Markus 14, 3-9: Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander. Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.
Liebe Mitchristen!
Wie geht es Ihnen gerade jetzt, wo Sie diese Predigtgedanken lesen? Ist es Sonntagmorgen, weil für Sie der Sonntag der Tag des Gottesdiensts und der Andacht ist? Oder ist für Sie gerade ein anderer Zeitpunkt wichtig und richtig, um zur Ruhe und zu Gott zu finden? Sind Sie allein oder können Sie in Gemeinschaft beten und auf Gottes Wort hören? Haben Sie sich bewusst dazu entschlossen, jetzt diese Predigtgedanken zu lesen, oder sind Sie eher zufällig hier hängen geblieben?
Unsere gottesdienstliche Gemeinschaft hat sich radikal verändert, seit wir durch die Corona-Krise nicht mehr sonntagmorgens in der Kirche zusammenkommen können. Wir wollen einladen. Wir wollen offen sein für alle. Aber Manche haben wir damit nicht erreicht. Manche haben sich nicht in unsere Gottesdienste getraut, auch wenn wir keine verschworene Gemeinschaft sein wollen, sondern eine offene und einladende. Vielleicht haben diese Menschen es jetzt leichter, wenn sie die Predigt und die Gebete schwarz auf weiß vor sich haben, und der Gottesdienst auf unserer Homepage nur einen Mausklick entfernt ist. Ich weiß es nicht. Jedenfalls möchte ich es Ihnen wünschen, wenn Sie zu diesen Menschen gehören.
Es ist ein Segen, dass es die Medien gibt, über die wir auch in dieser Zeit in Kontakt bleiben können – die Zeitung und unsere lokalen Nachrichtenblätter hier vor Ort, die Homepage unserer Kirchengemeinde, und die Netzwerke, die wir über Email, WhatsApp und Telefon aufgebaut haben. Allen, die daran mitarbeiten und dafür sorgen, dass wir so in Verbindung bleiben, möchte ich herzlich danken. Vieles können wir so miteinander tun – ja, auch Gottesdienst feiern und Andacht miteinander halten. Im Singen, Beten und auf Gottes Wort hören bleiben wir verbunden.
Und doch – Manches ist auch nicht möglich. Taufe und Abendmahl gibt es jetzt nur noch bei Lebensgefahr. Konfirmanden bei der Konfirmation die Hand auflegen zum Segen ist auch nicht möglich. Das alles muss verschoben werden auf später. Das tut mir weh. Und gerade weil es mir weh tut, merke ich, wie wichtig das für mich ist: Diese Sakramente und Rituale, die oft mehr sagen als viele Worte. Weil wir dabei noch auf einer ganz anderen, viel tieferen Ebene angesprochen werden, wenn Gottes Nähe für uns auch körperlich spürbar wird.
Gottes Nähe wird für mich spürbar im Geschmack von einem Stück Brot und einem Schluck Wein beim Abendmahl. Gottes Nähe wird spürbar in der Wärme der Hand, die mich berührt und segnet. Nähe und persönliche Zuwendung, die körperlich spürbar wird. Davon erzählt auch der Predigttext für den Palmsonntag. Da ist eine Frau, die Jesus körperlich nahekommt. Sie salbt seinen Kopf mit Öl.
Eigentlich ist Jesus gerade mit Anderem beschäftigt. Er ist bei Jemanden zum Essen eingeladen. Offen und einladend für alle ist das nun absolut nicht. Man könnte sich vorstellen, an der Tür hängt das Schild: Geschlossene Gesellschaft. Aber diese Frau traut sich, durch diese Tür zu gehen. Sie geht zu Jesus. Auch wenn es für sie so aussehen muss, als ob das eine verschworene Gemeinschaft ist, die ihn da umgibt.
Sie kommt mit ihrer Parfümflasche. Kostbares Nardenöl ist da drin. Das war weit und breit das teuerste Duftöl, das es damals gab. 300 Silbergroschen ist es wert, erfahren wir. Das war damals das Jahreseinkommen eines einfachen Arbeiters. Das Jahreseinkommen! Das muss man sich vorstellen. In unserer Zeit wären das mindestens 20.000 €. Und dieses Geld verbrennt sie einfach, wirft es zum Fenster raus, leert es Jesus über den Kopf. Komplett, die ganze Parfümflasche. Alles auf einmal, in einem Schwall. Sie bricht den Flaschenhals auf, der seinen kostbaren Inhalt sonst nur tröpfchenweise preisgeben würde. Kein Wunder, dass sich da Widerstand regt: Das Geld hätte man doch besser den Armen geben sollen!
Ich finde, dieser Einwand wiegt schwer. Da gibt es Menschen, die jeden Tag schauen müssen, wie ihnen das Geld reicht zum Lebensnotwendigen. Arme habt ihr allezeit, sagt Jesus in unserem Predigttext. Das ist die traurige Wahrheit, bis heute. Ich finde es wichtig, dass wir gerade in dieser schwierigen Zeit die Armen nicht vergessen, denn die jetzige Krise trifft sie doppelt hart. Ich denke an die sozial Schwachen, die auf den Tafelladen in Trossingen angewiesen sind. Dort gibt es in letzter Zeit nicht mehr viel zu kaufen, es fehlt an Grundnahrungsmitteln. Vielleicht können Sie ja helfen mit einer Spende.
Arme habt ihr allezeit, sagt Jesus. Und er weiß auch: Die Armen sind darauf angewiesen, dass wir ihnen Gutes tun. Das ist wichtig. Aber die Sorge um die Armen soll uns nicht den Blick verstellen für das Besondere und Einzigartige. Auch die vielen anderen Sorgen, die wir uns jetzt in dieser Krise machen, sollen uns diesen Blick nicht verstellen. Mich habt ihr nicht allezeit, sagt Jesus. Er weiß, was ihn erwartet – Folterqualen, Schmerzen und Tod. Er weiß, diese Frau salbt ihn zu seinem Begräbnis. Im Blick auf all das Schwere, was er zu erleiden hat, gönnt Jesus sich diesen besonderen Moment der persönlichen Zuwendung. Er genießt die Nähe dieser Frau und den wunderbaren Duft ihres kostbaren Öls.
Den Moment genießen in schwerer Zeit. Das ist das, was wir hier von Jesus lernen können. Für unseren nächsten Gemeindebrief sammeln wir solche Hoffnungszeichen: Das, was Menschen in diesen Tagen Hoffnung gibt und Freude bereitet. Viel könnte das sein: Vielleicht ein Lächeln oder ein gutes Wort, ein Sonnenstrahl oder eine Begegnung – auch auf Abstand oder über die Medien. Ich lade Sie ein, Augen, Ohren und alle Sinne offen zu halten für solche besonderen Momente, die Gott uns auch in dieser Zeit schenkt, wo wir auf Vieles verzichten müssen, was uns lieb geworden ist. Vielleicht gelingt es uns ja dadurch, auch in den unscheinbaren Dingen und Ereignissen etwas zu entdecken von dem Glanz und der Schönheit, die Gott in unser Leben bringen will.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer