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Gedanken zum Sonntag

5. Sonntag nach Trinitatis

 

Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Joh 1, 36-46: Als Jesus vorbeiging, schaute Johannes ihn an und sagte: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!« Die beiden Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus. Jesus drehte sich um und sah, dass sie ihm folgten. Da fragte er sie: »Was wollt ihr?« Sie antworteten: »Rabbi«– das heißt übersetzt »Lehrer« –»wo wohnst du?« Er forderte sie auf: »Kommt und seht selbst!« Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte. Sie blieben den ganzen Tag bei ihm. Das geschah etwa um die zehnte Stunde. Andreas war einer der beiden Jünger, die Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Er war der Bruder von Simon Petrus. Andreas traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden« –das heißt übersetzt »der Christus«. Er brachte Simon zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn des Johannes. Dich wird man Kephas nennen« –das heißt übersetzt Petrus und bedeutet »Fels«. Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen. Da traf er Philippus. Jesus sagt zu ihm: »Folge mir!« Philippus kam aus Betsaida, das ist die Stadt, aus der auch Andreas und Petrus stammten. Philippus sucht Natanael auf und sagt zu ihm: »Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und den die Propheten angekündigt haben. Es ist Jesus, der Sohn Josefs. Er kommt aus Nazaret.« Da fragte ihn Natanael: »Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?« Philippus antwortete: »Komm und sieh selbst!«

Liebe Mitchristen!

„Komm mit!“ sagt der Junge zu seinem neuen Klassenkameraden. „Ich zeige dir mein Geheimversteck!“ Der Neue nickt mit dem Kopf. Zusammen gehen die Kinder über die Wiesen hinauf zum Waldrand, wo sich der Junge ein Lager gebaut hat. Eine neue Freundschaft entsteht. „Kommen Sie doch noch auf einen Kaffee bei mir vorbei!“ sagt die ältere Dame zu ihrer neuen Bekannten, die sie in letzter Zeit immer mal wieder beim Spazierengehen getroffen hat. „Ich wohne hier ganz in der Nähe.“ Die andere ist einverstanden. Gemeinsam ist der Kaffeetisch schnell gedeckt. Die beiden Frauen kommen ins Erzählen. Es tut gut, die Lebenserfahrungen miteinander auszutauschen. „Kommt und seht selbst!“ sagt Jesus. „Ich zeige euch, wo ich wohne. Auch wenn es vielleicht nur eine Bleibe für eine Nacht ist. Kommt, schaut es euch an. Seid heute meine Gäste.“ Andreas und sein Begleiter lassen sich einladen. Den ganzen Tag bleiben sie bei Jesus. Sie haben viele Fragen: „Wer bist du, Jesus? Ist es wahr, was Johannes der Täufer von dir sagt: Du bist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt? Ist es wahr, dass du der Sohn Gottes bist, der von Anfang an dabei war, seit es die Welt gibt?“ Jesus gibt Antwort auf ihre Fragen. So vergeht die Zeit wie im Flug, wie sie so im Haus beieinander sitzen und reden. Am Ende des Tages sind sich die beiden ganz sicher: Jesus ist der Messias. Jesus ist der Retter, den Gott uns versprochen hat. Voller Freude erzählen sie es weiter. Ihre Freude, ihre Begeisterung ist ansteckend. Simon Petrus, der Bruder von Andreas, lässt sich von der Begeisterung anstecken. Und am nächsten Tag kommt Philippus dazu und bringt seinen Freund Nathanael mit.

„Kommt und seht selbst!“ Nur so finden Menschen zusammen. Nur so finden Menschen zu Gott: Komm und sieh selbst. Probiere es einfach mal aus. Und wenn es nur für einen Tag ist, nur für heute. Nur für heute. Mit diesen Worten beginnt jede der 10 Lebensregeln, die Papst Johannes XXIII sich vorgenommen hat: „Nur für heute werde ich mich bemühen, einfach den Tag zu erleben – ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen. Nur für heute werde ich größten Wert auf mein Auftreten legen und vornehm sein in meinem Verhalten: Ich werde niemanden kritisieren; ja ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern -nur mich selbst. Nur für heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für das Glück geschaffen bin – nicht nur für die andere, sondern auch für diese Welt. Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass die Umstände sich an meine Wünsche anpassen. Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen. Wie die Nahrung für das Leben des Leibes notwendig ist, ist eine gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele. Nur für heute werde ich eine gute Tat vollbringen, und ich werde es niemandem erzählen. Nur für heute werde ich etwas tun, wozu ich keine Lust habe. Sollte ich mich in meinen Gedanken beleidigt fühlen, werde ich dafür sorgen, dass niemand es merkt. Nur für heute werde ich fest daran glauben – selbst wenn die Umstände das Gegenteil zeigen sollten –, dass die gütige Vorsehung Gottes sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemanden auf der Welt. Nur für heute werde ich keine Angst haben. Ganz besonders werde ich keine Angst haben, mich an allem zu freuen, was schön ist – und ich werde an die Güte glauben. Nur für heute werde ich ein genaues Programm aufstellen. Vielleicht halte ich mich nicht genau daran, aber ich werde es aufsetzen. Und ich werde mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und vor der Unentschlossenheit.“

Vielleicht kommt Ihnen das schon wieder viel zu viel vor- gleich 10 Lebensregeln an einem Tag verwirklichen zu wollen. Was mich aber beeindruckt an diesen Regeln, ist das Prinzip, das dahintersteht: Nur für heute nehme ich es mir vor, so zu leben. Heute probiere ich es mal aus. Heute lasse ich mich mal ein auf dieses Abenteuer, aus den üblichen Bahnen auszuscheren und etwas Neues zu versuchen. So wie der Junge, der seinem Klassenkameraden folgt an seinen Lieblingsort, in sein Geheimversteck. So wie die ältere Dame, die sich von ihrer neuen Bekannten nach dem Spaziergang noch zum Kaffee einladen lässt. So wie Andreas und sein Begleiter, die sich zu Jesus in seine Bleibe einladen lassen. Alles nur für heute. Alles ohne die Verpflichtung: Das muss immer so sein und bleiben. Ohne Zwang, in völliger Freiheit. Nur für heute. Lassen Sie sich einladen: Nur für heute der Kirche und dem Glauben eine neue Chance geben. Nur für heute es einmal auszuprobieren, wie es sich lebt mit dem Glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes, den Retter der Welt. Nur für heute einmal darauf vertrauen, dass Gott die Welt in Händen hält- dass Unheil, Krieg und Not nicht das letzte Wort haben. Nur für heute sich festmachen an Jesus Christus, dem Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt. Nur für heute sich ganz in seine Hand legen und alle Sünde, alles Belastende bei ihm ablegen. Nur für heute hier diesen Gottesdienst mitfeiern, in dem wir ein Kind taufen und uns alle unter Gottes Segen stellen. Nur für heute auch die eigenen Zweifel und Fragen ernst nehmen- so wie Nathanael, der sich fragt: „Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“

Was kann aus der Kirche, was kann aus dem christlichen Glauben Gutes kommen? Nur für heute stelle ich diese Frage nicht ganz allgemein, sondern lasse sie wirklich an mich heran und überlege: Was steht mir im Weg, wenn ich an Jesus Christus glauben und ihm nachfolgen will? Sind es meine eigenen Erfahrungen und Verletzungen? Sind es meine Überzeugungen, die mir nicht vereinbar scheinen mit dem, was in der Kirche gelehrt und gelebt wird? Sind es die Unzulänglichkeiten, Fehler und Vergehen von Menschen, die für die Kirche stehen und sprechen? Nur für heute stelle ich mich diesen Fragen und bringe das alles vor Gott und vor Jesus: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

Nur für heute. Was passiert, wenn ich mich darauf einlasse, auf Gott zu vertrauen und an Jesus zu glauben, wenn ich es einfach mal versuche – nur an diesem einen, heutigen Tag? Komm und sieh selbst! Schmecke und sieh, wie freundlich Gott ist! Lass dir und deinen Kindern Gottes Segen zusprechen, in der Taufe und in jedem Gottesdienst! Ein Selbstversuch mit offenem Ausgang ist das, es einfach mal zu probieren für einen Tag. Aber damals bei den Jüngern von Jesus ist es nicht bei diesem einen Tag geblieben. Und wir alle, die wir uns zum christlichen Glauben bekennen, könnten unsere eigene Geschichte dazu erzählen- warum wir drangeblieben sind am Glauben. Was uns weitergetragen hat in Zeiten des Zweifels und der Krise. Wie es dazu gekommen ist, dass wir sonntags in die Kirche gehen. Eines Tages war es so weit, und wir haben uns gesagt: Es ist nicht mehr nur für heute. Ich möchte dabeibleiben. Ich möchte dranbleiben am Glauben. Ich möchte im Glauben leben und ihn weitergeben an die nächste Generation. Erzählen wir davon! Denn Glaube ist ansteckend.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer