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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum Jahresanfang


Predigt zum Jahresanfang, Sonntag 2. Januar 2022

1.Joh 1,1-4: Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens – und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist –,was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir, auf dass unsere Freude vollkommen sei.


Liebe Mitchristen!

Ein neues Jahr ist da, ein neuer Anfang. „Guten Rutsch!“ Das wünschen wir uns gegenseitig zum Jahreswechsel. Ein merkwürdiger Wunsch ist das eigentlich. Niemand rutscht gerne aus. Und niemand wird gerne aufs Glatteis geführt. Warum wünschen wir uns also einen „Guten Rutsch“? Ist das so etwas, wie wenn man Jemandem beim Sport Hals- und Beinbruch wünscht und damit das genaue Gegenteil meint – dass er beim Ausüben seines manchmal auch gefährlichen Sports unverletzt bleiben möge? Mit dem „Guten Rutsch“ verhält es sich anders. Dieser Wunsch zum neuen Jahr hat nichts mit Ausrutschen und Glatteis zu tun. „Guten Rutsch“, das kommt von dem hebräischen Wort „Rosch“ „Rosch“ ist der Kopf oder der Anfang. „Rosch Haschana“ heißt der Neujahrstag. Ein neues Jahr hat begonnen. Der Anfang ist schon gemacht. Der Kopf ist schon da – wie bei der Geburt eines Kindes. Zuerst kommt der Kopf, und dann der Körper, mit Armen und Beinen, Bauchnabel und Nabelschnur. Wird es ein Junge oder ein Mädchen? In früheren Zeiten, als es noch keine Ultraschalluntersuchungen gab, da konnte man das noch nicht wissen, wenn erst der Kopf durch war bei der Geburt. Was wird das neue Jahr bringen? Wir wissen es nicht, wir stehen noch ganz am Anfang. Ein neues Jahr liegt vor uns, 365 Tage voller Leben. Neujahr haben wir gefeiert. Der Kopf ist schon durch. Aber alles andere ist uns noch verborgen. 

Der Anfang ist schon gemacht. Davon schreibt unser Predigttext aus dem 1. Johannesbrief. Der Verfasser dieses Briefs schreibt voller Begeisterung von diesem neuen Anfang, der sein Leben verändert hat. Gottes Wort hat ihn innerlich berührt. Es hat ihm neue Zugänge zum Leben freigemacht – aus dem alltäglichen Einerlei hin zu Weite und Tiefe. Seine lange und einsame Suche nach dem, was im Leben wirklich Bestand hat, ist endlich an ihr Ziel gekommen. Er ist angekommen, er ist endlich am richtigen Ort, dort in der Gemeinschaft der Christen. Er verspürt eine tiefe innere Geborgenheit. Er hat die Konsequenz daraus gezogen und hat sich taufen lassen. Wie eine Geburt war das für ihn. Wie neu geboren fühlt er sich. Das alte Leben ist gestorben und zählt nicht mehr. Neues Leben liegt vor ihm – ewiges Leben. Große Freude erfüllt ihn, vollkommene Freude. Diese Freude kann und will er nicht für sich behalten. Er möchte sie weitergeben, nicht nur an die Menschen in seiner Nähe, auch an die in der Ferne – an fernen Orten und in fernen Zeiten. Und so schreibt er diesen Brief und trägt die Freude weiter, über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg. Ein Brief, der damals die Menschen an anderen Orten erreichte und uns heute in unserer Zeit, wenn wir diesen Brieftext in der Bibel lesen. 

Der Anfang ist schon gemacht. So lesen wir es in diesem Brief. Von Anfang an war Gott für seine Menschen da. Von Anbeginn der Welt war er nicht nur der große und mächtige Gott, der über allem thront. Von Anfang an war da auch Jesus Christus, Gottes Sohn, der mitten unter uns gelebt hat als ein Mensch wie wir. Unsere Augen haben ihn gesehen, und unsere Hände haben ihn berührt. Und er hat uns berührt in unserer Seele, dieser von den Soldaten des Pilatus ans Kreuz genagelte Jude Jesus. Dieser Jesus, der den Zöllner Zachäus aus seinem Versteck in der Baumkrone herausgerufen hat. Er wollte bei ihm essen. Und der empörten Menschenmenge rief er zu: „Heute ist ein Festtag für dieses Haus! Wer will sich ärgern? Gehört nicht auch dieser Mann zu uns?“ Jesus, der uns damit sagt: Wenn du Menschen ändern willst, dann musst du sie lieben. Jesus, der damit zeigt: Das tut Gott. Tu also auch du das in deinem Umfeld. Tu dich zusammen mit deinem Nachbarn und mit dem Fremden, den alle verachten und übersehen. So wirst du Gott finden und deine eigene Heimat dazu. Worte, die uns in der Seele berühren. Worte, die unser Verhalten, ja unser ganzes Leben verändern können – über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg. Auch uns erreichen diese Worte, wenn wir sie heute in der Bibel lesen und uns in der Gemeinschaft der Christen versammeln, um diese Freude zu feiern. Auch wenn wir längst keine Augenzeugen mehr sind. Dieses Wort hat unsere Seele berührt – Jesus Christus, das Wort des Lebens, das auch unserem Leben Sinn und Ziel gibt und uns als christliche Gemeinschaft zusammenhält. 

All das versteht sich nicht als christliche Schönfärberei. So einfach waren die Lebensumstände zu Zeiten der Römer nicht für die Menschen zur Zeit Jesu und auch nicht für die jungen christlichen Gemeinden. Und auch wir haben heute unsere Sorgen, wenn nun das neue Jahr vor uns liegt, und wir nicht wissen, was es bringen wird: Wie geht es weiter mit unserer Welt? Gibt es einen Ausweg aus der Klimakatastrophe? Wird die Pandemie endlich überwunden werden? Unser Vertrauen auf Gott ist kein Garantieschein für ein Leben ohne Probleme, nicht im persönlichen Bereich und auch nicht im globalen. Aber der Anfang ist gemacht. Der Kopf ist schon da. Jesus Christus ist in unsere Welt geboren. Er verbindet uns mit Gott, und wir sind mit ihm verbunden als seine Gemeinde. Was auch kommt im neuen Jahr an Schönem oder Schwerem, es ist Gottes Geschenk an uns. Nehmen wir es dankbar und mit Freude aus seiner Hand. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer