5. Mose 30, 11-14: Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.
Liebe Mitchristen!
Erinnern Sie sich noch, wie es war, als Sie in jungen Jahren in der Schule oder im Konfirmandenunterricht die 10 Gebote auswendig gelernt haben? Mir ist das Auswendiglernen eher leicht gefallen in meiner Jugend. Da hat es mir an sich nichts ausgemacht, dass wir damals im Konfirmandenunterricht viel auswendig gelernt haben, mehr als heute. Trotzdem gab es da Lerntexte, die ich lieber gelernt habe als andere: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen.“ Oder: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Diese Texte mochte ich gerne. Da war für mich etwas spürbar von Gott und seiner Liebe zu mir. Andere Texte erschienen mir eher trocken: „Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen.“ Das erschien mir schon alles wichtig und richtig. Aber Freude am Auswendiglernen dieser Texte hatte ich nicht so sehr. Ich bin nicht wirklich warm geworden mit diesen Bibelworten. „Du sollst nicht!“ Das klingt eben wenig einladend.
Unser Predigttext klingt da anders. Gott gibt Gebote, und wir sollen sie halten. Das ist die Grundvoraussetzung auch von diesem Bibelwort. Ein Bibelwort, das in eine schwierige Zeit gesprochen wurde. Die Israeliten waren aus der Gefangenschaft in Babylon zurückgekehrt und mussten in ihrer alten Heimat nun ganz neu anfangen. Kein Stein stand mehr auf dem anderen. Und jetzt auch noch Gottes Gebote mit ihrem „Du sollst nicht“. Das kann einem doch auch mal alles zu viel werden.
Das kann einem doch auch mal alles zu viel werden. So geht es uns heute auch immer mal. Die Infektionszahlen gehen wieder hoch, es drohen neue Einschränkungen, damit sich die Pandemie nicht weiter ausbreitet. Klare Vorgaben, die uns sagen: Du sollst nicht, du darfst nicht.
Unser Predigttext spricht in eine solche Situation, in der es Menschen zu viel wird: „Das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.“ Es ist nicht schwer, so zu leben, wie Gott es möchte, sagt uns der Predigttext. Gottes Gebote sind einleuchtend. Sie sind nicht weit hergeholt. Es ist absolut naheliegend, was Gott von uns will: Gott lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Uns gegenseitig lieben, denn wir haben ein Bedürfnis nach gemeinsamem Leben. Respekt und Würde beachten. Jedem sein Recht und seine Freiheit gönnen. Sich nicht davonstehlen, ehrlich zueinander sein, die Eltern ehren, sich an dem, was den Anderen gehört und gelingt, freuen ohne Neid und Habgier.
Das alles ist wirklich nicht weit hergeholt. Es ist wirklich nicht wie eine Botschaft von einem anderen Stern, die mit uns hier nichts zu tun hat. Nein – was Gott hier von uns will, das ist völlig naheliegend. Wir alle wissen ja im Grunde: Diese Regeln brauchen wir für ein gutes Zusammenleben. Und es ist gut, dass ich sie in meiner Jugend auswendig gelernt habe. So trage ich sie in meinem Herzen – by heart, wie man auf Englisch sagt.
Es ist auch nicht zu viel verlangt, was in Gottes Geboten steht. Es ist möglich und machbar, dass ich diese Gebote als Richtschnur für mein Leben verwende. Ich kann mich an diese Gebote halten – so wie an einem Seil, das mir Halt gibt in steilem Gelände. So nahe sind mir Gottes Gebote, und so verlässlich sind sie. Ich brauche dafür keine geistigen oder geistlichen Höhenflüge. Ich muss dafür nicht erst ins Kloster gehen oder jahrelang Theologie studieren. Es geht auch so. Hier, in meinem ganz normalen Alltag. Es geht dann, wenn ich mich auf Gott verlasse: Gott, der mich liebt und es gut mit mir meint. Dann kann ich es auch gut mit anderen meinen, mit meinen Mitmenschen.
Dann kann ich darüber nachdenken, was das Gebot „Du sollst nicht töten“ mir heute bedeuten könnte. Vielleicht doch auch, dass ich mir lieber einmal mehr die Hände wasche und manche Einschränkungen in Kauf nehme, um die Schwachen zu schützen? Wenn ich es so sehe, dann tue ich das nicht aus Zwang, weil es mir von oben vorgeschrieben wird. Nicht, weil es irgendwo heißt: „Du sollst nicht, du darfst nicht.“ Dann tue ich das aus Liebe. Nur die Liebe zählt. Und die Liebe kommt von Gott. Er hat uns zuerst geliebt. Dir zuliebe, Gott, halte ich mich an Regeln und Gebote. Und wenn sie von dir kommen, dann sind sie nicht zu hoch für mich. Denn du mutest mir nicht mehr zu, als ich tragen kann. Auch nicht in schwierigen Zeiten.
Auch in schwierigen Zeiten sind wir so frei und feiern jeden Sonntag die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus, in dem uns Gott seine Liebe gezeigt hat. Deshalb sind wir nicht arm dran, sondern gut dran. Weil wir so Vieles haben, wofür wir Gott dankbar sein können: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ Weil wir uns darauf verlassen können, dass Gott uns durchs Leben begleitet und für uns sorgt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

„Komm schon, trau’ dich!“ Der Junge steht auf dem Drei-Meter-Brett im Schwimmbad. Er ist der letzte, der noch springen muss. Alle anderen haben es bereits hinter sich, feuern ihn vom Beckenrand an. Drei Meter hoch ist das Sprungbrett, das Wasser darunter noch einmal mindestens ebenso tief und kristallklar. Man sieht den Grund, hat das Gefühl, es geht viel tiefer herunter. Der Junge hat Angst, würde am liebsten umkehren, will sich aber nicht blamieren. Die anderen sind schließlich auch alle gesprungen; er wäre der einzige. „Komm schon, trau’ dich!“ ruft ihm sein Freund vom Beckenrand zu. Der Sprung vom Drei-Meter-Brett gilt als „Mutprobe“. Er ist nicht gefährlich, wenn man ordentlich schwimmen kann, aber es erfordert beim ersten Mal Überwindung, sich ins Wasser fallen zu lassen. Die meisten tun das auch. Sie springen einfach. Und wer sich nicht traut, der klettert eben wieder herunter. Anfangs ist das vielleicht peinlich, später lacht man darüber.
Stellt euch vor: Ihr habt euch verlaufen in einem sehr großen Wald. Weit und breit ist kein Weg zu sehen, nicht einmal ein Trampelpfad. Die Sonne geht unter, die Abenddämmerung kommt. Der Himmel ist bewölkt. Das Handy hat keinen Empfang. Um euch herum sind nur Bäume. Und jetzt? Wie kommt ihr jetzt wieder aus dem Wald heraus? Einer aus eurer Gruppe sagt: Wir steigen auf den nächsten Berg. Da oben haben wir den Überblick. Aber bis nach ganz oben ist es weit. Bis dahin wird es Nacht sein, dann sieht man gar nichts mehr. Also keine gute Idee. Dann vielleicht auf einen Baum klettern? Aber so wie die Bäume hier im Wald dastehen, funktioniert das auch nicht. Die haben unten gar keine Äste. Dann müssen wir uns eben einen Platz zum Übernachten suchen. Ein Zelt bauen aus Ästen, und die Regenjacke darüberbreiten. Wenn es wieder hell wird, sehen wir weiter. Aber wollt ihr wirklich im Wald übernachten? Es könnte kalt werden heute Nacht. Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit?