Predigt zum 1. Advent, 1. Dezember 2024
Liebe Mitchristen!
Advent heißt: Jesus kommt zu uns. Dabei denke ich an die Geschichte, wie Jesus in Jerusalem eingezogen ist (Matthäus 21, 1-11)- wie ein König, und doch ganz anders: Auf einem Esel reitet Jesus. Jesus kommt nicht auf dem hohen Ross zu uns. Warten auf den König- vor einigen Monaten haben das wir an den Fernsehbildschirmen miterlebt, als in England König Charles gekrönt wurde. Eine große Menschenmenge hatte sich da vor dem Palast versammelt, und gespannte Erwartung lag in der Luft. Viele der Menschen haben sich dem Anlass entsprechend gekleidet- in den Farben des Königreichs, oder mit einer Papierkrone auf dem Kopf. Dann öffnet sich die Balkontür. Die Menge wird unruhig. Alle recken die Hälse, denn jeder versucht, einen Blick zu erhaschen. Endlich betreten die Royals den Balkon. Begeisterung brandet auf. Fähnchen werden geschwenkt. Menschen winken und jubeln dem König zu.
Ein König kommt- das ist ein Festtag, mit einer feiernden und begeisterten Menschenmenge- in London in unserer Zeit genauso wie damals in Jerusalem zur Zeit von Jesus: Zweige wurden da von den Bäumen gerissen zum Winken wie mit Fähnchen. Kleider wurden auf der Straße ausgebreitet wie ein roter Teppich. Jesus, der Sohn Davids, zieht in Jerusalem ein, in die Davidsstadt, mit der so viele biblische Hoffnungen und Verheißungen verbunden sind: Das dort die Völker in friedlicher, versöhnungsbereiter Absicht zusammenströmen und sich versammeln und dass von dort aus die Botschaft des Friedens alle Völker in der Welt erreichen soll. Dass Gott von dort aus sein Versprechen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde erfüllen wird: Mit dem himmlischen Jerusalem, der Tochter Zion, die mit ihren edelsteingeschmückten Toren auf das Kommen von Jesus wartet wie eine geschmückte Braut auf ihren Bräutigam: „Tochter Zion, freue dich!“ haben wir vorher miteinander gesungen.
Das sind Friedenshoffnungen, die weh tun in der heutigen Zeit, in einer von Kriegen zerrissenen Welt. Im Heiligen Land ist Krieg, Gaza liegt in Schutt und Asche, und der Waffenstillstand mit der Hamas im Libanon ist brüchig. Wir hoffen auf Gottes neue Welt des Friedens und der Gerechtigkeit: Ewigkeitssonntag und 1. Advent liegen nicht nur im Kalender nahe beieinander. Am 1. Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Dieser neue Anfang steht für Gottes Neuanfang: Das Reich Gottes kommt. Mit der ersten brennenden Kerze am Adventskranz zieht Hoffnung in mein Herz ein. Es wird nicht immer alles so bleiben, wie es ist. Jesus wird kommen- der Heiland der Welt, der das Zerbrochene heil macht.
Advent ist die Vorbereitung auf das Kommen Jesu in meinem Leben. Der 1. Advent ist eine Wegmarke, ein Moment zum Innehalten. Alltag und Arbeit dürfen jetzt einmal ruhen: Jesus kommt. Darauf bereite ich mich vor. Das möchte ich feiern. Die Kerzen auf dem Adventskranz begleiten mich durch diese Zeit. Mit jeder entzündeten Kerze erhellt sich auch das Licht in mir. Jesus kommt in mein Leben. Er ist schon da, aber ich denke gerne und dankbar daran, wie es war, als er in mein Leben gekommen ist. Dankbar bin ich, dass ich Jesus in meinem Leben spüren kann, auch wenn die Zeit trübe und schwer ist, ich Sorgen habe und die Freude wenig Platz hat in meinem Leben. Advent- Jesus kommt in unsere Welt. Mit jeder entzündeten Kerze auf meinem Adventskranz wird es in mir heller, und überstrahlt die Dunkelheit draußen vor der Tür.
Adventskranz, Adventskalender, Weihnachtsdekoration, Wunschzettel und Weihnachtsmärkte. Das alles kann hilfreich sein, um sich auf das Fest einzustimmen, auf das Kommen von Jesus. Aber was dem einen hilfreich ist, kann dem anderen auch hinderlich dabei sein, sich wirklich vorzubereiten auf Weihnachten. „Was wünscht du dir zu Weihnachten?“ habe ich neulich meinen Sohn gefragt. „Lass mich in Frieden mit Weihnachtswünschen!“ hat er mir geantwortet. In dem Moment, als ich ihn gefragt habe, hat er es ganz offensichtlich als Belastung erlebt, sich krampfhaft einen Weihnachtswunsch überlegen zu müssen, und deshalb geantwortet: „Lass mich in Frieden damit.“ Keine sehr freundliche Antwort, aber eigentlich doch eine ernstzunehmende und zu Advent und Weihnachten sogar sehr passende Bitte.
Frieden wünscht sich mein Sohn- inneren Frieden, Seelenfrieden, Frieden auf Erden. Ja, denke ich- er hat Recht: Frieden, das ist wichtiger als alles Drumherum mit Lichterglanz und Geschenke Besorgen. Das alles sind nur Hilfsmittel. Wenn sie uns helfen, dass Jesus in unser Leben einzieht, dann ist es gut. Dann will ich weiter bei meinem Adventskranz sitzen und mein Herz erwärmen am Licht der Adventskerze. Aber wenn mir das alles nicht dabei hilft, dass ich Gottes Licht heller scheinen sehe in der Welt und in meinem Leben, dann darf ich diese Advents- und Weihnachtsbräuche getrost bleiben lassen. Mein Sohn braucht sich keinen Kopf machen, was er sich zu Weihnachten wünschen soll, wenn er das nicht möchte. Vielleicht fällt mir eine Überraschung für ihn ein. Oder es gibt für ihn zu Weihnachten einfach ein bisschen Geld, das er als Student wirklich brauchen kann.
„Vorfreude. Einladung zum Advent“ heißt ein Buch von Johannes Kuhn. Auf S. 36 heißt es dort über das Warten auf das Kommen von Jesus: „Warten. Geduldig und bereit, sich auch stören zu lassen, wenn er ganz anders kommt, als wir eigentlich erwartet haben. Vielleicht muss da einiges beiseitegeschoben werden, damit Raum frei wird für ihn. Vielleicht manchmal sogar alles das, was wir als Zeichen der Bereitstellung vorsehen: Adventskranz und Stern, Tannenzweig und Kerzen, Liebesgaben und Lebkuchengebäck. Denn die machen’s nicht, sondern er macht’s. Er, an dessen Kommen Advent uns erinnert. Das heißt doch: Es wird nicht ewig so weitergehen. Wir werden nicht ewig die sein müssen, die wir nicht sein wollen. Wir haben ja gehört: Er kommt als ein Helfer.“
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer