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Gedanken zum Sonntag

13. Sonntag nach Trinitatis

Predigt vom 25. August 2024

Liebe Mitchristen!

„Wir brauchen eine harte Hand. Nicht mit Rassismus. Aber wer sich hier nicht einfügt, der muss gehen.“ Es ist Samstagmorgen, und ich bin gerade beim Einkaufen, als ich diese Worte höre. Schnell bringe ich meinen Wunsch vor, nehme die Ware entgegen, bezahle und gehe. Diese Worte schockieren mich, und ich habe im Moment nicht die Kraft, dagegenzuhalten. Im Nachhinein bedauere ich das- auch wenn ich den Sprecher sicherlich nicht von seiner Meinung abgebracht hätte, wenn ich mit ihm eine Diskussion angefangen hätte. Und ich habe den Anfang des Gesprächs auch gar nicht mitbekommen. Ich weiß nicht, um was es eigentlich ging. Vielleicht um den schrecklichen Messerangriff auf dem Stadtfest in Solingen, der drei Menschen das Leben gekostet hat? Stand Samstagmorgen ist jedenfalls noch nicht klar, ob es sich bei dem flüchtigen Täter um jemanden mit Migrationshintergrund handelt, den man in ein fernes Heimatland abschieben könnte. Oder ging es um etwas ganz Anderes in dem Gespräch? Ich weiß es nicht. Aber diese Worte hallen in mir nach: „Wir brauchen eine starke Hand.“

Diese Worte lassen mich frösteln an diesem warmen und sonnigen Augustmorgen. Das Klima wird kälter in unserem Land, denke ich. Werden wir es schaffen, dass die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibt? Werden wir unterscheiden können zwischen den wenigen Kriminellen, die ihre gerechte Strafe verdient haben und auch bekommen sollen, und all den anderen, die in friedlicher Absicht in unser Land gekommen sind? Werden wir es schaffen, die Demokratie zu verteidigen in unserem Land- allen Rufen nach einer harten Hand zum Trotz?

Nein, wir brauchen keine harte Hand. Wir brauchen kein autoritäres Regime, das Menschen einschüchtert. Wir brauchen niemanden, der sich über seine Mitmenschen erhebt und zu dem alle aufblicken sollen. Aufblicken sollen wir allen zu Gott, dem Herrn. Vor ihm sollen wir Ehrfurcht haben. Seine Gebote sollen wir halten: Unsere Eltern sollen wir ehren, die Schwachen schützen, die Fremden im Land nicht unterdrücken. „In deinem Herzen soll es keinen Platz für Hass geben. Hasse deinen Bruder und deine Schwester nicht!“ (3. Mose 19,17) „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (3. Mose 19,2)

Wir sind alle keine Heiligen. Wir sind nicht der liebe Gott. Manchmal werden wir wütend- oder es überkommt uns blankes Entsetzen über ein so schreckliches Blutbad wie die Messerattacke in Solingen. Und damit verbunden vielleicht auch mal der Wunsch nach einer harten Hand- nach einem Menschen, der Autorität hat und durchgreift in unserem Land. Wenn es uns so geht- wenn uns dieser Wunsch überkommen sollte, mögen wir dann an diesen Text in der Bibel denken. Und mögen wir daran denken: Es ist noch nie gut gegangen mit der harten Hand- weder in unserem Land noch anderswo. Es hat noch nie funktioniert, dass Gewalt durch Gegengewalt aus der Welt geschafft wird. Die israelischen Geiseln, die aus dem Gazastreifen jetzt nur noch tot geborgen werden, und die Tausende von toten Palästinensern in Gaza zeugen davon.

„In deinem Herzen soll es keinen Platz für Hass geben. Hasse deinen Bruder und deine Schwester nicht!“ Wie soll das gehen? Im Bibeltext heißt es weiter: „Stattdessen sollst du mit deinem Nächsten reden und ihn auf sein Verhalten ansprechen. So wirst du dich seinetwegen nicht mit Sünde belasten.“ (3. Mose 19,17) Ja, es ist schwer, sich an diese biblische Lebensregel zu halten. Und doch ist es der einzige Weg- in Israel- Palästina genauso wie in unserem Land: Aufeinander zugehen, voneinander wissen. Miteinander reden, sich gemeinsam für Frieden und Sicherheit einzusetzen- alle miteinander: die, die schon immer hier waren zusammen mit denen, die neu dazugekommen sind. Zusammenhalten, auch in unserem Land. Und sich nicht auseinanderbringen lassen von verbrecherischen Menschen, die nicht davor zurückschrecken, Anschläge zu verüben, bei denen Menschen sterben. Sie sollen die volle Härte unseres Rechtsstaats zu spüren bekommen. Aber wir wollen uns von ihnen nicht vom Weg des Friedens und der Verständigung abbringen lassen. Denn dann hätten sie ihr Ziel erreicht.

Wir wollen den Weg des Friedens und der Verständigung weitergehen, auch wenn es uns manchmal schwerfällt. Denn wir sind keine Heiligen. Und doch können wir den Hass bekämpfen in unserem Herzen. Wir können dafür sorgen, dass Wut und Entsetzen nicht die Oberhand gewinnen in unserem Leben. Wir können es, weil wir wissen, wer diese Welt mit starker Hand regiert: Gott der Herr, der Himmel und Erde geschaffen hat. In Jesus Christus ist er uns Menschen ganz nahe gekommen und hat uns die Mitmenschlichkeit gelehrt. Dazu hat Jesus Geschichten erzählt, wie z. B. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas10,25-37).

Der Samariter in der Geschichte von Jesus war bestimmt kein Heiliger. Für die Menschen zur Zeit Jesu war klar: Einer aus Samaria- das ist keiner von uns. Dem ist nicht zu trauen. Von dem sollte man sich lieber fernhalten. Denn die Samariter waren Fremde. „Wenn ein Fremder bei euch lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Wie einen Einheimischen sollt ihr den Fremden ansehen, der bei euch lebt. Du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ (3. Mose 19,33-34) Jesus beherzigt diese biblische Lebensregel, indem er den Fremden aus Samaria zum Subjekt seiner Geschichte macht. Damit sagt Jesus: Es ist falsch, die Fremden alle über einen Kamm zu scheren. Sie sind nicht alle böse und gefährlich. Da ist zum Beispiel dieser eine Fremde, der hilft- und die Einheimischen, von denen man eigentlich erwartet hätte, dass sie helfen, die helfen nicht.

„Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig. Ich bin der Herr, euer Gott.“ Wir müssen nicht alle mit Heiligenschein herumlaufen, um diesem Bibelvers gerecht zu werden. Es reicht, wenn wir so heilig sind wie es dieser fremde Mann aus Samaria war, von dem Jesus erzählt. Es reicht, wenn wir die Augen offen halten und sehen, wo wir gebraucht werden. Es reicht, wenn wir bereit sind, unsere Vorurteile zu hinterfragen und uns positiv überraschen zu lassen von unseren Mitmenschen, so fremd sie uns auch sind. Es reicht, wenn wir uns daran festhalten: Die einzige starke Hand, die wir brauchen, ist Gottes Hand. Auf ihn wollen wir vertrauen in guten und in schweren Zeiten. Denn er hält die Welt und unser Leben in seiner Hand.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer