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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 27.06.21

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 27. Juni 2021

1. Mose 50, 15-21: Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.  Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Liebe Mitchristen!

Mögen Sie Regenbögen? Ich habe letzte Woche einen wunderschönen Regenbogen gesehen. Ich war mit dem Auto unterwegs, auf der Rückfahrt von Tuttlingen. Es war schon Abend. Das Wetter war unbeständig, mal Sonne, mal Wolken. Auf einmal war da dieser großartige, doppelte Regenbogen über dem Donautal – von einem Ende des Horizonts bis zum anderen. Der Anblick hat mich fasziniert. Ich fahre mein Auto in eine Parkbucht und steige aus, um diesen Augenblick auf mich wirken zu lassen. Es ist wunderschön hier.

Regenbogenfarben, so stelle ich mir das Kleid vor, das Josef als Siebzehnjähriger von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Josefs Brüder konnten diesen Anblick nicht ertragen. Josef wird ihnen unerträglich, sie wollen ihn loswerden. Auch sein Tod wäre ihnen recht. Schließlich werfen sie ihn in ein tiefes Brunnenloch und verkaufen ihn in die Sklaverei. Ein Sklave in einem bunten Kleid. In Ägypten macht er Karriere. Durch sein kluges Management verhindert er eine Hungersnot und kann sogar noch Getreide verkaufen an die Hungernden aus den Nachbarländern. Auch Josefs Brüder kommen zu ihm nach Ägypten zum Getreidekauf. Die Brüder versöhnen sich. Sie ziehen alle nach Ägypten, wo es genug Weide gibt für ihr Vieh und sie nicht mehr hungern müssen. Auch ihr alter Vater Jakob kommt mit.

Jakob, der seinem Sohn Josef damals dieses besondere Kleid geschenkt hatte. Ein buntes Kleid, so steht es in unseren Bibelübersetzungen. An anderer Stelle in der Bibel, in 2. Samuel 13,18, ist genauer erklärt, was dieses hebräische Wort bezeichnet: Solche Kleider trugen die Töchter des Königs, solange sie Jungfrauen waren. Josef trägt auch so ein Kleid. Ein Kleid, wie es die Prinzessinnen anhaben, nicht die Prinzen. Das ist Josefs Lieblingskleidungsstück. Josef passt nicht in das übliche Schema, wie man sich einen Mann oder eine Frau vorstellt. Zu allen Zeiten gab es solche Menschen. Heute verwenden diese Menschen den Regenbogen als Symbol. Ich denke wieder an den wunderschönen Regenbogen über dem Donautal, den ich gesehen habe. Man kann in diesen Farben auch Fußballstadien illuminieren, jetzt bei der Europameisterschaft. Bei der Allianz-Arena in München hat die UEFA das verboten. Wie gehen wir heute um mit Menschen, die nicht in das übliche Schema passen, wie wir uns einen Mann oder eine Frau vorstellen? Ein schwieriges Thema, gerade auch für uns in der Kirche. Sicherlich sind wir da nicht alle einer Meinung. Und sicherlich sind da auch Ängste da.

Auch Josefs Brüder hatten Ängste. Ihr Vater Jakob hatte die Familie zusammengehalten. Aber nun war er gestorben. Wie würde es nun weitergehen? Würde Joseph sich rächen für das, was sie ihm damals angetan hatten wegen seinem bunten Kleid? Schließlich saß Joseph jetzt am längeren Hebel, als Vertrauter des Pharaos.

Die Angst der Brüder ist so groß, dass Joseph gar nicht unter die Augen treten können. Sie schicken jemand anderes und lassen Joseph ausrichten, was sie ihm sagen wollen: „Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Joseph sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben.“ So groß ist die Angst. Sie können Josef nicht einmal von sich aus bitten: Verzeih uns doch! Sie schaffen das nur, indem sie sich auf ihren verstorbenen Vater berufen: Er hat doch gesagt, du sollst uns verzeihen. Ob Jakob diese Worte wohl wirklich gesagt hat vor seinem Tod? Oder haben die Brüder sich diese Worte ausgedacht – sozusagen als Notlüge, um die Versöhnung mit Joseph zu erreichen? Das bleibt in unserem Predigttext offen.

Ist es nur die Angst, die die Brüder zu diesem Versöhnungsversuch treibt? Oder haben sie sich geändert seither? Missetat und Sünde nennen sie das, was sie Josef angetan haben. Sie wollten Josef vernichten, weil er so anders war. Zu dieser Tat stehen sie jetzt. Sie wollen sich da nicht rausreden. Was sie Josef angetan haben, soll beim Namen genannt werden: Es war eine Missetat und Sünde, eine Ungerechtigkeit, ein Verbrechen. Sie sehen ihre eigenen Grenzen – dass sie Josef nicht so annehmen konnten, wie er war, dass sie schuldig geworden sind an Josef. Die eigenen Fehler sehen und ansprechen zu können – das öffnet ein Tor zur Versöhnung. So kann sich Joseph ihre Bitte um Versöhnung zu Herzen nehmen. Diese Bitte geht ihm so nahe, dass er weinen muss. Josephs Tränen überwinden den tiefen Graben zwischen ihm und seinen Brüdern. Die Brüder trauen sich jetzt, direkt zu ihm hinzugehen. Die Distanz ist überwunden. Eine direkte Begegnung ist möglich.

Joseph gelingt es, dass die Begegnung zwischen ihm und seinen Brüdern zu einer Begegnung auf Augenhöhe wird. Er nutzt die Situation nicht aus, um Herrschaft über seine Brüder auszuüben. „Stehe ich denn an Gottes Statt?“ fragt er und bekennt damit: Gott allein gebührt die Herrschaft. Gott kennt uns Menschen, jeden in seiner Besonderheit. Er kennt unsere unsere dunklen Punkte und blinden Flecke. Gott kennt und liebt auch die Menschen, die anders sind als wir, die nicht in das übliche Schema von Mann und Frau passen. Und Gott weiß um die Unsicherheit, um die Ängste, die viele von uns spüren, wenn wir solche Menschen im Blick haben.

Ich denke wieder an den Regenbogen. In der Bibel ist er ein Zeichen für die Versöhnung. Gott will sich nicht rächen an den Menschen für ihre bösen Taten. Er will die Erde nicht vernichten. Nach dem großen Regen, nach der zerstörerischen Sintflut stellt Gott seinen Bogen in die Wolken und schließt mit Noah den Bund der Versöhnung. Gott will, dass wir leben. So kann auch Josef in seinem schweren Schicksal Gottes Plan erkennen, wenn er seinen Brüdern sagt: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ Dadurch, dass Joseph als Sklave nach Ägypten kam, konnte er dort Getreidespeicher bauen lassen, die die Menschen vor dem sicheren Hungertod bewahrt haben.

Gott kann alles zum Guten wenden. So wie Josephs Brüder die Last ihrer Schuld loswerden, so will er auch uns heute von unserer Schuld befreien. Jesus Christus hat sie auf sich genommen, und ist am Kreuz für uns gestorben. So schließt Gott seinen neuen Bund mit uns. Jesus befreit mich von der Last meiner Schuld. Er schenkt mir einen neuen, unverstellten Blick für die Menschen um mich herum, in all ihrer Unterschiedlichkeit. Da muss ich niemanden in ein Schema pressen, in das er oder sie nicht passt. Da muss ich keine Angst haben vor dem, was mir fremd erscheint. Bunt und vielfältig wie den Regenbogen hat Gott die Welt gemacht. Der Bund seiner Versöhnung gilt – für uns alle, so unterschiedlich wir sind. Daran will ich denken, wenn ich das nächste Mal so einen wunderschönen Regenbogen am Himmel stehen sehe.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Pfingstsonntag, 23. Mai 2021

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Apg 2,1-11: Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.

Liebe Mitchristen!

Ein Haus braucht vier Wände und ein Dach, das weiß jedes Kind. Wenn das Haus an einer Seite oder nach oben hin offen ist, dann regnet es rein, dann ist man nicht geschützt vor Wind und Wetter. Trotzdem übt es auf Menschen eine große Faszination aus, Häuser zu bauen, die nach oben hin offen sind – so wie der Wolkenkratzer auf unserem Bild. Häuser, die sozusagen an die Wolken stoßen. Wo Erde und Himmel sich berühren. Das Haus in Jerusalem, in dem die Apostel nach Ostern immer zusammengekommen sind, war bestimmt keine solche architektonische Meisterleistung. Auch wenn es ein mehrstöckiges Haus war. In der Bibel lesen wir, dass der Versammlungsraum der Apostel im Obergeschoss war. Waren sie dort im Obergeschoss dem Himmel wirklich schon so nahe? 

Und es geschah ein Brausen wie von einem Sturm und erfüllte das ganze Haus, lesen wir in der Bibel. So erleben die Apostel das Kommen des Heiligen Geistes – wie ein Sturmwind, wie Feuerflammen. Eine umwerfende Erfahrung muss das gewesen sein. Die Apostel sind im oberen Stockwerk dieses Jerusalemer Stadthauses versammelt und machen diese Erfahrung. Aber das Kommen des Heiligen Geistes, das ist keine Erfahrung fürs stille Kämmerlein, irgendwo in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Ortsmitte. Himmel und Erde berühren sich in dieser Erfahrung. Aus diesem ganz gewöhnlichen Jerusalemer Stadthaus wird auf einmal ein offenes Haus: Das Haus wird offen zum Himmel, offen für Gott und seinen Heiligen Geist. Und das Haus wird auch offen zur Erde, zu den anderen Menschen, die dort in Jerusalem sind und feiern. Kommen diese Menschen zur Tür herein, als sie den Sturmwind hören und die feurigen Flammen sehen? Oder gehen die Apostel die Treppe herunter und durch die Tür hinaus aus diesem Haus, raus zu den Leuten? Die Bibel gibt uns keine Antwort auf diese Fragen. Es ist, als ob dieses Haus, in dem die Apostel sich befinden, auf einmal gar keine Rolle mehr spielt. Als ob die Türen und Wände, die Treppe und das Dach auf einmal ganz durchlässig geworden wären. Gottes Geist lässt sich nicht aufhalten durch Decke und Wände. Das alles ist nicht mehr wichtig. 

Wichtig ist: Die Apostel sind im Gespräch mit den Menschen. Sie predigen, wie es Gottes Geist ihnen eingibt. Sie predigen verständlich. Jeder kann verstehen, was die Apostel sagen. Jeder hört es in seiner eigenen Sprache. So berühren sich Himmel und Erde an diesem ersten Pfingstfest. Nichts trennt die Menschen mehr voneinander: Keine dicken Hauswände, keine verschlossenen Türen und auch keine Sprachbarrieren. Das Haus, in dem die Apostel sich versammelt hatten, öffnet sich. Und auch die Menschen, die die Predigt der Apostel hören, öffnen sich – offen zum Himmel, offen für Gott und seinen Heiligen Geist. Dreitausend Menschen lassen sich taufen, lesen wir in der Bibel. Ein eher unscheinbares Jerusalemer Stadthaus war der Ausgangspunkt dieses ersten Pfingstfestes. Denn Gottes Geist weht, wo er will. Er lässt sich nicht festhalten und herbeizwingen. 

Sich ganz auf Gott zu verlassen, und nicht allein auf menschliches Wissen und Können – das ist den Menschen schon immer schwergefallen. Welche Sicherheiten, welche schützenden Mauern brauchen wir wirklich? Ganz am Anfang erzählt die Bibel eine Geschichte von Menschen, die besonders hohe Mauern haben wollten für ihre Sicherheit. „Lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.“ So sagen es sich die Menschen, und entscheiden sich für den Turmbau zu Babel. Und weiter erzählt die Bibel: „Da kam der Herr vom Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, den sie bauten.“ Ganz deutlich nicht ohne Ironie sagt uns die Bibel hier: Gott hat eine andere Perspektive auf das, was wir Menschen bauen. Gott muss da erstmal ein bisschen näher rangehen, damit er diesen scheinbar so großartigen Wolkenkratzer-Turm überhaupt richtig erkennen kann. Selbst wenn die obersten Stockwerke dieses großartigen Gebäudes manchmal von Wolken bedeckt sein mögen – Gottes Himmel ist das nicht, der hier die Erde berührt. Denn die Mauern und Wände, die hier hochgezogen werden, sind nicht nur aus Ziegelstein und Mörtel. Es sind die Mauern der Angst und der Abgrenzung. So entstehen daraus schließlich auch Mauern zwischen den Menschen. Und am Ende verstehen sich diese Menschen nicht mehr, die da gemeinsam am Turmbau zu Babel mitgearbeitet haben. Sie haben sich auseinandergelebt und haben sich nichts mehr zu sagen. Jeder spricht seine eigene Sprache. Eine Gegen-Geschichte zur Pfingstgeschichte ist diese Geschichte vom Turmbau zu Babel. 

Häuser, die zum Himmel hin offen sind, das müssen keine architektonischen Meisterleistungen sein, keine Wolkenkratzer wie auf unserem Bild. Denn selbst das großartigste Bauwerk, das Menschen sich erdenken können, kann nicht an Gottes Himmel reichen. Ein Haus braucht vier Wände und ein Dach, damit es nicht reinregnet, damit wir geschützt sind vor Wind und Wetter. Wenn es an Gottes Himmel heranreichen soll, dann sollte es ein offenes Haus sein – eines, in dem andere Menschen willkommen sind, eines, dessen Mauern nicht trennen, sondern schützen. Machen wir unsere Häuser und Kirchen zu solch einladenden Häusern- damit der Himmel die Erde berührt, auch bei uns!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt von Sonntag, 16. Mai 2021 (Exaudi)

Neulich im Gespräch draußen beim Spaziergang mit ein paar Bekannten der Hinweis an mich: Beten ist im Moment mega-out! Was soll das denn schon: Diese inneren Selbstgespräche? Die tun doch einfach nur deshalb gut, weil ich da das in Worte fasse, was mich bewegt – aber doch nicht, weil ich ernsthaft glaube, dass mir jemand zuhört. 
Szenenwechsel. Ich bin relativ oft in Ägypten unterwegs. Zur arabischen Kultur gehört es untrennbar dazu, dass man handelt – immer und überall. Abschätzig wird schnell mal gesagt: Man schachert um etwas. Genau so, wie Abraham damals mit Gott um die Menschen in Sodom geschachert hat. Sie erinnern sich vielleicht: Da kamen die drei Männer zu Abraham, um ihm zu sagen, dass Sarah, seine in die Tage gekommene Frau, einen Sohn bekommen wird. Danach wollten sie weiter nach Sodom, um die Stadt zu vernichten. Und Abraham bequatscht sie, handelt sie von ursprünglich 50 auf zehn Gerechte herunter, die in der Stadt wohnen müssten, damit die verschont wird. Er hat Erfolg. 
Letzter Szenenwechsel. Wenn ich draußen unterwegs bin, rede ich gern mit Gott – so wie Abraham. „Schachern Sie wieder mit Gott rum?“, fragte mich da neulich eine ältere Dame, der mein Verhalten etwas seltsam vorkam – sie traf mich scheinbar mit mir selbst redend auf dem Spaziergang. Ja: Ich schachere gerne mit Gott. Ich möchte, wie Abraham, auf Du und Du mit ihm umgehen. Abraham redet mit seinem Gott wie mit einem menschlichen Gegenüber. Und Gott lässt sich auf ihn ein. Die Bibel sagt: Wie ein Vater oder eine Mutter. „Hat Ihr Schachern mit Gott wenigstens Erfolg?“, fragte mich die Frau. Und ich habe gesagt: „Erstaunlicherweise antwortet er oft. Und oft muss ich auch lachen. Aber ich gestehe: Sehr oft spüre ich Gott auch gar nicht. Ich weiß oft nicht, was und wie ich beten soll – und das, obwohl ich schon so tolle Erfahrungen mit Gott machen durfte!

Was heißt denn „Beten“ eigentlich? Für mich heißt
Beten: Das ganze Leben vor Gott zur Sprache bringen.
Ich verlerne leider immer wieder, was ich von den Menschen in der Bibel gelernt habe – oder ich lasse es durch anderes überlagern. Aber ganz grundsätzlich geht es in der Bibel immer darum: Beten ist, sein ganzes Sein und Leben vor Gott zur Sprache bringen. Loben, klagen, fragen, bitten, danken, toben: die Psalmen zeigen uns, wie das geht – und dass Gott keine unserer Gefühlsregungen fremd ist. 
Das heißt doch für uns heute nichts anderes, als dass es recht ist, in jeder Weise mit Gott zu reden. Es ist richtig, ihm alle unsere Wut zu sagen, alles Nichtverstehen. Auch allen Hass, wie es uns die Beter der Rachepsalmen vormachen. Sie leben ihren Hass nicht aus, sondern sie schleudern ihn betend Gott entgegen, der ihn verwandeln kann. 
Ein jüdischer Gelehrter hat das Hauptziel des Betens so formuliert: „Gott zu bewegen, ihn an unserem Leben Anteil nehmen zu lassen und uns zu bewegen, an ihm Anteil zu nehmen.“ Eine tolle Definition. Gebet ist dann nämlich ein inneres Einverständnis mit Gott. Und bitten heißt nichts anderes als Gott unsere Anliegen fühlen zu lassen. 
Beten, das heißt, das ganze Leben vor Gott zur Sprache zu bringen: Jesus hat das während seines ganzen Lebens getan. Vor allem das Lukasevangelium weist immer wieder darauf hin, dass es das Gebet ist, aus dem heraus Jesus handeln kann. Aus dem Gebet bekommt er seine Kraft. Aus dem Gebet heraus kann Jesus von Gott erzählen. Er drückt damit aus, wenn es ihm gut geht und wenn es ihm schlecht geht. Und er macht mit seinem Gebet seine Hingabe an seinen himmlischen Vater und an die Menschen deutlich. Selbst im Tod betet er sich Gott entgegen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus kennt die Abgründe des Betens und was es heißt, sein Leben vor Gott zur Sprache zu bringen – auch die tiefsten Tiefen eines Lebens. Und genau deshalb können wir uns ihm auch anvertrauen – darum bringt er denen, die zu ihm gehören, im Vaterunser von Grund auf das Beten bei. 
Schachern Sie wieder mit Gott“ – ich gebe zu, das tue ich gerne. Und mit dem Vaterunser geht das auch wirklich gut. Es fasst das Wesentlichste der Beziehung von uns Menschen zu Gott und von uns Menschen untereinander zusammen und bringt es auf den Punkt.  
Das Vaterunser war und ist schon immer das Erkennungszeichen von Christen – also von den Menschen, die zu Gott „Vater“ sagen. Jesus sagt uns, dass wir Gott „abba“ nennen dürfen – die aramäische Variante von unserem „Papa“. Manche Menschen haben schlechte Erfahrungen mit Vätern. Aber jeder von uns hat doch eine Vorstellung davon, was und wie ein guter Vater sein soll. Und genau dieser Vater will Gott für uns sein. 
Wenn wir dann beten, dass Gottes Name geheiligt werden soll und dass sein Reich kommen soll, dann bitten wir darum, dass Gott hier auf der Erde wirkt. Dass er wirkt als einer, der nicht von dieser Welt ist – und der genau deshalb weiß, wie unsere Welt am besten ist. Denn Gott herrscht nicht wie die Mächtigen unserer Welt, die sich auf Kosten anderer groß machen. Gott hebt das nach oben, was beschädigt und krank ist – das, was nicht mehr leben kann. 
Unser tägliches Brot gib uns heute – und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ Das heißt: Gott handelt ganz konkret an uns – und wir dürfen ihn ganz konkret um das bitten, was wir für den nächsten Tag brauchen. Genügend Nahrung ist ja bei uns heute selten ein Problem – aber vielleicht das tägliche Brot der halben Stunde Ruhe zwischen all dem Stress. Das tägliche Brot des guten Wortes, das uns in einer schwierigen Situation wieder aufrichtet und uns den Blick nach vorne frei macht. Egal, was wir brauchen – wir dürfen es vor Gott legen. Und damit eben auch ganz besonders das, war wir in jedem Fall nötig haben: Die Vergebung unserer Schuld. Es tut mir gut, dass ich alles Schlechte abgeben kann bei Gott. Dass er es mir vergeben will. Das gibt mir die Freiheit, auch anderen zu vergeben, wenn sie mir etwas angetan haben. Ist Ihnen das schon aufgefallen: Das ist das einzige, was wir als Beter dieses Gebets tun müssen: Anderen zu vergeben. Und das nur, weil Gott uns schon vergeben hat. 
Dass es Versuchungen im Leben gibt, darum macht das Vaterunser keinen Bogen. Das erleben wir immer wieder. „Und führe mich nicht in Versuchung“ – das beten wir und trotzdem passiert es immer wieder. Handelt Gott da nicht? Mir gefällt an dieser Stelle die andere mögliche Übersetzung dieses Satzes: „Und führe mich in der Versuchung“. Bring mich gar nicht erst hinein, Gott. Greif du ein, bevor etwas auf der Kippe steht, was mir, meiner Beziehung zu dir oder den anderen Menschen schadet. Und wenn es schon zu spät ist, dann hilf mir bitte wieder unbeschadet heraus! Zeig mir, wie ich wieder auf den richtigen Weg komme!
Und dann endet das Gebet mit einem Anbetungsteil. „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit!“ – Wahnsinn, dass dieser Gott sich mit uns abgibt!

Schacherst du wieder mit Gott“ – wenn Sie das am besten im Kopfstand können – dann tun Sie es. „Schacherst du wieder mit Gott“ – wenn Sie das zu einer bestimmten Zeit tun wollen – dann tun Sie es. „Schacherst du wieder mit Gott“ – wenn da die Bitten überwiegen – dann beten Sie so. Hauptsache, Sie beten ehrlich. Hauptsache, Sie bringen das vor Gott, was Sie bewegt. Hauptsache, Sie trauen ihm zu, dass genau er an Ihrer Situation etwas ändern kann. Hauptsache, Sie sprechen mit ihm wie mit dem besten Vater der Welt. Hauptsache, Sie nehmen ihn ernst!

Pfarrer Markus Arnold


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[Gedanken zu Himmelfahrt] 13.05.2021

Predigt zu Christi Himmelfahrt, 13. Mai 2021

Epheser 1, 17-23: Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

Liebe Mitchristen!

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein,“ heißt es in einem bekannten Lied von Reinhard Mey. Heute am Himmelfahrtstag wird unser Blick nach oben gelenkt, zu Jesus Christus in seiner Herrlichkeit. Er sitzt auf dem Thron an Gottes rechter Seite. Dort oben im ewigen Licht lenkt er die Geschicke der Welt. Aber wo ist das denn nun genau, dieses „Dort oben“? Ist das wirklich über den Wolken? „Eine Wolke nahm Jesus auf.“ So erzählt die Apostelgeschichte die Himmelfahrt von Jesus Christus. Aber sie erzählt auch von Engeln, die die Jünger davor warnen, Jesus da oben am Himmel zu suchen. Denn wenn wir unsere Augen nur an den Himmel heften, dann verlieren wir Jesus Christus aus dem Blick. „Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid,“ lesen wir im Epheserbrief.

Nicht das, was vor Augen liegt, bringt uns Jesus Christus näher. Nicht der Blick zum Himmel da oben, wo die Wolken ziehen. Es braucht einen anderen Blick. Einen Blick, der tiefer geht und das Wesentliche sieht. „Schau hin!“ So heißt das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentags, der in diesen Tagen digital gefeiert wird. Und schon Antoine de Saint-Exupéry wusste: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Nur mit dem Herzen können wir Gottes Himmel erkennen. Nur in der Liebe können wir verstehen, was es bedeutet, dass Jesus Christus bei Gott im Himmel ist. Denn Gottes Himmel, das ist ja nicht ein bestimmter Ort, irgendwo da oben über den Wolken, wo der Thron Gottes steht und Jesus Christus an seiner rechten Seite sitzt. Gott lässt sich nicht auf einen bestimmten Ort festlegen, auch nicht oben im Himmel. Gott ist unendlich, Gott ist ewig. Gott sprengt diese Dimensionen von Raum und Zeit. Vor seinem Thron und in seinem Licht stehen wir, an jedem Ort dieser Welt und zu jeder Zeit unseres Lebens. Auch dann, wenn der Ort, an dem wir leben, alles andere als himmlisch ist. Auch dann, wenn die Zeit, in der wir leben, eine wirklich schwierige Zeit ist. Immer und überall stehen wir in Gottes Licht. Denn wir gehören zu Gott. Und wir gehören zu Jesus Christus, der am Kreuz den Tod überwunden hat, der auferstanden ist und der lebt, bei Gott in seiner Herrlichkeit. Das ist die Hoffnung, zu der wir berufen sind, die überschwänglich große Kraft Gottes, die unser Predigttext in den höchsten Tönen lobt.

Das klingt alles immer noch ziemlich abgehoben. Wie kann diese große Hoffnung wirklich bei uns ankommen? Ich möchte Ihnen Menschen vorstellen, die ich mit dieser Hoffnung verbinde. Ich erinnere mich an eine hochbetagte Frau, die ich einmal besucht habe. „Ich habe mein Leben meinem Heiland übergeben,“ sagte sie mir. „Er weiß, wann es Zeit ist, dass er mich zu sich holt.“ Auf diesem Vertrauen auf Jesus Christus hat diese hochbetagte Frau ihr Leben aufgebaut. In dieser Gewissheit hat sie es geschafft, ihren Alltag zu bewältigen – trotz ihrer körperlichen Beschwerden, trotz ihrer Einsamkeit als Witwe. Wenn ich so einem Menschen begegne wie dieser Frau, dann wird der Thron Gottes und Jesus Christus, der dort im ewigen Licht an Gottes rechter Seite sitzt, für mich erfahrbar.

Ich möchte Ihnen auch eine Anekdote erzählen von zwei Theologen des 20. Jahrhunderts – Karl Barth und Eduard Thurneysen. Die beiden waren befreundet. Am Abend vor dem Tod von Karl Barth hatten die beiden noch miteinander telefoniert und sich über die Weltlage unterhalten. Karl Barth meinte: „Ja, die Welt ist dunkel!“ Er ließ diese Aussage aber nicht einfach so stehen, ganz im Gegenteil. Weiter sagte er: „Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking. Sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her. Gott sitzt im Regiment. Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich, auch in dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns und uns alle miteinander nicht!“ In dieser Zuversicht hat der Theologe Karl Barth sein Leben beschlossen. Es waren seine letzten Worte.

„Es wird regiert!“ Ich finde diesen Gedanken sehr tröstlich, gerade auch in schwierigen Zeiten. Das gibt mir die Kraft, auch solche Zeiten durchzustehen. Dabei hilft es mir, mit den Augen des Herzens auf Jesus Christus zu schauen. Jesus Christus, der an Gottes rechter Seite sitzt und den Lauf dieser Welt in der Hand hat – auch da, wo ich es jetzt noch nicht verstehen kann. Jesus Christus, über den unser Predigttext aus dem Epheserbrief sagt: Gott hat ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht und Herrschaft. Alles hat er unter seine Füße getan.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zu Christi Himmelfahrt, 13. Mai 2021


Predigt zu Christi Himmelfahrt, 13. Mai 2021

Epheser 1, 17-23: Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

Liebe Mitchristen!

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein,“ heißt es in einem bekannten Lied von Reinhard Mey. Heute am Himmelfahrtstag wird unser Blick nach oben gelenkt, zu Jesus Christus in seiner Herrlichkeit. Er sitzt auf dem Thron an Gottes rechter Seite. Dort oben im ewigen Licht lenkt er die Geschicke der Welt. Aber wo ist das denn nun genau, dieses „Dort oben“? Ist das wirklich über den Wolken? „Eine Wolke nahm Jesus auf.“ So erzählt die Apostelgeschichte die Himmelfahrt von Jesus Christus. Aber sie erzählt auch von Engeln, die die Jünger davor warnen, Jesus da oben am Himmel zu suchen. Denn wenn wir unsere Augen nur an den Himmel heften, dann verlieren wir Jesus Christus aus dem Blick. „Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid,“ lesen wir im Epheserbrief. 

Nicht das, was vor Augen liegt, bringt uns Jesus Christus näher. Nicht der Blick zum Himmel da oben, wo die Wolken ziehen. Es braucht einen anderen Blick. Einen Blick, der tiefer geht und das Wesentliche sieht. „Schau hin!“ So heißt das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentags, der in diesen Tagen digital gefeiert wird. Und schon Antoine de Saint-Exupéry wusste: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Nur mit dem Herzen können wir Gottes Himmel erkennen. Nur in der Liebe können wir verstehen, was es bedeutet, dass Jesus Christus bei Gott im Himmel ist. Denn Gottes Himmel, das ist ja nicht ein bestimmter Ort, irgendwo da oben über den Wolken, wo der Thron Gottes steht und Jesus Christus an seiner rechten Seite sitzt. Gott lässt sich nicht auf einen bestimmten Ort festlegen, auch nicht oben im Himmel. Gott ist unendlich, Gott ist ewig. Gott sprengt diese Dimensionen von Raum und Zeit. Vor seinem Thron und in seinem Licht stehen wir, an jedem Ort dieser Welt und zu jeder Zeit unseres Lebens. Auch dann, wenn der Ort, an dem wir leben, alles andere als himmlisch ist. Auch dann, wenn die Zeit, in der wir leben, eine wirklich schwierige Zeit ist. Immer und überall stehen wir in Gottes Licht. Denn wir gehören zu Gott. Und wir gehören zu Jesus Christus, der am Kreuz den Tod überwunden hat, der auferstanden ist und der lebt, bei Gott in seiner Herrlichkeit. Das ist die Hoffnung, zu der wir berufen sind, die überschwänglich große Kraft Gottes, die unser Predigttext in den höchsten Tönen lobt.

Das klingt alles immer noch ziemlich abgehoben. Wie kann diese große Hoffnung wirklich bei uns ankommen? Ich möchte Ihnen Menschen vorstellen, die ich mit dieser Hoffnung verbinde. Ich erinnere mich an eine hochbetagte Frau, die ich einmal besucht habe. „Ich habe mein Leben meinem Heiland übergeben,“ sagte sie mir. „Er weiß, wann es Zeit ist, dass er mich zu sich holt.“ Auf diesem Vertrauen auf Jesus Christus hat diese hochbetagte Frau ihr Leben aufgebaut. In dieser Gewissheit hat sie es geschafft, ihren Alltag zu bewältigen – trotz ihrer körperlichen Beschwerden, trotz ihrer Einsamkeit als Witwe. Wenn ich so einem Menschen begegne wie dieser Frau, dann wird der Thron Gottes und Jesus Christus, der dort im ewigen Licht an Gottes rechter Seite sitzt, für mich erfahrbar. 

Ich möchte Ihnen auch eine Anekdote erzählen von zwei Theologen des 20. Jahrhunderts – Karl Barth und Eduard Thurneysen. Die beiden waren befreundet. Am Abend vor dem Tod von Karl Barth hatten die beiden noch miteinander telefoniert und sich über die Weltlage unterhalten. Karl Barth meinte: „Ja, die Welt ist dunkel!“ Er ließ diese Aussage aber nicht einfach so stehen, ganz im Gegenteil. Weiter sagte er: „Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking. Sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her. Gott sitzt im Regiment. Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich, auch in dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns und uns alle miteinander nicht!“ In dieser Zuversicht hat der Theologe Karl Barth sein Leben beschlossen. Es waren seine letzten Worte. 

„Es wird regiert!“ Ich finde diesen Gedanken sehr tröstlich, gerade auch in schwierigen Zeiten. Das gibt mir die Kraft, auch solche Zeiten durchzustehen. Dabei hilft es mir, mit den Augen des Herzens auf Jesus Christus zu schauen. Jesus Christus, der an Gottes rechter Seite sitzt und den Lauf dieser Welt in der Hand hat – auch da, wo ich es jetzt noch nicht verstehen kann. Jesus Christus, über den unser Predigttext aus dem Epheserbrief sagt: Gott hat ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht und Herrschaft. Alles hat er unter seine Füße getan. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Rogate

Predigt zum Sonntag Rogate, 9. Mai 2021

Jesus Sirach 35, 16-22a: Gott hilft dem Armen ohne Ansehen der Person und erhört das Gebet des Unterdrückten. Er verachtet das Flehen der Waisen nicht noch die Witwe, wenn sie ihre Klage erhebt. Laufen ihr nicht die Tränen die Wangen hinunter, und richtet sich ihr Schreien nicht gegen den, der die Tränen fließen lässt? Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an, und sein Gebet reicht bis in die Wolken. Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es dort ist, bleibt er ohne Trost, und er lässt nicht nach, bis der Höchste sich seiner annimmt und den Gerechten ihr Recht zuspricht und Gericht hält.

Liebe Mitchristen!

Unser heutiger Predigttext steht im Buch Jesus Sirach. Dieses Buch ist vielen von uns nicht so vertraut. Auch ich habe in meiner Bibel erstmal blättern müssen, bis ich dieses Buch gefunden habe. Und es gibt sogar Bibelausgaben, in denen dieses Buch gar nicht enthalten ist. Das Buch Jesus Sirach gehört zu den sogenannten apokryphen Schriften, die in der Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament entstanden sind. Jesus Sirach war ein jüdischer Gelehrter, der etwa um 200 vor Christus gelebt hat. Er wollte anderen eine Hilfestellung geben, wie sie ihr Leben im Sinne der Heiligen Schrift leben können. Was er dazu aufgeschrieben hat, hat später sein Enkel ins Griechische übersetzt. Damals gab es viele Angehörige des jüdischen Volkes, die außerhalb von Israel lebten und Griechisch als Muttersprache hatten. Auch diese Menschen sollten eine Handreichung haben, wie sie ihren Glauben leben und die Heilige Schrift verstehen können. Das Buch Jesus Sirach wurde also aufgeschrieben, um die Heilige Schrift zu erklären und in den gelebten Glauben einzubinden. Ganz ähnlich hat das auch Martin Luther gesehen. Er sagte über das Buch Jesus Sirach, es „ist der Heiligen Schrift nicht gleich zu halten, und doch nützlich und gut zu lesen.“

Eigentlich schade, dass wir diesen Ratschlag des Reformators so selten beherzigen, wie nützlich und gut zu lesen das Buch Jesus Sirach ist. Die neue Perikopenordnung, die wir nun seit einigen Jahren haben, hat das geändert. Auch Texte aus dem Buch Jesus Sirach sind jetzt als Predigttext vorgesehen. So wie der Text für den heutigen Sonntag. Und ich finde, auf diesen Text trifft das wirklich zu: Er ist nützlich und gut zu lesen. Dieser Text spannt einen ganz weiten Bogen: Von denen, die ganz unten sind, bis ganz nach oben zu den Wolken.

Menschen, die ganz unten sind: In der damaligen Zeit waren das die Armen, die Unterdrückten, die Witwen und Waisen. Diese Menschen ganz unten, die brauchen einfach Hilfe, damals wie heute. Sie brauchen Hilfe zum Lebensunterhalt, Brot, Geld, Kleidung, Mittel für medizinische Versorgung, Unterkunft, die Wiederfreischaltung des gesperrten Stromanschlusses, Schuldnerberatung. Witwen und Waisen waren damals arm. Sklaven waren unterdrückt. Wer sind die Armen und Unterdrückten bei uns, in unserer Zeit?

Viele davon führen ein Schattendasein, von dem wir kaum etwas wissen, auch wenn diese Menschen vielleicht ganz in unserer Nähe leben. Manche sind erst jetzt durch die Corona-Krise aus dem Schatten getreten und in unsere Bewusstsein gerückt: Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, bei denen es auf einmal nicht mehr selbstverständlich war, ob sie aus Osteuropa einreisen können. Zerlegehelfer in den Schlachthöfen, die so hart arbeiten und so beengt untergebracht sind, dass sie besonders gefährdet sind, sich mit Corona anzustecken. Arme und Unterdrückte in unserer Zeit. Sie haben kein Unterstützungsnetz. Sie können keine Hilfe organisieren. Es sind Entwurzelte am Rande unserer Gesellschaft. Kaum einer kennt sie. Auch in unseren Kirchengemeinden begegnen sie uns nicht. Aber Gott sieht ihre Tränen und hört ihr Schreien. Gott verachtet das Gebet dieser Menschen nicht, auch wenn es nicht so ist, wie wir uns gelebten Glauben vorstellen.

Wie stellen wir uns gelebten Glauben vor? Vielleicht denken wir an gemeinsame Gebete im Gottesdienst. Oder an die tägliche, persönliche Andacht, für die ich mir eine bestimmte Zeit des Tages freihalte. Der Text aus dem Buch Jesus Sirach macht uns Mut, unseren Glauben auch weiterhin so zu leben: „Wer Gott dient, den nimmt er mit Wohlgefallen an, und sein Gebet reicht bis in die Wolken.“ So heißt es da. Aber unser Predigttext erinnert uns daran: Gott hört auch die, die keine solchen festen Gebetsformen haben. Unser Text nennt sie die Demütigen. Gemeint ist damit: Die, die ganz unten sind. Die, die ein Schattendasein führen. Gerade die hört Gott. Ihr Gebet dringt nicht nur bis an die Wolken. Ihre Tränen, ihre wortlosen Schreie dringen noch weiter: Sie dringen durch die Wolken hindurch. Gerade auch dann, wenn sie die Erfahrung machen: Ich dringe nicht durch mit meinem Anliegen. Es dauert alles so lange. Immer wieder werde ich weggeschickt, von einem zum anderen. Niemand ist zuständig, niemand kann helfen. Es ist alles wie ein undurchdringlicher Nebel.

Manchmal geht es uns ja auch mit Gott so. Es ist wie ein undurchdringlicher Nebel zwischen Gott und uns. Wir verstehen Gott nicht bis ins Letzte. Wir können Gottes Entscheidungen nicht durchschauen. Doch die gute Nachricht ist: Die Gebete von denen, die ganz unten sind, dringen durch die Wolken. Ja, auch die Gebete der Flüchtlinge und Fremdarbeiter. Auch wenn wir diese Menschen noch nie in unserer Gemeinde gesehen haben und vielleicht auch nie sehen werden. Ihre Gebee dringen durch die Wolken. Und das ist nun wirklich nicht der Verdienst dieser Menschen. Es ist Gottes Entscheidung, so zu bevorzugen. So wie Jesus es gesagt hat: „Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert, denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr sollt lachen.“ (Lk 6,20-22)

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Predigt zum Sonntag Kantate, 2. Mai 2021


Predigt zum Sonntag Kantate, 2. Mai 2021


Lukas 19, 37-40: Und als Jesus schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.


Liebe Mitchristen!

„Habe ich denn so Unrecht getan damit, dass ich ihm als Pfarrer die Wahrheit gesagt habe? Warum haben seine Mitprediger es nicht getan? Ich habe ihnen lange zugesehen, ob sie es tun wollten. Dann hätte ich, eine arme Frau, gerne geschwiegen und andere reden lassen. Aber wie der Herr Jesus sagte: ‚Wenn diese schweigen, müssen die Steine reden.‘ Und ich bin doch mehr als ein Stein.“ Diese Worte stammen von Katharina Zell. Katharina Zell war die Witwe des ersten evangelischen Pfarrers in Straßburg. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich für die Ausbreitung des Evangeliums in ihrer Stadt eingesetzt. Die Armen, die Kranken und die aus Glaubensgründen Verfolgten hatte sie versorgt. Sie alle hatten bei ihr Trost und praktische Hilfe erfahren. Dabei war Katharina Zell in ihrer Nächstenliebe weiter gegangen als die meisten anderen Menschen in ihrer Zeit. Sie hatte sie sich auch um diejenigen gekümmert, die die Kindertaufe ablehnten und deswegen um ihr Leben fürchten mussten. Katharina Zell hatte das getan, obwohl sie die Glaubensüberzeugung dieser Täufer nicht geteilt hat. Für viele von Katharina Zells Zeitgenossen war das absolut unerträglich. Solchen Leuten wie den Täufern sollte man auf keinen Fall irgendetwas Gutes tun, da hatten diese Menschen eine ganz klare Meinung. 

Einer von ihnen war der neue Straßburger Pfarrer. Von der Kanzel herunter hatte er Katharina Zell in seiner Predigt abgekanzelt. Er hatte ihr den Glauben abgesprochen und behauptet, dass sie mit dem Teufel unter einer Decke steckt. Das war gefährlich für Katharina Zell, lebensgefährlich. Die Zeit der Hexenverbrennungen war noch lange nicht vorbei, damals in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Aber Katharina Zell hat sich nicht weggeduckt und versteckt. Sie hat sich nicht ins Private zurückgezogen, wie man es von einer Frau damals erwartet hätte. Sie hat ihre Stimme erhoben und ist laut geworden: „Wie der Herr Jesus sagte: ‚Wenn diese schweigen, müssen die Steine reden.‘ Und ich bin doch mehr als ein Stein.“

Nicht schweigen, sich nicht wegducken. Laut die Stimme erheben. Die Wahrheit über Gottes Liebe lässt sich nicht zum Schweigen bringen. So war es auch damals, als Jesus auf dem Esel in Jerusalem eingeritten ist, und seine Anhänger ihre Kleider vor ihm auf der Straße ausgebreitet haben. Laut haben die Jünger es da herausposaunt: Jesus Christus, unser Erlöser! Er ist der Messias, der von Gott versprochene Retter! Mit ihm hat Gott sein Versprechen erfüllt: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Den obersten Religionswächtern damals in Jerusalem, den Pharisäern, denen war dieses Lied absolut unerträglich. „Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“ sagen sie zu Jesus. Bring sie zum Schweigen. 

Aber das Lied, das die Jünger da auf den Lippen haben, lässt sich nicht zum Schweigen bringen, nicht von dem Pfarrer in Straßburg und nicht von den Pharisäern in Jerusalem. Selbst dann nicht, wenn die Menschen verstummen, die dieses Lied gesungen haben. Dann klingt das Lied weiter, im Gesang der Vögel und im Duft der Blumen. Jeder Stein am Wegesrand erzählt von diesem Lied. Denn es ist ein ganz besonderes, ein einzigartiges Lied, das die Jünger da singen. Es ist das Lied, das die Engel an Weihnachten draußen auf dem Feld bei den Hirten gesungen haben. Das Lied von Gott, der ein Mensch wird wie wir. Das Lied von Jesus Christus, der dem König der Welt, der nicht auf dem hohen Ross daherkommt, sondern auf einem einfachen Esel. Ehre sei Gott in der Höhe, der heruntergekommen ist in unsere Tiefe! 

Dieses Lied ist nicht verstummt. Das Lied klingt weiter – auch bei uns heute am Sonntag Kantate. Auch wenn in diesem Jahr unsere Kirchen nicht voller Musik und Gesang sind wie sonst am Sonntag Kantate. Auch wenn die Jugendlichen, die am heutigen Sonntag eigentlich ihre Konfirmation feiern wollten, nun noch warten müssen mit ihrem Fest. Das Lied, das die Engel auf den Feldern von Bethlehem angestimmt haben, klingt weiter.

Wenn schon die Steine dieses Lied singen, wieviel mehr dann wir. Wir sind doch viel mehr als ein Stein, wusste schon Katharina Zell. Und auch wenn wir in der jetzigen Zeit nicht in Gemeinschaft miteinander singen können: Wir tragen dieses Lied unserem Herzen: Das Lied von Gottes unermesslicher Liebe. Und unser Herz ist viel mehr als ein Stein. Lassen wir uns erweichen von Gottes Liebe, so wie Katharina Zell es in ihrer Zeit gemacht hat. So wie die Jünger damals ein Zeichen gesetzt haben für Gottes Liebe – damit alle es hören und sehen: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum Sonntag Jubilate, 25. April 2021


Predigt zu Jubilate, 25. April 2021 

Apg 17, 22-34 (Einheitsübersetzung): Da stellte sich Paulus in die Mitte des Areopags und sagte: Männer von Athen, nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromm. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch. Der Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Er lässt sich auch nicht von Menschenhänden dienen, als ob er etwas brauche, er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt. Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir; wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seinem Geschlecht. Da wir also von Gottes Geschlecht sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung. Gott, der über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat, gebietet jetzt den Menschen, dass überall alle umkehren sollen. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird, durch einen Mann, den er dazu bestimmt und vor allen Menschen dadurch ausgewiesen hat, dass er ihn von den Toten auferweckte. Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, andere aber sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören. So ging Paulus aus ihrer Mitte weg. Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, der Areopagit, außerdem eine Frau namens Damaris und noch andere mit ihnen.

Liebe Mitchristen!

„Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind,“ sagt der Apostel Paulus in unserem Predigttext. Für unsere heutige Zeit heißt das: Gott wohnt nicht in den steinernen Kirchen, die wir Menschen gebaut haben – nicht in den großen Domen und Kathedralen mit ihren beeindruckenden Kunstschätzen, und auch nicht in den kleinen und unbekannteren Kirchen überall im Land.  Gott wohnt nicht in der Christuskirche hier in Wehingen, wo ich gerade stehe und diese Predigt halte. Stimmt das so? Es bereitet mir Unbehagen, das hier in der Kirche von der Kanzel zu sagen. Und doch stimmt es heute so für mich. Denn die Kirche ist leer, in der ich predige. Um die Gesundheit von uns und unseren Mitmenschen zu schützen, haben wir unsere Gottesdienste ins Internet verlegt. Was bedeutet diese erneute Unterbrechung im Gottesdienst Feiern für unsere Gemeinde? Geht der christliche Glaube nicht mehr und mehr verloren, je länger wir auf Abstand und ohne Gottesdienstgemeinschaft leben müssen? 

„Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.“ Als die Apostelgeschichte aufgeschrieben wurde, war der Tempel in Jerusalem endgültig zerstört und verloren. Was ist jetzt mit Gott? Was wird aus unserem Glauben? So haben sich die Menschen damals gefragt. Unser Predigttext aus der Apostelgeschichte gibt eine Antwort auf diese Fragen: Gott lässt sich finden. „Keinem von uns ist Gott fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ Überall lässt Gott sich finden. Gott hat sich nicht im Kirchengebäude häuslich eingerichtet und ist nur dort zu finden. Gott ist da, wo Menschen auf der Suche sind und nach Gott fragen. Damals auf dem Marktplatz in Athen genauso wie heute im Internet. Gott ist da, wo wir ihn nicht erwarten. Eben nicht nur in den Kunstschätzen und Baudenkmälern, die Menschen ihm zur Ehre errichtet haben. Die Athener hatten eine Ahnung davon. Inmitten der unzähligen Tempel und Götterbilder, die es in ihrer Stadt gibt, bauen sie einen Altar mit der Aufschrift: „Einem unbekannten Gott“. Denn auch die schönsten Kunstschätze, auch die großartigsten Baudenkmäler können Gott nie wirklich gerecht werden. Gott passt nicht ins Bild, weil er größer ist als alle Bilder, die sich Menschen von ihm machen. Gott ist größer ist als all das, was wir kennen und vor Augen haben, denn all das ist durch ihn geschaffen. Gott hält die ganze Welt in seiner Hand. Wie sollte ein Tempel oder eine Kirche ausreichen als Wohnort für ihn? Gott ist auch kein ferner Gott, der irgendwo weit weg im Himmel thront als alter Mann mit langem Bart. Auch das ist nur ein Bild von Gott, das versucht, Gott zu erfassen. Gott aber ist größer als alle Bilder. Unvorstellbar nahe ist Gott uns. Wir sind ihm wichtig, jeder einzelne Mensch, der auf dieser Erde lebt. Er ist die Kraft, die uns den Rücken stärkt. Er ist der Halt, der uns hindurchträgt durchs Leben. „Keinem von uns ist Gott fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ 

Gott ist nicht der große Macher, der die Welt gemacht hat und dann sich selbst überlässt. „Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird, durch einen Mann, den er dazu bestimmt und vor allen Menschen dadurch ausgewiesen hat, dass er ihn von den Toten auferweckte.“ So sagt es Paulus in der Apostelgeschichte. Nicht in der Kirche, sondern auf dem Marktplatz predigt er. Er predigt von Gott, der größer ist als alle Bilder und Vorstellungen. Größer auch als unsere Vorstellung davon, wie gelebter Glaube und christliche Gemeinschaft aussehen muss. Im Vertrauen auf Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, können wir hier getrost neue Wege gehen. Denn in Jesus Christus kommt Gott uns ganz nahe und schenkt uns einen Neuanfang. Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist. Er steht für den Neuanfang, den es geben wird für die ganze Welt. Denn Gott ist es nicht egal, was aus der Welt wird, die er geschaffen hat. Auf ihn können wir uns verlassen. Denn: „Keinem von uns ist Gott fern.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer







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Misericordias Domini

 

Ein Bild, das Gras, draußen, Schaf, Feld enthält.  Automatisch generierte BeschreibungPredigt zum Sonntag Misericordias Domini, 18. April 2021

Ezechiel 34 in Auswahl: Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Liebe Mitchristen!

Es gibt Texte, Bilder und Worte, die einen ein ganzes Leben begleiten. So ein Text ist für mich der Psalm 23, der mit den Worten „Der Herr ist mein Hirte“ beginnt. Unseren Konfirmandenunterricht fangen wir immer mit diesem Psalm an. Und als die Konfirmanden jetzt ihre Konfirmationssprüche ausgesucht haben, da war dieser Psalm auch wieder mit dabei. „Der Herr ist mein Hirte.“ Das ist das Thema des heutigen Sonntags. Alle Bibeltexte passen zu diesem Thema: Der Psalm 23, das Wort von Jesus, der uns verspricht: Ich bin der gute Hirte. Und auch die Worte des Propheten Ezechiel, der uns sagt: Gott ist der gute Hirte. Wenn Menschen uns im Stich lassen – Gott lässt uns nicht im Stich. Ein Hirte mit seinen Schafen – das war ein ganz vertrauter Anblick damals in Israel. Und auch hier bei uns auf der Schwäbischen Alb kann man einem solchen Hirten mit Schafherde noch begegnen. Aber wenn ich heute einen jungen Menschen frage, der gerade seinen Schulabschluss macht: Was möchtest du mal von Beruf werden? Dann werde ich wahrscheinlich kaum als Antwort zu hören bekommen: Ich möchte später einmal Hirte werden. Es gibt nur wenige, die das heute noch machen. Man verdient nicht viel dabei, und es ist schwere und anstrengende Arbeit – längst nicht so idyllisch, wie wir uns das vorstellen, da draußen bei der Herde im Sonnenschein.

„Der Herr ist mein Hirte. Er weidet mich auf einer grünen Aue. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück.“ Ich denke an einen Besuch bei einer sterbenskranken Frau. Gar nicht mehr erreichbar schien sie zu sein. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Ich stehe mit ihren Angehörigen an ihrem Bett und bete diese Worte. Ich merke, wie diese Worte wirken auf diese sterbende Frau. Wie sie ruhig wird, wie ihre Lippen wortlos mitbeten. Der Herr ist mein Hirte. Worte, die hineinsprechen in unser Leben. Worte die eine tiefe Sehnsucht in uns ansprechen – auch heute noch, wo uns Hirten kaum noch in unserem Alltag begegnen.

Ich denke, so ähnlich ist es auch dem Propheten Ezechiel gegangen. Er lebt in einer Zeit, die die Menschen damals fast verzweifeln lässt. Die Welt scheint aus den Fugen geraten. Die Führungsschicht des Volkes ist nach Babylon verschleppt worden. Eine Zeit, in die wir uns heute einfühlen können, nach über einem Jahr Pandemie. Die Menschen stellen die große Frage nach dem Warum, damals wie heute. Der Prophet Ezechiel gibt da keine einfachen Antworten. Ja, da sind die Hirten, die sich selbst weiden. Menschen, die Verantwortung tragen und die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden in diesen schwierigen Zeiten. Aber es sind nicht einfach die da oben schuld. Auf die zu schimpfen ist einfach. Dann habe ich ein Ventil für meinen Frust; eine einfache Erklärung für das, was unerklärlich bleibt und mich doch so belastet und einschränkt in meinem Leben. Dann muss ich mir keine Gedanken darüber machen, wo meine Aufgabe und Verantwortung ist in dieser Welt, in der wir leben. Aber Ezechiels Hirtenkritik meint nicht nur die da oben. Sie meint auch mich.

Und vor allem: Ezechiel verweist uns auf den, der wirklich ganz oben ist: Auf Gott. Gott selbst will unser Hirte sein. Durch den Mund dieses Propheten verspricht er es uns: Ich will mich meiner Herde selbst annehmen. Ich will sie erretten. Ich will sie sammeln und in ihr Land bringen. Dieses entschlossene „Ich will“ bleibt nicht im Selbstmitleid. Dieses „Ich will“ bleibt nicht im Zeigen auf die da oben, die schuld sind. Dieses „Ich will“ stellt sich gegen Depression und Populismus. Gottes „Ich will“ schenkt uns Hoffnung. Es gibt dem Bild vom guten Hirten eine neue Bedeutung in veränderter Zeit. Gott spricht dieses „Ich will“ gerade in die schwierigen und dunklen Zeiten hinein: In das Leid seines Volkes Israel in der babylonischen Gefangenschaft. In das Dunkel des Todes Jesu am Kreuz. In unsere schwierige Lebenssituation heute.

Wir setzen unsere Hoffnung auf Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Er ist der gute Hirte, der uns alle beim Namen kennt. Der gute Hirte, der sein Leben lässt für seine Schafe. Er weidet uns auf grüner Aue und führt uns zum frischen Wasser. Dieses Versprechen gilt – ja, gerade auch in Zeiten, wo mein Leben nicht so idyllisch aussieht wie die Schafherde mit ihrem Hirten hier in der Wacholderheide auf der Alb. Auch dann, wenn in meinem Leben dunkle Wolken aufziehen und schwierige Zeiten durchzustehen sind, gilt dieses Versprechen. In diesem Vertrauen können wir hinausgehen in unseren Alltag – getröstet, gestärkt und voller Hoffnung.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zum ersten Sonntag nach Ostern, 11.04.21


Predigt zum 11. April 2021 (erster Sonntag nach Ostern)

„Christus ist auferstanden“ – so werden wir begrüßt, wenn wir zur Osterzeit eine Russlanddeutsche Gemeinde besuchen. Wir erwidern den Gruß mit „Er ist wahrhaftig auferstanden“. 

Aus der Zeit der atheistischen Propaganda in der Sowjetunion wird folgende Begebenheit berichtet:
Ein Propagandaredner des Regimes sprach vor einer großen Menschenmenge „aufklärende Worte“ über die Religion und insbesondere über das Christentum und stellte dieses in schlechten Licht dar. Damit die Veranstaltung den Anschein der Objektivität und Ausgewogenheit bekam, durfte nach ihm ein orthodoxer Geistlicher das Wort ergreifen. Was würde er in dieser schwierigen Situation erwidern?
Er trat neben den redegewaltigen Redner ans Mikrofon und verharrte einige Augenblicke schweigend. Dann rief er mit lauter Stimme „Christus ist auferstanden!“, und die Menge antwortete wie aus einem Mund „Er ist wahrhaftig auferstanden!“. Das geschah dreimal. Danach blieb dem Propagandaredner nichts anders übrig, als seine Aktentasche zu ergreifen und eiligst zu entschwinden.

Für uns Christen ist die schönste Botschaft der Welt, dass Christus auferstanden ist. Deshalb feiern wir als Christen den Sonntag anstelle des Sabbats aus dem Alten Testament: Weil an diesem Tag Jesus von den Toten auferstanden ist und jeder Sonntag soll uns daran erinnern. 

Der aktuelle Predigttext spielt nach der Auferstehung Jesu (Joh. 21, 1-14):
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Eigentlich hätten die Jünger glücklich und fröhlich sein müssen. Jesus war von den Toten auferstanden. Sie waren am See Genezareth, wo sie so viel mit Jesus erlebt haben. Er hat dort Kranke berührt und geheilt. Er ist dort über das Wasser gegangen und hat den Sturm gestillt. Er hat zu großen Menschenmengen gesprochen und hat sie gelehrt. 

Doch die Jünger sind wieder in ihrem alten Leben gestrandet. Jesus mag auferstanden sein, aber er ist nicht hier. Sie sind die Nacht über alleine auf dem See und sie fangen nichts. Langsam wird es Morgen.
Dann erscheint Jesus am Ufer. Aber die Jünger erkennen ihn nicht. Jesus fordert sie auf, ihr Netz auf der rechten Seite des Boots auszuwerfen und sie machen einen gewaltigen Fang. Es ist ein Wunder, aber die Jünger freuen sich nicht darüber.
Danach bereitet Jesus ihnen aus Brot und Fisch ein Frühstück und isst mit ihnen. Es ist eine innige vertraute Gemeinschaft, aber die Stimmung bleibt seltsam gedrückt. Die Jünger haben viele Fragen, aber sie trauen sich nicht zu fragen, obwohl sie 3 Jahre mit Jesus unterwegs waren und ihn dabei ständig gefragt haben.

Obwohl sie 3 Jahre mit Jesus unterwegs waren, ist die Situation jetzt anders:
Jesus ist vom Tod auferstanden. Der Tod ist etwas, das die Welt bis heute erschüttert und uns Menschen unsere Vergänglichkeit spüren lässt. Der Tod ist eine Dimension, die wir nicht wirklich verstehen können. Und nun ist da jemand, der größer und mächtiger ist als der Tod. Das geht über menschliches Verständnis hinaus. 

Wie sollen die Jünger mit jemandem enge Gemeinschaft haben, der stärker ist als der Tod? Durch die Auferstehung wird die Gottheit Jesu deutlich. Wie sollen sich die Jünger auf Augenhöhe mit Gott unterhalten? Das ist ein Spannungsfeld, in dem wir uns ebenfalls befinden. 

Der Text gibt Antwort:
Jesus fragt: „Kinder habt ihr nichts zu essen?“. Jesus geht auf die Jünger zu. Er nennt sie liebevoll „Kinder“ und bringt damit zum Ausdruck, dass er derjenige ist, der für sie sorgen will und sie liebt. Indem er sie zum Essen einlädt, begegnet er ihnen auf einer Ebene, die ihnen vertraut ist.
Das ist eine gute Nachricht: Jesus begibt sich auch als der Auferstandene auf die Ebene von uns Menschen und will uns dort begegnen. 

Jesus überwindet die Kluft, die zwischen Gott und Mensch ist, indem er auf uns zukommt. Doch wie sollen wir damit umgehen?

Es ist kein Zufall, dass die Geschichte ausgerechnet von Johannes erzählt wird. Johannes nennt in seinem Evangelium nie seinen Namen, sondern spricht von sich selbst immer, als den Jünger, den Jesus liebhatte. Er war sich sicher, dass Jesus ihn liebt und das war für ihn das Wichtigste.
Bei ihm geht es im Glauben hauptsächlich um die Beziehung zu Jesus. Johannes betont in seinem Evangelium die vertraute Nähe von Jesus zu seinen Jüngern: Wie Jesus seine Jünger auf seinen Tod vorbereitet und wie er für seine Jünger betet.

Wenn Jesus auf uns zugeht, dann möchte er eine Beziehung mit uns haben. Wir dürfen und sollen uns darüber bewusst sein, dass er uns liebt – so wie er auch Johannes geliebt hat. Er hat auch für uns gebetet und er lädt auch uns zum Mahl ein – deshalb feiern wir auch regelmäßig Abendmahl. Es geht um die Verbundenheit mit Jesus – darum, dass wir von ihm gewollt und angenommen sind. Darum, dass wir ihm immer bedingungslos vertrauen können. Darum, dass er immer für uns da ist – so wie er es versprochen hat. 

Doch wie können wir sicher sein?
Jesus verweist immer wieder auf die Schrift – also die Bibel. Darauf können und sollen wir uns verlassen. Doch dabei geht es uns manchmal wie den Jüngern: Wir lesen die frohe Botschaft und trotzdem scheint etwas zu fehlen.
Im griechischen Urtext finden wir zwei unterschiedliche Begriffe für das Wort Gottes: Logos und Rhema. Logos bedeutet das neutrale Wort Gottes das jedem zugänglich ist, wenn er die Bibel liest. Wir sollen es lesen und es ist Nahrung für unseren Geist. Und Rhema bedeutet, dass der Geist Gottes das Wort für mich lebendig macht. Mir wird bewusst, was es für mich persönlich in dieser Situation bedeutet. 

Wenn wir mit offenem Herzen das Wort Gottes lesen, dann wird es für uns lebendig und der Einzelne empfängt die Gewissheit: Es gilt für mich, Jesus ist für mich gestorben und auch meine Schuld ist vergeben, er ist auferstanden und er begegnet auch mir. Er kennt mich und er liebt auch mich. Diese Erfahrung wünsche ich Ihnen.

Prädikant Gerhard Walderich