Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias, 21. Januar 2024
Liebe Mitchristen!
Was würde uns alles fehlen, wenn wir nicht im Austausch stehen würden mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen? Unser Leben wäre um Einiges ärmer- kein Döner gäbe es und keine Pizza. Vor allem aber würde unser Land einfach nicht mehr funktionieren- ohne osteuropäische Pflegekräfte, ohne internationale Facharbeiter, ohne die Mitmenschlichkeit, dass Menschen in Not und auf der Flucht hier Zuflucht finden können, ohne Verständnis füreinander. Denn das sind die Werte, die uns als christliches Abendland auszeichnen. Parteien, die Menschen mit Migrationshintergrund unter Druck setzen wollen, damit sie unser Land verlassen, müssen wir als Christinnen und Christen entschieden entgegentreten.
Unser Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hat zu dem AFD- Treffen in Potsdam, bei dem solche Gedanken gesponnen wurden, klare Worte gefunden: „Ich wünsche mir, dass wir solche Berichte ernst nehmen und uns nicht durch die üblichen Beschwichtigungsformeln den Blick vernebeln lassen. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass jeder Mensch Gottes Geschöpf und Ebenbild ist. Er hat eine gottgeschenkte Menschenwürde, die unantastbar ist. Wer die Menschenwürde derart mit den Füßen tritt, wie es die AfD tut, ist für Christinnen und Christen nicht wählbar! Das ist keine parteipolitische Aussage, sondern eine theologische.“
Ja, es ist Zeit für klare Worte. Zeit, aufzustehen für unsere christlichen Werte. Zeit zu erkennen, dass wir aufeinander angewiesen sind- nicht nur auf die Menschen, die schon seit Generationen hier unter uns leben, sondern auch auf die neu dazu Gekommenen. Auf die mit dem fremd klingenden Nachnamen und den uns unvertrauten Speisen und Gewohnheiten. Seien wir neugierig auf sie! Seien wir bereit, voneinander zu lernen, und uns gegenseitig immer wieder an die Menschlichkeit zu erinnern – und an die Toleranz, die ganz klar dort aufhört, wo andere ausgegrenzt und klein gemacht werden. Wenn wir von anderen Kulturen lernen, wenn wir offen sind für das Neue, Unerwartete und Ungewohnte, dann bringt das Heilung in unser Leben. Es bringt Heilung auch in unsere Gesellschaft, in unsere Welt.
Von einer solchen Heilung erzählt die biblische Geschichte von Naaman, dem Feldherrn des Königs von Aram (2. Könige 5,1-19). Dieser Naaman ist einer, der es geschafft hat bis ganz nach oben. Als Feldherr ist er der zweitmächtigste Mann im Land, gleich nach dem König. Als Feldherr hat er schon so manche Kämpfe gekämpft in seinem Leben. Und fast immer hat er den Sieg davongetragen. Diesem Naaman macht so schnell keiner was vor. Dennoch frage ich mich beim Lesen der Geschichte: Hat sich Naaman vielleicht zu viel zugemutet? Hat er sich übernommen? Sein Körper jedenfalls schlägt Alarm. Oft ist das ja so, wenn die Belastung für uns zu groß wird, dass uns unser Körper daran erinnert. Naaman jedenfalls wird krank. Eine Hautkrankheit befällt ihn, von der ihn kein Arzt heilen kann. Naaman hat Aussatz. Was hilft ihm nun sein Reichtum und seine hervorragende berufliche Position, wenn niemand ihm helfen kann? Wirklich niemand?
Da ist diese junge Sklavin, die in seinem Haushalt arbeitet, in der Küche bei seiner Frau. Das Mädchen ist nicht freiwillig gekommen. Sie ist eine Kriegsgefangene aus dem fernen Land Israel. Naaman hat sie bei einem seiner Feldzüge verschleppt. Eine Fremde ist sie. Fremd klingt ihr Name, und ihre Aussprache ist sicherlich nicht akzentfrei. Aber dieses Mädchen weiß Hilfe. Nach allem, was Naaman ihr angetan hat, ist es erstaunlich, dass sie dieses hilfreiche Wissen nicht für sich behält. Sie hätte allen Grund gehabt, Naaman noch viel schlimmere Krankheiten an den Hals zu wünschen. Aber sie sagt zu Naamans Frau, ihrer Herrin: „Ach, wäre mein Herr doch beim Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz heilen!“ (2. Könige 5,3)
Naaman erfährt davon von seiner Frau. Und er hört auf seine Sklavin- obwohl sie ihm, dem mächtigen Mann rein gar nichts zu sagen hat. Ist es vielleicht der letzte Strohhalm, nach dem er hier greift? Tatsächlich nimmt die Geschichte ein gutes Ende. Naaman wird von seinem Aussatz geheilt. Aber bis es so weit ist, geht noch viel schief in dieser Geschichte- und zwar immer dann, wenn Naaman den vermeintlich geraden Weg nimmt. Dann, wenn Naaman das tut, was man erwarten würde. Wenn er sich an die Großen und Mächtigen hält und nicht an die, die ihm eigentlich rein gar nichts zu sagen haben.
Sicherlich kommt Naaman an den Großen und Mächtigen nicht vorbei. Natürlich muss er zu seinem Chef gehen, dem König von Aram, und ihn um Urlaub bitten für seine Reise nach Israel, die ja sicherlich einige Wochen dauern wird. Der König unterstützt seinen Feldherrn bei dieser Unternehmung. Er meint es gut mit ihm. Aber, wie wir alle wissen: Gut gemeint ist eben nicht immer auch wirklich gut. Das übergroße Geschenk, das der König von Aram durch seinen Feldherrn dem König von Israel überbringen lässt, löst beim König von Israel keine Freude aus, sondern blankes Entsetzen. Er sagt: „Bin ich denn Gott? Kann ich töten oder lebendig machen? Da schickt dieser mir einen Mann, den ich vom Aussatz heilen soll! Merkt ihr es? Er sucht nur einen Anlass für Krieg!“ (2. Könige 5,7) Gut, dass es auch hier wieder die Anderen gibt, die keine äußere Macht haben und dem König von Israel eigentlich rein gar nichts zu sagen haben. In diesem Fall ist es der Prophet Elisa. Er lässt dem König von Israel ausrichten: „Naaman soll zu mir kommen. Dann wird er erkennen, das es in Israel einen Propheten gibt.“ (2. Könige 5,8)
Hoch zu Ross reitet Naaman also zum Haus des Propheten Elisa, begleitet von einem Tross von Dienern und mit seinen wertvollen Geschenken im Gepäck. Klar, dass er für seine gesundheitlichen Probleme nun auch eine Sonderbehandlung erwartet. Chefarztbehandlung als Privatpatient mit Wahlleistungsvereinbarung wäre da schon angemessen. Aber der Chefarzt kommt nicht raus zu Naaman. Der Prophet Elisa bleibt in seinem Haus und schickt nur einen kleinen Assistenten nach draußen zu Naaman. Naaman wird in dieser Arztpraxis an der Anmeldung abgefertigt, ohne dass er überhaupt einen Arzt zu Gesicht bekommt. Alles, was er bekommt, ist ein Rezept wie für einen Kassenpatienten: Siebenmal Jordanwasser auf die erkrankten Hautflächen, das genügt.
Naaman kommt nicht klar mit dieser Behandlung, die er als Abfertigung erlebt. Er wird wütend: Habe ich dafür diese ganze Reise unternommen, unzählige Kilometer weit, mit meinem ganzen Tross? Wasser haben wir auch in meinem Heimatland mehr als genug- richtig schöne große Flüsse! Nicht nur so ein dreckiges Rinnsal wie dieser Jordan! So wütend ist Naaman, dass er gleich kehrtmachen möchte. Genug ist genug. Alles dummes Geschwätz, was dieses israelische Sklavenmädchen erzählt hat. Es reicht jetzt wirklich.
Wieder sind es die, die Naaman eigentlich rein gar nichts zu sagen haben, die ihn von seinem zornigen Irrweg abbringen: Seine Diener, die ihn begleiten. Höflich bitten sie ihren Herrn, es doch wenigstens mal zu probieren. Schließlich ist es ja nicht schwer, sich siebenmal in diesem Fluss Jordan zu waschen. Nein, eigentlich ist das nicht schwer. Aber für Naaman ist es wirklich sehr schwer. Es ist sehr schwer für ihn, denn er muss dazu von seinem hohen Ross steigen. Er muss sich auf diese niedrige Aufgabe einlassen. Er muss sich einlassen auf diesen Propheten, der von ihm verlangt, ganz nach unten zu gehen.
Ganz unten ist Naaman angekommen in seinem Leben, als er dort an diesem unscheinbaren Fluss Jordan steht. Alles legt er ab, was ihm wichtig war: Seinen Reichtum, seine Macht. Dass er immer das Sagen hat. Dass er weiß, was zu tun ist. Dass er die Befehle erteilt, und die anderen sie ausführen. Das alles legt er ab, ja sogar seine Kleider. Nackt steigt Naaman in den Jordan hinunter und taucht siebenmal unter. Nichts unterscheidet ihn jetzt mehr von denen, denen er gewohnt ist, Befehle zu erteilen: Seinen Dienern, des Sklavin aus dem fremden Land, die seine Sprache nicht richtig beherrscht. Das alles zählt nicht mehr. Er lässt sich ganz ein auf das, was der Prophet ihm aufgetragen hat. Er lässt sich nicht mehr beirren davon, dass er sich den Weg zur Heilung ganz anders vorgestellt hat. Er lässt sich ein auf Gottes Weg mit ihm. Und so wird er gesund.
Sich einlassen auf das Fremde, auf das andere. Auf Menschen, bei denen ich in der Gefahr bin, auf sie herabzusehen und mich selbst wichtiger zu nehmen als sie. Das bringt Heilung- für mein Leben, für unsere Gesellschaft, für unsere Welt. Das will ich lernen aus der Geschichte vom Feldherrn Naaman und vom Propheten Elisa.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer