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Gedanken zum Sonntag

4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zur Jahreslosung am Sonntag, 10. Juli 2022

Liebe Mitchristen!

Es ist ein besonderer Moment, wenn sich die Tür öffnet zu einem lichtdurchfluteten Festsaal. Wenn ich irgendwo eingeladen bin zu einem Fest, auf dem ich noch nie war, dann frage ich mich: Was wird mich da drinnen wohl erwarten? Wie wird dieses Fest werden: Werde ich mich dort wohlfühlen und gleich Anschluss finden, oder werde ich eher am Rand stehen? Nur am Rand stehen möchte ich jedenfalls nicht. Das macht mir Angst: Dass ich abgewiesen werde und andere mir zeigen: Du gehörst nicht dazu. Manchmal kann diese Angst so groß werden, dass ich die Einladung zum Fest ausschlage und nicht durch diese geöffnete Tür gehe in den lichtdurchfluteten Festsaal. Die Jahreslosung, die uns durch das Jahr 2022 begleitet, ist ein Bibelwort gegen diese Angst. Jesus Christus macht uns hier Mut: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh 6, 37) Ein Bibelwort gegen die Angst, die sich an manchen Tagen wie ein dicker grauer Schleier über unser Leben senkt und alles Helle und Fröhliche verdunkelt. In dem Kurzfilm „Der Besuch“ erzählt Alexandra Schatz von einer Frau namens Elise. Die Angst hat das Leben von Elise grau und eng gemacht – so sehr, dass Elise sich gar nicht mehr aus dem Haus traut. Dabei war sie früher einmal eine fröhliche und lebenslustige junge Frau. Das Bild an ihrer Wand erinnert daran. Eines Tages segelt ein Papierflieger durch das Fenster von Elise, das sie zum Lüften aufgemacht hat. Der Papierflieger macht Elise Angst. Schnell verbrennt sie ihn in ihrem Ofen. Aber dieser Zwischenfall lässt ihr keine Ruhe. Nachts hat sie Alpträume von Papierfliegern. Doch es kommt noch schlimmer: Am nächsten Morgen klingelt es bei Elise an der Tür, und ihre Angst wird immer größer. Wird sie es schaffen, die Tür zu öffnen und sich aus ihrem grauen und angsterfüllten Leben herauszuwagen ans Licht? Vor der Tür steht ein kleiner Junge: Emil, der Besitzer des Papierfliegers. Ich finde diese Szene, als Emil vor Elises Tür steht, die spannendste Szene im ganzen Film. Denn in diesem Moment entscheidet sich, ob Elise sich traut, den Jungen eintreten zu lassen in ihr Leben, und Licht und Farbe in ihr graues und trübseliges Leben zu bringen. In dem Film schafft es Elise. Sie überwindet ihre Angst. Sie macht die Tür auf und öffnet ihr Leben für den kleinen Emil. Dort, wo er ist, wird es auf einmal bunt statt grau: Emil bewundert das Bild von Elise im Ballkleid und die vielen Bücher im Regal. Er möchte gerne Märchen vorgelesen bekommen. Und schließlich macht Elise das, und sie hat selber Freude daran. Später krabbelt sie sogar beim Spielen mit Emil auf dem Boden herum. Als Emil sich verabschiedet, sagt er: „Es ist schön bei dir.“ Abends sitzt Elise an ihrem Tisch und faltet einen Flieger für Emil. Glücklich und zufrieden ist sie jetzt. Die Angst ist weg. Eine Tür ist aufgegangen in ihrem Leben. Licht kommt in ihr Leben.

Jesus öffnet für uns diese Tür zum Licht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Jesus ist kein gewöhnlicher Gastgeber. In Jesus begegnet uns Gott selbst. Und Jesus weiß, was es bedeutet, abgewiesen zu werden. In Johannes 6 wird erzählt, dass viele Menschen Jesus zujubelten, weil er ihnen Brot gegeben hatte. Aber dann wandten sich viele doch wieder von ihm ab, so dass Jesus sogar seine Jünger fragt: „Wollt ihr auch weggehen?“ Jesus erlebt immer wieder, dass er abgewiesen wird. Am Ende wird er gekreuzigt. Und doch ist sein Tod am Kreuz mehr, als dass Menschen ihn abweisen. Am Kreuz nimmt er unsere Schuld auf sich: Wo wir Menschen abgewiesen und links liegen gelassen haben. Wo wir Gott in unserem Leben abgewiesen haben. Jesus nimmt das auf sich, was wir nicht mehr wiedergutmachen können. Er hält das aus und schafft es dadurch aus der Welt: Die Tür zum lichtdurchfluteten Festsaal ist geöffnet. Willkommen! sagt Jesus: Auch für dich habe ich Platz bei mir. Auch in Deinem Leben soll es hell und bunt werden.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer