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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Jesaja 5,1-7. Sonntag Reminiszere, 28. Februar 2021


Liebe Mitchristen,

Noch ist es nicht Frühling. Aber der Schnee ist geschmolzen, und wir sehen, was darunter ist: Das Gras vom Vorjahr, die nackte braune Erde. Und Steine. Steine gibt es ja viele hier auf der Schwäbischen Alb. Der Boden ist karg und steinig. Ackerbau ist hier ein mühsames Geschäft das sich heutzutage praktisch nicht mehr lohnt. Ich war schon als Kind öfters hier auf der Schwäbischen Alb, am Wochenende und in den Ferien. Da gab es noch mehr Äcker als heute. Und ich staunte über die vielen Steine, die in diesen Äckern lagen. Manche davon waren Versteinerungen, die ich mit nach Hause genommen habe. Und manchmal gab es eine Mauer am Rand eines solchen Ackers. Mein Vater erklärte mir dazu: Die Leute haben die Steine aus dem Acker gesammelt und daraus diese Mauer gebaut. Ich staunte wieder: So viel Arbeit. Wie viele Steine muss man da sammeln, bis daraus eine Mauer wird? Und immer noch sind da so viele Steine im Acker. 

Steine aus dem Acker sammeln. Davon hören wir auch in unserem Predigttext. Die Landschaft ist lieblicher und das Klima milder. Ein Weinberg wird beackert. Aber steinig ist dieser Boden auch. Kann man da wirklich alle Steine rauslesen? Der, der diesen Weinberg beackert, der macht das. Die Lage ist gut, Südhang, es lohnt sich, sagt er sich. Und er packt an. Er ist richtig mit Herzblut bei der Sache. Aus den Steinen baut er eine Mauer und gleich noch einen Wachturm und eine Kelter. So ist der Weinberg gut geschützt, und die wertvollen Trauben können gleich vor Ort verarbeitet werden. Dieser Weingärtner hat wirklich an alles gedacht. Sein Weinberg, das ist für ihn nicht nur irgendein Job. Das ist seine Passion, seine große Liebe. „Komm, mein Freund, lass uns früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sprosst und seine Blüten aufgehen. Da will ich dir meine Liebe schenken.“ So heißt es im Hohenlied (Hld 7, 11-13). Der Weinberg steht für die Liebe. Für die Menschen in Israel war das ein vertrauter Vergleich – der Weinberg und die Liebe. „Hört mal alle her,“ sagt der Prophet Jesaja in Israel. „Hört her, ich singe euch ein Lied vor. Ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“ „Das wird sicher ein Liebeslied sein“, denken die Leute in Israel. Und sie spitzen die Ohren.

Und wirklich, es fängt richtig gut an, dieses Lied. Aber das dicke Ende kommt noch. Der Weingärtner wartet und wartet, aber die guten Trauben kommen nicht. Völlig ungenießbar sind die Beeren, die da an den Reben hängen. Nichts, wirklich nichts kann er damit anfangen. Es war alles vergebliche Liebesmühe. Alles umsonst. So viel investiert hat er in diesen Weinberg, in diese Liebesbeziehung. Was hat er nun davon? Nichts. Mit leeren Händen steht er da. Was habe ich bloß falsch gemacht? Sagt es mir doch! Habe ich noch etwas vergessen? Hätte ich irgendetwas anders machen können? Die Zuhörer sind sprachlos. Sie wissen keine Antwort. Aber es wird noch ungemütlicher. Das ist kein Liebeslied, was der Prophet hier singt. Er schenkt uns reinen Wein ein mit seinem Lied. Er singt von enttäuschter Liebe. Von Hoffnungen, die sich zerschlagen haben. Von jahrelanger Mühe und Arbeit. Und am Ende war alles für die Katz. 

Das sind bittere Erfahrungen, wie wir sie auch heute kennen. Gerade auch jetzt, in diesen unsicheren Zeiten. Menschen verlieren ihre wirtschaftliche Existenz in dieser Krise – das, was sie sich über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut haben. Beziehungen werden auf eine harte Probe gestellt durch die Kontaktbeschränkungen, die wir haben: Kann die Ehe, kann die Familie das aushalten, wenn alle anderen Sozialkontakte auf ein Minimum heruntergefahren sind? Lange Mühe, Arbeit und Entbehrung – das kennen wir auch in diesen Zeiten. Wir geben uns alle Mühe, uns an den Lockdown zu halten. Wir verzichten auf so Vieles. Und es stellt sich so wenig Lohn für unsere Mühe ein. Die Infektionszahlen steigen wieder.

Irgendwann kann man auch mal die Geduld verlieren. Der Prophet Jesaja kann da jedenfalls ein Lied davon singen. Ein Lied von seinem Freund und seinem Weinberg. In blinder Zerstörungswut schlägt dieser Freund alles kurz und klein, was er sich über all die Jahre aufgebaut hat. Am Ende steht kein Stein mehr auf dem anderen in seinem Weinberg. Mauer und Kelter sind dem Erdboden gleich gemacht. Alles ist zertreten und zerstört, es wächst nur noch Unkraut. Selbst die Regenwolken ziehen lieber weiter. 

So wie diesem enttäuschten Weinbergbesitzer, so geht es Gott mit euch, sagt der Prophet Jesaja. Ihr wart Gottes große Liebe. Aber ihr tretet die Gerechtigkeit mit Füßen und unterdrückt die Armen. Gottes Liebe ist enttäuscht. Enttäuschte Liebe lässt sich nicht einfach zur Seite schieben, als ob nichts gewesen wäre. Es sind große Gefühle, die sich da Bahn brechen: Trauer und Wut, ja auch Zerstörungswut. So kannten wir Gott gar nicht. Verwüstet, eingerissen, zertreten wird da der Weinberg – Gottes Pflanzung, die wir zusammen mit Israel sind. Hört Gottes Liebe also auf, weil sie enttäuscht wurde? Wenn wir nur dieses eine Bibelwort hätten, dann müsste ich in der Tat antworten: Ja, so ist es. Es ist ein ernstes Bibelwort. Ein Bibelwort, dass uns auffordert, unser Leben neu zu überdenken und uns für Gerechtigkeit einzusetzen. Für ein Happy-End ist da kein Platz. 

Aber es ist nicht das letzte Wort, das Gott gesprochen hat. Es ist nicht das letzte Lied, das der Prophet Jesaja singt von Gott und seinem Weinberg. Viel später singt der Prophet Jesaja noch ein anderes Weinberglied. Das Happy-End kommt eben nicht immer sofort. Auch die Trauer und die Wut über die enttäuschte Liebe und die vergebliche Liebesmüh haben ihre Zeit. Aber Trauer, Wut und Zerstörung haben nicht das letzte Wort bei Gott. Gottes Liebe hat einen langen Atem. Und so singt Jesaja später, als die Zeit reif ist dafür, sein zweites Weinberglied. In Jesaja 27 heißt es: „Ich, der Herr, behüte meinen Weinberg und begieße ihn immer wieder. Damit man ihn nicht verderbe, will ich ihn Tag und Nacht behüten. Ich zürne nicht. Sollten aber Disteln und Dornen aufschießen, so wollte ich über sie herfallen und sie alle miteinander anstecken, es sei denn, sie suchen Zuflucht bei mir und machen Frieden mit mir, ja Frieden mit mir.“

Irgendwann kommt das Happy-End. Verlieren wir nicht die Geduld. Setzen wir uns für Gerechtigkeit ein und für die Schwachen, die gerade jetzt in der Pandemie unseren Schutz brauchen. Machen wir unseren Frieden mit Gott – auch wenn unser Leben manchmal steinig ist wie der Ackerboden hier auf der Schwäbischen Alb. Dazu helfe uns Jesus Christus. Er ist unser Friede. 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer