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Gedanken zum Sonntag

3. Advent

 

Predigt zum Posaunenchor- Jubiläum am 3. Advent, 15.12.2024

Liebe Mitchristen!

Eintracht. Viele Chöre und Musikvereine tragen dieses Wort in ihrem Namen. Was ist der Grund dafür? Sie, liebe Bläserinnen und Bläser unseres Posaunenchors werden es wissen. Seit 50 Jahren gibt es den Posaunenchor nun in unserer Gemeinde. Angeregt durch Pfarrer Bender könnten am 27.08.1074 im Gemeindesaal 6 Bläser begrüßt werden. Im Laufe der Zeit wuchs der Chor auf 13 Bläser an. Der Posaunenchor ist aus dem gemeindlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Sonntags- und Festtagsgottesdienste musikalisch zu begleiten. Auch bei den Gottesdiensten im Grünen tut er regelmäßig seinen Dienst- früher auch in den Außenorten, z. B. in Egesheim, wie die Egesheimer Chronik berichtet.

Seit 1988 hat Herr Willi Gurt aus Gosheim die Aufgabe der Chorleitung in großer Treue übernommen. So wird der Dienst des Chores in der Gemeinde nach altbewährter Tradition fortgeführt: „Gott loben, das ist unser Amt“ – diesen Auftrag können wir Posaunenchöre am leichtesten erfüllen nach dem Leitspruch von Johann Sebastian Bach: „soli deo gloria“ (Allein Gott sei Ehr), so Willi Gurt.

Eintracht. So heißt unser Posaunenchor nicht. Aber Eintracht ist nötig für ein harmonisches und melodisches gemeinsames Musizieren, so wie es unser Posaunenchor seit 50 Jahren pflegt. „Seid einträchtig gesinnt untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ (Römer 15, 5b-6). Auch der Apostel Paulus sagt uns in diesem Bibelwort: „Gott loben, das ist unser Amt.“ Einmütig sollen wir Gott loben, sagt er uns. Wie aus einem Munde soll das Lob kommen. Und doch darf es vielstimmig sein. Das lehren uns all die Chöre und Musikvereine, die das Wort „Eintracht“ in ihrem Namen führen. Das lehrt uns auch unser Posaunenchor: Einträchtig gesinnt sein und einmütig Gott loben- das können wir auch in der Verschiedenheit, die uns ausmacht. Jede und jeder von uns hat eine besondere Klangfarbe beizutragen zum einmütigen Lob Gottes. Und wenn es im Posaunenchor nur die Posaune gäbe, und nicht auch noch die Trompete, die Hörner und die Tuba, dann würde der Posaunenchor wohl eher eintönig statt einmütig klingen. Aber so ist es ja zum Glück nicht.

Wir loben Gott in der Vielstimmigkeit, die er uns geschenkt hat. In einem Chor wissen wir diese Vielstimmigkeit zu schätzen und genießen die klangliche Vielfalt, die sich daraus ergibt. In anderen Bereichen des Lebens fällt es uns leider oft schwerer, eine solche Eintracht in der Vielfalt, eine solche Einmütigkeit in der Verschiedenheit zu leben. Auch der Apostel Paulus hatte beim Schreiben des Römerbriefs eine Situation vor Augen, wo man sich schwer tat mit der Eintracht und der Einmütigkeit. In der Gemeinde in Rom gab es unterschiedliche Gruppen, die sich argwöhnisch gegenüberstanden. Da gab es die einen, die vom Judentum herkamen und wie gewohnt die jüdischen Bräuche und Vorschriften befolgten. Sie beachteten besondere Zeiten und aßen oft kein Fleisch, weil dies nach heidnischem Ritus geschlachtet wurde. Dann gab es die andere Gruppe, die nicht vom Judentum herkam und keine solchen Vorgaben und Gesetze befolgte. Paulus versuchte, zwischen diesen beiden Gruppen zu vermitteln: Wer sich nicht an die jüdischen Gesetze gebunden fühlt, soll sich deswegen nicht über die anderen erheben. Geht aufeinander ein. Achtet darauf, was die anderen benötigen. Jeder soll so handeln, wie es seinem Mitmenschen gefällt. Das tut diesem gut, und hilft, ihn aufzubauen. So die guten Ratschläge des Apostels Paulus, die heute genauso aktuell sind wie in der damaligen Zeit.

„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat.“ So bringt Paulus seine guten Ratschläge auf den Punkt (Röm 15, 7). An diesem Bibelwort ist mir der zweite Teil besonders wichtig: Christus hat mich angenommen- er, der Spross aus der Wurzel Isais, der aufstehen wird, um über die Völker zu herrschen (Jes 11,10). Jesus Christus, der an Weihnachten zu uns kommt als kleines Kind in der Krippe. Er kommt im Frieden, ohne alle Zeichen äußerer Macht. Auf ihn darf ich vertrauen und mich darauf verlassen: Er, Jesus Christus hat mich angenommen. Das gibt mir die Kraft, andere anzunehmen- auch die, mit denen ich mich schwer tue, weil sie scheinbar so anders sind als ich. Ja, wir sind von Jesus Christus angenommen- trotz allen unseren Fehlern und Schwächen. Trotz allem Argwohn, mit dem wir uns begegnen. Obwohl es uns immer noch leichter fällt, zu sagen was uns trennt und uns in Gruppen und Kreise aufzuspalten, als das gemeinsame zu betonen und trotz aller Unterschiedlichkeit miteinander zum Lobe Gottes zu feiern- auch ökumenisch. Wir sind von Jesus Christus angenommen. Obwohl wir viel zu oft tatenlos schweigen, wenn Menschen anderen Glaubens und anderer Herkunft in unserem Land unfair behandelt oder gar drangsaliert und angegriffen werden. Wir sind von Jesus Christus angenommen. Obwohl wir uns selbst oft nicht annehmen können, weil wir unzufrieden mit uns sind und enttäuscht von uns, obwohl wir an uns zweifeln und an dem, was wir erreichen oder bewirken.

„Bereitet dem Herrn den Weg: Denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ So heißt es im Wochenspruch für die 3. Adventswoche (Jesaja 40,3+10). Ohne äußere Macht kommt Jesus Christus als Kind in der Krippe zu uns, und doch gewaltig, denn er nimmt die Last der Welt auf sich. Durch sein Kommen verändert sich etwas: Wir sind von Jesus Christus angenommen. Überall, wo diese Botschaft im Herzen von Menschen aufleuchtet, verändert sich etwas in der Welt. Manchmal ist es die Musik, die unsere Herzen so bewegt. Manchmal ist es ein gutes Wort, oder ein ermutigender Blick, der uns diese Hoffnung schenkt: Hoffnung ist die Geduld und die ermutigende Zuversicht. Hoffnung gibt uns die Kraft, mit der wir den annehmen können, der ankommt und der uns annimmt- so wie wir sind: Jesus Christus.

Immer dann, wenn es uns gelingt, uns selbst und unsere Mitmenschen anzunehmen, leuchtet etwas von dem Licht Christi auf- manchmal ganz unauffällig und unspektakulär. Und doch: Wo etwas von diesem Licht erstrahlt, das geschieht etwas Gewaltiges, mitten in der unserer Welt. Nach Paulus gibt es ein Zeichen, in dem diese Hoffnung erkennbar aufscheint: Gemeinsam singen und musizieren, und mit Freude im Herzen Gott zusammen loben- so wie wir sind, oft getrennt und in vielem uneins, manchmal schwach und ratlos, zögerlich oder zweifelnd. So wollen wir es auch heute miteinander tun, mit unseren Stimmen und mit den Instrumenten unseres Posaunenchors, denn: Gott loben, das ist unser Amt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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2. Advent

Predigt zum Thema „Weihnachten im Knast“

 

Liebe Mitchristen!

 

Weihnachten feiern im Gefängnis- geht das? Ist Weihnachten nicht eher ein Fest für die, deren Leben in geordneten Bahnen verläuft? Die, bei denen alles klar geht: Wohnung, Beruf, Familie – was ebenso zum Leben gehört. Menschen, die gemütlich unter dem Weihnachtsbaum sitzen und mit ihren Kindern die Geschenke auspacken können. Wer so denkt, hat natürlich nicht ganz Unrecht. So kennen wir Weihnachten. Und auch, wenn wir Weihnachten vielleicht nicht jedes Jahr so gefeiert haben, dann hatten wir trotzdem das Gefühl: So sollte Weihnachten sein, so ist es richtig. Aber Weihnachten ist mehr als das, was wir uns normalerweise darunter vorstellen. Weihnachten ist mehr als nur gemütliche Familienidylle unter dem Weihnachtsbaum. Deswegen feiere ich auch mit den Gefangenen im Rottweiler Gefängnis jedes Jahr am 24. Dezember einen Weihnachtsgottesdienst- zusammen mit meinem katholischen Kollegen Diakon Leibrecht und musikalisch begleitet vom Rottweiler Posaunenchor. Dies ist ein Teil meiner Aufgabe als Gefängnisseelsorgerin für das Rottweiler Gefängnis.

 

Im Gefängnis ist es nicht gemütlich. Wenn ich dort im Gefängnis Weihnachten feiere, dann denke ich daran, dass es in Bethlehem im Stall sicherlich auch nicht gemütlich war. Maria und Josef waren Fremde in dieser Stadt Bethlehem. Sie waren von weither gekommen und wussten nicht, wo sie die Nacht verbringen sollten. Letztendlich mussten sie mit einer Notunterkunft vorliebnehmen. Dort im Stall hat Maria ihr Kind zur Welt gebracht. In eine Futterkrippe hat sie es legen müssen, denn Maria und Josef hatten sonst nichts.

 

Wenn ich Weihnachten feiere mit den Gefangenen, deren Leben nicht in geordneten Bahnen verläuft, dann denke ich daran, dass das Leben von Maria und Josef auch nicht in geordneten Bahnen verlief. Es war ganz aus der Bahn geworfen worden durch die Schwangerschaft und die Geburt des Jesuskindes. Sicher hätten die beiden sich erst später ein Kind gewünscht. Sicher hätten sie erst heiraten wollen, dann vielleicht noch etwas Geld sparen für die gemeinsame Wohnung. Josef konnte es erst gar nicht fassen, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Zuerst wollte er Maria sogar verlassen, weil er dachte, sie hätte ihn betrogen. Gott konnte ihn gerade noch davon abbringen, indem er im Traum einen Engel zu ihm schickte.

 

Die Volkszählung brachte dann vollends alles durcheinander für Maria und Josef und ihr ungeborenes Kind. Wie kann man ein junges Paar mit einer hochschwangeren Frau auf eine solch beschwerliche Reise schicken, von Nazareth nach Bethlehem! Von Weihnachtsstimmung war nichts zu spüren damals, stattdessen einfach nur ein großes Durcheinander- äußerlich und innerlich. Denn Maria und Josef werden dieses Durcheinander sicherlich auch als ein Durcheinander der Gefühle erlebt haben: Zunächst einmal ist da das Gefühl der Ohnmacht: „Wir werden ungerecht behandelt, und wir können nichts dagegen machen. Die Mächtigen machen ihre Beschlüsse, und wir kleinen Leute müssen es ausbaden.“ Dann das Gefühl der Wut: „Denen sollte man es mal richtig zeigen, diesen Mächtigen in Rom, die da in ihren Palästen sitzen, und uns arme Leute macht man kaputt!“ Schließlich kommt das Gefühl der Verzweiflung: „Was da von uns verlangt wird, dieser weite Weg nach Bethlehem, das schaffen wir einfach nicht! Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll!“

 

Ohnmacht, Wut und Verzweiflung – diese Gefühle begegnen mir oft, wenn ich als Gefängnisseelsorgerin mit Gefangenen zu tun habe. Und auch außerhalb des Gefängnisses kennen wir diese Gefühle nur zu gut. Weihnachtliche Gefühle stellen wir uns anders vor. Ein Wunder, dass es trotzdem Weihnachten geworden ist für Maria und Josef. Ein Wunder, dass Josef nicht durchgedreht ist und einfach dreingeschlagen hat, bei all der ungerechten Behandlung, die er und seine Maria erlebt haben. Ein Wunder, dass er nicht verzweifelt ist und sich selbst aufgegeben hat. Dass er nicht vor der harten Wirklichkeit geflüchtet ist in irgendwelche Scheinwelten wie Drogen oder Alkohol. Denn Ohnmacht, Wut und Verzweiflung können leicht die Oberhand gewinnen und Menschen kaputt machen. Sie können der Grund sein, warum Menschen so weit kommen, dass sie Weihnachten im Gefängnis feiern müssen.

 

Genau darum erzähle ich auch den Menschen im Gefängnis vom Wunder der Weihnacht. Davon, dass Ohnmacht, Wut und Verzweiflung nicht das letzte Wort haben müssen. In diese harte und brutale Welt schickt Gott ein kleines Kind. Denn nicht das Harte und Brutale kann die Welt zum Guten ändern, sondern allein die Liebe. Durch die Liebe wird die Welt gerettet. In Jesus Christus kam die Liebe in die Welt. Er hat so viel Ungerechtigkeit erleiden müssen, schon als kleines Kind in der Krippe, und erst recht später, als er unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Aber er hat diese Ungerechtigkeit durch Liebe überwunden. Er hat alle Schuld der Welt auf sich genommen, als er am Kreuz gestorben ist. Er hat auch die Verzweiflung überwunden. Durch seine Auferstehung hat er gezeigt, dass es weiter geht, auch da, wo wir keinen Ausweg mehr sehen.

 

Jesus Christus schenkt uns Hoffnung. Aus dieser Hoffnung heraus können wir unser Leben neu überdenken. Wir können dankbar sein für das Gute und Schöne, was wir in unserem Leben schon erleben durften. Ob wir in Freiheit leben oder im Gefängnis- wir dürfen uns darauf verlassen, dass trotz allem, was in unserem Leben schief gelaufen ist, einer da ist, der uns nicht fallen lässt: Jesus Christus, der die Armseligkeit und Verworrenheit dieser Welt am eigenen Leib erfahren hat. Im Stall von Bethlehem ist er für uns zur Welt gekommen. Er schenkt uns die Liebe – das größte Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen. Bereiten wir uns vor auf sein Kommen- jetzt im Advent!

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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1. Advent

Predigt zum 1. Advent, 1. Dezember 2024

Liebe Mitchristen!

Advent heißt: Jesus kommt zu uns. Dabei denke ich an die Geschichte, wie Jesus in Jerusalem eingezogen ist (Matthäus 21, 1-11)- wie ein König, und doch ganz anders: Auf einem Esel reitet Jesus. Jesus kommt nicht auf dem hohen Ross zu uns. Warten auf den König- vor einigen Monaten haben das wir an den Fernsehbildschirmen miterlebt, als in England König Charles gekrönt wurde. Eine große Menschenmenge hatte sich da vor dem Palast versammelt, und gespannte Erwartung lag in der Luft. Viele der Menschen haben sich dem Anlass entsprechend gekleidet- in den Farben des Königreichs, oder mit einer Papierkrone auf dem Kopf. Dann öffnet sich die Balkontür. Die Menge wird unruhig. Alle recken die Hälse, denn jeder versucht, einen Blick zu erhaschen. Endlich betreten die Royals den Balkon. Begeisterung brandet auf. Fähnchen werden geschwenkt. Menschen winken und jubeln dem König zu.

Ein König kommt- das ist ein Festtag, mit einer feiernden und begeisterten Menschenmenge- in London in unserer Zeit genauso wie damals in Jerusalem zur Zeit von Jesus: Zweige wurden da von den Bäumen gerissen zum Winken wie mit Fähnchen. Kleider wurden auf der Straße ausgebreitet wie ein roter Teppich. Jesus, der Sohn Davids, zieht in Jerusalem ein, in die Davidsstadt, mit der so viele biblische Hoffnungen und Verheißungen verbunden sind: Das dort die Völker in friedlicher, versöhnungsbereiter Absicht zusammenströmen und sich versammeln und dass von dort aus die Botschaft des Friedens alle Völker in der Welt erreichen soll. Dass Gott von dort aus sein Versprechen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde erfüllen wird: Mit dem himmlischen Jerusalem, der Tochter Zion, die mit ihren edelsteingeschmückten Toren auf das Kommen von Jesus wartet wie eine geschmückte Braut auf ihren Bräutigam: „Tochter Zion, freue dich!“ haben wir vorher miteinander gesungen.

Das sind Friedenshoffnungen, die weh tun in der heutigen Zeit, in einer von Kriegen zerrissenen Welt. Im Heiligen Land ist Krieg, Gaza liegt in Schutt und Asche, und der Waffenstillstand mit der Hamas im Libanon ist brüchig. Wir hoffen auf Gottes neue Welt des Friedens und der Gerechtigkeit: Ewigkeitssonntag und 1. Advent liegen nicht nur im Kalender nahe beieinander. Am 1. Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Dieser neue Anfang steht für Gottes Neuanfang: Das Reich Gottes kommt.  Mit der ersten brennenden Kerze am Adventskranz zieht Hoffnung in mein Herz ein. Es wird nicht immer alles so bleiben, wie es ist. Jesus wird kommen- der Heiland der Welt, der das Zerbrochene heil macht.

Advent ist die Vorbereitung auf das Kommen Jesu in meinem Leben. Der 1. Advent ist eine Wegmarke, ein Moment zum Innehalten. Alltag und Arbeit dürfen jetzt einmal ruhen: Jesus kommt. Darauf bereite ich mich vor. Das möchte ich feiern. Die Kerzen auf dem Adventskranz begleiten mich durch diese Zeit. Mit jeder entzündeten Kerze erhellt sich auch das Licht in mir. Jesus kommt in mein Leben. Er ist schon da, aber ich denke gerne und dankbar daran, wie es war, als er in mein Leben gekommen ist. Dankbar bin ich, dass ich Jesus in meinem Leben spüren kann, auch wenn die Zeit trübe und schwer ist, ich Sorgen habe und die Freude wenig Platz hat in meinem Leben. Advent- Jesus kommt in unsere Welt. Mit jeder entzündeten Kerze auf meinem Adventskranz wird es in mir heller, und überstrahlt die Dunkelheit draußen vor der Tür.

Adventskranz, Adventskalender, Weihnachtsdekoration, Wunschzettel und Weihnachtsmärkte. Das alles kann hilfreich sein, um sich auf das Fest einzustimmen, auf das Kommen von Jesus. Aber was dem einen hilfreich ist, kann dem anderen auch hinderlich dabei sein, sich wirklich vorzubereiten auf Weihnachten. „Was wünscht du dir zu Weihnachten?“ habe ich neulich meinen Sohn gefragt. „Lass mich in Frieden mit Weihnachtswünschen!“ hat er mir geantwortet. In dem Moment, als ich ihn gefragt habe, hat er es ganz offensichtlich als Belastung erlebt, sich krampfhaft einen Weihnachtswunsch überlegen zu müssen, und deshalb geantwortet: „Lass mich in Frieden damit.“ Keine sehr freundliche Antwort, aber eigentlich doch eine ernstzunehmende und zu Advent und Weihnachten sogar sehr passende Bitte.

Frieden wünscht sich mein Sohn- inneren Frieden, Seelenfrieden, Frieden auf Erden. Ja, denke ich- er hat Recht: Frieden, das ist wichtiger als alles Drumherum mit Lichterglanz und Geschenke Besorgen. Das alles sind nur Hilfsmittel. Wenn sie uns helfen, dass Jesus in unser Leben einzieht, dann ist es gut. Dann will ich weiter bei meinem Adventskranz sitzen und mein Herz erwärmen am Licht der Adventskerze. Aber wenn mir das alles nicht dabei hilft, dass ich Gottes Licht heller scheinen sehe in der Welt und in meinem Leben, dann darf ich diese Advents- und Weihnachtsbräuche getrost bleiben lassen. Mein Sohn braucht sich keinen Kopf machen, was er sich zu Weihnachten wünschen soll, wenn er das nicht möchte. Vielleicht fällt mir eine Überraschung für ihn ein. Oder es gibt für ihn zu Weihnachten einfach ein bisschen Geld, das er als Student wirklich brauchen kann.

 „Vorfreude. Einladung zum Advent“ heißt ein Buch von Johannes Kuhn. Auf S. 36 heißt es dort über das Warten auf das Kommen von Jesus: „Warten. Geduldig und bereit, sich auch stören zu lassen, wenn er ganz anders kommt, als wir eigentlich erwartet haben. Vielleicht muss da einiges beiseitegeschoben werden, damit Raum frei wird für ihn. Vielleicht manchmal sogar alles das, was wir als Zeichen der Bereitstellung vorsehen: Adventskranz und Stern, Tannenzweig und Kerzen, Liebesgaben und Lebkuchengebäck. Denn die machen’s nicht, sondern er macht’s. Er, an dessen Kommen Advent uns erinnert. Das heißt doch: Es wird nicht ewig so weitergehen. Wir werden nicht ewig die sein müssen, die wir nicht sein wollen. Wir haben ja gehört: Er kommt als ein Helfer.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

 

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21. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 21. Sonntag nach Trinitatis, 20. Oktober 2024

Liebe Mitchristen!

„Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun.“ So sagt es Jesus in der Bergpredigt (Matthäus 5, 39). Würden Sie diesen Ratschlag Ihrem Kind mit auf den Lebensweg geben? Als Kind bin ich mal auf dem Schulweg verhauen worden. Ich war in der ersten Klasse. Wir wohnten gleich gegenüber von der Schule. Meine Mutter hat es aus dem Fenster gesehen. Sie hat gesehen, dass ich mich nicht gewehrt habe. Ich war ein braves Kind. Hauen, das machen doch nur die Bösen. Ich habe mich gewundert, dass meine Mutter, die sonst immer wollte, dass ich brav bin, nach diesem Vorfall zu mir gesagt hat: „Du musst dich wehren!“

„Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun.“ Jesus hat das konsequent gelebt. Er hat nicht nur Schläge eingesteckt, so wie ich damals auf dem Schulweg. Er ist verhaftet und verurteilt worden. Verspottet und verhöhnt, gefoltert und gekreuzigt ist er worden. „Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun.“ Kann ich, darf ich das als Ratschlag weitergeben an Menschen, denen Böses angetan wird? Wehrt euch nicht? Soll ich das wirklich sagen zu denen, die heute gemobbt und geschlagen werden, die sexuell missbraucht werden? Wehrt euch nicht? Soll das mein Ratschlag sein für die Menschen in der Ukraine, die sich gegen den russischen Angriffskrieg in ihrem Land wehren? Für die Menschen in Israel und im Gazastreifen? Wehrt euch nicht?

Eigentlich wäre ich schon froh, wenn dort wenigstens die alte Regel gelten würde, die die Bibel überliefert, und die Jesus auch zitiert: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ (Matthäus 5, 38). Eigentlich wäre ich schon froh, wenn gelten würde: Jetzt, wo der Anführer der Hamas tot ist, jetzt lasst es gut sein und verhandelt miteinander. Das ist es ja, was Auge um Auge, Zahn um Zahn bedeutet: Jede Seite hat schwere Verluste erlitten. Jetzt lasst es gut sein. Zieht einen Schlussstrich. Macht nicht mehr weiter mit eurem destruktiven Verhalten. Gebt dem Frieden eine Chance. Ich wünsche mir, ja ich bete darum, dass wir in den Kriegsgebieten dieser Welt wenigstens an diesen Punkt kommen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, und dann Schluss. Damit auch wir in unserem Land weiterhin in Frieden leben können.

Aber Jesus will mehr. Jesus reicht das nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Gar nicht wehren soll man sich, sagt Jesus: Wehrt euch nicht! Ich würde es heute nicht mehr so machen wie damals als Erstklässlerin, als ich mich auf dem Schulweg verhauen lassen habe ohne mich zu wehren. Ich würde mich wehren. Denn auch ich bin ein Geschöpf Gottes. Gott hat mich gewollt- als aufrechten Menschen. Nicht als einen, der unterdrückt, geschlagen, gemobbt und missbraucht wird. Gott hat mir das Leben geschenkt, und ich will meinen Beitrag dazu leisten, es zu erhalten. Wenn jemand mich angreift oder verletzt, dann will ich, dass der das merkt, das ich verletzt bin. Und nicht, dass der denkt: Das macht der ja gar nichts aus. Da kann ich ja gerade so weitermachen! Deswegen würde ich mich wehren.

Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zu wehren. Sich wehren, das muss nicht mit Gewalt sein. Gewalt führt zu Gegengewalt, das wissen wir. Und so schraubt sich die Spirale der Gewalt dann immer höher. Sich wehren, das kann auch gewaltloser Widerstand sein. Und eigentlich ist es genau das, was Jesus empfiehlt, wenn er sagt: „Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun.“ Es ist eine Art paradoxer Intervention- der Überraschungseffekt, der das Potenzial hat, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Jesus nennt dafür verschiedene Beispiele. Eines davon leuchtet mir besonders ein: „Wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm.“ (Matthäus 5, 41).

Israel war zur Zeit Jesu unter römischer Besatzung. Die römischen Besatzer hatten die Macht. Und so hatte jeder Römer das Recht, einen beliebigen Menschen in Israel auf der Straße anzusprechen und von ihm zu verlangen, dass er seine Sachen trägt. Bei einem Soldaten mit Rüstung und Waffen konnte richtig schwer zu tragen sein. Aber weil die Römer ja ein gutes Rechtssystem hatten, war auch hier eine Grenze festgelegt: Eine Meile weit durfte man jemanden zum Tragen verpflichten, nicht weiter. Jesus schlägt nun vor: Tragt die Sachen von dem Römer doch noch eine zweite Meile! Und ich bin sicher: Wenn jemand diesen Ratschlag damals beherzigt hat, dann ist er bestimmt von dem Römer gefragt worden: „Warum machst du das?“ Und es hat sich ein Gespräch auf Augenhöhe entwickelt.

Sicherlich hat das nichts daran geändert, dass die Römer damals die Besatzungsmacht im Land waren. Und doch: Nur im Kleinen können wir anfangen, der Kultur des Hasses und der Aggression eine andere Kultur entgegenzusetzen. Das galt nicht nur damals in Israel. Das gilt auch für uns heute. So wie es in unserem Wochenspruch heißt: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12, 21)

Dazu gehört für mich: Sich in die Perspektive des Anderen hineinzuversetzen. Den Feind nicht nur als Feind, sondern als Mitmensch zu sehen. Und trotzdem nicht den Zuckerguss der Liebe und des Verzeihens über alles ziehen, sondern dem Bösen wirklich wehren: Menschen helfen, die von anderen gepiesackt werden. Die Kraft dazu gibt uns Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Er ist unser Vorbild. Und doch verlangt er keinen Perfektionismus von uns. Er hat unsere Sünden am Kreuz auf sich genommen. Er ist unsere Zuflucht, Hilfe und Kraft auch in schweren Zeiten, wenn andere uns Böses wollen. Sein Heiliger Geist schenke uns die Phantasie, das Böse zu überwinden.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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20. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum Gottesdienst am Sonntag, 13. Oktober 2024 mit Begrüßung der neuen Konfi 3- Kinder

Liebe Kinder, liebe Erwachsene!

„Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern,“ haben wir gerade gesungen. Die kleine Leute, das seid ihr, die Kinder. Ihr seid heute in diesen Gottesdienst gekommen, um mit uns zu feiern – mit eurer Unbeschwertheit und Fröhlichkeit, aber auch mit euren Fragen und Wünschen. Schön, dass ihr da seid! Schön, dass wir alle zusammen Gemeinde sind! Ihr, die kleinen Leute seid da, um etwas von Gott und dem Glauben zu erfahren, um bei Konfi 3 und in der Kinderkirche miteinander zu singen, zu beten, zu spielen und zu basteln.

Ihr seid heute die Hauptpersonen. Ihr seid die kleinen Leute, die das Gesicht der Welt verändern können. Wir Großen trauen euch da oft zu wenig zu und nehmen euch nicht ernst genug. Aber eure Fragen und eure Ideen sind wichtig. Und Gottes Segen begleitet euch auf euren Wegen. An Gott und seinen Segen wollen wir immer denken, wenn wir uns klein fühlen. Und da möchte ich euch Kindern ein Geheimnis verraten: Auch uns Großen geht es manchmal so, dass wir uns ganz klein und machtlos fühlen. Alle miteinander wollen wir darauf vertrauen, dass Gottes Segen uns begleitet. Nur deswegen können wir das Gesicht der Welt verändern. Nur, weil Gottes Segen uns begleitet. Nicht weil wir selber so großartig wären, dass wir das problemlos schaffen könnten. Aber Gott gibt uns die Kraft dazu. Gottes Segen stärkt uns den Rücken.

So war es auch bei dem Jungen in der Geschichte, die wir vorher gehört haben. Thomi hieß der. Und in seiner Nachbarschaft, da gab es diese etwas seltsame Frau, über die alle immer nur gelacht haben. Frau Matschi haben sie zu der gesagt. Thomi steht bei ihr am Fenster und hilft ihr, dass sie ihren Brief lesen kann. Er macht das, obwohl die anderen Kinder draußen vor dem Fenster stehen und über ihn lachen. Da hat ihm sicherlich Gottes Segen den Rücken gestärkt. Sonst hätte er das nicht geschafft. Wer diesen Brief wohl geschrieben hat? Ich denke, es waren Freunde oder Verwandte von Frau Matschi. Frau Matschi ist fremd in Deutschland. Ihre Freunde und Verwandten sind weit weg, in ihrem fernen Heimatland. Aber durch den Brief ist sie in Kontakt mit ihnen.

Frau Matschi ist schon älter. Vielleicht hat sie kein Handy und kein WhatsApp. Oder ihre Freunde und Verwandten haben das nicht in ihrem Land, weil die Menschen dort ärmer sind als bei uns. Jedenfalls hat Frau Matschi lange nichts mehr von ihnen gehört. Aber jetzt ist dieser Brief gekommen. Und weil Thomi Frau Matschi hilft, den Brief zu entziffern, deswegen weiß sie jetzt: Meinen Lieben dort weit weg in meinem Heimatland, denen geht es gut. Frau Matschi freut sich. Ein Lächeln geht über ihr Gesicht. Das Gesicht der Welt hat sich verändert- durch den Brief, der angekommen ist, und durch Thomi, der beim Entziffern des Briefs geholfen hat.

So können wir, die kleinen Leute, das Gesicht der Welt verändern. Wie ein Brief, der eine gute Nachricht überbringt, so können wir für andere Menschen sein, die uns brauchen- Kinder genauso wie Erwachsene. Davon erzählt die Geschichte von Thomi und Frau Matschi. Und auch die Bibel erzählt uns davon. Zur Zeit der Bibel gab es ja auch noch kein Handy und kein WhatsApp. Deswegen hat man sich Briefe geschrieben.

Einer, der viele Briefe geschrieben hat, war der Apostel Paulus. Er ist viel herumgereist und hat den Menschen von Jesus erzählt und davon, dass Gott sie liebt. Viele Menschen hat das überzeugt. Und so haben sich an den Orten, wo Paulus war, kleine christliche Gemeinden gegründet. Paulus konnte aber nicht als Pfarrer bei ihnen bleiben. Er musste weiterziehen. Aber immer wieder hat er den neu gegründeten Gemeinden Briefe geschrieben, um sie im Glauben zu unterstützen. Viele dieser Briefe stehen heute in der Bibel, zum Beispiel die zwei Briefe an die Gemeinde in Korinth. In einem dieser Briefe schreibt der Apostel Paulus: „Ihr seid ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern- wie auf Tafeln- in Herzen von Fleisch.“ (2. Korinther 3,3)

Ja, wir alle, Groß und Klein, sind wie so ein wunderbarer Brief, der den Menschen Freude bringt. So wie der Brief, der in unserer Geschichte das Gesicht der Welt verändert und Frau Matschi zum Lächeln bringt. Aber nicht mit Tinte geschrieben, die verbleicht, sondern geschrieben in unsere Herzen. In unseren Herzen tragen wir die gute Botschaft von Jesus Christus. Wir tragen sie wie einen Brief in die Welt. Ja, ihr seid ein Brief Christi. Ihr könnt das Gesicht der Welt verändern. Denn Gottes Segen begleitet euch.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Erntedankfest

 

Predigtgedanken zum Erntedankfest

Liebe Mitchristen!

Als ich heute Morgen aufgestanden bin, war es kalt in meiner Wohnung. Auch warmes Wasser gab es nicht. Was ist los, habe ich mich gefragt. Schnell bin ich darauf gekommen, dass mit der Heizung etwas nicht in Ordnung ist. Ich gehe also in den Keller. Unten am Ofen lese ich auf dem Display: „Störung“- dazu noch genauere Informationen, die ich nicht einordnen kann. Gestern am späten Abend hat sich die Heizung deshalb abgeschaltet, lese ich. Was nun? Soll ich am frühen Sonntagmorgen unseren Hausmeister anrufen oder gar den Kundendienst? Wir wollen nachher beim Gemeindemittagessen ja nicht im Kalten sitzen! Zum Glück ist da auf dem Display ein kleiner grüner Haken, den man anklicken kann. Ich drücke auf das Häkchen. Die Heizung springt wieder an. Bald wird es warm sein im Haus. Ich bin dankbar. Danke, Gott! Danke, dass ich habe, was ich zum Leben brauche: Essen und Trinken und eine warme Wohnung. Danke für alles, was auf den Feldern und Wiesen wächst und Mensch und Tier ernährt. Danke für das Holz aus dem Wald, mit dem ich meine Wohnung warm bekomme.

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ So heißt es in der Bibel (1. Timotheus 4, 4-5). Danke sagen für Gottes gute Gaben- das legt uns dieser Bibeltext ans Herz. Danke sagen und das Gute sehen. So oft übersehen wir das Gute ja. Wir nehmen es als selbstverständlich, dass wir haben, was wir zum Leben brauchen, ja sogar viel mehr als das Lebensnotwendige. Und erst, wenn man mal in der kalten Wohnung sitzt, so wie ich heute Morgen, erst dann erinnert man sich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man warm hat. In der Gewohnheit verliert man aus dem Sinn, dass der prall gefüllte Kühlschrank mit Köstlichkeiten aus aller Welt ein großes Privileg ist. Wasser der besten Qualität fließt zu einem günstigen Preis aus unseren Wasserhähnen.

Für das alles will ich dankbar sein. Und vielleicht ziehe ich in meiner Wohnung doch lieber noch einen wärmeren Pulli an, als die Heizung noch höher zu drehen. Denn ich bin dankbar, dass ich nicht ganz im Kalten sitze, und ich möchte mit dem kostbaren Gut, das Gott mir geschenkt hat, nicht verschwenderisch umgehen. Die Erde soll bewohnbar bleiben auch für kommende Generationen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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15. Sonntag nach Trinitatis

 

Predigt zum Sonntag, 8. September 2024

 

Liebe Mitchristen!

 

„Ein kleiner Spatz zur Erde fällt, und Gott entgeht das nicht. Wenn Gott die Vögelein so liebt, weiß ich, er liebt auch mich.“ So habe ich vor langer Zeit als Kind im Kindergottesdienst gesungen. Gott liebt mich. Das war für mich die Botschaft dieses Liedes. Gott sorgt für mich. Er kennt jedes noch so kleine Tierlein. Gott ist für uns alle da, für Mensch und Tier. Ich war noch sehr klein damals, ein Kindergartenkind. Ich habe mir keine Sorgen gemacht. Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie das wäre, wenn es mir so gehen würde wie dem kleinen Spatz in dem Lied. Der ist aus dem Nest gefallen und plumpst auf die Erde. Sein schützendes Zuhause hat er verloren. Seine Eltern können nicht mehr für ihn sorgen.

 

Ob Gott wohl für mich sorgen würde, wenn es mir so gehen würde wie diesem kleinen Spatz? Das habe ich mich damals als Kind nicht gefragt. Eigentlich habe ich damals so gelebt, wie Jesus es in der Bibel sagt: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ (Matthäus 6, 25-26) Als Kind habe ich mir keine Sorgen gemacht- nicht ums Essen und Trinken, nicht um die Kleidung, nicht um die Zukunft. Ich habe darauf vertraut: Meine Eltern sorgen für mich. Jeden Tag steht das Essen auf dem Tisch, und immer wieder gibt es frische Kleidung. Und wenn ich nachts mal Angst im Dunkeln habe, ist meine Mutter da und tröstet mich.

 

Sorgt euch nicht um euer Leben, sagt Jesus. Gott sorgt für euch, wie er für die Vögel unter dem Himmel und die Blumen auf dem Feld sorgt. Als Kind ist es einfach, so zu leben, wenn man in behüteten Verhältnissen aufwächst. Aber wie ist es als Erwachsener? Wie ist es, wenn ich selbst Sorge trage für Menschen, die mir anvertraut sind, für meine Kinder zum Beispiel? Sorgt euch nicht um euer Leben, sagt Jesus. Essen, Trinken, Kleidung: Euer Vater im Himmel weiß doch, dass ihr das alles braucht! Der morgige Tag wird für das Seine sorgen. (Matthäus 6, 34) Wenn ihr nur nach Gott und seiner Gerechtigkeit fragt, dann braucht ihr euch um sonst nichts mehr Sorgen zu machen.

 

So sorgenfrei leben, wer von uns kann das? Vieles gibt es, was uns beschäftigt und uns Sorgen macht: Die Menschen, die uns nahestehen; Familie und Freunde. All das, wofür wir Verantwortung tragen, im Beruf und privat. Unser Zusammenleben hier vor Ort und darüber hinaus: in unserem Land und weltweit. Da gibt es viel, was uns Sorge macht: Terroranschläge in unserem Land. Menschen, die das Asylrecht missbrauchen, um Gewalt und Schrecken zu verbreiten. Und andere, die das Asyl wirklich nötig hätten, bleiben dann irgendwo auf der Strecke oder werden an der Grenze abgewiesen. Der Rechtsruck in unserer Gesellschaft, die Kriege in Gaza und in der Ukraine, der Klimawandel, der nicht zu stoppen ist. Das alles macht Sorge.

 

Sorgt euch nicht, sagt Jesus. Sollen wir diese Sorgen also einfach beiseite schieben und so tun, als ob nichts wäre? Nein, das würde Jesus sicherlich nicht wollen, dass wir die Sorgen verdrängen. Denn dann sind sie ja immer noch da und wirken unterschwellig weiter. Auch dass wir einfach nur sorglos in den Tag hinein leben und uns nicht darum kümmern, was in unserer Welt passiert, wäre nicht im Sinne von Jesus. Gott hat uns die Welt anvertraut, dass wir sie bebauen und bewahren, lesen wir schon ganz am Anfang der Bibel (1. Mose 2, 15). Und auch um unsere Mitmenschen sollen wir uns kümmern, so wie es Jesus in der Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt (Lukas 10, 25-37).

 

Ja, wir sollen handlungsfähig bleiben. Wir sollen für diese Welt und unsere Mitmenschen Sorge tragen. Aber damit wir dies wirklich tun können, brauchen wir genau diesen guten Rat von Jesus: Sorgt euch nicht! Dieser gute Rat will uns sagen: Passt auf, dass euch die Sorge nicht zerfrisst! Lasst die Sorge nicht zu groß werden in eurem Leben! Denn ihr braucht eure Energie für Wichtigeres als fürs Sich-Sorgen-Machen! Es gibt etwas Größeres als die Sorge. Es gibt Gott. Er ist das Größte und Wichtigste. Deshalb- egal was kommt: Haltet fest an eurem Gottvertrauen! Alles andere wird sich dann schon finden.

 

Ich denke an eine Zeit in meinem Leben, als ich große Sorgen hatte. Der Vater meiner Kinder war schwer erkrankt und konnte nicht mehr für unsere Kinder sorgen. Ich selbst steckte beruflich in einer Sackgasse fest. Manchmal wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte- privat wie beruflich. Sorgt euch nicht! Diese Worte von Jesus habe ich in dieser schwierigen Zeit in meinem Leben anders gehört als sonst. Nicht als Hohn, weil ich meine vielen Sorgen ja doch nicht ablegen konnte. Nein, diese Worte von Jesus waren mir Ermutigung. Sie haben mir Hoffnung gemacht: Es geht weiter. Gott weiß einen Weg, auch wenn du ihn jetzt nicht sehen kannst. So habe ich diese Bibelworte damals für mich verstanden. Und ich habe die Erfahrung machen dürfen, dass Gott für mich wirklich einen Weg gewusst hat durch diese Krise hindurch.

 

In dieser schweren Zeit habe ich das Gottvertrauen neu gelernt. Anders als damals, als ich als Kind fröhlich gesungen habe von Gott, der den kleinen Spatz kennt, und deswegen auch für mich mit seiner Liebe da ist. Ich war kein Kind mehr, ich war erwachsen- mit Lebenserfahrung, auch mit schmerzlicher. Aber alles in Gottes Hand legen, und auf ihn vertrauen, wenn ich nicht mehr weiterweiß, das darf ich noch immer. So wie es in der Bibel in 1. Petrus 5, 7 heißt: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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13. Sonntag nach Trinitatis

Predigt vom 25. August 2024

Liebe Mitchristen!

„Wir brauchen eine harte Hand. Nicht mit Rassismus. Aber wer sich hier nicht einfügt, der muss gehen.“ Es ist Samstagmorgen, und ich bin gerade beim Einkaufen, als ich diese Worte höre. Schnell bringe ich meinen Wunsch vor, nehme die Ware entgegen, bezahle und gehe. Diese Worte schockieren mich, und ich habe im Moment nicht die Kraft, dagegenzuhalten. Im Nachhinein bedauere ich das- auch wenn ich den Sprecher sicherlich nicht von seiner Meinung abgebracht hätte, wenn ich mit ihm eine Diskussion angefangen hätte. Und ich habe den Anfang des Gesprächs auch gar nicht mitbekommen. Ich weiß nicht, um was es eigentlich ging. Vielleicht um den schrecklichen Messerangriff auf dem Stadtfest in Solingen, der drei Menschen das Leben gekostet hat? Stand Samstagmorgen ist jedenfalls noch nicht klar, ob es sich bei dem flüchtigen Täter um jemanden mit Migrationshintergrund handelt, den man in ein fernes Heimatland abschieben könnte. Oder ging es um etwas ganz Anderes in dem Gespräch? Ich weiß es nicht. Aber diese Worte hallen in mir nach: „Wir brauchen eine starke Hand.“

Diese Worte lassen mich frösteln an diesem warmen und sonnigen Augustmorgen. Das Klima wird kälter in unserem Land, denke ich. Werden wir es schaffen, dass die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibt? Werden wir unterscheiden können zwischen den wenigen Kriminellen, die ihre gerechte Strafe verdient haben und auch bekommen sollen, und all den anderen, die in friedlicher Absicht in unser Land gekommen sind? Werden wir es schaffen, die Demokratie zu verteidigen in unserem Land- allen Rufen nach einer harten Hand zum Trotz?

Nein, wir brauchen keine harte Hand. Wir brauchen kein autoritäres Regime, das Menschen einschüchtert. Wir brauchen niemanden, der sich über seine Mitmenschen erhebt und zu dem alle aufblicken sollen. Aufblicken sollen wir allen zu Gott, dem Herrn. Vor ihm sollen wir Ehrfurcht haben. Seine Gebote sollen wir halten: Unsere Eltern sollen wir ehren, die Schwachen schützen, die Fremden im Land nicht unterdrücken. „In deinem Herzen soll es keinen Platz für Hass geben. Hasse deinen Bruder und deine Schwester nicht!“ (3. Mose 19,17) „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (3. Mose 19,2)

Wir sind alle keine Heiligen. Wir sind nicht der liebe Gott. Manchmal werden wir wütend- oder es überkommt uns blankes Entsetzen über ein so schreckliches Blutbad wie die Messerattacke in Solingen. Und damit verbunden vielleicht auch mal der Wunsch nach einer harten Hand- nach einem Menschen, der Autorität hat und durchgreift in unserem Land. Wenn es uns so geht- wenn uns dieser Wunsch überkommen sollte, mögen wir dann an diesen Text in der Bibel denken. Und mögen wir daran denken: Es ist noch nie gut gegangen mit der harten Hand- weder in unserem Land noch anderswo. Es hat noch nie funktioniert, dass Gewalt durch Gegengewalt aus der Welt geschafft wird. Die israelischen Geiseln, die aus dem Gazastreifen jetzt nur noch tot geborgen werden, und die Tausende von toten Palästinensern in Gaza zeugen davon.

„In deinem Herzen soll es keinen Platz für Hass geben. Hasse deinen Bruder und deine Schwester nicht!“ Wie soll das gehen? Im Bibeltext heißt es weiter: „Stattdessen sollst du mit deinem Nächsten reden und ihn auf sein Verhalten ansprechen. So wirst du dich seinetwegen nicht mit Sünde belasten.“ (3. Mose 19,17) Ja, es ist schwer, sich an diese biblische Lebensregel zu halten. Und doch ist es der einzige Weg- in Israel- Palästina genauso wie in unserem Land: Aufeinander zugehen, voneinander wissen. Miteinander reden, sich gemeinsam für Frieden und Sicherheit einzusetzen- alle miteinander: die, die schon immer hier waren zusammen mit denen, die neu dazugekommen sind. Zusammenhalten, auch in unserem Land. Und sich nicht auseinanderbringen lassen von verbrecherischen Menschen, die nicht davor zurückschrecken, Anschläge zu verüben, bei denen Menschen sterben. Sie sollen die volle Härte unseres Rechtsstaats zu spüren bekommen. Aber wir wollen uns von ihnen nicht vom Weg des Friedens und der Verständigung abbringen lassen. Denn dann hätten sie ihr Ziel erreicht.

Wir wollen den Weg des Friedens und der Verständigung weitergehen, auch wenn es uns manchmal schwerfällt. Denn wir sind keine Heiligen. Und doch können wir den Hass bekämpfen in unserem Herzen. Wir können dafür sorgen, dass Wut und Entsetzen nicht die Oberhand gewinnen in unserem Leben. Wir können es, weil wir wissen, wer diese Welt mit starker Hand regiert: Gott der Herr, der Himmel und Erde geschaffen hat. In Jesus Christus ist er uns Menschen ganz nahe gekommen und hat uns die Mitmenschlichkeit gelehrt. Dazu hat Jesus Geschichten erzählt, wie z. B. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas10,25-37).

Der Samariter in der Geschichte von Jesus war bestimmt kein Heiliger. Für die Menschen zur Zeit Jesu war klar: Einer aus Samaria- das ist keiner von uns. Dem ist nicht zu trauen. Von dem sollte man sich lieber fernhalten. Denn die Samariter waren Fremde. „Wenn ein Fremder bei euch lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Wie einen Einheimischen sollt ihr den Fremden ansehen, der bei euch lebt. Du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ (3. Mose 19,33-34) Jesus beherzigt diese biblische Lebensregel, indem er den Fremden aus Samaria zum Subjekt seiner Geschichte macht. Damit sagt Jesus: Es ist falsch, die Fremden alle über einen Kamm zu scheren. Sie sind nicht alle böse und gefährlich. Da ist zum Beispiel dieser eine Fremde, der hilft- und die Einheimischen, von denen man eigentlich erwartet hätte, dass sie helfen, die helfen nicht.

„Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig. Ich bin der Herr, euer Gott.“ Wir müssen nicht alle mit Heiligenschein herumlaufen, um diesem Bibelvers gerecht zu werden. Es reicht, wenn wir so heilig sind wie es dieser fremde Mann aus Samaria war, von dem Jesus erzählt. Es reicht, wenn wir die Augen offen halten und sehen, wo wir gebraucht werden. Es reicht, wenn wir bereit sind, unsere Vorurteile zu hinterfragen und uns positiv überraschen zu lassen von unseren Mitmenschen, so fremd sie uns auch sind. Es reicht, wenn wir uns daran festhalten: Die einzige starke Hand, die wir brauchen, ist Gottes Hand. Auf ihn wollen wir vertrauen in guten und in schweren Zeiten. Denn er hält die Welt und unser Leben in seiner Hand.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum Sonntag 21.07.2024

 

Liebe Mitchristen!

 

Fällt es Ihnen leicht, morgens in aller Frühe aus dem Bett aufzustehen, wenn es noch dunkel ist und die anderen noch schlafen? Im Dunkeln aufstehen, das tun wir meistens nicht aus eigenem Antrieb. Wir tun das, wenn wir unserer Pflicht nachkommen müssen- zur Arbeit gehen oder in die Schule. „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten!“ So heißt es in der Bibel in Eph 5,14. Manchmal kam es mir auch so vor, wenn ich an einem dunklen Herbstmorgen frühmorgens um 6 Uhr meinen Sohn wecken wollte, bei dem es am Vorabend wieder mal spät geworden war: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten!“ Mein Sohn ist inzwischen erwachsen und stellt sich selbst seinen Wecker. Und ich bin froh, dass ich in der Regel nicht mehr ganz so früh raus muss.

 

Einmal sind wir alle zusammen so früh aufgestanden, meine Söhne und ich- mitten im Urlaub. Wir waren in Spanien, in der Nähe von Valencia. Meistens wollten wir da lieber ausschlafen. Aber an einem Urlaubsabend hatten wir die Idee: Morgen stehen wir mal ganz früh auf, wenn es noch dunkel ist. Dann gehen wir zum Strand und schauen uns den Sonnenaufgang am Meer an. Am nächsten Morgen ließen wir also den Wecker klingeln. Zum Glück geht in Spanien die Sonne später auf als bei uns. Im Hotel konnten wir als erst noch frühstücken- zusammen mit denen, die auch dort früh aufstehen, um ihrer Pflicht nachzukommen: Menschen, die beruflich unterwegs waren und in der Hotelbar in Arbeitskleidung ihren Kaffee tranken.

 

Für uns war das ein sehr besonderer Start in diesen Urlaubstag. Von Urlaubsatmosphäre war da zunächst einmal nichts zu spüren. Draußen im Dunkeln war es fast menschenleer. Nur eine Frau, die gerade ihren Hund ausführte, haben wir getroffen. Alles wirkte grau in grau in der düsteren Morgendämmerung: Graue Straßen, graue Häuser, grauer Strand, grauer Himmel, graues Meer. Aber dann kam langsam Farbei in die graue Welt: Hinten am Horizont der erste rötliche Schimmer: Die Sonne geht auf. Sie bringt Licht und Farbe in unsere Welt. Und wir haben es nicht bereut, dass wir an diesem Urlaubsmorgen so früh aufgestanden sind.

 

Von der Dunkelheit ins Licht zu kommen, das ist eine großartige Erfahrung. An diesem Urlaubsmorgen haben wir das ganz bewusst erlebt. Von der Dunkelheit ins Licht- das erfahren wir jedem Morgen neu. Ja, auch dann, wenn mal nicht die Sonne scheint. Selbst an bewölkten Tagen steht die Sonne hinter den Wolken und bringt Licht in unsere Welt und unser Leben. „Ihr wart früher Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ So heißt es in Eph 5,8. Dieses Bibelwort erinnert uns daran, wer das Licht unseres Lebens ist: Jesus Christus. Er bringt Licht und Hoffnung in unser Leben. Auch in die dunklen Ecken scheint das Licht von Jesus Christus; auch dorthin, wo es unaufgeräumt ist in unserem Lebenshaus. Auch dorthin, wo wir manches lieber unter den Teppich kehren würden.

 

Aber: Im Lichte Jesu Christi habe ich den Mut, auch das anzuschauen, was schief gelaufen ist in meinem Leben- meine Schuld und mein Versagen. Das alles kommt ans Licht. Zunächst einmal lässt mich das vielleicht erschrecken: Das will ich nicht. Das ist mir peinlich. Meine Schwächen und Fehler, meine dunklen Seiten, das soll doch niemand sehen. Und jetzt steht das alles voll im Licht! Aber dann, wenn dieses erste Erschrecken überwunden ist, dann ist es einfach nur noch befreiend: Endlich ist Schluss mit dem Versteckspiel. Endlich muss ich nicht mehr so tun, als ob alles immer glatt läuft bei mir. Endlich muss ich die dunklen Seiten meines Lebens nicht mehr unter den Teppich kehren. Denn unter den Teppich kehren, das ist richtig anstrengend. Die Kraft, die ich dafür aufgewendet habe, die kann ich jetzt für andere Aufgaben verwenden, wo sie viel sinnvoller eingesetzt ist.

 

„Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ (Eph 5,9) Wenn wir das so leben, dann lassen wir die Sonne rein in unsere Welt- egal ob es regnet oder schönes Wetter ist. Wenn wir die Güte leben- das bedeutet: Dass wir die Menschen, die uns begegnen, mit den Augen der Liebe ansehen. Ja, auch den Nachbarn, der uns so seltsam vorkommt. Auch die Kollegen, die das alles ganz anders machen wollen als wir. Auch die, mit denen wir nicht können. Seien wir gütig ihnen gegenüber. Sehen wir sie mit den Augen der Liebe. Seien wir auch gütig zu uns selbst. Denn für uns alle ist Jesus Christus gestorben und auferstanden.

 

Leben wir die Güte. Aber Güte allein genügt nicht. Es braucht auch Gerechtigkeit. Seien wir also fair. Geben wir jedem eine Chance. Machen wir keine künstlichen Unterschiede auf zwischen den Menschen. Ob Hautfarbe, Sprache oder Geschlecht- Gott hat nicht gewollt, dass wir die Menschen in Schubladen, Kategorien oder Raster einteilen. Gott hat alle Menschen geschaffen. Seien wir menschlich und fair zu allen. Und setzen wir uns lautstark zur Wehr, wenn Menschen ungerecht behandelt werden, diskriminiert oder unterdrückt.

 

Aller guten Dinge sind drei: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Wahrheit- das erscheint zunächst einmal einfach, ja beinahe selbstverständlich. Natürlich lebe ich die Wahrheit. Ich lüge niemanden an. Aber so einfach ist es nicht. Die Wahrheit leben, das heißt heute auch: Nicht allen einfachen Antworten Glauben schenken. Nicht allen starken Männern oder Frauen hinterherlaufen, die einem das Denken abnehmen wollen. Leben wir die Wahrheit, und haken wir lieber nochmal nach: Ist diese Nachrichtenquelle wirklich seriös, oder sind das Fake News? Dient das dem Leben, was hier als der richtige Weg propagiert wird, oder werden da Menschen ausgegrenzt und abgewertet?

 

Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit- diese drei sind wichtig. Diese drei brauchen wir. Darauf sollten wir unser Leben ausrichten. Eine große Aufgabe ist das. Aber eine Bürde sollte das nicht sein für uns, sondern eine Freude. Denn nicht aus uns selbst heraus müssen wir das alles hinkriegen. Es kommt von Jesus Christus. Er lässt sein Licht scheinen in unser Herz. Seine Auferstehung lässt uns auferstehen: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ (Eph 5, 14) Wir dürfen leben im Licht von Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Das ist, wie wenn die Sonne aufgeht an einem sommerlichen Urlaubsmorgen. All das Grau in Grau ist auf einmal weggewischt, und wir stehen im goldenen, hellen Licht.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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7. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum Sonntag, 14. Juli 2024

Liebe Mitchristen!

Heute feiern wir Taufe. Die Tauffamilien haben lange geplant und vorbereitet. Vieles war zu regeln: Welchen Taufspruch nehmen wir für unser Kind? Wer gestaltet die Taufkerze? Wer übernimmt das Patenamt? Den Tauffamilien möchte ich heute gratulieren: Zur Taufe von ihren Kindern, die jetzt zu Jesus Christus gehören und zu seiner Gemeinde- hier in unserer Kirchengemeinde vor Ort und in der weltweiten Christenheit. Ein herzliches Willkommen unseren neuen Gemeindemitgliedern!

Gratulieren möchte ich den Tauffamilien auch dazu, dass sie christliche Patinnen und Paten gefunden haben für ihre Kinder: Menschen, die ihnen nahestehen und die Kirchenmitglieder sind. Menschen, die die Bereitschaft mitbringen, diese Kinder auf ihrem Lebens- und Glaubensweg zu begleiten. Schön, dass diese Patinnen und Paten heute ihr Ja gesprochen haben zu der Aufgabe, die sie übernommen haben. Solche Menschen brauchen wir in unserer Zeit: Menschen, die sich zur Kirche halten und sich dafür einsetzen, dass der christliche Glaube weitergegeben wird an die nächste Generation. Dass unter unseren Patinnen und Paten heute nicht nur evangelische, sondern auch katholische Kirchenmitglieder sind, erinnert uns daran, dass die Taufe in allen christlichen Konfessionen gefeiert wird. Es gibt nur die eine Taufe im Namen Jesu Christi.

Paten zu finden, die einer christlichen Kirche angehören und bereit sind, diese Aufgabe zu übernehmen, ist in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Neulich habe ich ein Gespräch geführt mit einer jungen Mutter, die keine christlichen Paten finden kann für ihr Kind. Sie gehört zu unserer Kirchengemeinde. Und sie möchte gerne, dass ihr Kind auch dazugehört. Sie möchte ihr Kind taufen lassen. Taufe ohne christliche Paten- geht das? Ist das nicht ein Taufhindernis? Es tut mir weh, dass wir uns an solchen Fragen aufhalten, wo es doch um etwas ganz Anderes geht- um etwas viel Größeres: Dass wir zu Jesus Christus gehören. Dass wir mit hineingenommen werden in sein Sterben und Auferstehen. Dass Jesus Christus uns Halt und Hoffnung gibt für unser Leben. Und wir reden über Taufhindernisse.

„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ So fragt in der Bibel in Apg. 6,36 ein hoher äthiopischer Beamte seinen Wegbegleiter Philippus. Philippus hatte durch eine göttliche Eingebung den Weg dieses reichen Afrikaners gekreuzt. Seit einer ganzen Weile saßen die beiden nun schon auf dem Reisewagen des Afrikaners, der sich langsam wieder in Richtung Äthiopien bewegte. Philippus hatte dem hohen äthiopischen Beamten geholfen, schwierige Bibelstellen zu verstehen. Und er hatte ihm von Jesus erzählt. Wie Jesus gelebt hat. Wie er den Menschen von Gott erzählt hat. Wie bei Jesus alle willkommen sind, auch die, die sonst übersehen werden. Die kleinen Kinder zum Beispiel. Oder die Zöllner, die zwar reich sind, aber von den anderen verachtet werden, weil sie mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiten. Gott lädt uns alle ein. Für uns alle ist Jesus gestorben und auferstanden.

Philippus erzählt und erzählt, und der äthiopische Beamte hört ihm gebannt zu. Denn was er da hört, geht ihm mitten ins Herz. Das ist es, wonach er schon lange gesucht hat. Schon lange hat er die heiligen Schriften der jüdischen Religion studiert. Er ist überzeugt davon: Das ist der richtige Weg- ja, es gibt nur einen Gott! Aber im Tempel in Jerusalem war der Afrikaner nicht willkommen. Er ist ein Eunuch, ein kastrierter Mann. So war es damals üblich für die hohen königlichen Beamten in Äthiopien- damit sie ihr Amt nicht von Generation zu Generation weitergeben. Vielleicht würde sich dieser Afrikaner heute als queer bezeichnen. Ein Mensch, der nicht in unser Schema von Mann und Frau passt. Damals wie heute haben es solche Menschen schwer, akzeptiert zu werden. Heißen wir sie willkommen in unserer Gemeinschaft, in unserem Ort, in unserer Kirchengemeinde?

„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ fragt der queere Afrikaner. Vieles hätte Philippus darauf antworten können, zum Beispiel so: Tut mir leid, aber du bist so anders als wir, du als Eunuch. Außerdem kommst du aus einer ganz anderen Kultur, aus einem fremden Land. Wie willst du dort deinen christlichen Glauben leben?  Und hast du überhaupt schon genug verstanden vom christlichen Glauben? Das braucht doch mehr Zeit, als hier nur ein paar Minuten die Bibel zu erklären! All das hätte Philippus dem afrikanischen Beamten antworten können. Aber so antwortet Philippus nicht. Nein, Philippus antwortet gar nicht mit Worten. Philippus antwortet mit Taten. Der Reisewagen hält an. Philippus und der äthiopische Beamte steigen aus. Dort ist Wasser, und Philippus tauft den Afrikaner an Ort und Stelle. So hat es Gott gewollt. Philippus hat seinen Auftrag erfüllt. Die Wege von Philippus und dem reichen Äthiopier trennen sich. Philippus bringt nun an einem anderen Ort die frohe Botschaft von Jesus Christus unter die Leute.

Der neu getaufte Äthiopier aber hat die Gewissheit: Ich gehöre zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Bei Jesus Christus bin ich willkommen, so wie ich bin. Fröhlich zieht der queere Afrikaner seiner Wege- zurück nach Äthiopien an den Hof der Königin, in deren Diensten er steht.

Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Was hindert’s, dass ich mein Kind taufen lasse? Keine unnötigen Hindernisse sollen wir hier aufbauen. Das können wir aus dieser biblischen Geschichte lernen. Ich denke noch einmal an die junge Mutter aus unserer Gemeinde, die für ihr Kind keine christlichen Paten finden kann. Ich habe mit ihr gesprochen und habe ihr Mut gemacht. Mut, ihr Kind christlich zu erziehen und sich dabei von uns als Kirchengemeinde unterstützen zu lassen. In einigen Monaten werden wir die Taufe ihres Kindes feiern. Ich freue mich darauf.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer