Johannes 15, 1-8: Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Liebe Mitchristen!
Wenn ich jetzt draußen in meinem Garten bin, dann staune ich, was da um diese Jahreszeit alles wächst und gedeiht. Der Rhabarber entwickelt innerhalb kürzester Zeit riesige Blätter. Der Johannisbeerstrauch, den ich im Herbst gepflanzt habe, ist angewachsen und trägt kleine hellgrüne Blüten. Die Dürre vom April macht den Pflanzen allerdings immer noch zu schaffen, auch wenn am Himmel jetzt wieder Wolken sind. Ja, wir müssen uns Sorgen machen um die Natur, um unsere Wälder, Wiesen und Felder und alle die, die davon leben. All das ist bedroht durch den Klimawandel, der ein brennendes Thema bleibt und uns vor noch größere Herausforderungen stellt als die jetzige Corona-Krise.
So ist auch die Freude, die ich an meinem Garten habe, nicht ungetrübt. Trotzdem überwiegt bei mir das Staunen. Denn so eine Pflanze ist, von der Wurzel bis zum letzten zarten Trieb, ein wahres Kraftwerk. Bei manchen Pflanzen merkt man das, wenn man sie zu spät beschneidet. Dann tropft und fließt es aus der Schnittstelle. Ein solcher falscher Schnitt zur falschen Zeit schwächt die Pflanze oder kann für sie sogar zur tödlichen Wunde werden, an der die Pflanze sozusagen verblutet. Die Kraft, mit der jetzt um diese Jahreszeit der Saft in die Pflanzen steigt, ist nicht zu bremsen.
Wenn Jesus in unserem Predigttext das Bild von der Weinrebe wählt, dann geraten wir in das Feld solcher ursprünglichen Kräfte hinein. Alles, was in der Bibel zu lesen ist, lässt die Tiefe ahnen, aus der der Glaube Kraft zieht. Vom ersten Wort des Schöpfers über die Mahnungen der Propheten bis zu dem Moment, wo die Jüngerinnen und Jünger ihr Brot teilen. All das hat auch für unser Leben heute Bedeutung und lässt uns immer wieder neu die Erfahrung machen: Gott schenkt uns Kraft zum Leben. Er ist die Kraftquelle, aus der wir schöpfen. Ohne ihn sind wir saft- und kraftlos – so wie die Reben, die vom Weinstock abgeschnitten sind. Sie haben keine Verbindung mehr zu der Wurzel, die die Nährstoffe aus dem Boden zieht, also verdorren sie.
Ich denke, das ist ein einleuchtendes Bild. Ich möchte dazu noch ein Bild aus unserer Zeit dazustellen, ein Beispiel aus unserem Alltag. Es ist nun schon eine Weile her, da hat unsere Landeskirche die Pfarrämter mit neuen Computern ausgestattet. Auch ich habe ich so ein Gerät bekommen für mein Büro. Es kam dann ein Techniker, um mir diesen neuen PC einzurichten. Er hatte auch den Auftrag, den im Pfarramt vorhandenen Drucker an dieses neue Gerät anzuschließen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass der neue Computer und der schon etwas ältere Drucker sich nicht miteinander kombinieren lassen. Da der Drucker nun keine Verbindung mehr zu meinem Computer hatte, war er für mich nutzlos geworden. Ich konnte nichts mehr mit ihm ausdrucken. Der Drucker hat für mich keine Frucht mehr gebracht – so wie die abgeschnittenen Reben des Weinstocks nutzlos geworden sind. Sie haben keine Verbindung mehr zur Wurzel des Weinstocks. Sie können nicht mehr weiterwachsen und keine Früchte mehr tragen.
Aus welcher Wurzel beziehen wir unsere Kraft zum Leben? Auf welchem Grund stehen wir? Ich denke, es tut uns allen gut, uns immer wieder daran zu erinnern: Wir gehören zu Jesus Christus. Alles, was wir als Kirche und als Christen tun, muss kompatibel sein mit dieser Grundlage, sonst ist es vergebens. „Denn ohne mich könnt ihr nichts tun“. So sagt es Jesus Christus in unserem Predigttext.
Das ist ein Anspruch, den wir an alle unsere Entscheidungen stellen müssen. Und Entscheidungen stehen ja an für uns als Kirche in einer sich verändernden Gesellschaft. Jetzt in der Corona-Krise sind sie manchmal von Tag zu Tag neu zu treffen: Ob wir wieder zum Gottesdienst in unserer Kirche zusammenkommen können und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Wie wir die Notbetreuung in unserem Kindergarten gut regeln können. Wie das Gemeindeleben weitergehen kann in diesen Zeiten. Aber bei allem, was zu entscheiden ist, bei allen Entscheidungen, die getroffen werden, ist das das Wichtigste: Dass wir das Wesentliche nicht aus dem Blick verlieren und nicht abgeschnitten werden von unserer Grundlage: Dem Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn.
Unser Predigttext macht uns hier Mut. Da verspricht uns Jesus Christus: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Unser Tun und unsere Entscheidungen werden nicht fruchtlos sein, wenn wir uns dieser Grundlage bewusst sind, wenn wir mit Jesus Christus in Verbindung bleiben. Dann werden wir auch untereinander in Verbindung bleiben können. Auch wenn sich das Gemeindeleben in vielen Bereichen weiterhin nur auf Abstand abspielen kann. Wenn wir die Verbindung mit Jesus Christus haben und aus diesem Glauben leben, dann wird es trotzdem möglich sein, dass Menschen unsere Gemeinden als Kraftorte erleben. Orte, an denen sie Kraft zum Leben finden – Kraft aus dem Glauben an Jesus Christus. Er ist der Weinstock, wir sind die Reben.
Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer