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Gedanken zum Sonntag

20. Sonntag nach Trinitatis

Alles hat seine Zeit – auch das Altern

Liebe Gemeinde,

das wahrscheinlich bekannteste Wort aus dem sonst weniger bekannten Buch des Predigers ist doch »Alles hat seine Zeit.« Unter dieser Einsicht entfaltet der Prediger Salomo den bunten Fächer des Lebens: geboren werden und sterben, pflanzen und ausreißen, weinen und lachen, klagen und tanzen, lieben und hassen, Streit und Friede. Gott sei Dank hat alles seine Zeit, seine Stunde. Alles gleichzeitig – das würde uns hoffnungslos überfordern.

 

Weniger bekannt ist, was der Prediger Salomo am Ende seines kleinen Buches schreibt. Dort nimmt er das »Alles hat seine Zeit« auf und sagt, was dieses für uns biographisch heißt. Er überträgt in unseren Lebenslauf, was die Zeit mit uns macht. Wir werden älter und älter – und schließlich und hoffentlich alt. So wünschen wir es uns doch alle! Oder etwa nicht?

 

Hört, was der Prediger schreibt.

– Lesen des Predigttextes: Prediger 12, 1–7 –

 

Unter drei Stichworten will ich dem Gehörten nach-denken: Nüchternheit, Humor und Hoffnung.

 

Nüchtern sein

In den Beständen alter Familienfotos zu blättern kann spannend sein: der Vater als Baby, die Mutter bei der Einschulung, ein Hochzeitsbild der beiden. Dann Bilder mit den Kindern, die deren Entwicklung vom hilflosen Neugeborenen über die ersten unbeholfenen Schritte und den abwartend-stolzen Blick des Schulanfängers hin zum Konfirmanden zeigen. Schließlich kommen Enkel, ja vielleicht sogar Urenkel dazu. Veränderungen sind unverkennbar – und das Voranschreiten der Zeit.

Die Zeiten ändern sich. Die Zeit verändert uns. Sie hinterlässt deutliche Spuren.

 

Atemberaubend sind die Entwicklungen bei Kindern, unübersehbar die Veränderungen im Jugendalter. Dann kommen Lebensphasen, in denen die Zeit nur wenig verändert. Irgendwann kommt die dritte Lebensphase, wie heute das Alter genannt wird. Dieses wird wieder in drei Phasen aufgeteilt. Die mobilen Alten, die eingeschränkten und die hilfsbedürftigen. In Englisch, kurz und bezeichnend: Go go, slow go, no go. Irgendwann lässt die Leistungsfähigkeit nach. Gesundheitliche Probleme stellen sich ein. Was leicht von der Hand ging, wird zu einem beschwerlichen Kraftakt. Was selbstverständlich war, geht nicht mehr. Wir werden immer hinfälliger. Immer öfter sterben Altersgenossen. Es kommen Tage und Jahre, »die dir nicht gefallen«. Wie recht hat der Prediger!

 

Jedes Alter hat sein Maß an Chancen und Herausforderungen. In der Jugendzeit scheinen die Möglichkeiten unbegrenzt. Je weiter die Jahre voranschreiten, umso deutlicher werden die Grenzen – auch die letzte Grenze. Der Prediger stellt in unserem Abschnitt das Alter ungeschönt dar und rät, sich dem Alter zu stellen. Wir folgen ihm. Verdrängung und Verleugnung helfen uns nicht. Leben heißt, bis zum letzten Atemzug zu wachsen und zu reifen.

 

Nüchtern wird die Beschwerlichkeit des Alters und die Vergänglichkeit des Lebens angesprochen. Der Prediger rät dringend, sich nicht erst im hohen Alter mit dem Altwerden und dem Lebensende auseinander zu setzen. Wer diese Lebensaufgabe auf die Seite schiebt, wird von ihr allzu leicht überrollt, versäumt eine Wachstumsstufe, einen Reifungsprozess.

 

Ob uns dieses gefällt oder nicht: »Alles vergeht und verweht.« Die Unbeschwertheit des Kindseins, die Schönheit der Jugendzeit, die Kraft des Erwachsenseins, das Leben. Entwaffnend nüchtern schließt der Prediger seine Gedanken.

 

 

Humor

Das ist bemerkenswert: Der Prediger beschreibt die Gebrechlichkeit des Alters in poetischen Bildern. Nein, er macht sich nicht lustig über das, was uns am Alter nicht gefällt. Er nimmt es nicht leicht. Er nimmt die Beschwerlichkeiten des Alters mit Humor. Humor ist eine besondere Gabe. Humor macht Schweres leichter.

 

Wir alle kennen alte Menschen. Manche sind heiter und dankbar – trotz ihnen auferlegter Beschwerlichkeiten. Ihnen zu begegnen ist schön. Andere aber sind unzufrieden und bitter. Lasten des Lebens und des Alters drücken sie nieder. Ihnen zu begegnen ist anstrengend. Kein Zweifel, die Last eines langen Lebens und des Alters mit seinen Gebrechlichkeiten kann nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Aber ein humorvoller Umgang mit diesen hilft, nicht zu verbittern. Der Prediger regt dazu an.

 

Die Bilder, die der Prediger aufnimmt, berühren. Man muss sie nur verstehen. Die Wächter des Hauses, die zittern, das sind die Arme. Und die starken Männer, die sich krümmen, die Beine. Die Müllerinnen, die die Arbeit einstellen, meinen die Zähne. Und die Frauen, die nur noch dunkle Schatten erkennen, stehen für die Augen. Die beiden Türen, die geschlossen werden, sind die Ohren. Und mit dem leiser Werden der Mühle wird die Veränderung der Stimme beschrieben. Die Kräfte schwinden und jedes Hindernis bereitet Schrecken. Die Haare werden schlohweiß: die Mandelbäume blühen. Schließlich kommt das Sterben als endgültiges reif Werden und der Tod.

 

Treffend und schmunzelnd wird in diesen Bildern beschrieben, was fortschreitendes Alter mit sich bringt: das Nachlassen der Kraft, des Gedächtnisses, der Augen, des Gehörs. Die Kreise werden kleiner. Der Prozess des Alterns verläuft nicht bei allen gleich, auch geschieht nicht alles gleichzeitig. Aber mit höherem Alter kommen Einschränkungen, Beschwerden, Krankheiten, Leiden und Hinfälligkeit – trotz guter medizinischer Versorgung und mancher Erleichterung, die wir den Menschen biblischer Zeit voraushaben. Es ist gut, sich frühzeitig dieses klar zu machen. Es ist gut, sagt der Prediger, schon in der Jugend das Vertrauen auf Gott zu setzen. Das gibt im Alter einen Halt.

 

Wohl dem und der, die mit Humor ausgestattet sind.
Humor ist keine Veranlagungssache. Humor wächst uns im Laufe des Lebens zu, indem wir lernen, mit Schwerem
und unseren Begrenzungen positiv umzugehen. Und indem wir dahin kommen, es zu bejahen, anzunehmen und so zur Kraft für die Zukunft werden zu lassen. Humor bewahrt vor Bitterkeit und Selbstmitleid. Humor erhält die Denkbarkeit. Humor ist eine Sache der Einstellung zum Leben – und eine Frucht des Gottvertrauens und der Hoffnung.

 

Hoffen

»Denk an deinen Gott, der dich geschaffen hat, bevor die silberne Schnur zerreißt und die goldene Schale zerbricht … Dann kehrt der Staub zur Erde zurück, aus dem der Mensch gemacht ist. Und der Lebensatem kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben hat.«

 

Einzigartig und kostbar ist unser Leben, aber eben auch begrenzt. Der Lebensodem wird von Gott geschenkt und kehrt zu ihm zurück. Irgendwann verweht der Wind die Spuren, die wir hinterlassen. Der Prediger sagt: »Alles verweht und vergeht.« Zaghaft ist seine Hoffnung: Der Lebensatem kehrt zu Gott zurück.

 

Der Prediger kennt noch nicht die Hoffnung, die uns durch Jesu Christi Auferstehung geschenkt ist. Diese jedoch bekräftigt seine zaghaft ausgedrückte Hoffnung. Für uns, die wir an Jesus Christus glauben, ist der Tod nicht das Letzte. Wir glauben, dass Gott ein Gott der Lebenden und der Toten ist. Wir glauben an die Auf-erstehung der Toten und das ewige Leben.

 

Unsere Hoffnung geht über den Tod hinaus. Das Leben hier ist nicht alles. Unser Leben hat ein Ziel. Jesus Christus wird uns vollenden und ewiges Leben in seinem Reich schenken. Darauf gehen wir zu. In guten Zeiten wollen wir das nicht vergessen.

In schweren Zeiten dürfen wir uns darauf freuen.

 

Und dort beim Herrn, wird alles Schwere, Belastende, Schwäche, Krankheit, Leid, Not und Tod vorbei sein.
Da wird klar sein, dass auch die Beschwerlichkeiten des Alters nichts Anderes waren als die Vorbereitung auf das Leben bei ihm. Und wir werden ewig selig sein.

 

Alles hat seine Zeit. Gott schenkt dir Leben und Zeit – und Leben in seiner Ewigkeit.   Amen.

Lied: Meine Zeit steht in deinen Händen EG 369 1-3

 

Dekan i. R. Harald Klingler