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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Sonntag Jubilate, 25. April 2021


Predigt zu Jubilate, 25. April 2021 

Apg 17, 22-34 (Einheitsübersetzung): Da stellte sich Paulus in die Mitte des Areopags und sagte: Männer von Athen, nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromm. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch. Der Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Er lässt sich auch nicht von Menschenhänden dienen, als ob er etwas brauche, er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt. Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir; wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seinem Geschlecht. Da wir also von Gottes Geschlecht sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung. Gott, der über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat, gebietet jetzt den Menschen, dass überall alle umkehren sollen. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird, durch einen Mann, den er dazu bestimmt und vor allen Menschen dadurch ausgewiesen hat, dass er ihn von den Toten auferweckte. Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, andere aber sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören. So ging Paulus aus ihrer Mitte weg. Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, der Areopagit, außerdem eine Frau namens Damaris und noch andere mit ihnen.

Liebe Mitchristen!

„Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind,“ sagt der Apostel Paulus in unserem Predigttext. Für unsere heutige Zeit heißt das: Gott wohnt nicht in den steinernen Kirchen, die wir Menschen gebaut haben – nicht in den großen Domen und Kathedralen mit ihren beeindruckenden Kunstschätzen, und auch nicht in den kleinen und unbekannteren Kirchen überall im Land.  Gott wohnt nicht in der Christuskirche hier in Wehingen, wo ich gerade stehe und diese Predigt halte. Stimmt das so? Es bereitet mir Unbehagen, das hier in der Kirche von der Kanzel zu sagen. Und doch stimmt es heute so für mich. Denn die Kirche ist leer, in der ich predige. Um die Gesundheit von uns und unseren Mitmenschen zu schützen, haben wir unsere Gottesdienste ins Internet verlegt. Was bedeutet diese erneute Unterbrechung im Gottesdienst Feiern für unsere Gemeinde? Geht der christliche Glaube nicht mehr und mehr verloren, je länger wir auf Abstand und ohne Gottesdienstgemeinschaft leben müssen? 

„Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.“ Als die Apostelgeschichte aufgeschrieben wurde, war der Tempel in Jerusalem endgültig zerstört und verloren. Was ist jetzt mit Gott? Was wird aus unserem Glauben? So haben sich die Menschen damals gefragt. Unser Predigttext aus der Apostelgeschichte gibt eine Antwort auf diese Fragen: Gott lässt sich finden. „Keinem von uns ist Gott fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ Überall lässt Gott sich finden. Gott hat sich nicht im Kirchengebäude häuslich eingerichtet und ist nur dort zu finden. Gott ist da, wo Menschen auf der Suche sind und nach Gott fragen. Damals auf dem Marktplatz in Athen genauso wie heute im Internet. Gott ist da, wo wir ihn nicht erwarten. Eben nicht nur in den Kunstschätzen und Baudenkmälern, die Menschen ihm zur Ehre errichtet haben. Die Athener hatten eine Ahnung davon. Inmitten der unzähligen Tempel und Götterbilder, die es in ihrer Stadt gibt, bauen sie einen Altar mit der Aufschrift: „Einem unbekannten Gott“. Denn auch die schönsten Kunstschätze, auch die großartigsten Baudenkmäler können Gott nie wirklich gerecht werden. Gott passt nicht ins Bild, weil er größer ist als alle Bilder, die sich Menschen von ihm machen. Gott ist größer ist als all das, was wir kennen und vor Augen haben, denn all das ist durch ihn geschaffen. Gott hält die ganze Welt in seiner Hand. Wie sollte ein Tempel oder eine Kirche ausreichen als Wohnort für ihn? Gott ist auch kein ferner Gott, der irgendwo weit weg im Himmel thront als alter Mann mit langem Bart. Auch das ist nur ein Bild von Gott, das versucht, Gott zu erfassen. Gott aber ist größer als alle Bilder. Unvorstellbar nahe ist Gott uns. Wir sind ihm wichtig, jeder einzelne Mensch, der auf dieser Erde lebt. Er ist die Kraft, die uns den Rücken stärkt. Er ist der Halt, der uns hindurchträgt durchs Leben. „Keinem von uns ist Gott fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ 

Gott ist nicht der große Macher, der die Welt gemacht hat und dann sich selbst überlässt. „Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird, durch einen Mann, den er dazu bestimmt und vor allen Menschen dadurch ausgewiesen hat, dass er ihn von den Toten auferweckte.“ So sagt es Paulus in der Apostelgeschichte. Nicht in der Kirche, sondern auf dem Marktplatz predigt er. Er predigt von Gott, der größer ist als alle Bilder und Vorstellungen. Größer auch als unsere Vorstellung davon, wie gelebter Glaube und christliche Gemeinschaft aussehen muss. Im Vertrauen auf Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, können wir hier getrost neue Wege gehen. Denn in Jesus Christus kommt Gott uns ganz nahe und schenkt uns einen Neuanfang. Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist. Er steht für den Neuanfang, den es geben wird für die ganze Welt. Denn Gott ist es nicht egal, was aus der Welt wird, die er geschaffen hat. Auf ihn können wir uns verlassen. Denn: „Keinem von uns ist Gott fern.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer







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Misericordias Domini

 

Ein Bild, das Gras, draußen, Schaf, Feld enthält.  Automatisch generierte BeschreibungPredigt zum Sonntag Misericordias Domini, 18. April 2021

Ezechiel 34 in Auswahl: Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Liebe Mitchristen!

Es gibt Texte, Bilder und Worte, die einen ein ganzes Leben begleiten. So ein Text ist für mich der Psalm 23, der mit den Worten „Der Herr ist mein Hirte“ beginnt. Unseren Konfirmandenunterricht fangen wir immer mit diesem Psalm an. Und als die Konfirmanden jetzt ihre Konfirmationssprüche ausgesucht haben, da war dieser Psalm auch wieder mit dabei. „Der Herr ist mein Hirte.“ Das ist das Thema des heutigen Sonntags. Alle Bibeltexte passen zu diesem Thema: Der Psalm 23, das Wort von Jesus, der uns verspricht: Ich bin der gute Hirte. Und auch die Worte des Propheten Ezechiel, der uns sagt: Gott ist der gute Hirte. Wenn Menschen uns im Stich lassen – Gott lässt uns nicht im Stich. Ein Hirte mit seinen Schafen – das war ein ganz vertrauter Anblick damals in Israel. Und auch hier bei uns auf der Schwäbischen Alb kann man einem solchen Hirten mit Schafherde noch begegnen. Aber wenn ich heute einen jungen Menschen frage, der gerade seinen Schulabschluss macht: Was möchtest du mal von Beruf werden? Dann werde ich wahrscheinlich kaum als Antwort zu hören bekommen: Ich möchte später einmal Hirte werden. Es gibt nur wenige, die das heute noch machen. Man verdient nicht viel dabei, und es ist schwere und anstrengende Arbeit – längst nicht so idyllisch, wie wir uns das vorstellen, da draußen bei der Herde im Sonnenschein.

„Der Herr ist mein Hirte. Er weidet mich auf einer grünen Aue. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück.“ Ich denke an einen Besuch bei einer sterbenskranken Frau. Gar nicht mehr erreichbar schien sie zu sein. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Ich stehe mit ihren Angehörigen an ihrem Bett und bete diese Worte. Ich merke, wie diese Worte wirken auf diese sterbende Frau. Wie sie ruhig wird, wie ihre Lippen wortlos mitbeten. Der Herr ist mein Hirte. Worte, die hineinsprechen in unser Leben. Worte die eine tiefe Sehnsucht in uns ansprechen – auch heute noch, wo uns Hirten kaum noch in unserem Alltag begegnen.

Ich denke, so ähnlich ist es auch dem Propheten Ezechiel gegangen. Er lebt in einer Zeit, die die Menschen damals fast verzweifeln lässt. Die Welt scheint aus den Fugen geraten. Die Führungsschicht des Volkes ist nach Babylon verschleppt worden. Eine Zeit, in die wir uns heute einfühlen können, nach über einem Jahr Pandemie. Die Menschen stellen die große Frage nach dem Warum, damals wie heute. Der Prophet Ezechiel gibt da keine einfachen Antworten. Ja, da sind die Hirten, die sich selbst weiden. Menschen, die Verantwortung tragen und die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden in diesen schwierigen Zeiten. Aber es sind nicht einfach die da oben schuld. Auf die zu schimpfen ist einfach. Dann habe ich ein Ventil für meinen Frust; eine einfache Erklärung für das, was unerklärlich bleibt und mich doch so belastet und einschränkt in meinem Leben. Dann muss ich mir keine Gedanken darüber machen, wo meine Aufgabe und Verantwortung ist in dieser Welt, in der wir leben. Aber Ezechiels Hirtenkritik meint nicht nur die da oben. Sie meint auch mich.

Und vor allem: Ezechiel verweist uns auf den, der wirklich ganz oben ist: Auf Gott. Gott selbst will unser Hirte sein. Durch den Mund dieses Propheten verspricht er es uns: Ich will mich meiner Herde selbst annehmen. Ich will sie erretten. Ich will sie sammeln und in ihr Land bringen. Dieses entschlossene „Ich will“ bleibt nicht im Selbstmitleid. Dieses „Ich will“ bleibt nicht im Zeigen auf die da oben, die schuld sind. Dieses „Ich will“ stellt sich gegen Depression und Populismus. Gottes „Ich will“ schenkt uns Hoffnung. Es gibt dem Bild vom guten Hirten eine neue Bedeutung in veränderter Zeit. Gott spricht dieses „Ich will“ gerade in die schwierigen und dunklen Zeiten hinein: In das Leid seines Volkes Israel in der babylonischen Gefangenschaft. In das Dunkel des Todes Jesu am Kreuz. In unsere schwierige Lebenssituation heute.

Wir setzen unsere Hoffnung auf Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Er ist der gute Hirte, der uns alle beim Namen kennt. Der gute Hirte, der sein Leben lässt für seine Schafe. Er weidet uns auf grüner Aue und führt uns zum frischen Wasser. Dieses Versprechen gilt – ja, gerade auch in Zeiten, wo mein Leben nicht so idyllisch aussieht wie die Schafherde mit ihrem Hirten hier in der Wacholderheide auf der Alb. Auch dann, wenn in meinem Leben dunkle Wolken aufziehen und schwierige Zeiten durchzustehen sind, gilt dieses Versprechen. In diesem Vertrauen können wir hinausgehen in unseren Alltag – getröstet, gestärkt und voller Hoffnung.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zum ersten Sonntag nach Ostern, 11.04.21


Predigt zum 11. April 2021 (erster Sonntag nach Ostern)

„Christus ist auferstanden“ – so werden wir begrüßt, wenn wir zur Osterzeit eine Russlanddeutsche Gemeinde besuchen. Wir erwidern den Gruß mit „Er ist wahrhaftig auferstanden“. 

Aus der Zeit der atheistischen Propaganda in der Sowjetunion wird folgende Begebenheit berichtet:
Ein Propagandaredner des Regimes sprach vor einer großen Menschenmenge „aufklärende Worte“ über die Religion und insbesondere über das Christentum und stellte dieses in schlechten Licht dar. Damit die Veranstaltung den Anschein der Objektivität und Ausgewogenheit bekam, durfte nach ihm ein orthodoxer Geistlicher das Wort ergreifen. Was würde er in dieser schwierigen Situation erwidern?
Er trat neben den redegewaltigen Redner ans Mikrofon und verharrte einige Augenblicke schweigend. Dann rief er mit lauter Stimme „Christus ist auferstanden!“, und die Menge antwortete wie aus einem Mund „Er ist wahrhaftig auferstanden!“. Das geschah dreimal. Danach blieb dem Propagandaredner nichts anders übrig, als seine Aktentasche zu ergreifen und eiligst zu entschwinden.

Für uns Christen ist die schönste Botschaft der Welt, dass Christus auferstanden ist. Deshalb feiern wir als Christen den Sonntag anstelle des Sabbats aus dem Alten Testament: Weil an diesem Tag Jesus von den Toten auferstanden ist und jeder Sonntag soll uns daran erinnern. 

Der aktuelle Predigttext spielt nach der Auferstehung Jesu (Joh. 21, 1-14):
Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Eigentlich hätten die Jünger glücklich und fröhlich sein müssen. Jesus war von den Toten auferstanden. Sie waren am See Genezareth, wo sie so viel mit Jesus erlebt haben. Er hat dort Kranke berührt und geheilt. Er ist dort über das Wasser gegangen und hat den Sturm gestillt. Er hat zu großen Menschenmengen gesprochen und hat sie gelehrt. 

Doch die Jünger sind wieder in ihrem alten Leben gestrandet. Jesus mag auferstanden sein, aber er ist nicht hier. Sie sind die Nacht über alleine auf dem See und sie fangen nichts. Langsam wird es Morgen.
Dann erscheint Jesus am Ufer. Aber die Jünger erkennen ihn nicht. Jesus fordert sie auf, ihr Netz auf der rechten Seite des Boots auszuwerfen und sie machen einen gewaltigen Fang. Es ist ein Wunder, aber die Jünger freuen sich nicht darüber.
Danach bereitet Jesus ihnen aus Brot und Fisch ein Frühstück und isst mit ihnen. Es ist eine innige vertraute Gemeinschaft, aber die Stimmung bleibt seltsam gedrückt. Die Jünger haben viele Fragen, aber sie trauen sich nicht zu fragen, obwohl sie 3 Jahre mit Jesus unterwegs waren und ihn dabei ständig gefragt haben.

Obwohl sie 3 Jahre mit Jesus unterwegs waren, ist die Situation jetzt anders:
Jesus ist vom Tod auferstanden. Der Tod ist etwas, das die Welt bis heute erschüttert und uns Menschen unsere Vergänglichkeit spüren lässt. Der Tod ist eine Dimension, die wir nicht wirklich verstehen können. Und nun ist da jemand, der größer und mächtiger ist als der Tod. Das geht über menschliches Verständnis hinaus. 

Wie sollen die Jünger mit jemandem enge Gemeinschaft haben, der stärker ist als der Tod? Durch die Auferstehung wird die Gottheit Jesu deutlich. Wie sollen sich die Jünger auf Augenhöhe mit Gott unterhalten? Das ist ein Spannungsfeld, in dem wir uns ebenfalls befinden. 

Der Text gibt Antwort:
Jesus fragt: „Kinder habt ihr nichts zu essen?“. Jesus geht auf die Jünger zu. Er nennt sie liebevoll „Kinder“ und bringt damit zum Ausdruck, dass er derjenige ist, der für sie sorgen will und sie liebt. Indem er sie zum Essen einlädt, begegnet er ihnen auf einer Ebene, die ihnen vertraut ist.
Das ist eine gute Nachricht: Jesus begibt sich auch als der Auferstandene auf die Ebene von uns Menschen und will uns dort begegnen. 

Jesus überwindet die Kluft, die zwischen Gott und Mensch ist, indem er auf uns zukommt. Doch wie sollen wir damit umgehen?

Es ist kein Zufall, dass die Geschichte ausgerechnet von Johannes erzählt wird. Johannes nennt in seinem Evangelium nie seinen Namen, sondern spricht von sich selbst immer, als den Jünger, den Jesus liebhatte. Er war sich sicher, dass Jesus ihn liebt und das war für ihn das Wichtigste.
Bei ihm geht es im Glauben hauptsächlich um die Beziehung zu Jesus. Johannes betont in seinem Evangelium die vertraute Nähe von Jesus zu seinen Jüngern: Wie Jesus seine Jünger auf seinen Tod vorbereitet und wie er für seine Jünger betet.

Wenn Jesus auf uns zugeht, dann möchte er eine Beziehung mit uns haben. Wir dürfen und sollen uns darüber bewusst sein, dass er uns liebt – so wie er auch Johannes geliebt hat. Er hat auch für uns gebetet und er lädt auch uns zum Mahl ein – deshalb feiern wir auch regelmäßig Abendmahl. Es geht um die Verbundenheit mit Jesus – darum, dass wir von ihm gewollt und angenommen sind. Darum, dass wir ihm immer bedingungslos vertrauen können. Darum, dass er immer für uns da ist – so wie er es versprochen hat. 

Doch wie können wir sicher sein?
Jesus verweist immer wieder auf die Schrift – also die Bibel. Darauf können und sollen wir uns verlassen. Doch dabei geht es uns manchmal wie den Jüngern: Wir lesen die frohe Botschaft und trotzdem scheint etwas zu fehlen.
Im griechischen Urtext finden wir zwei unterschiedliche Begriffe für das Wort Gottes: Logos und Rhema. Logos bedeutet das neutrale Wort Gottes das jedem zugänglich ist, wenn er die Bibel liest. Wir sollen es lesen und es ist Nahrung für unseren Geist. Und Rhema bedeutet, dass der Geist Gottes das Wort für mich lebendig macht. Mir wird bewusst, was es für mich persönlich in dieser Situation bedeutet. 

Wenn wir mit offenem Herzen das Wort Gottes lesen, dann wird es für uns lebendig und der Einzelne empfängt die Gewissheit: Es gilt für mich, Jesus ist für mich gestorben und auch meine Schuld ist vergeben, er ist auferstanden und er begegnet auch mir. Er kennt mich und er liebt auch mich. Diese Erfahrung wünsche ich Ihnen.

Prädikant Gerhard Walderich   



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Predigt zum Ostermontag, 5. April 2021


Offb 5, 6-14: Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Wesen und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande. Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß. Und als es das Buch nahm, da fielen die vier Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und ein jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen von Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen, und sie sangen ein neues Lied: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen und hast sie unserm Gott zu einem Königreich und zu Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden. Und ich sah, und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Wesen und um die Ältesten her, und ihre Zahl war zehntausendmal zehntausend und vieltausendmal tausend; die sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und die vier Wesen sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.

Liebe Mitchristen!

Wir feiern Ostern. Die Wohnung ist festlich geschmückt mit Blumen und grünen Zweigen mit Ostereiern. Mittags gibt es ein leckeres Osteressen. Für die Kinder – und oft auch für Erwachsene – gibt es Osternester mit Schokoladen-Eiern und Osterhasen. Was gehört noch auf einen festlich geschmückten Ostertisch? Bei mir daheim gehört auch noch ein gebackenes Osterlamm dazu. Wenn ich es beim Bäcker kaufe, ist immer noch ein Schaschlikspieß mit dabei, an dem eine Papierfahne befestigt ist. Ein Osterlamm mit einer Siegesfahne. Auch in vielen Kirchen finden wir das so. Ich habe Ihnen eine solche Darstellung mitgebracht, aus der Gertrudis-Kirche in Saalfeld Graba in Thüringen. Es ist eigentlich ein recht kleines Bild. Und wenn man es in dieser Thüringer Kirche in Ruhe anschauen möchte, kann man leicht einen steifen Hals bekommen. Ganz oben an der Decke findet sich da dieses Bild, auf einem Schlussstein, da, wo im Gewölbe zwei steinerne Bögen aneinanderstoßen. Ein Osterlamm mit einer Siegesfahne. Das ist ein Bild für den auferstandenen Jesus Christus, das die Christen durch all die Jahrhunderte hindurch begleitet hat: Schon im Mittelalter gab es diese Darstellung vom Auferstandenen, damals, als dort in der Thüringer Kirche der Schlussstein ins Gewölbe gesetzt wurde. Und heute finden wir sie als Süßigkeit auf unserem Ostertisch. 

Christus als Osterlamm mit Siegesfahne. Woher kommt das diese Darstellung ursprünglich? In unserem Predigttext haben wir davon gehört. Es ist ein Bibelwort aus dem Buch der Offenbarung. Als dieses Buch aufgeschrieben wurde, da war die junge christliche Kirche in einer ganz schwierigen und bedrohlichen Lage. Damals im römischen Reich wurden die Christen verfolgt, benachteiligt und getötet. Der Seher Johannes wurde auf eine einsame Insel verbannt in dieser Zeit. Dort, auf der Insel Patmos, hatte er seine Gotteserfahrungen und Visionen, die er im Buch der Offenbarung aufgeschrieben hat. Ein Buch mit sieben Siegeln, so nennen wir das Buch der Offenbarung oft. Vieles, was in diesem Buch aufgeschrieben ist, bleibt uns rätselhaft, ein dunkles Bild. Aber diese Bilder sind auch ein großer Schatz, den wir haben. Ein ungehobener Schatz, den wir erst noch für uns entdecken müssen – so wie das Bild vom Osterlamm mit der Siegesfahne. Auch wenn ein solches gebackenes Osterlamm jedes Jahr meinen Ostertisch schmückt, muss ich mich hier doch noch auf die Entdeckungsreise machen. Johannes der Täufer hilft mir da weiter. Ganz am Anfang, als Jesus seine ersten Jünger um sich sammelt, da sagt Johannes über Jesus: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt trägt“, Und schon bei Jesaja heißt es (Jes 53,7): „Als er gemartert wurde, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.“ Jesus, Gottes Lamm, für unsere Sünden gestorben. Meistens denke ich da eher an Karfreitag oder an das Abendmahl. Jesus Christus, der für uns gestorben ist. Der unsere Sünde weggenommen hat durch seinen Tod am Kreuz. 

Aber ohne Ostern wäre das alles nichts. Karfreitag geht nicht ohne Ostern. Das Lamm trägt die Siegesfahne. Eigentlich zwei Bildteile, die nicht zusammenpassen: Auf der einen Seite ist da dieses friedliche Tier, das Niemandem etwas zuleide tut: Das Lamm, das das Leiden auf sich nimmt. Auf der anderen Seite ist da die Siegesfahne: Das ist ein militärisches Feldzeichen, wie es im Krieg verwendet wird. Die Siegesfahne steht für eine gewonnene Schlacht. Ganz kämpferisch sagt uns diese Fahne: Jesus ist Sieger! Die entscheidende Schlacht ist geschlagen! Der Feind hat ausgespielt! Die Siegesfahne sagt uns: All das Dunkle und Bedrohliche hat keine Macht mehr über uns: Nicht die Angst, nicht die Schuld, nicht das Böse in der Welt und auch nicht das ganze Elend, das uns immer wieder begegnet. 

Das sind große Worte, festgemacht an einem kleinen roten Fähnchen, an dieser Siegesfahne, die das Osterlamm trägt. Und manchmal tun wir uns schwer damit, diesen Worten zu vertrauen. Manchmal tun wir uns schwer mit dem leeren Grab und der Auferstehung, die wir gegen allen Augenschein glauben. Die entscheidende Schlacht ist schon geschlagen? Jesus ist Sieger? Warum gibt es dann noch so viel Dunkelheit in der Welt? Warum gibt es Kriege und Katastrophen, so wie die Corona-Pandemie? An Ostern hat Jesus den Sieg davongetragen. Ja, er trägt die Siegesfahne zu Recht, Jesus Christus, das Lamm Gottes. Für mich ist das so ähnlich wie unsere Situation jetzt in der Corona-Pandemie: Es gibt jetzt Impfstoffe. Damit ist die entscheidende Schlacht im Kampf gegen dieses Virus schon geschlagen. Das Virus hat keine Chance mehr. Es wird besiegt werden, das ist ganz sicher, seit es Impfstoffe gibt. Trotzdem ist das Virus jetzt noch nicht weg. Es braucht eben noch Zeit, bis dieser Sieg wirklich umgesetzt ist. So ist es für mich auch mit Ostern: Jesus Christus hat gesiegt. All das Böse, Dunkle und Bedrohliche in unserem Leben und in unserer Welt hat damit für immer verloren. Aber es braucht noch Zeit, bis dieser Sieg von Jesus Christus wirklich umgesetzt ist. Es ist noch nicht so weit, wie es uns der Seher Johannes ganz am Ende der Offenbarung verspricht (Offb 21, 4-5): „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Lied noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß: Siehe, ich mache alles neu!“ So weit ist es jetzt noch nicht. Aber die Zeit wird kommen, das ist ganz sicher, seit Jesus von den Toten auferstanden ist. Denn auf dem Thron sitzt Jesus jetzt schon. Vertrauen wir auf ihn- auch in schwerer Zeit. Beten wir ihn an, geben wir ihm die Ehre. Das ist auch so ein Schatz im Buch der Offenbarung – nicht nur die Bilder wie das vom Osterlamm, auch der Lobpreis. Das ganze Buch der Offenbarung ist voller Lobpreis – und das in so schwerer Zeit, wie sie die ersten Christen in der Verfolgung durchgemacht haben und der Seher Johannes seiner Verbannung auf der Insel Patmos. Stimmen wir ein in diesen Lobpreis, so wie wir ihn in unserem Predigttext finden: „Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!  Amen.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt zum Ostersonntag, 4. April 2021

Mk 16, 1-8: Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Liebe Mitchristen!

Es ist Ostern. Zeit für einen Spaziergang. Noch ist der Frühling nicht spürbar, noch ist es kalt. Noch blühen nur wenige Blumen, und Bäume und Büsche stehen immer noch so kahl da wie im Winter. Aber wer genau hinschaut, der sieht: An den Zweigen sprießen schon die ersten grünen Blätter. Und manchmal ist da auch ein Farbtupfer in all dem kahlen Braungrau: Ein österlich geschmückter Vorgarten – so wie auf unserem Bild der Busch mit dem leuchtend orangeroten Osterei. Mit zwei einfachen Strichen hat jemand ein Kreuz gemalt auf dieses Osterei. Jesus ist am Kreuz gestorben. 

Durchkreuzte Hoffnungen. Das kennen wir auch aus unserem Leben. Da wird uns ein Strich durch die Rechnung gemacht. Unsere Pläne sind gestrichen. „Und dann kam Corona.“ Wie oft habe ich diesen Satz gehört in den letzten Monaten. Wie viele Menschen machen gerade jetzt in dieser Zeit die Erfahrung: Alles kommt anders als geplant. Wir hatten uns unsere Zukunft schon ausgemalt. Wir hatten einen Plan für unser Leben, und es schien uns sonnenklar, dass wir den so umsetzen werden. Aber jetzt ist der Plan durchkreuzt, und einen Plan B haben wir nicht. Wir stehen da mit leeren Händen und wissen nicht weiter. Wir sehen keine Zukunft für uns. 

Ich denke an Maria Magdalena, Maria und Salome. Wie es ihnen wohl gegangen ist am Ostermorgen? Jesus ist tot, auf den sie ihre Hoffnung gesetzt hatten. Mit ihm wollten sie ihre Zukunft verbringen. Jetzt haben sie keinen Plan mehr für ihr Leben, nur noch diesen einen Wunsch: Jesus noch ein letztes Mal sehen, um von ihm Abschied nehmen zu können. Ihm die letzte Ehre erweisen, die Totensalbung, so wie es damals üblich war. 

Ich denke an alle, die in der letzten Zeit einen geliebten Menschen verloren haben. Abschied nehmen von einem geliebten Menschen ist schwer. Noch schwerer ist es, wenn einem der letzte Abschied verwehrt wird. Wenn es nicht möglich ist, den Sterbenden in seiner letzten Stunde zu begleiten. Wenn die Trauerfeier nur in ganz kleinem Kreis stattfindet, und für mich ist da kein Platz mehr, weil ich nicht zu den nächsten Angehörigen gehöre. Wohin mit meiner Trauer? Wo kann ich Abschied nehmen? Oft ist der Friedhof so ein Ort, wo das Grab dieses lieben Menschen ist. Dort kann ich Abschied nehmen, ganz privat und persönlich. 

Ich kann verstehen, dass diese drei Frauen zum Grab gehen am Ostermorgen, um Jesus noch ein letztes Mal zu sehen. Aber auch dieser Plan wird durchkreuzt. Unterwegs fällt den Dreien ein: Da ist doch dieser tonnenschwere Stein vor dem Grabeingang. Nie im Leben schaffen wir das, diesen Stein zur Seite zu wälzen. Merkwürdig eigentlich, dass das den Dreien jetzt erst einfällt. Dass sie überhaupt erst losgegangen sind und sich nicht schon zuhause gesagt haben: „Es hat ja doch keinen Wert, dass wir zum Grab gehen. Da ist doch dieser große schwere Stein. Den kriegen wir sowieso nicht weg. Also lassen wir es. Bleiben wir doch lieber daheim.“ 

Tonnenschwer liegt der Stein vor dem Grab. Manchmal haben wir so einen tonnenschweren Stein auf unserer Seele: „Es hat ja doch keinen Wert. Das kriege ich sowieso nicht hin. Also lasse ich es doch lieber gleich bleiben.“ Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit lähmen mich. Mein Verstand sagt mir: Es gibt keinen Ausweg aus dieser Situation. Meine Phantasie lässt mich im Stich, wenn ich mir eine gute und hoffnungsvolle Zukunft ausmalen will. 

Durchkreuzte Hoffnungen. Das Kreuz, das da jemand mit zwei einfachen Strichen gemalt hat, ist auf ein Osterei gemalt. Ein  leuchtend orangerotes Osterei, das Farbe und Leben bringt in das kahle Braungrau dieses Vorfrühlingstages. In seiner leuchtenden Signalfarbe will mir dieses Osterei sagen: Achtung! Bitte der Umleitung folgen! Nicht da, wo der tonnenschwere Stein den Weg versperrt, geht der Weg weiter. Nicht bei den durchkreuzten Hoffnungen und bei den gestrichenen Plänen. Da, wo du keinen Weg siehst, geht es weiter. Da, wo du noch nicht mal einen Weg vermutet hättest. Durch die Wüste gibt es einen Weg, und durch das trocken gefallene Schilfmeer. So kommt das Volk Israel in das von Gott versprochene Land, wo sie in Frieden und Freiheit leben können. Mach dich auf den Weg, lass dich nicht entmutigen – auch wenn die Sorgen tonnenschwer auf deiner Seele liegen. Auch wenn dein Verstand keinen Ausweg kennt und deine Phantasie keine Ahnung mehr hat, wie das gut enden soll. Mach dich auf den Weg und lass dich überraschen, wohin er dich führt. Mach dich darauf gefasst: Auch dir könnte ein Engel begegnen, der dir sagt: Fürchte dich nicht. Der Gekreuzigte ist auferstanden. Er ist nicht hier, nicht im Grab. Die begrabenen Hoffnungen sind zu neuem Leben erwacht. Gehen wir  unseren Weg, auf den Gott uns stellt!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer 


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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Karfreitag, 2. April 2021

Jes 52,13–Jes 53,5: Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten – so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch und seine Gestalt nicht wie die der Menschenkinder – so wird er viele Völker in Staunen versetzen, dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn was ihnen nie erzählt wurde, das werden sie nun sehen, und was sie nie gehört haben, nun erfahren. Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und an wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Liebe Mitchristen!

Karfreitag. Ein dunkler, trauriger Tag. Der Tag der Katastrophe. Jesus wird zum Tod verurteilt. Er wird gefoltert, verhöhnt und gequält. Er wird auf grausame Weise hingerichtet und stirbt einen qualvollen Tod am Kreuz. Jesus Christus: Verachtet, verspottet, von Gott und den Menschen verlassen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In seiner dunkelsten Stunde schreit Jesus zu Gott und stirbt. Für seine Jüngerinnen und Jünger geht die Welt unter an diesem Tag. Es ist wie ein Erdbeben, wie wenn die Sonne sich verfinstert und tiefe Dunkelheit über die Erde kommt. So haben Jesu Jüngerinnen und Jünger es erlebt. So haben sie es später aufgeschrieben im Matthäusevangelium. Und mancher Unbeteiligte hat wohl auch etwas davon gespürt, dass hier etwas Besonderes, etwas Weltbewegendes passiert. „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen,“ sagt der römische Hauptmann, der die Gekreuzigten bewachen muss. Aber dieser Hauptmann bleibt die Ausnahme. Die meisten hatten die kurze Episode mit dem Mann aus Nazareth längst abgehakt. „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg, darum haben wir ihn für nichts geachtet.“ So heißt es im Buch Jesaja über einen unbekannten Diener Gottes. Ein Lied aus einer anderen Zeit ist das. Ein Lied aus einer dunklen Zeit, als das Volk Israel eine Katastrophe erleben musste: Zerstörung, Flucht und Vertreibung nach Babylon, in die Gefangenschaft. 

Vielleicht haben sie einen dieser gequälten Gefangenen vor Augen, als sie dieses Lied schreiben. Vielleicht ihr ganzes Volk Israel. Vielleicht diese Vorahnung: Gott erwählt einen, der ein Nichts ist in den Augen der Menschen. Der, zu dem ich sage: „Du bist Luft für mich!“ „Du bist der letzte Dreck!“ Der, vor dem ich die Augen schließe, wo ich lieber zur Seite blicke und versuche, an etwas Anderes zu denken. Nur nicht mit diesem ganzen Elend konfrontiert werden: Das Flüchtlingsleid in den Zelten und Baracken am Rande von Europa, die Sterbenden auf unseren Intensivstationen, das Elend der vielen Namenlosen, die in dieser Pandemie vereinsamen und nicht mehr weiter wissen. Niemand kann dieses ganze Elend ertragen. Es ist zu entsetzlich. Aber Gott verschließt die Augen nicht. Er stellt uns einen solchen Elenden vor Augen: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden haben. Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Die Jüngerinnen und Jünger haben die Augen verschlossen vor dem Leiden und Sterben Jesu. Fast alle sind weggelaufen. Nur wenige konnten es aus der Nähe ertragen. Dunkel wurde es für sie, die Erde bebte, ihr Weltbild geriet ins Wanken. Jesus stirbt am Kreuz und schreit: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Wie kann das sein?  Jesus Christus, Gottes Sohn? Oder war alles nur ein großer Irrtum? 

Ich stelle mir vor, die Jüngerinnen und Jünger lesen bei Jesaja die Lieder von diesem unbekannten Diener Gottes. Und Zug um Zug tasten sie sich an die Wahrheit des Karfreitags heran. Ihr bisheriges Gottesbild hatte ihnen den Blick verstellt. Langsam, tastend, kommen sie der Wahrheit näher. Langsam, tastend, verstehen sie: Das Entsetzliche – es war de Wille Gottes. Es ist geschehen um der Opfer willen – ja, und auch um der Henker willen. Es ist geschehen um des Friedens willen – ja, und auch um der Friedlosen willen. Langsam, tastend nähern sich die Jüngerinnen und Jünger der Wahrheit. Stück um Stück bröckelt ihr altes Gottesbild, ihr Wunschbild von Gott, ab. Ich stelle mir vor, es ist nicht wie beim Geschenkeauspacken: Dass da immer mehr Freude und schließlich ein frohes Lachen ist. Noch ist es nicht so weit. Noch nicht. Je näher sie der Wahrheit des Karfreitags kommen, umso offener erkennen sie auch die Wahrheit über sich selbst.  

Das, wo wir sonst wegschauen und weglaufen, können wir jetzt in den Blick nehmen: Gott stirbt am Kreuz, Gott ist ganz unten, in den tiefsten menschlichen Abgründen, in der Dunkelheit. Da wo wir es nicht mehr ertragen können. da, wo wir die Augen verschließen, weil es nicht auszuhalten ist. Da ist Gott. Da ist Gott für uns da: In der Dunkelheit, in der Gottverlassenheit. Wir können uns darauf verlassen: Die Gottverlassenheit hat ein Ende.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Predigt zu Gründonnerstag, 1. April 2021


Mt 26, 17-30: Aber am ersten Tag der Ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und sprachen: Wo willst du, dass wir dir das Passalamm zum Essen bereiten? Er sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern. Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und bereiteten das Passalamm. Und am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen. Und als sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln zu ihm zu sagen: Herr, bin ich’s? Er antwortete und sprach: Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich’s, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Liebe Mitchristen,

wir feiern miteinander das Abendmahl. Wir feiern es anders als Jesus und seine Jünger, anders, als wir es gewohnt waren all die Jahre: Auf Abstand, mit Mundschutz und mit Einmalhandschuhen feiern wir. Wir tun alles Menschenmögliche dafür, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Den einen geht das schon zu weit, und sie finden es ungerecht, dass wir als Kirche Gottesdienste feiern dürfen, wo in Kultur und Vereinsleben gar keine Veranstaltungen erlaubt sind. Den anderen reicht das nicht. Sie wollen im Gottesdienst endlich wieder singen, endlich wieder wirklich Gemeinschaft erfahren ohne den trennenden Abstand: Wann ist es endlich so weit, dass wir unser normales Leben wieder leben können? Wann werden wir endlich wieder mit unseren Freunden an einem Tisch sitzen und das Brot teilen, so wie Jesus es mit seinen Jüngern tat? Frustration staut sich auf. Und mit der Frustration kommt auch die Wut: Könnten wir nicht schon viel weiter sein auf diesem Weg, wenn es besser vorangehen würde mit dem Impfen und dem Testen? So kommen wir heute zusammen mit unseren unterschiedlichen Meinungen und Gefühlen, mit unserem Frust und unserer Wut. Und wir sind heute auch verbunden mit all den Menschen aus unserer Gemeinde, die heute nicht gekommen sind, und die ganz unterschiedliche Gründe dafür haben. Jesus lädt uns alle an seinen Tisch. Er lädt uns ein zu seinem Fest, dem Fest der Befreiung. Er ist für uns da, hier in diesem Gottesdienst. Und er ist auch bei denen, die heute nicht mit uns mitfeiern können oder wollen. 

Am Abend vor seinem Tod hat Jesus Christus mit seinen Jüngern zusammen das Passah-Mahl gefeiert. Jesus denkt daran, dass er ans Kreuz gehen und sterben wird. Angst, Wut und Verletztheit treiben ihn um an diesem Abend. So lese ich diesen Text. Jesus hat Angst davor, zu leiden und am Kreuz zu sterben. Aber vielleicht noch schlimmer ist für Jesus, dass einer seiner Jünger zum Verräter wird, einer seiner engsten Vertrauten. „Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre,“ sagt Jesus. Das ist schockierend, dass Jesus das sagt. So redet jemand, der zutiefst verletzt ist. Jemand, der richtig wütend ist in seiner Verletztheit. Frustration, Wut, Verletztheit. Jesus kennt das alles auch. Was hilft Jesus, dass diese Gefühle nicht die Oberhand gewinnen bei ihm? Jesus braucht Zeit dafür. Er braucht die stille Stunde am Ölberg, wo er im Gebet mit Gott ringt und schließlich seinen Frieden machen kann damit, dass sein Weg ans Kreuz führt. Aber schon vorher kann er seinen Jüngern sein Vermächtnis mit auf den Weg geben an diesem Abend vor seinem Tod: „Nehmet, esset, das ist mein Leib. Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ Was hilft ihm, dass er trotz seiner Verletztheit so zu seinen Jüngern reden kann – und wohlgemerkt zu allen seinen Jüngern, auch zu Judas, dem Verräter, dem er kurz zuvor in seiner Wut solche harten Worte gesagt hat? Ich denke an die Geschichte vom Passah-Mahl, das Jesus hier mit seinen Jüngern feiern. Das ist für mich eine Geschichte gegen die Wut und die Frustration. Die Geschichte, wie Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Ich könnte mir vorstellen, dass sie auch Jesus geholfen hat an diesem schweren Abend des Abschieds. 

Die Geschichte von Gott, der retten kann, selbst aus den schwierigsten Situationen. Selbst aus der Sklaverei in Ägypten. Im Vertrauen auf diesen Gott reicht Jesus seinen Jüngern Brot und Wein und sagt: „Nehmet, esset, das ist mein Leib. Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ 

Sünde und Schuld, Frustration und Wut haben nicht das letzte Wort. Auch nicht bei uns, auch nicht nach über einem Jahr Leben unter Pandemie-Bedingungen. Wir dürfen darauf vertrauen: Die Zukunft steht in Gottes Hand. Gott ist für uns da. Im Abendmahl kommt er uns ganz nahe und schenkt uns die Vergebung – neue Hoffnung für jeden neuen Tag. Tragen wir diese Hoffnung weiter – auch an die, die heute nicht mit uns mitfeiern konnten!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Judika

Predigt zum Sonntag Judika, 21. März 2021

Hiob 19, 19-27: Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich liebhatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Liebe Mitchristen!

Hiobsbotschaften – die kennen wir alle in diesen Tagen: Die Infektionszahlen steigen an, die britische Corona-Mutation verbreitet sich weiter, Impfstoff-Liefertermine können nicht eingehalten werden, ein Impfstoff musste zeitweise aus dem Verkehr gezogen werden. Hiobsbotschaften, das sind schlechte Nachrichten. Woher kommt dieses Wort eigentlich? Es kommt aus der Bibel. Die Bibel erzählt von Hiob. Der war ein gläubiger und rechtschaffener Mann, der nichts Unrechtes getan hat. Einer, der es wirklich verdient hätte, dass er mit seiner Familie in Frieden und Freude sein Leben verbringen kann. Er war verheiratet, hatte sieben Söhne und drei Töchter, und ein großes landwirtschaftliches Unternehmen mit zahlreichen Angestellten und vielen tausend Stück Vieh.

Wenn da nur nicht diese Hiobsbotschaften gewesen wären. Eine schlechte Nachricht nach der anderen bringen diese Boten: Zuerst ist es ein Raubüberfall. Alle Rinder und Esel sind gestohlen worden, die Hirten sind tot. Dann eine verheerende Feuersbrunst. Alle Schafe sind verbrannt, die Hirten sind tot. Dann ein feindlicher Angriff. Alle Kamele sind in Feindeshand, die Hirten sind tot. Hiobs ganzer Besitz ist auf einen Schlag weg, alle seine Angestellten sind getötet worden. Doch damit nicht genug. Es kommt noch ein Bote, der eine Hiobsbotschaft bringt: All deine Söhne und Töchter waren zusammen, um zu feiern. Da kam ein Wirbelsturm, und das Haus ist eingestürzt. Sie sind alle tot. So sagt es dieser Bote zu Hiob. Alles weg, alles verloren hat Hiob. Nicht einmal seine Gesundheit bleibt ihm. Hiob wird krank. Sein ganzer Körper ist von Geschwüren bedeckt. Auch seine Frau ist ihm keine Hilfe mehr: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“ So redet sie mit ihm. 

Zum Glück hat Hiob noch Freunde. Drei Freunde kommen ihn besuchen, um mit ihm zu trauern und ihn zu trösten. Ich denke, es müssen wirklich gute Freunde sein, dass sie das machen. Oft machen wir ja einen Bogen um die Menschen, die vom Unglück getroffen sind. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass uns ein so schlimmes Schicksal auch treffen könnte. Und wir sind unsicher: Wie sollen wir mit Jemandem umgehen, der so viel Schweres erlebt hat? Was sollen wir sagen? Ist nicht alles, was wir sagen können, nur billiger Trost, der den Schmerz nur vergrößert? Die Freunde von Hiob kommen ihm nicht mit billigem Trost. Sie halten das Elend mit ihm aus. Sie weinen mit ihm. Sie ertragen es, dass ihnen die Worte fehlen. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie mit ihm auf der Erde und schweigen. Das beeindruckt mich an diesen Freunden.

Hiob selbst ist es, der dieses lange Schweigen bricht. Harte Worte sind es, die aus seinem Mund kommen. Hiob verflucht den Tag, an dem er geboren wurde. Warum bin ich nicht bei meiner Geburt gestorben? fragt er. Dann wäre mir dieses ganze Elend erspart geblieben. Das ist dann doch zu viel für Hiobs Freunde. Jetzt halten sie es nicht mehr aus. Jetzt können sie nicht mehr ruhig bleiben. Jetzt packen sie aus und machen Hiob Vorwürfe. Hiob soll doch mal überlegen, ob er nicht selber Schuld ist an seinem Unglück. Ein heftiger Wortwechsel. Es fliegen die Fetzen zwischen den Freunden. Die Freunde, die eigentlich gekommen sind, um Hiob zu trösten, wenden sich gegen ihn. Hiob fühlt sich von ihnen angegriffen und verletzt. 

Was bleibt Hiob jetzt noch? Es bleibt ihm sein Glaube an Gott. Gott, der ihm nicht geholfen hat, der all dieses Elend nicht verhindert hat. Wie kann Hiob da noch an seinem Glauben festhalten? Aber Hiob wirft seinen Glauben an Gott nicht über Bord. Er hält fest an diesem Glauben, auch wenn er Gott nicht verstehen kann: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Nur weil er mit Gott kämpft, kann Hiob schließlich diese Worte sagen. Nur so kann er an seinem Glauben festhalten. Jetzt in der Passionszeit denke ich an Jesus. An seinen Glaubenskampf im Garten Gethsemane, wo er Gott bittet, den Kelch des Leidens an ihm vorübergehen zu lassen. Auch Jesus wird von seinen Freunden im Stich gelassen. Wie Hiob bringt er seine Klage vor Gott, seine Todesangst, sein Elend und seine Zweifel. Wie Hiob kämpft Jesus mit Gott. Und wie Hiob erlebt er: Gott segnet den, der mit ihm kämpft. Das Gebet Jesu im Garten Gethsemane ändert sich so wie die Klage von Hiob: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe, Gott. So kann Jesus sein Gebet beschließen. So kann er mit neuem Vertrauen seinen Weg gehen, den Weg ins Leiden und ans Kreuz.

Was auch immer kommt, Gott ist bei mir. Auch wenn ich mein Leben nicht verstehe. Auch wenn ich diese Welt nicht verstehe. Ja, auch dann, wenn ich Gott nicht verstehe. Das möchte ich gerne lernen, von Hiob und von Jesus. Den Glauben nicht über Bord werfen in schwierigen Zeiten, sondern Dranbleiben am Glauben, mit Gott kämpfen. Ich bin nicht Hiob, und schon gar nicht Jesus. Aber Gott sei dank ist ihre Rede aufgeschrieben, so wie Hiob es sich gewünscht hat. So kann ich sie immer wieder nachlesen und nachsprechen. So kann ich mich festhalten an diesen Worten. In all den Hiobsbotschaften unserer Zeit brauche ich solche Worte. Worte, die den Hiobsbotschaften etwas entgegensetzen. Worte, die tragfähig sind auch in schwierigen Zeiten: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Predigt zum Sonntag Lätare, 14. März 2021


Joh 12, 20-24: Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Liebe Mitchristen,

Menschen sind zusammengekommen, um ein Fest zu feiern, damals in Jerusalem. Sie feiern das Passahfest. Gott befreit aus dem Elend. Gott weiß einen Weg aus der Auswegslosigkeit. Gott führt heraus aus der Unterdrückung, aus der Sklaverei in die Freiheit. Nicht nur damals, als Israel in Ägypten war. Auch heute, auch im Hier und Jetzt. Das wollen diese Menschen in Jerusalem miteinander feiern. Manche sind von weither angereist deswegen. Sie sind Griechen, aber die Geschichten von dem einen Gott, der die Menschen in die Freiheit führt, haben ihr Herz berührt. Sie sind zum Glauben gekommen, zum Glauben an den einen Gott, den die Juden verehren. Zusammen mit den Juden wollen sie nun dieses große Fest feiern, das Passafest – auch wenn sie nur am Rande dabei sein werden, weil sie als Nichtjuden nur in den Vorhof des Tempels dürfen. Aber selbst das ist ihnen eine so lange Reise wert. Und noch eine Hoffnung haben diese Menschen aus Griechenland in ihrem Reisegepäck mitgebracht: Sie haben von Jesus gehört. Jesus, der die Menschen aufrichtet, Kranke und Gesunde. Jesus, der von dem einen Gott predigt. Seine Worte berühren die Herzen der Menschen. Manche sagen, er sei der Messias, der Gesalbte Gottes. So haben es diese Griechen gehört. Auf griechisch heißt das: Christos. Jesus Christus, so sagen wir heute, als wäre es ein Eigenname. Aber der Name ist Programm: Jesus der Gesalbte Gottes. Und er ist es nicht nur für die Juden, sondern auch für die Griechen, für die Heiden, von denen auch wir herkommen. 

Die Griechen, die damals nach Jerusalem gekommen sind, ahnen etwas davon. Sie wollen Jesus kennen lernen, sie wollen ihn sehen. Sie wenden sich deswegen an seine Jünger: An Philippus und Andreas, die einzigen Jünger, die griechische Vornamen tragen. Sie sind die Vermittler zwischen den Griechen und Jesus. Und Jesus? Geht er überhaupt ein auf den Wunsch der Griechen? Er sagt: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Verherrlicht – dieses Wort verwendet das Johannesevangelium für Jesu Tod am Kreuz. Ich finde das zunächst einmal ziemlich befremdlich. Leiden – das ist doch nichts Schönes, nichts Herrliches. Aber gerade im Leiden zeigt Gott seine Herrlichkeit. In der tiefsten Niedrigkeit wird Jesus erhöht zum Christus, zum Retter für alle Welt. Wer kann das begreifen? Für die Griechen, die damals Jesus sehen wollten, musste das jedenfalls total unverständlich sein. Und auch wir heute müssen das immer wieder neu durchbuchstabieren, um diesem Geheimnis näherzukommen. 

Erst muss die Stunde kommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Jetzt ist es noch zu früh, um wirklich zu verstehen. Die Zeit ist noch nicht reif. Erst kommt das Leiden und das Sterben, die Zeit der Dunkelheit und der Fragen. Erst wenn das alles überwunden ist, an Ostern, erst dann können wir Jesus wirklich kennen lernen als unseren Retter, als den Retter der Welt. Von Ostern her fällt ein Licht in die Dunkelheit unserer Fragen, Sorgen und Mühen. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ 

Ein totes Samenkorn, aus dem neues Leben wächst. Jesus verwendet hier ein Bild, das unser Herz berührt, gerade um diese Jahreszeit, wo wir uns nach dem langen Winter auf den Frühling freuen. Schon sind die ersten Schneeglöckchen und Krokusse zu sehen. Mit diesem neuen Anfang in der Natur spüren auch wir neue Lust am Leben. Mancher freut sich schon auf seinen Garten und plant, was er dort pflanzen und säen wird. Manche, deren Herz so schwer war, hebt den Blick wieder zur Sonne und findet in sich neuen Mut. Es ist eine Jahreszeit, die uns zum Staunen bringen kann, Staunen wie die Kinder: Wie kann aus einer verschrumpelten, trockenen Blumenzwiebel so ein schöner Krokus werden? Natürlich wissen wir, wie das alles vor sich geht. Wir haben dem Samenkorn längst sein Rätsel entrissen. Wir haben sogar gelernt, es zu manipulieren. Aber ein Geheimnis bleibt es immer noch. Ein Geheimnis, das jetzt wieder ganz neu zu uns spricht. Wir ahnen, dass diese neuen Anfänge auch eine Verheißung für uns bergen: neues Leben, wo etwas so tot scheint, so brach liegt, so am Ende ist.

Wir feiern den Sonntag Lätare. Lätare heißt: Freut euch! Mitten in der Passionszeit werden wir zur Freude aufgerufen. Zur Osterfreude, dass Jesus den Tod und das Leiden überwunden hat. Es ist eine verhaltene Freude, denn noch ist es nicht so weit. Noch feiern wir nicht Ostern. Es ist eine verhaltene Freude auch deswegen, weil uns das Leid und der Tod in dieser Zeit so deutlich vor Augen stehen: 12 Monate Corona-Pandemie und immer noch kein Ende im Sicht. So viele sind schon an dieser tückischen Krankheit gestorben, so viele sind längst ausgebrannt, verarmt, vereinsamt, verzweifelt. 

Jesus Christus ist durch das Leid und durch den Tod gegangen. Das ist unser Trost, gerade auch in dieser Zeit. Wenn Menschen leiden, dann leidet Jesus Christus mit. In jedem Leidenden sehen wir den Gekreuzigten, sehen wir Gottes Angesicht. 

Das gibt uns einen anderen Blick auf die Welt und auf unser Leben: Was ist es, was wirklich zählt im Leben? Das Leben ist nichts Machbares, nichts was wir in der Hand haben. Das haben wir in den letzten 12 Monaten schmerzlich lernen müssen. Wir sind nicht die Macher. Alles, was wir sind und haben, ist Gnade, ist ein Geschenk von Gott. Das Leben ist uns von Gott geschenkt. Jesus Christus hat uns die Freiheit geschenkt, das zu erkennen. Die Freiheit, ihm nachzufolgen und zu dienen. Die Freiheit, aufzuschauen aus unseren Ängsten und Sorgen. Die Freiheit, in das Gesicht unseres Nächsten zu sehen und darin unsere Schwester und unseren Bruder zu erkennen. Die Freiheit, Liebe zu wagen und Freundlichkeit zu üben. Hören wir genau hin: Wir dürfen leben lernen, weil es Jesus Christus gibt, das eine Weizenkorn, das sich für uns verloren gab. Er sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer


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Predigt zum Sonntag Okuli, 7. März 2021



Epheser 5, 1-9: So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört, auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden, was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Liebe Mitchristen!

Ich kenne Menschen, die mit den Worten der Bibel nichts mehr anfangen können und der Kirche den Rücken gekehrt haben. An solche Menschen muss ich denken, wenn ich unseren heutigen Predigttext aus dem Epheserbrief höre. Ist das nicht ein richtiger Moralapostel, der da diesen Brief schreibt – ob das nun Paulus war oder einer seiner Schüler? Ist das nicht ein sexuell verklemmtes, ein freudloses Leben, das er da propagiert? Nicht einmal einen Witz darf man da mehr reißen, das gehört sich nicht. So höre ich es in diesem Bibeltext. 

Ist das also ein Bibeltext, den wir besser über Bord werfen sollten? Ein Text, der Menschen eher am Glauben zweifeln oder verzweifeln lässt als dass er Menschen zum Glauben führt? Zum Glauben an den lebendigen Gott, der die Liebe ist. Zum Glauben an Jesus Christus, der aus Liebe zu uns in den Tod gegangen ist. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Lebt in der Liebe, so wie Christus uns geliebt hat. Ihr seid Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts“. Diese Worte höre ich auch in unserem Predigttext. Worte, die mir zu Herzen gehen. Worte, die mir so wichtig und wertvoll sind, dass ich diesen Bibeltext nicht über Bord werfen möchte – trotz allem, was mich beim ersten Hören an ihm stört. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder. Ihr seid Licht in dem Herrn.“ Was mir so wichtig ist an diesen Worten: Da heißt es nicht: Seht zu, dass ihr so lebt, dass ihr Gottes Liebe verdient habt. Dann seid ihr Gottes geliebte Kinder. So hätte ich es eigentlich erwartet bei all den moralinsauren Ermahnungen in diesem Text. Aber so sagt es der Text nicht. Der Verfasser des Epheserbriefs will uns daran erinnern: Gottes Liebe müssen wir uns nicht verdienen. Wir sind Gottes geliebte Kinder. Wir sind Kinder des Lichts. Wir müssen es nicht erst werden. Wir sind es schon. Seine Liebe ist stärker als alle unsere Schuld und unser Versagen. So, wie wir sind, sind wir bei Gott willkommen. Wir sind Kinder des Lichts. Wir leben im Licht der Liebe Gottes. Jesus Christus steht für diese Liebe. Ich denke dabei nicht nur an sein Sterben. Ich denke auch an sein Leben. An seine heilende Liebe, die er in Worten und Taten weitergegeben hat. So hat er Menschen gesund gemacht, an Leib und Seele. Jesus Christus hat es gezeigt: Gottes Liebe hat etwas Befreiendes. Sie richtet auf, sie stärkt und tröstet und weckt Lust am Leben. Liebe, Freude, Lebenslust – passt das zusammen mit diesem anderen Teil unseres Bibeltextes, mit seinen einschüchternden Ermahnungen, die eher dazu geeignet sind, dass sie Angst und Abwehr hervorrufen als Lebenslust und Lebensfreude?

In der Predigtvorbereitung habe ich den Vorschlag gefunden, man könnte diese Bibelverse einfach weglassen und sich auf den Anfang und den Schluss unseres Textes beschränken, auf die schönen und ansprechenden Worte über das Licht und die Liebe. Ich finde das nicht redlich. Ich möchte mich nicht darum drücken, mich auch mit dem mittleren, schwierigen Teil unseres Textes auseinanderzusetzen. Worum geht es da? Es geht um sexuelle Verfehlungen. Es geht um Worte, die wie Messer sein können. Es geht um die Habgier, um das Immer-Mehr-Haben wollen. All das sind Dinge, die unser Leben kaputtmachen können. Da geht es nicht darum, dass wir als verklemmte Spaßbremsen unser Leben leben sollen. Ja, so kann man diesen Text lesen, und das ist die große Gefahr an diesem Text, dass man ihn so versteht. Oder besser gesagt: Dass man ihn so missversteht. Denn es ist ein wirklich tragisches Missverständnis der christlichen Botschaft, dass der Glaube an Gott uns die Freude am Leben nehmen will. Unsere Sexualität ist uns von Gott geschenkt. Unsere Worte, unser Witz und Humor ist uns von Gott geschenkt. Alles, was wir haben, an Geld und Besitz, ist uns von Gott geschenkt. Über alle diese guten Gaben dürfen wir uns freuen und Gott dafür danken. Dankbar dürfen wir sein für alles, was wir haben: Sexualität und Beziehungen, Worte und Witz, Hab und Gut. Danksagung. Das ist ein wichtiger, ein zentraler Punkt in unserem Bibeltext. Dankbar will ich sein für das, was Gott mir geschenkt hat an guten Gaben. Denn ich verdanke sie nicht mir selber. Ich habe sie nicht irgendwie verdient. Ich habe auch keinen Anspruch darauf. Wenn ein anderer mehr Besitz hat als ich, wenn ihm eine glückliche Beziehung geschenkt ist und mir nicht, dann muss ich mir das immer wieder sagen: Ich habe keinen Anspruch darauf. Es ist alles ein Geschenk. Für das, was ich habe, kann ich dankbar sein. Selbst wenn es scheinbar weniger ist als das, was andere haben. Habgier. Da fängt es an. Haben wollen, was mir nicht zusteht. Ob für meine materielle Bereicherung oder für meine sexuelle Befriedigung. Oder einfach, um mir einen Spaß daraus zu machen, andere mit Worten fertigzumachen. Unzucht, Habgier, närrische und lose Reden. Das klingt alles ziemlich altmodisch, ziemlich moralinsauer und verklemmt, was da in unserem Predigttext steht. Und doch ist es leider erschreckend aktuell. Menschen nutzen ihre Machtposition aus, um sich selber einen Vorteil zu verschaffen oder sich über andere zu erheben. Bundestagsabgeordnete, die bestechlich sind, die sich selber bereichern bei Geschäften mit Corona-Schutzmasken. Verbale Gewalt, Hetze und Häme im Internet. Sexueller Missbrauch, auch in unseren Kirchen, und die Aufarbeitung verläuft erschütternd langsam.  

Ich denke wieder an die Menschen, die ich kenne und die der Kirche den Rücken gekehrt haben. Nein, es sind nicht nur solche missverständlichen Bibelworte wie unser Predigttext, die diese Menschen dazu gebracht haben. Vor allem sind es die aktuellen Verfehlungen der Menschen, die zur Kirche gehören, die sie an der christlichen Botschaft zweifeln und verzweifeln lassen. „Wandelt als Kinder des Lichts. Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Das sollen wir tun. Das ist die Aufgabe, die Gott uns gegeben hat – Gabe und Aufgabe. Nicht zwanghaft und verbissen sollen wir das tun, sondern ruhig und gelassen. Der der christliche Anspruch ist dann besonders erfüllt, wenn wir nicht vergessen, dass wir nicht Christus selbst sind, ja auch nicht Gott selbst. Nur nachahmen sollen wir Gott, so heißt es am Anfang unseres Predigttextes. Nachahmen sollen wir ihn, und dem Beispiel Jesu folgen. Wir tun das mit unseren nur menschlichen Kräften, trotz unserer Fehler und unserer Schuld, in die wir uns auch immer wieder verstricken. Bei Gott sind unsere Fehler aufgehoben. Jesus Christus hat unsere Schuld auf sich genommen. Wir sind bei Gott willkommen, so wie wir sind. Und Gott traut es uns zu, ihn nachzuahmen. Dieses Zutrauen, das Gott zu uns hat, das könnte die erste Gegenmacht sein gegen die Mächte, die den Alltag und die Welt beherrschen wollen. Oder, mit dem Verfasser des Epheserbriefs gesprochen: Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts. Gott traut es euch zu. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer