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[Gedanken zum Jahreswechsel] 2. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum Jahreswechsel 2023/ 2024

Liebe Mitchristen!

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“ So heißt es in der Bibel im Buch Prediger im 3. Kapitel: „Alles hat seine Zeit.“ Das ist ein Spruch, der uns vertraut ist. Wir finden ihn auf Postkarten; manchmal auch auf Trauerkarten: „Alles hat seine Zeit.“ Manch einer, der eine Karte mit diesem Spruch verschickt oder bekommt, weiß vielleicht gar nicht, dass dieser Spruch in der Bibel steht- dass es ein gläubiger Mensch war, der dich diesen Spruch ausgedacht hat. Kohelet nennt die Bibel diesen Menschen. Das bedeutet so viel wie Prediger oder Lehrer. 2.300 Jahre wird es wohl her sein, dass er gelebt hat. Was war dieser Prediger oder Lehrer wohl für ein Mensch? Wir wissen es nicht. Ich stelle ihn mir vor wie einen alten, weisen Mann mit sehr viel Lebenserfahrung. Einen, der sehr viele Jahre kommen und gehen sehen hat: Jahre mit guten und mit schlechten Zeiten. Jahre mit Krieg und mit Frieden. Jahre mit Zeiten der Not und mit Zeiten des Wohlstands.

Jahre kommen und gehen. An Silvester nehmen wir Abschied vom Jahr 2023, und um Mitternacht begrüßen wir das neue Jahr 2024- nicht nur mit Silvesterraketen und Böllern, sondern auch mit dem Geläut unserer vier Kirchenglocken: Volles Geläut, ganze 15 Minuten lang. Ja, und auch wenn man dieses Geläut wegen der lauten Böller nicht ganz so gut hört: Es ist etwas Besonderes. Nur einmal im Jahr läuten wir so lange mit allen unseren Glocken.

„Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ (Lk 24,19) Das steht auf der zweitkleinsten unserer Glocken geschrieben. Die größte Glocke trägt den Spruch: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet.“ (Mt 26,41) Am Silvesterabend geht nicht nur der Tag zu Ende, sondern gleich ein ganzes Jahr. Wir bleiben länger wach als sonst. Wir denken darüber nach, was das zu Ende gehende Jahr uns gebracht hat an Gutem und an Schwierigem- für uns persönlich und für die Welt, in der wir leben. Die große Glocke und ihre Inschrift erinnert uns daran, das alles im Gebet vor Gott zu bringen und nicht abzulassen vom Glauben an Gott, der es gut meint mit der Welt: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallet.“ Aber wie können wir das schaffen, dranzubleiben am Glauben und nicht müde zu werden? Wie können wir es schaffen, nicht der Anfechtung zu erliegen- diesen inneren und äußeren Stimmen, die uns einflüstern wollen. Es hat ja doch alles keinen Sinn. Es geht sowieso nur abwärts mit der Welt. Es ist ja doch nichts zu erkennen davon, dass da ein Gott ist, der die Geschicke der Welt lenkt und alles zum Guten wenden wird.

Zu Beginn des neuen Jahrs, am Silvesterabend um Mitternacht läuten wir alle Glocken, ganze 15 Minuten lang. Damit wir wach bleiben und beten. Damit wir nicht in Anfechtung fallen, wenn der Tag sich geneigt hat und der Abend kommt, in den dunklen Stunden unseres Lebens. „Herr bleibe bei uns!“ Das soll dann unser Gebet sein: Bleibe bei uns, Herr Jesus Christus. Bleibe bei uns, denn du gibst unserem Leben Sinn und Ziel. Bleibe bei uns, denn du hältst die Hoffnung in uns wach, dass alles gut wird.

„Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen.“ (1. Joh 3,1) So heißt die Inschrift auf der kleinsten und hellsten unserer vier Glocken. Und auf der zweitgrößten steht geschrieben: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Mk 10,45) So beginnen wir mit dem Geläut unserer vier Glocken das neue Jahr im Vertrauen auf unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Nichts kann uns von seiner Liebe trennen.

Ja, alles hat seine Zeit, so sagt es der biblische Prediger. Und er macht ein Gedicht daraus:

„Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.“ (Pred. 3,2-8)

Nichts Menschliches ist diesem weisen Mann fremd. Für alles findet er einen Platz in seinem Gedicht: Geburt und Tod, Abschied und Neuanfang, Kaputtmachen und wieder ganz Machen, Liebe und Hass, Krieg und Frieden.

Alles hat seine Zeit. Ganze 15 Minuten läuten unsere vier Glocken an Silvester um Mitternacht, um das neue Jahr zu begrüßen. So viel Zeit ist sonst nie für das Geläut- das ganze Jahr nicht. 15 Minuten nur. Reicht diese Zeit, damit alles anklingt, was im alten Jahr war? Reicht diese Zeit, um eine neue Zeit einzuläuten- ein neues Jahr voller Hoffnungen? Alles hat seine Zeit, sagt der biblische Prediger. Aber wenn ich seine Worte höre, erlebe ich es als eine Zumutung, was er da alles aufzählt. Dass der Tod seine Zeit hat, ist bitter genug. Jeder, der im alten Jahr von einem geliebten Menschen Abschied nehmen musste, weiß das. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen, sagt uns der Apostel Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs. Auch nicht der Tod. Gott sei Dank haben wir diesen Trost. Gott sei Dank haben wir Jesus Christus, der den Tod überwunden hat. Der Tod hat seine Zeit gehabt, und das Leben trägt den Sieg davon.

Alles hat seine Zeit, sagt der biblische Prediger: Hass und Aggression, Streit und Krieg hat seine Zeit. Was für eine Zumutung, dass er das einfach so lapidar sagen kann. Am letzten Tag des Jahres 2023 denke ich an die Ukraine, wo der Krieg kein Ende nimmt. Und ich denke an die furchtbare und verfahrene Situation in Israel- Palästina. An die israelischen Geiseln, die schwer traumatisiert sind und an die, die immer noch nicht freigekommen sind. An ausgebombte Palästinenser, die alles verloren haben, auch ihre Lieben. Alles hat seine Zeit, sagt der Prediger. Nicht nur Krieg, Hass und Aggression hat seine Zeit, sondern auch Liebe, Friede und Wieder-Ganz-Machen von dem, was kaputt ist. Und der Prediger weiß: Friede kommt nicht einfach so und ohne unser Zutun. Das Wieder-Ganz- Machen von dem, was kaputt ist, das ist harte Arbeit. Aber die Zeit dafür wird kommen. Krieg, Hass und Gewalt bleiben nicht für immer. Sie werden abgelöst von der Zeit der Liebe und des Friedens.

Alles hat seine Zeit. Alle vier Glocken läuten am Silvesterabend um Mitternacht, ganze 15 Minuten lang. Ein Festgeläut, dass uns daran erinnert, dass wir etwas zu feiern haben an der Schwelle zum neuen Jahr – dass wir allen Grund haben, das neue Jahr freudig zu begrüßen. Diesen Grund haben wir- egal, ob wir um Mitternacht in froher Runde die Sektgläser klingen lassen, oder ob wir allein sind, wenn wir dem Klang der Glocken lauschen. Wir haben Grund zu feiern. Die Inschriften unserer Glocken erzählen davon: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Mk 10,45 „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen.“ (1. Joh 3,1) Ja, wir sind Gottes Kinder- durch Jesus Christus von Gott dazu bestimmt. Und unser Leben ist mehr als die Summe unserer Tage. Gott hat uns die Ewigkeit ins Herz gelegt. Schönheit und Freude hat er uns geschenkt. So können wir zuversichtlich ins neue Jahr gehen in Dankbarkeit genießen, was Gott uns geschenkt hat- wie es uns der weise Mann im Buch Prediger ans Herz legt:

„Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ (Pred. 3,11-13).

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer