Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Reformationsfest

Predigt zum Reformationsfest-Sonntag, 2. November 2025

 

Liebe Mitchristen!

 

Am Reformationsfest besinnen wir uns auf das Wesentliche, auf das, was wirklich trägt: Was ist das Wichtigste am christlichen Glauben? Was sind nur Nebensächlichkeiten, die man auch weglassen könnte, oder die schlimmstenfalls sogar vom Wesentlichen des christlichen Glaubens ablenken? Das sind Fragen, die mit der Reformation eng verbunden sind. Diese Fragen waren nicht nur in der Reformationszeit im 16. Jahrhundert aktuell, als Martin Luthers Glaubenserkenntnisse für die Zeitgenossen brennende Fragen aufwarfen, die sie so bewegt haben, dass sie sogar auf den Marktplätzen über den christlichen Glauben diskutiert haben.

 

Wir leben heute in einer Zeit, in der der christliche Glaube in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend an Bedeutung verliert. Wir erleben heute nicht mehr, dass auf den Marktplätzen über das richtige Verständnis des christlichen Glaubens diskutiert wird. Aber gerade in dieser Situation, die so ganz anders ist als die Situation zur Zeit von Martin Luther, müssen wir uns die Fragen neu stellen, die auch damals die Menschen bewegt haben: Was ist für uns das Wesentliche am christlichen Glauben? Was ist die Hauptsache daran, was ist nur Nebensache?

 

Der Predigttext zum Reformationsfest ruft in Erinnerung, was das Wesentliche ist am Glauben: „Höre Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ (5. Mose 5, 4). Gott lieben- das ist die Hauptsache. So wie es auch im Tagesspruch zum Reformationsfest heißt: „Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Kor 3,11) Ja- ihn lieben, an ihn glauben und auf sein Wort hören, das ist die Hauptsache.

 

Und doch- über eine Formulierung stolpere ich in unserem Predigttext: „Du sollst“ heißt es da. „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben.“ Lieben und „du sollst.“ Das geht für mich schwer zusammen. Denn lieben geht nicht auf Befehl oder per Verordnung. „Du sollst.“ Bei diesen Worten denke ich wieder an Martin Luther. Er hat es versucht, dieses „du sollst“ zu beherzigen. Er hat sich damit abgequält, es Gott recht machen zu wollen. Gott, den er in seiner Gerechtigkeit als strengen Richter gesehen hat. Ja, Martin Luther hat wirklich alles gegeben dafür, es Gott recht zu machen. Aber so sehr er sich auch abgemüht hat mit seinen Frömmigkeitsübungen wie Beten, Fasten und harter Arbeit- er hatte immer das Gefühl: Das reicht noch nicht. Gott zu lieben, das konnte er nicht erzwingen.

 

Zu seinen Frömmigkeitsübungen gehörte auch ein gründliches Bibelstudium. Diese intensive Beschäftigung mit der Bibel bewirkte in Martin Luther so etwas wie einen therapeutischen Prozess: Eine grundlegende Befreiung, ein radikales Umdenken. Den beglückenden Augenblick, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel, beschrieb Martin Luther im Rückblick so: „Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich hasste ihn sogar. Wenn ich auch als Mönch untadelig lebte, fühlte ich mich vor Gott doch als Sünder und mein Gewissen quälte mich sehr. (…) Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: ‚Die Gerechtigkeit Gottes wird ihm offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus Glauben.‘ Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben. (…) Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein. (…) Mit so großem Hass, wie ich zuvor das Wort ‚Gerechtigkeit Gottes‘ gehasst hatte, mit so großer Liebe hielt ich jetzt dies Wort als das allerliebste hoch.“

 

Diese Einsicht bedeutete für Martin Luther ein tief befreites Aufatmen: „Ich werde geliebt!“ Gottes Liebe verwandelt mich. Gott sieht mich freundlich an- um Jesu Christi willen. In einer seiner 95 Thesen (These 28) bringt Martin Luther das mit folgenden Worten auf den Punkt: „Die Liebe Gottes findet das, was ihm liebenswert ist, nicht vor, sondern schafft es.“ Diese großartige Entdeckung der Rechtfertigung allein aus dem Glauben bedeutet- damals wie heute: Schluss mit der Angst. Schluss mit dem Gefühl, ein unwürdiger Versager zu sein. Schluss mit den Selbstzweifeln.

 

Gerade auch in unserer Zeit ist das wichtig. Lassen wir uns also nicht beirren, wenn dauernd von Selbstoptimierung die Rede ist, und uns das Internet weismachen will, dass es ganz einfache Rezepte dazu gibt, und im wirklichen Leben funktioniert das alles nicht so einfach. Denken wir daran: Wir müssen uns nicht mit Selbstoptimierung quälen. Manchmal mag sie hilfreich sein. Im Grunde aber handelt es sich dabei um Nebensächlichkeiten. Die Hauptsache ist und bleibt: Ich bin von Gott geliebt. So wie ich bin. Und weil ich von Gott geliebt bin, deshalb soll ich Gott auch lieb haben- von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft. Martin Luthers großartige Entdeckung der Rechtfertigung lässt mich unseren Predigttext besser verstehen: Nicht das „Du sollst“ steht bei diesem Bibelwort im Vordergrund, sondern das Lieben.

 

Als Christen sollten wir nicht vergessen, dass unsere Wurzeln in der jüdischen Religion liegen. Ja, gerade in einer Zeit, in der die Menschen jüdischen Glaubens wieder Angst um ihre Sicherheit haben müssen in unserem Land, ist es mir wichtig, diese Verbindung zu betonen, die wir als Christen zu den Menschen jüdischer Religion haben. Sie waren die Ersten, die das entdeckt haben, was Martin Luther so wichtig wurde: Gott lieben, mit ihm in Verbindung zu sein, das ist die Hauptsache. So hat auch unser Predigttext In der jüdischen Religion eine ganz besondere Bedeutung: „Höre Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ (5. Mose 5, 4).

 

Unsere jüdischen Glaubensgeschwister setzen diesen Bibeltext ganz praktisch in die Tat um: Sie binden sich kleine Kästchen, in denen dieses Bibelwort aufgeschrieben ist, auf die Stirn und an den Arm, und auch an die Türpfosten vor jeder Tür. Immer, wenn sie zur Tür hineingehen oder herausgehen, legen sie kurz die Hand auf diesen Spruch: Ein Gedanke an Gott, ein kurzes Gebet, ein Gottesdienst im Alltag ist das. Was könnte das bei uns heute sein? Wie könnten wir anfangen, einander zu zeigen, wie sich das anfühlt, von Gott geliebt und durchströmt zu sein? Woran könnten die Leute in unserer Umgebung merken, dass wir gerne Christenmenschen sind, dass es Freude macht, zu Gott zu gehören und sich zu sehnen nach seiner Nähe?

 

Ich denke, es fängt schon mit dem Friedensgruß an, den wir einander im Gottesdienst zusprechen, heute beim Abendmahl. Im Abendmahl dürfen wir all das Kaputte in unserem Leben zu Gott bringen, unsere Lasten abladen und Vergebung erfahren. Jesus Christus hat am Kreuz unsere Sünden auf sich genommen. Wir dürfen neu anfangen bei Gott, der uns liebt- trotz unserer Fehler und Schwächen. So geliebt und gestärkt gehen wir dann weiter unsere Wege- nehmen wir den Frieden, die Liebe und die Freude mit in unseren Alltag! Ich bin sicher, es wird etwas verändern- bei uns und unseren Mitmenschen. Und vielleicht wird dann doch einmal wieder auch in der Öffentlichkeit und auf den Marktplätzen der christliche Glaube zu einem Thema, das die Menschen bewegt und begeistert.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

18. Sonntag nach Trinitatis

Predigt über Pred. 3,1-2.10-14 beim Männersonntag, den 19.10.2025 in Böttingen und Wehingen

 

L. Jäckel:

Selbstständig in einem langen Leben. Ein Kind – im zweiten Weltkrieg, geboren und ihm den Namen „Joachim“, auf Hebräisch „der Herr richtet auf“ zu geben – welchen tiefen Glauben hatten seine Eltern an eine gemeinsame bessere Zukunft! Einen Glauben, eine religiöse Einstellung diesem Menschen mit auf den Weg zu geben – gibt es ein noch besseres Grundgerüst für ein erfülltes Leben? Jetzt im 82.ten Lebensjahr, glaube ich, es gibt nichts Besseres!

Als Schulkind von einigen Lehrern als Handwerker Kind und Kind eines Kapitalisten in der DDR beschimpft, fand ich frühzeitig Unterstützung und Stärkung in der Familie und dem dort vorhandenen christlichen Glauben. Eine langjährige Vorbereitung auf den Wunschberuf (Rundfunk- und Fernsehmechaniker) war durch meine Herkunft (Handwerk) und Ausrichtung (konfirmiert) nicht möglich und wurde staatlich durch gezielte Maßnahmen unterbunden. Die Pflicht einen Lehrberuf zu ergreifen, führte mich dadurch in den elterlichen Friseurbetrieb. Im privaten Bereich gab es eine kirchliche Hochzeit und zwei Mädchen kamen auf diese Welt.

Eine Teilnehmerin meiner Lektoren-Ausbildung hat einmal gesagt: man soll nicht darauf warten, das große Glück zu finden, sondern auf dem Weg dorthin hat man immer ganz verschiedene kleine Momente, die einen heiter machen.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich sehr behütet groß geworden bin oder immer lebe, so dörflich und in der Familie. Ich glaube, wenn man zum Schluss noch die Hoffnung, dann hat man gar nichts mehr. Dieser – bewusst getroffene – Lebensentwurf wurde schließlich zu vielen Jahren voller Freude und Dankbarkeit.

Warum resignierte ich zu keiner Zeit? Durch alle Zeiten trug mich die Gewissheit, dass es etwas Größeres, das menschliche Denkvermögen weit übersteigendes gibt. Ich habe in meinen Leben erfahren dürfen, dass es wohl die unendliche Urkraft des Glaubens an die wunderbare Schöpfung der Natur und allen Lebens ist. Sie lässt uns glauben, hoffen und lieben.

Joachim Wagner, Jg. 1943, Friseurmeister, Reinsdorf

 

Liebe Gemeinde!

 

Heute am landeskirchlichen Männersonntag lese ich einige Verse aus dem 3. Kapitel alttestamentlichen Buches Prediger Salomonis. Sie enthalten auch das diesjährige Motto des Männersonntages: „Pflanzen hat seine Zeit – Wege aus der Resignation

 

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:

Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;….

 

Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.

Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.

Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.

Liebe Gemeinde!

 

Das Buch Prediger Salomonis spricht von einem Lebenshintergrund, den wir fast alle aus eigener Erfahrung kennen:

Pflanzen hat seine Zeit, so wie auch das, was wir einst gepflanzt haben, später wieder ernten oder herausreißen.

Das sind die Eckpunkte. Und sie enthalten immer einen Gegensatz: So wie bei uns Menschen geborenwerden und sterben die Eckpunkte unserer Lebenszeit benennen.

Und alles, was dazwischen passiert: Das ist unser Lebensweg.

Dann mit den Satz „Ich sah die Arbeit“ wird ein neuer Akzent gesetzt. Wörtlich müsste man Arbeit mit Mühe übersetzen. So wie es in Ps. 90,10 heißt: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre“… und Martin Luther Übersetzung fährt dann so fort: „und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist’s Mühe und Arbeit gewesen.“ Und in einem seiner Lieder lässt uns Luther singen: „Es ist doch unser Tun umsonst, auch in dem besten Leben“ (EG 299,2 Aus tiefer Not schrei ich zu dir)

Also all diese Sätze sind ein ganz schöner Stolperstein. Sie klingen nach Resignation. Es hat doch alles nicht weil Wert, was ich gearbeitet habe. Und meine Arbeit war oft Mühe und Plage. Wie finden wir Wege aus dieser Resignation. Wir Menschen resignieren, wenn wir kein positives Ziel haben, auf das wir zugehen können. Wenn wir aber ein positives Ziel haben, dann können wir uns getrost auf dem Weg machen. Auch auf den Weg aus der Resignation. Oder wie jüngst die Bundesregierung sagten: Es gilt einen Weg aus der schlechten Laune heraus zu suchen und zu finden.

Ein durch und durch positives Ziel formuliert der Prediger Salomonis: „ Er – Gott – hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.

Gott hat also etwas Schönes und Köstliches gemacht. Er hat uns die Ahnung von der Ewigkeit ins Herz gelegt. Und wenn wir die harte Realität unseres endlichen und begrenzten Arbeitens und Lebens anerkennen, dann nur so, dass wir nicht resignieren. Denn wo ein positives Ziel vor Augen steht. können wir diese irdische und zeitliche Lebensgrenze akzeptieren. Denn die Einwilligung in diese uns gesetzte Grenze beinhaltet eine kraftvolle Lebensbejahung im Hinblick auf das positive Ziel der Ewigkeit.

Darum heißt es: „Er  – Gott – hat alles schön gemacht

zu seiner Zeit. Nur wir Menschen können alles, was höher ist als unsere Vernunft nicht ergründen. Das Werk,

das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“ Das ist das Geheimnis der Welt, in der wir leben und arbeiten.

Dazu möchte ich nochmals an die vorhin gehört Geschichte des Friseurmeisters aus Sachsen erinnern, der mit dieser christlichen Einstellung doch so viele Dinge, die zur Resignation hätten führen können, überwunden hat. Das ist echter christlicher Glaube.

Für sein eigenes, privates Leben, aber

auch für die Versuche, sich auf Abläufe in unserer

Gesellschaft, hat er sich einen Reim machen können.

Pflanzen hat sein Zeit – Wege aus der Resignation.

Es gibt diese verdeckte Schönheit – die Ahnung von der Ewigkeit im Herzen – in, mit und unter dem entstellten und Vergehenden! 

Und auch wir? Auch wir können uns an die Schlusssätze unsere Predigttextes halten:

„Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. Amen

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

17. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis, 12. Oktober 2025

Liebe Mitchristen!

Wenn ich an den Tag meiner Konfirmation zurückdenke, dann fällt mir außer meinem eigenen Konfirmationsspruch noch ein weiterer Konfirmationsspruch ein, der nicht mein eigener war. Ein anderes Mädchen aus meiner Konfirmandengruppe hatte dieses Bibelwort als Konfirmationsspruch bekommen. Damals war es ja so, dass die Konfirmanden den Bibelspruch, der sie durchs Leben begleiten sollte, nicht selbst ausgesucht haben. Der Pfarrer hat die Konfirmationssprüche für seine Konfirmanden ausgewählt, sozusagen als Geschenk zur Konfirmation. Man wusste seinen Konfirmationsspruch also erst dann, wenn der Pfarrer ihn im Konfirmationsgottesdienst laut vorlas. Und wie gesagt, nicht nur mein eigener Konfirmationsspruch ist mir von meinem Konfirmationsgottesdienst damals in Erinnerung geblieben, sondern auch der von einer Mitkonfirmandin, von Isabelle.

Als unser Pfarrer den Konfirmationsspruch von Isabelle vorlas, wurde es unruhig unter uns Konfirmanden. Einen solchen Bibelspruch hatten wir noch nie gehört. „Steht das auch in der Bibel?“ fragten wir uns. Der Spruch hieß: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Und ja- er steht wirklich in der Bibel, in Psalm 18,30. Zugegeben- ich war damals ein bisschen neidisch auf Isabelle, dass sie so einen schönen Konfirmationsspruch bekommen hatte: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Das habe ich mir damals als Konfirmandin wohl auch gewünscht. Und dabei habe ich nicht nur an die Mauern aus Stein gedacht, sondern auch an die Mauern im übertragenen Sinn. Immer wieder stoßen wir ja an Grenzen und wissen nicht weiter. Immer wieder ist unsere Perspektive eingeengt und unser Blick getrübt, wie wenn hohe Mauern uns die Sicht nehmen würden. Und dann so ein Bibelwort: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Und plötzlich gibt es doch Wege und Auswege, wo wir fast schon die Hoffnung aufgegeben haben: Ein Waffenstillstand in Gaza. Die Hoffnung auf Frieden wächst. Danke, Gott.

Gegen alle Hoffnungslosigkeit, gegen alle Perspektivlosigkeit wollen wir daran festhalten: Gott ist da. Gott hat seine Welt nicht vergessen. Gott sorgt für uns Menschen. Gott kann helfen. Ja: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Ganz konkret sind die Mauern für viele Menschen auf der Welt: Mauern und Stacheldrähte, die Migranten fernhalten und oft zur Todesfalle werden. Mauern der Verzweiflung. Vergessen wir die Menschen nicht, die auf der Flucht sind!

Ganz konkret waren die Mauern auch in biblischen Zeiten für die Israeliten, die nach langer Wüstenwanderung endlich ins Kulturland kamen (Josua 2, 1-21): War dies wirklich das Land, das Gott ihnen versprochen hatte- das Land, in dem Milch und Honig fließt? Ja, Milch und Honig waren da, das war keine Frage. Aber da waren auch diese Mauern mitten im Land. Hoch und feindlich ragten sie auf, die Mauern der Stadt Jericho. Die Wächter an den Stadttoren waren schwer bewaffnet. Die Israeliten hatten Angst. Denn sie waren die Fremden in diesem Land, und sie spürten, wie waren nicht willkommen. Aber zwei Männer von den Israeliten waren mutig: Wie es wohl hinter den Stadtmauern von Jericho aussieht? Die beiden Männer wollten es wissen. Josua, der Anführer der Israeliten, beriet sich mit ihnen, und schickte sie los. Sie sollten es herausfinden.

Tagsüber war das Stadttor von Jericho offen. Viele Menschen gingen an den Wächtern vorbei: Händler, die auf den Markt wollten und viele mehr. Die beiden israelitischen Männer fielen da kaum auf und konnten unbehelligt passieren. Gleich hinter dem Stadttor war ein Gasthaus. Die Frau, die es führte, hieß Rahab. Sie war eine unverheiratete Frau, die viel Männerbesuch hatte- eine Frau mit einem schlechten Ruf. Auch in Rahabs Haus fallen die beiden fremden Männer zuerst einmal nicht auf, die sich bei ihr einquartiert haben. Aber irgendjemand muss wohl doch bemerkt haben, dass hier etwas nicht stimmte: Zwei Fremde sind in die Stadt gekommen- vielleicht sind sie eine Gefahr für die Stadt? Vielleicht sind es Spione? Der König von Jericho erfährt davon. Er schickt seine Soldaten, um die beiden Männer dingfest zu machen. Bald schon stehen die Soldaten bei Rahab vor der Tür und fragen nach den beiden fremden Männern: Die waren doch hier bei dir, oder? Wo sind sie jetzt? So fragen sie Rahab. Eigentlich wäre jetzt das Naheliegendste gewesen, dass Rahab diese beiden Männer ausliefert. Aber sie tut es nicht. Sie versteckt die beiden bei sich auf dem Dach und sagt den Soldaten: Die beiden Männer sind schon längst wieder weg, raus durchs Stadttor. Lauft schnell hinterher- dann holt ihr sie vielleicht noch ein!

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Die beiden israelitischen Männer saßen in der Falle dort in der Stadt Jericho, die rundherum von Mauern umgeben war, und die wenigen Stadttore wurden am Abend fest verschlossen. Aber Gott wusste einen Weg für diese beiden Männer- einen Weg über die Mauer. Von ihrem Haus direkt an der Stadtmauer ließ Rahab die beiden Männer durchs Fenster an einem Seil die Stadtmauer hinunter. So waren die beiden frei und gerettet.

Zurück bei Josua und den anderen Israeliten konnten sie berichten: Wir brauchen keine Angst zu haben vor den hohen Mauern dieser Stadt, und den fremden Menschen hinter diesen Mauern. Gott hilft uns, auch hier im fremden Land. Ja, auch hier schickt Gott uns Menschen, die uns die Hand reichen und uns helfen, die Mauern zu überwinden, die sonst unüberwindlich sind für uns. Ja, liebe Mitchristen: Mögen wir alle immer wieder solche Menschen sein wie Rahab: Menschen, die anderen helfen, die Mauern zu überwinden, die zwischen uns stehen. Menschen, die einander die Hand reichen, so wie Jesus es gewollt hat.

Jesus, der Sohn Gottes, der ohne Sünde war und Rahab, die Frau aus Jericho mit dem schlechten Ruf- passt das zusammen? In der Bibel passt es zusammen. Im Stammbaum von Jesus in Matthäus 1,5 finden wir auch Rahab aufgezählt unter den Vorfahren von Jesus. Rahab, die Frau, die anderen geholfen hat, Mauern zu überwinden. Ja: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Erntedankfest

Predigt zum Erntedankfest, 5. Oktober 2025

Liebe Mitchristen!

Vorgestern hatte ich Freunde aus meinem Heimatort zu Besuch. Ich kenne sie seit meiner Jugendzeit. Einmal im Jahr kommen sie mich besuchen, und wir kochen zusammen. Spaghetti Bolognese sollte es geben, so wie in den letzten Jahren auch. Einen Kuchen zum Kaffee bringen meine Gäste mit, aber was soll es zum Nachtisch geben? So habe ich überlegt. Da fielen mir die Äpfel im Pfarrgarten ein: Ungefähr zehn Stück hingen noch an dem kleinen Apfelbaum, leuchtend rot zwischen den grünen Blättern. Also bin ich in den Garten gegangen und habe die Äpfel geerntet. Manche davon haben irgendwo eine Macke oder sind wurmstichig. Aber sie duften lecker. Das wird ein gutes Apfelkompott, dachte ich mir. Bald kamen auch schon die Gäste, und wir begrüßten uns mit viel Hallo. Lange hatten wir uns nicht mehr gesehen. Nach kurzer Pause gingen wir dann zusammen in die Küche. Dort übernahm jeder eine andere Aufgabe. Auch das Äpfel Schälen und Ausschneiden der wurmstichigen Stellen ging mit so vielen fleißigen Händen schnell voran. So war im Nu ein leckeres Mittagessen gekocht. Das Essen schmeckte uns allen hervorragend, und zum Nachtisch gab es eine große Schüssel duftendes Apfelkompott aus den Äpfeln vom Pfarrgarten.

Der Pfarrgarten – früher war der bei den Pfarrstellen auf dem Land noch viel größer. In meiner früheren Gemeinde in Haigerloch habe ich auf alten Bildern gesehen, dass der Pfarrgarten damals sicherlich dreimal so groß war wie heute. Kohlköpfe wuchsen da auf diesem alten Bild. Das hatte seinen Sinn. Früher war der Pfarrgarten ein Bestandteil des Pfarrgehalts. Die Pfarrfamilie hat dort Lebensmittel angepflanzt für den eigenen Bedarf. Außerdem war der Pfarrgarten dazu da, dass der Pfarrer mit der Ernte den ganz Armen in der Gemeinde helfen konnte. Eine christliche Gemeinschaft verdient diesen Namen schließlich nur, wenn sie sich um die Bedürftigen kümmert.

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.“ So heißt es in der Bibel in Jesaja 58, 7-8.

Meine Freunde aus meinem Heimatort und ich- wir haben alle genug zu Essen. Wir waren keine Bedürftigen, als wir die Früchte des Pfarrgartens miteinander genossen haben. Aber es war ein sehr bodenständiges und schönes Gemeinschaftserlebnis, diese frisch geernteten Äpfel miteinander zu verarbeiten und zu essen. Wir haben diese Früchte wertgeschätzt, auch die unansehnlichen, die es wegen einiger Macken und Wurmlöcher nicht ins Supermarktregal geschafft hätten. Wir haben uns Zeit genommen- Zeit um diese Nahrungsmittel zu verarbeiten und zu genießen. Wir haben uns auch füreinander Zeit genommen. Meine drei Freunde aus Jugendtagen hatten viel zu erzählen. Alle drei sind sie Singles. Gemeinsam kochen und gemeinsam essen, das ist etwas sehr Wertvolles für sie. Wer allein lebt, weiß, wie das ist, allein am Tisch zu sitzen beim Essen. Das ist oft nicht einfach. Auch ich selbst habe diese Erfahrung schon gemacht.

Ja- in diesem Sinne waren wir eben doch bedürftig, wie wir so miteinander am Tisch saßen. Viele Menschen sind bedürftig in unserem Land, weil sie einsam sind. Menschen laufen achtlos aneinander vorbei. Sie haben keine Zeit füreinander. Sie haben keinen Blick für das, was Gott ihnen an Gutem schenkt in ihrem Leben. Sie haben verlernt, sich an den einfachen Dingen des Lebens zu freuen: An den schönen Äpfeln am Apfelbaum oder

an einer Schüssel Apfelkompott, geteilt unter Freunden.

Viele Menschen auf der Welt haben nicht genug zu Essen und leiden Hunger. Ich möchte erzählen von einer Kirchengemeinde in Afrika, in Kenia auf dem Land. Die nächste Teerstraße ist einige Kilometer weit weg. Wenn es regnet, bleibt die Pfarrerin schon mal mit dem Auto im Schlamm stecken. Aber meistens regnet es nicht. Und das ist schlimmer. Dann wächst auf den Feldern nämlich nur roter Staub statt sattem Grün. Die Pfarrerin Doris steht resolut vor ihrer Kirche. Ihr Lachen steckt an. Hunger und Durst sind die Themen in ihrem Dorf. In Kenia gibt es pro 10.000 Einwohner 390 Obdachlose. Ein Viertel der Kinder im Land sind unterernährt.

„Helft wo ihr könnt!“ Das ist das Motto dieser kleinen Kirchengemeinde zwischen Mount Kenia und Tana-River. Die Ernte auf dem Gemeindebauernhof ist eingefahren. Pfarrerin Doris steht vor ihrer Kirche unter den schattigen Bäumen, in denen die Kinder hochklettern. Unsere Bedürftigkeit ist der Reichtum in dieser Kirchengemeinde. Geld haben sie nicht sonderlich viel. Aber ihre Kirche ist sonntags voll. Einsam kann man dort auch unter der Woche nicht sein. Man kümmert sich umeinander. Und „time is plenty in Africa“- Zeit gibt es reichlich. Was würde diese Pfarrerin uns mitgeben aus ihrem Reichtum an Gemeinschaft, festem Gottvertrauen und Nächstenliebe? Vielleicht: Freut euch an dem, was ihr habt! Findet heraus, wo die Not ist, und lindert sie. Habt weniger Angst, das Falsche zu tun- besser etwas Falsches tun als gar nichts.

Jesus Christus selbst hat es uns ans Herz gelegt, so zu leben, und er hat das auch ganz praktisch vorgelebt. Er hat den Hungrigen zu essen gegeben, und alle wurden satt. Er hat sich mit Menschen an einen Tisch gesetzt, mit denen sonst niemand etwa zu tun haben wollte: mit Zöllnern und Sündern. Auch uns heute lädt er ein: „Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und belastet seid, ich will euch eure Last abnehmen!“ (Matthäus 11, 28) Und wie viele Menschen haben schon durch Jesus Christus Hilfe erfahren, damals wie heute: Menschen, die einsam waren, gezeichnet von schlimmer Krankheit, schwerem Leid oder großer Schuld. Jesus hilft. Jesus befreit. Nicht immer gleich und sofort. Das geht nicht wie auf Knopfdruck. Aber Jesus ist da.

Besonders nahe ist Jesus uns, wenn wir anderen helfen: „Was ihre einem dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25, 40) So legt es uns Jesus Christus ans Herz. Er sagt uns: Wenn du mir nahe sein willst, dann brauchst du dazu keine besonderen religiösen Übungen. Du brauchst keine besondere Art von Liedern oder Gebeten. Du brauchst kein besonderes Essen und auch keinen besonderen Verzicht. Das alles kann dir vielleicht helfen im Glauben. Aber es ist nicht für mich, es ist für dich. Wenn du mir wirklich nahe sein willst, dann kümmere dich um deine Mitmenschen- um die, die es am nötigsten haben.

So wie es in der Bibel in Jesaja 58, 7-8 heißt: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.“

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

14. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 21.09.2025

Liebe Mitchristen!

„Unser Weg durchs Konfirmanden-Jahr“ So hieß die Überschrift über das Bodenbild, das wir am letzten Mittwoch in unserer ersten Konfirmandenstunde auf dem Boden ausgelegt haben. Vor Euch neuen Konfirmanden liegt ein Weg, und ihr seid bereit, ihn zu gehen.

In der Bibel lesen wir auch von Menschen, die einen Weg vor sich hatten und ihn gegangen sind. So ist es auch in der Geschichte von Jakob in 1. Mose 28, 10-22. Jakob war unterwegs von Beerscheba nach Haran. Zu Fuß sind das über 700 Kilometer- ein sehr weiter Weg also. Warum hatte sich Jakob damals in der Bibel so einen weiten Weg vorgenommen? Jakob hatte keine andere Wahl. Zurück nach Hause konnte er nicht, denn er hatte seine Familie kaputt gemacht. Er hatte seinen Vater angelogen, und seine Mutter hatte ihm dabei geholfen. Mit seinen Lügen hatte Jakob es geschafft, dass der Vater ihn zum Erben erklärt hat, und nicht seinen älteren Bruder Esau, dem das Erbe eigentlich zugestanden hätte. Ja, sogar Gottes Segen hatte Jakob vom Vater zugesprochen bekommen- aber eben nur, weil der Vater ihn für Esau gehalten hatte.

Der Vater war eben schon alt und fast blind. So hatte er es nicht gemerkt, dass es in Wirklichkeit Jakob war, der da vor ihm stand. Und so hatte er Jakob alles versprochen, was eigentlich Esau zugestanden wäre: Das Erbe und den Segen. Als Esau dann zu seinem Vater kam und der Betrug von Jakob aufflog, da konnte der Vater sein Wort nicht mehr zurücknehmen. Er hatte das Erbe und den Segen eben schon Jakob zugesprochen. So ging Esau leer aus. Das war der Grund, warum Jakob unterwegs war: „Du musst hier weg!“ hatte die Mutter gesagt. „Dein Bruder Esau ist so wütend, dass er dich umbringen will!“ Die Mutter hatte für Jakob eilig ein paar Sachen zusammengepackt- Kleidung, Wasser und Proviant. Und eine Adresse hatte sie im gegeben- die von ihrem Bruder: „Onkel Laban wohnt in Haran. Zu ihm kannst du gehen. Er wird dich bei sich aufnehmen.“ So sagte sie zu Jakob.

Nun war Jakob also unterwegs zu Onkel Laban. 700 Kilometer entfernt wohnte der Onkel. Jakob war zu Fuß unterwegs. Der Weg war heiß und staubig. Jakob lief und lief. Irgendwann ging die Sonne unter. Ein Ort, wo man übernachten könnte, war nicht in Sicht. Jakob war müde. Am Wegesrand sah er einen großen Stein. Als Kopfkissen war der ziemlich hart. Aber Jakob legte seinen Kopf auf den Stein, um dort zu schlafen. Sicherlich konnte er nicht gleich einschlafen. Wenn er die Augen schloss, sah er seinen alten Vater vor sich, den er belogen hatte. Er spürte noch einmal in Gedanken, wie der Vater ihm die Hand aufgelegt hatte zum Segen und ihm das Erbe zugesprochen hatte. Was habe ich jetzt davon, dass ich meinen Vater betrogen habe, dachte Jakob. Das Erbe, das mir so wichtig war, kann ich jetzt wohl vergessen. Und der Segen von Gott, den mein Vater mir zugesprochen hat? Der war doch auch auf unrechtmäßige Weise erworben. Eigentlich wollte mein Vater ja Esau segnen. Aber jetzt könnte ich Gottes Segen wohl gebrauchen, denkt Jakob. Jetzt, wo ich hier unterwegs bin, ganz allein, auf einem Weg von 700 Kilometern. Ob Gott mich wohl begleitet auf diesem Weg?

Endlich schläft Jakob ein. Im Traum sieht er eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reicht. Engel steigen auf der Leiter hinauf und herunter. Dazu hört Jakob Gottes Stimme. Gott sagt zu Jakob im Traum: „Siehe, ich bin bei dir und behüte dich überall, wohin du auch gehst.“ (1. Mose 28,15) Am nächsten Morgen wacht Jakob auf. Die quälenden Gedanken sind verschwunden. Jakob weiß jetzt: Gott begleitet mich auf meinem Weg- trotz allem, was ich im Leben falsch gemacht habe. Zur Erinnerung an seinen Traum stellt Jakob den Stein aufrecht hin, der ihm als Kopfkissen gedient hat. Wenn er irgendwann einmal von seinem Onkel wieder nach Hause zurückgehen kann, dann wird er an diesem Stein vorbeikommen und an Gott denken und ihm danken. So nimmt Jakob es sich vor. Der Stein ist für Jakob ein Erinnerungszeichen. Der Stein erinnert Jakob daran, dass Gott bei ihm ist auf seinem Weg.

Ich denke noch einmal an euch Konfirmanden, für die jetzt der Weg durchs Konfirmandenjahr beginnt. Auch auf eurem Weg durchs Konfirmandenjahr gibt es solche Erinnerungszeichen, die euch daran erinnern sollen, dass Gott bei euch ist. Einige davon standen am vergangenen Mittwoch im Konfirmandenunterricht auf dem Boden bei unserem Bodenbild. Einige davon möchte ich jetzt noch einmal mit euch anschauen:

Da ist die Kerze. Sie war gleich zweimal auf unserem Bodenbild- einmal schön verziert mit Wachs und einmal ohne Verzierungen. Die verzierte Kerze stand für die Konfirmandenkerzen, die wir bald miteinander basteln werden. Dann werden sie sonntags immer in der Kirche brennen, wenn ihr im Gottesdienst seid. Die andere, nicht verzierte Kerze stand beim Besuch beim Bestatter, den wir ebenfalls in diesem Konfirmandenjahr geplant haben. Aber ihr Konfirmanden hattet am Mittwoch sogar noch eine bessere Idee, wo man diese Kerze auf dem Bodenbild hinstellen könnte, zusammen mit dem Kreuz, das wir heute auch sehen und das auch so ein Erinnerungszeichen ist. Einer von euch Konfirmanden hat gesagt: Das Kreuz und die Kerze, das steht beides für Ostern. Ja, das stimmt. Denn Jesus Christus ist für uns gestorben und auferstanden. Deswegen sind das Kreuz und die Kerze ein Erinnerungszeichen für uns Christen. Diese beiden Symbole erinnern uns daran: Wir sind nicht allein auf unserem Weg. Jesus Christus begleitet uns durchs Leben, durch die Höhen und Tiefen. Zu Jesus Christus können wir beten. Er versteht und, denn er war ein Mensch wie wir. Er kann uns helfen, denn er ist Gottes Sohn.

An Jesus Christus dürfen wir uns wenden, auch wenn in unserem Leben viel schief gelaufen ist, so wie das bei Jakob in unserer biblischen Geschichte der Fall war. Jakob hat es erleben dürfen: Gottes Segen gilt für mich trotzdem weiter. Und wir dürfen uns darauf verlassen. Jesus Christus verlässt uns nicht. Er hat unsere Schuld auf sich genommen. Er ist freiwillig in den Tod gegangen und für uns am Kreuz gestorben. Ja, Gottes Segen und Gottes Wegbegleitung hört nie auf. Sie gilt auch über den Tod hinaus. Jesus Christus ist auferstanden von den Toten. Und so passt auch der Besuch beim Bestatter, der für das Konfirmandenjahr geplant ist, zum Kreuz und zu der Kerze.

Liebe Konfirmanden, unser Bodenbild am letzten Mittwoch im Konfirmandenunterricht endete mit der Konfirmation. Eure Konfirmation- das ist euer Ziel, jetzt am Anfang des Konfirmandenjahrs. Wenn ihr dort angekommen seid, habt ihr es geschafft. Dann seid ihr fertig mit dem Konfirmandenjahr. Aber der Weg des Glaubens hört damit noch lange nicht auf, auch wenn bei unserem Bodenbild am letzten Mittwoch hier Schluss war. Gott begleitet euch durchs Leben- jetzt in der Konfirmandenzeit und auch nach der Konfirmation. So wie Gott es in unserer biblischen Geschichte dem Jakob versprochen hat, so gilt Gottes Versprechen auch für euch auf eurem Lebensweg: „Siehe ich bin bei dir und behüte dich, wohin du auch gehst.“

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

7. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 7. Sonntag nach Trinitatis, 3. August 2025

Liebe Mitchristen!

„Ich bin das Brot des Lebens,“ sagt Jesus in unserem Predigttext (Joh 6,30-35). Einen Tag zuvor hatte Jesus 5.000 Menschen satt gemacht, obwohl nur fünf Brote und zwei Fische da waren. „Ich bin das Brot des Lebens.“ Jesus sagt diese Worte zu Menschen, die Hunger haben: Menschen sind hungrig. Sie haben Mangel. Es fehlt ihnen an Nahrung, an Wasser. Sie suchen, sie fragen. Und sie hören: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“

In unserem Gottesdienst erbitten wir heute eine Spende für unser Weltmissionsprojekt im Sudan und Südsudan. Der fortschreitende Klimawandel verschärft die ohnehin schwierigen Lebensbedingungen in diesen Ländern. Der EJW-Weltdienst ermöglicht Menschen im Sudan und Südsudan den Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das ist nicht nur lebenswichtige Grundlage, sondern verbessert die Hygiene und hilft Krankheiten zu vermeiden. Mit IAS (International Aid Service), dem Partner unseres Weltmissionsprojekts vor Ort, werden Brunnen gebohrt, Hand und Solar-Pumpen installiert und Hygieneschulungen durchgeführt. Neben den Brunnen werden christliche Gemeinden unterstützt und Schulen mitfinanziert. Die Mitarbeiter vor Ort tun ihre Arbeit aus der tiefen Überzeugung heraus, dass es unser Auftrag ist, Gottes Liebe

an andere Menschen in Wort und Tat weiterzugeben.

 

Auch für Theresa, eine junge Frau aus dem Sudan, haben sich so die Lebensbedingungen verbessert:  Theresa sucht sich einen Schattenplatz. Jetzt am Morgen ist die Sonne noch erträglich, im Lauf des Tages wird sie die Erde und die Luft aufheizen, im Sommer nicht selten auf 50 °C. Gerade kommt sie vom Wasserholen zurück. Für ihre Familie braucht sie 40 Liter Wasser für einen Tag. Die vollen Kanister vom Brunnen zu holen, ist zwar immer noch anstrengend, aber seit es den neuen Brunnen im Dorf gibt, ist es kein Vergleich mehr zu früher! Damals war die nächste Quelle einige Kilometer entfernt. Jetzt ist es sogar möglich, dass sie abends noch mal Wasser holt, um ihr jüngstes Kind zu baden.

 

Menschen brauchen Wasser. Menschen brauchen Nahrung. Auch in unserem Land ist die Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten für viele keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Herausforderung. Menschen mit wenig Geld können sich die Lebensmittel im Supermarkt oft kaum leisten. Tafelläden lindern diese Not. Dort können arme Menschen zu vergünstigten Preisen einkaufen. Auch wir als Kirchengemeinde sammeln Spenden für den Tafelladen in Trossingen, die immer donnerstagnachmittags und montagvormittags im Pfarramt abgegeben werden können- jetzt im Sommer noch bis 11. August. Dann macht der Tafelladen Sommerpause, und die Spenden werden erst wieder am 8. September abgeholt. Auch Supermärkte beliefern den Tafelladen- mit Lebensmitteln, die nur noch ein sehr kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum haben, aber trotzdem noch genießbar sind. Nicht alle dieser Lebensmittel landen allerdings im Tafelladen. Viele werden auch einfach weggeworfen- nicht nur aus den Kühlschränken der Supermärkte, auch aus unseren heimischen Kühlschränken.

 

Was sind unsere Lebensmittel uns wert- unser tägliches Brot? Von einem englischen Journalist wird erzählt, er habe sich mit einem Laib Brot an belebte Straßenecken verschiedener Städte gestellt. Er forderte die Passanten auf, für dieses Brot eine Stunde zu arbeiten. In Hamburg wurde er ausgelacht, in New York von der Polizei festgenommen. Im afrikanischen Lagos wahren mehrere Personen bereit, für dieses Brot drei Stunden zu arbeiten. Im indischen Delhi hatten sich rasch hundert Personen angesammelt. Sie wollten für dieses Brot einen ganzen Tag arbeiten.

 

Brot haben- zu Essen, zu Trinken, ein Dach über dem Kopf- das sind die menschlichen Grundbedürfnisse. Wir haben das alles, ja die meisten von uns kennen es nicht anders. Gott sei Dank hat es schon lange keine Kriegs- und Hungerzeiten mehr gegeben in unserem Land. Vieles davon nehmen wir für selbstverständlich: Brot- das wesentliche Lebensmittel, das wir oft so gering schätzen. Und doch: Menschen sind hungrig. Hungrig nach mehr als nur nach Brot. Das ist nicht nur bei uns so. Das war auch schon bei den Menschen zur Zeit Jesu so- obwohl die den Hunger nach Brot besser gekannt haben. Trotzdem sind sie Jesus in diese einsame Gegend am anderen Ufer des Sees Tiberias gefolgt, wo es nichts zu essen gab (Joh 6). Warum? Weil sie Hunger nach mehr hatten als nur nach Brot. Denn nicht nur der Körper braucht Verpflegung, sondern auch die Seele.

 

Nahrung für die Seele- wo finden wir sie? Wir finden sie in Veranstaltungen, wo wir zusammenkommen und unseren Glauben feiern. Ich denke an den ökumenischen Gottesdienst an Pfingstmontag. Oder an das Zeltlager mit den Konfirmanden, auf dem ich vor einigen Wochen war: Zusammen mit 200 anderen Konfirmanden und Mitarbeitern haben wir dieses Wochenende verbracht. Ein Wochenende mit Spiel und Spaß, mit Gebet und Gesang. Ich bin sicher, es wird allen, die dabei waren, in Erinnerung bleiben. Ein Wochenende voller Begegnungen. Begegnungen mit anderen Menschen, Begegnungen mit Gott. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung,“ sagt Martin Buber.

 

Der Hunger will gestillt sein- nicht nur der Hunger nach Brot. Auch der andere, tiefere Hunger, der Hunger nach Leben- nach wirklichem, erfülltem Leben. „„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Es ist ein großes Versprechen, das Jesus hier gibt. Ein Versprechen, das uns allen gilt in unseren Hungerzeiten. Ja, manchmal geht es uns so wie den Menschen dort bei Jesus: Da war dieser eine großartige Tag- ein Gottesdienst wie der am Pfingstmontag, oder ein Wochenende wie das Zeltlager mit den Konfirmanden. Und dann am nächsten Tag? Alles geht so weiter, als ob nichts gewesen wäre. Was ist jetzt mit meinem Hunger nach Leben, nach Sinn? „Wir brauchen wieder so ein Wunder wie gestern, als alle Menschen bei dir satt geworden sind, Jesus!“ sagen die Menschen. „Immer wollen wir satt sein. Nie wieder Hunger haben.“ Jesus verspricht ihnen das nicht. Wir haben keinen Anspruch auf ein langes Leben ohne Hunger, Krankheit und Leid.

 

Bevor ich nach Wehingen kam, war ich Pfarrerin in Haigerloch. Dort gab es vor dem 2. Weltkrieg eine größere jüdische Gemeinde. Ein Geschäftsmann aus Haigerloch erzählte mir von folgender Begegnung: Er war beruflich viel auf Messen unterwegs und kam dort mit internationalen Kunden in Kontakt. Einmal kam er in diesem Zusammenhang mit einem Kunden ins Gespräch, der ein frommer Jude war. Dieser Jude kannte Haigerloch, und so kamen die beiden Männer ins Gespräch über das schreckliche Schicksal der Juden in Nazi-Deutschland. „Manchmal zweifelt man an Gottes Güte,“ sagte der Geschäftsmann. Sein jüdischer Kunde antwortete ihm: „Nein, an Gottes Güte kann man nie zweifeln. Jeder Tag, den man leben darf, ist ein Geschenk Gottes, ein Grund, Gott zu danken.“ Diese Antwort hat den Geschäftsmann beeindruckt.

 

Nicht für immer satt sein an Leib und Seele, nie mehr Hunger und Entbehrung- nicht das verspricht uns Jesus Christus. Er lehrt uns zu beten: Unser tägliches Brot gib uns heute. Nur für den heutigen Tag sollen wir bitten, nicht für morgen. Aber Jesus Christus verspricht uns: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Jesus Christus verspricht: Er macht uns satt. Er gibt uns, was wir brauchen. Nicht immer sofort und nicht immer so, wie wir denken. Aber immer genug. Er legt uns nicht mehr auf, als wir tragen können.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2025 (nach einer Vorlage von Claudia Neuguth)

 

Liebe Mitchristen!

 

Heute ist ein schöner, sonniger Sommersonntag. Was werden Sie heute noch machen an diesem Tag? Vielleicht die Koffer packen, weil es morgen in den Urlaub geht? Oder vollends alles vorbereiten für das Grillen heute Abend? Bestimmt auf jeden Fall die Beine hochlegen auf dem Balkon oder im Liegestuhl im Garten. Vielleicht auch noch die Nachrichten sehen oder lesen? Oder doch lieber nicht- denn dann sind sie wieder da, die Bilder. Während hier – Gott sei Dank! die Menschen den Sommer genießen können, fliegen anderen Kugeln um die Ohren, laufen andere um ihr Leben, stürzen Gebäude und Träume ein, fehlt es an Wasser und Brot, nehmen andere schon wieder Abschied von denen, die sie lieben. In diesen sonnigen und friedlichen Sommertag hinein brechen die Bilder aus den Nachrichten. Kaum zu glauben, wie sich die Welt in den letzten Monaten und Jahren verändert hat: Zeitenwende sagen wir dazu.

 

Eigentlich möchte ich sie gerne wegschieben, diese Zeitenwende. Ich möchte vergessen, wie viel Grauen sich in unserer Welt ereignet- in der Ukraine, im Gazastreifen und an so viel anderen Orten. Ich möchte von diesen schlechten Nachrichten auch mal Urlaub haben: Mal eine Auszeit von der Angst, dass Krieg auch in unserem Land wieder zur Realität werden könnte. Aber die Nachrichten sind da. Die Bilder von Krieg und Zerstörung bleiben in meinem Gedächtnis. Die Glocke von Hiroshima, die daran erinnert, welches Grauen Atomwaffen anrichten, gellt in meinen Ohren.

 

In dieser Zeit der Zeitenwende, in der die Atomwaffenverträge auslaufen und nicht erneuert werden, in der wir in Europa wieder diskutieren über Verteidigungshaushalt und Wehrpflicht und in der Abermilliarden in die Rüstung fließen- in dieser Zeit lese ich den Predigttext aus dem Jesajabuch: „Am Ende der Tage wird der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen. Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn vom Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ (Jesaja 2, 2-5)

 

„Am Ende der Tage“ übersetzt Martin Luther und lässt an Zeiten denken, die in dieser Welt, die wir kennen, nicht mehr erreicht werden können. Das Wort, das im hebräischen Text steht, kann aber auch anders übersetzt werden: „Später“ kann man zum Beispiel auch übersetzen. Das bedeutet dann: Nicht heute, aber irgendwann in der Zeit. Nach den Tagen. Das hebräische Wort, das da im Text steht, kann auch „hinter“ meinen- also nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Bedeutung haben. Warum „hinter“? Wie passt das in den Zusammenhang? Es hat damit zu tun, dass nach damaliger Vorstellung die Zukunft im Rücken liegt: „Hinter den Tagen“- oder noch genauer: „Auf der Rückseite der Tage“. Diese Übersetzungsmöglichkeit hilft mir, den Text für heute zu verstehen. Die Vorderseite der Tage- das ist das, was wir sehen und vor Augen haben- damals zur Zeit des Propheten Jesaja genauso wie heute: Wir sehen Kriege und Auseinandersetzungen, die Menschenleben und Ressourcen kosten. Wir sehen Heimats- und Identitätsverlust, den Menschen durchmachen. Aber „hinter den Tagen“ liegt eine andere Realität, die wie durch einen Riss hineinblitzt.

 

Mit dem Propheten Jesaja will ich durch diesen Riss schauen. Wenn ich mich darauf einlasse, dann sehe ich Menschen unterschiedlicher Nationen, die zum Zion kommen, der deshalb groß ist, weil Gott da ist. Diese Menschen legen ihre Waffen nieder- nicht wegen eines willkürlichen Befehls, sondern weil sie sie nicht mehr brauchen, weil ihnen Gerechtigkeit getan wird. Langsam, Schlag auf Schlag, wird das Schwert zum landwirtschaftlichen Gerät. Nicht nur Abrüstung, sondern Umrüstung ist das Ergebnis. Kräfte werden frei und Ressourcen können in eine gute Zukunft investiert werden. Hinter den sichtbaren Tagen von Krieg und Unsicherheit liegen diese anderen Tage, von denen die Vision des Propheten Jesaja erzählt. Es ist radikal, was dieser Prophet erzählt. Es trifft die Menschen an der Wurzel ihrer Überzeugung. Viele werden auch damals schon die Köpfe geschüttelt und Jesaja für naiv erklärt haben. Viele werden damals schon abgewunken und gesagt haben: Hier, unter Menschen, ist das sowieso nicht möglich. Aber damals wie heute gab und gibt es Menschen, die voller Hoffnung durch den Riss geblickt und gesagt haben: So kann es auch sein; ja so soll es sein! Menschen, die sich dann die Hände gerieben und die Aufgaben angepackt haben, die vor ihnen liegen auf dem Weg dorthin.

 

Angesichts der Schrecken und Verbrechen des 20. Jahrhunderts haben die Menschen sich auch die Hände gerieben und angepackt. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde die UNO gegründet, mit dem erklärten Ziel der Wahrung des Weltfriedens und der Verständigung zwischen den Völkern. Und obwohl es immer wieder auch zu Brüchen kam, erzählt dieses erklärte Ziel von einer gemeinsamen Vision: So soll es sein. Im Garten des UNO-Hauptquartiers wird der Vision des Jesaja gedacht. Dort steht die Statue vom Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umarbeitet. 1959 hat die Sowjetunion der UNO dieses Werk von Jewgeni Wutschetisch geschenkt. Ausgerechnet die Sowjetunion, möchte man angesichts der Aggressivität des Nachfolgestaats sagen. Und ich denke, gerade deshalb ist es gut, dies nicht zu vergessen.

 

Wir wollen nicht vergessen, wie Menschen aus allen Nationen durch den Riss in die anderen Tage geblickt haben. Menschen, die geglaubt haben, dass es möglich ist, dass die Menschen im gerechten Frieden miteinander leben und die globalen Aufgaben gemeinsam anpacken. Viele fanden die Kraft für ihre Überzeugung in dem Glauben, dass Gott den Frieden will für die Menschen auf dieser Welt. Viele haben gehofft, dass dieser Riss immer größer und größer wird- bis das, was heute noch dahinter liegt, „auf der Rückseite der Tage“, eines Tages Realität ist. Ein Weg für Menschen mit langem Atem. Aber ein Weg in eine gute Richtung.

 

Doch jetzt hat auch Europa erreicht, was für viele Menschen auf der Welt schon lange bittere Wahrheit ist: Der Riss, der den Blick auf eine Gesellschaft in Frieden zeigt, scheint sich zu schließen. Das Bild der Friedensvision wird immer kleiner. Immer weniger Menschen gelingt es, diese Friedensvision zu sehen. Immer größer wird der Einfluss der Kopfschüttler über so viel Naivität; immer lauter die Stimmen derer, die die Friedensvision für dumm oder sogar gefährlich halten. Immer weniger Menschen wagen es, die Überzeugung in Frage zu stellen, dass die Welt eben so ist und dass der Krieg eben zum Menschen gehört und im Zweifel eine legitime Form ist, seine eigenen Interessen durchzusetzen.

 

Ich denke an Jesus Christus. Er war in seiner Zeit selbst so eine radikale Stimme, die scheinbar Selbstverständliches in Frage gestellt hat. Und er ist es noch heute. Das Bild vom Friedensreich, das durch Gottes Gerechtigkeit wächst, hatte er nicht nur als Bild „hinter den Tagen“ vor Augen. Er trug es in seinem Herzen und in seine Gegenwart: „Selig sind, die Frieden stiften!“ (Matthäus 5, 9) Viele werden ihn belächelt haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Viele werden ihn gefürchtet haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Denn er hat mit seiner Botschaft die Machtstrukturen hinterfragt und angegriffen. Damals haben sie ihn getötet deswegen.

 

„Selig sind, die Frieden stiften!“ Das sind Worte aus der Bergpredigt. „Bergpredigt“, das lässt etwas davon ahnen, dass dort eine besondere Gottesnähe zu spüren war. „Ihr seid das Salz der Erde“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ sagte Jesus auch dort auf dem Berg (Matthäus 5, 13-14) Wenn wir diese Worte heute hören, dann stehen wir in seiner Nachfolge. Wir haben eine besondere Aufgabe: „Ihr seid das Salz der Erde.“ „Ihr seid das Licht der Welt.“ Ihr könnt die Welt verändern und sollt es tun. Ihr sollt dabei helfen, den Frieden, den Gott versprochen hat, in die Welt zu bringen. Denn ihr wisst von der Rückseite der Tage. Ihr kennt das Versprechen, das zu sehen ist, wenn man durch den Riss dieser Realität blickt: „Hinter den Tagen“ ist Gottes Friedensreich- und es will und wird kommen. Haltet die Bilder wach. Setzt euch ein dafür, dass der Riss größer wird. Helft Menschen, ihn zu sehen. Wer, wenn nicht ihr sollte es tun? Denn ihr seid das Licht der Welt! Ihr seid das Salz der Erde!

 

Heute ist ein Sommertag in einer Welt, in der es an vielen Stellen brennt. Irgendwo kommt gerade in diesem Moment jemand um, weil er an einer Front kämpft. Ganz in der Nähe wird gerade geplant, welche Waffen mit welchen Fähigkeiten beschafft werden müssen. Es werden in diesem Moment Menschen ausgebildet, die diese Waffen bedienen. In der direkten Nachbarschaft schimpft gerade jemand über „die da oben“, und in der eigenen Familie können Tante und Onkel seit Jahren nicht an einem Tisch sitzen, ohne bis aufs Blut miteinander zu streiten.

 

Das ist scheinbar die Realität dieser Tage. Und dahinter gibt es die andere, das Friedensreich. Und manchmal reißt was auf, und es ist zu sehen: Da ist einer mutig am Stammtisch und erinnert daran, dass „die da oben“ auch nur Menschen sind, die sich einsetzen. Da lädt eine doch die alte Nachbarin zum Grillen ein, die ganz verbittert ist in ihrer Einsamkeit. Da entscheidet sich eine für den teuren, aber fairen Kaffee, weil er dabei hilft, dass Menschen gerecht bezahlt werden. Lassen wir uns einladen, durch diesen Riss in eine andere Realität zu blicken. Halten wir uns diese Perspektive offen. Arbeiten wir am Frieden. Dann sind wir das Salz der Erde und das Licht der Welt.

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2025 (nach einer Vorlage von Claudia Neuguth)


Liebe Mitchristen!


Heute ist ein schöner, sonniger Sommersonntag. Was werden Sie heute noch machen an diesem Tag? Vielleicht die Koffer packen, weil es morgen in den Urlaub geht? Oder vollends alles vorbereiten für das Grillen heute Abend? Bestimmt auf jeden Fall die Beine hochlegen auf dem Balkon oder im Liegestuhl im Garten. Vielleicht auch noch die Nachrichten sehen oder lesen? Oder doch lieber nicht- denn dann sind sie wieder da, die Bilder. Während hier – Gott sei Dank! die Menschen den Sommer genießen können, fliegen anderen Kugeln um die Ohren, laufen andere um ihr Leben, stürzen Gebäude und Träume ein, fehlt es an Wasser und Brot, nehmen andere schon wieder Abschied von denen, die sie lieben. In diesen sonnigen und friedlichen Sommertag hinein brechen die Bilder aus den Nachrichten. Kaum zu glauben, wie sich die Welt in den letzten Monaten und Jahren verändert hat: Zeitenwende sagen wir dazu. 


Eigentlich möchte ich sie gerne wegschieben, diese Zeitenwende. Ich möchte vergessen, wie viel Grauen sich in unserer Welt ereignet- in der Ukraine, im Gazastreifen und an so viel anderen Orten. Ich möchte von diesen schlechten Nachrichten auch mal Urlaub haben: Mal eine Auszeit von der Angst, dass Krieg auch in unserem Land wieder zur Realität werden könnte. Aber die Nachrichten sind da. Die Bilder von Krieg und Zerstörung bleiben in meinem Gedächtnis. Die Glocke von Hiroshima, die daran erinnert, welches Grauen Atomwaffen anrichten, gellt in meinen Ohren.


In dieser Zeit der Zeitenwende, in der die Atomwaffenverträge auslaufen und nicht erneuert werden, in der wir in Europa wieder diskutieren über Verteidigungshaushalt und Wehrpflicht und in der Abermilliarden in die Rüstung fließen- in dieser Zeit lese ich den Predigttext aus dem Jesajabuch: „Am Ende der Tage wird der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen. Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn vom Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ (Jesaja 2, 2-5)


„Am Ende der Tage“ übersetzt Martin Luther und lässt an Zeiten denken, die in dieser Welt, die wir kennen, nicht mehr erreicht werden können. Das Wort, das im hebräischen Text steht, kann aber auch anders übersetzt werden: „Später“ kann man zum Beispiel auch übersetzen. Das bedeutet dann: Nicht heute, aber irgendwann in der Zeit. Nach den Tagen. Das hebräische Wort, das da im Text steht, kann auch „hinter“ meinen- also nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Bedeutung haben. Warum „hinter“? Wie passt das in den Zusammenhang? Es hat damit zu tun, dass nach damaliger Vorstellung die Zukunft im Rücken liegt: „Hinter den Tagen“- oder noch genauer: „Auf der Rückseite der Tage“. Diese Übersetzungsmöglichkeit hilft mir, den Text für heute zu verstehen. Die Vorderseite der Tage- das ist das, was wir sehen und vor Augen haben- damals zur Zeit des Propheten Jesaja genauso wie heute: Wir sehen Kriege und Auseinandersetzungen, die Menschenleben und Ressourcen kosten. Wir sehen Heimats- und Identitätsverlust, den Menschen durchmachen. Aber „hinter den Tagen“ liegt eine andere Realität, die wie durch einen Riss hineinblitzt.


Mit dem Propheten Jesaja will ich durch diesen Riss schauen. Wenn ich mich darauf einlasse, dann sehe ich Menschen unterschiedlicher Nationen, die zum Zion kommen, der deshalb groß ist, weil Gott da ist. Diese Menschen legen ihre Waffen nieder- nicht wegen eines willkürlichen Befehls, sondern weil sie sie nicht mehr brauchen, weil ihnen Gerechtigkeit getan wird. Langsam, Schlag auf Schlag, wird das Schwert zum landwirtschaftlichen Gerät. Nicht nur Abrüstung, sondern Umrüstung ist das Ergebnis. Kräfte werden frei und Ressourcen können in eine gute Zukunft investiert werden. Hinter den sichtbaren Tagen von Krieg und Unsicherheit liegen diese anderen Tage, von denen die Vision des Propheten Jesaja erzählt. Es ist radikal, was dieser Prophet erzählt. Es trifft die Menschen an der Wurzel ihrer Überzeugung. Viele werden auch damals schon die Köpfe geschüttelt und Jesaja für naiv erklärt haben. Viele werden damals schon abgewunken und gesagt haben: Hier, unter Menschen, ist das sowieso nicht möglich. Aber damals wie heute gab und gibt es Menschen, die voller Hoffnung durch den Riss geblickt und gesagt haben: So kann es auch sein; ja so soll es sein! Menschen, die sich dann die Hände gerieben und die Aufgaben angepackt haben, die vor ihnen liegen auf dem Weg dorthin. 


Angesichts der Schrecken und Verbrechen des 20. Jahrhunderts haben die Menschen sich auch die Hände gerieben und angepackt. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde die UNO gegründet, mit dem erklärten Ziel der Wahrung des Weltfriedens und der Verständigung zwischen den Völkern. Und obwohl es immer wieder auch zu Brüchen kam, erzählt dieses erklärte Ziel von einer gemeinsamen Vision: So soll es sein. Im Garten des UNO-Hauptquartiers wird der Vision des Jesaja gedacht. Dort steht die Statue vom Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umarbeitet. 1959 hat die Sowjetunion der UNO dieses Werk von Jewgeni Wutschetisch geschenkt. Ausgerechnet die Sowjetunion, möchte man angesichts der Aggressivität des Nachfolgestaats sagen. Und ich denke, gerade deshalb ist es gut, dies nicht zu vergessen. 


Wir wollen nicht vergessen, wie Menschen aus allen Nationen durch den Riss in die anderen Tage geblickt haben. Menschen, die geglaubt haben, dass es möglich ist, dass die Menschen im gerechten Frieden miteinander leben und die globalen Aufgaben gemeinsam anpacken. Viele fanden die Kraft für ihre Überzeugung in dem Glauben, dass Gott den Frieden will für die Menschen auf dieser Welt. Viele haben gehofft, dass dieser Riss immer größer und größer wird- bis das, was heute noch dahinter liegt, „auf der Rückseite der Tage“, eines Tages Realität ist. Ein Weg für Menschen mit langem Atem. Aber ein Weg in eine gute Richtung. 


Doch jetzt hat auch Europa erreicht, was für viele Menschen auf der Welt schon lange bittere Wahrheit ist: Der Riss, der den Blick auf eine Gesellschaft in Frieden zeigt, scheint sich zu schließen. Das Bild der Friedensvision wird immer kleiner. Immer weniger Menschen gelingt es, diese Friedensvision zu sehen. Immer größer wird der Einfluss der Kopfschüttler über so viel Naivität; immer lauter die Stimmen derer, die die Friedensvision für dumm oder sogar gefährlich halten. Immer weniger Menschen wagen es, die Überzeugung in Frage zu stellen, dass die Welt eben so ist und dass der Krieg eben zum Menschen gehört und im Zweifel eine legitime Form ist, seine eigenen Interessen durchzusetzen.


Ich denke an Jesus Christus. Er war in seiner Zeit selbst so eine radikale Stimme, die scheinbar Selbstverständliches in Frage gestellt hat. Und er ist es noch heute. Das Bild vom Friedensreich, das durch Gottes Gerechtigkeit wächst, hatte er nicht nur als Bild „hinter den Tagen“ vor Augen. Er trug es in seinem Herzen und in seine Gegenwart: „Selig sind, die Frieden stiften!“ (Matthäus 5, 9) Viele werden ihn belächelt haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Viele werden ihn gefürchtet haben in seiner Zeit und tun es noch heute. Denn er hat mit seiner Botschaft die Machtstrukturen hinterfragt und angegriffen. Damals haben sie ihn getötet deswegen. 


„Selig sind, die Frieden stiften!“ Das sind Worte aus der Bergpredigt. „Bergpredigt“, das lässt etwas davon ahnen, dass dort eine besondere Gottesnähe zu spüren war. „Ihr seid das Salz der Erde“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ sagte Jesus auch dort auf dem Berg (Matthäus 5, 13-14) Wenn wir diese Worte heute hören, dann stehen wir in seiner Nachfolge. Wir haben eine besondere Aufgabe: „Ihr seid das Salz der Erde.“ „Ihr seid das Licht der Welt.“ Ihr könnt die Welt verändern und sollt es tun. Ihr sollt dabei helfen, den Frieden, den Gott versprochen hat, in die Welt zu bringen. Denn ihr wisst von der Rückseite der Tage. Ihr kennt das Versprechen, das zu sehen ist, wenn man durch den Riss dieser Realität blickt: „Hinter den Tagen“ ist Gottes Friedensreich- und es will und wird kommen. Haltet die Bilder wach. Setzt euch ein dafür, dass der Riss größer wird. Helft Menschen, ihn zu sehen. Wer, wenn nicht ihr sollte es tun? Denn ihr seid das Licht der Welt! Ihr seid das Salz der Erde! 


Heute ist ein Sommertag in einer Welt, in der es an vielen Stellen brennt. Irgendwo kommt gerade in diesem Moment jemand um, weil er an einer Front kämpft. Ganz in der Nähe wird gerade geplant, welche Waffen mit welchen Fähigkeiten beschafft werden müssen. Es werden in diesem Moment Menschen ausgebildet, die diese Waffen bedienen. In der direkten Nachbarschaft schimpft gerade jemand über „die da oben“, und in der eigenen Familie können Tante und Onkel seit Jahren nicht an einem Tisch sitzen, ohne bis aufs Blut miteinander zu streiten. 


Das ist scheinbar die Realität dieser Tage. Und dahinter gibt es die andere, das Friedensreich. Und manchmal reißt was auf, und es ist zu sehen: Da ist einer mutig am Stammtisch und erinnert daran, dass „die da oben“ auch nur Menschen sind, die sich einsetzen. Da lädt eine doch die alte Nachbarin zum Grillen ein, die ganz verbittert ist in ihrer Einsamkeit. Da entscheidet sich eine für den teuren, aber fairen Kaffee, weil er dabei hilft, dass Menschen gerecht bezahlt werden. Lassen wir uns einladen, durch diesen Riss in eine andere Realität zu blicken. Halten wir uns diese Perspektive offen. Arbeiten wir am Frieden. Dann sind wir das Salz der Erde und das Licht der Welt. 


Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

6. Sonntag nach Trinitatis

Predigt beim Gottesdienst mit dem Evang. Johannes-Kindergarten Gosheim am 27. Juli 2025

Liebe Kinder, liebe Erwachsene!

Am Donnerstag war ich bei euch Kindergartenkindern im Johannes-Kindergarten, und wir haben zusammen die Geschichte gehört von Johannes dem Täufer (Matthäus 3, 1-17). Nach diesem Johannes aus der Bibel ist euer Johannes-Kindergarten benannt. Dieser Johannes aus der Bibel war ein ganz besonderer Mensch. Er brauchte kein Haus und kein Bett. Er hat einfach im Freien geschlafen, draußen in der Natur. Da habt ihr Kinder am Donnerstag ganz schön gestaunt, als ihr das gehört habt.

Johannes hat den Menschen von Gott und von Jesus erzählt. Johannes wusste nämlich: Durch Jesus können die Menschen zu Gott finden. Johannes konnte auch streng sein zu den Menschen, denen er von Gott erzählt hat. Dann hat er gesagt: „Denkt mal nach über euer Leben! Lebt ihr wirklich so, wie Gott das möchte? Oder seid ihr auch manchmal gemein zu den anderen, anstatt ihnen zu helfen?“ Die Menschen bei Johannes überlegen. Und vielen von ihnen fällt etwas ein: „O je, das war wirklich gemein von mir! Das war schlecht, was ich da gemacht habe. Das hätte ich wirklich anders machen sollen!“ Da fragen die Leute Johannes: „Was sollen wir jetzt machen?“ Johannes antwortet ihnen: „Macht es in Zukunft nicht mehr so!“ „Ja,“ sagen die Leute. „Wir wollen das in Ordnung bringen, was wir falsch gemacht haben. Und wir wollen aufpassen, dass uns in Zukunft so etwas nicht mehr passiert.“ „Gut,“ sagt Johannes. „Dann lasst euch taufen. Die Taufe ist nämlich ein Neuanfang mit Gott. Wer getauft ist, der gehört zu Gott. Und Gott gehört zu ihm. In der Taufe sind wir mit Gott verbunden.“

Viele Menschen lassen sich taufen, als Johannes das sagt. Auch Jesus kommt und will sich taufen lassen. Das bringt Johannes ganz durcheinander. Er denkt: „Ich soll Jesus taufen? Das passt doch gar nicht! Jesus gehört doch schon zu Gott. Niemand ist näher bei Gott als Jesus. Außerdem war Jesus ganz bestimmt nie gemein zu jemanden.“ Johannes fragt Jesus: „Warum soll ich dich taufen?“ Jesus antwortet: „Gott will es so.“ Da tauft Johannes Jesus. Es ist eine sehr besondere Taufe. Nicht nur, weil Johannes Jesus ganz unter Wasser taucht. Das hat man früher immer so gemacht. Heute macht man es anders. Das eigentlich Besondere an der Taufe von Jesus ist etwas anderes: Bei der Taufe von Jesus konnte man den Heiligen Geist sehen und hören.

Der Heilige Geist ist ja immer bei uns. Der Heilige Geist ist Gottes Kraft, die uns beschützt. Aber heute können wir den Heiligen Geist nicht sehen und hören. Wir können ihn aber in unserem Herzen spüren. Bei der Taufe von Jesus war das anders. Da kam der Heilige Geist wie eine Taube vom Himmel heruntergeflogen. So konnte man den Heiligen Geist sehen. Hören konnte man den Heiligen Geist auch bei der Taufe von Jesus. Das hat sich angehört wie eine Stimme vom Himmel. Die Stimme hat über Jesus gesprochen. Sie hat gesagt: „Das ist mein geliebter Sohn.“ (Matthäus 3, 17) Das war etwas ganz Besonderes bei der Taufe von Jesus, dass man den Heiligen Geist hören und sehen konnte.

Heute können wir den Heiligen Geist nicht hören und sehen. Aber der Heilige Geist ist trotzdem immer bei uns, ganz besonders auch dann, wenn wir Taufe feiern, so wie heute in unserem Gottesdienst. In unserem Herzen können wir den Heiligen Geist spüren. Zu jedem von uns sagt er da: „Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter.“ Und als ich am Donnerstag bei euch Kindergartenkindern im Johannes-Kindergarten war, da hat mich sehr gefreut, dass ich das nicht nur tief im Herzen gespürt habe, dass ich Gottes geliebtes Kind bin; da habe ich es auch mit meinen Ohren gehört. Ihr Kindergartenkinder habt nämlich ein Lied davon gesungen: „Weißt du nicht, wer ich bin. Ich bin Gottes geliebtes Kind.“

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

Kategorien
Gedanken zum Sonntag

4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 13. Juli 2025

Liebe Mitchristen!

„Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“ Diese Sätze, die Jesus in unserem Predigttext spricht (Lukas 6, 36-42), sind Aufforderungen, die uns sagen, wie wir als Christen leben sollen. Aber diese Sätze sind mehr als nur Aufforderungen. Schauen wir zuerst einmal darauf, wie diese Sätze enden, und hören wir auf die Verheißung, die in diesen Satzenden steckt: „Ihr werdet nicht gerichtet. Ihr werdet nicht verdammt. Euch wird vergeben.“ So verspricht es uns Jesus am Ende dieser Aufforderungssätze. Diese Worte von Jesus erinnern uns daran: Gott ist kein strenger und umbarmherziger Richter. Gott ist die Liebe. Gott schenkt uns die Vergebung, durch Jesus Christus seinen Sohn, der unsere Sünden auf sich genommen hat, der für uns sein Leben hingegeben hat.

Aus dieser Liebe dürfen wir leben. Diese Liebe dürfen wir weitergeben, voller Freude, denn Gott hat uns zuerst geliebt. Von dieser großen Liebe Gottes wollen wir unseren Kindern erzählen. Wir wollen sie weitergeben von Generation zu Generation. Und wir dürfen uns darauf verlassen: Gott ist für uns da und lässt uns nie im Stich. Das hat er uns versprochen. Vorhin bei der Taufe haben wir dieses große Versprechen von Gott gehört: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ (Jes 43,1) Das ist die Überschrift über alles, was Jesus uns sagt- auch über die Aufforderungen in unserem Predigttext: „Richtet nicht. Verdammt nicht. Vergebt.“

Man könnte meinen, diese Aufforderungen braucht es eigentlich gar nicht. Wenn wir aus der Liebe leben, mit der Gott uns zuerst geliebt hat, wenn wir diese Liebe mit Freuden weitergeben an die Menschen um uns herum, dann versteht sich das alles doch von selbst. Schön, dass wir das immer wieder erleben dürfen in unserem Leben- dass die Liebe und die christliche Barmherzigkeit einfach ganz selbstverständlich gelebt werden, ohne dass jemand daran erinnern muss. Schön, dass es Eltern, Paten und Verwandte gibt wie bei Ihnen in der Tauffamilie, die ein Kind liebevoll ins Leben begleiten, die alles Gute für ihr Kind wollen und immer für ihr Kind da sein wollen.

Aber wir alle wissen auch, dass es nicht immer so einfach ist mit der Barmherzigkeit. Da gibt es die Nachbarin oder den Kollegen, mit dem ich nicht so gut klarkomme. Der tickt einfach anders als ich. Immer wieder gehen wir aneinander hoch. Über so jemanden, mit dem wir uns schwertun, kein Urteil zu fällen, das ist immer wieder eine Herausforderung für uns. Jesus lädt uns ein, auch bei solchen Menschen nicht nur das zu sehen, was uns stört, sondern auch die Stärken. Oft übersehen wir das ja- was der andere, den wir nicht so gut leiden können, auch für Stärken hat. Wir übersehen das oft, weil diese Stärken nicht auf unserer Linie liegen, weil sie nicht zu unseren eigenen Interessen und Prioritäten zählen.

Wir können die Welt eben nur aus unserer eigenen Perspektive wahrnehmen. Und immer wieder ist es wichtig, dass wir uns klarmachen: Unsere eigene Perspektive ist nicht alles. Es ist nur eine begrenzte Perspektive. Wir haben unsere blinden Flecken, wo wir nicht wahrnehmen können, was der schwierige Kollege oder die nervige Nachbarin am Gutem hat. Jesus hat ein Wort für diesen blinden Fleck, den wir alle in unserer eingeschränkten Perspektive haben: Er nennt das den Balken in unserem Auge. Das ist fast schon so etwas wie ein Brett vor dem Kopf. Und manchmal geht es uns ja wirklich so, dass wir wie mit einem Brett vor dem Kopf durchs Leben laufen und erst im Nachhinein merken, dass wir uns in etwas verrannt haben, was uns und unseren Mitmenschen nicht guttut.

Jesus will uns dieses Brett vom Kopf wegmachen. Er will uns freie Sicht schenken, eine neue Perspektive auf uns und unsere Mitmenschen. Jesus will mich immer wieder daran erinnern: Auch der schwierige Kollege, auch die nervige Nachbarin ist Gottes geliebtes Kind. Das ist ein Perspektivwechsel. Ich sehe meine Mitmenschen aus der Perspektive Gottes. Und ich bin sicher: Wenn ich es schaffe- und manchmal wird mir das sicherlich schwerfallen- aber wenn ich es schaffe, meine schwierigen Mitmenschen aus dieser Perspektive zu sehen, dann wird das etwas ändern zwischen mir und ihnen. Sicherlich werden damit nicht alle Probleme, die wir miteinander haben, aus der Welt geschaffen sein. Aber vielleicht wird es möglich, sich trotz aller gegenseitigen Vorbehalte und Verletzungen miteinander auf den Weg zu machen und nach konstruktiven Lösungen zu suchen für die Probleme, die man miteinander hat.

Nicht immer gelingt das. Es gibt auch Situationen, die sind so verfahren, dass wir das nicht miteinander schaffen. Aber auch dann ändert es etwas, wenn ich den anderen weiterhin aus der Perspektive Gottes betrachten kann- als Gottes geliebtes Kind. Ob es für den anderen etwas ändert, kann ich in diesem Fall wahrscheinlich nicht beurteilen, wenn der Kontakt zwischen uns schwierig bleibt oder abgebrochen ist. Aber für mich selbst ändert es etwas, wenn ich in dem anderen trotz aller Schwierigkeiten ein Kind Gottes sehen kann. Es wird meine eigene Perspektive zurechtrücken- so wie Jesus es sagt: „Vergebt, so wird euch vergeben. Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“

Nicht mit zweierlei Maß soll ich messen. Nicht den Splitter im Auge meines Bruders oder meiner Schwester sehen, den Balken in meinem Auge aber nicht. Ja, bei mir selbst muss ich anfangen. Denn nur mich selbst, mein eigenes Leben, mein eigenes Verhalten kann ich ändern- nicht das Verhalten der anderen. Das wollen wir ja so gerne, den anderen Menschen ändern. Aber wir wissen alle: Es funktioniert leider nicht.

„Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“ Dieses Bibelwort will keine Drohung sein, kein: Pass bloß auf, wie du mit den anderen Menschen umgehst! Nein, dieses Bibelwort ist eine Verheißung, ein großes Versprechen: Leben in Fülle ist uns verheißen: „Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben.“ Darf’s ein bisschen mehr sein, sagt Gott zu uns- wie ein Verkäufer auf dem Markt, der den Messbehälter so voll macht, wie es nur geht. Und dann legt er noch eine Schippe obendrauf. Noch eine Schippe an Gutem, an Segensreichem für unser Leben.

Denn Gott meint es gut mit uns. Er schenkt uns alles, was wir brauchen für unser Leben. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir zu kurz kommen. Warum finde ich eigentlich den Kollegen so schwierig oder die Nachbarin? Ist es vielleicht, weil ich sie heimlich beneide um das, was sie haben und ich nicht? Aber auch wenn der Kollege erfolgreicher ist und die Nachbarin ein schöneres Haus hat als wir- gönnen wir ihnen das doch einfach, und lassen wir uns davon nicht beirren. Das Wichtigste im Leben ist nicht, dass man auf der Karriereleiter ganz oben steht. Das Wichtigste im Leben ist nicht, möglichst viel Reichtum und Geld zu haben. Das Wichtigste im Leben gibt es nur geschenkt: Die Liebe, das Glück. Sie, liebe Tauffamilie wissen das. Ein Kind ist Ihnen geschenkt worden, aus Gottes großer Barmherzigkeit. Lassen wir uns beschenken von Gott! Nehmen wir seine Barmherzigkeit an, und schenken wir sie weiter an die Menschen, die uns begegnen!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer