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Gedanken zum Sonntag

Exaudi

Predigt zum Sonntag Exaudi, 21. Mai 2023

1.Samuel 3, 1-10: Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war. Und der Herr rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich! und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart. Und der Herr rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. Da kam der Herr und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.

Liebe Mitchristen!

Unruhige Nächte. Junge Familien kennen das. Immer wieder wacht das Kind nachts auf und braucht Trost und Fürsorge. Und dann ist es endlich so weit. Das Kind schläft durch. Ein großer Schritt in der Entwicklung des Kindes. Es hat jetzt den Rhythmus von Tag und Nacht gelernt. Ein großer Schritt ist das auch für die Eltern. Endlich kommen sie nachts wieder zur Ruhe und können frisch und erholt in den neuen Tag starten. Nur bleibt das meistens nicht immer so. Meistens kommen in der Entwicklung des Kindes auch wieder andere Phasen: „Ich kann nicht einschlafen, Papa. In meinem Zimmer ist ein großes schwarzes Monster!“ Kinder sehen manchmal Dinge, die wir nicht sehen. Ihre Träume sind für sie oft realer als das, was wir Realität nennen.

Nein, es sind nicht nur die Kleinkinder, die nachts aufwachen und jemanden brauchen, der für sie da ist. Unser Bibeltext erzählt von einem solchen Kind, das schon größer ist. Samuel heißt der Junge. Als kleines Kind hat ihn seine Mutter nach Schilo gebracht. Dort stand damals der Tempel von Israel. Samuel war ein Schüler an diesem Tempel. Sein Lehrer war Eli, der alte Priester. Bei ihm erlernte Samuel den Beruf des Priesters. Aber jetzt, wo unser Bibeltext spielt, da ist eigentlich gerade Feierabend. Der alte Eli hat sich auf seinem Lager schlafen gelegt. Vor dem Einschlafen hängt Eli noch seinen Gedanken nach: „Es wird Zeit, dass Samuel alt genug ist, um mein Nachfolger zu werden als Priester hier im Tempel. Gut, dass der Junge so verantwortungsbewusst ist. So kann ich ihm die Öllampe drüben im Tempel anvertrauen- das Ewige Licht, das nie verlöschen soll. So wie dieses Licht, so ist Gott immer für uns da. Gottes Licht leuchtet auch im Dunkel der Nacht.“

Eli seufzt, als er an das Dunkel denkt. Dunkel ist es auch in seinem eigenen Leben. Seine Familie macht ihm Sorgen und Kummer. Ja, Eli hat zwei Söhne, die schon erwachsen sind, gesunde und starke Männer. Dafür kann er Gott eigentlich dankbar sein. Beide Söhne haben von Eli den Beruf des Priesters gelernt. Trotzdem machen sie ihm Kummer. Denn die beiden haben keinen Respekt- weder vor Gott noch vor den Menschen. So viele Tempelbesucher haben sich bei Eli schon über seine beiden Söhne beschwert: Unfreundlich und unverschämt sind sie. Und sie bereichern sich an den Opfergaben, die die Leute mitbringen. Dabei sind die doch für Gott bestimmt! Niemand findet Trost und Halt bei diesen jungen Priestern. Noch nie hat Eli von einem der Tempelbesucher ein Wort des Lobes über seine Söhne gehört, immer nur Klagen und Beschwerden, eine schlimmer als die andere.

Es geht bergab mit dem Tempel und mit unserem Glauben, denkt Eli. Und da soll ich Samuel zum Priester ausbilden, der doch noch ein Kind ist? Wie kann ich das schaffen, wo ich es schon bei meinen eigenen Söhnen nicht geschafft habe? Voller Sorgen liegt Eli auf seinem Lager. Es dauert lange, bis er einschlafen kann.

Unruhige Nächte. Das kennen wir alle. Sorgen und Kummer können uns den Schlaf rauben. Nachts werden sie wach, die Gedanken und Fragen, die wir tagsüber verdrängen und wegschieben: Was ist das für eine Welt, in der unsere Kinder aufwachsen? Mitten in Europa tobt ein brutaler Krieg, der kein Ende nehmen will. Die Klimaveränderung ist längst zur Klimakatastrophe geworden. Die steigenden Preise erinnern uns daran: Der Wohlstand, der für uns so viele Jahrzehnte lang schier selbstverständlich war, ist es längst nicht mehr. Was ist das für eine Welt, in der unsere Kinder aufwachsen? Wo können wir ihnen Trost, Halt und Sicherheit bieten in dieser unsicheren Zeit? In der Kirche feiern wir miteinander Gottesdienst, und bringen unsere Kinder zur Taufe. Aber wir werden weniger, die sich zum christlichen Glauben bekennen. Wie wird es in Zukunft um unsere Kirche bestellt sein? Geht es bergab mit unserer Kirche und unserem Glauben?

Unruhige Nächte. Samuel liegt auf seinem Lager, ein Junge von 11 Jahren. Samuel ist stolz auf sich, denn er weiß: Eli traut es mir zu, dass ich auf die Öllampe im Tempel aufpasse. Hier im Tempel darf ich schlafen, ganz nahe bei diesem Licht, das uns daran erinnert: Gott ist immer für uns da. Mit diesem guten Gefühl schläft Samuel ein. Doch plötzlich fährt er hoch aus seinem Schlaf: War da etwas oder sogar jemand? Hat die Lampe nicht geflackert? Hat nicht jemand gerufen? „Samuel!“ Jemand ruft meinen Namen, denkt Samuel. Das muss Eli sein. Sonst ist ja niemand hier. Samuel läuft schnell zu Eli: „Du hast mich gerufen, Eli. Hier bin ich.“ „Nein, Samuel. Das hast du nur geträumt. Geh nur wieder rüber in den Tempel und lege dich schlafen. Alles ist in Ordnung,“ sagt Eli. Samuel schläft wieder ein. Da hört er wieder diese Stimme: „Samuel!“ Wie ein Schlafwandler läuft er hinüber zu Elis Lager: „Du hast mich gerufen, Eli.“ „Nein, Samuel, geh wieder schlafen.“ Aber Samuel schläft nur kurz. Ein drittes Mal hört er den Ruf: „Samuel!“ Und gleich ist er wieder bei Eli: „Du hast mich gerufen!“ Auf einmal ist Eli hellwach. Ein Gedanke durchzuckt ihn: Was wäre, wenn es Gottes Stimme wäre, die den Jungen ruft? Was wäre, wenn es doch nicht bergab geht mit dem Tempel und dem Glauben? Was wäre, wenn Gottes Licht nicht nur in der Öllampe im Tempel leuchtet, sondern in unseren Herzen? Leise sagt er zu seinem Schüler Samuel: „Wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört.“

In meinem Religionsunterricht in der Grundschule habe ich Kinder, die im selben Alter sind wie Samuel. Manchmal fragen sie mich: „Warum hat Gott zu den Menschen in der Bibel geredet, und heute redet er nicht mehr mit uns?“ In der Geschichte von Samuel und Eli heißt es, dass das Wort Gottes selten war in ihrer Zeit, und dass Samuel es nicht kannte. Dabei hat Samuel als Priesterschüler doch ganz sicher die Geschichten gekannt, die wir in der Bibel lesen, und erst recht die Gebete und Rituale, die zum Glauben gehören. Aber Glauben ist eben mehr als vorformulierte Texte und vertraute Rituale, so wichtig das alles auch ist. Glauben bedeutet eben auch: Auf Gottes Stimme zu hören, und mein Leben in sein Licht zu stellen. Ja, Gottes Licht scheint auch heute, selbst in die tiefsten Dunkelheiten unserer Zeit. Und Gottes Wort kommt auch heute zu uns, davon bin ich überzeugt. Aber wir müssen eine Antenne dafür haben, damit wir hören können, was Gott uns heute zu sagen hat. Manchmal sind es gerade die Kinder, die uns dabei helfen können, unser Herz zu öffnen für das, was Gott uns sagen will in unserem Leben. Kinder sehen manchmal Dinge, die wir nicht sehen und hören Dinge, die wir nicht hören. Nicht nur nachts, wenn sie schlecht schlafen. Auch tagsüber, wenn sie ihre Fragen stellen zu Gott und der Welt. Da brauchen sie Erwachsene, die sie begleiten und im Glauben anleiten. Und wir Erwachsenen brauchen die Kinder. Denn gerade die Kinder haben oft eine Antenne zu dem, was Gott uns sagen will, mehr als wir Erwachsenen. „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen,“ sagt uns Jesus in Mk 10, 15. Machen wir uns also immer wieder auf die Suche nach dieser kindlichen Offenheit für Gott- damit das Wort Gottes nicht selten bleibt in unserer Zeit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer