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Gedanken zum Sonntag

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr

Predigt zum Volkstrauertag, 14. November 2021

2. Kor 5, 1-10: Denn wir wissen: Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat. So sind wir denn allezeit getrost und wissen: Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Wir sind aber getrost und begehren sehr, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn. Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder in der Fremde, dass wir ihm wohlgefallen. Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange nach dem, was er getan hat im Leib, es sei gut oder böse.

 

Liebe Mitchristen,

„Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Dieses Zitat von Oscar Wilde fällt mir ein zu unserem heutigen Predigttext. Wir alle sehnen uns nach einem guten Ende. Wir sehnen uns nach einem Ende der Corona-Pandemie, die gerade jetzt wieder so viele Menschenleben kostet und uns Einschränkungen abfordert. Wir sehnen uns nach einem Ende der CO2-Emissionen, die die Fieberkurve unseres Planeten nach oben treiben und Menschen das Dach über dem Kopf wegreißen, so wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal.

Alles wird gut – wie soll das gehen angesichts solch gravierender Probleme weltweit? Am Ende wird alles gut, sagt uns der Apostel Paulus in unserem Predigttext. Die, die kein Dach mehr über dem Kopf haben wegen Umweltkatastrophen, Krieg und Not, die werden wieder ein Zuhause finden. Ein Zuhause bei Gott. Ein ewiges Haus im Himmel. Das soll keine billige Vertröstung sein auf ein besseres Jenseits. Das soll kein falscher Trost sein, der es uns erspart, im Hier und Jetzt die drängenden Probleme unserer Welt anzupacken.

„Es mag sein, dass alles fällt, dass die Burgen dieser Welt um dich her in Trümmer brechen. Halte du den Glauben fest, dass dich Gott nicht fallen lässt: Er hält sein Versprechen.“ So dichtete Rudolf Alexander Schröder (Evangelisches Gesangbuch, Nr. 378) im Jahr 1939. In diesen dunklen Zeiten hat er festgehalten an der Hoffnung auf Gott und sein ewiges Reich und in dieser Hoffnung Trost gefunden. Die Hoffnung auf Gottes Reich, auf seinen offenen Himmel über uns, diese Hoffnung gibt uns die Kraft, hier in dieser Welt unseren Teil dazu beizutragen, dass die Erde bewohnbar bleibt und Menschen in Frieden miteinander leben können. Die Hoffnung auf Gottes Reich gibt mir die Gewissheit: Am Ende wird alles gut. Diese Hoffnung gibt mir Gelassenheit und bewahrt mich davor, frustriert aufzugeben in meinen Bemühungen.

Der Apostel Paulus verwendet für diese christliche Hoffnung das Symbol des Hauses – ein ganz elementares Bild. Das Haus gibt dem Menschen Schutz und Heimat. Unser Haus, unser Zuhause, das ist keine Nebensache für uns. Wie viel Zeit, Geld und persönlichen Einsatz verwenden wir darauf! Die Sehnsucht nach Geborgenheit wird durch ein Haus erfüllt: Wir haben ein Haus, ein Zuhause.

Heute ist Volkstrauertag. Heute denken wir an die Menschen, die in den Kriegen in der Vergangenheit und in der Gegenwart alles verloren haben: Ihr Leben, ihre Lieben, ihr Zuhause. Pfarrer Theophil Askani hat seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg so aufgeschrieben: „Mir ist immer vor Augen, wie wir in der Gefangenschaft, nach Monaten unter freiem Himmel, ein einziges Mal in einer Ruine, die kaum mannshoch war, ein Brett über dem Kopf hatten, als sei’s ein Dach – ein einziges Brett. Jeder durfte mal drunterstehen.“

Paulus kennt die symbolische Bedeutung des Hauses. Deswegen verwendet er das Bild vom Haus, wenn er vom Tod redet. Paulus weiß: Die Sehnsucht nach Geborgenheit, die wir haben, kann in diesem Leben nie ganz gestillt werden. Auch die schönsten Häuser zerfallen, und auch die stärksten Menschen müssen sterben, und ihr Körper vergeht. Paulus kann sich an das schwierige Thema Tod heranwagen, weil er als sterblicher Mensch an die ewige Geborgenheit bei Gott glaubt. In seinem von Krankheit gezeichneten Körper erwartet Paulus den Auferstehungsleib -einen neuen Körper, den Gott ihm in seiner ewigen Welt schenken wird. So ist das Haus für Paulus auch ein Bild für den menschlichen Körper. Den vergänglichen Körper, den wir hier in dieser Welt haben, nennt Paulus unser irdisches Haus. Dieses irdische Haus ist für Paulus nur eine einfache Hütte. Aber wenn diese Hütte abgebrochen wird, dann wartet ein Neubau auf uns: Ein neuer Körper, unser ewiges Haus bei Gott im Himmel. Wie wir uns morgens unsere Kleider anziehen, so einfach wird es dann sein, diesen neuen Körper anzuziehen. Niemand muss dann mehr nackt und schutzlos sein, ohne wärmende Kleidung und ohne ein Dach über dem Kopf.

Ich denke an die Bilder von der polnisch-belarussischen Grenze. An die Menschen, die auf der Flucht sind und nun dort festsitzen, bei eisigen Temperaturen. Menschen, die zum Spielball politischer Interessen geworden sind – ohne Haus, ohne wärmende Kleidung. Aber bei Gott zählt jedes Menschenleben. Und wir haben die Aufgabe, hier in dieser Welt und in unserer Zeit menschenwürdig zu handeln. „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ So sagt es uns Jesus in Matthäus 25,40. Gott ist es nicht egal, wie wir unser Leben gestalten, wie wir mit anderen Menschen umgehen, wie wir uns einsetzen für die Zukunft unserer Erde. „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange nach dem was er getan hat im Leib, es sei gut oder böse.“ So schreibt es Paulus in unserem Predigttext.

Aber Paulus will hier nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen und uns Angst machen. Paulus vertraut darauf: Nach diesem irdischen Leben steht Gottes Neubau schon für uns bereit – neues Leben bei Gott. Woher nimmt Paulus dieses Vertrauen, bei all unserer menschlichen Unzulänglichkeit? Denn bei allen Bemühungen, an denen wir festhalten sollen: Wir werden es nie schaffen, allen Menschen gerecht zu werden, die unsere Hilfe bräuchten. Dass trotzdem Gottes Neubau schon für uns bereit steht in Gottes neuer Welt, das haben wir allein Jesus Christus zu verdanken. Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Jesus Christus, der unsere Sünden auf sich genommen hat durch seinen Tod am Kreuz. Denn Gottes Gnade ist größer als unsere menschliche Unzulänglichkeit.

Mir fällt dazu eine geistliche Übung ein, die von Ignatius von Loyola stammt. Sie nennt sich „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ und geht so: Wenn ein Tag zu Ende geht, lässt man ihn in Gedanken noch einmal an sich vorüberziehen, mit ganzer Aufmerksamkeit: Was war gut? Was war nicht gut, und warum? Wie kann ich, was heute nicht gut war, morgen besser machen? Kann ich morgen etwas wiedergutmachen, was ich heute versäumt habe? Was Ignatius von Loyola ganz wichtig war bei dieser Übung: Wenn ich das, was heute war, in den Blick nehme, dann soll ich es mit den liebenden Augen Gottes in den Blick nehmen. Die liebenden Augen Gottes verdammen nicht. Die liebenden Augen Gottes blicken tiefer als ein oberflächliches Urteil. Die liebenden Augen Gottes ermöglichen es mir, mich zu verändern. Denn Gottes Liebe kennt mein ganzes Elend, das hinter meiner Unzulänglichkeit steht. Gottes Liebe weiß auch, wie oft ich mich bemüht habe, bevor es dann doch nicht geklappt hat. Und wenn ich mich am Ende eines Tages so aufmerksam mit den liebenden Augen Gottes betrachte, dann gibt mich das Kraft und Zuversicht für den neuen Tag.

In diesem Sinn sprechen wir als Christinnen und Christen vom letzten Gericht. Ja, es gibt verfehltes Leben. Und die Erkenntnis ist hart und bitter, wenn einem das klar wird. Niemand kann uns diese bittere Erkenntnis abnehmen. Aber als Christin glaube ich an eine Liebe, die größer ist als all unser Scheitern und Versagen – Gottes Liebe zu uns, die alle menschlichen Maßstäbe übersteigt.

„Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ Diese Worte wollen unser Gewissen wachhalten und uns daran erinnern, dass es nicht egal ist, wie wir unser Leben gestalten, dass wir Verantwortung tragen für unsere Erde und für unsere Mitmenschen in nah und fern. Aber wir dürfen darauf vertrauen: Der, der auf dem Richterstuhl sitzt, ist Jesus Christus, der sein Leben für uns dahingegeben hat in seiner unendlichen Liebe. Niemanden will er verloren geben. Und der Neubau steht schon bereit, in den wir am Ende unserer Tage einziehen dürfen bei Gott. Denn am Ende wird alles gut.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer