- 4. Sonntag nach Trinitatis
Predigt zum 50er Fest in Wehingen am Samstag, 12. Juli 2025
Liebe Jubilare!
Hier in der Kirche sehen wir vorne am Altar einen Rettungsring, und auf dem Liedblatt auf dem Titelblatt eine hohe Welle. Ist das deswegen so, weil Sie, die 50er, von den zahlreichen Aufgaben, die mit der Vorbereitung dieses Festes verbunden waren, überrollt wurden wie von einer großen Flut? Sie sind ja ein kleiner Jahrgang. Da ist es gar nicht so einfach, ein so großes Fest vorzubereiten. Wir danken Ihnen allen, dass Sie es trotzdem getan haben. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass dieses Fest gefeiert werden kann- dass Menschen da sind, die dieses Fest vorbereiten- danke!
Wenn man so ein großes Fest vorbereitet, wenn man viel zu tun hat: Dann braucht man immer wieder einen Ort zum Auftanken und Kraft sammeln. Einen Ort der Ruhe und der inneren Einkehr. Auch Jesus hat immer wieder einen solchen Ort gebraucht. In der Bibel lesen wir immer wieder, dass er sich zurückgezogen hat in die Einsamkeit, um zu beten- nur er allein im Gespräch mit Gott. Auch bei der biblischen Geschichte, die wir gerade gehört haben, war das so (Matthäus 14, 22-33). Ja, und auch in dieser Geschichte spielen Wasser und Wellen eine große Rolle.
Warum ist das so, dass heute alles zum Thema Wasser passt? 1975 war in Wehingen Hochwasser. Sie, die 50er- Jubilare sind also die Hochwasser-Kinder. Ja, schon vor 30 Jahren, als Sie die 20er waren, gingen Sie als Matrosen verkleidet- so haben Sie es mir erzählt. Natürlich waren Sie, die 50er, damals noch ganz klein oder noch gar nicht geboren, als das Hochwasser war. Aber die älteren Jubilare, die heute mit Ihnen mitfeiern als 60er, 70er und 80er, die werden sich ganz sicher noch an das Jahrhundert-Hochwasser von 1975, an die ungeheuren Wassermassen im Ort, an die Zerstörungen, die das Wasser damals angerichtet hat. Ja, liebe 50er Jubilare: Sie sind die Hochwasser-Kinder. Ihr Jahrgang 1975 bleibt in der Wehinger Ortsgeschichte untrennbar verbunden mit diesem Hochwasser-Ereignis.
Nicht nur damals vor 50 Jahren, auch heute gibt es Hochwasser-Ereignisse. Durch die Klimaerwärmung werden sie mehr und mehr zu Hochwasser-Katastrophen, die viele Menschenleben fordern. Was ist da zu tun? Wir müssen unser Verhalten ändern, damit die globale Erwärmung nicht vollends aus dem Ruder läuft. Wir müssen Regenrückhaltebecken bauen und Hochwasserschutzmaßnahmen umsetzen. Und wenn es dann doch passiert? Wenn es doch zu einem Hochwasser-Ereignis kommt- hier bei uns in Wehingen oder anderswo? Dann brauchen wir schnelle Hilfe und Rettung. Daran erinnert der Rettungsring, der heute am Altar steht: Rettung vor dem Ertrinken. Nicht nur den Rettungsring braucht es dafür bei Hochwasser. Es braucht auch die Feuerwehr und das THW, die mit Booten und Hubschraubern kommen, um Menschen zu retten. Ja, nicht nur Feuerwehr und THW – jeder ist dann gefragt, zu helfen wo er nur kann.
Ich habe das Hochwasser 1975 hier in Wehingen nicht erlebt. Aber 2008, als ich Pfarrerin in Hechingen war, gab es dort ein schweres Unwetter mit Überschwemmungen, bei denen drei Menschen ums Leben kamen. Beinahe wären es noch mehr gewesen. Stromaufwärts in Jungingen war das Hochwasser besonders schlimm. Aber als das Wasser dort stieg, waren gerade zwei Bauhof-Mitarbeiter mit ihrem Unimog unterwegs. Ohne zu zögern und ohne Rücksicht auf die Gefahr für ihr eigenes Leben sind sie mit diesem Fahrzeug durch die steigenden Fluten gefahren und haben Menschen ins Trockene gebracht. Ich sehe diese beiden Bauhof-Mitarbeiter noch vor mir, wie sie für diesen lebensrettenden Einsatz im Nachhinein vom Bürgermeister geehrt wurden. Man merkte ihnen an, dass sie sich ein bisschen komisch dabei fühlten, auf einmal so im Mittelpunkt zu stehen. „Das ist doch selbstverständlich, dass wir das gemacht haben,“ haben sie gesagt.
Diese beiden bodenständigen Bauhof-Mitarbeiter habe ich vor Augen, wenn ich an Schutzengel denke- an Retter, die Gott uns schickt. Haben Sie das auch schon einmal erlebt in Ihrem Leben, liebe Jubilare? Haben Sie schon einmal erlebt, dass plötzlich Rettung da war in größter Not- auch wenn das überhaupt nicht zu erwarten war? Ja, ich bin überzeugt, dass es sie gibt, diese Himmelsboten, die uns Rettung bringen, wenn wir in Gefahr sind. Denn Gott meint es gut mit uns. Gott will nicht, dass wir untergehen. Und oft sind diese Himmelsboten, die Gott uns schickt, ganz bodenständige Menschen wie du und ich.
In der biblischen Geschichte, die wir gerade gehört haben (Matthäus 14, 22-33), ist es anders. Die Jünger sind in Seenot. Ein Sturm auf dem See Genezareth konnte für ein kleines Fischerboot gefährlich werden. In dieser höchsten Gefahr, mitten in der Nacht, sehen die Jünger einen Himmelsboten. Der ist allerdings gar nicht bodenständig, sondern scheint über das Wasser zu laufen. Ein Gespenst? Eine Sinnestäuschung in dieser angespannten Gefahrensituation? Wir können es nicht erklären, was da wirklich passiert ist in dieser stürmischen Nacht auf dem See Genezareth. Aber am Ende haben die Jünger einen Mann mehr an Bord. Jesus ist mit im Boot. Der Sturm legt sich. Die Jünger sind gerettet. Ja, in größter Gefahr schickt Gott uns Himmelboten, die unsere Rettung sind. Daran erinnert mich der Rettungsring, der heute hier in der Kirche am Altar steht. Damals bei den Jüngern in Seenot, da kam Jesus selbst als Rettung für die Jünger.
Ich weiß nicht, was Sie, liebe Jubilare, von dieser biblischen Geschichte halten mit ihren Ungereimtheiten, die sich naturwissenschaftlich nicht erklären lassen: Jesus läuft über das Wasser? Das kann doch überhaupt nicht sein! Petrus, so erzählt uns die biblische Geschichte, sieht das genauso: Entweder ist das alles Humbug, oder ich kann auch über das Wasser laufen, sagt er sich, und fordert Jesus auf: „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser“ (Mt 14, 28). Jesus lässt sich darauf ein, und tatsächlich- das Experiment klappt zunächst. Petrus geht nicht unter, als er aus dem Boot ins Wasser steigt. Er hat den Blick fest auf Jesus gerichtet: Jesus ist sein Rettungsring. So lange Petrus sich ganz auf Jesus konzentriert, so lange er immer auf Jesus schaut, so lange geht alles gut. Aber dann passiert es. Petrus bekommt auf einmal Angst. Er lässt sich ablenken. Er schaut nach links und nach rechts. Er sieht die hohen Wellen. Er spürt den starken Sturm. Dann ist es vorbei. Petrus geht unter. Er ruft um Hilfe. Jesus muss ihn vor dem Ertrinken retten.
Was können wir heute aus dieser Geschichte lernen? Behalten wir das Ziel im Blick. Vertrauen wir auf Jesus. Er ist unser Rettungsring- unsere Hoffnung im Leben und im Sterben, wie es im Heidelberger Katechismus heißt. Ihnen, liebe Jubilare, wünsche ich diesen Halt im Leben, auch für Ihren weiteren Lebensweg. Dass Sie immer darauf vertrauen können und es auch immer wieder erleben dürfen: Gott schickt Rettung und hilft in der Not. Und dass Sie für sich immer wieder die Auszeiten nehmen können, die Sie brauchen- Zeiten, in denen Sie zur Ruhe kommen und auftanken können. So wie Jesus selbst das gemacht hat, wenn er sich zum Beten zurückgezogen hat. Jesus Christus ist unser Rettungsring. Bei ihm ist die Quelle des Lebens, aus der wir Kraft schöpfen können.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer