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Gedanken zum Sonntag

2. Advent

Predigt zum Thema „Weihnachten im Knast“

 

Liebe Mitchristen!

 

Weihnachten feiern im Gefängnis- geht das? Ist Weihnachten nicht eher ein Fest für die, deren Leben in geordneten Bahnen verläuft? Die, bei denen alles klar geht: Wohnung, Beruf, Familie – was ebenso zum Leben gehört. Menschen, die gemütlich unter dem Weihnachtsbaum sitzen und mit ihren Kindern die Geschenke auspacken können. Wer so denkt, hat natürlich nicht ganz Unrecht. So kennen wir Weihnachten. Und auch, wenn wir Weihnachten vielleicht nicht jedes Jahr so gefeiert haben, dann hatten wir trotzdem das Gefühl: So sollte Weihnachten sein, so ist es richtig. Aber Weihnachten ist mehr als das, was wir uns normalerweise darunter vorstellen. Weihnachten ist mehr als nur gemütliche Familienidylle unter dem Weihnachtsbaum. Deswegen feiere ich auch mit den Gefangenen im Rottweiler Gefängnis jedes Jahr am 24. Dezember einen Weihnachtsgottesdienst- zusammen mit meinem katholischen Kollegen Diakon Leibrecht und musikalisch begleitet vom Rottweiler Posaunenchor. Dies ist ein Teil meiner Aufgabe als Gefängnisseelsorgerin für das Rottweiler Gefängnis.

 

Im Gefängnis ist es nicht gemütlich. Wenn ich dort im Gefängnis Weihnachten feiere, dann denke ich daran, dass es in Bethlehem im Stall sicherlich auch nicht gemütlich war. Maria und Josef waren Fremde in dieser Stadt Bethlehem. Sie waren von weither gekommen und wussten nicht, wo sie die Nacht verbringen sollten. Letztendlich mussten sie mit einer Notunterkunft vorliebnehmen. Dort im Stall hat Maria ihr Kind zur Welt gebracht. In eine Futterkrippe hat sie es legen müssen, denn Maria und Josef hatten sonst nichts.

 

Wenn ich Weihnachten feiere mit den Gefangenen, deren Leben nicht in geordneten Bahnen verläuft, dann denke ich daran, dass das Leben von Maria und Josef auch nicht in geordneten Bahnen verlief. Es war ganz aus der Bahn geworfen worden durch die Schwangerschaft und die Geburt des Jesuskindes. Sicher hätten die beiden sich erst später ein Kind gewünscht. Sicher hätten sie erst heiraten wollen, dann vielleicht noch etwas Geld sparen für die gemeinsame Wohnung. Josef konnte es erst gar nicht fassen, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Zuerst wollte er Maria sogar verlassen, weil er dachte, sie hätte ihn betrogen. Gott konnte ihn gerade noch davon abbringen, indem er im Traum einen Engel zu ihm schickte.

 

Die Volkszählung brachte dann vollends alles durcheinander für Maria und Josef und ihr ungeborenes Kind. Wie kann man ein junges Paar mit einer hochschwangeren Frau auf eine solch beschwerliche Reise schicken, von Nazareth nach Bethlehem! Von Weihnachtsstimmung war nichts zu spüren damals, stattdessen einfach nur ein großes Durcheinander- äußerlich und innerlich. Denn Maria und Josef werden dieses Durcheinander sicherlich auch als ein Durcheinander der Gefühle erlebt haben: Zunächst einmal ist da das Gefühl der Ohnmacht: „Wir werden ungerecht behandelt, und wir können nichts dagegen machen. Die Mächtigen machen ihre Beschlüsse, und wir kleinen Leute müssen es ausbaden.“ Dann das Gefühl der Wut: „Denen sollte man es mal richtig zeigen, diesen Mächtigen in Rom, die da in ihren Palästen sitzen, und uns arme Leute macht man kaputt!“ Schließlich kommt das Gefühl der Verzweiflung: „Was da von uns verlangt wird, dieser weite Weg nach Bethlehem, das schaffen wir einfach nicht! Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll!“

 

Ohnmacht, Wut und Verzweiflung – diese Gefühle begegnen mir oft, wenn ich als Gefängnisseelsorgerin mit Gefangenen zu tun habe. Und auch außerhalb des Gefängnisses kennen wir diese Gefühle nur zu gut. Weihnachtliche Gefühle stellen wir uns anders vor. Ein Wunder, dass es trotzdem Weihnachten geworden ist für Maria und Josef. Ein Wunder, dass Josef nicht durchgedreht ist und einfach dreingeschlagen hat, bei all der ungerechten Behandlung, die er und seine Maria erlebt haben. Ein Wunder, dass er nicht verzweifelt ist und sich selbst aufgegeben hat. Dass er nicht vor der harten Wirklichkeit geflüchtet ist in irgendwelche Scheinwelten wie Drogen oder Alkohol. Denn Ohnmacht, Wut und Verzweiflung können leicht die Oberhand gewinnen und Menschen kaputt machen. Sie können der Grund sein, warum Menschen so weit kommen, dass sie Weihnachten im Gefängnis feiern müssen.

 

Genau darum erzähle ich auch den Menschen im Gefängnis vom Wunder der Weihnacht. Davon, dass Ohnmacht, Wut und Verzweiflung nicht das letzte Wort haben müssen. In diese harte und brutale Welt schickt Gott ein kleines Kind. Denn nicht das Harte und Brutale kann die Welt zum Guten ändern, sondern allein die Liebe. Durch die Liebe wird die Welt gerettet. In Jesus Christus kam die Liebe in die Welt. Er hat so viel Ungerechtigkeit erleiden müssen, schon als kleines Kind in der Krippe, und erst recht später, als er unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Aber er hat diese Ungerechtigkeit durch Liebe überwunden. Er hat alle Schuld der Welt auf sich genommen, als er am Kreuz gestorben ist. Er hat auch die Verzweiflung überwunden. Durch seine Auferstehung hat er gezeigt, dass es weiter geht, auch da, wo wir keinen Ausweg mehr sehen.

 

Jesus Christus schenkt uns Hoffnung. Aus dieser Hoffnung heraus können wir unser Leben neu überdenken. Wir können dankbar sein für das Gute und Schöne, was wir in unserem Leben schon erleben durften. Ob wir in Freiheit leben oder im Gefängnis- wir dürfen uns darauf verlassen, dass trotz allem, was in unserem Leben schief gelaufen ist, einer da ist, der uns nicht fallen lässt: Jesus Christus, der die Armseligkeit und Verworrenheit dieser Welt am eigenen Leib erfahren hat. Im Stall von Bethlehem ist er für uns zur Welt gekommen. Er schenkt uns die Liebe – das größte Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen. Bereiten wir uns vor auf sein Kommen- jetzt im Advent!

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer