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Gedanken zum Sonntag

7. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 7. Sonntag nach Trinitatis, 3. August 2025

Liebe Mitchristen!

„Ich bin das Brot des Lebens,“ sagt Jesus in unserem Predigttext (Joh 6,30-35). Einen Tag zuvor hatte Jesus 5.000 Menschen satt gemacht, obwohl nur fünf Brote und zwei Fische da waren. „Ich bin das Brot des Lebens.“ Jesus sagt diese Worte zu Menschen, die Hunger haben: Menschen sind hungrig. Sie haben Mangel. Es fehlt ihnen an Nahrung, an Wasser. Sie suchen, sie fragen. Und sie hören: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“

In unserem Gottesdienst erbitten wir heute eine Spende für unser Weltmissionsprojekt im Sudan und Südsudan. Der fortschreitende Klimawandel verschärft die ohnehin schwierigen Lebensbedingungen in diesen Ländern. Der EJW-Weltdienst ermöglicht Menschen im Sudan und Südsudan den Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das ist nicht nur lebenswichtige Grundlage, sondern verbessert die Hygiene und hilft Krankheiten zu vermeiden. Mit IAS (International Aid Service), dem Partner unseres Weltmissionsprojekts vor Ort, werden Brunnen gebohrt, Hand und Solar-Pumpen installiert und Hygieneschulungen durchgeführt. Neben den Brunnen werden christliche Gemeinden unterstützt und Schulen mitfinanziert. Die Mitarbeiter vor Ort tun ihre Arbeit aus der tiefen Überzeugung heraus, dass es unser Auftrag ist, Gottes Liebe

an andere Menschen in Wort und Tat weiterzugeben.

 

Auch für Theresa, eine junge Frau aus dem Sudan, haben sich so die Lebensbedingungen verbessert:  Theresa sucht sich einen Schattenplatz. Jetzt am Morgen ist die Sonne noch erträglich, im Lauf des Tages wird sie die Erde und die Luft aufheizen, im Sommer nicht selten auf 50 °C. Gerade kommt sie vom Wasserholen zurück. Für ihre Familie braucht sie 40 Liter Wasser für einen Tag. Die vollen Kanister vom Brunnen zu holen, ist zwar immer noch anstrengend, aber seit es den neuen Brunnen im Dorf gibt, ist es kein Vergleich mehr zu früher! Damals war die nächste Quelle einige Kilometer entfernt. Jetzt ist es sogar möglich, dass sie abends noch mal Wasser holt, um ihr jüngstes Kind zu baden.

 

Menschen brauchen Wasser. Menschen brauchen Nahrung. Auch in unserem Land ist die Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten für viele keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Herausforderung. Menschen mit wenig Geld können sich die Lebensmittel im Supermarkt oft kaum leisten. Tafelläden lindern diese Not. Dort können arme Menschen zu vergünstigten Preisen einkaufen. Auch wir als Kirchengemeinde sammeln Spenden für den Tafelladen in Trossingen, die immer donnerstagnachmittags und montagvormittags im Pfarramt abgegeben werden können- jetzt im Sommer noch bis 11. August. Dann macht der Tafelladen Sommerpause, und die Spenden werden erst wieder am 8. September abgeholt. Auch Supermärkte beliefern den Tafelladen- mit Lebensmitteln, die nur noch ein sehr kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum haben, aber trotzdem noch genießbar sind. Nicht alle dieser Lebensmittel landen allerdings im Tafelladen. Viele werden auch einfach weggeworfen- nicht nur aus den Kühlschränken der Supermärkte, auch aus unseren heimischen Kühlschränken.

 

Was sind unsere Lebensmittel uns wert- unser tägliches Brot? Von einem englischen Journalist wird erzählt, er habe sich mit einem Laib Brot an belebte Straßenecken verschiedener Städte gestellt. Er forderte die Passanten auf, für dieses Brot eine Stunde zu arbeiten. In Hamburg wurde er ausgelacht, in New York von der Polizei festgenommen. Im afrikanischen Lagos wahren mehrere Personen bereit, für dieses Brot drei Stunden zu arbeiten. Im indischen Delhi hatten sich rasch hundert Personen angesammelt. Sie wollten für dieses Brot einen ganzen Tag arbeiten.

 

Brot haben- zu Essen, zu Trinken, ein Dach über dem Kopf- das sind die menschlichen Grundbedürfnisse. Wir haben das alles, ja die meisten von uns kennen es nicht anders. Gott sei Dank hat es schon lange keine Kriegs- und Hungerzeiten mehr gegeben in unserem Land. Vieles davon nehmen wir für selbstverständlich: Brot- das wesentliche Lebensmittel, das wir oft so gering schätzen. Und doch: Menschen sind hungrig. Hungrig nach mehr als nur nach Brot. Das ist nicht nur bei uns so. Das war auch schon bei den Menschen zur Zeit Jesu so- obwohl die den Hunger nach Brot besser gekannt haben. Trotzdem sind sie Jesus in diese einsame Gegend am anderen Ufer des Sees Tiberias gefolgt, wo es nichts zu essen gab (Joh 6). Warum? Weil sie Hunger nach mehr hatten als nur nach Brot. Denn nicht nur der Körper braucht Verpflegung, sondern auch die Seele.

 

Nahrung für die Seele- wo finden wir sie? Wir finden sie in Veranstaltungen, wo wir zusammenkommen und unseren Glauben feiern. Ich denke an den ökumenischen Gottesdienst an Pfingstmontag. Oder an das Zeltlager mit den Konfirmanden, auf dem ich vor einigen Wochen war: Zusammen mit 200 anderen Konfirmanden und Mitarbeitern haben wir dieses Wochenende verbracht. Ein Wochenende mit Spiel und Spaß, mit Gebet und Gesang. Ich bin sicher, es wird allen, die dabei waren, in Erinnerung bleiben. Ein Wochenende voller Begegnungen. Begegnungen mit anderen Menschen, Begegnungen mit Gott. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung,“ sagt Martin Buber.

 

Der Hunger will gestillt sein- nicht nur der Hunger nach Brot. Auch der andere, tiefere Hunger, der Hunger nach Leben- nach wirklichem, erfülltem Leben. „„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Es ist ein großes Versprechen, das Jesus hier gibt. Ein Versprechen, das uns allen gilt in unseren Hungerzeiten. Ja, manchmal geht es uns so wie den Menschen dort bei Jesus: Da war dieser eine großartige Tag- ein Gottesdienst wie der am Pfingstmontag, oder ein Wochenende wie das Zeltlager mit den Konfirmanden. Und dann am nächsten Tag? Alles geht so weiter, als ob nichts gewesen wäre. Was ist jetzt mit meinem Hunger nach Leben, nach Sinn? „Wir brauchen wieder so ein Wunder wie gestern, als alle Menschen bei dir satt geworden sind, Jesus!“ sagen die Menschen. „Immer wollen wir satt sein. Nie wieder Hunger haben.“ Jesus verspricht ihnen das nicht. Wir haben keinen Anspruch auf ein langes Leben ohne Hunger, Krankheit und Leid.

 

Bevor ich nach Wehingen kam, war ich Pfarrerin in Haigerloch. Dort gab es vor dem 2. Weltkrieg eine größere jüdische Gemeinde. Ein Geschäftsmann aus Haigerloch erzählte mir von folgender Begegnung: Er war beruflich viel auf Messen unterwegs und kam dort mit internationalen Kunden in Kontakt. Einmal kam er in diesem Zusammenhang mit einem Kunden ins Gespräch, der ein frommer Jude war. Dieser Jude kannte Haigerloch, und so kamen die beiden Männer ins Gespräch über das schreckliche Schicksal der Juden in Nazi-Deutschland. „Manchmal zweifelt man an Gottes Güte,“ sagte der Geschäftsmann. Sein jüdischer Kunde antwortete ihm: „Nein, an Gottes Güte kann man nie zweifeln. Jeder Tag, den man leben darf, ist ein Geschenk Gottes, ein Grund, Gott zu danken.“ Diese Antwort hat den Geschäftsmann beeindruckt.

 

Nicht für immer satt sein an Leib und Seele, nie mehr Hunger und Entbehrung- nicht das verspricht uns Jesus Christus. Er lehrt uns zu beten: Unser tägliches Brot gib uns heute. Nur für den heutigen Tag sollen wir bitten, nicht für morgen. Aber Jesus Christus verspricht uns: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Jesus Christus verspricht: Er macht uns satt. Er gibt uns, was wir brauchen. Nicht immer sofort und nicht immer so, wie wir denken. Aber immer genug. Er legt uns nicht mehr auf, als wir tragen können.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2025 (nach einer Vorlage von Claudia Neuguth)

 

Liebe Mitchristen!

 

Heute ist ein schöner, sonniger Sommersonntag. Was werden Sie heute noch machen an diesem Tag? Vielleicht die Koffer packen, weil es morgen in den Urlaub geht? Oder vollends alles vorbereiten für das Grillen heute Abend? Bestimmt auf jeden Fall die Beine hochlegen auf dem Balkon oder im Liegestuhl im Garten. Vielleicht auch noch die Nachrichten sehen oder lesen? Oder doch lieber nicht- denn dann sind sie wieder da, die Bilder. Während hier – Gott sei Dank! die Menschen den Sommer genießen können, fliegen anderen Kugeln um die Ohren, laufen andere um ihr Leben, stürzen Gebäude und Träume ein, fehlt es an Wasser und Brot, nehmen andere schon wieder Abschied von denen, die sie lieben. In diesen sonnigen und friedlichen Sommertag hinein brechen die Bilder aus den Nachrichten. Kaum zu glauben, wie sich die Welt in den letzten Monaten und Jahren verändert hat: Zeitenwende sagen wir dazu.

 

Eigentlich möchte ich sie gerne wegschieben, diese Zeitenwende. Ich möchte vergessen, wie viel Grauen sich in unserer Welt ereignet- in der Ukraine, im Gazastreifen und an so viel anderen Orten. Ich möchte von diesen schlechten Nachrichten auch mal Urlaub haben: Mal eine Auszeit von der Angst, dass Krieg auch in unserem Land wieder zur Realität werden könnte. Aber die Nachrichten sind da. Die Bilder von Krieg und Zerstörung bleiben in meinem Gedächtnis. Die Glocke von Hiroshima, die daran erinnert, welches Grauen Atomwaffen anrichten, gellt in meinen Ohren.

 

In dieser Zeit der Zeitenwende, in der die Atomwaffenverträge auslaufen und nicht erneuert werden, in der wir in Europa wieder diskutieren über Verteidigungshaushalt und Wehrpflicht und in der Abermilliarden in die Rüstung fließen- in dieser Zeit lese ich den Predigttext aus dem Jesajabuch: „Am Ende der Tage wird der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen. Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn vom Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ (Jesaja 2, 2-5)

 

„Am Ende der Tage“ übersetzt Martin Luther und lässt an Zeiten denken, die in dieser Welt, die wir kennen, nicht mehr erreicht werden können. Das Wort, das im hebräischen Text steht, kann aber auch anders übersetzt werden: „Später“ kann man zum Beispiel auch übersetzen. Das bedeutet dann: Nicht heute, aber irgendwann in der Zeit. Nach den Tagen. Das hebräische Wort, das da im Text steht, kann auch „hinter“ meinen- also nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Bedeutung haben. Warum „hinter“? Wie passt das in den Zusammenhang? Es hat damit zu tun, dass nach damaliger Vorstellung die Zukunft im Rücken liegt: „Hinter den Tagen“- oder noch genauer: „Auf der Rückseite der Tage“. Diese Übersetzungsmöglichkeit hilft mir, den Text für heute zu verstehen. Die Vorderseite der Tage- das ist das, was wir sehen und vor Augen haben- damals zur Zeit des Propheten Jesaja genauso wie heute: Wir sehen Kriege und Auseinandersetzungen, die Menschenleben und Ressourcen kosten. Wir sehen Heimats- und Identitätsverlust, den Menschen durchmachen. Aber „hinter den Tagen“ liegt eine andere Realität, die wie durch einen Riss hineinblitzt.

 

Mit dem Propheten Jesaja will ich durch diesen Riss schauen. Wenn ich mich darauf einlasse, dann sehe ich Menschen unterschiedlicher Nationen, die zum Zion kommen, der deshalb groß ist, weil Gott da ist. Diese Menschen legen ihre Waffen nieder- nicht wegen eines willkürlichen Befehls, sondern weil sie sie nicht mehr brauchen, weil ihnen Gerechtigkeit getan wird. Langsam, Schlag auf Schlag, wird das Schwert zum landwirtschaftlichen Gerät. Nicht nur Abrüstung, sondern Umrüstung ist das Ergebnis. Kräfte werden frei und Ressourcen können in eine gute Zukunft investiert werden. Hinter den sichtbaren Tagen von Krieg und Unsicherheit liegen diese anderen Tage, von denen die Vision des Propheten Jesaja erzählt. Es ist radikal, was dieser Prophet erzählt. Es trifft die Menschen an der Wurzel ihrer Überzeugung. Viele werden auch damals schon die Köpfe geschüttelt und Jesaja für naiv erklärt haben. Viele werden damals schon abgewunken und gesagt haben: Hier, unter Menschen, ist das sowieso nicht möglich. Aber damals wie heute gab und gibt es Menschen, die voller Hoffnung durch den Riss geblickt und gesagt haben: So kann es auch sein; ja so soll es sein! Menschen, die sich dann die Hände gerieben und die Aufgaben angepackt haben, die vor ihnen liegen auf dem Weg dorthin.

 

Angesichts der Schrecken und Verbrechen des 20. Jahrhunderts haben die Menschen sich auch die Hände gerieben und angepackt. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde die UNO gegründet, mit dem erklärten Ziel der Wahrung des Weltfriedens und der Verständigung zwischen den Völkern. Und obwohl es immer wieder auch zu Brüchen kam, erzählt dieses erklärte Ziel von einer gemeinsamen Vision: So soll es sein. Im Garten des UNO-Hauptquartiers wird der Vision des Jesaja gedacht. Dort steht die Statue vom Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umarbeitet. 1959 hat die Sowjetunion der UNO dieses Werk von Jewgeni Wutschetisch geschenkt. Ausgerechnet die Sowjetunion, möchte man angesichts der Aggressivität des Nachfolgestaats sagen. Und ich denke, gerade deshalb ist es gut, dies nicht zu vergessen.

 

Wir wollen nicht vergessen, wie Menschen aus allen Nationen durch den Riss in die anderen Tage geblickt haben. Menschen, die geglaubt haben, dass es möglich ist, dass die Menschen im gerechten Frieden miteinander leben und die globalen Aufgaben gemeinsam anpacken. Viele fanden die Kraft für ihre Überzeugung in dem Glauben, dass Gott den Frieden will für die Menschen auf dieser Welt. Viele haben gehofft, dass dieser Riss immer größer und größer wird- bis das, was heute noch dahinter liegt, „auf der Rückseite der Tage“, eines Tages Realität ist. Ein Weg für Menschen mit langem Atem. Aber ein Weg in eine gute Richtung.

 

Doch jetzt hat auch Europa erreicht, was für viele Menschen auf der Welt schon lange bittere Wahrheit ist: Der Riss, der den Blick auf eine Gesellschaft in Frieden zeigt, scheint sich zu schließen. Das Bild der Friedensvision wird immer kleiner. Immer weniger Menschen gelingt es, diese Friedensvision zu sehen. Immer größer wird der Einfluss der Kopfschüttler über so viel Naivität; immer lauter die Stimmen derer, die die Friedensvision für dumm oder sogar gefährlich halten. Immer weniger Menschen wagen es, die Überzeugung in Frage zu stellen, dass die Welt eben so ist und dass der Krieg eben zum Menschen gehört und im Zweifel eine legitime Form ist, seine eigenen Interessen durchzusetzen.

 

Ich denke an Jesus Christus. Er war in seiner Zeit selbst so eine radikale Stimme, die scheinbar Selbstverständliches in Frage gestellt hat. Und er ist es noch heute. Das Bild vom Friedensreich, das durch Gottes Gerechtigkeit wächst, hatte er nicht nur als Bild „hinter den Tagen“ vor Augen. Er trug es in seinem Herzen und in seine Gegenwart: „Selig sind, die Frieden stiften!“ (Matthäus 5, 9) Viele werden ihn belächelt haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Viele werden ihn gefürchtet haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Denn er hat mit seiner Botschaft die Machtstrukturen hinterfragt und angegriffen. Damals haben sie ihn getötet deswegen.

 

„Selig sind, die Frieden stiften!“ Das sind Worte aus der Bergpredigt. „Bergpredigt“, das lässt etwas davon ahnen, dass dort eine besondere Gottesnähe zu spüren war. „Ihr seid das Salz der Erde“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ sagte Jesus auch dort auf dem Berg (Matthäus 5, 13-14) Wenn wir diese Worte heute hören, dann stehen wir in seiner Nachfolge. Wir haben eine besondere Aufgabe: „Ihr seid das Salz der Erde.“ „Ihr seid das Licht der Welt.“ Ihr könnt die Welt verändern und sollt es tun. Ihr sollt dabei helfen, den Frieden, den Gott versprochen hat, in die Welt zu bringen. Denn ihr wisst von der Rückseite der Tage. Ihr kennt das Versprechen, das zu sehen ist, wenn man durch den Riss dieser Realität blickt: „Hinter den Tagen“ ist Gottes Friedensreich- und es will und wird kommen. Haltet die Bilder wach. Setzt euch ein dafür, dass der Riss größer wird. Helft Menschen, ihn zu sehen. Wer, wenn nicht ihr sollte es tun? Denn ihr seid das Licht der Welt! Ihr seid das Salz der Erde!

 

Heute ist ein Sommertag in einer Welt, in der es an vielen Stellen brennt. Irgendwo kommt gerade in diesem Moment jemand um, weil er an einer Front kämpft. Ganz in der Nähe wird gerade geplant, welche Waffen mit welchen Fähigkeiten beschafft werden müssen. Es werden in diesem Moment Menschen ausgebildet, die diese Waffen bedienen. In der direkten Nachbarschaft schimpft gerade jemand über „die da oben“, und in der eigenen Familie können Tante und Onkel seit Jahren nicht an einem Tisch sitzen, ohne bis aufs Blut miteinander zu streiten.

 

Das ist scheinbar die Realität dieser Tage. Und dahinter gibt es die andere, das Friedensreich. Und manchmal reißt was auf, und es ist zu sehen: Da ist einer mutig am Stammtisch und erinnert daran, dass „die da oben“ auch nur Menschen sind, die sich einsetzen. Da lädt eine doch die alte Nachbarin zum Grillen ein, die ganz verbittert ist in ihrer Einsamkeit. Da entscheidet sich eine für den teuren, aber fairen Kaffee, weil er dabei hilft, dass Menschen gerecht bezahlt werden. Lassen wir uns einladen, durch diesen Riss in eine andere Realität zu blicken. Halten wir uns diese Perspektive offen. Arbeiten wir am Frieden. Dann sind wir das Salz der Erde und das Licht der Welt.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2025 (nach einer Vorlage von Claudia Neuguth)


Liebe Mitchristen!


Heute ist ein schöner, sonniger Sommersonntag. Was werden Sie heute noch machen an diesem Tag? Vielleicht die Koffer packen, weil es morgen in den Urlaub geht? Oder vollends alles vorbereiten für das Grillen heute Abend? Bestimmt auf jeden Fall die Beine hochlegen auf dem Balkon oder im Liegestuhl im Garten. Vielleicht auch noch die Nachrichten sehen oder lesen? Oder doch lieber nicht- denn dann sind sie wieder da, die Bilder. Während hier – Gott sei Dank! die Menschen den Sommer genießen können, fliegen anderen Kugeln um die Ohren, laufen andere um ihr Leben, stürzen Gebäude und Träume ein, fehlt es an Wasser und Brot, nehmen andere schon wieder Abschied von denen, die sie lieben. In diesen sonnigen und friedlichen Sommertag hinein brechen die Bilder aus den Nachrichten. Kaum zu glauben, wie sich die Welt in den letzten Monaten und Jahren verändert hat: Zeitenwende sagen wir dazu. 


Eigentlich möchte ich sie gerne wegschieben, diese Zeitenwende. Ich möchte vergessen, wie viel Grauen sich in unserer Welt ereignet- in der Ukraine, im Gazastreifen und an so viel anderen Orten. Ich möchte von diesen schlechten Nachrichten auch mal Urlaub haben: Mal eine Auszeit von der Angst, dass Krieg auch in unserem Land wieder zur Realität werden könnte. Aber die Nachrichten sind da. Die Bilder von Krieg und Zerstörung bleiben in meinem Gedächtnis. Die Glocke von Hiroshima, die daran erinnert, welches Grauen Atomwaffen anrichten, gellt in meinen Ohren.


In dieser Zeit der Zeitenwende, in der die Atomwaffenverträge auslaufen und nicht erneuert werden, in der wir in Europa wieder diskutieren über Verteidigungshaushalt und Wehrpflicht und in der Abermilliarden in die Rüstung fließen- in dieser Zeit lese ich den Predigttext aus dem Jesajabuch: „Am Ende der Tage wird der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen. Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn vom Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ (Jesaja 2, 2-5)


„Am Ende der Tage“ übersetzt Martin Luther und lässt an Zeiten denken, die in dieser Welt, die wir kennen, nicht mehr erreicht werden können. Das Wort, das im hebräischen Text steht, kann aber auch anders übersetzt werden: „Später“ kann man zum Beispiel auch übersetzen. Das bedeutet dann: Nicht heute, aber irgendwann in der Zeit. Nach den Tagen. Das hebräische Wort, das da im Text steht, kann auch „hinter“ meinen- also nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Bedeutung haben. Warum „hinter“? Wie passt das in den Zusammenhang? Es hat damit zu tun, dass nach damaliger Vorstellung die Zukunft im Rücken liegt: „Hinter den Tagen“- oder noch genauer: „Auf der Rückseite der Tage“. Diese Übersetzungsmöglichkeit hilft mir, den Text für heute zu verstehen. Die Vorderseite der Tage- das ist das, was wir sehen und vor Augen haben- damals zur Zeit des Propheten Jesaja genauso wie heute: Wir sehen Kriege und Auseinandersetzungen, die Menschenleben und Ressourcen kosten. Wir sehen Heimats- und Identitätsverlust, den Menschen durchmachen. Aber „hinter den Tagen“ liegt eine andere Realität, die wie durch einen Riss hineinblitzt.


Mit dem Propheten Jesaja will ich durch diesen Riss schauen. Wenn ich mich darauf einlasse, dann sehe ich Menschen unterschiedlicher Nationen, die zum Zion kommen, der deshalb groß ist, weil Gott da ist. Diese Menschen legen ihre Waffen nieder- nicht wegen eines willkürlichen Befehls, sondern weil sie sie nicht mehr brauchen, weil ihnen Gerechtigkeit getan wird. Langsam, Schlag auf Schlag, wird das Schwert zum landwirtschaftlichen Gerät. Nicht nur Abrüstung, sondern Umrüstung ist das Ergebnis. Kräfte werden frei und Ressourcen können in eine gute Zukunft investiert werden. Hinter den sichtbaren Tagen von Krieg und Unsicherheit liegen diese anderen Tage, von denen die Vision des Propheten Jesaja erzählt. Es ist radikal, was dieser Prophet erzählt. Es trifft die Menschen an der Wurzel ihrer Überzeugung. Viele werden auch damals schon die Köpfe geschüttelt und Jesaja für naiv erklärt haben. Viele werden damals schon abgewunken und gesagt haben: Hier, unter Menschen, ist das sowieso nicht möglich. Aber damals wie heute gab und gibt es Menschen, die voller Hoffnung durch den Riss geblickt und gesagt haben: So kann es auch sein; ja so soll es sein! Menschen, die sich dann die Hände gerieben und die Aufgaben angepackt haben, die vor ihnen liegen auf dem Weg dorthin. 


Angesichts der Schrecken und Verbrechen des 20. Jahrhunderts haben die Menschen sich auch die Hände gerieben und angepackt. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde die UNO gegründet, mit dem erklärten Ziel der Wahrung des Weltfriedens und der Verständigung zwischen den Völkern. Und obwohl es immer wieder auch zu Brüchen kam, erzählt dieses erklärte Ziel von einer gemeinsamen Vision: So soll es sein. Im Garten des UNO-Hauptquartiers wird der Vision des Jesaja gedacht. Dort steht die Statue vom Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umarbeitet. 1959 hat die Sowjetunion der UNO dieses Werk von Jewgeni Wutschetisch geschenkt. Ausgerechnet die Sowjetunion, möchte man angesichts der Aggressivität des Nachfolgestaats sagen. Und ich denke, gerade deshalb ist es gut, dies nicht zu vergessen. 


Wir wollen nicht vergessen, wie Menschen aus allen Nationen durch den Riss in die anderen Tage geblickt haben. Menschen, die geglaubt haben, dass es möglich ist, dass die Menschen im gerechten Frieden miteinander leben und die globalen Aufgaben gemeinsam anpacken. Viele fanden die Kraft für ihre Überzeugung in dem Glauben, dass Gott den Frieden will für die Menschen auf dieser Welt. Viele haben gehofft, dass dieser Riss immer größer und größer wird- bis das, was heute noch dahinter liegt, „auf der Rückseite der Tage“, eines Tages Realität ist. Ein Weg für Menschen mit langem Atem. Aber ein Weg in eine gute Richtung. 


Doch jetzt hat auch Europa erreicht, was für viele Menschen auf der Welt schon lange bittere Wahrheit ist: Der Riss, der den Blick auf eine Gesellschaft in Frieden zeigt, scheint sich zu schließen. Das Bild der Friedensvision wird immer kleiner. Immer weniger Menschen gelingt es, diese Friedensvision zu sehen. Immer größer wird der Einfluss der Kopfschüttler über so viel Naivität; immer lauter die Stimmen derer, die die Friedensvision für dumm oder sogar gefährlich halten. Immer weniger Menschen wagen es, die Überzeugung in Frage zu stellen, dass die Welt eben so ist und dass der Krieg eben zum Menschen gehört und im Zweifel eine legitime Form ist, seine eigenen Interessen durchzusetzen.


Ich denke an Jesus Christus. Er war in seiner Zeit selbst so eine radikale Stimme, die scheinbar Selbstverständliches in Frage gestellt hat. Und er ist es noch heute. Das Bild vom Friedensreich, das durch Gottes Gerechtigkeit wächst, hatte er nicht nur als Bild „hinter den Tagen“ vor Augen. Er trug es in seinem Herzen und in seine Gegenwart: „Selig sind, die Frieden stiften!“ (Matthäus 5, 9) Viele werden ihn belächelt haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Viele werden ihn gefürchtet haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Denn er hat mit seiner Botschaft die Machtstrukturen hinterfragt und angegriffen. Damals haben sie ihn getötet deswegen. 


„Selig sind, die Frieden stiften!“ Das sind Worte aus der Bergpredigt. „Bergpredigt“, das lässt etwas davon ahnen, dass dort eine besondere Gottesnähe zu spüren war. „Ihr seid das Salz der Erde“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ sagte Jesus auch dort auf dem Berg (Matthäus 5, 13-14) Wenn wir diese Worte heute hören, dann stehen wir in seiner Nachfolge. Wir haben eine besondere Aufgabe: „Ihr seid das Salz der Erde.“ „Ihr seid das Licht der Welt.“ Ihr könnt die Welt verändern und sollt es tun. Ihr sollt dabei helfen, den Frieden, den Gott versprochen hat, in die Welt zu bringen. Denn ihr wisst von der Rückseite der Tage. Ihr kennt das Versprechen, das zu sehen ist, wenn man durch den Riss dieser Realität blickt: „Hinter den Tagen“ ist Gottes Friedensreich- und es will und wird kommen. Haltet die Bilder wach. Setzt euch ein dafür, dass der Riss größer wird. Helft Menschen, ihn zu sehen. Wer, wenn nicht ihr sollte es tun? Denn ihr seid das Licht der Welt! Ihr seid das Salz der Erde! 


Heute ist ein Sommertag in einer Welt, in der es an vielen Stellen brennt. Irgendwo kommt gerade in diesem Moment jemand um, weil er an einer Front kämpft. Ganz in der Nähe wird gerade geplant, welche Waffen mit welchen Fähigkeiten beschafft werden müssen. Es werden in diesem Moment Menschen ausgebildet, die diese Waffen bedienen. In der direkten Nachbarschaft schimpft gerade jemand über „die da oben“, und in der eigenen Familie können Tante und Onkel seit Jahren nicht an einem Tisch sitzen, ohne bis aufs Blut miteinander zu streiten. 


Das ist scheinbar die Realität dieser Tage. Und dahinter gibt es die andere, das Friedensreich. Und manchmal reißt was auf, und es ist zu sehen: Da ist einer mutig am Stammtisch und erinnert daran, dass „die da oben“ auch nur Menschen sind, die sich einsetzen. Da lädt eine doch die alte Nachbarin zum Grillen ein, die ganz verbittert ist in ihrer Einsamkeit. Da entscheidet sich eine für den teuren, aber fairen Kaffee, weil er dabei hilft, dass Menschen gerecht bezahlt werden. Lassen wir uns einladen, durch diesen Riss in eine andere Realität zu blicken. Halten wir uns diese Perspektive offen. Arbeiten wir am Frieden. Dann sind wir das Salz der Erde und das Licht der Welt. 


Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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6. Sonntag nach Trinitatis

Predigt beim Gottesdienst mit dem Evang. Johannes-Kindergarten Gosheim am 27. Juli 2025

Liebe Kinder, liebe Erwachsene!

Am Donnerstag war ich bei euch Kindergartenkindern im Johannes-Kindergarten, und wir haben zusammen die Geschichte gehört von Johannes dem Täufer (Matthäus 3, 1-17). Nach diesem Johannes aus der Bibel ist euer Johannes-Kindergarten benannt. Dieser Johannes aus der Bibel war ein ganz besonderer Mensch. Er brauchte kein Haus und kein Bett. Er hat einfach im Freien geschlafen, draußen in der Natur. Da habt ihr Kinder am Donnerstag ganz schön gestaunt, als ihr das gehört habt.

Johannes hat den Menschen von Gott und von Jesus erzählt. Johannes wusste nämlich: Durch Jesus können die Menschen zu Gott finden. Johannes konnte auch streng sein zu den Menschen, denen er von Gott erzählt hat. Dann hat er gesagt: „Denkt mal nach über euer Leben! Lebt ihr wirklich so, wie Gott das möchte? Oder seid ihr auch manchmal gemein zu den anderen, anstatt ihnen zu helfen?“ Die Menschen bei Johannes überlegen. Und vielen von ihnen fällt etwas ein: „O je, das war wirklich gemein von mir! Das war schlecht, was ich da gemacht habe. Das hätte ich wirklich anders machen sollen!“ Da fragen die Leute Johannes: „Was sollen wir jetzt machen?“ Johannes antwortet ihnen: „Macht es in Zukunft nicht mehr so!“ „Ja,“ sagen die Leute. „Wir wollen das in Ordnung bringen, was wir falsch gemacht haben. Und wir wollen aufpassen, dass uns in Zukunft so etwas nicht mehr passiert.“ „Gut,“ sagt Johannes. „Dann lasst euch taufen. Die Taufe ist nämlich ein Neuanfang mit Gott. Wer getauft ist, der gehört zu Gott. Und Gott gehört zu ihm. In der Taufe sind wir mit Gott verbunden.“

Viele Menschen lassen sich taufen, als Johannes das sagt. Auch Jesus kommt und will sich taufen lassen. Das bringt Johannes ganz durcheinander. Er denkt: „Ich soll Jesus taufen? Das passt doch gar nicht! Jesus gehört doch schon zu Gott. Niemand ist näher bei Gott als Jesus. Außerdem war Jesus ganz bestimmt nie gemein zu jemanden.“ Johannes fragt Jesus: „Warum soll ich dich taufen?“ Jesus antwortet: „Gott will es so.“ Da tauft Johannes Jesus. Es ist eine sehr besondere Taufe. Nicht nur, weil Johannes Jesus ganz unter Wasser taucht. Das hat man früher immer so gemacht. Heute macht man es anders. Das eigentlich Besondere an der Taufe von Jesus ist etwas anderes: Bei der Taufe von Jesus konnte man den Heiligen Geist sehen und hören.

Der Heilige Geist ist ja immer bei uns. Der Heilige Geist ist Gottes Kraft, die uns beschützt. Aber heute können wir den Heiligen Geist nicht sehen und hören. Wir können ihn aber in unserem Herzen spüren. Bei der Taufe von Jesus war das anders. Da kam der Heilige Geist wie eine Taube vom Himmel heruntergeflogen. So konnte man den Heiligen Geist sehen. Hören konnte man den Heiligen Geist auch bei der Taufe von Jesus. Das hat sich angehört wie eine Stimme vom Himmel. Die Stimme hat über Jesus gesprochen. Sie hat gesagt: „Das ist mein geliebter Sohn.“ (Matthäus 3, 17) Das war etwas ganz Besonderes bei der Taufe von Jesus, dass man den Heiligen Geist hören und sehen konnte.

Heute können wir den Heiligen Geist nicht hören und sehen. Aber der Heilige Geist ist trotzdem immer bei uns, ganz besonders auch dann, wenn wir Taufe feiern, so wie heute in unserem Gottesdienst. In unserem Herzen können wir den Heiligen Geist spüren. Zu jedem von uns sagt er da: „Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter.“ Und als ich am Donnerstag bei euch Kindergartenkindern im Johannes-Kindergarten war, da hat mich sehr gefreut, dass ich das nicht nur tief im Herzen gespürt habe, dass ich Gottes geliebtes Kind bin; da habe ich es auch mit meinen Ohren gehört. Ihr Kindergartenkinder habt nämlich ein Lied davon gesungen: „Weißt du nicht, wer ich bin. Ich bin Gottes geliebtes Kind.“

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Gedanken zum Sonntag

4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 13. Juli 2025

Liebe Mitchristen!

„Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“ Diese Sätze, die Jesus in unserem Predigttext spricht (Lukas 6, 36-42), sind Aufforderungen, die uns sagen, wie wir als Christen leben sollen. Aber diese Sätze sind mehr als nur Aufforderungen. Schauen wir zuerst einmal darauf, wie diese Sätze enden, und hören wir auf die Verheißung, die in diesen Satzenden steckt: „Ihr werdet nicht gerichtet. Ihr werdet nicht verdammt. Euch wird vergeben.“ So verspricht es uns Jesus am Ende dieser Aufforderungssätze. Diese Worte von Jesus erinnern uns daran: Gott ist kein strenger und umbarmherziger Richter. Gott ist die Liebe. Gott schenkt uns die Vergebung, durch Jesus Christus seinen Sohn, der unsere Sünden auf sich genommen hat, der für uns sein Leben hingegeben hat.

Aus dieser Liebe dürfen wir leben. Diese Liebe dürfen wir weitergeben, voller Freude, denn Gott hat uns zuerst geliebt. Von dieser großen Liebe Gottes wollen wir unseren Kindern erzählen. Wir wollen sie weitergeben von Generation zu Generation. Und wir dürfen uns darauf verlassen: Gott ist für uns da und lässt uns nie im Stich. Das hat er uns versprochen. Vorhin bei der Taufe haben wir dieses große Versprechen von Gott gehört: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ (Jes 43,1) Das ist die Überschrift über alles, was Jesus uns sagt- auch über die Aufforderungen in unserem Predigttext: „Richtet nicht. Verdammt nicht. Vergebt.“

Man könnte meinen, diese Aufforderungen braucht es eigentlich gar nicht. Wenn wir aus der Liebe leben, mit der Gott uns zuerst geliebt hat, wenn wir diese Liebe mit Freuden weitergeben an die Menschen um uns herum, dann versteht sich das alles doch von selbst. Schön, dass wir das immer wieder erleben dürfen in unserem Leben- dass die Liebe und die christliche Barmherzigkeit einfach ganz selbstverständlich gelebt werden, ohne dass jemand daran erinnern muss. Schön, dass es Eltern, Paten und Verwandte gibt wie bei Ihnen in der Tauffamilie, die ein Kind liebevoll ins Leben begleiten, die alles Gute für ihr Kind wollen und immer für ihr Kind da sein wollen.

Aber wir alle wissen auch, dass es nicht immer so einfach ist mit der Barmherzigkeit. Da gibt es die Nachbarin oder den Kollegen, mit dem ich nicht so gut klarkomme. Der tickt einfach anders als ich. Immer wieder gehen wir aneinander hoch. Über so jemanden, mit dem wir uns schwertun, kein Urteil zu fällen, das ist immer wieder eine Herausforderung für uns. Jesus lädt uns ein, auch bei solchen Menschen nicht nur das zu sehen, was uns stört, sondern auch die Stärken. Oft übersehen wir das ja- was der andere, den wir nicht so gut leiden können, auch für Stärken hat. Wir übersehen das oft, weil diese Stärken nicht auf unserer Linie liegen, weil sie nicht zu unseren eigenen Interessen und Prioritäten zählen.

Wir können die Welt eben nur aus unserer eigenen Perspektive wahrnehmen. Und immer wieder ist es wichtig, dass wir uns klarmachen: Unsere eigene Perspektive ist nicht alles. Es ist nur eine begrenzte Perspektive. Wir haben unsere blinden Flecken, wo wir nicht wahrnehmen können, was der schwierige Kollege oder die nervige Nachbarin am Gutem hat. Jesus hat ein Wort für diesen blinden Fleck, den wir alle in unserer eingeschränkten Perspektive haben: Er nennt das den Balken in unserem Auge. Das ist fast schon so etwas wie ein Brett vor dem Kopf. Und manchmal geht es uns ja wirklich so, dass wir wie mit einem Brett vor dem Kopf durchs Leben laufen und erst im Nachhinein merken, dass wir uns in etwas verrannt haben, was uns und unseren Mitmenschen nicht guttut.

Jesus will uns dieses Brett vom Kopf wegmachen. Er will uns freie Sicht schenken, eine neue Perspektive auf uns und unsere Mitmenschen. Jesus will mich immer wieder daran erinnern: Auch der schwierige Kollege, auch die nervige Nachbarin ist Gottes geliebtes Kind. Das ist ein Perspektivwechsel. Ich sehe meine Mitmenschen aus der Perspektive Gottes. Und ich bin sicher: Wenn ich es schaffe- und manchmal wird mir das sicherlich schwerfallen- aber wenn ich es schaffe, meine schwierigen Mitmenschen aus dieser Perspektive zu sehen, dann wird das etwas ändern zwischen mir und ihnen. Sicherlich werden damit nicht alle Probleme, die wir miteinander haben, aus der Welt geschaffen sein. Aber vielleicht wird es möglich, sich trotz aller gegenseitigen Vorbehalte und Verletzungen miteinander auf den Weg zu machen und nach konstruktiven Lösungen zu suchen für die Probleme, die man miteinander hat.

Nicht immer gelingt das. Es gibt auch Situationen, die sind so verfahren, dass wir das nicht miteinander schaffen. Aber auch dann ändert es etwas, wenn ich den anderen weiterhin aus der Perspektive Gottes betrachten kann- als Gottes geliebtes Kind. Ob es für den anderen etwas ändert, kann ich in diesem Fall wahrscheinlich nicht beurteilen, wenn der Kontakt zwischen uns schwierig bleibt oder abgebrochen ist. Aber für mich selbst ändert es etwas, wenn ich in dem anderen trotz aller Schwierigkeiten ein Kind Gottes sehen kann. Es wird meine eigene Perspektive zurechtrücken- so wie Jesus es sagt: „Vergebt, so wird euch vergeben. Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“

Nicht mit zweierlei Maß soll ich messen. Nicht den Splitter im Auge meines Bruders oder meiner Schwester sehen, den Balken in meinem Auge aber nicht. Ja, bei mir selbst muss ich anfangen. Denn nur mich selbst, mein eigenes Leben, mein eigenes Verhalten kann ich ändern- nicht das Verhalten der anderen. Das wollen wir ja so gerne, den anderen Menschen ändern. Aber wir wissen alle: Es funktioniert leider nicht.

„Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“ Dieses Bibelwort will keine Drohung sein, kein: Pass bloß auf, wie du mit den anderen Menschen umgehst! Nein, dieses Bibelwort ist eine Verheißung, ein großes Versprechen: Leben in Fülle ist uns verheißen: „Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben.“ Darf’s ein bisschen mehr sein, sagt Gott zu uns- wie ein Verkäufer auf dem Markt, der den Messbehälter so voll macht, wie es nur geht. Und dann legt er noch eine Schippe obendrauf. Noch eine Schippe an Gutem, an Segensreichem für unser Leben.

Denn Gott meint es gut mit uns. Er schenkt uns alles, was wir brauchen für unser Leben. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir zu kurz kommen. Warum finde ich eigentlich den Kollegen so schwierig oder die Nachbarin? Ist es vielleicht, weil ich sie heimlich beneide um das, was sie haben und ich nicht? Aber auch wenn der Kollege erfolgreicher ist und die Nachbarin ein schöneres Haus hat als wir- gönnen wir ihnen das doch einfach, und lassen wir uns davon nicht beirren. Das Wichtigste im Leben ist nicht, dass man auf der Karriereleiter ganz oben steht. Das Wichtigste im Leben ist nicht, möglichst viel Reichtum und Geld zu haben. Das Wichtigste im Leben gibt es nur geschenkt: Die Liebe, das Glück. Sie, liebe Tauffamilie wissen das. Ein Kind ist Ihnen geschenkt worden, aus Gottes großer Barmherzigkeit. Lassen wir uns beschenken von Gott! Nehmen wir seine Barmherzigkeit an, und schenken wir sie weiter an die Menschen, die uns begegnen!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Gedanken zum Sonntag

4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 50er Fest in Wehingen am Samstag, 12. Juli 2025

 

Liebe Jubilare!

Hier in der Kirche sehen wir vorne am Altar einen Rettungsring, und auf dem Liedblatt auf dem Titelblatt eine hohe Welle. Ist das deswegen so, weil Sie, die 50er, von den zahlreichen Aufgaben, die mit der Vorbereitung dieses Festes verbunden waren, überrollt wurden wie von einer großen Flut? Sie sind ja ein kleiner Jahrgang. Da ist es gar nicht so einfach, ein so großes Fest vorzubereiten. Wir danken Ihnen allen, dass Sie es trotzdem getan haben. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass dieses Fest gefeiert werden kann- dass Menschen da sind, die dieses Fest vorbereiten- danke!

Wenn man so ein großes Fest vorbereitet, wenn man viel zu tun hat: Dann braucht man immer wieder einen Ort zum Auftanken und Kraft sammeln. Einen Ort der Ruhe und der inneren Einkehr. Auch Jesus hat immer wieder einen solchen Ort gebraucht. In der Bibel lesen wir immer wieder, dass er sich zurückgezogen hat in die Einsamkeit, um zu beten- nur er allein im Gespräch mit Gott. Auch bei der biblischen Geschichte, die wir gerade gehört haben, war das so (Matthäus 14, 22-33). Ja, und auch in dieser Geschichte spielen Wasser und Wellen eine große Rolle.

Warum ist das so, dass heute alles zum Thema Wasser passt? 1975 war in Wehingen Hochwasser. Sie, die 50er- Jubilare sind also die Hochwasser-Kinder. Ja, schon vor 30 Jahren, als Sie die 20er waren, gingen Sie als Matrosen verkleidet- so haben Sie es mir erzählt. Natürlich waren Sie, die 50er, damals noch ganz klein oder noch gar nicht geboren, als das Hochwasser war. Aber die älteren Jubilare, die heute mit Ihnen mitfeiern als 60er, 70er und 80er, die werden sich ganz sicher noch an das Jahrhundert-Hochwasser von 1975, an die ungeheuren Wassermassen im Ort, an die Zerstörungen, die das Wasser damals angerichtet hat. Ja, liebe 50er Jubilare: Sie sind die Hochwasser-Kinder. Ihr Jahrgang 1975 bleibt in der Wehinger Ortsgeschichte untrennbar verbunden mit diesem Hochwasser-Ereignis.

Nicht nur damals vor 50 Jahren, auch heute gibt es Hochwasser-Ereignisse. Durch die Klimaerwärmung werden sie mehr und mehr zu Hochwasser-Katastrophen, die viele Menschenleben fordern. Was ist da zu tun? Wir müssen unser Verhalten ändern, damit die globale Erwärmung nicht vollends aus dem Ruder läuft. Wir müssen Regenrückhaltebecken bauen und Hochwasserschutzmaßnahmen umsetzen. Und wenn es dann doch passiert? Wenn es doch zu einem Hochwasser-Ereignis kommt- hier bei uns in Wehingen oder anderswo? Dann brauchen wir schnelle Hilfe und Rettung. Daran erinnert der Rettungsring, der heute am Altar steht: Rettung vor dem Ertrinken. Nicht nur den Rettungsring braucht es dafür bei Hochwasser. Es braucht auch die Feuerwehr und das THW, die mit Booten und Hubschraubern kommen, um Menschen zu retten. Ja, nicht nur Feuerwehr und THW – jeder ist dann gefragt, zu helfen wo er nur kann.

Ich habe das Hochwasser 1975 hier in Wehingen nicht erlebt. Aber 2008, als ich Pfarrerin in Hechingen war, gab es dort ein schweres Unwetter mit Überschwemmungen, bei denen drei Menschen ums Leben kamen. Beinahe wären es noch mehr gewesen. Stromaufwärts in Jungingen war das Hochwasser besonders schlimm. Aber als das Wasser dort stieg, waren gerade zwei Bauhof-Mitarbeiter mit ihrem Unimog unterwegs. Ohne zu zögern und ohne Rücksicht auf die Gefahr für ihr eigenes Leben sind sie mit diesem Fahrzeug durch die steigenden Fluten gefahren und haben Menschen ins Trockene gebracht. Ich sehe diese beiden Bauhof-Mitarbeiter noch vor mir, wie sie für diesen lebensrettenden Einsatz im Nachhinein vom Bürgermeister geehrt wurden. Man merkte ihnen an, dass sie sich ein bisschen komisch dabei fühlten, auf einmal so im Mittelpunkt zu stehen. „Das ist doch selbstverständlich, dass wir das gemacht haben,“ haben sie gesagt.

Diese beiden bodenständigen Bauhof-Mitarbeiter habe ich vor Augen, wenn ich an Schutzengel denke- an Retter, die Gott uns schickt. Haben Sie das auch schon einmal erlebt in Ihrem Leben, liebe Jubilare? Haben Sie schon einmal erlebt, dass plötzlich Rettung da war in größter Not- auch wenn das überhaupt nicht zu erwarten war? Ja, ich bin überzeugt, dass es sie gibt, diese Himmelsboten, die uns Rettung bringen, wenn wir in Gefahr sind. Denn Gott meint es gut mit uns. Gott will nicht, dass wir untergehen. Und oft sind diese Himmelsboten, die Gott uns schickt, ganz bodenständige Menschen wie du und ich.

In der biblischen Geschichte, die wir gerade gehört haben (Matthäus 14, 22-33), ist es anders. Die Jünger sind in Seenot. Ein Sturm auf dem See Genezareth konnte für ein kleines Fischerboot gefährlich werden. In dieser höchsten Gefahr, mitten in der Nacht, sehen die Jünger einen Himmelsboten. Der ist allerdings gar nicht bodenständig, sondern scheint über das Wasser zu laufen. Ein Gespenst? Eine Sinnestäuschung in dieser angespannten Gefahrensituation? Wir können es nicht erklären, was da wirklich passiert ist in dieser stürmischen Nacht auf dem See Genezareth. Aber am Ende haben die Jünger einen Mann mehr an Bord. Jesus ist mit im Boot. Der Sturm legt sich. Die Jünger sind gerettet. Ja, in größter Gefahr schickt Gott uns Himmelboten, die unsere Rettung sind. Daran erinnert mich der Rettungsring, der heute hier in der Kirche am Altar steht. Damals bei den Jüngern in Seenot, da kam Jesus selbst als Rettung für die Jünger.

Ich weiß nicht, was Sie, liebe Jubilare, von dieser biblischen Geschichte halten mit ihren Ungereimtheiten, die sich naturwissenschaftlich nicht erklären lassen: Jesus läuft über das Wasser? Das kann doch überhaupt nicht sein! Petrus, so erzählt uns die biblische Geschichte, sieht das genauso: Entweder ist das alles Humbug, oder ich kann auch über das Wasser laufen, sagt er sich, und fordert Jesus auf: „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser“ (Mt 14, 28). Jesus lässt sich darauf ein, und tatsächlich- das Experiment klappt zunächst. Petrus geht nicht unter, als er aus dem Boot ins Wasser steigt. Er hat den Blick fest auf Jesus gerichtet: Jesus ist sein Rettungsring. So lange Petrus sich ganz auf Jesus konzentriert, so lange er immer auf Jesus schaut, so lange geht alles gut. Aber dann passiert es. Petrus bekommt auf einmal Angst. Er lässt sich ablenken. Er schaut nach links und nach rechts. Er sieht die hohen Wellen. Er spürt den starken Sturm. Dann ist es vorbei. Petrus geht unter. Er ruft um Hilfe. Jesus muss ihn vor dem Ertrinken retten.

Was können wir heute aus dieser Geschichte lernen? Behalten wir das Ziel im Blick. Vertrauen wir auf Jesus. Er ist unser Rettungsring- unsere Hoffnung im Leben und im Sterben, wie es im Heidelberger Katechismus heißt. Ihnen, liebe Jubilare, wünsche ich diesen Halt im Leben, auch für Ihren weiteren Lebensweg. Dass Sie immer darauf vertrauen können und es auch immer wieder erleben dürfen: Gott schickt Rettung und hilft in der Not. Und dass Sie für sich immer wieder die Auszeiten nehmen können, die Sie brauchen- Zeiten, in denen Sie zur Ruhe kommen und auftanken können. So wie Jesus selbst das gemacht hat, wenn er sich zum Beten zurückgezogen hat. Jesus Christus ist unser Rettungsring. Bei ihm ist die Quelle des Lebens, aus der wir Kraft schöpfen können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Gedanken zum Sonntag

2. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 2. Sonntag nach Trinitatis, 29. Juni 2025

 

Liebe Mitchristen!

Gestern war ich mit meinem Sohn in Spaichingen im Freibad. Es war ein richtig heißer Sommertag. Beim Schwimmen im Wasser gab es Erfrischung, aber die Hitze machte auch durstig. Also nichts wie hin zum Freibad-Kiosk. Dort steht schon eine lange Schlange durstiger Menschen. Werbeschilder preisen an, was es dort alles Leckeres zu trinken gibt: Bier, Wasser, Limo, Kaffee und Eisgetränke. Endlich bin ich an der Reihe. Eine Flasche Wasser will ich kaufen. Wasser löscht den Durst am besten, finde ich. 3 € kostet die Flasche- ein stolzer Preis für einen halben Liter Wasser. Aber wir haben Durst, also kaufe ich sie.

Zurück auf der Liegewiese setzen wir uns auf unsere Badetücher und trinken das Wasser, Schluck für Schluck. Es tut gut, wie das kühle Wasser die Kehle hinunterrinnt und der Durst langsam verschwindet. Ich lese, was auf der Flasche aufgedruckt ist: „Kostbar“ steht da geschrieben. Ob diese Wasserflasche wohl deswegen so viel gekostet hat, weil es kostbares Wasser ist? Eigentlich ist Wasser immer kostbar, denke ich- nicht nur im Freibad, wo alles ein bisschen teurer ist, weil die Kioskbetreiber ja auch davon leben können müssen. Kostbares, teures Wasser ist für mich eigentlich auch kein Problem. Ich habe ja genug Geld, um es bezahlen zu können, auch wenn die kleine Flasche im Freibad etwas teurer war als sonst. Und bei mir zuhause, da wird mir das Wasser sogar frei Haus geliefert. Ich brauche nur den Wasserhahn aufzudrehen.

In den ärmeren Ländern dieser Erde ist das anders. Viele Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Viele müssen täglich weite Wege gehen bis zur nächsten Wasserstelle, und das Wasser mühsam nach Hause tragen. Durch die Klimaerwärmung verschärft sich dieses Problem noch, und noch mehr Menschen sind von solcher Wasserknappheit und Not betroffen. Wasserknappheit führt zu Konflikten und Kriegen. Und Kriege führen dazu, dass Menschen das Nötigste zum Leben fehlt- Wasser und Nahrung. Oder der Entzug von Wasser und Nahrung wird als Druckmittel eingesetzt in kriegerischen Auseinandersetzungen.

Wasser ist kostbar. Aber teuer sollte es nicht sein, und schon gar nicht unbezahlbar oder unerschwinglich. Denn Wasser ist ein Grundbedürfnis. Ohne Wasser sterben wir schon nach wenigen Tagen. Wasser brauchen wir zum Leben- Wasser und Nahrung. „Auf ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch- sie kosten nichts!“ Mit diesen Worten macht in der Bibel in Jesaja 55, 1 ein Prophet auf sich aufmerksam. Marktschreierisch und mit lauter Stimme preist er seine Waren an: Wasser, Wein und Milch gibt es an seinem Getränkestand, außerdem leckeres Essen: „Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen!“ (Jesaja 55, 2)

Dieser marktschreierische Prophet befand sich nicht in Israel, sondern in Babylon. Aber auch dort war sicher eine Gluthitze, so dass sein Angebot sehr verlockend gewesen sein muss. Und das nicht nur für die Kundschaft mit dem dicken Geldbeutel. Mit seinem lauten Rufen wendet sich der Prophet gerade auch an die, die den halben Liter Wasser nicht bezahlen können, den sie an diesem heißen Tag so dringend bräuchten: „Kommt und kauft ohne Geld!“

Es sind die Menschen, die aus Israel stammen und die hier in Babylon in der Fremde sind, die der Prophet mit seinen Worten ansprechen will. Und diese Menschen werden aufmerksam auf ihn. Plötzlich laufen sie nicht mehr mit leeren Gesichtern und leeren Herzen aneinander vorbei. Plötzlich gibt es da mehr als den üblichen Tunnelblick und Alltagstrott. Plötzlich ist da dieser Gedanke, dieser Geistesblitz: Vielleicht kann man ja doch etwas ändern an den schlimmen Zuständen in der Welt. Vielleicht ist doch nicht alles sinnlos. Vielleicht hat Gott uns ja doch nicht vergessen. Vielleicht ist Gott wirklich für uns da. Für die Israeliten, die nach Babylon verschleppt worden waren, war das alles aus dem Blick geraten. Die erste Generation, die dort in die Fremde nach Babylon verschleppt worden war, die hatte noch die Hoffnung hochgehalten. Die hatte sich noch an den Wasserflüssen von Babylon zu Gottesdiensten versammelt, hatte geweint und gebetet und sich nach ihrer Heimat gesehnt: „An den Flüssen von Babylon saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“ (Psalm 137, 1) Aber die Zeit verging, und mit ihr auch die alte Generation, die die Heimat noch kannte. Und so hängten die Israeliten ihre Harfen in die Weiden, und ihr Gesang verstummte.

Aber die Stimme des Propheten an seinem Marktstand verstummte nicht. Sie wurde umso lauter. Dieser Prophet lebte mit seinem Volk in Babylon im Exil. Wir nennen ihn den zweiten Jesaja. Denn mit seiner Einladung zu hören schöpfte er aus der Botschaft des früheren, des ersten Propheten Jesaja. „Hört doch auf mich!“ sagt die Stimme des zweiten Jesaja. Hört, was Gott euch sagen will: Gebt euer Geld nicht für Sinnloses aus. Investiert nicht in das, was den Tod bringt. Investiert in das Leben! „Warum wollt ihr Geld ausgeben für das, was kein Brot ist? Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht?“ (Jesaja 55, 2) „Ich will mit euch einen Bund schließen, der für immer besteht.“ (Jesaja 55, 3) Ich habe euch nicht vergessen, niemals. Mein Wort gilt immer und ewig. Ich lasse euch nicht im Stich. Egal, wo ihr seid. Ihr braucht keine großen und beeindruckenden Gotteshäuser, um mich anzubeten. Ich braucht keine megamäßigen Versammlungen und Großveranstaltungen. Ja, auch in der Fremde bin ich immer bei euch, auch hier in Babylon, fern von Jerusalem. Auch wenn der Jerusalemer Tempel zerstört ist und dort kein Stein mehr auf dem anderen steht. Meine Liebe zu euch ist unzerstörbar.

Das lässt die Israeliten aufhorchen, dort im fernen Babylon. Auf einmal gilt es nicht mehr, was ihnen ihre Eltern gesagt haben: Lasst uns die Vergangenheit totschweigen mit all ihren Schrecken. Auf einmal wird der Teufelskreis aufgebrochen, und das Trauma von Vertreibung und zerstörter Heimat wird nicht mehr von Generation zu Generation weitervererbt. Auf einmal ist der stumpfe Blick zu Boden wie weggewischt, und es ist ein Leuchten in ihren Augen. Vielleicht ist es nur eine kleine Veränderung, kaum wahrnehmbar. Aber der Prophet, den wir den zweiten Jesaja nennen, der merkt, was geschehen ist: „Jetzt!“ sagt er. Jetzt ist es soweit – endlich! Jetzt ist eure Sehnsucht erwacht! Jetzt habt ihr gemerkt: Es gibt noch mehr als das tägliche Sich-Abrackern für den Lebensunterhalt.

Essen und Trinken, Wasser und Brot, das brauchen wir zum Leben. Aber wir brauchen noch so viel mehr. Da gibt es einen Hunger, einen Durst nach mehr: die Sehnsucht nach Sinn, nach Erfüllung, nach Leben in Gottes Fülle. Die Sehnsucht nach Gott, der uns gewollt und geliebt hat vom allerersten Anfang unseres Lebens an. Fragt nach ihm! „Sucht den HERRN, jetzt ist er zu finden! Ruft zu ihm, jetzt ist er nahe!“ (Jesaja 55, 6).

Wir Heutigen sind gar nicht so weit weg von den Israeliten damals in Babylon. Äußerlich haben wir, was wir zum Leben brauchen, und kaum jemand von uns muss um das tägliche Brot bangen. Aber innerlich ist da oft diese große Leere, und der Glanz in unseren Augen ist verloschen. Manche tragen die Lasten vergangener Generationen mit sich herum, so wie damals die Israeliten das Trauma von Vertreibung und zerstörter Heimat. Viele machen sich Sorgen um die Zukunft in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, wo Krieg als Mittel der Politik inzwischen schon zur Normalität geworden ist- eine Normalität, an die wir als Christen uns nie gewöhnen dürfen! Andere sind schon völlig abgestumpft, oder sperren die schlechten Nachrichten aus aller Welt aus ihrem Leben aus, weil sie sie nicht mehr ertragen können. Aber Gott schenkt uns neuen Glanz in unseren Augen. Gott schärft unseren Blick für die Not unserer Mitmenschen; für Leid und Ungerechtigkeit- hier bei uns und in aller Welt. Gott stillt unseren Lebensdurst. Gott gibt uns das Brot des Lebens in Jesus Christus, seinem Sohn. Er lädt uns alle ein an seinen Tisch, damit wir die Schatten der Vergangenheit hinter uns lassen und neue Kraft tanken können für unser Leben. Denn Jesus Christus hat es uns versprochen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch eure Last abnehmen.“ (Matthäus 11, 28)

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Konfirmation

Predigt zur Konfirmation am Sonntag, 18. Mai 2025

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

 

heute ist es so weit. Heute feiert ihr eure Konfirmation. Lange habt ihr euch darauf vorbereitet- fast ein ganzes Jahr lang. Viel haben wir gelernt über Gott und den Glauben. Und auch untereinander seid ihr euch nähergekommen, habt Beziehungen geknüpft und Freundschaften geschlossen. Die Zeit, die wir in der Konfirmandengruppe miteinander verbracht haben, ist nun zu Ende. Ich wünsche euch, dass vieles bleibt: die Kontakte, die ihr untereinander geknüpft habt, und auch der Kontakt zu Gott. Mit Gott wart ihr ja schon immer in Kontakt. Gott kennt euch vom ersten Atemzug eures Lebens an. Er hat euch seine Liebe gezeigt, indem er euch Menschen zur Seite gestellt hat, die für euch da sind. Heute sind sie mit euch in den Gottesdienst gekommen: Eure Eltern und Großeltern, eure Paten und Geschwister, eure Verwandten und Freunde.

 

Von Anfang an war auch Gott für euch da: „Er befiehlt seinen Engeln, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Eine aus eurer Konfirmandengruppe hat dieses Bibelwort aus Psalm 91,11 am Tag ihrer Taufe als Taufspruch zugesprochen bekommen. Und ab heute ist dieser Spruch auch ihr Konfirmationsspruch. Das zeigt: Dass Gott uns behütet und beschützt, dass Gott uns seine Engel schickt, das brauchen wir nicht nur, wenn wir noch klein sind- so wie die meisten von uns es bei ihrer Taufe waren. Gottes Schutz und Begleitung brauchen wir unser ganzes Leben lang.

 

Jede Lebensphase hat ihre eigenen Herausforderungen. Immer brauchen wir Gott und seine Hilfe, um diese Herausforderungen gut bewältigen zu können. Ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden seid jetzt in einer Lebensphase, wo ihr mehr und mehr auf eigenen Füßen steht und eure eigenen Wege durchs Leben geht. Das ist großartig, wenn man das Leben so vor sich hat, wenn man mehr und mehr selbständig wird und eigene Entscheidungen trifft. Manchmal kann es aber auch belastend sein. Denn bei den großen Lebensentscheidungen können wir die Tragweite kaum ermessen: Hoffentlich entscheide ich mich richtig, denke ich dann. Hoffentlich werde ich diese Entscheidung später nicht bereuen. Ja, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden: Ihr dürft euch darauf verlassen: Ihr seid nicht allein bei euren Entscheidungen. Gott ist bei euch. Er schickt euch seine Engel. Ihr werdet es manchmal merken, dass sie euren Weg kreuzen- oder sich sogar euch in den Weg stellen, um euch vor falschen Entscheidungen zu bewahren.

 

Gott lässt uns nicht allein. Er gibt uns Halt im Leben- wie ein Geländer, an dem ich mich festhalten kann in steilem Gelände, damit ich nicht vom Weg abkomme und haltlos in die Tiefe stürze. So ein Halt im Leben sind die 10 Gebote, die wir vorher von euch gehört haben. Wenn ich mich an die halte, dann komme ich gut durchs Leben. Soll ich nun vor jeder größeren Entscheidung, die ich im Leben zu treffen habe, erstmal an meinen 10 Fingern die 10 Gebote abzählen? Das wäre sicherlich kein Fehler. Aber manchmal muss ich vielleicht so kurzfristig entscheiden, dass nicht einmal das mehr möglich ist. Dann kann ich mich immer noch auf das besinnen, wie Jesus die 10 Gebote zusammengefasst hat: Gott lieben, meinen Mitmenschen lieben, und auch mich selbst lieben (Mt 22,37-39).

 

Für euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, ist die Liebe ganz zentral. „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Dieses Bibelwort aus 1. Joh 4,16 haben sich gleich zwei von euch als Konfirmationsspruch ausgesucht. Dieser Spruch gibt auch Antwort auf eine schwierige Frage: Wie kann ich mir Gott vorstellen? Ich kann Gott ja nicht sehen, nicht hören, nicht tasten, nicht riechen und nicht schmecken. Und doch kann ich Gott erfahren, lehrt dieses Bibelwort: Gott erfahre ich immer dann, wenn ich Liebe erlebe, denn Gott ist die Liebe. Und die Liebe unter uns Menschen ist Gottes größtes Geschenk an uns. Wenn wir in der Liebe bleiben, dann bleiben wir in enger Verbindung mit Gott.

 

Aber wie merke ich, ob die Liebe echt ist, oder ob sich jemand nur bei mir einschmeicheln will oder sich gar einen üblen Scherz mit mir erlaubt? „Lasst uns nicht lieben bloß mit Worten und mit dem Munde, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.“ (1. Joh 3,18) So heißt es auch in einem der Bibelworte, die ihr für den heutigen Tag ausgewählt habt. Um die Wahrheit geht es in diesem Bibelwort. Liebe muss wahrhaftig und ehrlich sein. Mit den Gefühlen anderer Menschen darf ich nicht spielen. Und auch meine eigenen Gefühle soll ich ernstnehmen. Wahrhaftige und echte Liebe- das ist, wenn ich dem anderen auch sagen kann, wo er mich verletzt hat. Dann können wir zusammen einen Neuanfang machen. Denn wenn ich nicht über meine Verletzungen reden kann, dann können sie auch nicht heilen. Dann bleibt dieses Unausgesprochene ein Dauerthema und belastet unsere Beziehung.

 

Sich gegenseitig die Wahrheit sagen zu können, das ist wichtig in der Liebe. An der Wahrheit merke ich, ob die Liebe echt ist oder nur süßes Gesäusel. An der Wahrheit und an der Tat. Sich gegenseitig helfen und unterstützen, das ist wahre Liebe. Und wahre christliche Liebe zeigt sich nicht nur gegenüber den Menschen, die mir am allernächsten stehen wie Familie und Freunde. Wahre Liebe zeigt sich vor allem gegenüber den Menschen, die sie am meisten brauchen- die Schwachen, die Kranken, die Gemobbten.

 

Konfirmation, das bedeutet: Bekräftigung, Bestärkung. Der Segen, den ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden heute empfangt, der soll euch bestärken in eurem Glauben und auf eurem Lebensweg. Mit dem Konfirmationsversprechen, das ihr heute ablegt, bekräftigt ihr eure Taufe mit eurem eigenen Ja. Das ist der Sinn der Konfirmation- dass ihr selbst Ja sagt zu eurer Taufe. Und wir alle freuen uns mit euch und feiern mit euch eure Ja zum christlichen Glauben- das Ja zu Jesus Christus, der uns versprochen hat: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ (Joh 11,25) Auch so ein Bibelwort, dass eine von euch sich als Konfirmationsspruch ausgesucht hat. Ja, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden: Ihr dürft euch darauf verlassen: Der Glaube an Jesus Christus trägt. Ein ganzes Leben lang und darüber hinaus.

 

Immer bei Gott bleiben, das ganze Leben lang und darüber hinaus, davon hören wir auch in dem Konfirmationsspruch aus Psalm 23,6, den sich gleich drei von euch ausgesucht haben: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, das wünsche ich euch allen: Gottes Güte, Gottes Barmherzigkeit auf allen euren Wegen. Möge Gottes Segen euch durchs Leben begleiten. Möge Gott immer eure Zuflucht und euer Zuhause sein.

 

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Gedanken zum Sonntag

Konfirmation

Predigt zur Konfirmation am 11. Mai 2025

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

 

ihr habt viel gelernt über den christlichen Glauben in unserer Konfirmandenzeit. Nun feiert ihr Konfirmation, und wir können auch etwas von euch lernen. Denn auch wir, die Erwachsenen, können noch viel lernen über den christlichen Glauben. Als christliche Gemeinde sind wir ein Lerngemeinschaft. Gemeinsam sind wir unterwegs auf dem Weg des Glaubens. Wenn wir uns gegenseitig zuhören- nicht nur die Jugendlichen den Erwachsenen, sondern auch die Erwachsenen den Jugendlichen- dann können wir viel voneinander lernen. Dann ist unsere Kirchengemeinde ein Ort des lebendigen Austauschs über den christlichen Glauben.

 

Heute hören wir, was ihr als Jugendliche über den christlichen Glauben denkt, was euch daran wichtig ist- am heutigen Tag eurer Konfirmation und darüber hinaus. Denn auch wenn die Konfirmation der Abschluss ist von unserem gemeinsamen Konfirmandenjahr: Die Konfirmation ist eigentlich kein Zielpunkt, sondern ein Startpunkt. Ihr startet heute eure eigenständiges Christenleben. Heute ist der Tag, an dem ihr euch öffentlich dazu bekennt: Ja, ich will zu Jesus Christus und zu seiner Kirche gehören. Ich will mich weiter mit dem christlichen Glauben beschäftigen und bin bereit, mich von Gott immer wieder überraschen zu lassen.

 

Was kann euch dabei helfen, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden? Sicherlich die Menschen, die euch wichtig sind und auf eurem Lebensweg begleiten: Eure Freunde, eure Familien. Heute ist Muttertag. Eure Mütter haben euch von Anfang an durchs Leben begleitet. Ihr seid nun keine kleinen Kinder mehr, die rund um die Uhr ihre Mutter brauchen. So besteht für eure Mütter die Aufgabe jetzt darin, euch eure eigenen Wege gehen zu lassen, mehr und mehr- bis aus euch Jugendlichen dann Erwachsene geworden sind. Aber auch im Erwachsenenleben braucht man vertraute Menschen, die für einen da sind und einem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch eure Mutter kann und wird hoffentlich auch in Zukunft so ein Mensch für euch sein. Menschen braucht man, um am Glauben dranzubleiben und den Weg durchs Leben gut meistern zu können. Auch wir hier in der Kirchengemeinde wollen solche Menschen für euch sein. Lasst euch auch weiterhin einladen zu unseren Gottesdiensten und in unsere Räume.

 

Was kann euch noch dabei helfen, dranzubleiben am christlichen Glauben, und euer Leben so zu leben, dass es ein gutes Leben wird- für euch, für eure Mitmenschen, für Gott? Ich hoffe, euer Konfirmationsspruch kann euch auch eine solche Hilfestellung geben auf eurem Lebensweg. Ihr habt die Aufgabe sehr ernst genommen, euch einen Konfirmationsspruch auszusuchen, der zu euch passt. Jede und jeder hat seinen eigenen, ganz persönlichen Bibelspruch ausgewählt. Und so sind es acht verschiedene Konfirmationssprüche, die wir euch heute mit auf den Weg geben.

 

Es ist ein weiter Horizont, der sich aufspannt mit euren Konfirmationssprüchen: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht,“ heißt es in Lk 21,33. Im gestrigen Abendmahlsgottesdienst hatten wir das Thema, wie alles angefangen hat; wie Gott die Welt gemacht hat in seiner unendlichen Weisheit. Mit diesem Konfirmationsspruch schließt sich nun der Bogen- hin zu der Frage: Was wird sein, wenn diese Welt, in der wir leben, an ihr Ende kommt? Die Antwort aus diesem Bibelwort ist: Dann ist Gott immer noch für uns da. Gottes Wort bleibt in Ewigkeit. Auf Gott und sein Wort können wir uns verlassen, auch wenn alles zu Ende ist.

 

Ja, auch am Ende unseres eigenen Lebens gilt das: Gott ist immer bei uns. Gott verlässt uns nicht. Denn Gott ist stärker als der Tod. In Jesus Christus hat er uns gezeigt: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Jesus Christus ist auferstanden von den Toten. So wie Jesus Christus selbst es sagt in einem weiteren Konfirmationsspruch von euch: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ (Joh 11,25) Große und starke Worte sind das, die Jesus Christus hier spricht. Worte, die unseren Glauben stärken und motivieren: Gott ist immer bei uns, egal was passiert. An allen Tagen unseres Lebens und darüber hinaus. Ja, sogar wenn die Welt untergeht: Gott ist immer noch für uns da. Jesus Christus verspricht das seinen Jüngern auch an Himmelfahrt, als er sich von ihnen verabschiedet. Zwischen Ostern und Himmelfahrt war er als Auferstandener sichtbar bei ihnen. An Himmelfahrt endete diese Zeit. Jesus stieg mit seinen Jüngern auf einen Berg. Bevor die Wolke ihn verhüllte und er zu seinem Vater in den Himmel ging, sagte er seinen Jüngern zum Abschied: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Dieses Bibelwort aus Mt 28,20 ist auch ein Konfirmationsspruch von euch.

 

Gott ist immer bei uns. Gott schützt uns. Gott schickt uns seine Engel. Manchmal können wir etwas davon spüren, dass da ein Schutzengel war, der mich vor Gefahr behütet hat. Da war ein Mensch zur rechten Zeit am rechten Ort, und ich bin nicht vom Weg abgekommen. Einer eurer Konfirmationssprüche fasst diese Erfahrung in Worte: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Ps 91,11) Aber manchmal ist es schwierig, Gott zu erfahren. Manchmal gibt es Zeiten im Leben, da spüre ich nicht, dass Gott für mich da ist. Manchmal bete ich, und meine Gebete werden scheinbar nicht erhört. Kann ich trotzdem sicher sein, dass Gott für mich da ist, wenn ich bete? „Gott ist nahe allen, die ihn anrufen.“ (Ps 145,18) So heißt es in einem eurer Konfirmationssprüche.

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden! Ich möchte euch dazu ermutigen, an diesem Glauben festzuhalten: Gott ist da für mich- gerade auch in den schwierigen Zeiten des Lebens. Nicht nur Kummer und Leid können solche schwierigen Zeiten des Lebens ausmachen. Auch Schuld kann unser Leben verdunkeln. Jesus Christus ist für unsere Schuld am Kreuz gestorben und hat sie überwunden. Auf ihn können wir vertrauen- auch dann, wenn vieles schief gelaufen ist in unserem Leben. Wenn wir ihn um Vergebung bitten, dann schenkt er uns einen Neuanfang.

 

Wie kann so ein Neuanfang aussehen? Wie schaffe ich es, mich nicht in Schuld zu verstricken? Nicht immer ist das ein einfacher Weg. Oft ist es ein Kampf. Oft scheint uns das Böse verlockender als das Gute. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,21) So heißt ein weiterer Konfirmationsspruch von euch. Ich wünsche euch, dass ihr diesen Weg gehen könnt in eurem Leben. Dass ihr euch immer wieder für das Gute einsetzt, auch da, wo es schwerfällt. Lasst euch nicht davon abbringen, dass andere das nicht tun, und damit scheinbar gut durchs Leben kommen. Gott will nicht, dass ihr der Dunkelheit Raum gebt in eurem Leben. Gott will für euch ein Leben im Licht. Auch einer von euren Konfirmationssprüchen erinnert daran: „Lass dein Licht leuchten- so wie Gott es in dich gelegt hat,“ heißt es in Mt 5,16.

 

Ja, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden! Gott will, dass ihr leuchtet- für euch, für eure Mitmenschen, für unsere Welt. Denn Gott hat ganz viele und ganz unterschiedliche Begabungen in euch gelegt. Diese Begabungen sind wichtig- und zwar nicht nur die, für die es Schulnoten gibt. Die anderen Begabungen, die Gott in euch gelegt hat, sind genauso wichtig, auch wenn sie sich nicht auf diese Weise messen lassen. Oft brauchen wir diese Begabungen sogar mehr als die anderen. Wir brauchen Menschen, die ein offenes Ohr für andere haben. Menschen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Menschen, die sehen, wo Hilfe benötigt wird, und dann mit anpacken, ohne lange zu überlegen.

 

Von all euren Begabungen ist diese die wichtigste: Füreinander da sein, und den anderen Menschen in Liebe begegnen. Wir haben vorher von Euch die Zusammenfassung der 10 Gebote gehört, die Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat: Gott lieben, den Mitmenschen lieben, mich selbst lieben. Die Liebe ist das wichtigste von allem. Ja, Gott selbst ist die Liebe. Auch dieses Bibelwort ist einer eurer Konfirmationssprüche: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1. Joh 4,16). Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, ich wünsche Euch, dass Euch das gelingt in Eurem Leben: In der Liebe zu bleiben, und im Glauben an Gott. Auf ihn und seine Liebe dürft ihr euch verlassen. Denn Gott hat uns alle von Anfang an geliebt. Aus seiner Liebe leben wir, an jedem Tag unseres Lebens.

 

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Misericordias Domini

Predigt zum Sonntag Misericordias Domini, 4. Mai 2025

Liebe Mitchristen!

Das Bild vom guten Hirten ist in unserer christlichen Tradition tief verwurzelt. Vor einigen Jahren ist es mir um diese Jahreszeit ganz neu vor Augen getreten. Mein jüngerer Sohn ging damals noch zur Schule, und ich war mit ihm im Auto unterwegs. Wir fuhren durchs Eyachtal zwischen Haigerloch und Horb. Auf einmal ging es nicht mehr voran. Eine Schafherde war auf der Landstraße unterwegs. Die grüne Wiese längs der Straße wurde an dieser Stelle durch den Bach zerteilt, und so mussten die Schafe ein Stück auf der Straße laufen- wirklich nur ein kurzes Stück. Aber uns kam es damals sehr lang vor, bis Hunderte von Schafen ihren Weg gefunden hatten. Und es war ein merkwürdiges Gefühl, so im Auto zu sitzen und von laut mähenden Schafen umringt zu sein. Die Autofenster haben wir dann doch lieber zugemacht, damit die Schafe uns nicht zu nahekamen, und auch wegen dem strengen Geruch der Schafe. Zu unserem Erstaunen überholte uns irgendwann ein Auto. Die Hirtin stieg aus und sammelte die letzten Schafe der Herde um sich. Ein anderer Hirte ging der Herde voran. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten alle Schafe den Weg über die Straße geschafft, und wir konnten mit unserem Auto weiterfahren. 

Mit großer Ruhe und Geduld haben die Hirtin und der Hirte ihre Arbeit gemacht. Die grüne Aue und das frische Wasser, von denen der Psalm 23 in der Bibel berichtet, haben wir auch erlebt an diesem Nachmittag. Aber eben auch Schafdreck und Gestank. Sehr bodenständig und erdverbunden schien mir das Hirtendasein nach diesem Erlebnis- sicherlich eine harte und anstrengende Arbeit. Und wie anstrengend muss das Hirtenleben erst sein in Gegenden, wo auch der Wolf wieder heimisch geworden ist. Da müssen die Hirten ihre Herden schützen- mit Wolfsschutzzäunen und Herdenschutzhunden.

Ein kontroverses Thema, ob der Wolf wieder seinen angestammten Platz bekommen soll in unseren Wäldern. Ja, der Wolf gehört zur natürlichen Tierwelt bei uns. Und doch tun wir uns schwer mit seiner Rückkehr- nicht nur die Hirten, die handfeste wirtschaftliche Gründe dafür haben. In unserem kulturellen Gedächtnis verkörpert der Wolf die dunkle, gefährliche Seite des Lebens- das, was uns Angst einjagt. So haben wir den Wolf schon als Kinder kennen gelernt- im Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Dass diese Vorstellung mit dem realen Wolf womöglich gar nichts zu tun hat, ändert daran wenig. Ängste haben ihre eigene Realität.

Für die Menschen zur Zeit Jesu waren Wölfe und andere wilde Tiere keine fremden Wesen aus einer Märchenwelt. Sie waren eine ganz reale Bedrohung für Mensch und Tier. Vor diesem Hintergrund verstehen wir besser, was Jesus meint, wenn er sagt: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht- und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie.“ (Joh 10,11-12) Der Mietling ist ein Lohnarbeiter, der für den Besitzer der Schafherde die Schafe hütet. Die Schafe gehören ihm nicht, aber er hat die Verantwortung für sie. Jetzt kommt der Wolf. Der Lohnarbeiter bekommt Angst und läuft weg. Die Schafe lässt er dabei im Stich; sie werden vom Wolf angefallen.

Der Wolf kommt- das Dunkle und Gefährliche bricht in mein Leben ein. Wann habe ich das schon erlebt? Und was war das für ein Wolf? Ein Schicksalsschlag, der mich aus der Bahn geworfen hat? Eine Krankheit? Oder ein Mensch, der bedrohlich war für mich? Wie habe ich auf diesen Wolf reagiert? Bin ich weggelaufen, so wie der Lohnarbeiter in der Geschichte von Jesus? War es die richtige Entscheidung, wegzulaufen? Oder hätte ich bleiben sollen, um der Gefahr ins Auge zu sehen, um andere vor dieser Gefahr zu schützen?

Es gibt viele Wölfe, die unser Leben überschatten können: Angst und Leid, Hass und Neid. Von Anfang an war das so. Die Bibel erzählt schon auf ihren ersten Seiten davon (1. Mose 4): Da ist Kain, der es nicht ertragen kann, dass sein Bruder Abel bei Gott einen Stein im Brett hat. Dabei hat Kain eigentlich alles, was er braucht. Er hat seinen Acker. Er hat eine gute Ernte eingefahren. So könnte er dankbar und zufrieden sein. Aber der Neid auf seinen Bruder Abel verdunkelt sein Leben. Finster senkt er seinen Blick. Diese dunklen Gefühle von Kain werden für seinen Bruder Abel zu einer realen Bedrohung. Kain lockt seinen Bruder in einen Hinterhalt und erschlägt ihn. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Ja, sogar dem eigenen Bruder, für den er doch eigentlich hätte da sein sollen. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ sagt Kain zu Gott (1. Mose 4,9). Ja, das hätte er sollen.

Hirten sollen wir füreinander sein. So sollen wir miteinander gegen die Dunkelheit kämpfen- gegen den Wolf, gegen alle Angstmacherei und rechte Hetze, die uns auseinanderdividieren will. Die Menschenrechte gelten für alle Menschen gleich- das muss auch in unserem Land uneingeschränkt gelten. Wenn eine Partei sich nicht daran hält, dann ist es richtig, diese als gesichert rechtsextremistisch einzustufen. Gott jedenfalls macht keine Unterschiede zwischen den Menschen. Für Gott ist es egal, ob jemand Migrationshintergrund hat oder nicht. Er fragt nicht nach Herkunft, Aussehen und Sprache. Jesus sagt: „Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“ (Joh 10,16)

Hirten sollen wir füreinander sein- auf lateinisch: Pastoren. Und ich sage bewusst: Wir. Denn das gilt für uns alle- nicht nur für die hauptamtlichen Pastoren, Pfarrerinnen und Pfarrer. Und so freut es mich besonders, heute in diesem Gottesdienst Christina Hauser für ihre neue Aufgabe als Altenheim-Gottesdienst-Leiterin einsegnen zu dürfen. Hirten sollen wir füreinander sein, ja Pastoren. Das ist ein hoher Anspruch- nicht nur an uns Pfarrerinnen und Pfarrer, auch an alle anderen, die ernsthaft Jesus Christus nachfolgen wollen. Können wir diesem Anspruch überhaupt gerecht werden? Immer wieder gibt es da auch die Erkenntnis: Ich kann es nicht allen recht machen. Manchmal folgt darauf die schmerzliche Erfahrung: Für diese Menschen habe ich nicht so da sein können, wie sie es gebraucht hätten. Dann geht es mir wie diesem Lohnarbeiter, von dem Jesus erzählt: „. Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht.“ (Joh 10, 12)

Manchmal versagen wir, und handeln so wie dieser Mietling. Wir sind nur Menschen. Alle unsere Versuche, füreinander da zu sein, sind immer nur Stückwerk. Vieles gelingt, und es ist gut. Aber immer wieder versagen wir auch. Deswegen brauchen wir Jesus Christus. Er ist mehr als nur ein Mensch: Jesus Christus, Gottes Sohn. Er ist für uns da. Er ist der gute Hirte. Er lässt sein Leben für seine Schafe. Er ist nicht weggelaufen vor der Dunkelheit, vor dem Wolf, der uns bedroht. Er hat dem Wolf ins Gesicht geschaut und hat ihn besiegt. Sünde, Leid und Tod- all das, was unser Leben kaputtmacht- Jesus Christus hat es überwunden. Er ist für uns in den Tod am Kreuz gegangen und ist auferstanden zu neuem Leben- Leben in Fülle.

Die Bruchstücke unseres Lebens fügt er zusammen und macht es ganz und heil. Nur aus eigener Kraft können wir es nicht schaffen, dass wir füreinander da sind und unser Leben so leben, dass es gut ist für uns und die anderen. Aber wenn wir uns an Jesus Christus halten als unseren guten Hirten, dann können wir getrost in die Zukunft gehen und die Lasten der Vergangenheit hinter uns lassen. Wir haben einen Hirten, der für uns da ist. Aus dieser Quelle schöpfen wir die Kraft, dass wir auch füreinander da sein können.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer