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Gedanken zum Sonntag

Estomihi

Predigt zum Sonntag Estomihi, 27. Februar 2022

Markus 8, 31-38: Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Liebe Mitchristen!

„Was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?“ fragt Jesus. Diese Frage geht mir nach in diesen Tagen, wo wir erleben müssen, dass der seit vielen Jahren zwischen Russland und der Ukraine schwelende Konflikt zum offenen Krieg wird. Der russische Angriff auf die Ukraine erfüllt mich mit großer Sorge, und ich frage mich: Was hilft es, Gebiete und Ländereien gewinnen zu wollen und deswegen einen Krieg anzufangen? Bei einem Krieg gibt es immer nur Verlierer, auf beiden Seiten. Menschen sterben bei Kampfhandlungen. Menschen sind auf der Flucht. Angst und Verunsicherung greifen um sich, auch bei uns in unserem Land: Wie wird es weitergehen mit der Gasversorgung in unserem Land? Werden sich die Armen bald keine warme Wohnung mehr leisten können? Wie weit wird dieser Krieg gehen? Wird er sich noch ausweiten? Mein Sohn fragt mich, ob ich mir vorstellen kann, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt wird in Deutschland. Als ich das nicht ausschließen will, fragt er mich nach dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung. „Ich will keinen Menschen umbringen müssen,“ sagt er. Er hat es für sich erkannt: Wir nehmen Schaden an unserer Seele, wenn wir uns auf Krieg und Gewalt einlassen.

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein! Das haben einhundertfünfzig Kirchen aus der ganzen Welt 1948 in Amsterdam einmütig gesagt. Nach dem millionenfachen Tod und Leid und der himmelschreienden Grausamkeit im Zweiten Weltkrieg war das ihr gemeinsames Bekenntnis: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.

In Europa war es mit dem Ende des schrecklichen Weltkriegs in den Jahrzehnten danach stiller um den Krieg geworden. Gekämpft wurde anderswo, in anderen Gegenden der Erde. Es schien so, als hätten die Menschen Europas miteinander beschlossen: So etwas darf nie wieder geschehen. Doch dann kehrte der Krieg auf dem Balkan auf unseren Kontinent zurück mit Tod und Verderben. Und er ist geblieben: Im Osten der Ukraine, mitten in Europa, herrscht bereits seit einigen Jahren wieder Krieg. Menschen töten Menschen, Städte und Dörfer werden unbewohnbar. Das Leid derjenigen, die in ihrer Heimat ausharren, ist unvorstellbar.

Jetzt droht dieser schmutzige, vermeintlich regionale Krieg zu einem großen Krieg zu werden. Was ist unsere gemeinsame Aufgabe dabei als Christinnen und Christen? Was hätte Jesus in dieser Situation getan? Ganz sicher hätte Jesus nicht zur Waffe gegriffen. Jesus ist den Weg der Gewaltlosigkeit gegangen. Und er ist diesen Weg konsequent zu Ende gegangen, bis zum Tod ans Kreuz. „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten wird, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten,“ sagt uns Jesus. Das ist ganz sicher nicht der bequeme Weg – nicht heute und auch nicht in früheren Zeiten. Noch nie war dieser Weg bequem und einfach, nicht einmal für die Jünger, die engsten Vertrauten von Jesus. Es sicher kein Wunder, dass die Jünger weggelaufen sind, als Jesus verhaftet wurde. Und es ist auch kein Wunder, dass Petrus Jesus dreimal verleugnet hat, als Jesus verhört wurde vor dem Hohen Rat. Genauso wenig ist es verwunderlich, dass Petrus in unserem Predigttext Jesus abbringen will von diesem Weg der Gewaltlosigkeit, der Jesus ins Leiden und in den Tod führt. Aber Jesus weist Petrus schroff zurück: „Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“

Jesus wird zornig und schleudert Petrus, der zu seinen engsten Vertrauten gehört, diese harten Worte entgegen. Ob er diesen Wutausbruch später wohl bedauert hat? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass Jesus Petrus immer wieder eine neue Chance gegeben hat und ihm viel zugetraut hat. Was will Jesus mit diesen harten Worten sagen? In der jetzigen Krisensituation würde ich es so ausdrücken: Es gibt Momente, da gibt es nicht den einfachen und bequemen Weg. Da kann man sich nicht einfach rausreden oder zur Seite schauen. Da muss man Farbe bekennen und offen Stellung beziehen. Jesus hat uns gezeigt, welcher Weg zum Leben führt – zum Leben in Frieden und Freiheit, zum Leben ohne Angst. Zu diesem Leben in Fülle, das für die Menschen in der Ukraine jetzt in so weite Ferne gerückt ist. Jesus ist diesen Weg vorausgegangen, und wir haben die Aufgabe, ihm nachzufolgen.

Ich möchte mich den Gedanken anschließen, die Andreas Klodt von der Evangelischen Kirche in Mainz dazu geäußert hat: „Gott ist ein Gott des Friedens. Ein Gott des Miteinanders, nicht des Gegeneinanders. Er hat uns einen Kopf und ein Herz gegeben, damit wir Wege finden, um zu verhindern, dass Menschen getötet werden. Wir können in seinem Namen zu Friedensstifterinnen und Friedensstiftern werden: Wir können dagegenhalten, wenn der Krieg schöngeredet wird. Wir können uns an die Seite der Opfer stellen, wo immer es geht. Wir können Politikerinnen und Politiker auffordern, alles zu tun, was dem Frieden dient. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Um der Menschen willen soll Frieden sein.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer