Predigt zum Erntedankfest, 5. Oktober 2025
Liebe Mitchristen!
Vorgestern hatte ich Freunde aus meinem Heimatort zu Besuch. Ich kenne sie seit meiner Jugendzeit. Einmal im Jahr kommen sie mich besuchen, und wir kochen zusammen. Spaghetti Bolognese sollte es geben, so wie in den letzten Jahren auch. Einen Kuchen zum Kaffee bringen meine Gäste mit, aber was soll es zum Nachtisch geben? So habe ich überlegt. Da fielen mir die Äpfel im Pfarrgarten ein: Ungefähr zehn Stück hingen noch an dem kleinen Apfelbaum, leuchtend rot zwischen den grünen Blättern. Also bin ich in den Garten gegangen und habe die Äpfel geerntet. Manche davon haben irgendwo eine Macke oder sind wurmstichig. Aber sie duften lecker. Das wird ein gutes Apfelkompott, dachte ich mir. Bald kamen auch schon die Gäste, und wir begrüßten uns mit viel Hallo. Lange hatten wir uns nicht mehr gesehen. Nach kurzer Pause gingen wir dann zusammen in die Küche. Dort übernahm jeder eine andere Aufgabe. Auch das Äpfel Schälen und Ausschneiden der wurmstichigen Stellen ging mit so vielen fleißigen Händen schnell voran. So war im Nu ein leckeres Mittagessen gekocht. Das Essen schmeckte uns allen hervorragend, und zum Nachtisch gab es eine große Schüssel duftendes Apfelkompott aus den Äpfeln vom Pfarrgarten.
Der Pfarrgarten – früher war der bei den Pfarrstellen auf dem Land noch viel größer. In meiner früheren Gemeinde in Haigerloch habe ich auf alten Bildern gesehen, dass der Pfarrgarten damals sicherlich dreimal so groß war wie heute. Kohlköpfe wuchsen da auf diesem alten Bild. Das hatte seinen Sinn. Früher war der Pfarrgarten ein Bestandteil des Pfarrgehalts. Die Pfarrfamilie hat dort Lebensmittel angepflanzt für den eigenen Bedarf. Außerdem war der Pfarrgarten dazu da, dass der Pfarrer mit der Ernte den ganz Armen in der Gemeinde helfen konnte. Eine christliche Gemeinschaft verdient diesen Namen schließlich nur, wenn sie sich um die Bedürftigen kümmert.
„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.“ So heißt es in der Bibel in Jesaja 58, 7-8.
Meine Freunde aus meinem Heimatort und ich- wir haben alle genug zu Essen. Wir waren keine Bedürftigen, als wir die Früchte des Pfarrgartens miteinander genossen haben. Aber es war ein sehr bodenständiges und schönes Gemeinschaftserlebnis, diese frisch geernteten Äpfel miteinander zu verarbeiten und zu essen. Wir haben diese Früchte wertgeschätzt, auch die unansehnlichen, die es wegen einiger Macken und Wurmlöcher nicht ins Supermarktregal geschafft hätten. Wir haben uns Zeit genommen- Zeit um diese Nahrungsmittel zu verarbeiten und zu genießen. Wir haben uns auch füreinander Zeit genommen. Meine drei Freunde aus Jugendtagen hatten viel zu erzählen. Alle drei sind sie Singles. Gemeinsam kochen und gemeinsam essen, das ist etwas sehr Wertvolles für sie. Wer allein lebt, weiß, wie das ist, allein am Tisch zu sitzen beim Essen. Das ist oft nicht einfach. Auch ich selbst habe diese Erfahrung schon gemacht.
Ja- in diesem Sinne waren wir eben doch bedürftig, wie wir so miteinander am Tisch saßen. Viele Menschen sind bedürftig in unserem Land, weil sie einsam sind. Menschen laufen achtlos aneinander vorbei. Sie haben keine Zeit füreinander. Sie haben keinen Blick für das, was Gott ihnen an Gutem schenkt in ihrem Leben. Sie haben verlernt, sich an den einfachen Dingen des Lebens zu freuen: An den schönen Äpfeln am Apfelbaum oder
an einer Schüssel Apfelkompott, geteilt unter Freunden.
Viele Menschen auf der Welt haben nicht genug zu Essen und leiden Hunger. Ich möchte erzählen von einer Kirchengemeinde in Afrika, in Kenia auf dem Land. Die nächste Teerstraße ist einige Kilometer weit weg. Wenn es regnet, bleibt die Pfarrerin schon mal mit dem Auto im Schlamm stecken. Aber meistens regnet es nicht. Und das ist schlimmer. Dann wächst auf den Feldern nämlich nur roter Staub statt sattem Grün. Die Pfarrerin Doris steht resolut vor ihrer Kirche. Ihr Lachen steckt an. Hunger und Durst sind die Themen in ihrem Dorf. In Kenia gibt es pro 10.000 Einwohner 390 Obdachlose. Ein Viertel der Kinder im Land sind unterernährt.
„Helft wo ihr könnt!“ Das ist das Motto dieser kleinen Kirchengemeinde zwischen Mount Kenia und Tana-River. Die Ernte auf dem Gemeindebauernhof ist eingefahren. Pfarrerin Doris steht vor ihrer Kirche unter den schattigen Bäumen, in denen die Kinder hochklettern. Unsere Bedürftigkeit ist der Reichtum in dieser Kirchengemeinde. Geld haben sie nicht sonderlich viel. Aber ihre Kirche ist sonntags voll. Einsam kann man dort auch unter der Woche nicht sein. Man kümmert sich umeinander. Und „time is plenty in Africa“- Zeit gibt es reichlich. Was würde diese Pfarrerin uns mitgeben aus ihrem Reichtum an Gemeinschaft, festem Gottvertrauen und Nächstenliebe? Vielleicht: Freut euch an dem, was ihr habt! Findet heraus, wo die Not ist, und lindert sie. Habt weniger Angst, das Falsche zu tun- besser etwas Falsches tun als gar nichts.
Jesus Christus selbst hat es uns ans Herz gelegt, so zu leben, und er hat das auch ganz praktisch vorgelebt. Er hat den Hungrigen zu essen gegeben, und alle wurden satt. Er hat sich mit Menschen an einen Tisch gesetzt, mit denen sonst niemand etwa zu tun haben wollte: mit Zöllnern und Sündern. Auch uns heute lädt er ein: „Kommt alle her zu mir, die ihr mühselig und belastet seid, ich will euch eure Last abnehmen!“ (Matthäus 11, 28) Und wie viele Menschen haben schon durch Jesus Christus Hilfe erfahren, damals wie heute: Menschen, die einsam waren, gezeichnet von schlimmer Krankheit, schwerem Leid oder großer Schuld. Jesus hilft. Jesus befreit. Nicht immer gleich und sofort. Das geht nicht wie auf Knopfdruck. Aber Jesus ist da.
Besonders nahe ist Jesus uns, wenn wir anderen helfen: „Was ihre einem dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25, 40) So legt es uns Jesus Christus ans Herz. Er sagt uns: Wenn du mir nahe sein willst, dann brauchst du dazu keine besonderen religiösen Übungen. Du brauchst keine besondere Art von Liedern oder Gebeten. Du brauchst kein besonderes Essen und auch keinen besonderen Verzicht. Das alles kann dir vielleicht helfen im Glauben. Aber es ist nicht für mich, es ist für dich. Wenn du mir wirklich nahe sein willst, dann kümmere dich um deine Mitmenschen- um die, die es am nötigsten haben.
So wie es in der Bibel in Jesaja 58, 7-8 heißt: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.“
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer
