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Gedanken zum Sonntag

Misericordias Domini

Predigt zum Abschluss des Glaubenskurses am Sonntag, 23. April 2023

Mk 2, 13-17: Jesus ging wieder hinaus zum See. Die ganze Volksmenge kam zu ihm, und er lehrte sie. Als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus. Der saß an seiner Zollstation. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus bei ihm zu Hause zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Es waren inzwischen viele, die Jesus folgten. Die Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, dass Jesus mit Leuten, die als Sünder galten, und mit Zolleinnehmern aß. Da sagten sie zu seinen Jüngern: »Wie kann er mit Zolleinnehmern und Sündern essen?« Jesus hörte das und gab ihnen zur Antwort: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

 

Liebe Mitchristen!

„Entdeckungen im Land des Glaubens“. So hieß der Glaubenskurs, auf den wir uns eingelassen haben in den vergangenen Wochen.  Neuland entdecken: Was wird uns erwarten? Die Frage hat uns alle irgendwie beschäftigt, jede und jeden auf ganz eigene, persönliche Weise. Was haben wir miteinander entdeckt an diesen sieben Abenden, was hat jede und jeder für sich entdeckt? Am letzten Mittwoch haben die Glaubenskurs- Teilnehmer aufgeschrieben, welche Früchte der Glaubenskurs für sie getragen hat. Mich hat beeindruckt, was dabei alles aufgeschrieben wurde.

Wie lässt sich Gott erfahren, wie lässt sich Glaube leben in meinem eigenen Leben? Das waren Fragen, die uns immer wieder beschäftigt haben an diesen Abenden. Und auch das, was uns den Zugang zu Gott erschwert hat in unserem Leben: Erfahrungen von Lebenskrisen, die den lieben Gott fragwürdig werden ließen. Oder schwierige Erfahrungen mit Menschen, die Gott als Drohung missbrauchten: Pass auf, Gott sieht alles! Manchmal fällt es schwer, an Gott zu glauben.  Manches macht es uns schwer. Und trotzdem finden Menschen den Weg zu Gott- und es sind nicht immer nur die, von denen wir es schon immer dachten. Das haben auch die Menschen zur Zeit Jesu so erlebt. In unserer Bibelgeschichte setzt sich Jesus an einen Tisch mit Zolleinnehmern und anderen Leuten, die als Sünder galten.

Jesus lädt Menschen ein- damals wie heute. Wir können uns festhalten an Jesus Christus, der Gottes Liebe gelebt hat bis zur letzten Konsequenz, bis zum Tod am Kreuz. Durch diese Abgründe ist er hindurchgegangen und hat sie überwunden.  Er versteht uns und ist uns nahe auch in schweren Zeiten. Das ist es, was uns auch durch dunkle Zeiten hindurchträgt und das Licht am Ende des Tunnels sichtbar macht. So wie nach dem Karfreitag der Ostermorgen kommt, so wird auch für dich ein neuer Tag kommen, ein Tag, an dem du alles verstehen wirst. Dann wirst du mit ganzem Herzen sagen: Ich danke dir, Gott. Damals habe ich nicht verstanden, warum du mich diesen schweren Weg geführt hast. Aber jetzt, im Rückblick erkenne ich: Es war gut so, wie du es gemacht hast. Damals habe ich nichts gespürt von Dir und Deiner Liebe. Aber jetzt erkenne ich: Nie hast du mich verlassen. Deine Liebe ist unzerstörbar. Das tröstet mich. Jesus Christus ist für mich da. Auch dann, wenn Vieles schiefgelaufen ist in meinem Leben. Er hat meine Schuld auf sich genommen und schenkt mir einen Neuanfang. Er hat es uns versprochen: „Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“

Vielleicht ist Ihnen das ja zu steil oder es erscheint Ihnen zu billig. Vielleicht sagen Sie sich: Das habe ich aber anders erlebt. Ich kann meinen Lebens- und Glaubenskrisen keinen Sinn abgewinnen, auch nicht im Rückblick. Vielleicht denken Sie jetzt: Das habe ich so noch nicht erleben dürfen, dass ich angenommen bin trotz meiner Fehler, meiner Schwächen und meiner Schuld. Meine Erfahrungen sind hier anders. Die anderen Menschen haben mich immer abgewiesen deswegen.  Wie soll ich da glauben können, dass es bei Gott anders ist? Ja, manches bleibt uns unbegreiflich. Manche schwere Zeit in unserem Leben lässt sich nicht mit Sinn füllen. Manche Anfrage an den Glauben, mancher Zweifel an Gott lässt sich weder im zwischenmenschlichen Gespräch noch im Gebet ganz klären. Aber Jesus Christus lädt uns dazu ein, trotzdem an seinen Tisch zu kommen und mit ihm Gemeinschaft zu haben. Er wartet damit nicht, bis alle unsere Zweifel ausgeräumt sind und wir einen felsenfesten Glauben haben.

Jesus Christus lädt uns ein- hier und jetzt, ohne Vorbedingungen. So wie wir sind, sind wir willkommen. Durch Jesus Christus dürfen wir erfahren: Gott ist meine Rettung. Gott rettet mich vor meinem Kreisen um mich selbst, vor dem Gefühl, ich müsste alles allein schaffen. Gott befreit mich zu einer neuen Sicht meiner Lage. Bei Gott kann ich zur Ruhe kommen. Auch wenn sich äußerlich nichts an meiner vielleicht schwierigen Situation geändert hat, kann ich es jetzt innerlich spüren: Ich fühle mich sicher und fürchte mich nicht. Jesus Christus ist für mich da. Er ist mein Arzt. Er kann auch meine Verletzungen heilen. Er ist der gute Hirte, der mich zum frischen Wasser führt, meine Rettung, meine Quelle, aus der ich schöpfe. Vielleicht ist mein Glaube an Gott nur klein, und Vieles bleibt mir unverständlich. Aber dann und wann gibt es doch einen gesegneten Augenblick, in dem ich mich Gott nahe fühle und bei Jesus Christus Kraft schöpfe. Das trägt mich und stärkt mich. Und ich höre ganz neu, wie Jesus ruft: „Komm, folge mir!“ Geh deinen Weg mit mir an deiner Seite! Und ich fasse Mut. Und in mir wächst der Glaube, dass nicht alles beim Alten bleiben muss. So wage ich den Neuanfang und lasse Jesus in mein Lebenshaus einziehen.

Liebe Mitchristen, das alles müssen wir nicht erzwingen. Aus der Freude heraus wird dieser Entschluss von selber wachsen. Und manchmal geschieht das alles auch ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe.  Entdeckungen im Land des Glaubens sind das, wenn ich mich auf Jesus einlasse. Wenn ich Jesus hereinlasse in mein Leben.  Wenn ich mich darauf einlasse, diese Hoffnung weiterzutragen und davon zu erzählen, in meinen eigenen Worten und in meinem eigenen Tempo. Manches geht mir vielleicht zu schnell, und ich frage mich:  Bin ich mir meiner Sache wirklich immer so sicher? Und was ist mit meinen Ängsten?

„Allein deine Gnade genügt, die in meiner Schwachheit Stärke mir gibt,“ heißt es in einem Lied aus unserem neuen Liederbuch, aus dem wir im Glaubenskurs oft gesungen haben. An diese Liedzeile muss ich denken. Denn in dieser Liedzeile stecken zwei wichtige Einsichten: Zum einen: In mancher Hinsicht bleiben wir schwach. Wir werden Gott und seine Wege mit uns nie ganz begreifen können. Ob wir nun schon seit Jahrzehnten im Land des Glaubens unterwegs sind oder gerade erst den ersten Ausflug dorthin unternommen haben.  Ob wir nun ein langes Theologiestudium hinter uns haben oder mehr fürs Praktische begabt sind: Im Grunde haben wir alle die gleichen Voraussetzungen. Wir alle werden Gott nie ganz verstehen, denn Gott ist Gott und wir sind nur Menschen. Wir alle haben auch unsere Punkte, wo wir uns schwer tun mit dem Glauben, und niemand von uns ist gefeit vor Lebenskrisen, die auch den Glauben erschüttern können.

Zum anderen: Auch wenn das so ist, auch wenn unser Glaube immer nur Stückwerk bleibt, Gottes Gnade gilt uns trotzdem ganz. Denn Gottes Gnade hängt nicht davon ab, ob unser Glaube perfekt ist. Das wird er nie sein. Gottes Gnade ist es, dass wir unsere Lebenswurzeln in Gott haben. Gott ist der feste Boden, auf dem wir stehen. Gott gibt uns Halt. Die Gewissheit unseres Glaubens kann nur von der Quelle herkommen, von Gott selbst. Und so erscheinen uns die Worte des Glaubens, die wir im Gottesdienst hören und mitsprechen manchmal eine Nummer zu groß für uns. Trotzdem, ja gerade deswegen sind wir eingeladen, uns diese Worte zu eigen zu machen. Denn es sind Worte, die offen sind für die Zukunft, die Gott für uns bereithält: Eine Zukunft, die jetzt schon beginnt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer