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Gedanken zum Sonntag [6. Sonntag nach Trinitatis]

Predigt zum 7. Juli 2024

Liebe Mitchristen!

Wenn ich Hunger habe, werde ich unleidlich. Ich brauche meine geregelten Mahlzeiten, vor allem das Mittagessen, die Hauptmahlzeit in der Mitte des Tages. Wenn diese Mahlzeit mal ausfällt, dann wird mir nicht nur flau im Magen. Dann sinkt auch meine Stimmung. Ich werde mürrisch und leicht reizbar- unleidlich eben. Unleidlich, weil der Magen leer ist- das sind auch die Israeliten bei ihrer Wanderung durch die Wüste. Voller Freude sind sie losgezogen: Endlich weg aus dem Mief der Sklaverei in Ägypten! Endlich all das hinter uns lassen, was uns täglich quält und runterdrückt und kleinmacht. Endlich eigene Wege gehen und sich nicht mehr herumkommandieren lassen. Endlich Freiheit!

Aber der erste Schwung der Begeisterung ist längst verflogen auf dem langen und kräftezehrenden Weg durch die Wüste. Die Essensvorräte sind längst aufgebraucht. Der Hunger macht die Israeliten unleidlich. Sie fangen an zu nörgeln und zu jammern: Hätten wir bloß nicht auf Mose gehört! Wären wir nur in Ägypten geblieben! Es war ein großer Fehler, sich auf den Weg ins Ungewisse zu machen! Es wird kein gutes Ende nehmen!

Kennen wir das nicht auch, diese Zeiten der Dürre, diese Wüstenzeiten? Nicht nur, wenn der Magen leer ist, gibt es solche Zeiten. Auch das Herz kann ja leer sein, die Hände zu müde, um irgendetwas anzupacken, die Füße wollen nicht mehr weiter. Und im Kopf kreisen die immer gleichen Gedanken: Es war ein Fehler, diese Entscheidung zu treffen! Ich hätte die Weichen anders stellen sollen auf meinem Lebensweg. Dann wäre ich jetzt nicht hier, nicht so. Dann wäre alles anders, alles besser. Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt kann ich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Hätte ich doch! Wäre ich nur! Die Gedanken kreisen und kreisen. Sie türmen sich auf und werden immer größer. Und mit den Gedanken wächst die Wut. Die Wut auf mich selbst. Die Wut auf diejenigen, die mich dazu gebracht haben, diese Entscheidung zu treffen.

Mose und Aaron werden zur Zielscheibe für die Wut der Israeliten: Ihr habt uns in diese Wüste geführt! Ihr seid schuld daran, dass wir jetzt alle hier in der Wüste umkommen werden! Es ist die Perspektivlosigkeit, die zur Aggression führt. Schuldige werden gesucht und gefunden – oft sind es nicht einmal die Schuldigen, sondern einfach nur Opfer, an denen die Aggressionen ausgelebt werden. Die Wirklichkeit ist unerträglich, so unerträglich, dass man sie ausblenden muss. Eine Scheinwelt tritt an ihre Stelle – die gute alte Zeit, die sich im Rückblick verklärt: Wären wir doch nur in Ägypten geblieben, wo wir bei den Fleischtöpfen saßen und Brot die Fülle zu Essen hatten (2. Mose 16, 3). Die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung, die es damals gab, sind schon vergessen und verdrängt.

Aufbruch ins Ungewisse, Hoffnung und Verzweiflung. Hunger nach Leben und Brot. Und immer wieder auch Sehnsucht nach der guten alten Zeit, die sich im Nachhinein verklärt hat. Ich denke an Menschen in unserer Zeit und in unserem Land. Ich denke an die Menschen, die Hunger haben, denen das Geld nicht reicht, um gutes Essen zu kaufen. Ich denke an die Menschen, die voller Verzweiflung ihre Heimat verlassen haben und bei uns eine neue Heimat suchen. Sie brauchen unsere Hilfe, brauchen Menschen, die ihnen zeigen, dass sie hier willkommen und in Sicherheit sind. Ich denke auch an die Menschen, die sich mit diesen Neuankömmlingen schwertun. Menschen, die mit den schnellen Veränderungen nicht klarkommen und sich im eigenen Land nicht mehr heimisch fühlen. War früher nicht alles besser, in der guten alten Zeit? „Wären wir doch bei den Fleischtöpfen Ägyptens geblieben.“ Ich denke an Menschen, die sich wünschen, dass eine harte Hand regiert, jemand, der sagt, wo es lang geht, jenseits von anstrengenden demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen. Die Israeliten sehnen sich zurück nach Ägypten, zurück in die Sklaverei. Zurück in die Sklaverei, ohne Freiheit, ohne Demokratie? Für mich ist es erschütternd, dass sich Menschen das wünschen können. Freiheit und Mitmenschlichkeit sind anstrengend. Manchmal ist es wie ein Weg durch die Wüste, den Weg der Freiheit und der Mitmenschlichkeit zu gehen. Und doch ist ein großes Versprechen damit verbunden. Denn die Wüste ist nicht das Ziel. Gott hat es versprochen: Nach der Wüstenreise kommt ein Land, in dem Milch und Honig fließt.   

Die Israeliten hatten in der Wüste den Glauben an dieses Versprechen Gottes verloren. Aber Gott hat sie trotzdem nicht fallen lassen. Auch wenn äußerlich alles dagegen sprach: Er hatte sein Versprechen nicht vergessen. Er wollte die Seinen nicht umkommen lassen, sondern sie sollten gerettet werden. Gott sagte zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Ich kenne ihre Perspektivlosigkeit, ihre Ängste, ihre Verzweiflung. Ich weiß, dass sie keinen anderen Ausweg sehen als Aggression und Weltflucht. Aber ich weiß einen Ausweg für sie. Sie sollen nicht verhungern. Sie sollen sehen, dass ich ihr Gott bin, der für sie sorgt. Du, Mose, sage den Israeliten: Am Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden. Mose und Aaron sagen das Wort Gottes weiter.

Mose und Aaron haben nicht zu viel versprochen. Am Abend lässt sich ein großer Schwarm Wachteln nieder beim Lager der Israeliten. Den Israeliten fällt es nicht schwer, die erschöpften Zugvögel einzufangen und aus ihnen eine schmackhafte Mahlzeit zuzubereiten. Am Morgen finden sie kleine Kügelchen im Sand, die schmecken süß wie Honig. Man hu? Was ist das? fragen sich die Israeliten und geben der unbekannten Speise den Namen Manna. Was ist das, dieses Manna? Honigtau ist es, den die Schildläuse auf den Tamariskenbüschen absondern. Wachteln und Manna, Zugvögel und Honigtau – beides gibt es in der Wüste auch noch heute. Für beides gibt es eine Erklärung. Gott muss nicht die Naturgesetze außer Kraft setzen, um den Israeliten zu helfen in ihrer Wüstennot. Und doch ist es ein Wunder Gottes, dass die Wachteln gerade beim Lager der Israeliten landen, und dass es gerade dort so außerordentlich viel Honigtau von den Tamariskenbüschen gibt.

Gott sorgt für uns, auch in den Wüstenzeiten unseres Lebens. Er tut es nicht auf übernatürliche Weise. Vielleicht schickt er uns einen Menschen als Begleiter, einen, der uns tröstet und uns Mut macht. Vielleicht schenkt er uns ein Bibelwort oder einen Liedvers, der auf einmal Bedeutung bekommt für unser Leben und zu einer Kraftquelle wird, von der wir lange zehren können. Vielleicht schenkt er uns neue Möglichkeiten, wie wir unser Leben gestalten können, neue Wege, die sich vor uns auftun und aus der Wüste hinausweisen in das gute Land, das Gott uns versprochen hat.

Vielleicht sind es auch ganz konkrete und praktische Hilfen, die Gott uns schenkt, damit das Leben weitergeht. Woche für Woche sammeln wir Lebensmittel für sie und geben sie an den Tafelladen in Trossingen. Und ich möchte allen Danke sagen, die diese Aktion unterstützen.

Und alle, die Hilfe brauchen, möchte ich ermutigen, sich von anderen helfen zu lassen. Oft fällt uns das ja so schwer, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber die Israeliten haben das Manna auch nicht in der Wüste liegen lassen, weil sie sich geniert hätten, eine solche Hilfe anzunehmen. Sie haben es eingesammelt, und sie sind davon satt geworden, und konnten getrost weitergehen auf ihrem Weg. Halten wir die Augen offen für die Hilfe, die Gott uns schickt.  Manchmal sieht diese Hilfe, die Gott uns schickt, auch ganz anders aus, als wir es erwartet hätten. Wer hätte das gedacht in Israel, dass Gott das versprochene Brot in Form von kleinen Kügelchen im Sand schenken würde? Die Wüste war für die Israeliten zum Ort der Hoffnung geworden, zum Ort, an dem Gott sein Versprechen wahr macht. Gott hält sein Versprechen. Er lässt uns nicht umkommen. Durch all die Wüstenzeiten unseres Lebens hindurch wird er uns geleiten.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer