Gedanken zum Sonntag

  • Lätare

     

    Predigt zum Konfirmationsjubiläum am Sonntag, 10. März 2024

    Liebe Konfirmationsjubilare!

    Wie war das damals am Tag Ihrer Konfirmation, vor 50, 60 oder 70 Jahren? Erinnern Sie sich noch an Ihre Mitkonfirmanden; an den Pfarrer, der Sie konfirmiert hat? Vor 50 Jahren war es der Schuldekan, weil die Pfarrstelle gerade nicht besetzt war. Vor 70 Jahren, als unsere Kirchengemeinde gerade erst ein Jahr alt war, da hat Pfarrer Karnowsky mit Ihnen Konfirmation gefeiert. Das war in der Fronhofer Kirche, denn unsere Christuskirche war da noch nicht gebaut. Die Fronhofer Kirche ist sehr kalt, und Sie haben gezittert- vor Kälte und vor Aufregung. Viel hatten Sie auswendig gelernt in Ihrer Konfirmandenzeit: Den Katechismus, die Namen aller biblischen Bücher in der richtigen Reihenfolge- ja sogar die Namen der Sonntage mit ihren seltsamen lateinischen Klängen: Estomihi, Invokavit, Reminiscere, Okuli, Lätare, Judika, Palmarum. Vieles davon haben Sie aufsagen müssen, auch öffentlich vor der Gemeinde. Und nicht immer wussten Sie, wen der Pfarrer als nächstes aufrufen würde, und welches Stück aus dem Katechismus dann drankommen würde. Kein Wunder also, dass Sie aufgeregt waren. Heute müssen Sie nicht zittern- weder vor Aufregung noch vor Kälte. Heute müssen Sie nichts aufsagen, wenn Sie nachher am Altar stehen und den Segen Gottes, den Sie bei Ihrer Konfirmation empfangen haben, neu zugesprochen bekommen.

    Was hat Ihnen dieser Segen bedeutet in all den Jahren, vom Tag Ihrer Konfirmation bis zum heutigen Tag- wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen 50, 60 oder sogar 70 Jahre? Was hat es für Sie bedeutet, dass Sie evangelisch sind, dass Sie Christen sind und zu Jesus Christus gehören? „Ich habe meinen Glauben immer gelebt, mal mehr mal weniger.“ So hat eine von Ihnen Rückblick gehalten im Zeitungsinterview. Das finde ich beeindruckend, wenn jemand im Rückblick auf 70 Jahre gelebten Lebens sagen kann: „Ich habe meinen Glauben immer gelebt.“ Und ich finde es ehrlich, dass danach noch der Nachsatz kommt: „mal mehr, mal weniger.“ Denn ohne diesen Nachsatz wäre diese Aussage wohl zu steil. So glatt verläuft ein Menschenleben nun einmal nicht. Beim Rückblick auf so viele Lebensjahrzehnte sind da immer auch Höhen und Tiefen. Auch im Glaubensleben ist das so. Glaube und Zweifel gehören zusammen. Auf eine Zeit, in der der Glaube und die christliche Gemeinschaft ganz wichtig ist für mich, kann auch wieder eine andere Zeit kommen, in der das alles für mich ganz weit weg ist.

    Heute ist für Sie alle, liebe Konfirmationsjubilare, ein Tag, an dem Sie Ihren christlichen Glauben „mal mehr“ leben – selbst wenn Sie das in den letzten Jahren oder Jahrzehnten eher weniger getan haben sollten. Mal mehr, mal weniger fest im Glauben stehen- das kennen wir alle aus unserem Leben, wenn wir ehrlich sind. Ja, sogar die großen Vorbilder im Glauben, die uns die Bibel vor Augen stellt, kennen dieses „mal mehr, mal weniger.“ Manchmal sogar in ganz dramatischer Weise, so wie Petrus, der seinen Herrn Jesus Christus dreimal verleugnet hat (Lukas 22, 54-62). Ich denke, Petrus hätte diesen Satz: „Ich habe meinen Glauben immer gelebt, mal mehr, mal weniger“ deswegen nicht unterschreiben können. Petrus hätte wohl eher sagen müssen: „Dass ich zu Jesus gehöre, daran habe ich zwar ein Leben lang festhalten wollen. Aber geschafft habe ich es nicht.“

    Am Glauben festhalten in der Not, in der Gefahr, wenn es uns womöglich selbst an den Kragen geht- könnten wir das? Wären wir bereit dazu? Petrus hatte sich das fest vorgenommen. „Nie werde ich dich verlassen, Jesus! Wenn es hart auf hart kommt, bin ich bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen, ja sogar mit dir zu sterben!“ So sagt er. Aber Jesus kannte Petrus besser als der sich selbst kannte, und so antwortetet er ihm: „Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.“ (Lukas 22,34) Und tatsächlich- es kommt, wie Jesus es vorhergesehen hat. Aber denken wir zunächst einmal nicht zu schlecht von Petrus. Immerhin ist er der einzige Jünger, der überhaupt hinterherläuft, als Jesus gefangen weggeführt wird. Alle anderen Jünger sind schon vorher vor Angst geflohen. Auch Petrus hat Angst- große Angst. Deswegen hält er Abstand, als er hinter den Bewaffneten herläuft, die Jesus gefangen genommen haben. Petrus will sehen, was sie mit Jesus jetzt machen. Sie bringen ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus folgt ihnen bis in den Hof. Von dort aus kann er in das Haus hineinsehen. Ja, manchmal gelingt es ihm sogar, einen Blick auf Jesus zu erhaschen. Jesus wird verhört, die ganze Nacht lang. Petrus zittert vor Aufregung und vor Kälte. In der Mitte des Hofes brennt ein Feuer. Die Bediensteten des Hohenpriesters wärmen sich daran. Petrus friert. Er stellt sich einfach dazu. Die Wärme des Feuers tut gut. Von hier aus kann Petrus noch besser in das Haus des Hohenpriesters hineinsehen, sehen wie sie Jesus verhören. Eine Dienerin reißt Petrus aus seinen Gedanken. Sie zeigt auf ihn: „Der da war auch mit diesem Jesus zusammen!“ sagt sie. „Nein, ich kenne diesen Jesus gar nicht,“ sagt Petrus erschrocken. Dreimal geht das so. Dann kräht der Hahn. Im Haus des Hohenpriesters dreht Jesus sich um und schaut Petrus direkt in die Augen. „Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, mich zu kennen.“ Petrus erinnert sich an diese Worte von Jesus. Er läuft weg, raus aus dem Hof. Er weint bitterlich.

    „Ich habe meinen Glauben immer gelebt.“ Bei Petrus war das nicht so. Er hatte es sich vorgenommen, immer zu Jesus zu halten; immer dazu zu stehen, dass er zu Jesus gehört. Aber Petrus hat es nicht geschafft. Er hat versagt und bittere Tränen darüber vergossen. Liebe Konfirmationsjubilare! Was haben Sie sich vorgenommen, damals am Tag Ihrer Konfirmation? Und was ist daraus geworden? Welche Ihrer Pläne konnten Sie umsetzen in Ihrem Leben? Welches Glück wurde Ihnen geschenkt? Wofür können Sie dankbar sein? Und was ist ganz anders gekommen, als Sie es erwartet und erhofft hatten? Wo haben Sie versagt, wofür schämen Sie sich? Worüber haben Sie bittere Tränen vergossen?

    Petrus weint. Er schämt sich. So wollte er nicht Abschied nehmen von Jesus, seinem Herrn und Meister. Aber jetzt ist es wohl zu spät. Jesus ist verhaftet und verurteilt. Bald wird er am Kreuz sterben. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte die Zeit zurückdrehen und eine Entscheidung rückgängig machen, die ich getroffen habe. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte in die Vergangenheit reisen und meine Fehler wieder gut machen. Aber es geht nicht. Wir können das Leben nur vorwärts leben, nicht rückwärts. Petrus kann nicht mehr zurück in diese Nacht und an das Feuer im Innenhof, und dort antworten: „Ja, ich gehöre zu diesem Jesus. Ja, ich bin einer von seinen Jüngern. Ja, ich bin Christ. Ich lebe meinen Glauben. Ich stehe dazu- zu dieser Hoffnung, die mich trägt.“ Petrus kann nicht mehr zurück. Und doch muss er nicht auf Dauer in seiner Verzweiflung stehen bleiben. Für unsere Sünden ist Jesus Christus am Kreuz gestorben. Am dritten Tag ist er auferstanden, damit auch wir neues Leben haben.

    Jesus Christus schenkt uns einen Neuanfang. Jesus Christus hilft uns, unseren Glauben zu leben- damit der Glaube wieder mehr wird, wenn wenig von ihm übrig geblieben ist. Petrus darf das erfahren. Nach Ostern begegnet ihm Jesus Christus, der Auferstandene am See Genezareth (Joh 21, 15-19). Am See Genezareth- dort hat alles angefangen. Dort hat Petrus Jesus kennen gelernt, als Petrus noch Fischer war und Jesus ihn in seine Nachfolge gerufen hat. Zurück zu den Anfängen geht es- so wie bei uns heute, wenn wir an Ihre Konfirmation denken. Damals vor 50, 60 oder 70 Jahren hat Ihr christlicher Glaube seinen Anfang genommen; damals, als Sie alt genug waren, um Ihr eigenes Ja zu sprechen zu Jesus Christus, auf dessen Namen sie getauft wurden. Manchmal braucht es einen Tag wie heute, an dem dieses Ja bekräftigt wird. Auch Petrus hat einen solchen Tag geschenkt bekommen. Dreimal fragt ihn Jesus Christus, der Auferstandene: „Hast du mich lieb?“ Dreimal antwortet Petrus darauf mit seinem Ja- genau so oft, wie er Jesus verleugnet hatte. Was vorher geschehen ist, ist deswegen nicht vergessen. Nie wird Petrus vergessen, wie er Jesus verleugnet hat. Aber Jesus legt ihn nicht darauf fest. Ja, Jesus vertraut ihm sogar eine große Aufgabe an: Petrus soll den christlichen Glauben weitertragen und für die Menschen da sein, wie ein Hirte für seine Schafe. Jesus hat noch Großes vor mit Petrus- und auch mit uns. Jesus will uns bei seiner Gemeinde haben, will dass wir in christlicher Gemeinschaft miteinander leben und unsere Erfahrungen miteinander teilen- gerade auch dann, wenn wir unseren christlichen Glauben nicht immer so gelebt haben, wie es hätte sein sollen. Gerade dann darf ich mich darauf verlassen: Wenn Jesus für Petrus, der ihn verleugnet hat, eine Zukunft in seiner Gemeinde gesehen hat, dann auch für mich.

    Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer