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Gedanken zum Sonntag

16. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 2021

Klagelieder 3,22-26 und 31-32: Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. Denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschen.

Liebe Mitchristen!

Heute Morgen bin ich aufgestanden und habe gedacht: Was für ein wunderschöner Morgen. Die Sonne scheint, beinahe wie im Sommer. Und das, obwohl es schon September ist. Richtig spätsommerlich schön ist es jetzt. Fast wie eine kleine Entschädigung für den kalten und verregneten Sommer, den wir hatten. Und ich denke zurück an den Sommer, der jetzt hinter uns liegt. Ich denke an die Ferien und an den Urlaub. Ich denke an die wenigen Sonnentage, die wir in diesem Sommer doch auch hatten. Wo konnte ich diese schönen Tage genießen? Vielleicht war das irgendwo in der Ferne, an einem schönen Urlaubsort. Aber mit dem Verreisen war es ja immer noch schwierig, und so manche Planung musste ich wegen Corona wieder über den Haufen werfen. Also bleibe ich in meinen Gedanken hier auf dem Heuberg, wenn ich an den vergangenen Sommer zurückdenke. Ich denke an einen der wenigen richtig sommerlichen Tage hier, und ich bin draußen in der Natur. Pflanzen und Tiere gibt es hier zu sehen: Blumen, Schmetterlinge und Vögel. Ein Vogel ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Die Lerche. Ein kleiner und unauffälliger brauner Vogel ist das. So ist die Lerche gut getarnt und draußen in der Wacholderheide kaum zu erkennen. Ich erkenne die Lerche nur an ihrem Gesang – und vor allem erkenne ich die Lerche daran, wie sie singt. Die Lerche ist nicht wie die anderen Vögel, die irgendwo auf einem Baum sitzen und singen. Die Lerche sitzt ganz unten im Gras. Von dort unten vom Boden startet sie dann und fliegt los. Fast senkrecht steigt sie nach oben in den Himmel. Und dort ganz oben am Himmel sehe ich sie nur noch als einen winzigen Punkt. Da bleibt sie in der Luft stehen und zwitschert aus voller Kehle. Sie singt so laut, dass man sie über die ganze Wacholderheide hört.

Es ist schon etwas Besonderes, dass wir hier auf dem Heuberg immer wieder auch den Gesang der Lerche hören können. In Deutschland gehört sie inzwischen zu den bedrohten Arten, und in manchen Gegenden ist ihr Gesang schon ganz verstummt. Für unsere Großeltern war der fröhliche Gesang der Lerche noch ein täglicher Begleiter. Ihr lateinischer Name „Alauda“ wurde als „Lauda Deum“, Gott loben, gedeutet. Und ihr Zwitschern verstand der Volksmund als Beten. „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu.“ So heißt es in dem Bibeltext, den wir gerade gehört haben. Das klingt feierlich. Gottes Barmherzigkeit, das ist ein altes und feierliches Wort. Gott liebt uns. Gott ist immer für uns da, an jedem Tag, an jedem neuen Morgen. Das ist damit gemeint. Was ist da wirklich dran an Gottes Liebe und an Gottes Barmherzigkeit, von der wir hier in der Kirche immer reden? Hat das etwas mit mir zu tun? Kann ich das wirklich erleben und spüren in meinem Leben? Ja, Gottes Liebe und Barmherzigkeit kann ich erleben und spüren in meinem Leben – zum Beispiel an einem sonnigen Morgen wie heute, wenn wir zusammenkommen und Gottesdienst feiern. Dann spüre ich etwas von Gottes Liebe und Barmherzigkeit. Und dann mache ich es wie die Lerche, und ich fange an zu singen. Und auch wenn ich keine Flügel habe, die mich ganz nach oben in den Himmel tragen, mit meinem Herz bin ich dann doch dort oben – ganz nahe bei Gott.

So haben zu allen Zeiten die Menschen ihre Lieder gesungen für Gott. Die Melodien und die Rhythmen haben sich immer wieder verändert in all den Zeiten. Und das darf auch so sein. Nicht jeder mag dieselbe Musikrichtung. Nicht der Musikstil ist wichtig, sondern dass wir mit dem Herzen dabei sind. Schon in der Zeit der Bibel haben die Menschen solche Lieder gesungen für Gott. Die Melodien dieser Lieder kennen wir heute nicht mehr. Aber die Texte sind in der Bibel aufgeschrieben: „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu.“ Das ist so ein Liedtext aus der Bibel. Dieser Liedtext gehört in eine ganze Liedersammlung, die in der Bibel steht. Diese Liedersammlung hat die Überschrift: Klagelieder Jeremias.

Klagelieder. Davon könnten wir auch ein Lied singen. Von dem, was alles nicht so gut läuft. Angefangen von dem verregneten Sommer, von diesen Sommerferien, die wir uns anders vorgestellt hatte. Und jetzt im neuen Schuljahr zieht das Tempo wieder voll an. Und die Schülerinnen und Schüler fragen sich: Wie soll ich das bloß schaffen, die Lücken aufzuholen vom letzten Schuljahr, wo es wegen Corona kaum normalen Unterricht gab? Viel gibt es, was nicht so gut läuft. Freundschaften, die zerbrechen. Streit in der Familie, Mobbing und Zukunftsängste gibt es.

Der Prophet Jeremia hatte auch viel Grund zur Klage. Sein Volk Israel ist von Feinden überfallen worden. Diese Feinde hatten die Israeliten gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen. Jetzt lebten sie irgendwo in einem fremden Land, in der fremden Stadt Babylon und in Israel war alles vom Krieg zerstört. „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu.“ Dieses Lied dichtet der Prophet in dieser verzweifelten Lage. Es gibt eigentlich überhaupt keinen Anlass dafür, so ein fröhliches Lied zu dichten. Gottes Liebe und Barmherzigkeit sind nirgends zu erkennen in dieser dunklen Zeit, in der Jeremia damals lebt. Aber der Prophet dichtet ein Loblied. Und er fängt an zu singen. Und ich stelle mir vor: Während er singt, da spürt er etwas von Gottes Güte und Barmherzigkeit. Sein Herz hebt sich zum Himmel. Wie kann das sein? Es hat sich doch nichts geändert. Seine Lage und die seines Volkes ist immer noch genauso verzweifelt wie vorher.

Ich denke noch einmal an die Lerche, an diesen kleinen, unscheinbaren Vogel. Etwas Ungewöhnliches geschieht, wenn eine Lerche von einem Raubvogel angegriffen wird. Aufgrund ihrer fehlenden Flugkünste kann sie nur schwer den Angriffen ausweichen. Es geht um ihr Leben. Aber: Wenn sie angegriffen wird, hört sie nicht auf zu singen. Sie zwitschert und trillert aus Leibeskräften mitten in aller Bedrohung. Auch wenn ihr Leben auf dem Spiel steht. Mit ihrem Gesang zeigt sie ihrem Verfolger, welche Kraft sie hat: „Hör mal, Falke, ich singe. Ich habe noch so viel Kraft und Reserven, dass ich mir das leisten kann. Du wirst mich also niemals bekommen können.“ Die Lerche singt weiter. So wie der Prophet Jeremia, der sich nicht unterkriegen lässt in seiner schwierigen Situation. Er hält daran fest: Gott liebt mich. Gott ist immer für mich da, an jedem Tag, an jedem neuen Morgen. Davon singt Jeremia mit seinem Lied: „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu.“ Und dieses Lied gibt ihm Kraft und hilft ihm, sein Leben zu meistern, auch an den dunklen Tagen. Das wünsche ich uns allen.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

 

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Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis, 12. September 2021



Lukas 17, 5-6: Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer!, und er würde euch gehorsam sein.

Liebe Mitchristen!

Stellen Sie sich vor, das Unmögliche wäre auf einmal möglich. Da ist dieser große und tief verwurzelte Baum. Und ich sage: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer. Und es passiert so. Da sind tödliche Krankheiten und Pandemien. Und ich sage: Verschwindet für immer und kommt nie wieder. Und es passiert so. Da sind die leeren Hände der Hungernden mit ihren ausgemergelten Gesichtern. Und ich sage zu den leeren Händen: Füllt euch mit Essen im Überfluss. Und es passiert so. Zu den kaputten Beziehungen sage ich: Werdet wieder heil, und zu den begrabenen Hoffnungen: Steht wieder auf und seid lebendig! Und all das passiert. Schön wäre das. Viel zu schön, um wahr zu sein, sagen wir. 

Und dann wache ich also auf aus diesem schönen Traum und denken: „Was habe ich da nur für ein Zeug geträumt?“ Ich schüttle den Kopf über mich und meine Träume. Ich stehe auf und vergewissere mich: Hier ist die Wirklichkeit. Ich stehe mit beiden Beinen auf dem Boden, und der Boden unter meinen Füßen trägt mich. Die Uhr im Nebenzimmer tickt und geht richtig. Der Terminkalender zeigt mir, was heute zu tun ist, und auf dem Handy gehen die ersten Nachrichten ein. So mache ich mich an mein Tagwerk und wische den Traum weg, in dem alles Kopf stand. 

Aber manchmal ist es anders. Manchmal schaffe ich es, ein winziges Bisschen von diesem Traum in die Wirklichkeit hinüberzuretten –winzig klein, nicht größer als ein Senfkorn. Für einen winzigen Augenblick schaffe ich es, den Boden unter meinen Füßen auch mal loszulassen. Und meine Füße fangen an zu tanzen. Neue Wege öffnen sich. Für einen winzigen Augenblick schaffe ich es, das Ticken der Uhr auszublenden und mich von Terminkalender und Handy loszueisen. Und meine Gedanken werden frei. Neue Ideen keimen auf. Nur ein winzig kleiner Augenblick ist das, in dem der Vorhang sich öffnet und der Blick frei wird für ungeahnte Möglichkeiten. Nur ein ganz kurzer Moment, in dem die Stimmen in mir schweigen, die sonst immer sagen: „Das wird doch nie was. Da kann ja nicht funktionieren. Das ist doch absurd.“ Ein Moment, nicht größer als ein Senfkorn. Aber dieser winzige Augenblick kann ausreichen, um etwas zu verändern. Mein Leben kann sich ändern. Die Welt kann sich ändern. Das ist meine Überzeugung. Das ist mein Glaube. 

Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer!, und er würde euch gehorsam sein.“ Bei solchen Worten höre ich sie sofort wieder – meine inneren Stimmen, die mir sagen: „Das wird doch nie was. Da kann ja nicht funktionieren. Das ist doch absurd.“ Ja, es ist wirklich absurd, was Jesus da erzählt: Ein Maulbeerbaum, der sich ausreißt und ins Meer verpflanzt. Und dort im Meer kann er noch dazu gar nicht gedeihen. Ich stelle mir das bildlich vor, diesen fliegenden Maubeerbaum auf seinem Weg zum Meer. Dieses Bild hat etwas Surrealistisches. Ich muss an die Bilder von Salvador Dali denken. Dieser Maler hat zerlaufende Uhren gemalt oder Giraffen mit Schubladen im Hals. Traumbilder sind das, die Unbewusstes und Absurdes ins Bild setzen und so neue Perspektiven eröffnen. Nicht jeder kann mit solchen Bildern etwas anfangen. Erst recht gilt das für die Worte Jesu vom senfkornkleinen Glauben, der Bäume ausreißen und ins Meer verpflanzen kann. Was die Jünger wohl über diese Geschichte gedacht haben? „Stärke uns den Glauben!“ Das war ihre Bitte an Jesus. Und jetzt das! Ich stelle mir ihre ratlosen und enttäuschten Gesichter vor, während Jesus vom entwurzelten Maulbeerbaum und vom Meer redet. 

Und Jesus? Wie hat er diese Geschichte erzählt? Ich stelle mir vor, dass er sie nicht mit ernster Miene erzählt hat, sondern eher mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Ich stelle mri vor, dass Jesus sagen wollte: „Merkst du nicht die Komik, stell es dir doch vor: Ein Maulbeerbaum, der sich entwurzelt, über eine kopfschüttelnde Menschenmenge hinweg ins Meer fliegt, wo er sich neu einwurzelt.“ „Absurd!“, denken die Menschen. „Das darf doch nicht wahr sein! Worauf können wir dann noch bauen, wenn so etwas möglich ist? Wie können wir dann noch Boden unter den Füßen haben, auf dem wir stehen können?“ Das Surreale macht uns Angst. Es ist die Angst, keine Basis mehr zu haben, keine Fixpunkte im Leben – nichts, worauf man sich verlassen könnte. 

Vielleicht ist es ja das, was Jesus uns mit dieser Geschichte sagen will: Glaube ist genug da, auch bei euch, die ihr immer wieder zweifelt. Denn es braucht keinen ganz besonders großen oder starken Glauben. Vom Glauben braucht es nicht viel. Es reicht schon eine ganz geringe Menge – so viel wie ein Senfkorn. Denn der Glaube selber ist gar nicht das Problem. Das Problem ist, diesem Glauben zu trauen, sich wirklich auf diesen Glauben einzulassen. Und nicht immer wieder auf die inneren Stimmen reinzufallen, die sagen: „Das wird doch nie was. Da kann ja nicht funktionieren. Das ist doch absurd.“ Das sind die Stimmen der Angst und der Sorge, die unser Leben einengen und einschränken. Glauben aber bedeutet Vertrauen auf das, was wir nicht sehen und was über unsere bisherigen Erfahrungen hinausgeht. Nur in diesem Vertrauen können wir neue, unerwartete Erfahrungen machen. Auch, wenn uns diese neuen Wege zunächst einmal absurd erscheinen, weil sie unseren bisherigen Erfahrungen widersprechen. 
Glauben, das bedeutet: Dass wir es wagen müssen, dem Absurden zu trauen, das nur im Traum geschieht, von dem wir aufwachen und denken: „Das ist absurd!“

Glauben bedeutet also als Leben aus dem, was absurd erscheint. Aber nicht nur Glauben, sondern auch Handeln. Die Jünger sollen den Baum ja auffordern, das Absurde zu tun. Sollen leben mit Hoffnungen, die keinen Anhalt an der Wirklichkeit haben, die andere mit Kopfschütteln hören und sagen: „Was für ein Spinner!“ 

Dieser Glaube ist winzig klein und unscheinbar wie ein Senfkorn. Aber auch das Kleine kann Großes bewirken: Wie ein Sandkorn im Auge, das mich die Augen reiben lässt. Wie Sand im Getriebe dieser Welt. So ist die Frage, die der Glaube an uns stellt: Ist das, was wir für machbar, wirklich die ganze Wirklichkeit? Geht da nicht noch mehr? Kann es nicht sein, dass es doch geht: Dass Frieden möglich wäre und die Hungrigen satt werden können? Dass sich auch mein Leben zum Guten wendet?  Und was mir misslungen ist, ist vielleicht doch ein Teil der Geschichte Gottes, und was ich nicht verstehe, trotzdem sinnvoll? 

„Absurd!“ denkt etwas in mir und schon ist er weg, der Glaube, klein wie ein Senfkorn –ich muss meine to-Dos abarbeiten, und essen müssen wir und einkaufen. Ja, einkaufen und keine Angst haben vor der Pandemie und leeren Regalen, nicht den Wagen vollpacken – und ich müsste den Menschen glauben, die mir versichern, dass die Versorgung weitergeht und auch die Butter wieder da sein wird, die heute aus war. Und, dass jene, die lange schon auf den Zusammenbruch dieses Landes wetten und sich vorbereiten, nicht die Macht bekommen und das Leben meiner Enkel nicht bestimmen werden. 

Nur glauben: Dass der Traum wirklicher sein könnte als alle Sorgen. Der Maulbeerbaum, der bis zu 12 Meter hoch werden kann, durch die Luft fliegt und sich einwurzelt im salzigen Meer und gedeiht und ich leben kann in einer Welt ohne Grund unter den Füßen. Und die Angst wäre weg, die Menschen laut schreien lässt und manchmal aggressiv macht.

Und ich sehe ihn vor mir, Jesus, wie er lächelt über seine ratlosen Freunde, die einem Bild nachsinnen, das sie nicht verstehen. Und der ein bisschen traurig ist, dass sie immer noch so wenig ihre Wirklichkeit hinter sich lassen können, um das Absurde zu wagen in ihrem Denken und Tun. Und denkt an die Träumer: Nelson Mandela, der jahrelange Haft überlebt, ohne sich an seinen Richtern zu rächen. Und an Johann Hinrich Wichern oder Mutter Teresa, die den Kampf aufnehmen, hinschauen in die dunklen Ecken einer Gesellschaft, ohne Geld und ohne Wegweisung. Und die Menschen, die nach Afrika gehen, um gegen die Dürre Mittel zu suchen und Pflanzen pflanzen, wo nichts wachsen kann, und die Jugendlichen, die die Welt verändern wollen, die nicht veränderbar ist. Die alle nicht sagen: Das ist doch absurd, da kann man doch nichts machen, sondern hingehen und das Absurde zu denken wagen.
Und ich spüre sein Lächeln auch über mich, traurig, und doch liebevoll, weil er mir zutraut, dass auch ich das Absurde glauben und tun und leben kann.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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13. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis, 29. August 2021

1.Mose 4, 3-9: Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?

Liebe Mitchristen!

Haben Sie Geschwister? Ich selber komme aus einer großen Familie. Ich bin mit vier Geschwistern aufgewachsen. Wenn die Familie so groß ist, dann brauchen die Eltern Unterstützung, auch von den älteren Kindern. So war es auch bei uns zuhause. Als ältere Schwester war es immer wieder meine Aufgabe, dass ich meine jüngeren Geschwister hüte – vor allem meine kleine Schwester, die 12 Jahre jünger ist als ich. Vielleicht erinnern sich manche von Ihnen daran, dass das bei Ihnen in der Familie auch so war. Manchmal war das richtig gut für mich. Ich konnte mir Geschichten ausdenken für meine kleine Schwester: Märchen von Zwergen, die bei uns unter dem Dachboden wohnten. Und sie hat mir jedes Wort dieser Geschichten geglaubt. Das hat mir gefallen. Manchmal hat es mir aber auch nicht gefallen, auf sie aufpassen zu müssen. Da hätte ich als Jugendliche nachmittags auch gerne etwas Anderes gemacht, als mit meiner kleinen Schwester am Sandkasten zu sitzen. Und ich habe mich gefragt: Muss immer ich auf sie aufpassen? Kann das nicht mal jemand anderes machen? Und wer kümmert sich eigentlich um mich? Wer fragt danach, was ich brauche?

Jeder, der Geschwister hat, kennt solche Gefühle wahrscheinlich. Das Gefühl, dass es die Schwester oder der Bruder irgendwie besser hat als man selber: Der bekommt immer alles, und wo bleibe ich? Eltern versuchen ja immer, gerecht zu sein und ihre Kinder alle gleich zu behandeln und gleich gern zu haben. Aber dieses Gefühl stellt sich trotzdem oft ein, dass man neidisch ist auf die Geschwister, die es scheinbar irgendwie einfacher haben im Leben – ob zuhause bei den Eltern oder in anderen Lebensbereichen: Dem Bruder, dem fällt alles einfach so in den Schoß. Ich dagegen, ich muss mich richtig anstrengen und lernen, damit ich in der Schule halbwegs gute Noten schreibe. Aber der Bruder macht fast nichts für die Schule, trotzdem ist er ein hervorragender Schüler. Später im Leben ist das dann genauso: Da rackere ich mich ab. Ich gebe mir alle Mühe, damit ich beruflich wenigstens ein bisschen vorankomme. Aber der Bruder, der sahnt beruflich voll ab, und das ohne großen Aufwand.

Geschwistergeschichten –jeder der Geschwister hat, hat hier etwas zu erzählen. Auch die Bibel ist voll von Geschwistergeschichten, von Anfang an. Die erste Geschwistergeschichte ist die Geschichte von Kain und Abel. Eine richtig heftige Geschwistergeschichte, denn am Ende ist der Bruder tot. Dabei hatte alles so gut angefangen. Adam und Eva hatten sich so gefreut, als ihr Sohn Kain geboren wurde. Zum ersten Mal haben die Menschen dieses Wunder erleben dürfen, dass Gott ihnen ein Kind schenkt. Adam und Eva verstehen: Nur mit Gottes Hilfe ist das möglich. Dieses Kind ist ein Geschenk von Gott. Auch über ihren zweiten Sohn Abel freuen sie sich so wie über den ersten. Kain ist jetzt kein Einzelkind mehr. Er hat einen jüngeren Bruder. Zusammen wachsen sie als Geschwister auf. Ob Kain wohl öfters auf seinen kleinen Bruder aufpassen musste? „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ sagt er später. Ich stelle mir vor, Kain hat gedacht: Immer dieser Bruder, immer dieser Abel. Immer wird er bevorzugt, und ich muss ihn auch noch hüten.

Kain fühlt sich benachteiligt. Dabei haben sich seine Eltern so gefreut über seine Geburt. Und als er erwachsen ist, findet er einen Beruf, der zu ihm passt und von dem er leben kann. Kain wird ein Bauer, der die Felder bestellt, und sein Bruder Abel wird ein Hirte, der Schafherden hat. So hat jeder sein Auskommen, und sie könnten eigentlich beide glücklich und zufrieden sein. Dankbar feiern sie Gottesdienst und bringen Gott ein Opfer von dem, was er ihnen geschenkt hat: Kain von den Früchten seiner Felder, Abel von den Tieren seiner Herde. Wenn da nur nicht diese Konkurrenz wäre zwischen Kain und Abel. Sogar, wenn die beiden Brüder miteinander Gottesdienst feiern, steht die Frage im Raum: Wer von uns beiden steht hier besser da? Die Frage: Was gefällt Gott besser – die Früchte von meinem Feld, die ich bringe? Oder die Lämmer von deiner Herde, die du bringst? Kain stellt sich diese Frage. Und die Früchte von seinem Feld, die dort auf dem Opferaltar liegen, die kommen ihm auf einmal klein und mickrig vor im Vergleich zu diesen erstklassigen Lämmern, die sein Bruder von seiner Herde mitgebracht hat. So kommt Kain zu dem Ergebnis: Die Opfergaben, die mein Bruder in den Gottesdienst gebracht hat, gefallen Gott besser als das, was ich mitgebracht habe. Warum Kain zu diesem Ergebnis kommt, erfahren wir nicht. Aber wir erfahren, dass Kain sich auf einmal ganz sicher ist: Von mir und meinem Opfer will Gott nichts wissen. Gott sieht mich nicht einmal. Gott merkt wohl gar nicht, dass ich auch noch da bin und hier Gottesdienst feiere. Das kümmert Gott überhaupt nicht. Gott kümmert sich sowieso nur um meinen Bruder, der hier beim Gottesdienst mal wieder ganz groß rauskommt. So denkt Kain, und sein Blick geht zu Boden.

Aber Gott, von dem es kurz zuvor in der Bibel noch heißt, dass er Kains Opfer nicht ansieht – Gott kümmert sich um Kain. Gott redet mit Kain. Er sagt ihm: Pass auf. Du bist jetzt wütend. Pass auf, dass du nicht etwas tust, was du später bereust. Beherrsche dich. Und schau nicht zu Boden. Schau nach oben. Schau zu mir, zu deinem Gott. Das wird dir helfen. Aber Kain lässt sich nicht helfen. Sein Zorn hat ihn im Griff. Kain geht aufs Feld und tötet seinen Bruder Abel. Gott, der alles weiß und gesehen hat, fragt Kain: „Wo ist dein Bruder Abel?“ „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ antwortet Kain patzig. Die Strafe ist beinahe untragbar: „Verflucht seist du auf der Erde. Unstet und flüchtig sollst du sein.“ Kain bricht zusammen: „Meine Strafe ist zu schwer.“ Und dann: Gottes Barmherzigkeit sogar hier, wo der Brudermord ganz offensichtlich ist: „Wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden.“

„Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ fragt Kain, als es längst schon zu spät ist dafür. Ich denke an meine kleine Schwester, die ich gehütet habe, als ich eine Jugendliche war. Längst ist sie eine erwachsene Frau, die selber mitten im Leben steht. Vielleicht hat es ihr auch ein bisschen ins Leben geholfen, dass ich sie gehütet habe damals. Wir brauchen Menschen, die uns hüten, die in uns ihren Bruder oder ihre Schwester sehen. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Sollen wir die Hüter der Menschen in Afghanistan sein? Lange waren wir es, ja, vielleicht auch zu lange. Nun ging es zu schnell, dass wir dort nicht mehr Hüter sind – mit schrecklichen Folgen für die Menschen, die in diesem Land leben. Dafür stehen wir in der Verantwortung – für Menschen, die wir im Stich gelassen haben, ob dort in Afghanistan oder in unserem eigenen, persönlichen Umfeld. Hüter sollen wir füreinander sein, und im Anderen den Bruder oder die Schwester erkennen. Wenn wir das schaffen, dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juli 2021

Kolosser 3,15-17: Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Liebe Mitchristen!

Stellen Sie sich vor, Sie sind beim Gottesdienst im Grünen. Viele Menschen sind gekommen. Auch die Mitarbeiter der Kirchengemeinde sind da. Bei diesem Gottesdienst begegnen Sie Herrn Froh und Herrn Mies und hören das folgende Gespräch.

Herr Froh: Das ist ja klasse hier – ein Gottesdienst im Grünen, ganz im Freien in der Natur! Ich freue mich, dass wir heute miteinander feiern können. Und Musik ist auch da – schau mal die Bläser! Das hat ja richtig schön geklungen, vorher der Gesang. Da kriege ich gleich Lust zum Mitsingen! Singt Gott dankbar in euren Herzen, steht in der Bibel. Das will ich heute machen, aus vollem Herzen. Was für ein schöner Sonntagmorgen! Danke, lieber Gott!

Herr Mies: Oh, komm hör doch auf. Mit Mundschutz macht das Singen sowieso keinen Spaß. Scheiß Corona, das nimmt ja auch kein Ende. Und außerdem ist schlechtes Wetter heute. Und wir sind hier im Freien. Bestimmt fängt es gleich an zu regnen, und dann werden alle total nass. Dann ist aber ganz schnell Schluss mit lustig.

Herr Froh: Ach, das bisschen Regen. Wir sind doch nicht aus Zucker. Und vielleicht hält das Wetter sogar. Denk doch mal an die Menschen in den Hochwassergebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die haben alles verloren. Wir haben ein Dach über dem Kopf. Wir sind am Leben, und haben alles, was wir zum Leben brauchen. Ich bin dankbar. Ich freue mich, dass wir wieder singen dürfen. Auch wenn es mit Mundschutz ist.

Herr Mies: Ja, komisch, dass so viele da sind. Denen macht das wohl nichts aus, mit Mundschutz zu singen. Und in Teilnehmerlisten müssen die sich auch noch eintragen. Also, für mich wäre das nichts. Sag mal – weißt du, warum die hier heute alle gekommen sind bei dem schlechten Wetter? Was sind das denn für Leute?

Herr Froh: Ja, Wahnsinn, du hast Recht. Das sind richtig viele, die heute da sind. Du, ich weiß, was das für Leute sind: Das sind die Leute von der Evangelischen Kirchengemeinde Wehingen. Und auch die ganzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Kirchengemeinde.

Herr Mies: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das klingt ja echt nach Arbeit! O je, die Armen, das ist bestimmt anstrengend, was die alles machen. Wenn ich schon allein daran denke, dass jemand die ganzen Bierbänke hier hochgeschleppt haben muss. Und der Posaunenchor mit den vielen Proben, und die Technik mit den Lautsprechern – bis das alles klappt!

Herr Froh: Ja, super, dass diese Leute alle da sind und das machen! Und in noch viel mehr Bereichen sind die tätig in der Gemeinde: In der Verwaltung und Gemeindeleitung, im Kindergarten, im Besuchsdienst, und noch viel, viel mehr!

Herr Mies: Ist ja unglaublich, was die hier alles machen in der Gemeinde. Sogar einen Kindergarten haben die. Wusste ich gar nicht. Warum machen die das bloß alles.

Herr Froh: Das haben wir doch vorher in der Bibel gehört: Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit.

Herr Mies: Du, weißt du, ich denke, das ist mir alles zu hoch: Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen. Und Ermahnung, das klingt so streng. Mit der Schule bin ich auch schon lange fertig. Wozu brauche ich da noch jemanden, der mich lehrt? Auch wenn ich mit meiner Weisheit manchmal am Ende bin – ich will mir nicht von anderen was vorschreiben lassen.

Herr Froh: Aber darum geht es doch gar nicht, dass dir andere was vorschreiben wollen. Alle zusammen sollen wir das machen und uns gegenseitig unterstützen. Ich jedenfalls kann immer mal einen guten Rat gebrauchen, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Da bin ich wirklich von Herzen dankbar.

Herr Mies: Ja, danke von Herzen! Das soll hier wohl das Thema sein. Aber ich weiß nicht. Ich denke doch, dass die hier auch nicht immer nur dankbar sind. Bestimmt sind die auch mal frustriert, und es gibt Meinungsverschiedenheiten.

Herr Froh: Ja, klar, da hast du bestimmt Recht. Aber das gehört doch auch dazu zum Leben. Deswegen heißt es in dem Bibeltext ja: Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.

Herr Mies: Du, weißt Du, ich kann diese Bibelsprache nicht so gut verstehen. Was heißt das nun schon wieder: In einem Leibe?

Herr Froh: Das heißt, dass wir alle zu Jesus gehören. Jesus verbindet uns alle zu einer Gemeinde. Jeder hat seine Aufgabe in der Gemeinde. Wie die einzelnen Körperteile an einem Körper verschiedene Aufgaben haben. Aber es ist ein Körper, ein Leib.

Herr Mies: Schöne Idee. Aber wie gesagt: Ich denke, dass es bestimmt trotzdem auch mal Meinungsverschiedenheiten gibt.

Herr Froh: Ja, genau, das wollte ich ja vorher sagen: Deswegen steht in dem Bibeltext ja: Der Friede Christi. Jesus Christus hilft uns, dass wir uns trotz verschiedener Meinungen zuhören und verstehen. Dann können wir eine gemeinsame Lösung für unser Problem finden.

Herr Mies: Das überzeugt mich schon eher. Solche Leute hätte ich gerne auch um mich. Die nicht gleich sagen: So muss es sein, sondern die miteinander reden und dann einen Weg finden, wie es gehen kann. Nicht schlecht, nicht schlecht. Aber du, sag mal: Was machen die eigentlich die ganze Zeit in ihrer Gemeinde? Es hört sich jetzt ja gerade so an, als würden die da die ganze Zeit nur reden und reden und reden! Worte sind ja schön und gut. Aber ich finde, manchmal müssen doch auch Taten her.

Herr Froh: Ja, aber auf jeden Fall! Da hast du total Recht. Und das machen die hier ja auch. Die stellen hier echt was auf die Beine. Die können auch anpacken. Damit es nicht nur bei Worten bleibt. Damit dann auch Taten folgen. Da gibt es wirklich auch richtig tatkräftige Leute hier, die mit anpacken, wo es nötig ist. Gott sei Dank ist das so. Denn so soll es ja sein. Wie es in unserem Bibeltext heißt: Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott dem Vater durch ihn.

Herr Mies: Mit Werken, also auch mit Taten. Du, ich überleg mir das nochmal. Vielleicht ist der Tag heute doch nicht so schlecht, und dieser Gottesdienst und der Zusammenhalt in der Gemeinde, da kriege ich jetzt auch Lust darauf. Gott sei Dank!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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7. Sonntag nach Trinitatis

1. Kön 17, 2-16: Danach kam das Wort des Herrn zu Elija: »Geh weg von hier in Richtung Osten! Versteck dich am Bach Kerit, der in den Jordan fließt! Aus dem Bach kannst du trinken. Den Raben habe ich befohlen, dich dort zu versorgen.« Da ging er los und tat, was der Herr befohlen hatte. Morgens und abends brachten Raben ihm Brot und Fleisch. Aber nach einiger Zeit trocknete der Bach aus, denn es gab keinen Regen im Land. Da kam das Wort des Herrn zu Elija: »Auf, geh nach Sarepta, das bei Sidon liegt! Denn ich habe einer Witwe befohlen, dich dort zu versorgen.« Da machte sich Elija nach Sarepta auf. Als er an das Stadttor kam, war dort eine Witwe, die Holz auflas. Elija sprach sie an und sagte: »Hol mir doch bitte einen kleinen Krug mit Wasser.« Als sie wegging, um es zu holen, rief er ihr nach: »Bring mir doch bitte auch ein Stück Brot mit.« Da antwortete sie: »So gewiss der Herr, dein Gott, lebt! Ich habe überhaupt keine Vorräte mehr. Nur noch eine Handvoll Mehl ist im Krug und etwas Öl in der Kanne. Ich wollte gerade ein paar Hölzchen sammeln, wieder heimgehen und etwas aus den Resten backen. Mein Sohn und ich wollten noch einmal etwas essen und danach sterben.« Da sprach Elija: »Fürchte dich nicht! Geh nur und tu, was du gesagt hast. Aber mach zuerst für mich ein kleines Brot und bring es zu mir heraus. Danach kannst du für dich und deinem Sohn etwas backen. Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehlkrug wird nicht leer werden, und die Ölkanne wird nicht versiegen. Das wird so bleiben bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen schenkt und es auf den Ackerboden regnen wird.« Sie ging los und tat, was Elija gesagt hatte. Und tatsächlich hatten sie alle drei zu essen: Elija, die Frau und ihr Sohn, Tag für Tag. Der Mehlkrug wurde nicht leer und die Ölkanne versiegte nicht.

Liebe Mitchristen!

Es ist schön, dass wir im Gottesdienst wieder miteinander singen können. Es tut einfach gut. Mit unseren Liedern loben wir Gott und danken ihm für alles Gute, das Gott uns schenkt. So wie es Paul Gerhard in dem Lied „Ich singe dir mit Herz und Mund“ auf den Punkt bringt: Gott schützt uns, Gott wärmt uns. Gott sorgt dafür, dass wir zu Essen haben und in Frieden leben können. Wir haben alles, was wir zum Leben brauchen – Gott sei Dank! Und wie wenig selbstverständlich ist das alles.

Ich denke an die Menschen in den Hochwassergebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Es erschreckt mich, wie viele Menschen ihr Leben verloren haben. Und wie viele Menschen nur ihr nacktes Leben retten konnten, und jetzt buchstäblich vor dem Nichts stehen. Der Klimawandel und seine dramatischen Folgen stehen mir da auf einen Schlag ganz drastisch vor Augen – und auch die Aufgabe, die wir haben: Gott hat uns diese Erde anvertraut. Dass sie bewohnbar bleibt, auch für unsere Kinder und Enkel, dafür braucht es unseren vollen Einsatz.

Unsere Erde ist zerbrechlich und braucht unseren Schutz. Auch unser Leben ist zerbrechlich. Manchmal geht es einfach nicht mehr weiter ohne Hilfe von außen. So wie die Menschen in den Hochwassergebieten es jetzt erleben müssen. Ein Mann sitzt auf seinem Autodach, sein Auto ist fast schon in den ungeheuren Wasserfluten verschwunden. Da kommt das Boot der Feuerwehr und rettet ihn – gerade noch rechtzeitig. Ohne Hilfe von außen hätte dieser Mann sein Leben verloren.

Auch der Prophet Elia hat das am eigenen Leib erlebt: Ohne Hilfe von außen geht es einfach nicht mehr weiter, habe ich keine Überlebenschance. Die Katastrophe, die dieser biblische Prophet erleben musste, war eine große Dürre. Alles ist vertrocknet auf den Feldern, und es gab nichts mehr zu essen. Elia bekommt Hilfe von in dieser lebensbedrohlichen Situation. Gott schickt ihm Hilfe. Elia erlebt: Auch diese Hilfe, die Gott schickt, ist zerbrechlich. Gott schickt ihm Raben, die ihn mit Essen versorgen. Raben sind eigentlich keine besonders zuverlässigen Essenslieferanten, und auch keine besonders appetitlichen: Schmutzige, schwarze Vögel, die auch Aas fressen. Aber die Versorgung funktioniert – zumindest eine Zeitlang. Denn die große Dürrekatastrophe lässt sich nicht aufhalten. Der Wassermangel wird immer größer. Auch der Bach, aus dem Elia trinkt, vertrocknet nach einer Zeit.

Gott muss sich etwas Anderes ausdenken, damit Elia nicht verhungert und verdurstet. Gott schickt seinen Propheten weiter. 5 Tagereisen weit entfernt ist seine nächste Station, in einem fremden Land. Und ausgerechnet zu einer Witwe soll Elia da gehen. Eine Witwe – die hatte doch selber nichts. Es gab ja keine soziale Absicherung damals. Und noch dazu hatte diese Witwe noch einen Sohn zu versorgen. Die Hilfe, die Gott schickt, ist zerbrechlich. Es hätte auch schiefgehen können. Die Witwe hätte auch Nein sagen können. Und der weite Weg vom vertrockneten Bach bis nach Sarepta war eigentlich kaum zu schaffen.

Elia hat den Weg geschafft, und die Witwe hat nicht Nein gesagt. Die Witwe war mutig. Sie hat diesem ausländischen Propheten ihren letzten Bissen Brot gegeben. Dabei redet dieser fremde Mann, als ob er vor Hunger schon verrückt geworden wäre. Er sagt der Witwe: Wenn du mir aus deinen letzten Vorräten ein Brot bäckst, dann wird danach immer noch genug zu Essen da sein für deinen Sohn und dich. Das klingt wenig überzeugend, wenn das ein dahergelaufenener Fremder zu einem sagt. War es der Mut der Verzweiflung, dass die Witwe dem Propheten zu Essen gegeben hat? Vielleicht hat er ja Recht, könnte sie gedacht haben. Einen Versuch ist es jedenfalls wert. Was habe ich schon zu verlieren. Ob mein Sohn und ich schon heute nichts mehr zu Essen haben oder erst morgen – was ändert das noch an unserem Schicksal? Jedenfalls hat die Witwe es gewagt. Sie hat Elia vertraut und hat ihn versorgt. Sie hat es erleben dürfen: Das Essen reicht für uns alle. Wir müssen nicht verhungern. Ein Wunder, etwas Unerklärliches ist geschehen. Ein Grund zur Freude und zum Dank. Vielleicht hat sie auch ein fröhliches Lied angestimmt, so wie das Lied „Ich singe dir mit Herz und Mund“?

Paul Gerhard hat dieses fröhliche Lied gedichtet. Ein Danklied an Gott, der uns gibt, was wir zum Leben brauchen. Man könnte meinen, das Lied stammt aus guten und sicheren Zeiten, wo die Menschen und auch dieser Liederdichter gut versorgt waren und das alles immer so erleben konnten, wie es in dem Lied besungen wird: Dass Gott den Menschen Schutz und Wärme gibt. Dass Gott für die Menschen sorgt, so dass sie genug zu Essen haben und in Frieden leben können. Aber so einfach und unbeschwert war das Leben nicht – damals in der Zeit, in der Paul Gerhardt lebte.

Paul Gerhardt musste selbst so viel Elend erleben, schon allein bis zum Jahr 1653, als er das Lied „Ich singe dir mit Herz und Mund“ schrieb. Die Eltern hat er früh verloren, die Pest und den Krieg hat er gesehen – grausam und unerbittlich. Er hatte erleben müssen, wie täglich tausende Menschen an Hunger sterben. Die grausamen Bilder des Dreißigjährigen Krieges und des schwarzen Todes standen ihm immer vor Augen. Auch in seiner eigenen Familie hat er schon viele seiner Lieben verloren. Und in seiner Arbeit als Pfarrer erlebt er noch viel mehr Not und Elend bei den Menschen in seiner Gemeinde.

Ausgerechnet dieser Pfarrer, der so viel Schweres erleben musste, wird zum Liederdichter – und seine Liedtexte rühren bis heute unser Herz an, so dass wir diese Lieder bis heute gerne und aus vollem Herzen singen: Ich singe dir mit Herz und Mund. Paul Gerhardt erinnert uns an das, was wirklich trägt im Leben: Gott, die ewige Quelle, der Brunnen der Gnade. Mit diesem Gottvertrauen dürfen wir durch unser Leben gehen, gerade auch in schwierigen Zeiten. Auch, wenn wir nicht wissen, was morgen kommt. Auch, wenn die Klimaveränderung, deren katastrophale Folgen wir jetzt spüren, uns Angst macht. Auch wenn die lange Corona-Zeit, in der so wenig an menschlichen Begegnungen möglich war, bei uns ihre Spuren hinterlassen hat. Wir dürfen auf Gott vertrauen. So wie die Witwe in der biblischen Geschichte, die selber nicht einmal das Lebensnotwendige hatte, und doch auf die Worte des Propheten Elia vertrauen konnte. So wie Paul Gerhardt in seinem Lied dichtet: „Du füllst des Lebens Mangel aus mit dem, was ewig steht, und führst uns in des Himmels Haus, wenn uns die Erd entgeht.“ Wir dürfen auf Gott vertrauen – auch und gerade in schwierigen Zeiten. Auch und gerade, wenn wir uns Sorgen machen, wenn das, was wir zum Leben brauchen, nicht einfach selbstverständlich da ist. Und wenn wir dieses Gottvertrauen haben, dann öffnet sich unser Herz. Dann können wir das, was wir haben, auch noch mit anderen teilen, und es reicht für uns alle.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

 

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Gedanken zum Sonntag

6. Sonntag nach Trinitatis

Predigt vom 6. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. M. Arnold)

Liebe Gemeinde,

alle Gemeinden haben eines gemeinsam: Sie sind Gemeinde! Und in jeder Gemeinde gibt es Dinge, die gut laufen und Dinge, die völlig daneben gehen.

Und immer wieder geht es um die großen Fragen: Wie geht es weiter? Wofür werden in der Gemeinde Herzblut, Zeit, Geld und Gaben investiert? Wo Schwerpunkte gesetzt? Welche Menschen können wir gewinnen? Wie kann Leidenschaft und Freude für das entstehen, was wir zusammen tun? Warum tun wir, was wir tun?

Genau darum soll es heute gehen: Warum tun wir, was wir tun? Warum tun wir es in den guten und schlechten Tagen? Warum werden wir es in Zukunft tun – mit aller Leidenschaft und Freude?

Ich lese Ihnen vor, was Jesus im Sinn hatte, als er so etwas wie Gemeinde ins Leben gerufen hat, was er nach Ostern und vor seinem Abschied von seinen Freunden zu ihnen sagt – das ist der Predigttext für heute (Mt 28,18f):

Die elf Jünger gingen nach Galiläa. Sie stiegen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Aber einige hatten auch Zweifel. Jesus kam zu ihnen und sagte: „Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde! Geht nun hin zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngerinnen und Jüngern: Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe. Und seht doch: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt!“ (BasisBibel)

Das Wort „Jünger“, auf Griechisch mathetäs, das heißt so viel wie „Schüler“ oder „Lehrling“ und kommt 269 mal im Neuen Testament vor. Das Neue Testament ist ein Buch von Jüngern über das Leben von Jüngern. Geschrieben für Jünger und für solche, die es werden sollen und wollen. Und der Auftrag an die Zwölf lautet: „Macht zu Jüngern!“ – oder anders formuliert: „Helft Menschen, Jünger zu werden. Geht auf Menschen zu und erzählt ihnen vom Leben als Jünger. Tut alles, damit Menschen Lust darauf bekommen, Jünger zu werden. Gewinnt möglichst viele für ein Leben als Jünger!“ Am Anfang des Evangeliums sagt Jesus zu einer guten Handvoll Menschen: „Werdet meine Jünger, folgt mir nach!“ Und am Ende des Evangeliums sagt Jesus zu diesem kleinen Kreis von Menschen: „Zieht die Kreise immer wieder! Alle sollen werden können, was ihr seid: Jünger!

 

Lebendige und erfolgreiche Unternehmungen auf dieser Welt haben ein WARUM – und weil sie ein WARUM haben, haben sie ein WAS und ein WIE. Es geht niemals andersrum! Apple ist heute nicht eine der erfolgreichsten Firmen weltweit, weil Steve Jobs gesagt hat: Wir machen Computer und andere Geräte – und wir machen das so und so. Nein: Apple ist erfolgreich, weil Steve Jobs eine Vision hatte! Die Vision, dass Menschen auf der ganzen Welt miteinander verbunden sein sollen, dass alle überall Zugang zu Informationen, zu Bildung und zu Unterhaltung haben sollen – und das alles möglichst einfach! Er hatte ein WARUM, und deshalb ein WAS und ein WIE! Wenn wir nur ein WAS haben, wenn wir sagen: „Wir machen da so Veranstaltungen in der Kirche und wir bieten was für Kinder an und organisieren manchmal nebenher noch Aktionen„, wird uns die Luft wegbleiben und Freude und Leidenschaft werden schrumpfen. Warum sollten wir das tun – ohne ein WARUM?

Unser WARUM heißt: Wir wollen lebendige, mündige Nachfolger von Jesus sein, Jüngerinnen und Jünger – und wir wollen andere gewinnen, dass sie auch Jüngerinnen und Jünger werden. WARUM? Weil es das Beste ist, was Menschen auf dieser Welt angeboten wird. WARUM? Weil es stimmt, was ein großer Prediger einmal gesagt hat: „Es gibt kein Problem im menschlichen Leben, das in der Schule von Jesus nicht gelöst werden könnte.“ Furcht, Gier, Rassismus, Hunger, Gewalt, Einsamkeit, Schuld, Tod, Leiden. Das schließt sogar die Vergebung meiner Schuld, die Versöhnung nach langem Streit, die Befreiung von Abhängigkeiten, den Mut zu neuen Schritten und die Hoffnung über den Tod hinaus ein.

 

Wie lebt ein Jünger? Ich habe versucht, ein paar Merkmale eines Jüngers herauszufinden. Herausgekommen sind fünf Dinge:

1) Ein Jünger lernt bei Jesus, wie das Leben funktioniert! Dadurch verändert sich sein Leben. In der Bergpredigt steht eine ganze Menge darüber, wie „Leben“ geht: ohne Sorge, ohne Hass und Arroganz, mit offenem Herzen und großzügiger Hand für Arme, mit natürlicher Frömmigkeit. Ein Jünger lernt bei Jesus, wie das Leben funktioniert.

2) Ein Jünger wird deshalb Jesus mehr lieben als jeden und alles andere! Je tiefer wir verstehen, was für ein Vorrecht es ist, mit Jesus unterwegs zu sein, desto tiefer wird unsere Liebe zu Jesus. Dann ordnen sich alle anderen Beziehungen dahinter ein. Und es tut gut – es tut gut, wenn nicht meine Ehepartnerin oder mein Freund mein Herr und Heiland sein muss. Es tut gut, wenn mein Geld nur ein Mittel ist und Jesus den Umgang mit dem Geld steuert.

3) Ein Jünger wird sich von Jesus an die Arbeit stellen lassen. Jesus hat seine Jünger eine ganze Weile zuhören und zuschauen lassen. Und dann hat er gesagt: „Jetzt seid ihr dran! Jetzt dürft ihr meine Arbeit in eurer kleinen Welt tun. Heilen und vergeben, trösten und herausfordern, mahnen und erklären. Jetzt seid ihr dran.“ Dann können wir spüren, wie unser Leben reich wird, wenn unser Leben seinem WARUM dient!

4) Ein Jünger ist nicht allein! Ein Jünger hat immer andere – und zwar ganz bestimmte andere, mit denen er zusammen Jünger ist. Jesus hat seine Jünger auch als Gemeinschaft geformt, die Menschen in seiner Gruppe hätten sonst nie zusammengefunden. Sie waren füreinander nicht nur Freunde, sondern eine Zumutung und eine Herausforderung! Aber Jesus will das so: dass wir verlässliche Weggefährten in der Gemeinde der Jünger werden.

5) Einen Jünger lässt Jesus nicht im Stich. Als ich die Geschichte Jesu für diese Predigt noch einmal durchgelesen habe, habe ich so manches Mal den Kopf geschüttelt. Die Jünger bekommen es nicht geregelt, sind völlig schief gewickelt, enttäuschen Jesus, lassen ihn im Stich, sind mir ihren eigenen Projekten beschäftigt, verstehen ihn falsch – und Jesus wirft sie trotzdem nicht raus! Noch am Ende und allem, was sie erlebt haben: „etliche zweifelten!“ Was für eine Gruppe! Und Jesus entlässt sie nicht. Er hält zu ihnen, er bleibt den Treulosen treu. Er fängt wieder von vorne mit ihnen an. Er kann nicht anders – und er will nicht anders. Und davon leben Jünger! Es geht hier nie um die Kraft und Kompetenz der JÜNGER, es geht immer um die Kraft und Kompetenz von JESUS! Und der gibt am Ende ein Versprechen ab: „Ich bin bei euch – immer und überall, und bis zum Ende!

 

Darum geht es in der Gemeinde: Um dieses Bekenntnis im Leben. Ein Jünger ist der, der es als höchstes Ziel hat, sein Leben so zu leben, wie Jesus es leben würde. Darum geht es! Unser WARUM ist die Erkundung von so einem Leben: an der Hand von Jesus leben lernen. Und unser WARUM ist die Einladung an Menschen, die uns etwas bedeuten: Komm und lerne mit mir an der Hand von Jesus zu leben.

Das Handwerk, das der Lehrling hier lernt, ist das Leben. Die Schule, in die wir als Schüler von Jesus gehen, ist das Leben, wie es gelingen kann. Und es gibt kein irdisches Problem, dass in der Schule von Jesus nicht gelöst werden kann. Wir bitten Jesus, dass wir bei ihm sein dürfen um von ihm zu lernen, wie er zu leben. Das gilt bei allem, was wir tun! Wie kann ich mit Jesus Schüler sein? Oder Mutter oder Vater? Wie kann ich mit Jesus studieren oder arbeiten? Wie kann ich mit Jesus treu und verbindlich leben? Was würde er tun, wenn er an meiner Stelle ist? Und was möchte er tun, weil er ja mit mir an meiner Stelle ist?

 

Jeder Mensch wird Jünger von irgendjemand. Irgendwem folgen wir immer. Es ist nur die Frage, WEM wir folgen, nicht OB wir folgen. Und es ist die Frage, ob der, dem wir folgen, guttut, aufbaut, entfaltet, zum Blühen bringt, durch Täler führt, im Versagen aufrichtet und durch den Tod hindurch rettet. Das ist die Frage – und bei Jesus ist sie beantwortet. Deshalb gibt es nichts Größeres, als sich in der Schule von Jesus anzumelden, die Lehre des Lebens bei ihm zu beginnen und sein Jünger zu werden. Unser WARUM ist es, diese Möglichkeit möglichst niemandem vorzuenthalten. Wir können bei denen beginnen, die direkt um uns herum sind. Was Gemeinde veranstaltet, ist Mittel zum Zweck – pures Mittel und niemals der Zweck. So schön eine Jungschar, eine Posaunenchorprobe oder ein Gottesdienst sein kann – das ist nur das WAS und das WIE, es ist nicht das WARUM. Aber es ist als Wie und Was unsere Hingabe und unseren Einsatz wert!

Und dass wir uns und unser WARUM nicht loslassen. Jesus erinnert uns, dass es unser Auftrag ist, neue Jüngerinnen und Jünger zu finden und er fragt heute: „Willst du dich senden lassen? Willst du dich auf den Weg machen?“ Und es ist die Frage an jeden, ob wir antworten: „Hier bin ich, sende mich!

Amen.

 

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Gedanken zum Sonntag

5. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis, 4. Juli 2021

1. Korinther 1,18-25: Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): „Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.“ Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

 

Liebe Mitchristen!

Was gibt mir Orientierung im Leben? Wie schaffe ich es, die richtigen Entscheidungen zu treffen für mich? Das Leben liegt vor mir wie eine weite Landschaft, die von einem Ende des Horizonts bis zum anderen reicht oder wie ein großes und weites Meer. Wo finde ich da einen Orientierungspunkt, um meinen Weg zu finden? In der Landschaft gibt es solche Orientierungspunkte oft: Da gibt es die Berge, die ich kenne, oder die Türme der nächsten Stadt. Wenn ich diese Orientierungspunkte sehe, dann weiß ich, in welche Richtung ich weitergehen muss.

Auch für mein Leben brauche ich solche Orientierungspunkte, damit ich meinen Weg durchs Leben finde und mich nicht verirre.  Ich brauche so etwas wie einen Berg oder wie einen Turm, der aus der Landschaft herausragt. Etwas Festes und zugleich Vertrautes. Etwas, das meinem Leben Richtung und Halt gibt. Gottes Kraft ist für mich ein solcher Orientierungspunkt – die Kraft von Gottes Liebe, die Gott ins Leben und in diese Welt hineinlegt. Ich kann sie nicht sehen wie den Berg oder den Turm in der Ferne. Aber ich kann sie spüren. Auf diese Gotteskraft zu vertrauen, das gibt mir Halt für mein Leben. Ich weiß, ich bin nicht allein, wenn ich meine Entscheidungen treffe. Da ist jemand für mich da – Jesus Christus. Und auch wenn ich mal falsch liege mit meinen Entscheidungen, macht er mich deswegen nicht fertig. Er verzeiht mir und gibt mir neuen Lebensmut. Denn er ist am Kreuz für mich gestorben.

Für viele Menschen auf der ganzen Welt ist Jesus Christus dieser Orientierungspunkt in ihrem Leben. Aber immer wieder begegnen uns auch Menschen, die sagen: Das ist alles Unsinn. Wenn da einer am Kreuz gestorben ist, elend und schwach – wie soll ausgerechnet durch ihn Gottes Kraft bei mir ankommen? Menschen, die so fragen, gibt es nicht erst heute in unserer Zeit. Es gab sie schon von Anfang an, schon in den ersten Jahren der Christenheit. Der Apostel Paulus erzählt davon in unserem Predigttext. Er kennt Menschen, die sagen: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit.“ Ich finde es wichtig, dass wir diese Frage ernst nehmen. Vielleicht geht es uns ja manchmal auch selber so, dass unser Glaube an Gott nicht mehr so fest steht wie der Turm in der Ferne oder so unverrückbar wie der Berg am Horizont. Viele Gründe kann es dafür geben. Manchmal sind es schwere Zeiten im Leben, die uns an Gott zweifeln lassen. Oder es passiert einfach, weil wir älter und erwachsener werden, dass sich auch unser Glaube an Gott dadurch verändert und ins Wanken gerät. So wie das Leben Höhen und Tiefen hat, so ist es auch mit dem Glauben.

ich möchte dazu einladen, dranzubleiben am Glauben und nicht aufzuhören nach Gott zu fragen. Denn wir alle brauchen einen Orientierungspunkt, um unseren Weg durchs Leben zu finden. Gottes Kraft, die mich durchs Leben trägt, kann ich nicht sehen. Aber ich sehe die Menschen, die mit dieser Gotteskraft durch ihr Leben gehen – vom Anfang der Christenheit bis in unsere Zeit. Ich denke an den Apostel Paulus, der die Geschichte mit Jesus anfangs selber für Unsinn gehalten hat. Er hat die Christen verfolgt. Aber dann hat er die Kraft von Jesus am eigenen Leib erfahren.  Der Apostel Paulus hat Jesus nicht als lebenden Menschen gekannt. Aber er ist dieser Kraft, ist Jesus begegnet – in einer Vision. Das hat sein Leben verändert und neu ausgerichtet. Das hat ihm seinen Weg gezeigt.

Es tut mir gut, wenn ich von solchen Menschen weiß, die aus der Kraft von Jesus leben – damals wie heute. Ich kann mich orientieren an dem Vertrauen von Glaubenden neben und vor mir. Das hilft mir, wenn ich selber in meinem Leben den Orientierungspunkt nicht mehr finde. In der Gemeinschaft der Glaubenden finde ich neue Kraft. Und Jesus Christus hat es uns versprochen: Ich bin immer bei euch, wenn ihr in meinem Namen zusammenkommt. Für mich ist das kein Unsinn. Auch wenn ich es nicht sehen kann, dass Jesus Christus da ist, wenn wir zusammenkommen und Gottesdienst feiern. Aber spüren kann ich es: Jesus Christus ist da. Ich spüre das vor allem auch im Abendmahl. Auch wenn es nur ein Bissen Brot ist und ein Schluck Traubensaft. Da steckt die ganze Geschichte drin von Jesus. Die Geschichte von seiner bedingungslosen Liebe zu uns Menschen: Liebe, die stärker ist als alle menschliche Brutalität. Liebe, die stärker ist als der Tod. Und wenn wir im Abendmahl miteinander Gemeinschaft haben, dann wird diese Geschichte lebendig – hier, jetzt und heute. Dann leben wir diese Liebe, die Jesus uns vorgelebt hat, und er ist mittendrin. Und alles, was uns voneinander trennt, aller Streit und alle Verbitterung – das alles hat dann keinen Platz mehr. Gottes Kraft wird spürbar, auch für mich. Nehmen wir diese Erfahrung mit als Orientierungspunkt für unser Leben: Gottes Kraft begleitet mich und gibt meinem Leben Richtung und Halt.

Amen. 

 

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 27.06.21

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, 27. Juni 2021

1. Mose 50, 15-21: Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.  Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Liebe Mitchristen!

Mögen Sie Regenbögen? Ich habe letzte Woche einen wunderschönen Regenbogen gesehen. Ich war mit dem Auto unterwegs, auf der Rückfahrt von Tuttlingen. Es war schon Abend. Das Wetter war unbeständig, mal Sonne, mal Wolken. Auf einmal war da dieser großartige, doppelte Regenbogen über dem Donautal – von einem Ende des Horizonts bis zum anderen. Der Anblick hat mich fasziniert. Ich fahre mein Auto in eine Parkbucht und steige aus, um diesen Augenblick auf mich wirken zu lassen. Es ist wunderschön hier.

Regenbogenfarben, so stelle ich mir das Kleid vor, das Josef als Siebzehnjähriger von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Josefs Brüder konnten diesen Anblick nicht ertragen. Josef wird ihnen unerträglich, sie wollen ihn loswerden. Auch sein Tod wäre ihnen recht. Schließlich werfen sie ihn in ein tiefes Brunnenloch und verkaufen ihn in die Sklaverei. Ein Sklave in einem bunten Kleid. In Ägypten macht er Karriere. Durch sein kluges Management verhindert er eine Hungersnot und kann sogar noch Getreide verkaufen an die Hungernden aus den Nachbarländern. Auch Josefs Brüder kommen zu ihm nach Ägypten zum Getreidekauf. Die Brüder versöhnen sich. Sie ziehen alle nach Ägypten, wo es genug Weide gibt für ihr Vieh und sie nicht mehr hungern müssen. Auch ihr alter Vater Jakob kommt mit.

Jakob, der seinem Sohn Josef damals dieses besondere Kleid geschenkt hatte. Ein buntes Kleid, so steht es in unseren Bibelübersetzungen. An anderer Stelle in der Bibel, in 2. Samuel 13,18, ist genauer erklärt, was dieses hebräische Wort bezeichnet: Solche Kleider trugen die Töchter des Königs, solange sie Jungfrauen waren. Josef trägt auch so ein Kleid. Ein Kleid, wie es die Prinzessinnen anhaben, nicht die Prinzen. Das ist Josefs Lieblingskleidungsstück. Josef passt nicht in das übliche Schema, wie man sich einen Mann oder eine Frau vorstellt. Zu allen Zeiten gab es solche Menschen. Heute verwenden diese Menschen den Regenbogen als Symbol. Ich denke wieder an den wunderschönen Regenbogen über dem Donautal, den ich gesehen habe. Man kann in diesen Farben auch Fußballstadien illuminieren, jetzt bei der Europameisterschaft. Bei der Allianz-Arena in München hat die UEFA das verboten. Wie gehen wir heute um mit Menschen, die nicht in das übliche Schema passen, wie wir uns einen Mann oder eine Frau vorstellen? Ein schwieriges Thema, gerade auch für uns in der Kirche. Sicherlich sind wir da nicht alle einer Meinung. Und sicherlich sind da auch Ängste da.

Auch Josefs Brüder hatten Ängste. Ihr Vater Jakob hatte die Familie zusammengehalten. Aber nun war er gestorben. Wie würde es nun weitergehen? Würde Joseph sich rächen für das, was sie ihm damals angetan hatten wegen seinem bunten Kleid? Schließlich saß Joseph jetzt am längeren Hebel, als Vertrauter des Pharaos.

Die Angst der Brüder ist so groß, dass Joseph gar nicht unter die Augen treten können. Sie schicken jemand anderes und lassen Joseph ausrichten, was sie ihm sagen wollen: „Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Joseph sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben.“ So groß ist die Angst. Sie können Josef nicht einmal von sich aus bitten: Verzeih uns doch! Sie schaffen das nur, indem sie sich auf ihren verstorbenen Vater berufen: Er hat doch gesagt, du sollst uns verzeihen. Ob Jakob diese Worte wohl wirklich gesagt hat vor seinem Tod? Oder haben die Brüder sich diese Worte ausgedacht – sozusagen als Notlüge, um die Versöhnung mit Joseph zu erreichen? Das bleibt in unserem Predigttext offen.

Ist es nur die Angst, die die Brüder zu diesem Versöhnungsversuch treibt? Oder haben sie sich geändert seither? Missetat und Sünde nennen sie das, was sie Josef angetan haben. Sie wollten Josef vernichten, weil er so anders war. Zu dieser Tat stehen sie jetzt. Sie wollen sich da nicht rausreden. Was sie Josef angetan haben, soll beim Namen genannt werden: Es war eine Missetat und Sünde, eine Ungerechtigkeit, ein Verbrechen. Sie sehen ihre eigenen Grenzen – dass sie Josef nicht so annehmen konnten, wie er war, dass sie schuldig geworden sind an Josef. Die eigenen Fehler sehen und ansprechen zu können – das öffnet ein Tor zur Versöhnung. So kann sich Joseph ihre Bitte um Versöhnung zu Herzen nehmen. Diese Bitte geht ihm so nahe, dass er weinen muss. Josephs Tränen überwinden den tiefen Graben zwischen ihm und seinen Brüdern. Die Brüder trauen sich jetzt, direkt zu ihm hinzugehen. Die Distanz ist überwunden. Eine direkte Begegnung ist möglich.

Joseph gelingt es, dass die Begegnung zwischen ihm und seinen Brüdern zu einer Begegnung auf Augenhöhe wird. Er nutzt die Situation nicht aus, um Herrschaft über seine Brüder auszuüben. „Stehe ich denn an Gottes Statt?“ fragt er und bekennt damit: Gott allein gebührt die Herrschaft. Gott kennt uns Menschen, jeden in seiner Besonderheit. Er kennt unsere unsere dunklen Punkte und blinden Flecke. Gott kennt und liebt auch die Menschen, die anders sind als wir, die nicht in das übliche Schema von Mann und Frau passen. Und Gott weiß um die Unsicherheit, um die Ängste, die viele von uns spüren, wenn wir solche Menschen im Blick haben.

Ich denke wieder an den Regenbogen. In der Bibel ist er ein Zeichen für die Versöhnung. Gott will sich nicht rächen an den Menschen für ihre bösen Taten. Er will die Erde nicht vernichten. Nach dem großen Regen, nach der zerstörerischen Sintflut stellt Gott seinen Bogen in die Wolken und schließt mit Noah den Bund der Versöhnung. Gott will, dass wir leben. So kann auch Josef in seinem schweren Schicksal Gottes Plan erkennen, wenn er seinen Brüdern sagt: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ Dadurch, dass Joseph als Sklave nach Ägypten kam, konnte er dort Getreidespeicher bauen lassen, die die Menschen vor dem sicheren Hungertod bewahrt haben.

Gott kann alles zum Guten wenden. So wie Josephs Brüder die Last ihrer Schuld loswerden, so will er auch uns heute von unserer Schuld befreien. Jesus Christus hat sie auf sich genommen, und ist am Kreuz für uns gestorben. So schließt Gott seinen neuen Bund mit uns. Jesus befreit mich von der Last meiner Schuld. Er schenkt mir einen neuen, unverstellten Blick für die Menschen um mich herum, in all ihrer Unterschiedlichkeit. Da muss ich niemanden in ein Schema pressen, in das er oder sie nicht passt. Da muss ich keine Angst haben vor dem, was mir fremd erscheint. Bunt und vielfältig wie den Regenbogen hat Gott die Welt gemacht. Der Bund seiner Versöhnung gilt – für uns alle, so unterschiedlich wir sind. Daran will ich denken, wenn ich das nächste Mal so einen wunderschönen Regenbogen am Himmel stehen sehe.

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Predigt zu Pfingstsonntag, 23. Mai 2021

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Apg 2,1-11: Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.

Liebe Mitchristen!

Ein Haus braucht vier Wände und ein Dach, das weiß jedes Kind. Wenn das Haus an einer Seite oder nach oben hin offen ist, dann regnet es rein, dann ist man nicht geschützt vor Wind und Wetter. Trotzdem übt es auf Menschen eine große Faszination aus, Häuser zu bauen, die nach oben hin offen sind – so wie der Wolkenkratzer auf unserem Bild. Häuser, die sozusagen an die Wolken stoßen. Wo Erde und Himmel sich berühren. Das Haus in Jerusalem, in dem die Apostel nach Ostern immer zusammengekommen sind, war bestimmt keine solche architektonische Meisterleistung. Auch wenn es ein mehrstöckiges Haus war. In der Bibel lesen wir, dass der Versammlungsraum der Apostel im Obergeschoss war. Waren sie dort im Obergeschoss dem Himmel wirklich schon so nahe? 

Und es geschah ein Brausen wie von einem Sturm und erfüllte das ganze Haus, lesen wir in der Bibel. So erleben die Apostel das Kommen des Heiligen Geistes – wie ein Sturmwind, wie Feuerflammen. Eine umwerfende Erfahrung muss das gewesen sein. Die Apostel sind im oberen Stockwerk dieses Jerusalemer Stadthauses versammelt und machen diese Erfahrung. Aber das Kommen des Heiligen Geistes, das ist keine Erfahrung fürs stille Kämmerlein, irgendwo in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Ortsmitte. Himmel und Erde berühren sich in dieser Erfahrung. Aus diesem ganz gewöhnlichen Jerusalemer Stadthaus wird auf einmal ein offenes Haus: Das Haus wird offen zum Himmel, offen für Gott und seinen Heiligen Geist. Und das Haus wird auch offen zur Erde, zu den anderen Menschen, die dort in Jerusalem sind und feiern. Kommen diese Menschen zur Tür herein, als sie den Sturmwind hören und die feurigen Flammen sehen? Oder gehen die Apostel die Treppe herunter und durch die Tür hinaus aus diesem Haus, raus zu den Leuten? Die Bibel gibt uns keine Antwort auf diese Fragen. Es ist, als ob dieses Haus, in dem die Apostel sich befinden, auf einmal gar keine Rolle mehr spielt. Als ob die Türen und Wände, die Treppe und das Dach auf einmal ganz durchlässig geworden wären. Gottes Geist lässt sich nicht aufhalten durch Decke und Wände. Das alles ist nicht mehr wichtig. 

Wichtig ist: Die Apostel sind im Gespräch mit den Menschen. Sie predigen, wie es Gottes Geist ihnen eingibt. Sie predigen verständlich. Jeder kann verstehen, was die Apostel sagen. Jeder hört es in seiner eigenen Sprache. So berühren sich Himmel und Erde an diesem ersten Pfingstfest. Nichts trennt die Menschen mehr voneinander: Keine dicken Hauswände, keine verschlossenen Türen und auch keine Sprachbarrieren. Das Haus, in dem die Apostel sich versammelt hatten, öffnet sich. Und auch die Menschen, die die Predigt der Apostel hören, öffnen sich – offen zum Himmel, offen für Gott und seinen Heiligen Geist. Dreitausend Menschen lassen sich taufen, lesen wir in der Bibel. Ein eher unscheinbares Jerusalemer Stadthaus war der Ausgangspunkt dieses ersten Pfingstfestes. Denn Gottes Geist weht, wo er will. Er lässt sich nicht festhalten und herbeizwingen. 

Sich ganz auf Gott zu verlassen, und nicht allein auf menschliches Wissen und Können – das ist den Menschen schon immer schwergefallen. Welche Sicherheiten, welche schützenden Mauern brauchen wir wirklich? Ganz am Anfang erzählt die Bibel eine Geschichte von Menschen, die besonders hohe Mauern haben wollten für ihre Sicherheit. „Lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.“ So sagen es sich die Menschen, und entscheiden sich für den Turmbau zu Babel. Und weiter erzählt die Bibel: „Da kam der Herr vom Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, den sie bauten.“ Ganz deutlich nicht ohne Ironie sagt uns die Bibel hier: Gott hat eine andere Perspektive auf das, was wir Menschen bauen. Gott muss da erstmal ein bisschen näher rangehen, damit er diesen scheinbar so großartigen Wolkenkratzer-Turm überhaupt richtig erkennen kann. Selbst wenn die obersten Stockwerke dieses großartigen Gebäudes manchmal von Wolken bedeckt sein mögen – Gottes Himmel ist das nicht, der hier die Erde berührt. Denn die Mauern und Wände, die hier hochgezogen werden, sind nicht nur aus Ziegelstein und Mörtel. Es sind die Mauern der Angst und der Abgrenzung. So entstehen daraus schließlich auch Mauern zwischen den Menschen. Und am Ende verstehen sich diese Menschen nicht mehr, die da gemeinsam am Turmbau zu Babel mitgearbeitet haben. Sie haben sich auseinandergelebt und haben sich nichts mehr zu sagen. Jeder spricht seine eigene Sprache. Eine Gegen-Geschichte zur Pfingstgeschichte ist diese Geschichte vom Turmbau zu Babel. 

Häuser, die zum Himmel hin offen sind, das müssen keine architektonischen Meisterleistungen sein, keine Wolkenkratzer wie auf unserem Bild. Denn selbst das großartigste Bauwerk, das Menschen sich erdenken können, kann nicht an Gottes Himmel reichen. Ein Haus braucht vier Wände und ein Dach, damit es nicht reinregnet, damit wir geschützt sind vor Wind und Wetter. Wenn es an Gottes Himmel heranreichen soll, dann sollte es ein offenes Haus sein – eines, in dem andere Menschen willkommen sind, eines, dessen Mauern nicht trennen, sondern schützen. Machen wir unsere Häuser und Kirchen zu solch einladenden Häusern- damit der Himmel die Erde berührt, auch bei uns!

Ihre Pfarrerin Dr. Dorothee Kommer

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Gedanken zum Sonntag

Predigt von Sonntag, 16. Mai 2021 (Exaudi)

Neulich im Gespräch draußen beim Spaziergang mit ein paar Bekannten der Hinweis an mich: Beten ist im Moment mega-out! Was soll das denn schon: Diese inneren Selbstgespräche? Die tun doch einfach nur deshalb gut, weil ich da das in Worte fasse, was mich bewegt – aber doch nicht, weil ich ernsthaft glaube, dass mir jemand zuhört. 
Szenenwechsel. Ich bin relativ oft in Ägypten unterwegs. Zur arabischen Kultur gehört es untrennbar dazu, dass man handelt – immer und überall. Abschätzig wird schnell mal gesagt: Man schachert um etwas. Genau so, wie Abraham damals mit Gott um die Menschen in Sodom geschachert hat. Sie erinnern sich vielleicht: Da kamen die drei Männer zu Abraham, um ihm zu sagen, dass Sarah, seine in die Tage gekommene Frau, einen Sohn bekommen wird. Danach wollten sie weiter nach Sodom, um die Stadt zu vernichten. Und Abraham bequatscht sie, handelt sie von ursprünglich 50 auf zehn Gerechte herunter, die in der Stadt wohnen müssten, damit die verschont wird. Er hat Erfolg. 
Letzter Szenenwechsel. Wenn ich draußen unterwegs bin, rede ich gern mit Gott – so wie Abraham. „Schachern Sie wieder mit Gott rum?“, fragte mich da neulich eine ältere Dame, der mein Verhalten etwas seltsam vorkam – sie traf mich scheinbar mit mir selbst redend auf dem Spaziergang. Ja: Ich schachere gerne mit Gott. Ich möchte, wie Abraham, auf Du und Du mit ihm umgehen. Abraham redet mit seinem Gott wie mit einem menschlichen Gegenüber. Und Gott lässt sich auf ihn ein. Die Bibel sagt: Wie ein Vater oder eine Mutter. „Hat Ihr Schachern mit Gott wenigstens Erfolg?“, fragte mich die Frau. Und ich habe gesagt: „Erstaunlicherweise antwortet er oft. Und oft muss ich auch lachen. Aber ich gestehe: Sehr oft spüre ich Gott auch gar nicht. Ich weiß oft nicht, was und wie ich beten soll – und das, obwohl ich schon so tolle Erfahrungen mit Gott machen durfte!

Was heißt denn „Beten“ eigentlich? Für mich heißt
Beten: Das ganze Leben vor Gott zur Sprache bringen.
Ich verlerne leider immer wieder, was ich von den Menschen in der Bibel gelernt habe – oder ich lasse es durch anderes überlagern. Aber ganz grundsätzlich geht es in der Bibel immer darum: Beten ist, sein ganzes Sein und Leben vor Gott zur Sprache bringen. Loben, klagen, fragen, bitten, danken, toben: die Psalmen zeigen uns, wie das geht – und dass Gott keine unserer Gefühlsregungen fremd ist. 
Das heißt doch für uns heute nichts anderes, als dass es recht ist, in jeder Weise mit Gott zu reden. Es ist richtig, ihm alle unsere Wut zu sagen, alles Nichtverstehen. Auch allen Hass, wie es uns die Beter der Rachepsalmen vormachen. Sie leben ihren Hass nicht aus, sondern sie schleudern ihn betend Gott entgegen, der ihn verwandeln kann. 
Ein jüdischer Gelehrter hat das Hauptziel des Betens so formuliert: „Gott zu bewegen, ihn an unserem Leben Anteil nehmen zu lassen und uns zu bewegen, an ihm Anteil zu nehmen.“ Eine tolle Definition. Gebet ist dann nämlich ein inneres Einverständnis mit Gott. Und bitten heißt nichts anderes als Gott unsere Anliegen fühlen zu lassen. 
Beten, das heißt, das ganze Leben vor Gott zur Sprache zu bringen: Jesus hat das während seines ganzen Lebens getan. Vor allem das Lukasevangelium weist immer wieder darauf hin, dass es das Gebet ist, aus dem heraus Jesus handeln kann. Aus dem Gebet bekommt er seine Kraft. Aus dem Gebet heraus kann Jesus von Gott erzählen. Er drückt damit aus, wenn es ihm gut geht und wenn es ihm schlecht geht. Und er macht mit seinem Gebet seine Hingabe an seinen himmlischen Vater und an die Menschen deutlich. Selbst im Tod betet er sich Gott entgegen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus kennt die Abgründe des Betens und was es heißt, sein Leben vor Gott zur Sprache zu bringen – auch die tiefsten Tiefen eines Lebens. Und genau deshalb können wir uns ihm auch anvertrauen – darum bringt er denen, die zu ihm gehören, im Vaterunser von Grund auf das Beten bei. 
Schachern Sie wieder mit Gott“ – ich gebe zu, das tue ich gerne. Und mit dem Vaterunser geht das auch wirklich gut. Es fasst das Wesentlichste der Beziehung von uns Menschen zu Gott und von uns Menschen untereinander zusammen und bringt es auf den Punkt.  
Das Vaterunser war und ist schon immer das Erkennungszeichen von Christen – also von den Menschen, die zu Gott „Vater“ sagen. Jesus sagt uns, dass wir Gott „abba“ nennen dürfen – die aramäische Variante von unserem „Papa“. Manche Menschen haben schlechte Erfahrungen mit Vätern. Aber jeder von uns hat doch eine Vorstellung davon, was und wie ein guter Vater sein soll. Und genau dieser Vater will Gott für uns sein. 
Wenn wir dann beten, dass Gottes Name geheiligt werden soll und dass sein Reich kommen soll, dann bitten wir darum, dass Gott hier auf der Erde wirkt. Dass er wirkt als einer, der nicht von dieser Welt ist – und der genau deshalb weiß, wie unsere Welt am besten ist. Denn Gott herrscht nicht wie die Mächtigen unserer Welt, die sich auf Kosten anderer groß machen. Gott hebt das nach oben, was beschädigt und krank ist – das, was nicht mehr leben kann. 
Unser tägliches Brot gib uns heute – und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ Das heißt: Gott handelt ganz konkret an uns – und wir dürfen ihn ganz konkret um das bitten, was wir für den nächsten Tag brauchen. Genügend Nahrung ist ja bei uns heute selten ein Problem – aber vielleicht das tägliche Brot der halben Stunde Ruhe zwischen all dem Stress. Das tägliche Brot des guten Wortes, das uns in einer schwierigen Situation wieder aufrichtet und uns den Blick nach vorne frei macht. Egal, was wir brauchen – wir dürfen es vor Gott legen. Und damit eben auch ganz besonders das, war wir in jedem Fall nötig haben: Die Vergebung unserer Schuld. Es tut mir gut, dass ich alles Schlechte abgeben kann bei Gott. Dass er es mir vergeben will. Das gibt mir die Freiheit, auch anderen zu vergeben, wenn sie mir etwas angetan haben. Ist Ihnen das schon aufgefallen: Das ist das einzige, was wir als Beter dieses Gebets tun müssen: Anderen zu vergeben. Und das nur, weil Gott uns schon vergeben hat. 
Dass es Versuchungen im Leben gibt, darum macht das Vaterunser keinen Bogen. Das erleben wir immer wieder. „Und führe mich nicht in Versuchung“ – das beten wir und trotzdem passiert es immer wieder. Handelt Gott da nicht? Mir gefällt an dieser Stelle die andere mögliche Übersetzung dieses Satzes: „Und führe mich in der Versuchung“. Bring mich gar nicht erst hinein, Gott. Greif du ein, bevor etwas auf der Kippe steht, was mir, meiner Beziehung zu dir oder den anderen Menschen schadet. Und wenn es schon zu spät ist, dann hilf mir bitte wieder unbeschadet heraus! Zeig mir, wie ich wieder auf den richtigen Weg komme!
Und dann endet das Gebet mit einem Anbetungsteil. „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit!“ – Wahnsinn, dass dieser Gott sich mit uns abgibt!

Schacherst du wieder mit Gott“ – wenn Sie das am besten im Kopfstand können – dann tun Sie es. „Schacherst du wieder mit Gott“ – wenn Sie das zu einer bestimmten Zeit tun wollen – dann tun Sie es. „Schacherst du wieder mit Gott“ – wenn da die Bitten überwiegen – dann beten Sie so. Hauptsache, Sie beten ehrlich. Hauptsache, Sie bringen das vor Gott, was Sie bewegt. Hauptsache, Sie trauen ihm zu, dass genau er an Ihrer Situation etwas ändern kann. Hauptsache, Sie sprechen mit ihm wie mit dem besten Vater der Welt. Hauptsache, Sie nehmen ihn ernst!

Pfarrer Markus Arnold