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Gedanken zum Sonntag

2. Sonntag nach Trinitatis

 

Predigt Sonntag, 18.06.2023 (Noah)

Die Geschichte von Noah und der Arche, erzählt vom Evang. Johannes- Kindergarten im Familiengottesdienst am 18. Juni in der Wehinger Christuskirche

Hallo! Ich bin Joshua die Taube und ich habe etwas wirklich Aufregendes erlebt. Was ich euch heute erzähle ist schon sehr sehr lange her. Damals lebte ein Mann namens Noah hier auf der Erde mit seiner Familie. Wie an jedem Tag besuchte ich Noah. Noah ist mein Freund. Er ist ein sehr guter und netter Mann. Ich bekomme immer ein paar Brotkrumen von ihm. Er erzählt mir immer Geschichten von Gott und ich höre ihm zu. Doch an diesem Tag ist alles anders. Noah baut irgendetwas. Das sieht aus wie ein Boot. Was macht er denn da? Das schaue ich mir etwas genauer an. Noah hat mir dann erklärt, dass Gott traurig ist, weil niemand sich für Gott interessiert. Nur Noah und seine Familie leben wie es Gott gefällt.

Die Menschen sind gemein zueinander. Sie lügen, betrügen und streiten. Deshalb möchte Gott einen Neuanfang. Es wird ganz viel regnen. Alles wird überschwemmt werden. Alle, die auf Gott hören bekommen einen Platz im Boot, das Noah gerade baut. Es gibt dort auch Platz für ganz viele Tiere. Zwei von jeder Art soll Noah mitnehmen. Noah erzählt mir, Gott habe Ihn beauftragt dieses Boot zu bauen. Dieses Boot heißt Arche. Das erzähle ich gleich meiner Freundin Frieda. Sie möchte auch mit auf die Arche sagt sie.

Wie immer fliege ich jeden Tag bei Noah vorbei und schaue wir er mit der Arche vorankommt. Die anderen Menschen wundern sich, was Noah da macht und lachen ihn aus. Sie sagen er sei verrückt geworden und denke sich das alles nur aus. Noah ist das ganz egal. Er vertraut auf Gott und baut jeden Tag an seiner Arche weiter. Aber auch ich wundere mich. Es hat bisher nicht einen Tropfen geregnet. Was ist, wenn Noah sich doch irrt? Viele Wochen vergehen. Noah hat jeden Tag an der Arche weitergearbeitet und sie ist ein riesiges Schiff geworden. Eines Tages sehe ich ganz viele Tiere! Sie gehen aller zur Arche. Es sind immer zwei. Ich sehe 2 Zebra, zwei Giraffen, zwei Elefanten, zwei Schweine, zwei Schafe und noch viele mehr. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf und es beginnt zu stürmen. Auf einmal fällt ein Regentropfen auf meinen Schnabel. Noah hatte Recht! Der Regen kommt! Ich muss schnell zu Frieda und es ihr sagen. Ich fliege eilig zu meiner Freundin Frieda und fliege mit ihr zur Arche. Wir bekommen sicher auch einen Platz, wenn wir uns beeilen.

Puh, wir haben es geschafft! Draußen regnet es in Strömen. Aber hier im Inneren der Arche sind wir sicher. Es regnet und regnet. Bald gibt es so viel Wasser, dass unser Boot anfängt zu schwimmen. Bald kann man keine Häuser mehr sehen und keine Berge oder Bäume. Nur noch Wasser. Wir sind viele Tage auf der Arche. Es regnet und stürmt. Drinnen ist es eng und stickig. Noah schickt immer wieder Vögel los. Sie sollen Zeichen suchen, dass die Flut endet. Vielleicht schaut ein Baum aus dem Wasser hervor und sie finden einen Zweig. Aber jeden Tag kommen sie zurück und haben nichts gefunden.

Heute bin ich dran. Ich bin schon ganz aufgeregt. Überall ist nur Wasser. Weit und breit nichts als Wasser. Ich bin traurig und möchte schon zurückfliegen. Doch da! Was ist das? Dort ist etwas Grünes, das aus dem Wasser schaut. Es ist ein Baum. Ich fliege hin und pflücke einen Zweig mit meinem Schnabel ab um ihn Noah zu bringen. Vielleicht ist das der Beweis das die Flut nun zu Ende geht. Ich fliege schnell zurück und gebe Noah den Zweig. Noah freut sich sehr darüber. Er sagt das sei ein Zeichen von Gott das nun die Flut zu Ende geht.

Plötzlich kracht es und alles wackelt. Die Arche bleibt stehen. Oh nein wir sind irgendwo dagegen gefahren. Ich muss mir das genauer ansehen. Tatsächlich die Arche steht auf einem Berg. Das Wasser geht zurück und endlich ist es soweit. Wir können die Arche verlassen. Alle freuen sich und danken Gott, dass er so gut auf uns geachtet hat. Er hat sein Versprechen gehalten. Dort wo der Sturm der Sonne begegnet entsteht Plötzlich ein bunter Bogen aus Licht. Da hören wir Gottes Stimme: Ich verspreche euch, ich werde die Erde nie zerstören. Seht ihr den Regenbogen? Immer wenn ihr so einen Regenbogen am Himmel seht, dann erinnert euch, dass ich es gut mit euch meine.

Was für eine beindruckende Geschichte oder? Gott hat sein Wort gehalten und uns sein Versprechen gegeben. Von nun an können wir uns immer freuen, wenn wir einen Regenbogen am Himmel sehen und Gott danken!

(erzählt nach 1. Mose 6,5 – 9,17)

 

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

1. Sonntag nach Trinitatis

 

Predigt zum 1. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juni 2023

 

1.Joh 4, 16-21: Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe lebt, ist mit Gott verbunden, und Gott ist mit ihm verbunden. Darin hat die Liebe bei uns ihr Ziel erreicht: Am Tag des Gerichts werden wir voller Zuversicht sein. Denn wie Jesus Christus mit dem Vater verbunden ist, so sind es auch wir in dieser Welt. In der Liebe gibt es keine Furcht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe. Bei dem, der sich fürchtet, hat die Liebe ihr Ziel noch nicht erreicht. Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. Wer behauptet: »Ich liebe Gott!«, aber seinen Bruder und seine Schwester hasst, ist ein Lügner. Denn wer seine Geschwister nicht liebt, die er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht. Dieses Gebot hat uns Gott gegeben: Wer ihn liebt, soll auch seine Geschwister lieben.

 

Liebe Mitchristen!

 

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind fragt Sie nach Gott: „Wo ist Gott? Warum kann ich ihn nicht sehen? Wie sieht Gott aus?“ Was würden Sie auf diese Kinderfragen antworten? Mit welchen Worten und Bildern würden Sie Ihrem Kind erklären, was Gott Ihnen bedeutet und wo Sie ihn selber erfahren haben in Ihrem Leben?

 

An Pfingsten haben wir die Geschichte vom Heiligen Geist gehört: Wie Gott zu den Jüngern kommt mit Feuerflammen und Sturmgebraus, und auf einmal hält sie nichts mehr in ihrem Haus. Sie gehen raus zu den Leuten und erzählen von ihrem Glauben an Gott und an Jesus. Gott kann man erfahren, auch wenn man ihn nicht sehen kann. So haben es die Menschen damals erlebt. Und so erleben wir es auch heute. Hier in diesem Gottesdienst sind wir zusammengekommen, um gemeinsam unseren Glauben zu leben: Wo ist Gott? Wo kann ich ihn finden? Hier in der Kirche fühlen wir uns Gott nahe. Wenn wir miteinander singen und beten. Wenn wir feierliche Gottesdienste feiern mit Taufen oder Abendmahl. Und wenn wir auf Gottes Wort hören, wie es in der Bibel aufgeschrieben ist. Dort in der Bibel ist uns eine ganz kurze und prägnante Antwort geschenkt auf alle Fragen zu Gott: „Gott ist Liebe,“ heißt es im 1. Johannesbrief: Wo ist Gott? Da, wo die Liebe ist. Wie sieht Gott aus; kann ich ihn sehen? Ich sehe Gott nicht in den vielen Bildern, die Menschen von ihm gemalt haben; nicht in den Kirchen und Kathedralen, die Menschen für Gott gebaut haben. Wirklich sehen kann ich Gott da, wo die Liebe ist. Da weht Gottes Geist in unsere kalte Welt hinein wie ein warmer Sommerwind. Da scheint Gottes Licht in unsere dunkle Welt hinein wie die Sonne an einem Sommermorgen.

 

Ein jüdischer Weiser fragt seine Schüler: »Wie kann man den Augenblick bestimmen, wo die Nacht zu Ende ist und der Tag anbricht?« Der erste Schüler fragt: »Ist’s, wenn man in der Ferne einen Feigenbaum von einer Palme unterscheiden kann?« Der Rabbi antwortet: »Nein, das ist es nicht.« Der zweite Schüler meint: »Wenn man ein Schaf von einer Ziege unterscheiden kann, dann wechselt die Nacht zum Tag.« »Auch das ist es nicht«, ist die Antwort des Weisen. »Aber wann ist denn der Augenblick gekommen?« fragen die Schüler. Der Rabbi antwortet: »Wenn du in das Gesicht eines Menschen schaust und darin den Bruder oder die Schwester erkennst, dann ist die Nacht zu Ende, dann bricht der Tag an.«

(P. Heinz Perne, in: Manfred Dömrös, Siebzigmal siebenmal)

 

Die Nacht ist zu Ende, und der Tag bricht an, wenn wir unseren Mitmenschen in Liebe begegnen. Gott ist Liebe. Wo kann ich Gott sehen? Ich sehe Gott im Gesicht meines Mitmenschen, dem ich in Liebe begegne. Da ist Gott ganz nah. Da kann ich Gott erleben. Eltern wissen das. Sie wissen, wie das ist, wenn einem Gott begegnet im Gesicht eines anderen Menschen: Im Gesicht ihres Partners, den sie lieben. Im Gesicht ihrer Kinder, die Gott ihnen geschenkt hat in seiner Liebe. Gott ist Liebe. Alles verdanken wir ihm. Ohne Gott wären wir nichts. Denn die Liebe hat uns ins Dasein gerufen. Kein Mensch kann sich selbst ins Leben rufen. Und ob sich ein Kinderwunsch erfüllt oder nicht, dazu können wir heutzutage Einiges beitragen, aber letztlich in der Hand ahben wir es nicht. Unser Leben und das Leben unserer Kinder ist ein Geschenk von Gott, allein aus Liebe. Wird die Liebe bleiben in unseren Familien? Werden wir es schaffen, unsere Kinder in Liebe zu erziehen? Werden wir als Eltern in Liebe beieinander bleiben? Vieles macht uns Sorgen und Angst, wenn wir an die Zukunft denken. Was sagt Gott dazu, der die Liebe ist? Im 1. Johannesbrief lesen wir: In der Liebe gibt es keine Furcht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe. Bei dem, der sich fürchtet, hat die Liebe ihr Ziel noch nicht erreicht. So leben wir oft: Viel zu sehr in Furcht und Sorgen. Sorgen um unsere Kinder. Sorgen um unsere Zukunft: Wird genug da sein für alle? Wird unsere Erde bewohnbar bleiben für unsere Kinder? Wird sich die Klimaerwärmung aufhalten lassen? Wann wird der Krieg in der Ukraine ein Ende nehmen? Wie viele Dammbrüche, Verbrechen und Katastrophen muss es dort noch geben, bis endlich ein Weg zum Frieden gefunden wird? Und was wird aus den Menschen, die Zuflucht suchen in unserem Land? Wird man sie zukünftig drei Monate lang wegsperren an den Außengrenzen der EU, bis man darüber entschieden hat, ob sie zurück müssen in die schwierigen Lebensumstände in ihrem Herkunftsland, oder ob sie bleiben dürfen?

 

»Wenn du in das Gesicht eines Menschen schaust und darin den Bruder oder die Schwester erkennst, dann ist die Nacht zu Ende, dann bricht der Tag an,« sagt der jüdische Rabbi. Werden wir es schaffen, so zu leben- jetzt und in Zukunft? Damit wir unseren Kindern ein Vorbild sind in der Liebe. Damit unsere Welt lebens- und liebenswert bleibt. Gott ist Liebe. Und in der Liebe ist keine Furcht. Die Liebe vertreibt die Furcht: „Fürchtet Euch nicht!“ So steht es in der Bibel immer wieder geschrieben. Meistens ist es Gottes Engel, der so spricht. Ja, es braucht wohl einen Engel von Gott, der uns das immer wieder sagt in dieser Welt, die wir oft als furchtbar empfinden: „Die Liebe vertreibt die Furcht. Wenn sie das erreicht hat, dann hat die Liebe ihr Ziel erreicht.“ Eines Tages wird es so weit sein. Eines Tages wird alles gut sein. Gott und die Menschen werden miteinander versöhnt sein. Und alles Elend, alle Not und Gewalt wird aus der Welt geschaffen sein. Die Bibel hat ein Wort für diesen Tag, auf den wir hoffen. Sie nennt ihn den Jüngsten Tag; den letzten aller Tage, bevor Gottes Ewigkeit anbricht. Den Tag des Gerichts. Es ist der Tag der Gerechtigkeit. Alles Unrecht wird Gott dann aufarbeiten, um es aus der Welt zu schaffen.

 

Müssen wir Angst haben vor diesem letzten aller Tage? Nein, sagt uns der Predigttext aus dem 1. Johannesbrief. Wir dürfen voller Zuversicht sein. Warum? Wir alle wissen um die Fehler, die wir im Leben gemacht haben. Manche lassen sich wieder gut machen. Aber andere nicht. Manche Wunden bleiben, die wir geschlagen haben. Uns und die, die wir verletzt haben, begleiten sie ein Leben lang. Warum dürfen wir also voller Zuversicht sein? Nicht wegen uns selbst ist das so. Es ist so wegen Jesus Christus. Er hat unsere Sünden auf sich genommen durch seinen Tod am Kreuz. Der Weg zu Gott ist frei. Die Lasten der Vergangenheit dürfen wir bei Jesus ablegen. Wenn wir auf ihn vertrauen, brauchen wir keine Angst mehr zu haben. Weder vor unserer Zukunft noch vor der unserer Kinder. Und auch nicht vor diesem letzten Tag, an dem diese Welt einmal enden wird. Gott ist Liebe. In Jesus Christus wird dies deutlich. Aus Liebe ist er am Kreuz gestorben für uns. Durch Jesus Christus bleiben wir mit Gottes Liebe verbunden. Leben wir aus dieser Liebe, und tragen wir dieses Bekenntnis zu Jesus weiter- zu unseren Kindern und in unsere Welt!

 

 

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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Exaudi

Predigt zum Sonntag Exaudi, 21. Mai 2023

1.Samuel 3, 1-10: Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war. Und der Herr rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich! und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart. Und der Herr rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. Da kam der Herr und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.

Liebe Mitchristen!

Unruhige Nächte. Junge Familien kennen das. Immer wieder wacht das Kind nachts auf und braucht Trost und Fürsorge. Und dann ist es endlich so weit. Das Kind schläft durch. Ein großer Schritt in der Entwicklung des Kindes. Es hat jetzt den Rhythmus von Tag und Nacht gelernt. Ein großer Schritt ist das auch für die Eltern. Endlich kommen sie nachts wieder zur Ruhe und können frisch und erholt in den neuen Tag starten. Nur bleibt das meistens nicht immer so. Meistens kommen in der Entwicklung des Kindes auch wieder andere Phasen: „Ich kann nicht einschlafen, Papa. In meinem Zimmer ist ein großes schwarzes Monster!“ Kinder sehen manchmal Dinge, die wir nicht sehen. Ihre Träume sind für sie oft realer als das, was wir Realität nennen.

Nein, es sind nicht nur die Kleinkinder, die nachts aufwachen und jemanden brauchen, der für sie da ist. Unser Bibeltext erzählt von einem solchen Kind, das schon größer ist. Samuel heißt der Junge. Als kleines Kind hat ihn seine Mutter nach Schilo gebracht. Dort stand damals der Tempel von Israel. Samuel war ein Schüler an diesem Tempel. Sein Lehrer war Eli, der alte Priester. Bei ihm erlernte Samuel den Beruf des Priesters. Aber jetzt, wo unser Bibeltext spielt, da ist eigentlich gerade Feierabend. Der alte Eli hat sich auf seinem Lager schlafen gelegt. Vor dem Einschlafen hängt Eli noch seinen Gedanken nach: „Es wird Zeit, dass Samuel alt genug ist, um mein Nachfolger zu werden als Priester hier im Tempel. Gut, dass der Junge so verantwortungsbewusst ist. So kann ich ihm die Öllampe drüben im Tempel anvertrauen- das Ewige Licht, das nie verlöschen soll. So wie dieses Licht, so ist Gott immer für uns da. Gottes Licht leuchtet auch im Dunkel der Nacht.“

Eli seufzt, als er an das Dunkel denkt. Dunkel ist es auch in seinem eigenen Leben. Seine Familie macht ihm Sorgen und Kummer. Ja, Eli hat zwei Söhne, die schon erwachsen sind, gesunde und starke Männer. Dafür kann er Gott eigentlich dankbar sein. Beide Söhne haben von Eli den Beruf des Priesters gelernt. Trotzdem machen sie ihm Kummer. Denn die beiden haben keinen Respekt- weder vor Gott noch vor den Menschen. So viele Tempelbesucher haben sich bei Eli schon über seine beiden Söhne beschwert: Unfreundlich und unverschämt sind sie. Und sie bereichern sich an den Opfergaben, die die Leute mitbringen. Dabei sind die doch für Gott bestimmt! Niemand findet Trost und Halt bei diesen jungen Priestern. Noch nie hat Eli von einem der Tempelbesucher ein Wort des Lobes über seine Söhne gehört, immer nur Klagen und Beschwerden, eine schlimmer als die andere.

Es geht bergab mit dem Tempel und mit unserem Glauben, denkt Eli. Und da soll ich Samuel zum Priester ausbilden, der doch noch ein Kind ist? Wie kann ich das schaffen, wo ich es schon bei meinen eigenen Söhnen nicht geschafft habe? Voller Sorgen liegt Eli auf seinem Lager. Es dauert lange, bis er einschlafen kann.

Unruhige Nächte. Das kennen wir alle. Sorgen und Kummer können uns den Schlaf rauben. Nachts werden sie wach, die Gedanken und Fragen, die wir tagsüber verdrängen und wegschieben: Was ist das für eine Welt, in der unsere Kinder aufwachsen? Mitten in Europa tobt ein brutaler Krieg, der kein Ende nehmen will. Die Klimaveränderung ist längst zur Klimakatastrophe geworden. Die steigenden Preise erinnern uns daran: Der Wohlstand, der für uns so viele Jahrzehnte lang schier selbstverständlich war, ist es längst nicht mehr. Was ist das für eine Welt, in der unsere Kinder aufwachsen? Wo können wir ihnen Trost, Halt und Sicherheit bieten in dieser unsicheren Zeit? In der Kirche feiern wir miteinander Gottesdienst, und bringen unsere Kinder zur Taufe. Aber wir werden weniger, die sich zum christlichen Glauben bekennen. Wie wird es in Zukunft um unsere Kirche bestellt sein? Geht es bergab mit unserer Kirche und unserem Glauben?

Unruhige Nächte. Samuel liegt auf seinem Lager, ein Junge von 11 Jahren. Samuel ist stolz auf sich, denn er weiß: Eli traut es mir zu, dass ich auf die Öllampe im Tempel aufpasse. Hier im Tempel darf ich schlafen, ganz nahe bei diesem Licht, das uns daran erinnert: Gott ist immer für uns da. Mit diesem guten Gefühl schläft Samuel ein. Doch plötzlich fährt er hoch aus seinem Schlaf: War da etwas oder sogar jemand? Hat die Lampe nicht geflackert? Hat nicht jemand gerufen? „Samuel!“ Jemand ruft meinen Namen, denkt Samuel. Das muss Eli sein. Sonst ist ja niemand hier. Samuel läuft schnell zu Eli: „Du hast mich gerufen, Eli. Hier bin ich.“ „Nein, Samuel. Das hast du nur geträumt. Geh nur wieder rüber in den Tempel und lege dich schlafen. Alles ist in Ordnung,“ sagt Eli. Samuel schläft wieder ein. Da hört er wieder diese Stimme: „Samuel!“ Wie ein Schlafwandler läuft er hinüber zu Elis Lager: „Du hast mich gerufen, Eli.“ „Nein, Samuel, geh wieder schlafen.“ Aber Samuel schläft nur kurz. Ein drittes Mal hört er den Ruf: „Samuel!“ Und gleich ist er wieder bei Eli: „Du hast mich gerufen!“ Auf einmal ist Eli hellwach. Ein Gedanke durchzuckt ihn: Was wäre, wenn es Gottes Stimme wäre, die den Jungen ruft? Was wäre, wenn es doch nicht bergab geht mit dem Tempel und dem Glauben? Was wäre, wenn Gottes Licht nicht nur in der Öllampe im Tempel leuchtet, sondern in unseren Herzen? Leise sagt er zu seinem Schüler Samuel: „Wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört.“

In meinem Religionsunterricht in der Grundschule habe ich Kinder, die im selben Alter sind wie Samuel. Manchmal fragen sie mich: „Warum hat Gott zu den Menschen in der Bibel geredet, und heute redet er nicht mehr mit uns?“ In der Geschichte von Samuel und Eli heißt es, dass das Wort Gottes selten war in ihrer Zeit, und dass Samuel es nicht kannte. Dabei hat Samuel als Priesterschüler doch ganz sicher die Geschichten gekannt, die wir in der Bibel lesen, und erst recht die Gebete und Rituale, die zum Glauben gehören. Aber Glauben ist eben mehr als vorformulierte Texte und vertraute Rituale, so wichtig das alles auch ist. Glauben bedeutet eben auch: Auf Gottes Stimme zu hören, und mein Leben in sein Licht zu stellen. Ja, Gottes Licht scheint auch heute, selbst in die tiefsten Dunkelheiten unserer Zeit. Und Gottes Wort kommt auch heute zu uns, davon bin ich überzeugt. Aber wir müssen eine Antenne dafür haben, damit wir hören können, was Gott uns heute zu sagen hat. Manchmal sind es gerade die Kinder, die uns dabei helfen können, unser Herz zu öffnen für das, was Gott uns sagen will in unserem Leben. Kinder sehen manchmal Dinge, die wir nicht sehen und hören Dinge, die wir nicht hören. Nicht nur nachts, wenn sie schlecht schlafen. Auch tagsüber, wenn sie ihre Fragen stellen zu Gott und der Welt. Da brauchen sie Erwachsene, die sie begleiten und im Glauben anleiten. Und wir Erwachsenen brauchen die Kinder. Denn gerade die Kinder haben oft eine Antenne zu dem, was Gott uns sagen will, mehr als wir Erwachsenen. „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen,“ sagt uns Jesus in Mk 10, 15. Machen wir uns also immer wieder auf die Suche nach dieser kindlichen Offenheit für Gott- damit das Wort Gottes nicht selten bleibt in unserer Zeit.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Rogate

Predigt zur Konfirmation am Sonntag, 14. Mai 2023

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden!

Gibt es für jeden von uns einen Schutzengel? Das war eine der Fragen, die ihr aufgeschrieben habt ganz am Anfang des Konfirmandenjahrs. Wir haben die Fragen an die Pinnwand im Gemeindesaal gehängt. So haben sie uns durch das Konfirmandenjahr begleitet, und wir haben miteinander nach Antworten gesucht. Mit vielen Fragen von euch haben wir uns beschäftigt – mit den einen mehr und mit den anderen weniger. Zugegeben: Manche Frage ist dabei wohl auch zu kurz gekommen, und manche Antwort bin ich euch schuldig geblieben. Aber an dieser einen Frage sind wir immer wieder vorbeigekommen: Gibt es für jeden von uns einen Schutzengel? Diese Frage passt auch als Thema für die Konfirmation, fandet ihr. Mögen Engel euch begleiten- das wünschen wir euch heute, am Tag eurer Konfirmation!

Wie ist das, wenn Engel einen begleiten? Gibt es das wirklich? Haben Menschen das schon erlebt? Was steht in der Bibel zu diesem Thema? Wir haben miteinander in der Bibel nachgelesen. Fünf Texte haben wir angeschaut, und einer davon sollte der Predigttext für die Konfirmation werden. Welchen der Texte ihr dann ausgewählt habt, hat mich doch überrascht:

Jesus verließ die Stadt und ging wie gewohnt zum Ölberg. Die Jünger folgten ihm. Als er dort ankam, sagte er zu ihnen: »Betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht!« Er selbst ging noch ein paar Schritte weiter –etwa einen Steinwurf weit. Dann kniete er nieder und betete. Er sagte: »Vater, wenn du willst, nimm diesen Becher weg, damit ich ihn nicht trinken muss! Aber nicht, was ich will, soll geschehen, sondern was du willst!« Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Todesangst überfiel ihn, und er betete noch angespannter. Dabei tropfte sein Schweiß wie Blut auf den Boden. Dann stand er vom Gebet auf und ging zurück zu den Jüngern. Er sah, dass sie vor lauter Trauer eingeschlafen waren. Er fragte sie: »Wie könnt ihr nur schlafen? Steht auf und betet, damit ihr die kommende Prüfung besteht!« (Lukas 22, 39-46)

Jesus betet im Garten Gethsemane. Er weiß, was auf ihn zukommen wird: Verhaftung, Folter und dann der Tod am Kreuz. Jesus hat Angst davor- Todesangst. Er schwitzt Blut und Wasser. Er fleht Gott an: Bitte nicht! Ich will das nicht. Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht. Aber dein Wille geschehe. Jesus ist allein. Seine Jünger sind eingeschlafen und können ihm keinen Beistand leisten in dieser schweren Stunde. Eine ernste, ja geradezu erschütternde Geschichte ist das, wie Jesus sich hier quält. Eine Geschichte, die wir sonst in der Karwoche hören, wenn am Altar in unserer Kirche schwarze Tücher hängen, wenn die Kerzen verlöschen und die Glocken verstummen, weil wir daran denken, wie Jesus am Kreuz gestorben ist.

Heute aber feiern wir einen fröhlichen Gottesdienst mit Festgeläut und festlicher Musik. Die Kerzen brennen, auf dem Altar stehen frische Blumen, und wir alle haben uns schön gemacht für diesen Festtag. Warum also heute ausgerechnet diese Geschichte, wie Jesus im Garten Gethsemane auf der schmutzigen Erde kniet und in seiner Todesangst zu Gott betet? Weil Jesus eben doch nicht allein bleibt in dieser Extremsituation. Gott schickt ihm einen Engel vom Himmel, der ihn stärkt.

Gibt es für jeden von uns einen Schutzengel? Ist Gott wirklich für uns da? Hört er unsere Gebete, wenn wir verzweifelt sind und nicht mehr können? Ich kenne Menschen, die sagen: „Ich kann nicht mehr an Gott glauben. Ich habe zu viel Schweres erlebt im Leben. Wenn es Gott gäbe, dann hätte er das doch verhindern müssen, all das Elend, das ich schon erlebt habe. Wenn es Gott gäbe, dann hätte er mich nicht so hängen lassen dürfen.“ Wenn ich die Lebensgeschichte dieser Menschen kenne, dann kann ich schon verstehen, wie sie zu dieser Meinung kommen. Aber es macht mich doch traurig: So vieles haben diese Menschen schon verloren in ihrem Leben, und nun auch noch den Glauben an Gott. Für mich will ich es anders versuchen. Ich will festhalten an meinem Glauben. Auch wenn es schwere Zeiten gibt in meinem Leben. Auch wenn Manches anders gekommen ist, als ich es mir gewünscht hätte. Auch wenn ich Gott manchmal fragen muss: „Warum das alles?“ Ich möchte festhalten an meinem Glauben. Und ich möchte euch ermutigen, das auch zu tun. Heute lasst ihr euch konfirmieren. Konfirmation bedeutet Stärkung – Stärkung im Glauben. Wir alle brauchen diese Stärkung im Glauben. Sogar Jesus, der doch unser Vorbild im Glauben ist, hat diese Stärkung gebraucht. Ja, Jesus hat festgehalten an seinem Glauben – auch da, wo er Gott nicht verstehen konnte: Muss das wirklich sein, dieser Weg ins Leiden? Muss ich wirklich am Kreuz sterben? Geht es nicht auch anders? So hat Jesus Gott gefragt. Und Gott hat seinen Glauben gestärkt. Gott hat Jesus einen Engel vom Himmel geschickt, um ihn zu stärken.

Warum musste Jesus eigentlich leiden und sterben? Gott hätte das doch auch anders regeln können, dass er uns unsere Schuld vergibt, oder nicht? Was wäre, wenn Gott einfach nur der große und allmächtige Gott wäre, irgendwo da oben im Himmel- und nicht auch dieser Mann am Kreuz, der da einen elenden Tod stirbt? In den schweren Zeiten meines Lebens würde ich mich dann schwerer tun damit, an Gott zu glauben. In den schweren Zeiten meines Lebens brauche ich Jesus. An den kann ich mich halten, denn er hat selbst Schweres durchgemacht. Und er hat es erleben dürfen, dass Gott ihm hilft in schweren Zeiten.

Gott hat Jesus einen Engel vom Himmel geschickt, um ihn zu stärken. Für mich ist das nicht nur irgendeine biblische Geschichte aus ferner Vergangenheit, die heute so nicht mehr passieren könnte. Ich bin überzeugt davon: Gott schickt auch heute seine Engel. Er schickt sie auch zu euch. Wenn es euch schlecht geht und ihr Trost und Hilfe braucht. Wenn ihr nicht mehr weiterwisst und guter Rat teuer ist. Wenn ihr es schwer habt und ihr jemanden braucht, der auf euch aufpasst, der euch beschützt und vor dem falschen Weg bewahrt. Gott schickt euch seine Engel. Mögen Engel euch begleiten auf allen euren Wegen.

Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Misericordias Domini

Predigt zum Abschluss des Glaubenskurses am Sonntag, 23. April 2023

Mk 2, 13-17: Jesus ging wieder hinaus zum See. Die ganze Volksmenge kam zu ihm, und er lehrte sie. Als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus. Der saß an seiner Zollstation. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus bei ihm zu Hause zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Es waren inzwischen viele, die Jesus folgten. Die Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, dass Jesus mit Leuten, die als Sünder galten, und mit Zolleinnehmern aß. Da sagten sie zu seinen Jüngern: »Wie kann er mit Zolleinnehmern und Sündern essen?« Jesus hörte das und gab ihnen zur Antwort: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

 

Liebe Mitchristen!

„Entdeckungen im Land des Glaubens“. So hieß der Glaubenskurs, auf den wir uns eingelassen haben in den vergangenen Wochen.  Neuland entdecken: Was wird uns erwarten? Die Frage hat uns alle irgendwie beschäftigt, jede und jeden auf ganz eigene, persönliche Weise. Was haben wir miteinander entdeckt an diesen sieben Abenden, was hat jede und jeder für sich entdeckt? Am letzten Mittwoch haben die Glaubenskurs- Teilnehmer aufgeschrieben, welche Früchte der Glaubenskurs für sie getragen hat. Mich hat beeindruckt, was dabei alles aufgeschrieben wurde.

Wie lässt sich Gott erfahren, wie lässt sich Glaube leben in meinem eigenen Leben? Das waren Fragen, die uns immer wieder beschäftigt haben an diesen Abenden. Und auch das, was uns den Zugang zu Gott erschwert hat in unserem Leben: Erfahrungen von Lebenskrisen, die den lieben Gott fragwürdig werden ließen. Oder schwierige Erfahrungen mit Menschen, die Gott als Drohung missbrauchten: Pass auf, Gott sieht alles! Manchmal fällt es schwer, an Gott zu glauben.  Manches macht es uns schwer. Und trotzdem finden Menschen den Weg zu Gott- und es sind nicht immer nur die, von denen wir es schon immer dachten. Das haben auch die Menschen zur Zeit Jesu so erlebt. In unserer Bibelgeschichte setzt sich Jesus an einen Tisch mit Zolleinnehmern und anderen Leuten, die als Sünder galten.

Jesus lädt Menschen ein- damals wie heute. Wir können uns festhalten an Jesus Christus, der Gottes Liebe gelebt hat bis zur letzten Konsequenz, bis zum Tod am Kreuz. Durch diese Abgründe ist er hindurchgegangen und hat sie überwunden.  Er versteht uns und ist uns nahe auch in schweren Zeiten. Das ist es, was uns auch durch dunkle Zeiten hindurchträgt und das Licht am Ende des Tunnels sichtbar macht. So wie nach dem Karfreitag der Ostermorgen kommt, so wird auch für dich ein neuer Tag kommen, ein Tag, an dem du alles verstehen wirst. Dann wirst du mit ganzem Herzen sagen: Ich danke dir, Gott. Damals habe ich nicht verstanden, warum du mich diesen schweren Weg geführt hast. Aber jetzt, im Rückblick erkenne ich: Es war gut so, wie du es gemacht hast. Damals habe ich nichts gespürt von Dir und Deiner Liebe. Aber jetzt erkenne ich: Nie hast du mich verlassen. Deine Liebe ist unzerstörbar. Das tröstet mich. Jesus Christus ist für mich da. Auch dann, wenn Vieles schiefgelaufen ist in meinem Leben. Er hat meine Schuld auf sich genommen und schenkt mir einen Neuanfang. Er hat es uns versprochen: „Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“

Vielleicht ist Ihnen das ja zu steil oder es erscheint Ihnen zu billig. Vielleicht sagen Sie sich: Das habe ich aber anders erlebt. Ich kann meinen Lebens- und Glaubenskrisen keinen Sinn abgewinnen, auch nicht im Rückblick. Vielleicht denken Sie jetzt: Das habe ich so noch nicht erleben dürfen, dass ich angenommen bin trotz meiner Fehler, meiner Schwächen und meiner Schuld. Meine Erfahrungen sind hier anders. Die anderen Menschen haben mich immer abgewiesen deswegen.  Wie soll ich da glauben können, dass es bei Gott anders ist? Ja, manches bleibt uns unbegreiflich. Manche schwere Zeit in unserem Leben lässt sich nicht mit Sinn füllen. Manche Anfrage an den Glauben, mancher Zweifel an Gott lässt sich weder im zwischenmenschlichen Gespräch noch im Gebet ganz klären. Aber Jesus Christus lädt uns dazu ein, trotzdem an seinen Tisch zu kommen und mit ihm Gemeinschaft zu haben. Er wartet damit nicht, bis alle unsere Zweifel ausgeräumt sind und wir einen felsenfesten Glauben haben.

Jesus Christus lädt uns ein- hier und jetzt, ohne Vorbedingungen. So wie wir sind, sind wir willkommen. Durch Jesus Christus dürfen wir erfahren: Gott ist meine Rettung. Gott rettet mich vor meinem Kreisen um mich selbst, vor dem Gefühl, ich müsste alles allein schaffen. Gott befreit mich zu einer neuen Sicht meiner Lage. Bei Gott kann ich zur Ruhe kommen. Auch wenn sich äußerlich nichts an meiner vielleicht schwierigen Situation geändert hat, kann ich es jetzt innerlich spüren: Ich fühle mich sicher und fürchte mich nicht. Jesus Christus ist für mich da. Er ist mein Arzt. Er kann auch meine Verletzungen heilen. Er ist der gute Hirte, der mich zum frischen Wasser führt, meine Rettung, meine Quelle, aus der ich schöpfe. Vielleicht ist mein Glaube an Gott nur klein, und Vieles bleibt mir unverständlich. Aber dann und wann gibt es doch einen gesegneten Augenblick, in dem ich mich Gott nahe fühle und bei Jesus Christus Kraft schöpfe. Das trägt mich und stärkt mich. Und ich höre ganz neu, wie Jesus ruft: „Komm, folge mir!“ Geh deinen Weg mit mir an deiner Seite! Und ich fasse Mut. Und in mir wächst der Glaube, dass nicht alles beim Alten bleiben muss. So wage ich den Neuanfang und lasse Jesus in mein Lebenshaus einziehen.

Liebe Mitchristen, das alles müssen wir nicht erzwingen. Aus der Freude heraus wird dieser Entschluss von selber wachsen. Und manchmal geschieht das alles auch ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe.  Entdeckungen im Land des Glaubens sind das, wenn ich mich auf Jesus einlasse. Wenn ich Jesus hereinlasse in mein Leben.  Wenn ich mich darauf einlasse, diese Hoffnung weiterzutragen und davon zu erzählen, in meinen eigenen Worten und in meinem eigenen Tempo. Manches geht mir vielleicht zu schnell, und ich frage mich:  Bin ich mir meiner Sache wirklich immer so sicher? Und was ist mit meinen Ängsten?

„Allein deine Gnade genügt, die in meiner Schwachheit Stärke mir gibt,“ heißt es in einem Lied aus unserem neuen Liederbuch, aus dem wir im Glaubenskurs oft gesungen haben. An diese Liedzeile muss ich denken. Denn in dieser Liedzeile stecken zwei wichtige Einsichten: Zum einen: In mancher Hinsicht bleiben wir schwach. Wir werden Gott und seine Wege mit uns nie ganz begreifen können. Ob wir nun schon seit Jahrzehnten im Land des Glaubens unterwegs sind oder gerade erst den ersten Ausflug dorthin unternommen haben.  Ob wir nun ein langes Theologiestudium hinter uns haben oder mehr fürs Praktische begabt sind: Im Grunde haben wir alle die gleichen Voraussetzungen. Wir alle werden Gott nie ganz verstehen, denn Gott ist Gott und wir sind nur Menschen. Wir alle haben auch unsere Punkte, wo wir uns schwer tun mit dem Glauben, und niemand von uns ist gefeit vor Lebenskrisen, die auch den Glauben erschüttern können.

Zum anderen: Auch wenn das so ist, auch wenn unser Glaube immer nur Stückwerk bleibt, Gottes Gnade gilt uns trotzdem ganz. Denn Gottes Gnade hängt nicht davon ab, ob unser Glaube perfekt ist. Das wird er nie sein. Gottes Gnade ist es, dass wir unsere Lebenswurzeln in Gott haben. Gott ist der feste Boden, auf dem wir stehen. Gott gibt uns Halt. Die Gewissheit unseres Glaubens kann nur von der Quelle herkommen, von Gott selbst. Und so erscheinen uns die Worte des Glaubens, die wir im Gottesdienst hören und mitsprechen manchmal eine Nummer zu groß für uns. Trotzdem, ja gerade deswegen sind wir eingeladen, uns diese Worte zu eigen zu machen. Denn es sind Worte, die offen sind für die Zukunft, die Gott für uns bereithält: Eine Zukunft, die jetzt schon beginnt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Okuli

Predigt zum Tauf- Erinnerungsgottesdienst am Sonntag Okuli, 12. März 2023

„Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!“ (Lk 10, 20)

Liebe Mitchristen!

Jeder von uns hat einen Namen. Der Name ist wichtig. Die Konfirmanden haben das in unserem Gottesdienst in zwei kleinen Anspielen vorgespielt: Da unterhalten sich zwei Jugendliche. Bei einem klingelt das Handy, und er unterbricht das Gespräch, um zu telefonieren. „Wer war dran?“ fragt seine Klassenkameradin. „Ich weiß nicht. Sie hat ihren Namen nicht gesagt,“ bekommt sie als Antwort. Oder eine Jugendliche kommt von der Schule nach Hause und wird von ihrer Mutter begrüßt. Begeistert erzählt sie von der neuen Mitschülerin, die für sie zur Freundin geworden ist. Gerne möchte sie sie mal zu sich nach Hause einladen. „Wie heißt das Mädchen denn?“ fragt die Mutter, und die Tochter weiß keine Antwort. „Dann können wir sie auch nicht einladen; frag erstmal wie sie heißt,“ antwortet die Mutter. Zwei kleine Szenen, die uns zeigen, wie wichtig der Name für uns ist. Ja, wenn ich jemand Neues kennen lerne, dann frage ich normalerweise als Erstes nach seinem oder ihrem Namen.

Woher haben wir eigentlich unseren Namen? Das wissen schon die Kinder, die heute zur Tauferinnerung gekommen sind: Unseren Namen haben wir von Mama und Papa. Unsere Eltern haben den Vornamen für uns ausgesucht. Darüber haben sie sich schon vor unserer Geburt viele Gedanken gemacht. Für viele Eltern ist das eine längere Entscheidung, die gar nicht so einfach ist. Viel gibt es da zu bedenken: Welche Bedeutung hat der Namen? Klingt er gut? Passt er mit dem Nachnamen zusammen? Und dann, am Tag unserer Geburt, da haben unsere Eltern den Ärzten und Hebammen im Krankenhaus gesagt, welchen Namen wir bekommen sollen. So wird es dann aufgeschrieben, und das neugeborene Baby bekommt ein Armbändchen mit seinem Namen um, damit jeder weiß, wie es heißt. Und später gehen die Eltern dann zum Rathaus, und der Name wird auch offiziell eingetragen. Dann steht er auf der Geburtsurkunde und begleitet uns ein Leben lang. So haben wir alle unseren Namen bekommen. Und bei der Taufe ist unser Name in der Kirche genannt worden. In unserem Gottesdienst heute schreiben wir die Namen von allen Kindern, die da sind, auf blaue Papiertropfen und hängen sie an die große weiße Wolke, die an unserer blauen Pinnwand steht.

Eine Wolke gehört an den Himmel. Deshalb hängt an unserer Pinnwand daneben auch die Sonne. Und die blaue Pinnwand steht für den blauen Himmel über uns. Warum schreiben wir unsere Namen in eine Wolke? Es hat etwas mit einem Satz aus der Bibel zu tun. Jesus hat diesen Satz gesagt: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind! (Lk 10, 20). Dieser Satz hat etwas mit der Taufe zu tun. Bei der Taufe sagen wir den Namen von dem Kind oder manchmal auch dem Erwachsenen, das getauft wird. Und wir sagen bei der Taufe auch den Namen von Gott: Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Auf den Namen von Gott werden wir getauft. Und unser Name wird dabei genannt. Gott sagt in der Taufe: Dein Name und mein Name gehören von jetzt an zusammen. Du bist ein Kind deiner Eltern. Deine Eltern haben dir deinen Namen gegeben. Aber mit der Taufe gehörst du auch zu Gott. Du gehörst zur Kirche. Du gehörst zu unserer Gemeinde. Du gehörst zur großen Familie Gottes aus allen Völkern. Auch dafür steht die Wolke mit den Regentropfen, auf die wir die Namen von den Kindern geschrieben haben, die heute diesen Gottesdienst mitfeiern. Ohne die vielen Regentropfen, die wir in die Wolke gehängt haben, wäre die Wolke nämlich gar nicht da. Die Wolke besteht einzig und allein aus den einzelnen Regentropfen, die alle zusammen zur Wolke werden. So ist es auch mit unserer Gemeinde. So ist es auch mit der Kirche. Unsere Gemeinde und die Kirche bestehen einzig und allein aus den Menschen, die zu ihr gehören. Jeder einzelne, jeder Name ist wichtig. Ohne dich würde der Kirche etwas fehlen- schön, dass du da bist, wir brauchen dich! Und die Wolke an unserer Pinnwand zeigt uns auch: Du bist nicht allein. Da gibt es noch viele andere Christinnen und Christen, die auch zur Gemeinde und zur Kirche gehören. Ja, ganz viele Regentropfen mit Kindernamen hängen da heute in der Wolke an unserer Pinnwand. Und wir alle dürfen uns freuen, wie Jesus es uns gesagt hat. „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!“ Gott ist im Himmel. Und dein Name ist seit deiner Taufe im Himmel bei Gott aufgeschrieben. Ja, Gott kennt jede und jeden von uns mit Namen. Und auch zu dir sagt Gott: Du gehörst zu mir. Und ich bin für dich da. Ich bin dein Gott. Ich lasse dich nicht im Stich.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer (nach einer Idee von Dieter Witt, Opladen)

 

 

 

 

 

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Estomihi

Predigt zum Sonntag Estomihi, 19. Februar 2023

Liebe Mitchristen!

„Liebe wird immer da sein“. So heißt der Titel eines Bildes, gemalt von einem Mann namens Bayram. Ein romantisches Bild ist das. Zu sehen sind zwei Schwäne, die sich an der Brust zärtlich berühren und deren Köpfe einander liebevoll zugeneigt sind. Die geschwungenen Hälse der beiden Schwäne bilden die Form eines Herzens. Am Himmel steht der Mond. Er bescheint die liebenden Schwäne und lässt ihr Spiegelbild im Wasser erscheinen.

„Liebe wird immer da sein“ – das ist eine steile Aussage, gerade in unserer Zeit, in der viele Ehen scheitern und viele Menschen unter der Einsamkeit und Lieblosigkeit leiden, die sie umgibt. Wäre es da nicht passender, etwas vorsichtiger zu formulieren, zum Beispiel: „Liebe sollte immer da sein“? Hören wir, was der Apostel Paulus in 1. Kor 13 über die Liebe schreibt:

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

„Die Liebe hört niemals auf“, so heißt es da bei Paulus. Alles andere wird an ein Ende kommen – alles, auf das wir heute große Stücke halten. Wenn einer gut reden kann und die anderen mit Worten überzeugen – ohne die Liebe ist das alles bloß viel Lärm um nichts. Wenn einer intelligent ist und neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnt – ohne die Liebe ist das bloß, als ob der die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte. Wenn einer fest im Glauben steht und sozial engagiert ist – ohne die Liebe ist das bloß Fanatismus oder nur Mittel zum Zweck, um vor anderen besser dazustehen, ganz nach dem Motto: Gutes tun und darüber reden.

Die Liebe ist frei von solchen Hintergedanken und erwünschten Nebeneffekten. Da geht es nicht darum, dass ich selber groß rauskomme und gut dastehe. Da geht es um den anderen, um meinen Mitmenschen, der mir wichtig ist. Ja, da geht es sogar um die, mit denen ich eigentlich nichts zu tun haben wollte. „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel“ (Mt 5,44). So hat Jesus es uns aufgetragen. Es ist ein schwerer Auftrag, einer der uns immer wieder herausfordert und doch auch immer wieder scheitern lässt. Ähnlich schwer erscheint es, die Liebe so zu leben, wie Paulus sie den Korinthern nahe legt: „Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Wer kann dem gerecht werden? Wer schafft das, die Liebe so zu leben, wie sie hier beschrieben wird?

Es gibt nur einen, der das geschafft hat, die Liebe so zu leben. Jesus Christus hat die Liebe gelebt bis zum Ende. Er hat alles ertragen und erduldet, indem er ans Kreuz gegangen ist für uns – allein aus Liebe. Das ist die Liebe, die immer da sein wird. Diese Liebe ist vollkommen. Die Liebe, die wir auf dieser Welt erleben dürfen, ist ein Abglanz dieser Liebe. Es ist etwas Wunderbares, wenn zwei Menschen ihren Weg durch das Leben gemeinsam gehen. Immer wieder erzählen mir Paare, über welch ungewöhnliche und verschlungene Wege sie zueinander gefunden haben oder welch schwere und krisenreiche Zeiten sie miteinander durchgestanden haben. Welch ein Wunder ist es, wenn die Liebe zweier Menschen tragfähig wird und bleibt. Welch ein Wunder ist es überhaupt, dass wir Menschen einander Liebe geben können, in der ganzen Vielfalt von Beziehungen, durch die wir miteinander vernetzt sind. Egal, in welcher Lebensform wir leben, wir alle brauchen Liebe, vom kleinen Baby bis zum Hochbetagten.

Die Liebe ist ein Geben und Nehmen, und sie ist lebensnotwendig. Und doch ist sie unvollkommen. Sie ist nur ein schwacher Abglanz der göttlichen Liebe, wie eine Wasserspiegelung in einem Teich. Wir erkennen nur die Umrisse, vieles bleibt unklar und verschwommen, wie das Spiegelbild der Schwäne auf dem Bild. Der Himmel hängt nicht immer voller Geigen, er ist oft dunkel und bedrohlich, wie ihn der Maler hier darstellt – eine schier undurchdringliche Finsternis, die das Mondlicht auch nicht aufhellen kann. Nicht sanft und golden steht der Mond hier am Himmel, sondern in kaltem, harten Weiß, das den Kontrast zwischen dem schwarzen Himmel und den weißen Schwänen beinahe gespenstisch anmuten lässt. Es ist eine harte und dunkle Welt, aus der der Künstler mit seinem Bild zu uns spricht. Bayram hat das Bild gemalt, als er im Gefängnis war. Die Straftäter haben Bilder gemalt, in Zusammenarbeit mit einer Kunsttherapeutin. Aus den Bildern ist ein Kalender entstanden. Durch meine Arbeit als Gefängnisseelsorgerin habe ich diesen Kalender kennen gelernt. Ich kenne nur den Kalender. Die Menschen, die die Kalenderbilder gemalt haben, kenne ich nicht. Aber aus meiner Arbeit mit Gefangenen in Rottweil weiß ich, wie wichtig es für diese Menschen ist, einen ehrlichen Blick auf ihr eigenes Leben werfen zu können. Vieles ist schiefgelaufen in ihrem Leben. Sie brauchen eine Neuorientierung. Oft fällt es diesen Menschen schwer, über die dunklen Punkte in ihrem Leben zu reden, über die eigene Schuld und das eigene Versagen. Bilder sagen oft mehr als Worte. Manches, das man in Worten nur schwer ausdrücken kann, lässt sich in einem Bild darstellen: Gedanken und Gefühle, Hoffnungen und Wünsche, Irrwege und Auswege.

„Liebe wird immer da sein.“ So nennt Bayram sein Bild. Wer im Gefängnis sitzt, hat in der Regel andere Erfahrungen gemacht. Die Erfahrung, dass Gewalt an die Stelle der Liebe tritt – Gewalt, die sich nicht ungeschehen machen lässt, weil sie ihre Spuren hinterlassen hat: Wunden und Narben, nicht nur am Körper, sondern auch an der Seele. Ich verstehe Bayrams Bild als ein Bild gegen alle Erfahrung, der Erfahrung zum Trotz: Die Liebe, die trotz allem da ist, trotz der Dunkelheit, die sie umgibt.

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Die Liebe ist die größte, sagt Paulus. Sie ist der Ausgangspunkt für Glaube und Hoffnung: Der Glaube glaubt, dass die Liebe in der Dunkelheit unserer Welt da ist, auch da, wo wir sie nicht erkennen. Die Hoffnung hofft, dass die Liebe die Dunkelheit unserer Welt durchdringen wird. Liebe wird immer da sein, denn Gott selbst ist die Liebe. Gott hat um die Dunkelheiten unserer Welt nicht einen großen Bogen gemacht. Er selbst hat Gewalt und Unrecht erlitten. Jesus Christus ist unschuldig verurteilt worden zum Tod am Kreuz. Nicht mit Gewalt hat er reagiert auf diese Gewalt, die ihm angetan wurde, sondern mit Liebe. So konnte er sagen: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Die Liebe ist stärker als die Gewalt. Das ist die Botschaft von Jesu Tod und Auferstehung.  Das ist unser christlicher Glaube, unsere christliche Hoffnung. Es ist ein Glaube und eine Hoffnung oft gegen allen Augenschein, immer in dem Wissen, dass alles Stückwerk ist, was wir hier in dieser Welt erleben. Und doch dürfen wir immer wieder erleben, dass Liebe da ist, wo wir sie nicht erwarten. Oft sind es nur kleine Gesten, die doch so viel bewirken können: Ein paar freundliche Worte, die die Einsamkeit vertreiben. Die Hand, die zur Versöhnung ausgestreckt ist. Ein gutes Wort, das Trost spendet in schweren Zeiten. All das sind Zeichen von Gottes Liebe – Zeichen, die wir selbst setzen können – bis wir einst in Gottes Vollkommenheit sein werden und das Stückwerk aufhören wird.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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Gedanken zum Sonntag

Septuagesimae

Predigt zum Sonntag Septuagesimae, 5. Februar 2023

Matthäus 9, 9-13: Jesus ging von Kapernaum weiter. Da sah er einen Mann an seiner Zollstation sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Da stand er auf und folgte ihm. Später war Jesus im Haus zum Essen. Viele Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen dazu. Sie aßen mit Jesus und seinen Jüngern. Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: »Warum isst euer Lehrer mit Zolleinnehmern und Sündern?« Jesus hörte das und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ›Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‹ Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.«

Liebe Mitchristen!

Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Auto unterwegs. Und direkt vor Ihrem Auto fährt ein Polizeifahrzeug. An dem Polizeifahrzeug leuchtet die Aufschrift: „Bitte folgen.“ Was müssen Sie jetzt machen? Im Fragenkatalog zur theoretischen Fahrprüfung gibt es auf diese Frage drei mögliche Antworten, und nur eine ist richtig: 1. Nur Schwertransporte müssen dem Polizeifahrzeug folgen. 2. Alle Fahrzeuge, die in gleicher Richtung fahren, müssen dem Polizeifahrzeug folgen. 3. Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen. Gar nicht so einfach, die theoretische Fahrprüfung. Welche Antwort ist richtig? Richtig ist die Antwort: Nur Sie müssen dem Polizeifahrzeug folgen. „Bitte folgen.“ Das gilt nur für mich ganz persönlich. Eine Aufforderung, der ich besser nachkommen sollte, wenn da das Polizeifahrzeug vor mir fährt. Wenn ich das dann nicht tue, wird es teuer für mich. „Bitte folgen.“ Das sagt Jesus in unserer biblischen Geschichte zu dem Zolleinnehmer Matthäus. „Bitte folgen.“ Das gilt auch für mich. Das gilt für jeden von uns ganz persönlich: Nur Sie müssen Jesus folgen.

Freilich, der Vergleich mit einem Polizeiauto hinkt. Wenn ich Jesus folge, dann tue ich das nicht unter Zwang und Bußgeldandrohung. Ich tue es freiwillig. Und doch: Es hat auch einen Preis für mich, wenn ich mein Leben nicht auf Gott ausrichte. Matthäus, der Zolleinnehmer, hat es so erlebt. Er hat für sein Leben eine Entscheidung getroffen: Geld und Reichtum, das ist mir wichtiger als mein Leben an Gott auszurichten und auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen. Matthäus hat sich entschieden, mit den Römern zusammenzuarbeiten, mit der damals verhassten Besatzungsmacht. Da sitzt er also in seinem Zollhäuschen an der Stadtmauer. Die Bauern kommen, die ihre Ware bringen und sie in der Stadt auf dem Markt verkaufen wollen. An der Zollstation müssen sie den Zoll zahlen. Matthäus verdient gutes Geld dabei, und seinem Verdienst sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Denn es kümmert niemanden, wenn er den Durchreisenden und Händlern an der Zollstation mehr Geld abnimmt, als die Römer verlangen. Korruption war weit verbreitet unter den Zolleinnehmern in Israel.

Matthäus hat Geld. Und er hat sich entschieden, dass ihm das wichtiger ist, als sein Leben nach Gott auszurichten. Aber es hat seinen Preis für ihn, dass er sein Leben nicht nach Gott ausrichtet. Es hat den Preis, dass er allein dasteht. Dass er einsam ist. Dass er bei allen anderen unbeliebt ist. Denn die anderen sagen über die Zolleinnehmer: Das sind Halsabschneider, Betrüger, Faulpelze, Menschen mit unehrlicher Arbeit. Nur Jesus redet anders mit diesem Zolleinnehmer, als es die Anderen tun. Matthäus bekommt eine neue Chance. Folge mir, sagt Jesus zu ihm.

Folge mir, sagt Jesus auch zu jedem von uns. Folge mir. Gott braucht dich. Folge mir. Du gehörst dazu. Du musst nicht allein bleiben. Folge mir. Was kaputt ist in deinem Leben, es kann wieder gut werden oder anders gut werden. Folge mir, sagt Jesus. Jesus lässt es nicht bei leeren Worten bewenden. Er setzt sich mit diesem Zolleinnehmer Matthäus und mit anderen Zolleinnehmern und Sündern an einen Tisch. Was sind das für Sünder? Ich denke an die Geschichte von der Ehebrecherin, wo keiner den ersten Stein wirft, weil alle Menschen Sünder sind. Solche Menschen wie diese Ehebrecherin stelle ich mir vor, die da mit Jesus am Tisch sitzen. Oder Frauen, die keine Familie haben, so dass sie gezwungen sind, als Prostituierte zu arbeiten, um nicht zu hungern. Das sind Menschen, von denen die Leute sagen: Das sind Sünder. Das sind Sünderinnen. Menschen, mit denen keiner was zu tun haben will. Was für Menschen könnten das heute sein? Ich bin als Seelsorgerin seit einigen Monaten auch im Gefängnis tätig. Dort begegne ich Menschen, die einer langen Haftstrafe entgegensehen. Ich sage ihnen: „Bei Gott haben Sie trotzdem eine Chance. Und wenn Sie rauskommen, und sei es erst in 10 Jahren, dann ist es es wert, es anders zu probieren im Leben als auf kriminelle Weise.“ Es kommt mir selber steil vor, so zu reden. Aber ich weiß, Jesus hätte auch so gesprochen. Er hätte sich mit diesen Menschen an einen Tisch gesetzt.

Folge mir, sagt Jesus. Und er setzt sich an einen Tisch mit Zolleinnehmern und Sündern. Jesus lädt diese Menschen ein: Iss mit mir! Komm! Wie viel Wirkung kann in so einer Einladung stecken! Wenn Jesus sich mit an den Tisch setzt, da geht ein Stück Himmel auf: Gott sieht dich. Gott hat dich nicht vergessen. Du gehörst dazu. Du musst nicht allein am Tisch sitzen. Viele Menschen essen heutzutage allein. Ja, auch bei uns zuhause, wo mein Sohn und ich zusammen leben, ist es oft so, weil unsere Zeiten und Termine nicht zusammenpassen. Und doch geht es uns beiden so, dass es uns lieber ist, wenn wir nicht allein essen, sondern miteinander. Mein Sohn hat mir dazu erzählt, dass es einen neuen Trend gibt: Wenn man allein isst, dann schaut man beim Essen auf Youtube ein Video an von jemandem, der gerade auch isst. Ganz verschiedene Videos gibt es da: Solche, wo jemand sehr gesittet isst und solche, wo jemand das Essen in sich reinschlingt. Aber immer ist es jemand, der isst, das ist wichtig. Ein Trend aus Korea ist das- aus der Großstadt, wo Menschen viel allein sind beim Essen. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass es so einen Trend gibt, das Menschen sich sagen: Wenn ich schon allein bin beim Essen, dann will ich wenigstens auf dem Bildschirm noch jemanden bei mir haben, der auch gerade isst und mir so Gesellschaft leistet.

Auch im Gottesdienst beim Abendmahl wollen wir miteinander essen und trinken. Wir wollen uns daran erinnern, dass Jesus mitten unter uns ist, wenn wir das Abendmahl feiern. Jesus setzt sich an einen Tisch mit uns. Mit ihm haben wir Gemeinschaft, so wie wir sind. Ganz unterschiedlich sind wir mit dem, was wir mitbringen: Mit den Entscheidungen, die wir in unserem Leben getroffen haben – Entscheidungen, die uns von Gott weggeführt haben, oder uns näher zu ihm gebracht haben. Wo auch immer wir stehen, wenn wir auf unser Leben blicken – wir dürfen uns darauf verlassen, dass wir bei Jesus eingeladen sind. Jesus sagt uns: Folge mir. Komm, lass dich einladen. Iss mit mir. Hab Gemeinschaft mit mir. Ich bin da für dich. Ich bin mitten unter euch, wenn ihr das Abendmahl feiert. In unserem Bibeltext sagt Jesus: „Nicht die Gesunden und Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Nicht die Gerechten, sondern die Sünder.“

Wer sind die Starken, wer sind die Kranken? Ich denke, wir alle können in unserem Leben immer wieder an der einen oder an der anderen Stelle stehen. Es ist in Ordnung, wenn wir jetzt gerade die Kranken sind und Hilfe brauchen, und diese dann auch annehmen. Und es ist in Ordnung, wenn wir gerade die Starken und Gesunden sind, und für die anderen eine Hilfe sein können. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn wir denken: Dieser andere Mensch ist hier fehl am Platz, mit allem, was er mitbringt aus seinem Leben. Immer wieder sind wir in dieser Gefahr. Immer wieder sollen wir uns daran erinnern lassen, dass wir auch die Menschen, die uns ferner sind, als unsere Brüder und Schwestern annehmen, mit denen wir in Jesus Christus verbunden sind. Ich denke noch einmal an den kurzen Satz, den Jesus uns hier mit auf den Weg gibt: Nicht die Starken und Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich finde das auch für mich persönlich eine große Entlastung – zu wissen, ich bin willkommen, so wie ich bin. Mit allen Brüchen und Fehlern, die zu meinem Leben gehören. Mit allen Hoffnungen und Sehnsüchten. Ich bin eingeladen. Ich darf kommen. Bei Gott bin ich willkommen. Jesus Christus lädt uns alle an seinen Tisch.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

 

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letzter Sonntag nach Epiphanias

 

Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias, 29. Januar 2023

Matthäus 17, 1-9: Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete weiß wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie von Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Liebe Mitchristen!

Wo können Sie am besten Abstand gewinnen vom Alltag und die alltäglichen Sorgen hinter sich lassen? Das können ganz verschiedene Orte oder auch Zeiten sein. Vielleicht ist es für Sie eine stille Zeit am Morgen, die Sie sich gönnen. Oder ein Spaziergang in der Natur, Gespräche mit Freunden. Vielleicht ist es für Sie auch der Gottesdienst, den wir hier am Sonntagmorgen feiern. Für viele Menschen haben in diesem Zusammenhang die Berge eine ganz besondere Bedeutung. Schon im Alten Testament ist das so, bei Mose und Elia. Berge sind ein Ort, wo Menschen auch heute Gottes Größe und seine Nähe erfahren. Man tritt heraus aus den Niederungen des Alltags. All die Berge, die hier um uns herum sind, stehen dafür. Sie zeigen uns, dass immer wieder Menschen da waren, denen diese Berge etwas in Bezug auf ihren Glauben bedeutet haben: Menschen, die eine Kapelle gebaut haben in Wehingen auf dem Bürgle. Menschen, die in Gosheim das weiße Kreuz aufgestellt haben. An diesen schönen Orten, wo man ins Weite sieht, dort fühlt man sich Gott in besonderer Weise nahe. Dort hat man einen Überblick über die umliegende Gegend. Das hilft auch dabei, einen Überblick zu bekommen über sein eigenes Leben und sich zu besinnen auf Gott, dem wir unser Leben verdanken.

Ich denke an solche Gipfelerlebnisse bei Spaziergängen oder Wanderungen in den Bergen oder auch bei anderer Gelegenheit, wenn ich mir vorstelle, wie es Petrus und den anderen Jüngern in unserer Bibelgeschichte ging. Es ist eine sehr besondere Erfahrung, die diese drei Jünger gemacht haben – Petrus, Johannes und Jakobus. Sie haben Jesus oben auf dem Berg ganz anders erlebt, als sie sie ihn sonst kannten. Und das, obwohl Petrus schon vorher ein besonderes Erlebnis oder eine besondere Erkenntnis hatte mit Jesus. Petrus hatte erkannt: Jesus ist wirklich der Messias. Jesus ist Gottes Sohn. Petrus konnte seinen Glauben an Jesus bekennen, schon bevor er mit Jesus oben auf dem Berg war. Dort oben hat Petrus dann mit eigenen Augen gesehen: Jesus ist der Sohn Gottes! Jetzt ist sich Petrus ganz sicher, zusammen mit den anderen beiden Jüngern: Jesus wird bald seine Herrschaft sichtbar aufrichten, und wir, die Jünger, wir werden daran beteiligt sein! Endlich etwas Sichtbares und Erfahrbares! Endlich kommt Gott und ist uns ganz nahe! Endlich wird das Elend auf der Welt ein Ende haben! Jesus Christus erstrahlt in hellem Licht, und zusammen mit ihm noch die ganz Großen der Geschichte Israels, die ganz großen Männer des Glaubens: Mose und Elia, diese beiden, die Gott auch auf einem Berg erfahren durften.

Kein Wunder, dass Petrus diesen ganz besonderen Augenblick einfach festhalten möchte. Dieser großartige Glücksmoment soll für immer bleiben. „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ So sagt es Petrus. Ich denke, diese Reaktion ist völlig nachvollziehbar für jeden, der schon einmal einen echten Glücksmoment erlebt hat im Leben. In einem solchen Moment denken wir: So soll es bleiben! Aber Gott lässt sich nicht auf Dauer festhalten. Gott bleibt der ganz Andere, der Unbegreifliche. So geht es uns auch heute: Ob es Glücksmomente in unserem Leben sind oder Momente besonderer Gotteserfahrung – es bleiben immer nur Momente. Und doch sind diese Momente etwas ganz Wichtiges. Diese Gipfelerlebnisse geben unserem Glauben Halt, so dass er tragfähig bleibt in den Tiefen des Lebens. Ja, auch wenn wir von diesen Glücksmomenten wieder heruntersteigen müssen in die Tiefen und die Niederungen des Alltags – Gott ist bei uns und begleitet uns.

Gott ist bei uns und begleitet uns – auch, wenn das oft ganz anders aussieht, als wir es erwarten und uns wünschen. Elia hat das schon viel früher als Petrus auf einem Berggipfel erlebt, dass Gott ganz anders ist, als er es erwartet hat. Zu Elia kam Gott nicht im Sturm, auch nicht im Erdbeben oder im Feuer. Elia hat erfahren: Gott kommt ganz leise und sanft, ganz anders als erwartet. Und so erleben es auch Petrus und die beiden anderen Jünger mit Jesus auf dem Berg. Es läuft anders als erwartet. Petrus würde gerne Hütten bauen. Dass er das möchte, hat er noch gar nicht richtig ausgesprochen, da fällt ihm aus der Wolke eine Stimme ins Wort.  Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft ihn dieses Wort von oben: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; hört auf ihn!“

Unsere Aufgabe ist nicht, Hütten zu bauen. Unsere Aufgabe ist nicht, sich einrichten in den Glücksmomenten. Unsere Aufgabe ist, weiterzugehen durch die Höhen und Tiefen des Lebens und dabei auf Jesus zu hören. Zu hören auch auf unbequeme Worte von Jesus, auf Worte wie diese, die Jesus auch auf einem Berg gesprochen hat: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt 5, 4ff) Hört auf Jesus! Den Jüngern fährt diese himmlische Stimme in die Glieder und ihnen zittern die Knie.  Wie geht es uns heute damit, mit diesen Worten aus der Bergpredigt, in einer Zeit, in der die Selbstverständlichkeit in Europa Frieden zu haben, weg ist seit jetzt fast einem Jahr. So lange dauert der Krieg in der Ukraine nun schon bald. Dieser Krieg macht uns ratlos – so ratlos, dass uns nur noch militärische Mittel einfallen, um ihn einzudämmen. Werden sie den Frieden bringen? Hört auf Jesus ,sagt uns die Bibel. Wir sind herausgefordert, das in unserer Zeit zu tun –  mitten im Elend und Unfrieden unserer Welt. 

Ja, immer wieder gibt es zum Glück auch Gipfelerlebnisse in unserem Leben und Glauben. Gipfelerlebnisse, die uns helfen, auch durch die schwierigen Zeiten hindurchgehen zu können. Ich denke dabei noch an einen anderen Berg – an den Hügel Golgatha. Auf Golgatha stirbt Jesus am Kreuz.  „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; hört auf ihn!“ Gerade auch auf Golgatha gelten diese Worte.  Das göttliche Licht scheint überall – gerade auch an den verworrenen und dunklen Orten. Auch und gerade am Kreuz wird es greifbar, was Jesus in der Bergpredigt versprochen hat: Dass die Leidenden getröstet werden. Dass den Sanftmütigen das Erdreich gehört. Dass die Friedensstifter Gottes Kinder heißen. Es geht nicht immer alles einfach und glatt auf. Es gibt eben nicht nur die Gipfelerlebnisse, sondern auch die tiefen auch die dunklen Täler. Gerade auch jetzt in unserer Zeit, in der wir diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine erleben müssen, gerade da wollen wir daran festhalten, dass Jesus Christus für uns da. Für die drei Jünger wird seine Herrlichkeit sichtbar auf dem Berg. Aber erst nach Kreuz und Auferstehung dürfen sie davon berichten. Denn gerade im Leiden am Kreuz wird Gottes Herrlichkeit sichtbar in Jesus Christus. Auf seinen Namen sind wir getauft.  Und er hat es uns versprochen, er wird bei uns sein. Nicht nur an den Höhepunkten unseres Lebens und bei den Gipfelerlebnissen unseres Glaubens, sondern an jedem Tag- alle Tage bis ans Ende der Welt.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

 

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2. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2023

2. Mose 33, 18-23: Und Mose sprach zu Gott: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der Herr sprach weiter:  Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Liebe Mitchristen!

„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Gib mir irgendwas, das bleibt.“ So heißt es in einem Lied von Silbermond.  Ich finde, dass dieses Lied gerade jetzt in unserer Zeit wieder aktuell ist. In einer Zeit, in der die alten Sicherheiten in Frage gestellt sind, die für uns Jahrzehnte lang selbstverständlich waren: Dass es keinen Krieg mehr gibt, oder höchstens ganz weit weg von uns. Dass wir uns keine Sorgen machen müssen, ob wir im Winter unsere Wohnung warm bekommen. Dass es im Sommer warm ist und im Winter kalt, ohne große Veränderungen, ohne Klimaveränderung. Dass die Erde bewohnbar bleibt. Alle diese Sicherheiten gibt es nicht mehr in unserer Zeit. Stattdessen sind wir unterwegs in eine Zukunft, die uns ungewisser scheint als je zuvor.

Mich erinnert das an die biblische Geschichte vom Volk Israel, das in der Wüste unterwegs war. Die alten Sicherheiten in Ägypten haben sie hinter sich gelassen, die sie als Sklaven dort gehabt haben_ Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Nun sind sie dem vagen Versprechen gefolgt, dass sie irgendwann einmal in ein gutes und fruchtbares Land kommen werden. Mose, ihr Anführer, hatte ihnen erzählt, dass ihnen Gott dieses Land versprochen hat: Ein Land, das von Milch und Honig fließt. Aber in den langen Jahren der Wüstenwanderung ist dieses Land nicht in Sicht gekommen – nur Hunger und Durst und diese unendliche, furchtbare Weite der eintönigen und lebensfeindlichen Wüstenlandschaft.

Kinder sagen ja immer bei einer langen Reise: „Wann sind wir endlich da?“ So wird es den Israeliten damals bei dieser Wüstenwanderung auch gegangen sein: Wann sind wir endlich da? Wo ist es denn nun, dieses Land, das Gott uns versprochen hat? Oder war das alles doch nur eine Fata Morgana, ein frommer Wunsch, eine billige Vertröstung? Wo ist Gott, der dieses Versprechen gemacht hat, dass alles gut wird in meinem Leben – auch wenn ich durch Wüstenzeiten gehe? Die Israeliten haben damals in der Wüste ihre eigene Antwort auf diese Frage gefunden. Sie haben sich einen Gott zum Anfassen gebaut: ein Stierbild aus Gold, ein goldenes Kalb. Sie sind um dieses Kalb herumgetanzt, um so ihren Gott anzubeten. Mose war nicht dabei. Er war auf dem Berg Sinai, um von Gott die Zehn Gebote zu empfangen. Als er herunterkam vom Berg, hat ihn die Wut gepackt über sein Volk.

„Gib mir nur ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint.“ Etwas, was ich sehen und anfassen kann. Dieser Wunsch steckte dahinter bei den Israeliten, als sie ihr goldenes Kalb gebaut haben. Aber Gott lässt sich nicht in so eine Form pressen. Ich kann Gott nicht für meine Zwecke gebrauchen. Da helfen keine goldenen Kälber, keine Beschwörungen und keine Zauberei. Denn Gott ist Gott, und ich bin nur ein Mensch. Wo ich in meinem Leben Gottes Hilfe erfahren darf, da habe ich das allein Gott zu verdanken und nicht mir selbst. Ich habe keinen Anspruch darauf. Gott ist und bleibt unverfügbar. Ich kann ihn nicht zwingen, mir zu helfen. Ich werde ihn nie ganz erfassen können mit meinem kleinen menschlichen Verstand. Es bleibt diese Anfechtung, dass ich mir Gott nicht vorstellen kann. Aber nur so bleibt Gott Gott. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal so gesagt: „Einen Gott, den man sich vorstellen kann, den kann man auch wieder zur Seite stellen.“ So wie man ein selbstgebautes Bild von einem goldenen Kalb wieder zur Seite stellen kann.

Und doch gibt es Zeiten in unserem Leben, wo wir diese Unbegreiflichkeit Gottes einfach nicht mehr aushalten. Wo wir das brauchen, dieses kleine bisschen Sicherheit – irgendwas, das bleibt, was ich anfassen, was ich sehen und begreifen kann. Dem Volk Israel geht es so, als ihr Anführer Mose nicht mehr in Sicht ist oben auf dem Berg. Aber auch Mose selbst geht es so. „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ sagt er zu Gott. Mose will etwas sehen. Er will Gott irgendwie wahrnehmen können. Mose weiß, dass das eigentlich nicht geht. Das goldene Kalb macht er wieder kaputt, weil es Gott nicht darstellen kann.  Aber der Wunsch, Gott zu sehen, ist bei Mose trotzdem da.

Moses Wunsch, Gottes Angesicht zu sehen, kann Gott so nicht erfüllen. Gott sagt ihm: Du kannst mein Angesicht nicht sehen. Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. Gottes Herrlichkeit ist wie blendendes Licht, das alle Konturen und Formen überstrahlt. Kein Auge kann es sehen, ohne zu vergehen. Und doch geht Gott auf diesen Wunsch ein, den Mose hat. Gott will Mose etwas von seiner Herrlichkeit erfahrbar machen. So spricht Gott zu Mose: „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen.“

Was wir von Gott sehen können, ist nicht sein Angesicht. Aber wir können hinter ihm her sehen. Im Rückblick können wir erkennen, was wir in unserem Leben Gottes Gnade zu verdanken haben. Was im Nachhinein doch einen Sinn ergibt, obwohl wir in der aktuellen Situation gedacht haben: Gott wo bist du? Warum hilfst du mir nicht? Warum stecke ich in dieser Klemme? Hinterher sehen, das bedeutet: Im Rückblick etwas vom Glanz Gottes in meinem Leben erkennen zu können: Gott war da. Gott hat mich auch durch diese Zeit hindurch getragen, als ich in der Klemme gesteckt bin.

In unserem Bibelwort wird beschrieben, das Mose in eine Felskluft gestellt wird. Diese Felskluft steht für mich zum Einen für dieses In-der-Klemme-Stecken. Manchmal geht es mir so, dass ich gerade in der Bedrängnis, wenn ich nicht aus noch ein weiß, etwas von Gottes Nähe spüre und erfahre– aber oft auch erst im Rückblick. Zum Anderen ist diese Felskluft für mich auch ein Zeichen für den Ort der Geborgenheit, den ich brauche: Einen Ort, wo ich geschützt bin vor dem, was ich sonst nicht ertragen kann. Gottes Angesicht sehen, das kann ein Mensch nicht ertragen. Aber auch Anderes gibt es im Leben, was ich nicht ertragen kann, wo ich einen Schutzraum brauche, einen Rückzugsort. Ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Irgendwas, das bleibt. In der Felskluft schafft Gott für Mose diesen Raum, so dass er nicht vergehen muss. Ein sicherer und geborgener Ort ist dieser Felsspalt, aus dem Mose im Rückblick sehen kann, wo Gott gewirkt hat in seinem Leben.

Wir alle brauchen solche Orte der Sicherheit. Orte, wo wir nachdenken können, was Gott bewirkt hat in unserem Leben. Auch der Gottesdienst am Sonntagmorgen kann so ein Ort sein. Ein Ort, wo ich zur Ruhe komme, wo ich in Sicherheit bin. Wo ich meine Sorgen ablegen darf und daran denke, was Gott Gutes getan hat in meinem Leben. Ein Ort, wo ich Gott begegnen kann.

Für uns als Christinnen und Christen ist es Jesus Christus, in dem uns Gott von Angesicht zu Angesicht begegnet. Jesus Christus, der uns durchs Leben begleitet, zu dem wir beten und auf den wir vertrauen können. In Jesus Christus können wir den göttlichen Glanz entdecken, gerade auch dann, wenn wir in der Klemme stecken. Denn Jesus Christus ist selber in der Klemme gesteckt. Sein Weg ans Kreuz schien eine Sackgasse zu sein, ein unwürdiges Ende für Jemanden, der so vielen Menschen Gott nahe gebracht hat. Aber für Gott war es nicht das Ende, war es keine Sackgasse. Gott hat seine Herrlichkeit offenbar werden lassen in Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist.  Er gibt uns Sicherheit. Er ist das, was bleibt. An ihn können wir uns halten in allen Zeiten unseres Lebens –  in den sicheren und in den unsicheren.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer