2. Mose 12, 1-4+6-8+11-14: Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: Dieser Monat soll bei euch der erste Monat sein, und von ihm an sollt ihr die Monate des Jahres zählen. Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus. Wenn aber in einem Hause für ein Lamm zu wenige sind, so nehme er’s mit seinem Nachbarn, der seinem Hause am nächsten wohnt, bis es so viele sind, dass sie das Lamm aufessen können. Und ihr sollt es verwahren bis zum vierzehnten Tag des Monats. Da soll es die ganze Versammlung der Gemeinde Israel schlachten gegen Abend. Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und dem Türsturz damit bestreichen an den Häusern, in denen sie’s essen, und sollen das Fleisch essen in derselben Nacht, am Feuer gebraten, und ungesäuertes Brot dazu und sollen es mit bitteren Kräutern essen.
So sollt ihr’s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es in Eile essen; es ist des HERRN Passa. Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland unter Mensch und Vieh und will Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter. Ich bin der HERR. Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich das Blut sehe, will ich an euch vorübergehen, und die Plage soll euch nicht widerfahren, die das Verderben bringt, wenn ich Ägyptenland schlage.
Liebe Mitchristen!
Menschen sterben. Im heutigen Predigttext aus 2. Mose sind es die Erstgeborenen, die jede Familie zu beklagen hat. Ihr Sterben ist eine der 10 Katastrophen, die über Ägypten kommen, als das Volk Israel dort in der Sklaverei gefangen war. Solche Katastrophen, die Menschenleben kosten, sind uns heute näher gerückt. Täglich hören wir neue Nachrichten über die Ausbreitung des Corona-Virus, der seine Opfer fordert. Manchmal gelingt es, dass wir uns darüber informieren können, ohne dass es uns persönlich zu schaffen macht. Und es ist wichtig, dass wir das können. Nicht die schlechten Nachrichten sollen die Oberhand über uns haben, sondern das Vertrauen auf Gott, der in den Höhen und Tiefen des Lebens unser Begleiter und Helfer ist.
Und doch können und sollen diese Nachrichten niemanden ganz kalt lassen. Immer wieder gibt es auch bei mir welche, die mir richtig an die Nieren gehen. Das Altenheim in Wolfsburg zum Beispiel, in dem der Corona-Virus ausgebrochen ist und so viele Todesopfer gefordert hat. Ich kenne dieses Altenheim. Meine Großmutter hat dort ihren Lebensabend verbracht, bis zu ihrem Tod vor 7 Jahren. Vielen von Ihnen wird es bei der einen oder anderen Nachricht so gehen. Da geht es auf einmal um Orte und Personen, die ich kenne, zu denen ich einen Bezug habe in meinem Leben. Was kann ich tun, dass nicht die schlechten Nachrichten die Oberhand bekommen bei mir? Dass nicht Angst und Verzweiflung regiert in meinem Leben, sondern das Vertrauen auf Gott?
Die Israeliten sind nicht in Angst und Verzweiflung versunken, damals in Ägypten. Ihre Lage war aussichtslos. Sie waren Sklaven, die unter menschenunwürdigen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten mussten. Wer nicht mehr konnte, blieb auf der Strecke. Ein Menschenleben zählte da nichts. Alle Verhandlungen, die Mose schon mit dem Pharao geführt hatte, waren vergeblich gewesen. Auch die vielen Katastrophen, die sein Land schon erschüttert hatten, konnten das Herz dieses mächtigen Herrschers nicht erweichen. Die Israeliten blieben in Ägypten gefangen. Aber die Hoffnung haben sie nicht aufgegeben. Sie haben festgehalten am Glauben an Gott. Gott, dem es richtig an die Nieren geht, wenn Menschen leiden. Gott hat die Israeliten aus dieser tödlichen Lage herausgeholt und in die Freiheit geführt.
Bevor die Israeliten bei Nacht und Nebel aufbrechen, gibt es noch etwas zu Essen. Sie haben keine Zeit, um ein richtiges Essen zuzubereiten. Ihre letzte Mahlzeit in Ägypten ist eher improvisiert. Da wird dann eben ohne Hefe und Sauerteig Brot gebacken, weil es so schneller geht. Das Bündel ist schon geschnürt, und der Wanderstock in der Hand. Für das Lamm, das sie schlachten und braten, nehmen sich die Israeliten in ihrer Aufbruchstimmung aber doch Zeit. Mit seinem Blut bestreichen sie die Türpfosten ihrer Häuser. Das hilft gegen das Sterben, gegen diesen plötzlichen und unheimlichen Tod aller Erstgeborenen.
Krankheiten, gegen die kein Kraut gewachsen war – die Israeliten kannten das, was wir heute auch wieder erleben müssen. Mit dem Blut des Passa-Lamms setzten sie ein Zeichen gegen die Angst und die Verzweiflung. Es ist ein Zeichen, das Gott ihnen gegeben hat. Ein Zeichen, das ihnen sagt: Ihr sollt leben. Auch wir haben von Gott ein solches Zeichen bekommen – Jesus Christus, Gottes Sohn, der am Kreuz sein Blut für uns vergossen hat. Johannes der Täufer sagt über ihn: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Joh 1,29)
Am heutigen Gründonnerstag denken wir daran, wie Jesus Christus am Abend vor seinem Tod mit seinen Jüngern zusammen das Passah-Mahl gefeiert hat. Die alte Geschichte, wie Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei befreit hat, ist ihnen ganz nahe an diesem Abend. Gerade auch Jesus geht sie an die Nieren. Er denkt daran, dass er ans Kreuz gehen und sterben wird. Angst und Verzweiflung wollen die Oberhand gewinnen bei ihm. Sie treiben ihn um, bis er spät am Abend beim Gebet im Garten Gethsemane seinen Frieden machen kann damit, dass sein Weg ans Kreuz führt.
Gottes Wege mit uns führen nicht immer nur geradeaus. Manchmal sehen wir nicht einmal hinter die nächste Wegbiegung. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Vielleicht ist das auch Ihr Lebensgefühl in der jetzigen Krisensituation. Auch für uns heute gilt das Vermächtnis, das Jesus seinen Jüngern am Abend vor seinem Tod mit auf den Weg gegeben hat. Im Vertrauen auf Gott, der retten kann, selbst aus auswegslosen Situationen wie der Sklaverei in Ägypten. Im Vertrauen auf diesen Gott reicht Jesus seinen Jüngern Brot und Wein und sagt: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“
Auch wenn wir das Abendmahl heute nicht miteinander feiern können – diese Worte gelten auch und gerade für uns. Gott führt uns in die Freiheit. Frei von Sünde und Schuld, frei von Angst und Verzweiflung dürfen wir leben. Wenn uns die aktuellen Nachrichten erschrecken und wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, dann rufen wir uns doch immer wieder in Erinnerung: Die Zukunft steht in Gottes Hand. Gott ist für uns da – an jedem neuen Tag.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer