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Gedanken zum Sonntag

Septuagesimae

Predigt zum Sonntag Septuagesimae, 5. Februar 2023

Matthäus 9, 9-13: Jesus ging von Kapernaum weiter. Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus im Haus zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« Jesus hörte das und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹ Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

Liebe Mitchristen!

Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Auto unterwegs. Und direkt vor Ihrem Auto fährt ein Polizeifahrzeug. An dem Polizeifahrzeug leuchtet die Aufschrift: „Bitte folgen.“ Was müssen Sie jetzt machen? Im Fragenkatalog zur theoretischen Fahrprüfung gibt es auf diese Frage drei mögliche Antworten, und nur eine ist richtig: 1. Nur Schwertransporte müssen dem Polizeifahrzeug folgen. 2. Alle Fahrzeuge, die in gleicher Richtung fahren, müssen dem Polizeifahrzeug folgen. 3. Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen. Gar nicht so einfach, die theoretische Fahrprüfung. Welche Antwort ist richtig? Richtig ist die Antwort: Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen. „Bitte folgen.“ Das gilt nur für mich ganz persönlich. Eine Aufforderung, der ich besser nachkommen sollte, wenn da das Polizeifahrzeug vor mir fährt. Wenn ich das dann nicht tue, wird es teuer für mich. „Bitte folgen.“ Das sagt Jesus in unserer biblischen Geschichte zu dem Zolleinnehmer Matthäus. „Bitte folgen.“ Das gilt auch für mich. Das gilt für jeden von uns ganz persönlich: Nur Sie müssen Jesus folgen.

Freilich, der Vergleich mit einem Polizeiauto hinkt. Wenn ich Jesus folge, dann tue ich das nicht unter Zwang und Bußgeldandrohung. Ich tue es freiwillig. Und doch: Es hat auch einen Preis für mich, wenn ich mein Leben nicht auf Gott ausrichte. Matthäus, der Zolleinnehmer, hat es so erlebt. Er hat für sein Leben eine Entscheidung getroffen: Geld und Reichtum, das ist mir wichtiger als mein Leben an Gott auszurichten und auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen. Matthäus hat sich entschieden, mit den Römern zusammenzuarbeiten, mit der damals verhassten Besatzungsmacht. Da sitzt er also in seinem Zollhäuschen an der Stadtmauer. Die Bauern kommen, die ihre Ware bringen und sie in der Stadt auf dem Markt verkaufen wollen. An der Zollstation müssen sie den Zoll zahlen. Matthäus verdient gutes Geld dabei, und seinem Verdienst sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Denn es kümmert niemanden, wenn er den Durchreisenden und Händlern an der Zollstation mehr Geld abnimmt, als die Römer verlangen. Korruption war weit verbreitet unter den Zolleinnehmern in Israel.

Matthäus hat Geld. Und er hat sich entschieden, dass ihm das wichtiger ist, als sein Leben nach Gott auszurichten. Aber es hat seinen Preis für ihn, dass er sein Leben nicht nach Gott ausrichtet. Es hat den Preis, dass er allein dasteht. Dass er einsam ist. Dass er bei allen anderen unbeliebt ist. Denn die anderen sagen über die Zolleinnehmer: Das sind Halsabschneider, Betrüger, Faulpelze, Menschen mit unehrlicher Arbeit. Nur Jesus redet anders mit diesem Zolleinnehmer, als es die Anderen tun. Matthäus bekommt eine neue Chance. Folge mir, sagt Jesus zu ihm.

Folge mir, sagt Jesus auch zu jedem von uns. Folge mir. Gott braucht dich. Folge mir. Du gehörst dazu. Du musst nicht allein bleiben. Folge mir. Was kaputt ist in deinem Leben, es kann wieder gut werden oder anders gut werden. Folge mir, sagt Jesus. Jesus lässt es nicht bei leeren Worten bewenden. Er setzt sich mit diesem Zolleinnehmer Matthäus und mit anderen Zolleinnehmern und Sündern an einen Tisch. Was sind das für Sünder? Ich denke an die Geschichte von der Ehebrecherin, wo keiner den ersten Stein wirft, weil alle Menschen Sünder sind. Solche Menschen wie diese Ehebrecherin stelle ich mir vor, die da mit Jesus am Tisch sitzen. Oder Frauen, die keine Familie haben, so dass sie gezwungen sind, als Prostituierte zu arbeiten, um nicht zu hungern. Das sind Menschen, von denen die Leute sagen: Das sind Sünder. Das sind Sünderinnen. Menschen, mit denen keiner was zu tun haben will. Was für Menschen könnten das heute sein? Ich bin als Seelsorgerin seit einigen Monaten auch im Gefängnis tätig. Dort begegne ich Menschen, die einer langen Haftstrafe entgegensehen. Ich sage ihnen: „Bei Gott haben Sie trotzdem eine Chance. Und wenn Sie rauskommen, und sei es erst in 10 Jahren, dann ist es es wert, es anders zu probieren im Leben als auf kriminelle Weise.“ Es kommt mir selber steil vor, so zu reden. Aber ich weiß, Jesus hätte auch so gesprochen. Er hätte sich mit diesen Menschen an einen Tisch gesetzt.

Folge mir, sagt Jesus. Und er setzt sich an einen Tisch mit Zolleinnehmern und Sündern. Jesus lädt diese Menschen ein: Iss mit mir! Komm! Wie viel Wirkung kann in so einer Einladung stecken! Wenn Jesus sich mit an den Tisch setzt, da geht ein Stück Himmel auf: Gott sieht dich. Gott hat dich nicht vergessen. Du gehörst dazu. Du musst nicht allein am Tisch sitzen. Viele Menschen essen heutzutage allein. Ja, auch bei uns zuhause, wo mein Sohn und ich zusammen leben, ist es oft so, weil unsere Zeiten und Termine nicht zusammenpassen. Und doch geht es uns beiden so, dass es uns lieber ist, wenn wir nicht allein essen, sondern miteinander. Mein Sohn hat mir dazu erzählt, dass es einen neuen Trend gibt: Wenn man allein isst, dann schaut man beim Essen auf Youtube ein Video an von jemandem, der gerade auch isst. Ganz verschiedene Videos gibt es da: Solche, wo jemand sehr gesittet isst und solche, wo jemand das Essen in sich reinschlingt. Aber immer ist es jemand, der isst, das ist wichtig. Ein Trend aus Korea ist das- aus der Großstadt, wo Menschen viel allein sind beim Essen. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass es so einen Trend gibt, das Menschen sich sagen: Wenn ich schon allein bin beim Essen, dann will ich wenigstens auf dem Bildschirm noch jemanden bei mir haben, der auch gerade isst und mir so Gesellschaft leistet.

Auch im Gottesdienst beim Abendmahl wollen wir miteinander essen und trinken. Wir wollen uns daran erinnern, dass Jesus mitten unter uns ist, wenn wir das Abendmahl feiern. Jesus setzt sich an einen Tisch mit uns. Mit ihm haben wir Gemeinschaft, so wie wir sind. Ganz unterschiedlich sind wir mit dem, was wir mitbringen: Mit den Entscheidungen, die wir in unserem Leben getroffen haben – Entscheidungen, die uns von Gott weggeführt haben, oder uns näher zu ihm gebracht haben. Wo auch immer wir stehen, wenn wir auf unser Leben blicken – wir dürfen uns darauf verlassen, dass wir bei Jesus eingeladen sind. Jesus sagt uns: Folge mir. Komm, lass dich einladen. Iss mit mir. Hab Gemeinschaft mit mir. Ich bin da für dich. Ich bin mitten unter euch, wenn ihr das Abendmahl feiert. In unserem Bibeltext sagt Jesus: „Nicht die Gesunden und Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Nicht die Gerechten, sondern die Sünder.“

Wer sind die Starken, wer sind die Kranken? Ich denke, wir alle können in unserem Leben immer wieder an der einen oder an der anderen Stelle stehen. Es ist in Ordnung, wenn wir jetzt gerade die Kranken sind und Hilfe brauchen, und diese dann auch annehmen. Und es ist in Ordnung, wenn wir gerade die Starken und Gesunden sind, und für die anderen eine Hilfe sein können. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn wir denken: Dieser andere Mensch ist hier fehl am Platz, mit allem, was er mitbringt aus seinem Leben. Immer wieder sind wir in dieser Gefahr. Immer wieder sollen wir uns daran erinnern lassen, dass wir auch die Menschen, die uns ferner sind, als unsere Brüder und Schwestern annehmen, mit denen wir in Jesus Christus verbunden sind. Ich denke noch einmal an den kurzen Satz, den Jesus uns hier mit auf den Weg gibt: Nicht die Starken und Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich finde das auch für mich persönlich eine große Entlastung – zu wissen, ich bin willkommen, so wie ich bin. Mit allen Brüchen und Fehlern, die zu meinem Leben gehören. Mit allen Hoffnungen und Sehnsüchten. Ich bin eingeladen. Ich darf kommen. Bei Gott bin ich willkommen. Jesus Christus lädt uns alle an seinen Tisch.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer