ist diese Felskluft für mich auch ein Zeichen für den Ort der Geborgenheit, den ich brauche: Einen Ort, wo ich geschützt bin vor dem, was ich sonst nicht ertragen kann. Gottes Angesicht sehen, das kann ein Mensch nicht ertragen. Aber auch Anderes gibt es im Leben, was ich nicht ertragen kann, wo ich einen Schutzraum brauche, einen Rückzugsort. Ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Irgendwas, das bleibt. In der Felskluft schafft Gott für Mose diesen Raum, so dass er nicht vergehen muss. Ein sicherer und geborgener Ort ist dieser Felsspalt, aus dem Mose im Rückblick sehen kann, wo Gott gewirkt hat in seinem Leben.

Wir alle brauchen solche Orte der Sicherheit. Orte, wo wir nachdenken können, was Gott bewirkt hat in unserem Leben. Auch der Gottesdienst am Sonntagmorgen kann so ein Ort sein. Ein Ort, wo ich zur Ruhe komme, wo ich in Sicherheit bin. Wo ich meine Sorgen ablegen darf und daran denke, was Gott Gutes getan hat in meinem Leben. Ein Ort, wo ich Gott begegnen kann.

Für uns als Christinnen und Christen ist es Jesus Christus, in dem uns Gott von Angesicht zu Angesicht begegnet. Jesus Christus, der uns durchs Leben begleitet, zu dem wir beten und auf den wir vertrauen können. In Jesus Christus können wir den göttlichen Glanz entdecken, gerade auch dann, wenn wir in der Klemme stecken. Denn Jesus Christus ist selber in der Klemme gesteckt. Sein Weg ans Kreuz schien eine Sackgasse zu sein, ein unwürdiges Ende für Jemanden, der so vielen Menschen Gott nahe gebracht hat. Aber für Gott war es nicht das Ende, war es keine Sackgasse. Gott hat seine Herrlichkeit offenbar werden lassen in Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist.  Er gibt uns Sicherheit. Er ist das, was bleibt. An ihn können wir uns halten in allen Zeiten unseres Lebens –  in den sicheren und in den unsicheren.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

 

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1. Sonntag nach Epiphanias

 

 

Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 8. Januar 2023

Joh 1, 29-34: Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er offenbar werde für Israel, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser.

Und Johannes bezeugte es und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hat zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

 

Liebe Mitchristen!

Gestern habe ich in meiner Wohnung die Weihnachtssachen weggeräumt. Jetzt ist alles wieder gut verstaut in einer Kiste auf dem Dachboden. Das Wohnzimmer sieht ein bisschen kahl aus ohne den Christbaum, und im Esszimmer hat mein Sohn die Weihnachtsdekoration vermisst, die wir auf dem Esstisch liegen hatten. Was bleibt von dem Glanz von Weihnachten? Was nehmen wir mit in dieses Jahr, das nun begonnen hat? Schwierig hat es begonnen, dieses Jahr. In der Ukraine haben die Waffen nicht geschwiegen während des orthodoxen Weihnachtsfestes. Was bleibt da von dem Glanz von Weihnachten, angesichts dieses brutalen Kriegs, angesichts von so viel Zerstörung, Not und Tod? Weihnachten haben sie trotzdem gefeiert in der Ukraine, jetzt am 7. Januar mit all dem Glanz, der zu einem orthodoxen Weihnachtsfest dazugehört. Ich denke an eine junge Frau, die in den Nachrichten interviewt wurde, dort in der Ukraine vor einer Kirche. Gerade in diesem Jahr war der Weihnachtsgottesdienst besonders wichtig für diese Frau, hat sie erzählt.

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13) Das ist die Jahreslosung für dieses Jahr. Dieses Bibelwort soll als Überschrift über diesem Jahr stehen. Ein Bibelwort, gesprochen von einer jungen Frau in Bedrängnis und Not. Auch die junge Frau, die ich in den Nachrichten gesehen habe, hat das offensichtlich so erleben dürfen in dem Weihnachtsgottesdienst, den sie in diesen Tagen in der Ukraine besucht hat: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Gott sieht uns. Er sieht das Elend in dieser Welt. Deswegen schickt er uns seinen Sohn- Jesus Christus, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. Und immer wieder gibt es Zeugen dafür. Menschen, die diesen Gland von Weihnachten mitnehmen in ihr Leben, auch und gerade in dunklen Zeiten. Zeugen wie diese junge Frau aus der Ukraine. Zeugen wie Johannes der Täufer. Auch er hat etwas von Gottes Glanz gesehen. Vom Himmel herunter hat er ihn kommen sehen- leuchtend weiß wie eine Taube. So hat Johannes den Heiligen Geist auf Jesus herabkommen sehen: Gott kommt auf die Erde – Gottes Lamm, Jesus Christus.

Es gibt ein Bild, das diese Vision des Täufers auf das genaueste wiedergibt. Das Original hängt im Museum Unterlinden. Es stellt eine Kreuzigungsszene dar, wie sie in der christlichen Bildtradition häufig gemalt wurde. Und doch ist es einzigartig in seiner Darstellungsweise und es ist zu Recht weltberühmt. Es handelt sich um den Isenheimer Altar, gemalt in den Jahren 1512–1516 von Mathis Nithard, genannt Grünewald. Dieses Bild gibt es als Kopie auch bei uns in Wehingen. Hier in der evangelischen Kirchengemeinde hängt es normalerweise im Gemeindesaal über dem Klavier. Genau wie das Original ist ein dreiflügeliges Altarbild, nur kleiner. Auf der Rückseite findet sich eine Inschrift: „Geschenk des Holzgerlinger Posaunenchors der evangelischen Kirchengemeinde Wehingen als Altarbild für den Betsaal anlässlich des Besuchs des Holzgerlinger Posaunenchors in Wehingen am 19./ 20. Juli 1958 überreicht.“ 1958 war die evangelische Kirchengemeinde eine sehr kleine Gemeinde. Ihre Gottesdienste feierte sie in einem Betsaal. Und bei jedem dieser Gottesdienste hatten die Feiernden dieses Altarbild vor Augen:

Im Zentrum hängt überlebensgroß der Gekreuzigte vor einem dunklen Hintergrund. Links von ihm ist eine Figurengruppe zu sehen: die kniende Maria Magdalena, erkennbar am Salbgefäß, das neben ihr steht, rechts neben dem Kreuz Maria, die Mutter Jesu, die vom Jünger Johannes im Arm gehalten wird. Allen drei ist der Schmerz anzusehen, den sie empfinden.

Rechts vom Kreuz steht der Täufer. In der linken Hand hält er ein Buch; vermutlich ist es die Bibel. Natürlich ist das nicht historisch, denn zu Zeiten Jesu gab es die Bibel noch nicht. Es gab nur Schriftrollen mit den Büchern, die wir später das „Alte Testament“ nennen. Aber auch Johannes der Täufer selbst kann damals nicht wirklich unter dem Kreuz von Jesus gestanden sein. Zur Zeit der Kreuzigung war Johannes schon tot; ermordet durch Herodes. Wahrscheinlich hat der Maler des Bildes das auch gewusst. Aber es gibt Wahrheiten, die sind wichtiger als die Historie. Was an Johannes dem Täufer auf dem Bild besonders auffällt, das ist sein überlanger Zeigefinger. Mit diesem Zeigefinger deutet auf Jesus am Kreuz. Zu seinen Füßen sehen wir ein Lamm. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt,“ sagt Johannes. Seine Haltung ist aufrecht. Anders als die Figurengruppe auf der linken Seite ist er nicht vom Schmerz niedergebeugt. Johannes weiß: So steht es in der Bibel. So muss es erfüllt werden.

Und so zeigt er auf Jesus am Kreuz. Es ist auffällig, wie der Gekreuzigte hier dargestellt wird. Seine langen spitzen Finger, die sich in seiner Dornenkrone zu wiederholen scheinen, sein nach links herabgesunkenem Kopf; alles an ihm scheint Schmerz zu sein. Das Jesus hier so schmerzverzerrt dargestellt wird, hat einen besonderen Grund: Der Altar, auf dem das Bild gemalt ist, stand ursprünglich in einem Hospital in Isenheim. Dieses Hospital war für Menschen gedacht, die an Mutterkorn erkrankt waren. Mutterkorn ist ein giftiger Pilz im Getreide, der im Mittelalter ein großes Problem war. Viele Menschen sind davon krank geworden. Nach und nach sterben Finger und Zehen ab, und meistens führte diese Erkrankung zum Tode.  Heilung gab es nicht.

Diese schwer kranken Menschen hatten bei ihren Gottesdiensten dieses Bild von Jesus am Kreuz vor sich. Die Gestalt des Gekreuzigten glich ihrer eigenen Gestalt. In seinem Leiden konnten sie sich wiederfinden. Jesus Christus – alles Leiden, alle Schuld und alles Elend der Welt hat er auf sich genommen am Kreuz. Das ist unser Trost auch heute. Das ist der Glanz von Weihnachten, den wir mitnehmen in dieses Jahr. Auch in schwierigen Zeiten können wir uns darauf verlassen: Jesus Christus lässt uns nicht allein. Auf seinen Namen sind wir getauft. In seinem Namen feiern wir miteinander das Abendmahl.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zum Altjahrsabend, 31. 12. 2022

Röm 8, 31b-39: Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? 

Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.

Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?  Wie geschrieben steht (Ps 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«

Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Liebe Mitchristen!

Wir blicken zurück auf das Jahr 2022, das weltweit betrachtet, für viele Menschen kein gutes Jahr war. Der Krieg in der Ukraine hat uns die Sicherheit genommen, dass wir mit unseren Nachbarländern in Nah und Fern in friedlichem Miteinander leben können. Waffen werden geliefert, Flüchtlinge müssen versorgt werden, und die Not der in der Ukraine verbliebenen Menschen gelindert. Alles wird teurer, und das Heizmaterial wird knapp. In den Apotheken und Kinderkrankenhäusern fehlen die Medikamente. Dinge, die für uns bisher selbstverständlich waren, wie die Versorgungssicherheit, haben ihre Selbstverständlichkeit verloren. Viele schauen der Zukunft mit Sorge entgegen. Zeitenwende, das ist das Wort, das in diesem Jahr geprägt wurde für dieses neue Lebensgefühl. Zeitenwende. Die letzten Stunden und Minuten des alten Jahres werden heruntergezählt. Ein neues Jahr bricht an. Was wird es uns bringen in diesen unsicheren Zeiten? Können wir mit Zuversicht in dieses neue Jahr gehen, oder doch nur mit Sorge?

„Fürchte dich nicht,“ sagt uns Gott. Wir sollen wissen und darauf vertrauen: Was auch immer war, was auch immer kommen wird: Unser Gott hält zu uns. In ihm sind wir geborgen, unser Leben lang und darüber hinaus! Unser heutiger Predigttext aus dem Römerbrief will uns dieses Vertrauen tief in unsere Herzen pflanzen. 

Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen, sagt uns der Apostel Paulus. Und er nennt uns einen Grund dafür: Jesus Christus. Mit ihm ist die Zeitenwende angebrochen – nicht eine Zeitenwende hin zu schwierigeren Zeiten, so wie wir das in diesen Tagen immer wieder hören, sondern die Zeitenwende hin zum guten Leben. Denn alles, was uns von Gott trennt, hat Jesus Christus ein für alle Mal beseitigt. Der Damm ist gebrochen. Gottes Liebe fließt in unser Leben. So hat es der Apostel Paulus erfahren in seinem Leben. Und so singt er sein Loblied auf Gottes Liebe: 

Gottes Liebe ist so groß, dass Gott seinen eigenen Sohn für uns dahingegeben hat. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Gott vergibt uns unsere Sünden durch Jesus Christus, der für uns gestorben ist. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Jesus Christus hat den Tod überwunden und tritt bei Gott für uns ein. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Das ist die Zeitenwende, die wir in allen unseren christlichen Festen feiern: Jesus Christus ist da!

Paulus hat an alles gedacht: Gott hat seinen Sohn nicht verschont, er hat ihn in die Welt gesandt. Das feiern wir jetzt in der Weihnachtszeit. Gott hat seinen Sohn für uns dahingegeben. Jesus Christus ist gestorben. Das ist Karfreitag. Gott hat Jesus Christus auferweckt von den Toten. Das ist Ostern. Jesus Christus sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Das feiern wir an Himmelfahrt. Alle unsere Christusfeste sind abgedeckt mit diesen Worten des Paulus – angefangen vom Weihnachtsfest, von dem wir gerade herkommen bis hin zum Himmelfahrtstag. Paulus hat nichts vergessen. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. 

Aber ist das wirklich eine Zeitenwende? Schau doch mal aus dem Fenster, Paulus! Oder höre die Nachrichten, was alles Furchtbares in der Welt passiert! Krieg ohne Ende, Armut und Not. Menschen sterben, sind auf der Flucht oder am Verzweifeln. Was sagst du dazu, Paulus? Paulus sagt: Ja, das sehe ich. Das kenne ich sogar aus eigener Erfahrung: Niedergeschlagenheit und Angst, Verfolgung, Hunger und Mittellosigkeit, Gefahr und Gewalt. 

Was hat das vergangene Jahr gebracht? Weltweit hat es viel Schweres gebracht. Wie war es für Sie, in Ihrem persönlichen Leben? War es ein gutes und schönes Jahr, oder ein schwieriges und schweres Jahr? Für einige, die heute abend hierher gekommen sind, wird das vergangene Jahr auch schwere Erfahrungen mit sich gebracht haben, Erfahrungen, die einen an Gott verzweifeln lassen könnten. 

Erfahrungen, vor denen menschliche Worte verstummen, weil sie doch nur billiger Trost wären. Auch Paulus kennt solche abgrundtiefen Erfahrungen, die ihn verstummen lassen. Die eigenen Worte tragen nicht mehr. Deshalb leiht sich Paulus andere Worte, die Worte eines alten Klagepsalms: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe“. Da ist nichts zu spüren von Gottes Liebe, in solch schwerer Erfahrung. 

Trotzdem bleibt Paulus dabei: Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur. Nichts, aber auch gar nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Nichts von all dem, was das vergangene Jahr gebracht hat, weder das Schöne noch das Schwere. Nichts von all dem, was das neue Jahr bringen wird. „Aber in all dem überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.“ So sagt es Paulus. Denn Gottes Liebe ist zu uns gekommen. Gott ist Mensch geworden. Jesus Christus ist hier, der uns vor Gott vertritt. Gott ist für uns. Das betont Paulus immer und immer wieder. Es ist eine Aussage, die unerschütterlich und fest steht wie ein Fels in der Brandung. Gott will, dass wir froh und frei, vertrauensvoll und hoffnungsvoll in das neue Jahr gehen. Es will ein Anno Domini werden, ein Jahr des Herrn. Denn unser Herr Jesus Christus hat die Zeitenwende eingeläutet, die Zeitenwende hin zum guten Leben. Gottes Liebe, die er uns in Jesus Christus schenkt, diese Liebe wird uns begleiten und bewahren, auch im neuen Jahr. Amen.

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Heiligabend, Predigt zu Lukas 2, 1-20

Liebe Mitchristen!

Das Weihnachtsfest ist etwas Großartiges, auf das wir viel Zeit und Mühe verwenden. Besonders die Kinder freuen sich schon seit Wochen auf dieses Fest, und zählen am Adventskalender die Tage bis Weihnachten.  Heute endlich ist es soweit, dass wir wieder miteinander unter dem Christbaum sitzen, dass wir uns an den Geschenken freuen und die schönen Weihnachtslieder singen! 

Ja, es mag sein, dass in diesem Jahr das eine oder andere Geschenk kleiner ausgefallen ist als sonst. Ja, es mag sein, dass in diesem Jahr die eine oder andere Lichterkette dunkel bleibt, die sonst im Vorgarten für hellen Weihnachtsglanz gesorgt hat. Die dunklen Ecken in unserem Vorgarten erinnern uns daran: Die Dunkelheiten unserer Welt sind nicht mit einem Schlag weggewischt an Weihnachten. Krieg und Inflation, Kälte und Not – das alles hört da nicht einfach auf. Aber in dieser Heiligen Nacht hören wir die Botschaft: Gott lässt uns nicht allein in unseren Dunkelheiten. Gott kommt zu uns auf die Erde. Als kleines Kind wird er geboren, ein Mensch wie wir. Das ist das Besondere der Weihnachtsgeschichte. Jedes Jahr hören wir diese Geschichte wieder neu. 

Als erster kommt in dieser Geschichte der mächtige Kaiser Augustus vor. Er lässt jeden zur Volkszählung in seiner Heimatstadt antreten. Sein kaiserlicher Befehl erlaubt keine Ausnahmen.  Also muss eben auch die hochschwangere Maria mit Joseph, ihrem Verlobten, nach Bethlehem, so schwer ihr die Reise auch fallen mag. In den Unterkünften dort ist nirgends Platz für die beiden. Und so wird ein Futtertrog zum Notbettchen für den neugeborenen Sohn. Eine sehr nüchterne Beschreibung einer Notlage ist diese Geschichte zunächst einmal. Von Gott ist da noch gar nicht die Rede. 

Der Kaiser ist es, der hier die Geschicke der Menschen lenkt. Alles muss seine Ordnung haben. Soziale Härtefälle werden nicht berücksichtigt. Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, das interessiert ihn nicht. Die Menschen sollen aufsehen zu ihm, dem Kaiser, und ihm gehorchen. Wie ein Gott lässt sich Augustus verehren von seinen Untertanen. Was ist geblieben von diesem größenwahnsinnigen Kaiser? Was bleibt von den Tyrannen, die ihre Macht rücksichtslos ausnutzen? Die Kriege anzetteln und sich als Helden feiern lassen? Vom Kaiser Augustus ist nicht viel geblieben.  Wir kennen ihn vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht. Vor allem aber kennen wir ihn aus der Weihnachtsgeschichte. Das heißt: Nicht, weil er ein mächtiger Herrscher war, kennen wir heute noch diesen römischen Kaiser Augustus, sondern weil im entlegensten Winkel seines Weltreiches unter katastrophalen Bedingungen ein Kind geboren ist. Dieses unscheinbare Kind ist es, das die Welt verändert hat, nicht der scheinbar so mächtige Kaiser. Denn in diesem unscheinbaren und armen Kind kommt Gott selbst auf die Welt: Jesus Christus, Gottes Sohn. Jesus Christus, Gottes Sohn – er wird nicht in den Palästen dieser Welt geboren, nicht in der Luxussuite im Fünfsternehotel, sondern unter ärmsten Bedingungen in einer Notunterkunft ohne medizinische Versorgung. 

Was wäre, wenn Jesus nicht im armseligen Stall geboren wäre, sondern im besten Hotel am Ort? Er hätte es verdient als Sohn Gottes, ganz sicher. Er hätte die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf seiner Seite gehabt. Ein paar Tage lang wären die Nachrichten voll gewesen mit dieser Meldung: Sohn Gottes in Bethlehem geboren. Und dann? Dann hätte das Interesse wieder abgenommen. Jesus wäre eine Berühmtheit unter vielen gewesen, und nach 2000 Jahren hätte sich längst niemand mehr für ihn interessiert. Aber so war es nicht, so wollte Gott nicht in die Welt kommen. Sein Sohn sollte kein zweiter Kaiser Augustus werden, der sich nur an seiner Macht und seinem Reichtum freut – aber die Not der Menschen in seinem Reich hat er nicht im Blick. Nicht bei den Menschen, die sowieso im grellen Rampenlicht stehen, sollte Gottes Sohn geboren werden. Er kommt in die Dunkelheit, zu den Ärmsten der Armen. Die ersten, die von der Geburt des Gottessohnes erfahren, sind Menschen, die die Nacht auf freiem Feld verbringen müssen – die Hirten. Die Hirten standen am Rande der Gesellschaft. Niemand wollte mit ihnen etwas zu tun haben. Sie galten als unehrliche Schafdiebe. 

Diese Hirten holt Gott aus der Dunkelheit ihres armseligen Daseins. Sie sehen ihr Leben nun in einem neuen Licht. „Die Klarheit des Herrn leuchtete um sie.“ Wie aus einer anderen Welt hören sie die Worte des Engels: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Der Heiland. Der Gott, der dich heil macht. Der Gott, der Zerbrochenes heilt und neues Leben schenkt – für uns alle. Und mit den Worten des Engels sickert die Klarheit des Herrn den Hirten ins Herz. Als der Gottesbote ausgeredet hat und der Lobgesang der himmlischen Heerscharen verklungen ist, da sind die Hirten ganz klar geworden. Sie haben Klarheit über sich. Sie fürchten sich nicht mehr. Sie lassen sich von Gott beschenken. Sie sehen klar den nächsten Schritt, der zu tun ist. Noch sind sie nicht am Ziel. Noch sind sie nicht bei der Krippe. Sie haben noch einen Weg vor sich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ 

Wie die Hirten machen auch wir uns heute wieder auf den Weg zum Stall von Bethlehem. Wir machen uns auf den Weg mit allem, was uns beschäftigt, mit Freud und Leid. Die Dunkelheiten und Ungereimtheiten unseres Lebens sind auch heute nicht weggewischt. Auch heute wird die Freude nicht überall ungetrübt sein. Aber von Bethlehem her scheint jetzt ein Licht in alle Dunkelheit der Welt, auch in unser Leben: Das Licht der Klarheit des Herrn. Das Licht der Engelsbotschaft: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer