Predigt zu Johannes 4, 5-14 am 3. Sonntag nach Epiphanias
Liebe Gemeinde,
es gibt Dinge im Leben, bei denen festgelegt ist, wann man sie zu tun hat. Die Tagesschau schaut man abends um 20 Uhr, Gottesdienst ist meist sonntagmorgens, Zähne-putzen – immer nach dem Essen …
Jeder Mensch hat in der Regel Gewohnheiten, nach denen er sich im Alltag richtet. Solche Gewohnheiten geben unserem Leben Struktur. Und wenn jemand seine
Gewohnheit ändert, dann hat das meist einen triftigen Grund.
Und so ist es auch in unserem Predigttext für heute. Wir befinden uns im heutigen Israel, genauer in Samarien, dem Land zwischen Jerusalem und Galiläa im Norden. Dort war es üblich, dass die Frauen an einem Brunnen Wasser schöpfen. Das haben sie in der Regel morgens gemacht, da ist es noch schön kühl war. Wenn es mittags über 40 Grad Celsius gibt und man zu dieser Zeit Wasser holt, dann braucht man den halben Krug als Trinkwasser, bis man wieder zu Hause ist. Und doch begegnet uns in unserem Predigttext eine Frau, die genau das tut. Sie kommt in der Mittagshitze zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Sie beschäftigt scheinbar etwas. Und dort am Brunnen begegnet sie einem Mann – einem durstigen Mann: Jesus von Nazareth. Er macht hier grade Pause. Ich lese den Predigttext aus Johannes 4,5–14.
Jesus kam in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde von der Reise war, setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. – Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest, die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken! du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihm die Frau: Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest und der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser? Bist du etwa mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Söhne und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.
Es ist ein ungewöhnliches Gespräch, das hier am Brunnen stattfindet. Ungewöhnlich aus mehreren Gründen. Anhand von drei Leitsätzen möchte ich mit Ihnen über diesen Text nachdenken.
I. Jesus überwindet Grenzen und Barrieren
II. Jesus – ein einziges Missverständnis
III. Jesus – der wahre Lebensbrunnen
I. Jesus überwindet Grenzen und Barrieren
Das Gespräch ist ungewöhnlich aufgrund der äußeren Bedingungen. Nicht nur die Uhrzeit ist ungewöhnlich, sondern auch, dass ein Mann eine Frau anredet. Das war zu dieser Zeit nicht üblich. Schon gar nicht, wenn der Mann ein religiöser Lehrer – also ein Rabbi war. Und schon gar nicht sprach ein Jude eine Samaritanerin an. Sogar im Predigttext fügt der Autor diesen erklärenden Satz dazu: »Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.
Aber warum nicht? Um das zu verstehen, müssen wir in der Geschichte Israels ein wenig zurückreisen. Im 8. Jahrhundert v. Chr. war Israel geteilt, in das Nordreich »Israel« und das Südreich »Juda«. Beide Staaten waren unabhängig voneinander und trieben ihre eigenen Geschäfte. Im Jahr 722 v. Chr. wurde das Nordreich von den Assyrern, der damaligen Großmacht erobert. Die Städte wurden zerstört und ein Großteil der jüdischen Oberschicht wurde in die Gefangenschaft verschleppt. Im Gegenzug wurden ausländische Bewohner aus anderen eroberten Gebieten der Assyrer in Israel angesiedelt. Und so vermischten sich die ortsansässigen Juden mit den neu angesiedelten Bewohnern; es entstand eine Art Mischvolk. Und auch die Religionen vermischen sich.
Als viele Jahre später die Juden aus dem babylonischen Exil zurückkehrten und den Tempel in Jerusalem wieder aufbauten, verboten sie den Samaritanern, sich daran zu beteiligen, da sie durch die Vermischung mit anderen Völkern als unrein galten. Zudem wurde ihre Religion als falsch und eben auch als verunreinigt angesehen. Daraufhin errichteten die Samariter ein eigenes Heiligtum auf dem Berg Garizim, das im Jahr 128 v. Chr. vom jüdischen König zerstört wurde. Die Vorbehalte zwischen Juden und Samaritern sind also von ethnischer und auch religiöser Art.
Dementsprechend verwundert ist auch die Frau, als der Jude Jesus sie anspricht. Aber er geht überhaupt nicht darauf ein. Jesus kümmert es nicht, welche menschlichen Barrieren wir untereinander aufrichten. Ihm ist es egal, ob es sich gehört oder nicht. Seine Botschaft überwindet kulturelle und gesellschaftliche Barrieren und Grenzen. Er ist nicht nur der Retter Israels, sondern für die ganze Welt. Das heißt: natürlich auch für Samaria. Bei ihm zählt nicht, wie rein und perfekt wir sind, sondern er ist es, der uns rein macht. Deshalb kommt er ins Gespräch mit der Frau, Jesus ermutigt uns dazu, auch über unseren Tellerrand hinauszublicken. Gibt es Menschen, bei denen es mir nicht ›schmeckt‹, wenn sie auch in der Kirche wären. Gibt es Personen, die wir lieber nicht ansprechen? Bei denen wir lieber schweigen und freundlich lächeln, weil es sich nicht gehört, etwas zu sagen?
Jesus ermutigt uns dazu, dass wir menschliche Grenzen und Barrieren überwinden sollen. Seine Liebe gilt allen Menschen. Und er zeigt das, indem er selbst Grenzen überwindet. Jesus – ein einziges Missverständnis
Es ist auffallend in dieser Szene, dass Jesus und die Frau eigentlich völlig aneinander vorbeireden. Auch deshalb ist das Gespräch ungewöhnlich. Die Frau fragt Jesus etwas und Jesus antwortet auf eine andere Frage. Sie redet vom Wasser, er redet von etwas ganz anderem. Es ist fast wie das Teekesselchen-Spiel, bei dem dasselbe Wort zwei unterschiedliche Dinge bezeichnet.
Das Johannesevangelium erzählt uns an mehreren Stellen, dass Jesus Bilder gebraucht, die zu Missverständnissen führen. In Kapitel 3, im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus, sagt Jesus, dass wir neu geboren werden müssen. Und Nikodemus fragt: »Wie kann ein ausgewachsener Mensch in den Körper der Mutter zurückkehren?
So versteht die Frau am Brunnen auch nicht, wie Jesus darauf kommt, dass er ihr Wasser geben könnte. Dabei hat sie doch die Möglichkeit, Wasser zu schöpfen. Der durstige Wanderer, der ihr gegenübersitzt, hat bei der Tiefe des Brunnens keine Chance an Wasser zu kommen.
Dabei redet Jesus von etwas anderem. Er redet von dem »lebendigen Wasser«, so wörtlich. Wasser, das nicht mit dem Krug aus einem Loch im Boden geholt wird. Er redet von einem geistlichen Wasser. Es ist so wichtig für unser inneres Leben, wie Wasser wichtig ist für alles, was lebt – egal ob Mensch, Tier oder Pflanze. Ein Wasser, in dem geistliches Leben, ewiges Leben steckt.
Dieses Missverständnis wird erst später im Gespräch aufgelöst, als sich Jesus der Frau als Messias zu erkennen gibt. Das Johannesevangelium führt hier ganz deutlich vor Augen, dass Jesus eben beides ist: ganz Mensch wie wir – der durstig am Brunnen sitzt – und doch gesandt, um uns das Leben zu geben.
Bis heute kursieren Missverständnisse darüber, wer Jesus ist bzw. wer er war. Ein junger Mann behauptet bei einer Straßenumfrage: »Jesus war ein Mann, der seiner Zeit voraus war. Er hat gute Sachen gesagt und sich für Frieden eingesetzt.« Er meint, Jesus sei ein Mensch wie Gandhi, Buddha, Mutter Teresa oder andere Friedens-stifter gewesen, die wir hochschätzen und verehren. Ein normaler Mensch wie wir – bedürftig wie wir.
In diese Richtung zielt auch die Frage der Frau: »Bist du etwa größer als unser Vater Jakob?« Die übliche Antwort wäre hier vermutlich: »Nein!« Aber Jesus ist größer. Er ist nämlich beides: Mensch und Gott.
Wenn wir Jesus auf sein Menschsein reduzieren, dann bleiben wir im Missverständnis stecken, wie die Frau. Dann bleiben wir hinter dem Leben zurück, das er für uns hat. Dann erfahren wir nichts von seiner göttlichen Kraft in unserem Leben. Dann wird unser Durst
Jesus – der wahre Lebensbrunnen
Denn Jesus ist die Quelle. Er verfügt nicht nur über das Lebenswasser, sondern er selbst ist die Quelle des Lebens. Er ist der Brunnen, bei dem wir, geistlich gesehen, Wasser holen müssen, um unseren Durst zu stillen.
Wir Menschen haben Durst. Ganz äußerlich nach Wasser – unser Körper besteht zu über 60 Prozent aus Wasser, deshalb müssen wir viel mehr trinken als essen, aber wir haben auch einen inneren Durst: Wir sehnen uns nach Glück, nach Liebe, nach Erfolg, nach Ansehen, nach einer Familie usw. Nach Dingen, von denen wir uns versprechen, dass sie uns glücklich und zufrieden machen. Dass sie unseren Lebensdurst stillen. Jesus sagt: »Diesen Lebensdurst, den kann nur ich stillen. Dieses Wasser findest du bei mir.
Der Tennisstar Boris Becker sagte einmal:
»Ich hatte schon zweimal Wimbledon gewonnen, einmal als jüngster Spieler. Ich war reich ich hatte alles, was ich brauchte. Es ist das alte Lied von Filmstars oder Popstars, die sich das Leben nehmen. Sie haben alles, und sind doch unglücklich. Ich hatte keinen inneren Frieden.
Selbst Menschen, die scheinbar alles haben, sich alles leisten können, tragen diese Sehnsucht nach Leben immer noch in sich. Sie sind trotz all des Geldes immer noch auf der Suche danach, etwas zu finden, was den Lebensdurst stillt. Auch die Samariterin trägt diese tiefe Sehnsucht in sich. Jesus wird ihr im Verlauf der Geschichte ihren Lebenslauf zusagen. Fünf Manner hatte sie bereits gehabt und der bei ihr lebt ist nicht ihr Mann. Jesus sagt: »Ich bin die einzige Quelle für dieses Wasser.« Er wird sich der Frau als Messias zu erkennen geben. Und was macht die Frau. Sie überwindet ihre Scham, läuft ins Dorf und erzählt den Menschen von ihrer Begegnung. Und die Menschen glauben ihr und folgen ihr zu Jesus.
Und später im Johannesevangelium wird berichtet, dass Jesus am Kreuz stirbt. Ein römischer Soldat sticht ihm mit einem Speer in die Seite – und da fließen Wasser und Blut heraus. Am Kreuz wird Jesus zur Quelle des Lebens. An dem Ort, wo er die Versöhnung für unsere Schuld erwirkt.
Wer zu Jesus kommt und ihn um das Lebenswasser bittet, der kommt an diesem Kreuz nicht vorbei. Hier müssen wir all das abgeben, wovon wir uns das Leben zuvor erhofft haben. Wir dürfen uns Vergebung zusprechen lassen. Vergebung dafür, dass wir das Leben bei einem anderen gesucht haben als Gott. Und dann dürfen wir uns von seinem Geist neues Leben schenken lassen. Echtes Leben. Lebendiges Wasser, das bleibt. In diesem Leben und in der Ewigkeit. Deshalb zögern Sie nicht, Jesus danach zu fragen.
Amen.
Gabriele Leibold