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Gedanken zum Sonntag

Predigt – 1. Sonntag nach Trinitatis 14.06.2020 – Predigttext: Apg 4, 32-36 Prädikantin Sophie Heinzelmann

Liebe Schwester, liebe Brüder,

So würde ich sicher nicht zu Ihnen sprechen, wenn nicht schon in den früheren Gemeinden, die Menschen ihre Verbundenheit in dem einen Gott so zum Ausdruck gebracht hätten. Durch die Taufe erfahren wir, dass Gott Raum in uns einnimmt und wir Teil der christlichen Gemeinschaft werden. Im Abendmahl erfahren wir diese Gemeinschaft mit Jesus. Wir sind Brüder und Schwester durch Jesus Christus miteinander verbunden.

Sind wir dann Nachfolger Jesu? Der Predigttext spricht von den Jüngern und Aposteln und von ihrer Art und Weise in der Nachfolge Jesu zu leben. Sie waren unmittelbar Zeuge von Jesus, sie sind mit ihm ein wichtiges Stück ihres Lebens gegangen. Sie haben erfahren, was es bedeutet in der Nachfolge zu leben, besonders nach der Auferstehung Jesu, als die ersten christlichen Gemeinschaften sich gebildet haben und die Verfolgungen und Unterdrückungen begannen.

Gott hat mit Jesus Raum in die Welt eingenommen. Jesus ist die Mitte dieser ersten Gemeinden. Diese Gemeinden ist so vom Geist erfüllt und im Wissen dessen, dass Gott nahe ist, dass sie sogar ein Herz und eine Seele waren – so beschreibt es Lukas im Predigttext. Sie bezeugen, erzählen von Jesus, von seinen Taten, seiner Auferstehung. Sie sind Licht in der Welt geworden – Gott hat mit Jesus Raum in die Welt genommen. Und was Raum annimmt ist sichtbar, sagt Dietrich Bonhoeffer, wenn er von Nachfolge spricht. 

Eine sichtbare Gemeinde sein? Was könnte es wohl bedeuten?

Zuerst ist vom gemeinsamen Tun die Rede: sogar das Eigentum wird zusammengelegt. Was macht es wohl in mir, wenn ich mein Häuschen der Kirchengemeinde zur Verfügung stellen würde?

Als der Mensch sesshaft wurde, hat sich das Verhältnis zum Eigentum und darauffolgend auch das Verhältnis zu seinen Mitmenschen ganz schön verändert: Von der Solidaritätsgemeinschaft als Nomade, zur Konkurrenz und Machtkampf als Grundbesitzer. Das ist sicher auch der Grund, warum Menschen wie Franziskus eine andere Form, die eher seinen christlichen Grundsätzen entsprochen hat, gegründet und gelebt hat.

Es ist immer noch so, wer in ein Kloster Eintritt, stellt sein Hab und Gut der Gemeinschaft zur Verfügung, damit es keinem in der Gemeinschaft an Lebenswichtiges mangelt. 

Das Leben in den Kibbuzen in Israel, im Ostblock in Kolchose sind Konzepte der Gütergemeinschaft. Die eine hat sich der Zeit angepasst. Die andere ist untergegangen!

Also: Ist diese Form der Gütergemeinschaft der ersten Gemeinden eine Vision oder eine Utopie geblieben, die die ersten Christen hatten, weil sie sowieso meinten das Reich Gottes kommt bald? Wie ist das Miteinanderleben tatsächlich möglich, wenn es um das Eigentum geht? Wie lang bleiben wir dann ein „Herz und eine Seele“?

Trotz den Bedenken waren die frühen christlichen Gemeinden sichtbar,  nicht nur in der Gütergemeinschaft, sondern auch in der Verkündigung / in der Lehre – im Gottesdienst. Und, es geht im Predigttext nicht nur um den Verkündigungsraum, sondern auch um den Lebensraum. Wo leben wir? Mit wem leben wir? Wer wohnt neben dran? Wer gehört der Gemeinde an?

Ich kann daraus schließen, dass unter den Christen niemand an Not leiden sollte. Wenn es so war, dann griffen die Glieder der Gemeinde in die Geldbörse, sogar verkauften sie Äcker, Land und Häuser. Wie war es eigentlich am Anfang? Die Jünger Jesu haben ihr Eigentum verkauft, verlassen, um mit Jesus zu gehen – ihm nachzufolgen. Dann zur Zeit der ersten christlichen Gemeinden war doch keiner mehr unterwegs, außer z. B. Petrus, Johannes und Paulus später. Aber die ersten Gemeinden sind vor Ort geblieben. Wovon leben dann Menschen, die alles verkaufen? Wie werden sie versorgt? Auch die Bettlerorden waren von den Almosen ihrer Mitmenschen abhängig. Irgendwie geht das Konzept aus heutiger Sicht nicht auf. 

Am Beispiel von Josef, vom dem die Rede im Vers 36 ist, möchte ich einen Lichtblick schaffen. Es wird erzählt, er heißt Josef aber auch Barnabas genannt, was heißt „Sohn des Trostes“. Das passt schon gut zu dem, was er dann anschließend macht. Er verkauft einen Acker und bringt das Geld den Aposteln zu Füßen. Es steht geschrieben, dass er einen Acker verkauft – wir wissen nicht, ob er dadurch sein ganzes

Eigentum verkauft hat. Gehen wir davon aus, dass er diesen Acker verkauft hat und, dass ihm das wichtig war. Denn es gab vielleicht einen Aufruf – eine Familie hat ihr Haus bei einem Brand verloren und braucht jetzt Unterstützung. So war passiert heute immer noch. Denn eins haben die Jünger und später die ersten Christen nicht vergessen: Das Leiden gehört zum Leben, und besonders zum christlichen Leben. Da scheint mehr zu zählen als ein Gejammer, nämlich sichtbar werden: der Glaube sichtbar werden lassen, im Wissen, dass diese Zuwendung Gottes durch Jesus Christus Raum in uns einnimmt und wir dadurch gestärkt sind. Somit kann Josef selbst bewusst seinen Acker verkaufen und den Ertrag den Aposteln zu Füssen legen. Sie gilt nicht den Aposteln, sie gilt Gott und somit seinen Geschöpfen, die es nötig haben – die im Mangel leben. Normalerweise bleibt der Geber unsichtbar. Soll Josef als Vorbild dienen?

Wie sieht es bei uns in der Kirchengemeinde aus? Was hat wohl der Bibeltext, die „sichtbare“ Gemeinde, das Handel Josef, denn an Bedeutung im Juni 2020? Wie sah dieser Lebensraum in März in Wehingen aus? Wie sieht er jetzt aus? Zuerst sind wir von einem Tag auf den anderen nicht mehr als Kirchengemeinde sichtbar gewesen. Wir sind in den Untergrund gegangen – jeder für sich, wir mussten uns sortieren, orientieren. Gottesdienste, ein sichtbares Zeichen des Gemeindelebens, gab es nicht mehr. Ja, es ist schwierig in Krisenzeiten sichtbar zu bleiben, wenn alle zuhause bleiben müssen. 

Nach und nach sind Predigte im Amtsblatt, auf Youtube, im Fernseher sichtbar geworden. Die Verkündigung lief doch weiter, wenn auch anders – räumlich gesehen Menschen fern, ohne Gemeinschaft. Dann haben die Menschen festgestellt, dass es doch ein Telefon gibt. Somit war es möglich sich gegenseitig anzurufen, miteinander zu plaudern, sich auszutauschen und evtl. sich zu versorgen. Sichtbar war es in der Öffentlichkeit nicht, aber sichtbar für die Betroffenen, spürbar. Sichtbar sind wir geworden, als die Nöte der Menschen so groß schien, dass die Regale leer in den Läden waren. Diese Not hieß „Angst“, wie Fulbert Steffensky sagt: „Corona verlangt, was alle Götzen verlangen, nämlich dass man Angst vor ihnen hat“. Soviel Angst, dass der Nächste nicht mehr wichtig war. Da springt Josef ein: wir haben uns nicht davon beeindrucken lassen und sind sichtbar geworden. Wie Josef waren Sie, liebe Gemeinde, und sind noch bereit ihr Habe und Gut zu teilen, in der Form von Geldspenden, von Lebensmitteln. Siehe die Sammlung für die Tafel in Trossingen. In der Nachfolge leben heißt in dieser Welt zu leben, hier und jetzt – seine Augen trotz Einschränkungen nicht zu verschließen. 

Worauf müssen wir dann wohl verzichten, wenn wir Zeit, ein offenes Ohr und Gaben teilen? Sich nur nicht von der Angst hemmen lassen, und den Nächsten dabei übersehen – das Leben übersehen! Nicht verzichten, sondern gewinnen.

Liebe Schwester, liebe Brüder

Die Nachfolge Jesu geschieht in dem Wissen, dass ich Gott, Schöpfer des Lebens, der Raum in mir einnimmt, liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft. Denn Geben, und sogar auch mal auf Eigentum zu verzichten, ist mehr als die Idee vom „Ich zum Wir“. Dort wechsle ich die Perspektive und es eröffnet sich einen neuen Blick zur Welt, zum Nächsten – im Namen Jesu, im Namen Gottes.

Amen