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Gedanken zum Sonntag

2. Advent


Wochenspruch für die 2. Woche im Advent:

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lukas 21,28)

Liebe Leserinnen und Leser,
Corona dauert. Und Corona hat uns verändert, verändert uns weiter.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen diesbezüglich geht. Aber ich selbst spüre diese Veränderungen immer deutlicher.
Wir haben über bald zwei Jahre hinweg gelernt, „kleinteiliger“ zu leben, mussten es lernen, weil immer weniger planbar war und ist in unserem Leben. Unübersichtlichkeit prägt noch immer unsere Wochen und Tage.
Worauf können wir uns noch verlassen? Höchste Flexibilität ist angesagt. Und hohe Frustrationstoleranz. Perspektiven fehlen, die über den Tag, die Woche, erst recht über den Monat hinausreichen.

Das ist auf Dauer anstrengend. Und verändert uns Menschen. Bei vielen liegen die Nerven blank. Sie sind dünnhäutiger geworden, reagieren schneller über und anders, als sie es vielleicht wollten. Andere finden sich erneut mit ihren Depressionen konfrontiert, von denen sie meinten, sie im vergangenen Sommer hinter sich gelassen zu haben. Und wiederum andere spüren große Einsamkeit und Trauer – und wissen nicht wohin damit.

Es sind unüberschaubare Zeiten. Erwartungen bleiben unerfüllt. Missverständnisse schleichen sich ein – und mitunter auch starke Gefühle wie zum Beispiel Wut, denen manche immer ungehemmter freien Lauf lassen.
Menschen sind verunsichert, enttäuscht, haben Angst und fragen sich, wohin das Ganze noch führen soll. Das Verständnis füreinander, das einst vermeintlich Selbstverständliche, steht zunehmend offener in Frage. Die Kommunikation ist schwieriger geworden, die Meinungen zeigen sich vielschichtiger. Und die Einfallstore für „alles Mögliche“ inklusive diverser Verschwörungstheorien sind weit offen.

Wie gut, dass wenigstens eines in diesen merkwürdigen und unsicheren Zeiten sicher ist: Gott kommt! Gott ist, bleibt und wird uns nahe sein.
Advent, Weihnachten – das ist eine einzige Botschaft: Gott kommt uns nahe. Gott selbst wird einer von uns – nämlich Mensch. Er will einer von uns sein, mit uns – egal wo wir gerade sind, egal wie wir uns gerade befinden.

Gott hat es so bei sich beschlossen: Ich will in – schon damals! – unruhigen Zeiten an einem armseligen Ort zur Welt kommen. Ich will mit euch im Gewirr der Zeiten leben und auf euch zugehen. Ich will mit euch an und unter den Kreuzen leiden, die ihr täglich zu tragen habt. Und ich verheiße euch eine Perspektive, von der ihr nicht zu träumen gewagt habt: Leben, neues Leben in meiner Nähe!

Mit Weihnachten hat alles begonnen – damals vor gut 2000 Jahren. Wir sind (noch) immer mittendrin und erwarten dereinst die Vollendung. Aber leben – das tun wir jetzt: Heute, morgen, hoffentlich auch übermorgen. Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir das getrost tun können.
Und wenn wir immer wieder innehalten – und dann aufsehen, unser Haupt erheben und gen Himmel schauen, könnte das vielleicht sogar helfen, wieder festen Boden unter die Füße und eine Richtung zu bekommen. Denn Weihnachten erdet den Himmel – und richtet die Erde himmelwärts.

Pfarrerin Annegret Liebmann, Rottweil